Nicholas Rescher

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Nicholas Rescher

Nicholas Rescher (* 15. Juli 1928 in Hagen) ist ein US-amerikanischer Philosoph deutscher Abstammung. Seine Schwerpunkte stellen die theoretische Philosophie, Moral- und Sozialphilosophie dar. Rescher ist zudem der gegenwärtig prominenteste Vertreter der Kohärenztheorie der Wahrheit sowie der Prozessphilosophie.

In seinem Werk versucht Rescher, die Methodik der analytischen Philosophie mit traditionellen philosophischen Problemstellungen zu verknüpfen. Sein Werk ist von großer systematischer und historischer Breite gekennzeichnet und vereinigt in sich kohärenztheoretische, pragmatische und idealistische Komponenten. Impulsgebend waren vor allem seine Arbeiten zur Kohärenztheorie der Wahrheit.

Leben

Reschers Vater praktizierte seit 1922 als Anwalt in Hagen. Nachdem er sich öffentlich gegen das System des Nationalsozialismus ausgesprochen hatte, schlossen Anfang der 30er-Jahre die Nationalsozialisten seine Kanzlei, worauf die Familie 1938 in die USA auswanderte.

Nach dem Schulabschluss studierte Rescher 1946 bis 1951 zunächst Mathematik und Philosophie am Queens College in Flushing, New York und an der Universität Princeton. Seine Lehrer waren dort unter anderem Herbert G. Bohnert, ein Schüler von Rudolf Carnap, Donald Davidson, Carl Hempel und Alonzo Church. 1949 erwarb er den Bachelor of Science in Mathematik, 1952 erhielt er in Princeton den philosophischen Doktorgrad (Ph. D.). Von 1954 bis 1956 arbeitete er in der Mathematikabteilung der RAND Corporation in Santa Monica.

1957 wurde Rescher auf eine Professur für Philosophie an der Lehigh-Universität in Bethlehem, Pennsylvania berufen. Dort entstanden die Grundlagen seiner ersten bekannten Publikation über die Geschichte der arabischen Logik. Außerdem begegnete er Adolf Grünbaum, der ihm 1961 zu einem Lehrstuhl an der Universität Pittsburgh verhalf, wo er bis zu seiner Emeritierung blieb. Grünbaum und Rescher formten dort den Kern des Pittsburgh’s Philosophy Departments, das bald weltweite Bekanntheit erreichte und dem unter anderem Kurt Baier, Alan R. Anderson, Nuel Belnap und Wilfrid Sellars angehörten.

Im Jahre 1964 gründete Rescher die bekannte philosophische Fachzeitschrift American Philosophical Quarterly, als deren Herausgeber er bis 1993 tätig war. Er leitete außerdem viele Jahre das 1960 gegründete weltbekannte Center for Philosophy of Science.

Rescher war Präsident der American Philosophical Association, ständiger Gastprofessor in Oxford und lehrte regelmäßig auch an anderen Universitäten. Im Jahre 1977 wurde Rescher zum ständigen Mitglied des Corpus Christi College in Oxford ernannt.

In Deutschland wurde Rescher 1984 mit dem Alexander von Humboldt-Preis sowie der Ehrendoktorwürde der Universität Konstanz (Philosophie), 2002 vom Fachbereich Erziehungs-, Sozial- und Geisteswissenschaften der Fernuniversität Hagen mit dem Ehrendoktor[1] und 2011 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. 1998 wurde er als auswärtiges Mitglied in die Academia Europaea aufgenommen.[2] Seit 2006 ist er Mitglied der Royal Society of Canada und seit 2009 der American Academy of Arts and Sciences. 2016 wurde ihm die Helmholtz-Medaille der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften verliehen.

Werk

Reschers Systemdenken verbindet idealistische Positionen mit pragmatisch-realistischen Überlegungen, wobei es sich der methodischen Standards der Analytischen Philosophie bedient. [3] In seinen über 100 Buchpublikationen und mehr als 1000 Aufsätzen stützt er sich häufig auf verschiedene klassische Positionen der Philosophie, die er miteinander zu verbinden und in sein philosophisches System zu integrieren versucht.

Rescher hatte sich zunächst vor allem mit speziellen Themen wie der Logik in der arabischen Philosophie auseinandergesetzt. Im Laufe seiner wissenschaftlichen Entwicklung erweiterte sich sein Betätigungsfeld auf die unterschiedlichsten philosophischen und philosophiehistorischen Gebiete. Anders als die meisten gegenwärtigen Philosophen intendiert Rescher, ein umfassendes System zu konzipieren, welches Antworten auf die „großen Fragen“ der Philosophie gibt wie die „nach der Stellung des Menschen in der Natur, der Willensfreiheit, nach Pflicht und Obliegenheit, Wissen und Unwissen“.[4]

Systematische und philosophiehistorische Arbeiten

Wie kaum ein anderer Philosoph der Gegenwart hat Rescher fast alle Disziplinen der Philosophie durch seine Publikationen abgedeckt. Ein besonderes Merkmal seiner Arbeiten ist dabei, dass er sich auch mit der philosophiegeschichtlichen Entwicklung der jeweiligen Disziplinen befasst hat. Grundsätzlich sind seine Arbeiten zur systematischen Philosophie und zur Philosophiegeschichte eng miteinander verknüpft. Rescher geht von einer dialektischen Begriffsentwicklung aus, nach der sich Begrifflichkeiten im Verlauf der Philosophiegeschichte ausdifferenzieren. Damit verbunden sei auch eine Weiterentwicklung der philosophischen Fragen und Problemstellungen.

In der Praktischen Philosophie Reschers finden sich Studien zur Ethik, Beiträge zu angewandten Ethik, zur Politischen Philosophie, Sozialphilosophie und Anthropologie. Im theoretischen Bereich verfasste er Studien zur Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, zur Ontologie, Metaphysik, Logik, zur Philosophie des Geistes und zur Sprachphilosophie. Ferner hat Rescher auf den Gebieten der Religionsphilosophie, Technikphilosophie und Metaphilosophie gearbeitet. Er legte außerdem eine Vielzahl von Monographien vor, in denen einzelne Begriffe umfassend untersucht oder besondere Teilthemen einzelner philosophischer Disziplinen ausführlich erörtert werden.   Auch Reschers philosophiehistorische Interessen sind breit gefächert. Er befasst sich in seinen Werken intensiv mit der antiken Philosophie, mit Leibniz, Kant, dem Pragmatismus (Peirce) und der Philosophie des Common Sense. Auch Auseinandersetzungen mit wichtigen Gegenwartsphilosophen (z. B. Putnam, Davidson oder Wittgenstein) finden sich in seinen Arbeiten.

Philosophiehistorische Einflüsse

Rescher ist philosophisch neben seinen der analytischen Philosophie zuzurechnenden akademischen Lehrern vor allem von Kant, Hegel und Peirce in unterschiedlichem Maße sowohl inhaltlich als auch methodisch beeinflusst worden. [5]

Kant

Einen großen Einfluss übte auf Rescher die in der Kritik der reinen Vernunft entfaltete theoretische Philosophie Kants aus, den Rescher als einen Vorläufer des Pragmatismus versteht. Kants bevorzugte Mittel der Problemlösung seien begriffliche Unterscheidungen, die er immer wieder in den Rahmen eines systematischen Ansatzes einführt. Die Begriffsbildungen Kants haben für Rescher keine ontologische, sondern eine pragmatische Funktion: sie seien gedankliche Werkzeuge, mit deren Hilfe man der Welt, wie sie für uns Menschen zugänglich ist, erfassen kann.

Grundlegend für Kants Erkenntnistheorie sei die Systematizität des Erkennens, ohne die ein Verstehen nicht möglich ist. Einzelne Phänomene würden nur dann verstehbar, wenn sie unter allgemeine Gesetze gebracht werden können, die wiederum in einen kohärenten Rahmen eingepasst sind.

Pragmatismus

Nach Rescher ist es das Merkmal des Pragmatismus, dass in ihm Theorien oder Verfahrensweisen nicht um ihrer selbst willen angenommen werden, sondern um bestimmte Ziele erfolgreich zu verfolgen [6]. Der Pragmatismus zerfällt für Rescher in zwei stark divergierende Teilströmungen: einen „linken Pragmatismus“ (pragmatism of the left) und einen „rechten Pragmatismus“ (pragmatism of the right).[7]

Dem „linken Pragmatismus“ (W. James, F.C.S. Schiller und R. Rorty) zufolge seien Wahrheiten menschlich erzeugte und nicht entdeckte Konstrukte. Er akzentuiere soziale Konsense und Konventionen und stehe der Annahme rationaler, allgemeiner und objektiver Standards kritisch gegenüber. Bei epistemischen wie moralischen Standards betone er deren Abhängigkeit von menschlichen bzw. gesellschaftlichen Konventionen.

Der „rechte Pragmatismus“ (Ch.S. Peirce und C.I. Lewis) dagegen, dem Rescher selbst nahesteht, sehe die Wissenschaften als durch Wahrheitssuche geprägt und akzeptiere das Vorhandensein von rationalen, allgemein verbindlichen Normen und objektiven Standards. Diese seien fallibel und können generell anhand ihrer Wirksamkeit hinsichtlich des Erreichens der angestrebten Ziele validiert werden.

Anknüpfend an Peirce versucht Rescher, Standards und Prinzipien auszuarbeiten, mit deren Hilfe Ideen, Theorien und Verfahrensweisen pragmatisch und objektiv bewertet werden können. In Abweichung von Peirce nimmt Rescher jedoch nicht an, dass der wissenschaftliche Prozess sich einer letzten Wahrheit annähert.

Von großer Bedeutung ist für Rescher, dass eine geistesunabhängige Wirklichkeit zu postulieren sei, um die erkenntnistheoretischen und naturwissenschaftlichen Tätigkeiten angemessen erfassen zu können. Dies sei darin gerechtfertigt, dass der ontologische Realismus sich pragmatisch bewährt habe. Nur mit seiner Hilfe sei eine Unterscheidung zwischen Wahrheit und Falschheit, Realität und Erscheinung möglich. Er schaffe erst die Basis für die intersubjektive Kommunikation über etwas, das man gemeinsam erforschen und erfahren kann.

Hegel

Reschers Idee der historischen Entwicklung philosophischer Theorien ist stark durch das dialektische Denken G.W.F. Hegels mitgeprägt. Rescher versteht die dialektische Methode als ein allgemeines Verfahren zur Gewinnung von Erkenntnissen. Sie beginne bei einem Startpunkt („input“) - z. B. in Form einer plausiblen Annahme -, dem eine Antwort („response“) entgegenstehe. Diese sorge für eine Transformation bzw. Revision der ursprünglichen Annahmen, die dann - in einem iterierbaren Prozess - wieder als Startpunkt weiterer Untersuchungen dienen könne.[8]

Das dialektische Vorgehen lässt sich für Rescher charakterisieren als „kreative Innovation, deren Ergebnis nicht vorhersehbar ist“ [9]. Entsprechend lasse sich die bisherige philosophiehistorische Entwicklung als dialektische beschreiben, aber keine zuverlässige Prognose der künftigen philosophischen Fortentwicklung abgeben.[10] Anders als für Hegel ist für Rescher der dialektische Prozess grundsätzlich unabschließbar und seine künftige Entwicklung inhaltlich unbestimmt. In Dialectics[11] unterscheidet Rescher eine Reihe von Anwendungsfeldern der Dialektik, denen er jeweils eigene Kapitel widmet („Disputational Dialectic“, „Cognitive Dialectic“, „Methodological Dialectic“, „Ontological Dialectic“, „Philosophical Dialectic“). Gemeinsam sei diesen verschiedenen Dialektiken ihre Form bzw. Struktur, die sich in den verschiedenen Anwendungsbereichen nur unterschiedlich auspräge.

Analytische Philosophie

Reschers Denken wurde durch die Analytische Philosophie vornehmlich in formaler Hinsicht beeinflusst; sie hat nach seiner Auffassung einen „Werkzeugkasten“ mit methodischen und begrifflichen Hilfsmitteln und eine Reihe wichtiger begrifflicher Unterscheidungen hinterlassen.[12] Inhaltlich moniert Rescher an der Analytischen Philosophie neben diversen Reduktionismen vor allem ihre Neigung, sich nur noch auf die Klärung von Detailfragen zu konzentrieren. Es fehle ihr ein systematisches Angehen der „großen Fragen“ der Philosophie.

Philosophisches System

Zu den Grundzügen des philosophischen Systems siehe auch

Metaphysik

Reschers Beiträge zur Metaphysik enthalten Überlegungen zu grundlegenden Kategorien der Wirklichkeit, zur Naturgesetzlichkeit sowie zum Thema „mögliche Welten“. Den Rahmen seiner Überlegungen bildet eine Prozessontologie, die er als Alternative zu einer Substanzontologie versteht.

Realität

Die Existenz einer gemeinsamen Realität der Menschen ist für Rescher eine pragmatische Präsumtion und hat einen apriorischen Status. Sie könne zwar nicht vermittels deduktivem Vorgehen erschlossen werden; [13] gleichwohl lasse sich aber ihre Annahme aufgrund ihrer Erfolge und ihres Nutzens im Nachhinein rechtfertigen. [14]

Reale Dinge sind nach Reschers Überzeugung dadurch ausgezeichnet, dass sie ein „Etwas“ sind und eine gewisse Einheit aufweisen. Sie sind intersubjektiv zugänglich und bestehen einerseits unabhängig vom Geist („mind“), können aber andererseits von ihm erkannt werden. [15] Rescher erklärt eine sehr große Bandbreite von Dingen für existierend, die er unterschiedlichen Kategorien zuordnet. Er unterscheidet unter anderem zwischen physischen Gegenständen der raum-zeitlichen Welt, mathematischen Entitäten, die einem Reich der Quantitäten und Strukturen angehören, Wahrnehmungsgegenständen und -eigenschaften und Begriffen, die er einem Reich der Ideen („realm of ideas“) zuordnet. [16]

Kategorien und Begriffsschemata

Kategorien dienen nach Rescher ausschließlich pragmatischen Zwecksetzungen. Sie werden verwendet, um die Wirklichkeit zu erfassen und ihre Teile zu ordnen und bilden zusammen das Begriffsschema einer bestimmten Kultur zu einer bestimmten Zeit.

Rescher nennt als höchste Kategorien unter anderem Substanz, Quantität, Art (Qualität), Eigenschaft, Relation, Zeit und Raum, Ursache, Zweck, Position (Unterordnung bzw. Einordnung), Zusammensetzung, Prozess, Ursache und Funktion. [17]

Gegen Donald Davidson gerichtet vertritt Rescher die These, dass es eine Mehrzahl verschiedener Begriffsschemata geben kann. [18] Differenzen zwischen ihnen seien aufgrund kultureller Unterschiede anzunehmen, da in verschiedenen Kulturen aus verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten grundlegend verschiedene Erklärungen verwendet wurden. Die divergierenden Begriffsschemata sind dabei für Rescher nicht von gleicher Güte. Sie können in unterschiedlicher Weise Wirklichsbereiche identifizieren und klassifizieren. Dabei können formale Fehler (unpräzise, uneindeutige, unvollständige Kategorien) und inhaltliche Fehler (unanwendbare, triviale oder zwecklose Kategorien) auftreten.

Der Vorgang der Kategorieneinteilung und -bildung ist gemäß Reschers Auffassung nicht beschränkt. Es können dazu verschiedene Kriterien verwendet werden. Kategorien können auf verschiedenen Ebenen der Abstraktion gebildet und immer weiter verbessert werden. Insofern haben Dinge nach Rescher eine unbegrenzte „cognitive depth“. Die wissenschaftliche Forschung könne daher im Prinzip unbegrenzt weitergehen und unser Wissen von der Welt endlos erweitert und verbessert werden. [19]

Möglichkeit und Unmöglichkeit

Die Begriffe der Möglichkeit und Unmöglichkeit zählen nach Rescher zu den Kernbegriffen der Metaphysik. Etwas ist für Rescher dann „möglich“, wenn es logisch konsistent und begrifflich kohärent ist. Der Begriff bloß möglicher Objekte („possibilia“) ist für Rescher grundsätzlich sinnvoll. Sie lassen sich als hypothetische Varianten vorhandener „features“ charakterisieren.

Als Beispiel für „possibilia“ untersucht Rescher näher den ontologischen Status fiktionaler Personen. Hier ist es nach seiner Ansicht fraglich, ob man diesen - wie z. B. Peter van Inwagen - einen „quasi-existenziellen“ Status als nicht-existierende Einwohner einer möglichen Welt zusprechen sollte. Rescher votiert entschieden gegen diese Position: Hamlet, der Osterhase und der gegenwärtige König von Frankreich seien nicht real, sondern bloße Gedankenobjekte bzw. Diskussionsgegenstände. Würden fiktive Gegenstände Teil einer Ontologie, würde diese „uncomfortably large“. [20] Rescher empfiehlt daher aus pragmatischen Überlegungen die Anwendung von „Ockhams Rasiermesser“ und die Rede von der Existenz im Sinne einer Quasi-Existenz in einer möglichen Welt aufzugeben.

Grundsätzlich abgelehnt wird von Rescher die Vorstellung selbstwidersprüchlicher „impossibilia“ (wie z. B. „kinderlose Eltern“), da sie auf logisch inkonsistenten Begriffsbildungen beruhen und daher unverständlich bleiben. [21]

Prozessontologie

Rescher vertritt die Ansicht, dass die grundlegenden Bestandteile der Welt nicht Einzeldinge, sondern Prozesse sind. Nach Rescher liegen grundsätzlich zwei verschiedene Versionen der Prozessontologie vor. In der stärkeren, kausalen Version, die Rescher selbst vertritt, werde behauptet, dass Prozesse ontologisch grundlegend sind und Dinge kausal hervorbringen, wobei Dinge als Erscheinungen von Prozessen zu verstehen seien. Die schwächere, explanatorische Version dagegen sehe Prozesse als explanatorisch vorgängig gegenüber Dingen, so dass man, um ein Ding zu erklären, darauf angewiesen sei, prozessuale Begebenheiten des Dinges einzubeziehen. [22]

Rescher votiert für ein prozess- und gegen ein dingontologisches Verständnis der Wirklichkeit, da jenes in der Lage sei, die Prozesse des Entstehens und der Veränderung von Substanzen angemessen zu klären. Zudem bieten aus seiner Sicht Dingontologien keinen Vorteil, da Dinge auch in der Begrifflichkeit der Prozessontologie erfasst werden könnten – als Prozesse, die Positionen und Dauer haben. [23]

Prozesse und Einzeldinge

Prozesse können Dinge hervorbringen oder Zustände verändern. [24] Sie lassen sich hierarchisieren, d. h. in unter- oder übergeordnete Prozesse einordnen. Die Bandbreite reiche von Prozessen auf der Mikroebene bis hin zu kosmischen Prozessen. Dabei tragen kleinere Veränderungen zu großen Prozessen bei; die jeweils nächstkleinere Stufe könne selbst wieder als Bündel von wiederum kleineren Vorgängen gefasst werden. [25]

Einzeldinge werden von Rescher nach ihrer prozessualen Veränderung und derzeitigen Stabilität klassifiziert. Sie seien Teil kontinuierlicher, offener Prozesse, in denen fließende Vorgänge möglich sind und erhalten ihre Einheit durch die Rolle, die sie in Veränderungsprozessen spielen. [26] Während Prozesse nicht weiter durch anderes zu erklären seien, scheine dies für (materielle) Dinge nicht zu gelten, denn „to be a substance is to act as a substance“. [27]

Prozessontologische Interpretation klassischer ontologischer Probleme

Nach Rescher lassen sich eine Reihe klassischer ontologischer Probleme mit Hilfe des prozessontologischen Modells adäquat erklären.

So bestehe die prozessontologische Lösung des Universalienproblems darin, dass Verschiedenes deswegen als dasselbe erscheint (z. B. als eine bestimmte Farbe oder als natürliche Art), da es das Resultat verschiedener Prozesse ist, die mindestens eine Ähnlichkeit aufweisen. [28]

Die Natur lasse sich als eine Vielzahl hierarchisch geordneter verschiedenartiger physikalischer Prozesse interpretieren. Diese haben einen raum-zeitlichen Platz, werden als kausal betrachtet und erscheinen damit als miteinander verbunden. Die Naturgesetze werden von Rescher ihrerseits als prozessual verstanden; sie haben nur eine übergangsweise Stabilität („merely transitory stability“ [29]) und können sich im Laufe der kosmologischen Entwicklung verändern.

Mühelos zu integrieren in diese prozessorientierte Ontologie ist nach Rescher sowohl die biologische als auch die kulturelle Evolution. Während Rescher dazu neigt, die biologische Evolution als ungerichtet zu betrachten, sieht er die kulturelle Evolution aufgrund ihrer Prägung durch die kognitiven Einflüsse des Menschen als zielgerichtet an.[30]

Ein bedeutsamer Vorzug der Prozess- gegenüber einer Dingontologie ist nach Rescher, dass mit der Kategorie des Prozesses der Begriff der Person verständlicher werde. Nach Rescher lässt sich der Begriff „Person“ - wie auch die Begriffe des „Ich“ und des „Selbst“ - nicht adäquat als Substanz oder Ding erfassen. Die Person sei vielmehr das Zentrum von Erfahrungen in einem System von Prozessen. Ihre Einheit lasse sich als eine Erzähleinheit auffassen und könne nicht - wie in der Dingontologie - als ein Ding jenseits von Aktivitäten und Erfahrungen begriffen werden. [31] Der Geist („mind“) ist für Rescher eine Funktionseinheit. Mentale Abläufe hängen zwar vom Körper ab; sie haben aber eine Bedeutungsdimension, die sie nicht auf physische Vorgänge reduzierbar machen. [32]

Ausgewählte Werke

  • The Development of Arabic Logic, Pittsburgh 1964
  • Essays in Philosophical Analysis, Pittsburgh 1969
  • Many-Valued Logic, New York 1969
  • Scientific Explanation, New York 1970
  • Temporal Logic (mit Alasdair Urquhart), New York 1971
  • Conceptual Idealism, Oxford 1973
  • The Coherence Theory of Truth, Oxford 1973
  • Methodological Pragmatism, Oxford 1977
  • Peirce’s Philosophy of Science, Notre Dame, Ind. 1978
  • Scientific Progress: A Philosophical Essay on the Economics of Research in Natural Science, Oxford 1978 (dt. Berlin 1981)
  • Cognitive Systematization, Oxford 1979
  • Induction, Pittsburgh 1980 (dt. München 1987)
  • Empirical Inquiry, Totowa 1982
  • The Limits of Science, Berkeley 1984 (dt. Stuttgart 1985)
  • The Strife of Systems, Pittsburgh 1985
  • Scientific Realism, Dordrecht 1987
  • Ethical Idealism, Berkeley, Cal. 1987
  • Rationality. A Philosophical Inquiry into the Nature and Rationale of Reason, Oxford 1988 (dt. Würzburg 1993)
  • A Useful Inheritance: Evolutionary Epistemology in Philosophical Perspective, Lanham, Md. 1989
  • Moral Absolutes, New York 1989
  • Human Interests - Reflections on Philosophical Anthropology, Stanford 1990
  • G. W. Leibniz's Monadology - An Edition for Students, Pittsburgh 1991
  • A System of Pragmatic Idealism, 3 Bde. Princeton, N.J. 1992–94
  • Pluralism: Against the Demand for Consensus, Oxford 1993
  • Philosophical Standardism, Pittsburgh 1994
  • Luck: The Brilliant Randomness of Everyday Life, New York 1995 (dt. Berlin 1996)
  • Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy, Albany, N.Y. 1996
  • Instructive Journey, Lanham 1996
  • Objectivity, Notre Dame 1997
  • Complexity, New Brunswick 1998
  • The Limits of Science, Pittsburgh 1999 (Neuauflage von 1984)
  • Kant and the Reach of Reason, Cambridge 1999
  • Process Philosophy: A Survey of Basic Issues, Pittsburg 2000
  • Realistic Pragmatism, Albany, N.Y. 2000
  • Nature and Understanding - The Metaphysics and Method of Science, Oxford 2000
  • Cognitive Pragmatism, Pittsburg 2001
  • Philosophical Reasoning, Malden/Oxford 2001
  • Epistemology: On the Scope and Limits of Knowledge, Albany, N.Y., 2003
  • Reason and Reality, Lanham 2005
  • Realism and Pragmatic Epistemology, Pittsburg 2005
  • Cognitive Harmony, Pittsburg 2005
  • Metaphysics - The Key Issues from a Realistic Perspective, New York 2006
  • Presumption and the Practices of Tentative Cognition, Cambridge 2006
  • Dialectics, Frankfurt 2007
  • Error, Pittsburg 2007
  • Free Will, 2. Aufl., New Brunswick 2009
  • Unknowability, Lanham 2009
  • Finitude, Heusenstamm 2010
  • Reality and Its Appearance, London/New York 2010
  • On Leibniz, expanded edition, Pittsburg 2013
  • A Journey through Philosophy in 101 Anecdotes, Pittsburg 2015
  • Concept Audits: A Philosophical Method, Lanham 2016
  • Pragmatism in Philosophical Inquiry, Dordrecht 2016

Siehe auch

Literatur

  • Dale Jacquette: Reason, Method, and Value: A Reader on the Philosophy of Nicholas Rescher. Walter de Gruyter, Boston/Berlin 2009, ISBN 978-3-11-032905-6
  • Wulf Kellerwessel: Nicholas Rescher-das philosophische System. Einführung - Überblick - Diskussionen. Walter de Gruyter, Boston/Berlin 2014, ISBN 978-1-61451-800-6
  • Michele Marsonet: Idealism and Praxis: The Philosophy of Nicholas Rescher. Walter de Gruyter, Boston/Berlin 2008, ISBN 978-3-11-032911-7.
  • Michele Marsonet: Rescher, Nicholas (1928– ), in: John R. Shook (Hrsg.): The Dictionary Of Modern American Philosophers. Thoemmes Continuum Bristol 2005, Bd. 4, S. 2038–2044
  • Ernest Sosa (Hrsg.): The Philosophy of Nicholas Rescher, D. Reidel Publishing Company, Dordrecht, Boston, London 1979, ISBN 9789027709622
  • Joachim Stiller: Alles ist ein Prozess] PDF

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Philosoph Nicholas Rescher jetzt Ehrendoktor der Fernuniversität
  2. Mitgliederverzeichnis: Nicholas Rescher. Academia Europaea, abgerufen am 19. Januar 2018 (englisch).
  3. Zur Charakterisierung von Reschers Werk siehe Wulf Kellerwessel: Nicholas Rescher-das philosophische System. Einführung - Überblick - Diskussionen, Walter de Gruyter, Boston/Berlin 2014, S. 10–12
  4. Rescher: Der Streit der Systeme. Ein Essay über die Gründe und Implikationen philosophischer Vielfalt. Würzburg 1997, S. 61
  5. Zum Folgenden vgl. vor allem Rescher: Kant and the Reach of Reason. Studies in Kant’s Theory of Rational Systematization. Cambridge u. a. 2000.
  6. Rescher: Is Philosophy Dispensable? And Other Philosophical Essays. Frankfurt/Main u. a. 2007, Kap. 11
  7. Zum Folgenden vgl. Rescher: Realistic Pragmatism. An Introduction to Pragmatic Philosophy. Albany, New York 2000 und die „Studies in Pragmatism“ in Rescher: Studies in Pragmatism. Collected Papers II. Frankfurt/Main 2005.
  8. Vgl. Rescher: Dialectics. A Classical Approach. Frankfurt/Main u. a. 2007, S. 1
  9. Rescher: Der Streit der Systeme. Ein Essay über die Gründe und Implikationen philosophischer Vielfalt. Würzburg 1997, S. 98
  10. Vgl. Rescher: Der Streit der Systeme. Ein Essay über die Gründe und Implikationen philosophischer Vielfalt. Würzburg 1997, S. 127
  11. Rescher: Dialectics. A Classical Approach. Frankfurt/Main u. a. 2007
  12. Vgl. Rescher: Minding Matter And Other Essays in Philosophical Inquiry. Lanham, Maryland 2001, S. 35
  13. Vgl. Rescher: Metaphysics. The Key Issues from a Realistic Perspective. New York 2006, S. 33, 161 f.
  14. Vgl. Rescher: Metaphysics. The Key Issues from a Realistic Perspective. New York 2006, S. 176 ff.
  15. Vgl. Rescher: Metaphysics. The Key Issues from a Realistic Perspective. New York 2006, S. 35
  16. Vgl. Rescher: Metaphysics. The Key Issues from a Realistic Perspective. New York 2006, S. 17
  17. Vgl. Rescher: Cognitive Pragmatism. The Theory of Knowledge in Pragmatic Perspective. Pittsburgh 2001, S. 47, 50; Rescher: Being and Value. And Other Philosophical Essays. Frankfurt/Main u. a. 2008, S. 153
  18. Vgl. Rescher: Metaphysics. The Key Issues from a Realistic Perspective. New York 2006, S. 59 ff.; A System of Pragmatic Idealism. Volume III: Metaphysical Inquiries. Princeton, NJ 1994, Kap. 4
  19. Vgl. Rescher: Metaphysics. The Key Issues from a Realistic Perspective. New York 2006, S. 90–92
  20. Vgl. Rescher: Metaphysics. The Key Issues from a Realistic Perspective. New York 2006, S. 202 f.
  21. Vgl. Rescher: Metaphysics. The Key Issues from a Realistic Perspective. New York 2006, S. 200
  22. Vgl. Rescher: Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy. Albany 1996, S. 57 f.
  23. Vgl. Rescher: Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy. Albany 1996, S. 66
  24. Vgl. Rescher: Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy. Albany 1996, S. 41
  25. Vgl. Rescher: Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy. Albany 1996, S. 54 f.
  26. Vgl. Rescher: Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy. Albany 1996, S. 52 f.
  27. Rescher: Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy. Albany 1996, S. 56 f.
  28. Vgl. Rescher: Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy. Albany 1996, Kap. 4
  29. Rescher: Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy. Albany 1996, S. 91
  30. Rescher: Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy. Albany 1996, S. 100–102
  31. Vgl. Rescher: Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy. Albany 1996, S. 108
  32. Vgl. Rescher: Process Metaphysics. An Introduction to Process Philosophy. Albany 1996, S. 114 f.
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