Normalarbeitsverhältnis

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Unter einem Normalarbeitsverhältnis wird ein Arbeitsverhältnis verstanden, das nach der allgemeinen Verkehrsauffassung typisch ist. Es bestehen sehr verschiedene, miteinander konkurrierende Definitionen. Der Begriff wurde von Ulrich Mückenberger geprägt und von Ulrich Walwei erweitert. Alle anderen Beschäftigungsverhältnisse werden atypische Arbeitsverhältnisse genannt.

Übliche Merkmale eines Normalarbeitsverhältnisses

Ein Normalarbeitsverhältnis ist je nach Definition durch einige der folgenden Merkmale gekennzeichnet:

  1. zeitlich unbefristet
  2. ein geregeltes Entgelt
  3. nicht selbstständig
  4. Der Arbeitnehmer arbeitet kontinuierlich für einen Arbeitgeber, unterliegt der Weisungsgewalt des Arbeitgebers, ist in die betrieblichen Strukturen des Unternehmens eingegliedert
  5. sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
  6. Arbeitsplatz und Wohnung des Arbeitnehmers sind räumlich voneinander getrennt
  7. keine Leiharbeit[1]
  8. Vollzeit oder zumindest mehr als halbtags

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird ein Arbeitsverhältnis, das die ersten drei Kriterien erfüllt, auch als Festanstellung bezeichnet.

Normalarbeitsverhältnisse sind von Stabilität und längerer Dauer gekennzeichnet, sie sind für viele Arbeitnehmer die einzige Einkommensquelle und diese daher vom Arbeitgeber besonders abhängig. Atypische Arbeitsverhältnisse sind typischerweise die, die nicht oder nur beschränkt Anteil an deren allgemeinen Errungenschaften der sozialen Absicherung (wie Kranken-, Pensions-, Urlaubsansprüche und Freitage, Mutterschutz und Bildungskarenz, Abfindungen, usw.) haben.

Beispiele für atypische Arbeitsverhältnisse sind befristete Arbeitsverhältnisse und Zeitarbeit wie Taglöhnerei, Leiharbeit (Arbeitnehmerüberlassung), Teilzeitarbeit, diverse Formen der Saisonarbeit (sofern sie nicht branchenüblich ist), geringfügige Beschäftigung, Minijob, Midijob. Dazu zählen in weiterem Sinne auch alle beschäftigungsähnlichen Dienstverhältnisse ohne Arbeitsvertrag, wie auf Werksvertragsbasis (Selbstständige, sofern es sich nicht um einen prinzipiell auf Honoraren beruhenden Beruf wie Arzt oder Notar handelt), und auch viele ausgelagerte Beschäftigungs- und Dienstverhältnisse wie Heimarbeit und Telearbeit.

Übliche Definitionen

Nach einer weltweiten Definition der OECD umfassen die atypische Arbeitsverhältnisse (eng. Non-standard work arrangements) auch alle befristeten Anstellungen (Teilzeit wie Vollzeit), Teilzeit mit Arbeitsvertrag, wie auch Selbstbeschäftigte.[2]

Das Statistische Bundesamt definiert für Deutschland ein Beschäftigungsverhältnis als Normalarbeitsverhältnis, wenn es mehr als 20 Stunden pro Woche und unbefristet ausgeübt wird und der Arbeitnehmer direkt in dem Unternehmen arbeitet, mit dem ein Arbeitsvertrag besteht.[3]

Zum Verhältnis der Normalarbeit zum atypischen Beschäftigungsverhältnis

Geschichtliche Entwicklung

Eigentlich ist die Bezeichnung „atypisch“ irreführend, die lose Bindung an einen Dienstgeber ist so alt wie die Vorformen der Festanstellung. Und schon in feudalen Systemen standen beispielsweise Wanderarbeiter (wie Taglöhner oder freie Unterhaltungsdienstleister) und Handelsreisende sozial noch unterhalb der Leibeigenen, die in dieser Abhängigkeit zumindest ein gewisses Maß an sozialer Absicherung erfuhren.

Das heutige Konzept der Normalarbeitsverhältnisse hat sich ab der Industriellen Revolution aus dem fordistischen Wirtschaftsmodell, dem viele Industriestaaten bis in die 1970er Jahre folgten, entwickelt. Sie sind in vielen Ländern heute noch nicht die Regel und haben sich auch in Europa erst durch das Engagement von Gewerkschaften etablieren können. Nach der Definition der OECD sind noch heute ein Drittel aller Arbeitsverhältnisse weltweit der Klasse atypisch.[2]

Das Normalarbeitsverhältnis war im ausgehenden 20. Jahrhundert bezüglich Arbeitslohn und Normalarbeitszeiten auf das männliche Ernährermodell zugeschnitten, in dem der Arbeitslohn des Mannes als Familienernährerlohn den Lebensunterhalt der Familie sichern sollte und die Normalarbeitszeiten dem Arbeitnehmer eine weitgehend autonome Gestaltung der arbeitsfreien Zeit sichern sollten.[4]

Seit einigen Jahren sind Normalarbeitsverhältnisse einer Erosion unterworfen, welche sich an der zunehmenden Zahl von Beschäftigten im Niedriglohnsektor, einem gelockertem Kündigungsschutz und sich vergrößernden kollektivvertragslosen Bereichen sowie allgemein in einer Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse niederschlägt. Einstmals sozialstaatliche Wirtschaftsmodelle werden im Zeitalter der Globalisierung mehr und mehr von Prekarisierung bedroht. Gerne wird in diesem Zusammenhang euphemistisch von einer Deregulierung des Arbeitsmarktes gesprochen. Nach einer Studie der OECD sind weltweit drei Viertel des OECD-Raumes von einer Zunahmen zwischen 1995–2010 betroffen, herausragend etwa die Slowakei mit 50%, aber auch Deutschland, Österreich und die Niederlande.[2] Als weiteres Phänomen tritt die Scheinselbständigkeit hinzu, also arbeitnehmerähnliche Dienstverhältnisse, bei denen aber alle Soziallasten auf den Werktätigen abgewälzt werden. Dieser Missbrauch rechtlicher Vertragsformen trifft insbesondere auch akademische Berufe.

Wirtschaftliche Hintergründe

Da atypische Beschäftigungsformen in der Regel einen schnelleren Ausgleich marktbedingter Schwankungen von Arbeitsnachfrage und -angebot erlauben als Normalarbeitsverhältnisse, ist in Zeiten erhöhter Arbeitsnachfrage in diesem Bereich mit besonders starken Beschäftigungszuwächsen zu rechnen. Umgekehrt führt ein Sinken der Arbeitsnachfrage hier zu einem schnelleren Beschäftigungsabbau, während Inhaber von Normalarbeitsverhältnissen in der Regel besser vor Arbeitslosigkeit geschützt sind. Befürworter einer Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse führen als Argument (in Analogie zu der Lockerung von Kündigungsschutzbestimmungen) dauerhaft positive Beschäftigungseffekte an.

Durch Reformen des Arbeitsrechts können Nachteile der atypischen Arbeitsverhältnisse gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis teilweise ausgeglichen werden. Gelingt dies, können atypische Arbeitsverhältnisse zum einen für Arbeitnehmer attraktiver werden; zum anderen können so die möglicherweise erwartbaren positiven Beschäftigungseffekte einer Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse erlangt werden. Dieser Doppeleffekt ist beispielsweise das Ziel einer Reihe von Richtlinien im Bereich der EU-Sozialpolitik.

Nachteile atypischer Arbeitsverhältnisse

Atypische Arbeitsverhältnisse sind häufig verbunden mit folgenden Nachteilen:

  • oft kein existenzsicherndes Einkommen
  • oft kein oder erschwerter Zugang zu Weiterbildung
  • oft keine oder geringere berufliche Aufstiegschancen
  • oft arbeitsrechtliche Benachteiligungen
  • oft geringere betriebliche Sozialleistungen
  • oft keine oder wenig soziale Absicherung, insbesondere durch diskontinuierliche Erwerbsbiographie
  • häufig wechselnder Arbeitsplatz
  • keine (dauerhaften) sozialen Kontakte am Arbeitsplatz
  • Wettbewerbsnachteile auf dem Arbeitsmarkt

Vorteile atypischer Arbeitsverhältnisse

Atypische Arbeitsverhältnisse können - müssen aber nicht - auch folgende Vorteile aufweisen:

  • Arbeiten bei völlig freier Zeiteinteilung
  • Arbeiten von zu hause aus ("Home-Office")
  • Erfolgsprämien, die über das tariflich garantierte hinausgehen

Gegenmaßnahmen der sozialen Benachteiligung atypisch Beschäftigter

Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und des Risikos einer starken Erosion der sozialen Absicherung wird hervorgehoben, dass eine gesellschaftliche Diskussion über die Implikationen unterschiedlicher gesellschaftlicher Leitbilder erforderlich sei. Es wird unter anderem für eine alternative Wirtschaftspolitik mit einer Flexibilisierung des Arbeitszeitstandards argumentiert, die Arbeitszeiten zwischen einer langen Teilzeit oder einer Nahezu-Vollzeit sozial absichern. Dabei sollten innerhalb enger Grenzen umgekehrt auch Arbeitszeitverlängerungen möglich sein. Im Fall sozial akzeptierter Umstände wie der Kindererziehung, der Pflege von Angehörigen, der Weiterbildung oder bei bürgerschaftlichem Engagement sei eine gesellschaftliche Unterstützung für die soziale Sicherung angemessen, beispielsweise durch Entgeltersatzleistungen, wohingegen andere Erwerbsunterbrechungen oder -reduzierungen, etwa für Sabbaticals, mit geringerer oder ganz ohne Förderung stattfinden könnten.[5]

Siehe auch

Literatur

(chronologisch)

  • Rainer Dombois: Der schwierige Abschied vom Normalarbeitsverhältnis. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 37/1999, S. 13-20.
  • Ulrich Walwei: Normalarbeitsverhältnis in Bewegung. In: Mitbestimmung Nr.11, 1999.
  • Richard Sennett: Der flexible Mensch, Btb Bei Goldmann 2000, ISBN 344275576X.
  • Evelyn Schröer: Der Einfluss der Regulierung auf die Verbreitung der Arbeitnehmerüberlassung und ihre arbeitsmarktpolitische Bedeutung. Diss. Univ. Köln, 2001.
  • Nicole Mayer-Ahuja: Wieder dienen lernen? Vom westdeutschen "Normalarbeitsverhältnis" zu prekärer Beschäftigung seit 1973, Edition Sigma, Berlin 2003.
  • Andreas Diekmann, Ben Jann: Erosion der Normalarbeit und soziale Ungleichheit. 2004 (PDF-Datei, 145 kB; ethz.ch).
  • H. Pfarr: REGAM-Studie: Atypische Beschäftigung in den Betrieben - eingesetzt zur Umgehung des Kündigungsschutzes? In: Betriebsberater, Heft 11/2004, S. 602–604.
  • R. Neubäumer, D. Tretter: Mehr atypische Beschäftigung aus theoretischer Sicht. In: Industrielle Beziehungen, Heft 3/2008, S. 256-278.
  • Berndt Keller, Hartmut Seifert: Atypische Beschäftigung zwischen Prekarität und Normalität. Entwicklung, Strukturen und Bestimmungsgründe im Überblick. Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Bd. 158. 2013.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Zahlen zum Thema „Auslaufmodell Normalarbeitsverhältnis?“ Abgerufen am 1. März 2013.
  2. 2,0 2,1 2,2 OECD: All On Board. Making Inclusive Growth Happen. 2014. Abschnitt Non-standard employment is widespread., S. 33 (pdf, oecd.org, abgerufen 27. Februar 2015; dort S. 37);
    Definition: “Non-standard work arrangements, including temporary employment (part-time and full-time), part-time jobs on a permanent contract and self-employment.”
  3. Statistisches Jahrbuch 2012, Abschnitt 13.
  4. Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern, im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (PDF; 1,5 MB) Juli 2001, abgerufen am 12. März 2008.
  5. Alexandra Wagner: Zur Notwendigkeit der Diskussion über gesellschaftliche Leitbilder. Plädoyer für ein neues Normalarbeitsverhältnis. (PDF; 97 kB) Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Universität Bremen, abgerufen am 7. November 2009. S. 21 ff


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