Antinomie

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Eine Antinomie (griech. ἀντί anti ‚gegen‘, νόμος nomos ‚Gesetz‘; sinngemäß „Unvereinbarkeit von Gesetzen“) ist eine spezielle Art des logischen Widerspruchs, bei der die zueinander in Widerspruch stehenden Aussagen gleichermaßen gut begründet oder (im Fall formaler Systeme) bewiesen sind.

Antinomien finden sich der Sache nach, wenn auch nicht im Wortsinn bereits bei Platon (vgl. Phaedon 102; Rep. 523 ff., Parm. 135 E). Die moderne Verwendungsweise geht auf einen juristischen Begriff des 17. Jahrhunderts zurück. Philosophische Bedeutung erhält er in Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft (KrV). In der Transzendentalen Dialektik definiert Kant eine Antinomie als einen „Widerstreit der Gesetze“ (KrV A407/B434). Schon in der Vorrede der 1. Auflage der KrV (1781) heißt es:

„Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.

In diese Verlegenheit geräth sie ohne ihre Schuld. Sie fängt von Grundsätzen an, deren Gebrauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich und zugleich durch diese hinreichend bewährt ist. Mit diesen steigt sie (wie es auch ihre Natur mit sich bringt) immer höher, zu entfernteren Bedingungen. Da sie aber gewahr wird, daß auf diese Art ihr Geschäfte jederzeit unvollendet bleiben müsse, weil die Fragen niemals aufhören, so sieht sie sich genöthigt, zu Grundsätzen ihre Zuflucht zu nehmen, die allen möglichen Erfahrungsgebrauch überschreiten und gleichwohl so unverdächtig scheinen, daß auch die gemeine Menschenvernunft damit im Einverständnisse steht. Dadurch aber stürzt sie sich in Dunkelheit und Widersprüche, aus welchen sie zwar abnehmen kann, daß irgendwo verborgene Irrthümer zum Grunde liegen müssen, die sie aber nicht entdecken kann, weil die Grundsätze, deren sie sich bedient, da sie über die Gränze aller Erfahrung hinausgehen, keinen Probirstein der Erfahrung mehr anerkennen. Der Kampfplatz dieser endlosen Streitigkeiten heißt nun Metaphysik.“

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, AA IV, 7

Die vier Antinomien der reinen Vernunft lauten bei Kant:

  1. „Die Welt hat einen Anfang in der Zeit, und ist dem Raum nach auch in Grenzen eingeschlossen.“ –
    „Die Welt hat keinen Anfang, und keine Grenzen im Raume, sondern ist, sowohl in Ansehung der Zeit, als des Raumes, unendlich.“
  2. „Eine jede zusammengesetzte Substanz in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall nichts als das Einfache, oder das, was aus diesem zusammengesetzt ist.“ –
    „Kein zusammengesetztes Ding in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall nichts Einfaches in derselben.“ (unendliche Teilbarkeit)
  3. „Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen notwendig.“ –
    „Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur.“
  4. „Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist.“ –
    „Es existiert überall kein schlechthin notwendiges Wesen, weder in der Welt, noch außer der Welt, als ihre Ursache.“

Rudolf Steiner bemerkt dazu:

„Nun, gerade so, wie man sagen muß, die Naturgesetze, so wie wir sie aus den Naturerscheinungen abstrahieren und auf die Welt anwenden, sind in der charakterisierten Weise nicht anwendbar für den Endzustand der Erde, da sich die Erde eben verwandeln wird mit allem menschlichen Seelen- und Geistesleben, wie es geschildert worden ist, so kann man das auch für den Anfangszustand sagen.“ (Lit.:GA 66, S. 218)

„Und für den Anfangszustand der Erde — das kann ich jetzt nur kurz angeben - ist die Sache so: Wie wir es beim Endzustand der Erde zu tun haben mit dem Aufgehen der in der Sonnen-Erde-Gesetzmäßigkeit befindlichen materiellen Erde in einen geistig-seelischen Zustand, so daß wir mit der Vereinigung mit diesem Zustand selber unser Unsterblich-Übersinnliches tragen durch künftige Weltenläufe, so hat man es zu tun im Beginn der Erdenentwickelung mit einem Herabsteigen—wenn man den Ausdruck, der nicht sehr schön ist, gebrauchen will - eines Geistig-Seelischen; aber so, daß es nun nicht geistiger wird, sondern von dem, was vom Sonnenhaften herkommt, in Anspruch genommen, gleichsam überflügelt wird, so daß sich innerhalb des Materiellen das aus dem Geistigen Herkommende verwirklicht, man kann schon sagen: verkörperlicht. Da hat man es mit dem umgekehrten Vorgang zu tun: mit der Herkunft eines Geistigen aus einem Geistigen, das sich umgibt, einhüllt — «einwickelt», könnte man sagen, im Gegensatz zu «entwickelt» — in ein Materielles aus der Raumeswelt, aus der Zeitenwelt. Und auch da bemerkt man also wiederum, daß für den Anfang der Erdenentwickelung die Gesetze gelten, die ich vorhin für die Parallelströmung des Unterbewußten angeführt habe, daß da die gewöhnlichen Gesetze der Mathematik aufhören. So grotesk es klingt, es ist doch wahr. Und ich möchte sagen: Kant hat eine Viertelwahrheit von diesem begriffen, indem er in seinen Antinomien gezeigt hat, wie für gewisse Anfangs- und Endzustände gedacht werden kann so und so; nur weil er eben eine Viertelwahrheit gefunden hat, hat das Ganze eher lähmend gewirkt auf das Weltenbild der Wirklichkeit, als daß es fördernd hätte werden können. Denn Kant hätte nicht nur müssen den Glauben haben, daß Raum und Zeit an das menschliche Anschauungsvermögen gebunden sind, sondern er hätte können erkennen, wenn er zur wirklichen Geistesforschung vorgedrungen wäre, wie das, was im Menschen als Geistig- Seelisches lebt, in enger Verbindung steht mit dem geistigseelischen Geschehen des gesamten äußeren Daseins, zunächst des Erdendaseins, und wie eine Durchforschung des Geistig- Seelischen ein wirklich geistes-wissenschaftliches Weltenbild ergibt, so daß man sagen kann: an den Verkehr des Menschen mit der Erde ist gebunden unsere Raumes- und Zeitenwelt. Daher ist auch das, was wir durch sie ausmachen können, nur vom Erdenanfang bis zum Erdenende gültig. Und man muß die anderen Gesetze kennenlernen, die in der anderen Strömung sind, wenn man über Erdenanfang und Erdenende so reden will, daß sich ein wahrhaftiges, wirkliches Weltenbild ergibt. Dann allerdings erkennt man, daß des Menschen Seele älter ist als die Erde; daß des Menschen Seele in jenem Geistigen schon vorhanden war, das sich eingewickelt, involviert hat in jene Erdengesetzmäßigkeit, die im Verkehr der Erde mit dem Sonnenleben zustandekommt.“ (Lit.:GA 66, S. 219f)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.


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