Aufrichtekraft

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Die Aufrichtekraft, die dem Menschen die aufrechte Haltung und den aufrechten Gang ermöglicht (auch Zweibeinigkeit oder Bipedie genannt, von lat. bis „doppelt“, pes/pedisFuß“), ist neben der Sprache und dem Denken eine der drei Fähigkeiten, durch die sich der Mensch wesentlich von den Tieren unterscheidet. Durch die Aufrichtekraft tragen wir uns selbst. In ihr gibt sich die Willenskraft kund, in der unmittelbar unser Ich wirkt. Diese Aufrichtekraft zeigt sich nicht nur in unserer ganzen Körperhaltung, sondern auch in der Art, wie wir gehen, wie wir unsere Gestik beseelen, überhaupt in unserer ganzen bewegten Körpergestalt. Es entsteht dadurch ein unverwechselbares lebendiges äußeres Bild unserer geistigen Individualität. Daher kann auch gerade die aufmerksame Betrachtung der individuellen Ausprägung der Aufrichtekraft oft den entscheidenden Anstoß geben, in die früheren Inkarnationen eines Menschen zurückzublicken.

Aufrichtekraft und kindliche Entwicklung

Den aufrechten Gang erwirbt sich das Kind erst allmählich im Laufe etwa des ersten Lebensjahres. Von oben, vom Kopf her beginnt das Kind nach und nach seinen Körper zu ergreifen. Die anfangs völlig regellosen zappelnden und strampelnden Bewegung beginnen sich zu ordnen und Schritt für Schritt wird das Kind Herr seines eigenen Willens. Die Augenbewegungen werden koordiniert, der Blick beginnt sich auf einzelne Personen oder Gegenstände zu fixieren, die räumliche Wahrnehmung bildet sich ganz langsam heraus. Anfangs ist der räumliche Wahrnehmungshorizont des Kindes auf einen sehr engen Kreis beschränkt und er dehnt sich erst im Laufe vieler Lebensjahre immer weiter aus. Das Tier erreicht eine derartige bewusste räumliche-gegenständliche Wahrnehmung niemals - auch wenn es sich meist viel geschickter als der Mensch im Raum bewegt, aber es wird im Gegensatz zum Menschen unbewußt instinktiv auf seinen Wegen geleitet. Es trennt sich wahrnehmend niemals völlig von seiner Umwelt, sondern ist in seinem ganzen Erleben untrennbar mit seiner Wahrnehmungswelt verwoben. Dass sich der Mensch bewusst von den Gegenständen der äußeren Welt absetzten kann, ist eine wesentliche Basis für sein menschliches Selbstbewusstsein, das dem Tier mangelt.

Neben dem Blick beginnt sich auch das bloße Hören zum gezielten Lauschen weiterzuentwickeln. Der Geruchs- und Geschmackssinn differenzieren sich, und vor allem der Tastsinn, der für die meisten Tiere nur wenig Bedeutung hat, bildet sich in dem Maße immer feiner aus, in dem die Bewegung der Hände freier und willkürlicher wird. Nach und nach bildet so der heranwachsende Mensch seine allseitige weltoffene sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit aus, die das Tier niemals erreicht. Zwar sind einzelne Sinne des Tieres meist wesentlich schärfer ausgebildet als die entsprechenden menschlichen Wahrnehmungsorgane, etwa der scharfe Blick des Adlers oder der eine Million mal empfindlichere Geruchssinn des Hundes, doch bleibt das Tier stets auf einen sehr schmalen, artspezifisch eingeengten Bereich der Sinneswelt beschränkt. Zudem hängt die seelische Empfänglichkeit des Tieres für bestimmte Reize sehr stark von seiner inneren organischen Befindlichkeit ab. Quälender Hunger schärft die Wahrnehmungsfähigkeit für alles, was als mögliche Nahrungsquelle in Frage kommt, der im jahreszeitlichen Rhythmus erwachende Fortpflanzungstrieb lenkt die sinnliche Wahrnehmung auf potentielle Geschlechtspartner usw. All das findet sich in abgeschwächter Form auch beim Menschen - denn er trägt eben auch Rudimente der tierischen Natur in sich. Aber darüber hinaus kann sich der Mensch zu jener erwähnten allseitigen Wahrnehmungsfähigkeit heranbilden, die weder durch die Grenzen seiner Gattung, noch durch seine augenblickliche organische Disposition begrenzt wird. Diese weltoffene Wahrnehmungsfähigkeit ist dem Menschen aber nicht naturgegeben, sondern sie muss im sozialen Umgang mit anderen Menschen erworben und durch viel Übung weiter ausgebildet werden. Je mehr das gelingt, desto weiter schreiten wir auf dem Weg der Menschwerdung voran.

Bezüglich der Sinneswahrnehmung ist noch zu ergänzen, dass es erstens mehr als die üblicherweise genannten 5 Sinne gibt, und das zweitens niemals ein Sinn alleine tätig wird, sondern stets von der Tätigkeit anderer Sinne begleitet wird. Rudolf Steiner spricht zurecht von 12 Sinnen des Menschen. Auf Details kann hier nicht weiter eingegangen werden, aber zwei meist nicht gesondert genannte Sinne seien hier besonders erwähnt, nämlich der Eigenbewegungssinn und der Gleichgewichtssinn. Beide sind wesentlich für die räumliche Orientierung und beide begleiten stets die akustische und optische Wahrnehmung. Durch den Augensinn alleine würden wir vornehmlich nur Hell und Dunkel bzw. die einzelnen Farben unterscheiden können. Dass wir auch Formen "sehen" können, liegt daran, dass wir in Wahrheit die Außenwelt aktiv mit unseren Blicken abtasten und diese Augenbewegung vom Eigenbewegungssinn wahrgenommen wird. Der Gleichgewichtssinn vermittelt uns dabei das rechte Gefühl für oben und unten. Ohne die Tätigkeit des Eigenbewegungssinnes und des Gleichgewichtssinnes könnten wir auch niemals gezielt lauschen und dadurch eine Schallquelle im Raum lokalisieren. Der Eigenbewegungssinn ist auch sehr wesentlich dafür, die formbildenden Kräfte der Sprache, über die noch zu sprechen sein wird, zu erleben. Und dass sich ohne Gleichgewichtssinn die Aufrichtekraft, die überhaupt die Grundvoraussetzung für die aktive menschliche Wahrnehmungsweise ist, nicht entfalten kann, liegt auf der Hand.

Die Abbildung zeigt die Blickbewegungen beim Betrachten eines Gesichtes. Die dünnen Linien zeigen die raschen Augenbewegungen, die Punkte bezeichnen Stellen, die der Blick länger fixiert. Deutlich sieht man, wie die Formen des Gesichtes grob durch die Blickbewegungen nachgezeichnet werden. Den charakteristischen Merkmalen der Physiognomie wird dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Die Welt ist unserem Augensinn niemals als fertiges Bild gegeben, sondern indem wir frei die Aufmerksamkeit auf die Dinge der Welt lenken, malen wir gleichsam aktiv das Wahrnehmungsbild durch die Tätigkeit unserer Seele. Das Sehen bekommt dadurch einen sehr individuellen Charakter; jeder entwirft sich im Grunde anhand der äußeren Dinge sein eigenes Bild der Welt. Das menschliche Sehen ist deswegen keineswegs bloß subjektiv, und der im 19. Jahrhundert so beliebte Satz "Die Welt ist meine Vorstellung", wodurch man ausdrücken wollte, dass der Mensch an die wahre Wirklichkeit überhaupt nicht herankommt, geht zu weit. Die menschliche Wahrnehmung ist subjektiv und objektiv zugleich. Im menschlichen Sehen wird immer mit der äußeren Wirklichkeit zugleich die innere Wirklichkeit des eigenen Ichs zumindest dumpf mitempfunden. Das entfernt uns nicht von der Wirklichkeit, sondern läßt sie uns gerade viel intimer erkennen, als es durch einen bloß passiven Blick möglich wäre. Tiere können das nicht, sie können sich daher auch nicht als individuelles Wesen erleben und sie können auch keine wirkliche Phantasie entwickeln. Die aktive Form des Sehens ist nämlich auch die notwendige Vorübung dazu, dass wir später durch die freie Phantasie rein innerlich seelische Bilder entwerfen können. Die Schule des Sehens ist zugleich die Vorschule der bildhaften Phantasie. Wird das Sehen nicht aktiv geschult, kann die Phantasie, ohne die aber später auch kein kreatives Denken möglich ist, nicht voll ausreifen.

Den freien Blick verdankt der Mensch seiner Aufrichtekraft. Sie befreit aber auch die oberen Gliedmaßen des Menschen von ihrer den Körper tragenden Funktion, die sie beim Tier letztlich immer behalten. Rein anatomisch betrachtet bleibt die menschliche Hand dadurch auf einem relativ frühen embryonalen Entwicklungsstadium stehen, das die Tiere zwar auch andeutungsweise durchleben, aber dann weit darüber hinausschießen. Der Biologe Louis Bolk (1866-1930) hat dieses für das menschliche Dasein so wichtige "Retardationsphänomen" sehr ausführlich dokumentiert. So durchlaufen etwa auch die Huftiere das Entwicklungsstadium der fünfstrahligen Hand, bei dem der Mensch rein organisch stehen bleibt, aber diese angedeutete fünfstrahlige Hand verhärtet sich immer mehr, die "Finger" verwachsen miteinander und bilden endlich den verhornten Huf, durch den das Tier zwar optimal dem Steppenboden angepaßt ist - aber auch ewig an diesen gebunden bleibt. Die tierischen Gliedmaßen sind hochspezialisiert. Die menschliche Hand dagegen ist von ihrer Naturanlage her zu keiner spezifischen Tätigkeit vorgeprägt - aber der Mensch kann sie durch unermüdliche Übung zu vielseitigen geschickten Bewegungsformen ausbilden und wird dadurch zu einem selbstbewusst handelnden Wesen, das nicht mehr bloß instinkgetrieben reagiert, sondern willentlich frei agieren und bewußt die Verantwortung für seine Taten übernehmen kann.

Durch die Geschicklichkeit seiner Hände wird der Mensch zum Werkzeugmacher und Handwerker. Was immer dem Menschen organisch mangelt, kann er sich durch seine Werkzeuge ersetzen. Allem, was für das äußere Leben nützlich ist, kann dadurch Genüge getan werden. Aber der Mensch vermag noch mehr: Er kann durch die Geschicklichkeit seiner Hände auch die bildende Kunst hervorbringen. Diese ist nun im rein äußerlichen Sinn zu ganz und gar nichts nütze. Sie fördert das rein organische Überleben, auf das die tierische Existenz alleine gerichtet ist, in keiner besonderen Weise. Aber sie ist höchst bedeutsam für die seelische Entwicklung des Menschen. Die künstlerische Phantasie bildet sich nur in dem Maße aus, indem der Mensch die innerlich seelisch erlebten Formen und Farben durch die geschickte Tätigkeit seiner Hände der äußeren Welt einverleibt. Je mehr ihm das gelingt, desto formenreicher und farbiger wird im Gegenzug seine seelische Innenwelt. Niemand wird die bildreiche Phantasie eines Malers entfalten können, der nicht auch geschickt mit Farbe und Pinsel umzugehen gelernt hat. Niemand wird ein feines und bewußtes Raum- und Formgefühl entwickeln, der sich nicht auch als Plastiker praktisch geübt hat. Und das ist wiederum ganz entscheidend dafür, wieweit der Mensch sein Selbstbewusstsein entwickeln kann - denn dieses erwacht gerade dadurch, dass wir uns immer konkreter von den räumlich erlebten Gegenständen der äußeren Welt unterscheiden lernen. Ohne gesundem Raumempfinden kann sich der Mensch seiner selbst nicht klar und deutlich bewusst werden. Sein Seelenleben verarmt und wird an das zwar sehr intensive, aber eng begrenzte und eben gerade nicht selbstbewusste Seelenleben des Tieres herangerückt. Nur in dem beständigen Wechselschlag von rein seelischem Erleben und geschickter äußerer Gestaltungsfähigkeit kann sich überhaupt ein reiches Seelenleben entwickeln, das weit über die engen Grenzen der tierischen Erlebnisfähigkeit hinausragt und dadurch erst den Menschen zum wirklichen Menschen macht. Auch das menschliche Denken kann sich nur auf diesem Wege entwickeln. Wer mit seiner Aufrichtekraft als Kind nicht um einen sicheren Stand in der äußeren räumlichen Welt gerungen hat, dem wird es später auch an Verstand mangeln. Wer sich nicht im geschickten Greifen geübt hat, dem wird später auch das Begreifen schwer fallen. Wem die räumliche Orientierung mangelt, wird auch bei seinen Gedankengängen leicht den Weg verlieren. Das Verstandesdenken ist im Grunde nichts andres als ein vergeistigtes Handeln im rein seelisch erlebten Vorstellungsraum - und am realen Handeln im äußeren sinnlichen Raum wird es erübt.

Im künstlerischen Bilden vereinigt sich seelischer Ausdruck mit handwerklicher Geschicklichkeit. In der menschlichen Gestik steigert sich die freie Bewegung der oberen Gliedmaßen schließlich zum reinen Ausdruck inneren seelischen Erlebens, wie es ähnlich auch bei der Mimik der Fall ist. Tiere haben beides nicht. Sie können mit ihren Gliedmaßen nicht gestikulieren und sind auch echter Mimik nicht fähig. Sie können nicht lächeln oder weinen, sondern drücken ihre innere, vor allem im Rückenmarksnervensystem empfundene organisch bedingte Befindlichkeit auf arttypische Weise in der ganzen bewegten Körperhaltung aus. Der Hund, wenn er freudig erregt ist, wedelt nicht bloß mit dem Schwanz, dem verlängerten Rückenmark, sondern der ganze Hund wedelt, geführt von den rhythmisch wohligen Bewegungen der horizontal orientierten Wirbelsäule. Aus dieser instinktiven, durch die waagerechte Wirbelsäule vermittelten Bewegung hebt sich der Mensch gerade durch seine aufrechte Haltung heraus und kann so erst seine rein menschliche Gestik und Mimik entfalten. Unzweifelhaft trägt der Mensch auch jede Menge instinktiver tierischer Verhaltensweisen in seinem Wesen. Die vergleichende Verhaltensforschung hat darauf zur Genüge hingewiesen - aber der Mensch wird in seinem ganzen Gehaben um so menschlicher erscheinen, als beseelte Gestik und Mimik die Oberhand gewinnen.

Das gilt ganz besonders für den aufrechten Gang des Menschen. Sein Schritt ist ganz und gar individuell geprägt. Der eine hüpft leichtfüßig, fast tänzelnd über die Erde, der andere tritt sie mit schwerem Schritt nieder, ein dritter zieht schlurfenden Trittes seine Bahn durch die Welt. Seine ganze Individualität und sein ganzes Lebensschicksal drückt sich darin aus - für den, der in diesen Spuren lesen gelernt hat. Je bewusster wir im späteren Lebensalter erfassen, was seelisch in unserer eigenen Mimik, Gestik und in unserem Gang lebt, desto bewusster werden wir auch miterleben können, was sich durch Gestik, Mimik und Schritt unserer Mitmenschen seelisch ausspricht. Die ganze bewegte äußere sinnliche Erscheinung des Menschen wird uns dadurch zu einem Bild, durch das sich seine Seele und sein individueller Geist ausdrücken. Solange wir die äußere sinnliche Erscheinung des Menschen als voll auf sich selbst gegründete Wirklichkeit ansehen, kommen wir nicht an den individuellen geistigen Kern des Menschen heran, der ihn überhaupt erst zum Menschen macht. Erst wenn wir seine sinnliche Erscheinung als Bild seiner übersinnlichen geistigen Wesenheit erleben, erfassen wir das eigentlich Menschliche an ihm, durch das er sich von allen anderen Naturreichen unterscheidet. Rudolf Steiner hat auf diese Bildnatur dessen, was man sinnlich vom Menschen erfassen kann, sehr deutlich hingewiesen:

"Das ist nun gerade so, als ob man das Bild, das ein Maler geschaffen hat, betrachtete nach der Substanz der Farben, nach der Kraft, mit der die Farben an der Leinwand haften, nach der Art, wie sich diese Farben auf die Leinwand streichen lassen, und nach ähnlichen Gesichtspunkten. Aber mit alledem trifft man nicht, was sich in dem Bilde offenbart. In dieser Offenbarung, die durch das Bild da ist, leben ganz andere Gesetzmäßigkeiten als diejenigen, die aus den angegebenen Gesichtspunkten gewonnen werden können.

Es kommt nun darauf an, sich darüber klar zu werden, daß sich auch in der menschlichen Wesenheit etwas offenbart, das von den Gesichtspunkten, von denen aus die Gesetze der äußeren Natur gewonnen werden, nicht zu ergreifen ist. Hat man diese Vorstellung in der rechten Art sich zu eigen gemacht, dann wird man in der Lage sein, den Menschen als Bild zu begreifen. Ein Mineral ist in diesem Sinne nicht Bild. Es offenbart nur dasjenige, was unmittelbar die Sinne wahrnehmen können.

Beim Bilde richtet sich die Anschauung gewissermaßen durch das sinnlich Angeschaute hindurch auf einen Inhalt, der im Geiste erfaßt wird. Und so ist es auch bei der Betrachtung des Menschenwesens. Erfaßt man dieses in rechter Art mit den Naturgesetzen, so fühlt man sich im Vorstellen dieser Naturgesetze nicht dem wirklichen Menschen nahe, sondern nur demjenigen, durch das sich dieser wirkliche Mensch offenbart." (Lit.: GA 26, S. 30)

Aufrichtekraft und die erste Vorstufe des Mysteriums von Golgatha

Damit sich der Mensch die Aufrichtekraft erweben konnte, musste der Christus den damals noch in der übersinnlichen Welt weilenden nathanischen Jesus durchseelen und die erste Vorstufe des Mysteriums von Golgatha vollbringen.

„Der Mensch ist dazu berufen, in der ersten Zeit seines Lebens, bevor sein Ich-Bewußtsein erwacht, aus der Veranlagung dieses Ich heraus sich in die aufrechte, die vertikale Stellung zu bringen, sich herauszuheben aus der Lage, in der er noch in der alten Mondenzeit war. Da war die Richtungslinie seines Rückgrates parallel der Oberfläche des Mondes gerichtet, war in der Hauptlinie horizontal. In der alten lemurischen Zeit lernte der Mensch die Mondrichtung in die Erdrichtung verwandeln. Das kam davon, weil während der Erdenentwickelung erst die Geister der Form dem Menschen aus eigener Substanz heraus sein Ich einflößten. Und die erste Manifestation dieser Ich-Einflößung ist jene innere Kraft, durch welche der Mensch sich aufrichtet. So ist der Mensch durch seine Lage der Erde entrissen. Die Erde selber hat in sich geistige Kräfte, welche durchströmen können das Rückgrat, wenn es im natürlichen Wachstum, wie beim Tierleib, horizontal bleibt. Aber die Erde hat keine Kräfte, um von sich aus unmittelbar zu dienen dem Menschenwesen, das durch sein Ich, dessen Bewußtsein später erwacht, vertikal gerichtet sein kann. Damit der Mensch sich harmonisch entwickeln kann bei aufrechtem, vertikalem Gang, müssen Kräfte aus dem Kosmos, aus dem Außerirdischen hereinströmen. Luzifer und Ahriman hätten alle menschliche Entwickelung in Unordnung bringen können dadurch, daß der Mensch durch seine aufrechte Stellung von den geistigen Kräften des Irdischen herausgerissen ist, wenn nicht in der alten lemurischen Zeit das erste Christus-Ereignis eingetreten wäre.

In dieser alten lemurischen Zeit hat stattgefunden in demjenigen Reiche, das als geistiges Reich das nächste ist unserem Erdenreiche, die Durchdringung jenes Wesens, aber als einer Art von Engelwesen, das später der nathanische Jesus geworden ist, mit dem Christus- Wesen. Das war eine Vorstufe des Mysteriums von Golgatha. Die Folge davon war, daß in dieser alten lemurischen Zeit - aber in ätherischen, geistigen Höhen - der spätere nathanische Jesus, der sonst die Gestalt des Engels gehabt haben würde, natürlich nicht fleischliche, sondern ätherische Menschengestalt annahm. In der überirdischen Region - aber in der nächst überirdischen Region - als ätherische Engelsgestalt ist der Jesus von Nazareth zu finden. Durch das Durchziehen mit dem Christus hat er ätherische Menschengestalt angenommen. Damit ist ein Neues in den Kosmos hineingedrungen, das jetzt ausstrahlt auf die Erde und dem Menschen, der physischen Erden-Menschenform, in die hineinströmte die Kraft der ätherischen überirdischen Christus-Wesenheit, möglich macht, sich zu schützen vor jener Zerstörung, die hätte eindringen müssen, wenn nicht aus dem Kosmos hätte hereinstrahlen und den Menschen durchdringen können, so daß sie in ihm lebt, die Gestaltungskraft, die ihn ein aufrechtes, ordentliches Wesen werden läßt. Unordnung hätte kommen müssen, wenn nicht hereingeströmt wäre mit der physischen Sonnenkraft die Kraft jener Formung, jener Gestaltung, die dadurch hereinstrahlen kann, daß das erste Christus-Ereignis stattgefunden hat. Das, was der Mensch dadurch in sich hereinbekam, das lebte seit der alten lemurischen Zeit in der Entwickelung der Menschheit. Und wir schauen recht hin auf ein sich entwickelndes Menschenkind, wenn wir in dem Moment, wo das Kind aus dem kriechenden, rutschenden, unbehilflichen Zustande sich aufrichtet und zum ersten Mal steht oder geht, wenn wir in diesem Augenblick sagen: Recht und zum Heil der Menschheit kann das doch nur aus dem Grunde geschehen, weil in der alten lemurischen Zeit das erste Christus-Ereignis stattgefunden hat, weil derjenige, der als nathanischer Jesus sich durchdrungen hat mit dem Christus, damals in der lemurischen Zeit als geistig-ätherisches Wesen durch die Durchdringung mit dem Christus menschlich-ätherische Form angenommen hat.“ (Lit.:GA 152, S. 105ff)

Zusammenhang mit den Strahlkräften schmelzender Metalle

Rudolf Steiner beschreibt, wie die Feuergewalten schmelzender Metalle, die in den Kosmos hinausstrahlen, die Aufrichtung des Kindes bewirken, wenn sie als Licht- und Wärmestrahlungen wieder aus den Weltenweiten auf die Erde zurückkommen:

„Was majestätisch flammt in Feuersgewalten, wenn die Metalle schmelzen, das strahlt hinaus bis zu den Grenzen des Kosmos, zu den Raumesgrenzen des Kosmos, denn solche gibt es. Stellen Sie sich vor, Sie haben die Feuersgewalten, in denen die Metalle verschmelzen und sich verflüchtigen. Was im Metall sich verflüchtigt, das strahlt hinaus in die Weltenweiten, aber es kommt zurück in Lichtgewalten und in Lichteswärmestrahlungen. Und indem es zurückkommt aus den Weltenweiten, macht es aus dem Kinde, das noch nicht sprechen und gehen kann, das noch kriechen muß, das aufrecht gehende Kind. So haben Sie die Strömungen nach aufwärts, die Sie schauen können in den verschmelzenden Metallen; wenn sie weit genug in den Kosmos hinausgehen, kehren sie um, kehren sie zurück und sind dann dieselben Gewalten, die das Kind aufrichten. Was Sie auf der einen Seite sehen, finden Sie auf der anderen wieder. Und so bekommen Sie eine Vorstellung von den auf und absteigenden Weltenkräften, die im Weltenwesen wirken, von den Metamorphosen, den Verwandlungen dieser Weltenkräfte.“ (Lit.:GA 231, S. 150)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

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