Josef Franz Capesius

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Josef Franz Capesius (1853-1918)

Josef Franz Capesius (* 21. Juli 1853 in Probstdorf; † Oktober 1918) war ein Siebenbürgischer Philosoph und Pädagoge.

Leben

Josef Franz Capesius wurde als Sohn des Pfarrers Bernhard Franz Capesius in Probstdorf am 21. Juli 1853 geboren. Bis zu seinem 13. Lebensjahr unterrichtete ihn sein Vater und dann besuchte er von 1866 bis 1871 das Gymnasium in Hermannstadt. Das nächste Jahr verbrachte er bei seinen Eltern, um ein weiteres Jahr später die Universität Leipzig zu beziehen. 1876 schloss er dieses Studium ab, hielt sich ein halbes Jahr wieder in seiner Heimat auf und studierte 1876/1877 an der Universität Berlin Theologie, Philosophie, Pädagogik, Mathematik und Physik; im August 1877 schloss er das Studium als Doktor der Philosophie ab. Seine Doktorarbeit veröffentlichte er ein Jahr später unter dem Titel Die Metaphysik Herbart's in ihrer Entwicklungsgeschichte und nach ihrer historischen Stellung: ein Beitrag zur Geschichte der nachkantischen Philosophie.

Capesius beschäftigte sich, wie etwas später auch Rudolf Steiner, intensiv mit den philosophisch-pädagogischen Ansichten Herbarts, wandte sich aber strikt gegen die abstrakt-logischen Methoden einiger seiner Schüler. Ganz vehement bekämpfte er die philosophische Interpretation, die Robert Zimmermann dem Herbartianismus geben wollte. Capesius vertrat vielmehr einen lebendigen psychologisch-erklärenden geschichtswissenschaftlichen Ansatz, der den Menschen niemals aus dem Blickfeld verlieren sollte, und sah sich selbst als «Historiker der Ideen».

Nach Abschluss des Studiums kehrte Capesius in seine Heimat zurück, um Privatlehrer zu werden. In dieser Zeit wurde auch seine lebenslange Leidenschaft für die Werke Goethes geweckt. Nachdem er im Folgejahr die Lehrprüfung bestand, durfte er als Lehrer unterrichten. Dann erlitt Capesius allerdings einen so schweren Nervenzusammenbruch, dass er sein Amt niederlegen musste und für die folgenden 6 Jahre kaum zu geistiger Arbeit fähig war. Nur durch die fürsorgliche Pflege seiner Schwester, erst im Vaterhaus in Scharosch und nach des Vaters Tod in einem Häuschen in Kleinschenk, und durch den ärztlichen Rat seines Freundes Dr. Süßmann erholte er sich soweit, dass er seine Arbeit wieder aufnehmen konnte. Viel Kraft schöpfte Capesius aus dem Reichtum deutscher Dichtung, die ihm ein wahres Lebenselement bildete.

Nachdem sich Capesius einigermaßen von seiner Neurasthenie erholt hatte, wurde er im September 1885 Professor am evangelischen Landeskirchenseminar. Am 27. März 1894 setzte man ihn als Vorstandsstellvertreter des siebenbürgischen Vereins für Naturwissenschaft in Hermannstadt ein und im Juli 1896 beförderte man ihn zum Leiter des Landeskirchenseminars. Er übte diese Funktion für die nächsten 20 Jahre bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1916 aus. Im November 1896 ernannte man ihn auch zum Mitglied des Unterrichtsrats.

Im März 1912 hielt Capesius, nachdem er noch in seinen späteren Lebensjahren den Monismus Ernst Haeckels kennen gelernt hatte, einen beachtenswerten Vortrag, der noch im selben Jahr veröffentlicht wurde, in dem er sein Unbehagen über diese einseitig naturwissenschaftlich-materialistische Weltsicht äußerte. Anhand von Betrachtungen zur Astronomie, Physik, Chemie und Biologie wies er darin auf die prinzipielle Unfähigkeit der naturwissenschaftlichen Forschungsmethode hin, das elementare Phänomen des Bewusstseins zu erklären.

„In diesem ganzen Spiel der Kräfte und Bewegungen fehlt aber eins: das Bewusstsein. Mögen wir uns dieses Bewusstsein noch so elementar denken: als einen Ton, den wir hören, eine Farbe, die wir sehen, als ein Gefühl der Lust oder Unlust ... - in der Welt der Atome ist von alledem nichts zu finden, kann es nicht gefunden werden.“

Josef Capesius: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen und der philosophische Ausbau des Monismus, S 3

Josef Capesius, den Rudolf Steiner vermutlich 1889 kennenlernte, als er die Weihnachtszeit in Hermannstadt verbrachte und hier auch einen Vortrag hielt, könnte, neben einigen Zügen von Karl Julius Schröer, das eigentliche Vorbild für den Professor Capesius aus Steiners Mysteriendramen sein. Es gibt darüber allerdings, soweit bekannt, keine Mitteilung Rudolf Steiners. Das Wesen des Professors Capesius aus seinen Dramen hat Steiner jedenfalls so charakterisiert, dass es auch sehr gut auf Josef Capesius passt:

"Sie werden namentlich aus der «Pforte der Einweihung» entnommen haben, daß Capesius eine Art Geschichtsgelehrter ist, ein Historiker. Nun hat mir die okkulte Forschung ergeben, daß eine Anzahl namhafter Historiker der Gegenwart dieses gerade dadurch geworden sind, daß sie in irgendeinem Verhältnis gestanden haben zur ägyptischen Einweihung im dritten nachatlantischen Kulturzeitraum. Entweder daß solche Geschichtsgelehrten direkt mit dem Einweihungsprinzip zu tun hatten oder den Tempelgeheimnissen in der einen oder anderen Art nähertraten. Sie werden bemerkt haben, daß Capesius ein Historiker ist, der sich nicht allein auf äußere Schriftwerke verläßt, sondern der auch versucht, die Ideen der Geschichte zu durchdringen, die in der Menschheitsentwickelung, in der Kulturentfaltung spielen.

[...]

Eines Tages aber war an Capesius etwas von der Literatur des Haeckelismus herangetreten. Er hatte sich mit dieser ganzen Weltanschauung, mit der er sich früher wenig befaßt hatte, bekanntgemacht und im Anschluß daran allerlei Schriften über atomistische Weltanschauung gelesen. Das war der Grund zu seiner Zerquältheit, und es war eine merkwürdige Stimmung, die über ihn kam, als er in verhältnismäßig spätem Alter diesen atomistischen Haeckelismus kennenlernte. Sein Verstand sagte ihm: Man kann eigentlich mit den Erscheinungen der Natur um sich herum nicht ordentlich zurechtkommen, wenn man sich nicht in dieser Weise aus Atomen heraus durch eine mechanische Weltanschauung die Erscheinungen der Natur erklären will. - Mit anderen Worten, es kam Capesius immer mehr und mehr dazu, in einer gewissen Weise das einseitige Recht des Atomismus, die mechanische Naturanschauung einzusehen. Er gehörte nicht zu denen, die fanatisch eine solche Sache von vornherein ablehnen, denn er mußte sich auf seinen Verstand verlassen, und da erschien ihm manches notwendig von dieser Anschauung, um die Erscheinungen der Natur um sich herum zu erklären. Aber dennoch quälte ihn das. Denn er sagte sich: Wie öde, wie unbefriedigend für die menschliche Seele ist wiederum diese Naturanschauung! Wie schlecht kommt jede Idee dabei weg, die man über Geist und Geistwesen, über das Seelische gewinnen will!" (Lit.: GA 147, S. 84f)

Ein im Januar 1890 von Dr. Eugen Filtsch an Steiner geschriebener Brief beweist, dass Steiner Josef Capesius gut kannte. Nach den Erinnerungen Oskar Schmiedels solle Capesius zudem einen Vollbart tragen wie sein «Urbild» und aus Siebenbürgen stammen (Lit.: Schmiedel, S 150). Gewisse Züge, die für die Siebenbürger Sachsen typische waren, treffen auch auf den Capesius der Mysteriendramen zu. In Mein Lebensgang schreibt Steiner:

"Am Weihnachtstage kam ich nach Hermannstadt. Ich wurde in das Siebenbürger Sachsentum eingeführt. Das lebte da innerhalb des Rumänischen und Magyarischen. Ein edles Volkstum, das im Untergange, den es nicht sehen möchte, sich wacker bewahren möchte. Ein Deutschtum, das wie eine Erinnerung an sein Leben vor Jahrhunderten in den Osten verschlagen, seiner Quelle die Treue bewahren möchte, das aber in dieser Seelenverfassung einen Zug von Weltfremdheit hat, die eine anerzogene Freudigkeit überall im Leben offenbart. Ich verlebte schöne Tage unter den deutschen Geistlichen der evangelischen Kirche, unter den Lehrern der deutschen Schulen, unter andern deutschen Siebenbürgern. Mir wurde das Herz warm unter diesen Menschen, die in der Sorge um ihr Volkstum und in dessen Pflege eine Kultur des Herzens entwickelten, die auch vor allem zum Herzen sprach." (Lit.: GA 028, S. 138ff)

Neben vielen Vorlesungen, die er hielt, verfasste Capesius eine beeindruckende Fülle von Aufsätzen, Druckschriften und Büchern zu verschiedensten Themen, die von der Philosophie und Pädagogik, über Astronomie, Mathematik und das breite Spektrum der Naturwissenschaften bis hin zur Literatur und Religion reichten. Ferner hat er auch einen Artikel über den siebenbürgischen Naturforscher und -sammler Eduard Albert Bielz in der Allgemeinen Deutschen Biographie verfasst. Trotz der Arbeitsfülle, die Capesius bewältigt hatte, musste er während seines ganzen Lebens stets mit den Folgen seines Nervenleidens ringen.

Josef Capesius starb im Oktober 1918.

Werke

  • Die Hauptmomente in der Entwicklungsgeschichte der Herbartischen Metaphysik (Leipzig 1878)
  • Die Metaphysik Herbart's in ihrer Entwicklungsgeschichte und nach ihrer historischen Stellung: ein Beitrag zur Geschichte der nachkantischen Philosophie (Leipzig 1878)
  • Der Apperceptionsbegriff bei Leibnitz und dessen Nachfolger: Eine terminologische Untersuchung (Hermannstadt 1894)
  • Ein Lehrgang aus Chemie auf geschichtlicher Basis (1894)
  • Das Religiöse in Goethes Faust (Hermannstadt 1901) [1] [2]
  • Die christliche Urgemeinde in Jerusalem, In: Jerusalem und Korinth: Zwei Vorträge über das Apostolische Zeitalter, Hermannstadt 1902, S. 1-32 [3]
  • Abriß der astronomischen Erdkunde: in geschichtlichem Aufbau (Hermannstadt 1904)
  • Schiller als Philosoph (Hermannstadt 1905)
  • Mathematische Geographie auf geschichtlicher Grundlage (1906)
  • Naturlehre auf geschichtlicher Grundlage
  • Abriß der Psychologie : mit einem Anhang: Die Hauptpunkte der Logik ; für den Unterricht an Lehrerseminaren und Mittelschulen (Hermannstadt 1910)
  • Die naturwissenschaftlichen Grundlagen und der philosophische Ausbau des Monismus (1912)
  • Abriß der allgemeinen Pädagogik (Hermannstadt 1912)
  • Vorträge und Aufsätze (Hermannstadt 1925)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.
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