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Friedrich Schiller

Vom Erhabenen

(Zur weitern Ausführung einiger Kantischen Ideen)

Erhaben nennen wir ein Objekt, bei dessen Vorstellung unsre sinnliche Natur ihre Schranken, unsre vernünftige Natur aber ihre Überlegenheit, ihre Freiheit von Schranken fühlt; gegen das wir also physisch den kürzern ziehen, über welches wir uns aber moralisch, d.i. durch Ideen erheben. Nur als Sinnenwesen sind wir abhängig, als Vernunftwesen sind wir frei.

Der erhabene Gegenstand gibt uns erstlich: als Naturwesen unsre Abhängigkeit zu empfinden, indem er uns zweitens: mit der Unabhängigkeit bekannt macht, die wir als Vernunftwesen über die Natur sowohl in uns als außer uns, behaupten.

Wir sind abhängig, insofern etwas außer uns den Grund enthält, warum etwas in uns möglich wird. Solange die Natur außer uns den Bedingungen konform ist, unter welchen in uns etwas möglich wird, solange können wir unsre Abhängigkeit nicht fühlen. Sollen wir uns derselben bewußt werden, so muß die Natur mit dem, was uns Bedürfnis und doch nur durch ihre Mitwirkung möglich ist, als streitend vorgestellt werden, oder, was ebensoviel sagt, sie muß sich mit unsern Trieben im Widerspruch befinden. Nun lassen sich alle Triebe, die in uns, als Sinnenwesen, wirksam sind, auf zwei Grundtriebe zurückführen. Erstlich besitzen wir einen Trieb, unsern Zustand zu verändern, unsre Existenz zu äußern, wirksam zu sein, welches alles darauf hinausläuft, uns Vorstellungen zu erwerben, also Vorstellungstrieb, Erkenntnistrieb heißen kann. Zweitens besitzen wir einen Trieb, unsern Zustand zu erhalten, unsere Existenz fortzusetzen, welches Trieb der Selbsterhaltung genannt wird.

Der Vorstellungstrieb geht auf Erkenntnis, der Selbsterhaltungstrieb auf Gefühle, also auf innre Wahrnehmungen der Existenz.

Wir stehen also durch diese zweierlei Triebe in zweifacher Abhängigkeit von der Natur. Die erste wird uns fühlbar, wenn es die Natur an den Bedingungen fehlen läßt, unter welchen wir zu Erkenntnissen gelangen; die zweite wird uns fühlbar, wenn sie den Bedingungen widerspricht, unter welchen es uns möglich ist, unsre Existenz fortzusetzen. Ebenso behaupten wir durch unsere Vernunft eine zweifache Unabhängigkeit von der Natur: erstlich: indem wir (im Theoretischen) über Naturbedingungen hinausgehen und uns mehr denken können, als wir erkennen; zweitens: indem wir (im Praktischen) uns über Naturbedingungen hinwegsetzen und durch unsern willen unsrer Begierde widersprechen können. Ein Gegenstand, bei dessen Wahrnehmung wir das erste erfahren, ist theoretisch groß, ein Erhabenes der Erkenntnis. Ein Gegenstand, der uns die Unabhängigkeit unsers Willen zu empfinden gibt, ist praktisch groß, ein Erhabenes der Gesinnung.

Bei dem Theoretischerhabenen steht die Natur als Objekt der Erkenntnis im Widerspruch mit dem Vorstellungstriebe. Bei dem Praktischerhabenen steht sie als Objekt der Empfindung im Widerspruch mit dem Erhaltungstrieb. Dort wurde sie bloß als ein Gegenstand betrachtet, der unsre Erkenntnis erweitern sollte; hier wird sie als eine Macht vorgestellt, die unsern eigenen Zustand bestimmen kann. Kant nennt daher das Praktischerhabene das Erhabene der Macht oder das Dynamischerhabene, im Gegensatz von dem Mathematischerhabenen. Weil aber aus den Begriffen dynamisch und mathematisch gar nicht erhellen kann, ob die Sphäre des Erhabenen durch diese Einteilung erschöpft sei oder nicht, so habe ich die Einteilung in das Theoretisch, und Praktisch-Erhabene vorgezogen.

Auf was Art wir in Erkenntnissen von Naturbedingungen abhängig sind und dieser Abhängigkeit uns bewußt werden, wird bei Entwicklung des Theoretischerhabenen hinreichend ausgeführt werden. Daß unsre Existenz als Sinnenwesen von Naturbedingungen außer uns abhängig gemacht ist, wird wohl kaum eines eigenen Beweises bedürfen. Sobald die Natur außer uns das bestimmte Verhältnis zu uns ändert, auf welches unser physischer Wohlstand gegründet ist, so wird auch sogleich unsre Existenz in der Sinnenwelt, die an diesem physischen Wohlstande haftet, angefochten und in Gefahr gesetzt. Die Natur hat also die Bedingungen in ihrer Gewalt, unter denen wir existieren, und damit wir dieses zu unserm Dasein so unentbehrliche Naturverhältnis in acht nehmen sollten, so ist unserm physischen Leben an dem Selbsterhaltungstriebe ein wachsamer Hüter, diesem Triebe aber an dem Schmerz ein Warner gegeben worden. Sobald daher unser physischer Zustand eine Veränderung erleidet, die ihn zu seinem Gegenteil zu bestimmen droht, so erinnert der Schmerz an die Gefahr, und der Trieb der Selbsterhaltung wird durch ihn zum Widerstand aufgefordert.

Ist die Gefahr von der Art, daß unser Widerstand vergeblich sein würde, so muß Furcht entstehen. Ein Objekt also, dessen Existenz den Bedingungen der unsrigen widerstreitet, ist, wenn wir uns ihm an Macht nicht gewachsen fühlen, ein Gegenstand der Furcht, furchtbar.

Aber es ist nur furchtbar für uns als Sinnenwesen, denn nur als solche hängen wir ab von der Natur. Dasjenige in uns, was nicht Natur, was dem Naturgesetz nicht unterworfen ist, hat von der Natur außer uns, als Macht betrachtet, nichts zu befahren. Die Natur, vorgestellt als eine Macht, die zwar unsern physischen Zustand bestimmen kann, aber auf unsern Willen keine Gewalt hat, ist dynamisch oder praktisch erhaben.

Das Praktischerhabene unterscheidet sich also darin von dem Theoretischerhabenen, daß es den Bedingungen unsrer Existenz, dieses nur den Bedingungen der Erkenntnis widerstreitet. Theoretischerhaben ist ein Gegenstand, insofern er die Vorstellung der Unendlichkeit mit sich führet, deren Darstellung sich die Einbildungskraft nicht gewachsen fühlt. Praktischerhaben ist ein Gegenstand, insofern er die Vorstellung einer Gefahr mit sich führt, welche zu besiegen sich unsre physische Kraft nicht vermögend fühlt. Wir erliegen an dem Versuch, uns von dem ersten eine Vorstellung zu machen. Wir erliegen an dem Versuch, uns der Gewalt des zweiten zu widersetzen. Ein Beispiel des ersten ist der Ozean in Ruhe, der Ozean im Sturm ein Beispiel des zweiten. Ein ungeheuer hoher Turm oder Berg kann ein Erhabenes der Erkenntnis abgeben. Bückt er sich zu uns herab, so wird er sich in ein Erhabenes der Gesinnung verwandeln. Beide haben aber wieder das miteinander gemein, daß sie gerade durch ihren Widerspruch mit den Bedingungen unsers Daseins und Wirkens diejenige Kraft in uns aufdecken, die an keine dieser Bedingungen sich gebunden fühlt; eine Kraft also, die einerseits sich mehr denken kann, als der Sinn faßt, und die andrerseits für ihre Unabhängigkeit nichts fürchtet und in ihren Äußerungen keine Gewalt erleidet, wenn auch ihr sinnlicher Gefährte unter der furchtbaren Naturmacht erliegen sollte.

Ob aber gleich beide Arten des Erhabenen ein gleiches Verhältnis zu unserer Vernunftkraft haben, so stehen sie doch in einem ganz verschiednen Verhältnis zu unsrer Sinnlichkeit, welches einen wichtigen Unterschied, sowohl der Stärke als des Interesse, zwischen ihnen begründet.

Das Theoretischerhabene widerspricht dem Vorstellungstrieb, das Praktischerhabene dem Erhaltungstrieb. Bei dem ersten wird nur eine einzelne Äußerung der sinnlichen Vorstellungskraft, bei dem zweiten aber wird der letzte Grund aller möglichen Äußerungen desselben, nämlich die Existenz, angefochten. Nun ist zwar jedes mißlingende Bestreben nach Erkenntnis mit Unlust verbunden, weil einem tätigen Trieb dadurch widersprochen wird. Aber bis zum Schmerz kann diese Unlust nie steigen, solange wir unsere Existenz von dem Gelingen oder Mißlingen einer solchen Erkenntnis unabhängig wissen und unsere Selbstachtung nicht dabei leidet.

Ein Gegenstand aber, der den Bedingungen unsers Daseins widerstreitet, der in der unmittelbaren Empfindung Schmerz erregen würde, erregt in der Vorstellung Schrecken; denn die Natur mußte zu Erhaltung der Kraft selbst ganz andere Anstalten treffen, als sie zu Unterhaltung der Tätigkeit nötig fand. Unsre Sinnlichkeit ist also bei dem furchtbaren Gegenstand ganz anders interessiert als bei dem unendlichen; denn der Trieb der Selbsterhaltung erhebt eine viel lautere Stimme als der Vorstellungstrieb. Es ist ganz etwas anders, ob wir um den Besitz einer einzelnen Vorstellung oder ob wir um den Grund aller möglichen Vorstellungen, unsre Existenz in der Sinnenwelt, ob wir für das Dasein selbst oder für eine einzelne Äußerung desselben zu fürchten haben.

Eben deswegen aber, weil der furchtbare Gegenstand unsere sinnliche Natur gewaltsamer angreift als der unendliche, so wird auch der Abstand zwischen dem sinnlichen und übersinnlichen Vermögen dabei um so lebhafter gefühlt, so wird die Überlegenheit der Vernunft und die innere Freiheit des Gemüts desto hervorstechender. Da nun das ganze Wesen des Erhabenen auf dem Bewußtsein dieser unsrer Vernunftfreiheit beruht und alle Lust am Erhabenen gerade nur auf dieses Bewußtsein sich gründet, so folgt von selbst (was auch die Erfahrung lehrt), daß das Furchtbare in der ästhetischen Vorstellung lebhafter und angenehmer rühren müsse als das Unendliche, und daß also das Praktischerhabene, der Stärke der Empfindung nach, einen sehr großen Vorzug vor dem Theoretischen voraushabe.

Das Theoretischgroße erweitert eigentlich nur unsre Sphäre, das Praktischgroße, das Dynamischerhabene unsre Kraft. - Unsre wahre und vollkommene Unabhängigkeit von der Natur erfahren wir eigentlich nur durch das letztere; denn es ist ganz etwas anders, in der bloßen Handlung des Vorstellens und in seinem ganzen innern Dasein sich von Naturbedingungen unabhängig fühlen, als sich über das Schicksal, über alle Zufälle, über die ganze Naturnotwendigkeit hinweggesetzt und erhaben fühlen. Nichts liegt dem Menschen als Sinnenwesen näher an als die Sorge für seine Existenz, und keine Abhängigkeit ist ihm drückender als diese, die Natur als diejenige Macht zu betrachten, die über sein Dasein zu gebieten hat. Und von dieser Abhängigkeit fühlt er sich frei bei Betrachtung des Praktisch, erhabenen. »Die unwiderstehliche Macht der Natur«, sagt Kant, »gibt uns, als Sinnenwesen betrachtet, zwar unsre Ohnmacht zu erkennen, aber entdeckt zugleich in uns ein Vermögen, uns als von ihr unabhängig zu beurteilen, und eine Überlegenheit über die Natur, worauf sich eine Selbsterhaltung von ganz andrer Art gründet, als diejenige ist, die von der Natur außer uns angefochten und in Gefahr gebracht werden kann - dabei die Menschheit in unserer Person unerniedrigt bleibt, obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte. Auf solche Weise«, fährt er fort, »wird die furchtbare Macht der Natur ästhetisch von uns als erhaben beurteilt, weil sie unsre Kraft, die nicht Natur ist, in uns aufruft, um alles dasjenige, wofür wir als Sinnenwesen besorgt sind, Güter, Gesundheit und Leben, als klein anzusehen und deswegen auch jene Macht der Natur - der wir in Ansehung dieser Güter allerdings unterworfen sind - für uns und unsre Persönlichkeit dennoch als keine Gewalt zu betrachten, unter die wir uns zu beugen hätten, wenn es auf unsre höchsten Grundsätze und deren Behauptung oder Verlassung ankäme. Also«, endigt er, »heißt die Natur hier erhaben, weil sie die Einbildungskraft zu Darstellung derjenigen Fälle erhebt, in denen das Gemüt sich die eigene Erhabenheit seiner Bestimmung fühlbar machen kann.« Diese Erhabenheit unserer Vernunftbestimmung - diese unsre praktische Unabhängigkeit von der Natur, muß von derjenigen Überlegenheit wohl unterschieden werden, die wir entweder durch unsere körperlichen Kräfte oder durch unseren Verstand über sie, als Macht, in einzelnen Fällen zu behaupten wissen und welche zwar auch etwas Großes, aber gar nichts Erhabenes an sich hat. Ein Mensch z.B. der mit einem wilden Tiere streitet und es durch die Stärke seines Arms oder auch durch List überwindet; ein reißender Strom wie der Nil, dessen Macht durch Dämme gebrochen wird, und den der menschliche Verstand aus einem schädlichen Gegenstand sogar in einen nützlichen verwandelt, indem er seinen Überfluß in Kanälen auffängt und dürre Felder damit wässert; ein Schiff auf dem Meere, das durch seine künstliche Einrichtung imstand ist, allem Ungestüm des wilden Elements zu trotzen: kurz alle diejenigen Fälle, wo der Mensch durch seinen erfinderischen Verstand die Natur auch da, wo sie ihm als Macht überlegen und zu seinem Untergange bewaffnet ist, gezwungen hat, ihm zu gehorchen und seinen Zwecken zu dienen alle diese Fälle, sage ich, erwecken kein Gefühl des Erhabenen, ob sie gleich etwas Analoges damit haben und deswegen auch in der ästhetischen Beurteilung gefallen. Warum sind sie aber nicht erhaben, da sie doch die Überlegenheit des Menschen über die Natur vorstellig machen?

Wir müssen hier zum Begriff des Erhabenen zurückgehen, worin sich der Grund leicht entdecken lassen wird. Zufolge dieses Begriffs ist nur derjenige Gegenstand erhaben, gegen den wir als Naturwesen erliegen, von dem wir uns aber als Vernunftwesen, als nicht zur Natur gehörige Wesen, absolut unabhängig fühlen. Alle natürliche Mittel also, die der Mensch anwendet, um der Naturmacht zu widerstehen, sind durch diesen Begriff des Erhabenen ausgeschlossen; denn dieser Begriff verlangt schlechterdings, daß wir dem Gegenstande als Naturwesen nicht gewachsen sein sollen, daß wir uns aber durch das, was in uns nicht Natur ist (und dies ist nichts anders als reine Vernunft), als von ihm unabhängig fühlen sollen. Nun sind aber alle jene angeführten Mittel, durch welche der Mensch der Natur überlegen wird (Geschicklichkeit, List und physische Stärke), aus der Natur genommen, kommen ihm also als Naturwesen zu; er widersteht also diesen Gegenständen nicht als Intelligenz, sondern als Sinnenwesen, nicht moralisch durch seine innre Freiheit, sondern physisch durch Anwendung natürlicher Kräfte. Er unterliegt auch deswegen diesen Gegenständen nicht, sondern er ist ihnen schon als Sinnenwesen überlegen. Wo er aber mit seinen physischen Kräften ausreicht, da ist nichts da, was ihn nötigen könnte, zu seinem intelligenten Selbst, zu der innern Selbständigkeit seiner Vernunftkraft seine Zuflucht zu nehmen.

Zum Gefühl des Erhabenen wird also schlechterdings erfordert, daß wir uns von jedem physischen Widerstehungsmittel völlig verlassen sehen und in unserm nichtphysischen Selbst dagegen Hülfe suchen. Furchtbar muß also ein solcher Gegenstand für unsre Sinnlichkeit sein, und das ist er nicht mehr, sobald wir uns ihm durch natürliche Kräfte gewachsen fühlen.

Auch wird dieses von der Erfahrung bestätigt. Die mächtigste Naturkraft ist in eben dem Grad weniger erhaben, als sie von dem Menschen gebändigt erscheint, und sie wird wieder schnell erhaben, sobald sie die Kunst des Menschen zuschanden macht. Ein Pferd, das noch frei und ungebändigt in den Wäldern herumläuft, ist uns als eine uns überlegene Naturkraft furchtbar und kann einen Gegenstand für eine erhabene Schilderung abgeben. Eben dieses Pferd, gezähmt, an das Joch oder vor den Wagen gespannt, verliert seine Furchtbarkeit und mit ihr auch alles Erhabene. Zerreißt aber dieses gebändigte Pferd seine Zügel, bäumt es sich entrüstet unter seinem Reiter, gibt es sich seine Freiheit gewaltsam wieder, so ist seine Furchtbarkeit wieder da, und es wird aufs neue erhaben.

Die physische Überlegenheit des Menschen über die Naturkräfte ist also so wenig ein Grund des Erhabenen, daß sie fast überall, wo sie angetroffen wird, die Erhabenheit des Gegenstandes schwächt oder ganz vernichtet. Zwar können wir uns mit merklichem Vergnügen bei der Betrachtung der menschlichen Geschicklichkeit verweilen, die sich die wildesten Naturkräfte zu unterwerfen gewußt hat, aber die Quelle dieses Vergnügens ist logisch und nicht ästhetisch; es ist eine Wirkung des Nachdenkens und wird nicht durch die unmittelbare Vorstellung eingeflößt. Praktischerhaben ist also die Natur nirgends, als wo sie furchtbar ist. Aber nun entsteht die Frage: ist dies auch umgekehrt so? Ist sie überall, wo sie furchtbar ist, auch praktischerhaben?

Hier müssen wir abermals zum Begriff des Erhabenen zurückgehen. So eine wesentliche Erfordernis es dazu ist, daß wir uns als Sinnenwesen von dem Gegenstand abhängig fühlen, so wesentlich gehört auf der andern Seite dazu, daß wir uns als Vernunftwesen von dem, selben unabhängig fühlen. Wo das erste nicht ist, wo der Gegenstand gar nichts Furchtbares für unsre Sinnlichkeit hat, da ist keine Erhabenheit möglich. Wo das zweite fehlt, wo er bloß furchtbar ist, wo wir uns ihm als Vernunftwesen nicht überlegen fühlen, da ist sie ebensowenig möglich. Innre Gemütsfreiheit gehört schlechterdings dazu, um das Furchtbare erhaben zu finden und Wohlgefallen daran zu haben; denn es kann ja bloß dadurch erhaben sein, daß es unsre Unabhängigkeit, unsre Gemütsfreiheit zu empfinden gibt. Nun hebt aber die wirkliche und ernstliche Furcht alle Gemütsfreiheit auf.

Das erhabene Objekt muß also zwar furchtbar sein, aber wirkliche Furcht darf es nicht erregen. Furcht ist ein Zustand des Leidens und der Gewalt; das Erhabene kann allein in der freien Betrachtung und durch das Gefühl innrer Tätigkeit gefallen. Entweder darf also das furchtbare Objekt seine Macht gar nicht gegen uns richten, oder wenn dies geschieht, so muß unser Geist frei bleiben, indem unsere Sinnlichkeit überwältigt wird. Dieser letztere Fall ist aber höchst selten und erfordert eine Erhebung der menschlichen Natur, die kaum in einem Subjekt als möglich gedacht werden kann. Denn da, wo wir uns wirklich in Gefahr befinden, wo wir selbst der Gegenstand einer feindseligen Naturmacht sind, da ist es um die ästhetische Beurteilung geschehen. So erhaben ein Meersturm, vom Ufer aus betrachtet, sein mag, so wenig mögen die, welche sich auf dem Schiff befinden, das von demselben zertrümmert wird, aufgelegt sein, dieses ästhetische Urteil darüber zu fällen.

Wir haben es also bloß mit dem ersten Fall zu tun, wo das furchtbare Objekt uns zwar seine Macht sehen läßt, aber sie nicht gegen uns richtet, wo wir uns vor demselben sicher wissen. Wir versetzen uns alsdann bloß in der Einbildung in den Fall, wo diese Macht uns selbst treffen könnte und aller Widerstand vergeblich sein würde. Das Schreckliche ist also bloß in der Vorstellung, aber auch schon die bloße Vorstellung der Gefahr bringt, wenn sie einigermaßen lebhaft ist, den Erhaltungstrieb in Bewegung, und es erfolgt etwas dem Analoges, was die wirkliche Empfindung hervorbringen würde. Ein Schauer ergreift uns, ein Gefühl von Bangigkeit regt sich, unsre Sinnlichkeit wird empört. Und ohne diesen Anfang des wirklichen Leidens, ohne diesen ernstlichen Angriff auf unsre Existenz würden wir bloß mit dem Gegenstande spielen; und es muß Ernst sein, wenigstens in der Empfindung, wenn die Vernunft zur Idee ihrer Freiheit ihre Zuflucht nehmen soll. Auch kann das Bewußtsein unsrer innern Freiheit nur insofern einen Wert haben und etwas gelten, als es damit Ernst ist, es kann aber nicht damit Ernst sein, wenn wir mit der Vorstellung der Gefahr bloß spielen.

Ich habe gesagt, daß wir uns in Sicherheit befinden müssen, wenn das Furchtbare uns gefallen soll. Nun gibt es aber Unglücksfälle und Gefahren, vor denen sich der Mensch niemals sicher wissen kann und die in der Vorstellung doch erhaben sein können und es auch wirklich sind. Der Begriff der Sicherheit kann also nicht darauf eingeschränkt werden, daß man sich der Gefahr physisch entzogen weiß, wie z.B. wenn man von einem hohen und wohlbefestigten Geländer in eine große Tiefe oder von einer Anhöhe auf die stürmende See hinabsieht. Hier freilich gründet sich die Furchtlosigkeit auf die Überzeugung von der Unmöglichkeit, daß man getroffen werden kann. Aber worauf wollte man seine Sicherheit vor dem Schicksal, vor der allgegenwärtigen Macht der Gottheit, vor schmerzhaften Krankheiten, vor empfindlichen Verlusten, vor dem Tode gründen? Hier ist gar kein physischer Grund der Beruhigung vorhanden; und wenn wir uns das Schicksal in seiner Furchtbarkeit denken, so müssen wir uns zugleich sagen, daß wir derselben nichts weniger als entzogen sind.

Es gibt also einen zweifachen Grund der Sicherheit. Vor solchen Übeln, denen zu entfliehen in unserm physischen Vermögen steht, können wir äußere physische Sicherheit haben; vor solchen Übeln aber, denen wir auf natürlichem Weg nicht zu widerstehen noch auszuweichen imstande sind, können wir bloß innre oder moralische Sicherheit haben. Dieser Unterschied ist, besonders in Beziehung auf das Erhabene, wichtig.

Die physische Sicherheit ist ein unmittelbarer Beruhigungsgrund für unsre Sinnlichkeit, ohne alle Beziehung auf unsern innern oder moralischen Zustand. Es wird daher auch gar nichts dazu erfordert, ein Objekt ohne Furcht zu betrachten, vor welchem man sich in dieser physischen Sicherheit befindet. Daher bemerkt man auch unter den Menschen eine bei weitem größere Einstimmigkeit der Urteile über das Erhabene solcher Objekte, deren Anblick mit dieser physischen Sicherheit verbunden ist, als derjenigen, vor denen man nur moralische Sicherheit hat. Die Ursache ist in die Augen fallend. Physische Sicherheit kommt jedem auf gleiche Art zugut; moralische hingegen setzt einen Gemütszustand voraus, der nicht in allen Subjekten sich findet. Aber weil diese physische Sicherheit bloß für die Sinnlichkeit gilt, so hat sie für sich selbst nichts, was der Vernunft gefallen könnte, und ihr Einfluß ist bloß negativ, indem sie bloß verhindert, daß der Selbsterhaltungstrieb nicht aufgeschreckt und die Gemütsfreiheit aufgehoben wird.

Ganz anders ist es mit der innern oder moralischen Sicherheit. Diese ist zwar auch ein Beruhigungsgrund für die Sinnlichkeit (sonst wäre sie selbst erhaben), aber sie ist es nur mittelbar durch Ideen der Vernunft. Wir sehen das Furchtbare ohne Furcht an, weil wir uns der Macht desselben über uns, als Naturwesen, entweder durch das Bewußtsein unserer Unschuld oder durch den Gedanken an die Unzerstörbarkeit unsers Wesens entzogen fühlen. Diese moralische Sicherheit postuliert also, wie wir sehen, Religionsideen, denn nur die Religion, nicht aber die Moral, stellt Beruhigungsgründe für unsere Sinnlichkeit auf Die Moral verfolgt die Vorschrift der Vernunft unerbittlich und ohne alle Rücksicht auf das Interesse unserer Sinnlichkeit; die Religion aber ist es, die zwischen den Forderungen der Vernunft und dem Anliegen der Sinnlichkeit eine Aussöhnung, eine Übereinkunft zu stiften sucht. Zur moralischen Sicherheit reicht es also gar nicht hin, daß wir eine moralische Gesinnung besitzen, sondern es wird noch dazu erfordert, daß wir die Natur in Einstimmung mit dem Moralgesetz, oder was hier einerlei ist, daß wir sie uns unter dem Einfluß eines reinen Vernunftwesens denken. Der Tod z.B. ist ein solcher Gegenstand, vor dem wir nur moralische Sicherheit haben. Die lebhafte Vorstellung aller Schrecknisse des Todes, verbunden mit der Gewißheit, ihm nicht entfliehen zu können, würde es den meisten Menschen, weil die meisten doch weit mehr Sinnenwesen als Vernunftwesen sind, durchaus unmöglich machen, mit dieser Vorstellung so viel Ruhe zu verbinden, als zu einem ästhetischen Urteil erfodert wird - wenn nicht der Vernunftglaube an eine Unsterblichkeit, auch noch selbst für die Sinnlichkeit, eine leidliche Auskunft wüßte.

Aber man muß dies nicht so verstehen, als ob die Vorstellung des Todes, wenn sie mit Erhabenheit verbunden ist, diese Erhabenheit durch die Idee der Unsterblichkeit erhielte. - Nichts weniger! - Die Idee der Unsterblichkeit, so wie ich sie hier annehme, ist ein Beruhigungsgrund für unsern Trieb nach Fortdauer, also für unsere Sinnlichkeit, und ich muß einmal für allemal bemerken, daß bei allem, was einen erhabenen Eindruck machen soll, die Sinnlichkeit mit ihren Forderungen schlechterdings abgewiesen worden sein und aller Beruhigungsgrund nur in der Vernunft zu suchen sein müsse. Diejenige Idee der Unsterblichkeit also, wobei die Sinnlichkeit gewissermaßen noch ihre Rechnung findet (wie sie in allen positiven Religionen aufgestellt ist) kann gar nichts dazu beitragen, die Vorstellung des Todes zu einem erhabenen Gegenstand zu machen. Vielmehr muß diese Idee nur gleichsam im Hintergrunde stehen, um bloß der Sinnlichkeit zu Hülfe zu kommen, wenn diese sich allen Schrecknissen der Zernichtung trost- und wehrlos bloßgestellt fühlte und unter diesem heftigen Angriff zu erliegen drohte. Wird diese Idee der Unsterblichkeit aber die herrschende im Gemüt, so verliert der Tod das Furchtbare, und das Erhabene verschwindet.

Die Gottheit, vorgestellt in ihrer Allwissenheit, die alle Krümmungen des menschlichen Herzens durchleuchtet, in ihrer Heiligkeit, die keine unreine Regung duldet, und in ihrer Macht, die unser physisches Schicksal in ihrer Gewalt hat, ist eine furchtbare Vorstellung und kann deswegen zu einer erhabenen Vorstellung werden. Vor den Wirkungen dieser Macht können wir keine physische Sicherheit haben, weil es uns gleich unmöglich ist, derselben auszuweichen und Widerstand zu tun. Also bleibt uns nur moralische Sicherheit übrig, die wir auf die Gerechtigkeit dieses Wesens und auf unsre Unschuld gründen. Wir sehen die schreckhaften Erscheinungen, durch welche sie ihre Macht zu erkennen gibt, ohne Schrecken an, weil das Bewußtsein unserer Schuldlosigkeit uns davor sicherstellt. Diese moralische Sicherheit macht es uns möglich, bei der Vorstellung dieser grenzenlosen, unwiderstehlichen und allgegenwärtigen Macht unsre Gemütsfreiheit nicht völlig zu verlieren, denn wo diese dahin ist, da ist das Gemüt zu keiner ästhetischen Beurteilung aufgelegt. Sie kann aber die Ursache des Erhabenen nicht sein, weil dieses Gefühl der Sicherheit, ob es gleich auf moralischen Gründen beruht, doch zuletzt nur einen Beruhigungsgrund für die Sinnlichkeit abgibt und den Trieb der Selbsterhaltung befriedigt; das Erhabene aber niemals auf Befriedigung unsrer Triebe sich gründet. Soll die Vorstellung der Gottheit praktisch (dynamisch) erhaben werden, so dürfen wir das Gefühl unserer Sicherheit nicht auf unser Dasein, sondern auf unsre Grundsätze beziehen. Es muß uns gleichgültig sein, wie wir als Naturwesen dabei fahren, wenn wir uns nur als Intelligenzen von den Wirkungen ihrer Macht unabhängig fühlen. Wir fühlen uns aber als Vernunftwesen selbst von der Allmacht unabhängig, insofern selbst die Allmacht unsre Autonomie nicht aufheben, unsern Willen nicht gegen unsre Grundsätze bestimmen kann. Nur insofern also, als wir der Gottheit allen Natureinfluß auf unsre Willensbestimmungen absprechen, ist die Vorstellung ihrer Macht dynamischerhaben.

In seinen Willensbestimmungen sich von der Gottheit unabhängig fühlen, heißt aber nichts anders, als sich bewußt sein, daß die Gottheit nie als eine Macht auf unsern Willen wirken könne. Weil aber der reine Wille jederzeit mit dem Willen der Gottheit koinzidieren muß, so kann der Fall nie eintreten, daß wir uns aus reiner Vernunft gegen den Willen der Gottheit bestimmen. Wir sprechen ihr also bloß insofern den Einfluß auf unsern Willen ab, als wir uns bewußt sind, daß sie durch nichts anders als durch ihre Einstimmigkeit mit dem reinen Vernunftgesetz in uns, also nicht durch Autorität, nicht durch Belohnung oder Strafe, nicht durch Hinsicht auf ihre Macht, in unsre Willensbestimmungen einfließen könne. Unsre Vernunft verehrt in der Gottheit nichts als ihre Heiligkeit und fürchtet auch nichts von ihr als ihre Mißbilligung und auch diese nur insofern, als sie in der göttlichen Vernunft ihre eigenen Gesetze erkennt. Es steht aber nicht in der göttlichen Willkür, unsre Gesinnungen zu mißbilligen oder zu billigen, sondern das wird durch unser Betragen bestimmt. In dem einzigen Falle also, wo die Gottheit für uns furchtbar werden könnte, nämlich in ihrer Mißbilligung, hängen wir nicht von ihr ab. Die Gottheit also, vorgestellt als eine Macht, die unsre Existenz zwar aufheben, aber, solange wir diese Existenz noch haben, auf die Handlungen unsrer Vernunft keinen Einfluß haben kann, ist dynamischerhaben - und auch nur diejenige Religion, welche uns diese Vorstellung von der Gottheit gibt, trägt das Siegel der Erhabenheit in sich. [1]

Der Gegenstand des Praktischerhabenen muß für die Sinnlichkeit furchtbar sein; unserm physischen Zustand muß ein Übel drohen, und die Vorstellung der Gefahr muß den Selbsterhaltungstrieb in Bewegung setzen.

Unser intelligibles Selbst, dasjenige in uns, was nicht Natur ist, muß sich bei jener Affektion des Erhaltungstriebs von dem sinnlichen Teil unsers Wesens unterscheiden und seiner Selbständigkeit, seiner Unabhängigkeit von allem, was die physische Natur treffen kann, kurz, seiner Freiheit sich bewußt werden. Diese Freiheit ist aber schlechterdings nur moralisch, nicht physisch. Nicht durch unsre natürliche Kräfte, nicht durch unsern Verstand, nicht als Sinnenwesen dürfen wir uns dem furchtbaren Gegenstand überlegen fühlen; denn da würde unsre Sicherheit immer nur durch physische Ursachen, also empirisch, bedingt sein und also immer noch eine Abhängigkeit von der Natur übrigbleiben. Sondern es muß uns völlig gleichgültig sein, wie wir als Sinnenwesen dabei fahren, und bloß darin muß unsre Freiheit bestehen, daß wir unsern physischen Zustand, der durch die Natur bestimmt werden kann, gar nicht zu unserm Selbst rechnen, sondern als etwas Auswärtiges und Fremdes betrachten, was auf unsre moralische Person keinen Einfluß hat.

Groß ist, wer das Furchtbare überwindet. Erhaben ist, wer es, auch selbst unterliegend, nicht fürchtet. Hannibal war theoretischgroß, da er sich über die unwegsamen Alpen den Durchgang nach Italien bahnte; praktischgroß oder erhaben war er nur im Unglück.

Groß war Herkules, da er seine zwölf Arbeiten unternahm und beendigte.

Erhaben war Prometheus, da er, am Kaukasus angeschmiedet, seine Tat nicht bereute und sein Unrecht nicht eingestand.

Groß kann man sich im Glück, erhaben nur im Unglück zeigen.

Praktischerhaben ist also jedweder Gegenstand, der uns zwar unsre Ohnmacht als Naturwesen zu bemerken gibt - zugleich aber ein Widerstehungsvermögen von ganz andrer Art in uns aufdeckt, welches zwar von unsrer physischen Existenz die Gefahr nicht entfernt, aber (welches unendlich mehr ist) unsre physische Existenz selbst von unsrer Persönlichkeit absondert. Es ist also keine materiale und bloß einen einzelnen Fall betreffende, sondern eine idealische und über alle möglichen Fälle sich erstreckende Sicherheit, deren wir uns bei Vorstellung des Erhabenen bewußt werden. Dieses gründet sich also ganz und gar nicht auf Überwindung oder Aufhebung einer uns drohenden Gefahr, sondern auf Wegräumung der letzten Bedingung, unter der es allein Gefahr für uns geben kann, indem es uns den sinnlichen Teil unsers Wesens, der allein der Gefahr unterworfen ist, als ein auswärtiges Naturding betrachten lehrt, das unsre wahre Person, unser moralisches Selbst, gar nichts angeht.

Nach Festsetzung des Begriffs vom Praktischerhabenen sind wir imstande, es nach Verschiedenheit der Gegenstände, durch die es erregt wird, und nach Verschiedenheit der Verhältnisse, in welchen wir zu diesen Gegenständen stehen, unter Klassen zu bringen. In der Vorstellung des Erhabenen unterscheiden wir dreierlei. Erstlich: einen Gegenstand der Natur als Macht: Zweitens: eine Beziehung dieser Macht auf unser physisches Widerstehungsvermögen: Drittens: eine Beziehung derselben auf unsre moralische Person. Das Erhabene ist also die Wirkung dreier aufeinanderfolgender Vorstellungen: I. einer objektiven physischen Macht, 2. unsrer subjektiven physischen Ohnmacht, 3. unsrer subjektiven moralischen Übermacht. Ob aber gleich bei jeder Vorstellung des Erhabenen diese drei Bestandstücke wesentlich und notwendig sich vereinigen müssen, so ist es dennoch zufällig, wie wir zu der Vorstellung derselben gelangen, und darauf gründet sich nun ein zweifacher Hauptunterschied des Erhabenen der Macht.

1

Entweder wird bloß ein Gegenstand als Macht, die objektive Ursache des Leidens, aber nicht das Leiden selbst in der Anschauung gegeben, und es ist das urteilende Subjekt, welches die Vorstellung des Leidens in sich erzeugt und den gegebenen Gegenstand durch Beziehung auf den Erhaltungstrieb in ein Objekt der Furcht und durch Beziehung auf seine moralische Person in ein Erhabnes verwandelt.

2

Oder außer dem Gegenstand als Macht wird zugleich seine Furchtbarkeit für den Menschen, das Leiden selbst, objektiv vorgestellt, und dem beurteilenden Subjekt bleibt nichts übrig, als die Anwendung davon auf seinen moralischen Zustand zu machen und aus dem Furchtbaren das Erhabene zu erzeugen. Ein Objekt der ersten Klasse ist kontemplativ-, ein Objekt der zweiten pathetischerhaben.

I

Das Kontemplativerhabene der Macht

Gegenstände, welche uns weiter nichts als eine Macht der Natur zeigen, die der unsrigen weit überlegen ist, im übrigen aber es uns selbst anheimstellen, ob wir eine Anwendung davon auf unsern physischen Zustand oder auf unsre moralische Person machen wollen, sind bloß kontemplativerhaben. Ich nenne sie deswegen so, weil sie das Gemüt nicht so gewaltsam ergreifen, daß es nicht in einem Zustand ruhiger Betrachtung dabei verharren könnte. Bei dem Kontemplativerhabenen kommt auf die Selbsttätigkeit des Gemüts das meiste an, weil von außen nur eine Bedingung gegeben wird, die zwei andern aber von dem Subjekt selbst erfüllt werden müssen. Aus diesem Grund ist das Kontemplativerhabene weder von so intensivstarker noch von so ausgebreiteter Wirkung als das Pathetischerhabene. Nicht von so ausgebreiteter: weil nicht alle Menschen Einbildungskraft genug haben, um eine lebhafte Vorstellung der Gefahr in sich hervorzubringen, nicht alle selbständige moralische Kraft genug haben, um einer solchen Vorstellung nicht lieber auszuweichen. Nicht von so starker Wirkung: weil die Vorstellung der Gefahr, auch wenn sie noch so lebhaft erweckt wird, in diesem Falle doch immer freiwillig ist und das Gemüt leichter über eine Vorstellung Meister bleibt, die es selbsttätig erzeugte. Das Kontemplativerhabene verschafft daher einen geringen, aber auch weniger gemischten Genuß.

Die Natur gibt zum Kontemplativerhabenen nichts her als einen Gegenstand als Macht, aus dem etwas Furchtbares für die Menschheit zu machen der Einbildungskraft überlassen bleibt. Je nachdem nun der Anteil groß oder klein ist, den die Phantasie an Hervorbringung dieses Furchtbaren hat, je nachdem sie ihr Geschäft aufrichtiger oder verdeckter verwaltet, muß auch das Erhabene verschieden ausfallen.

Ein Abgrund, der sich zu unsern Füßen auftut, ein Gewitter, ein brennender Vulkan, eine Felsenmasse, die über uns herabhängt, als wenn sie eben niederstürzen wollte, ein Sturm auf dem Meere, ein rauher Winter der Polargegend, ein Sommer der heißen Zone, reißende oder giftige Tiere, eine Überschwemmung u.dgl. sind solche Mächte der Natur, gegen welche unser widerstehendes Vermögen für nichts zu rechnen ist, und die mit unsrer physischen Existenz doch im Widerspruche stehen. Selbst gewisse idealische Gegenstände, wie z.B. die Zeit, als eine Macht betrachtet, die still, aber unerbittlich wirkt, die Notwendigkeit, deren strengem Gesetz kein Naturwesen sich entziehen kann, selbst die moralische Idee der Pflicht, die sich nicht selten gegen unsre physische Existenz als eine feindliche Macht verhält, sind furchtbare Gegenstände, sobald die Einbildungskraft sie auf den Erhaltungstrieb bezieht; und sie werden erhaben, sobald die Vernunft sie auf ihre höchsten Gesetze anwendet. Weil aber in allen diesen Fällen die Phantasie erst das Furchtbare hinzutut und es ganz bei uns steht, eine Idee zu unterdrücken, die unser eigenes Werk ist, so gehören diese Gegenstände in die Klasse des Kontemplativerhabenen.

Aber die Vorstellung der Gefahr hat hier doch einen realen Grund, und es bedarf bloß der einfachen Operation: die Existenz dieser Dinge mit unserer physischen Existenz in eine Vorstellung zu verknüpfen, so ist das Furchtbare da. Die Phantasie braucht aus ihrem eigenen Mittel nichts hineinzulegen, sondern sie hält sich nur an das, was ihr gegeben ist.

Aber nicht selten werden an sich gleichgültige Gegenstände der Natur, durch Dazwischenkunft der Phantasie, subjektiv in furchtbare Mächte verwandelt, und es ist die Phantasie selbst, die das Furchtbare nicht bloß durch Vergleichung entdeckt, sondern es, ohne einen hinreichenden objektiven Grund dazu zu haben, eigenmächtig erschafft. Dies ist der Fall beim Außerordentlichen und beim Unbestimmten.

Dem Menschen im Zustand der Kindheit, wo die Einbildungskraft am ungebundensten wirkt, ist alles schreckhaft, was ungewöhnlich ist. In jeder unerwarteten Erscheinung der Natur glaubt er einen Feind zu erblicken, der gegen sein Dasein gerüstet ist, und der Erhaltungstrieb ist sogleich geschäftig, dem Angriff zu begegnen. Der Erhaltungstrieb ist in dieser Periode sein unumschränkter Gebieter, und weil dieser Trieb ängstlich und feig ist, so ist die Herrschaft desselben ein Reich des Schreckens und der Furcht. Der Aberglaube, der in dieser Epoche sich bildet, ist daher schwarz und fürchterlich, und auch die Sitten tragen diesen feindseligen finstern Charakter. Man findet den Menschen früher bewaffnet als bekleidet, und sein erster Griff ist an das Schwert, wenn er einem Fremdling begegnet. Die Gewohnheit der alten Taurier, jeden Ankömmling, den das Unglück an ihre Küste führte, der Diana zu opfern, hat schwerlich einen andern Ursprung als die Furcht; denn so verwildert ist nur der schiefgebildete, nicht der ungebildete Mensch, daß er gegen dasjenige watete, was ihm nicht schaden kann.

Diese Furcht vor allem, was außerordentlich ist, verliert sich nun zwar im Zustand der Kultur, aber nicht so ganz, daß in der ästhetischen Betrachtung der Natur, wo sich der Mensch dem Spiel der Phantasie freiwillig hingibt, nicht eine Spur davon übrigbleiben sollte. Das wissen die Dichter sehr gut und unterlassen daher nicht, das Außerordentliche wenigstens als ein Ingrediens des Furchtbaren zu gebrauchen. Eine tiefe Stille, eine große Leere, eine plötzliche Erhellung der Dunkelheit sind an sich sehr gleichgültige Dinge, die sich durch nichts als das Außerordentliche und Ungewöhnliche auszeichnen. Dennoch erregen sie ein Gefühl des Schreckens oder verstärken wenigstens den Eindruck desselben und sind daher tauglich zum Erhabenen.

Wenn uns Virgil mit Grausen über das Höllenreich erfüllen will, so macht er uns vorzüglich auf die Leerheit und Stille desselben aufmerksam. Er nennt es loca nocte late tacentia, weitschweigende Gefilde der Nacht, demos vacuas Ditis et inania regna, leere Behausungen und hohle Reiche des Pluto.

Bei den Einweihungen in die Mysterien der Alten wurde vorzüglich auf einen furchtbaren, feierlichen Eindruck gesehen, und dazu bediente man sich besonders auch des Stillschweigens. Eine tiefe Stille gibt der Einbildungskraft einen freien Spielraum und spannt die Erwartung auf etwas Furchtbares, welches kommen soll. Bei Übungen der Andacht ist das Stillschweigen einer ganzen versammelten Gemeine ein sehr wirksames Mittel, der Phantasie einen Schwung zu geben und das Gemüt in eine feierliche Stimmung zu setzen. Selbst der Volksaberglaube macht bei seinen Träumereien davon Gebrauch, denn bekanntlich muß eine tiefe Stille beobachtet werden, wenn man einen Schatz zu erheben hat. In den bezauberten Palästen, die in Feenmärchen vorkommen, herrscht ein totes Schweigen, welches Grauen erweckt, und es gehört zur Naturgeschichte der bezauberten Wälder, daß nichts Lebendiges sich darin regt. Auch die Einsamkeit ist etwas Furchtbares, sobald sie anhaltend und unfreiwillig ist, wie z.B. die Verbannung in eine unbewohnte Insel. Eine weitausgebreitete Wüste, ein einsamer, viele Meilen langer Wald, das Herumirren auf der grenzenlosen See sind lauter Vorstellungen, welche Grauen erregen und in der Dichtkunst zum Erhabenen zu gebrauchen sind. Hier aber (bei der Einsamkeit) ist doch schon ein objektiver Grund der Furcht, weil die Idee einer großen Einsamkeit auch die Idee der Hülflosigkeit mit sich führt.

Noch weit geschäftiger beweist sich die Phantasie, aus dem Geheimen, Unbestimmten und Undurchdringlichen einen Gegenstand des Schreckens zu machen. Hier ist sie eigentlich in ihrem Element, denn da ihr die Wirklichkeit keine Grenzen setzt und ihre Operationen auf keinen besondern Fall eingeschränkt werden, so steht ihr das weite Reich der Möglichkeiten offen. Daß sie sich aber gerade zum Schrecklichen hinneigt und von dem Unbekannten mehr fürchtet als hofft, liegt in der Natur des Erhaltungstriebs, der sie leitet. Die Verabscheuung wirkt ungleich schneller und mächtiger als die Begierde, und daher kommt es, daß wir hinter dem Unbekannten mehr Schlimmes vermuten als Gutes erwarten.

Die Finsternis ist schrecklich und eben darum zum Erhabenen tauglich. Sie ist aber nicht an sich selbst schrecklich, sondern weil sie uns die Gegenstände verbirgt und uns also der ganzen Gewalt der Einbildungskraft überliefert. Sobald die Gefahr deutlich ist, verschwindet ein großer Teil der Furcht. Der Sinn des Gesichts, der erste Wächter unsers Daseins, versagt uns in der Dunkelheit seine Dienste, und wir fühlen uns der verborgenen Gefahr wehrlos bloßgestellt. Darum setzt der Aberglaube alle Geistererscheinungen in die Mitternachtstunde, und das Reich des Todes wird vorgestellt als ein Reich der ewigen Nacht. In den Dichtungen Homers, wo die Menschheit noch ihre natürlichste Sprache redet, wird die Dunkelheit als eins der größten Übel dargestellt.


Allda liegt das Land und die Stadt der cimmerischen Männer.
Diese tappen beständig in Nacht und Nebel, und niemals
Schauet strahlend auf sie der Gott der leuchtenden Sonne,
Sondern schreckliche Nacht umhüllt die elenden Menschen.

Odyssee, elfter Gesang.

»Jupiter«, ruft der tapfre Ajax im Dunkel der Schlacht aus, »befreie die Griechen von dieser Finsternis. Laß es Tag werden, laß diese Augen sehen, und dann, wenn du willst, laß mich im Lichte fallen.« 

Ilias.

Auch das Unbestimmte ist ein Ingrediens des Schrecklichen, und aus keinem andern Grunde, als weil es der Einbildungskraft Freiheit gibt, das Bild nach ihrem eigenen Gutdünken auszumalen. Das Bestimmte hingegen führt zu deutlicher Erkenntnis und entzieht den Gegenstand dem willkürlichen Spiel der Phantasie, indem es ihn dem Verstand unterwirft. Homers Darstellung der Unterwelt wird eben dadurch, daß sie gleichsam in einem Nebel schwimmt, desto furchtbarer, und die Geistergestalten im Ossian sind nichts als luftige Wolkengebilde, denen die Phantasie nach Willkür den Umriß gibt.

Alles, was verhüllt ist, alles Geheimnisvolle, trägt zum Schrecklichen bei und ist deswegen der Erhabenheit fähig. Von dieser Art ist die Aufschrift, welche man zu Sais in Ägypten über dem Tempel der Isis las:

»Ich bin alles, was ist, was gewesen ist und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« -

Eben dieses Ungewisse und Geheimnisvolle gibt den Vorstellungen der Menschen von der Zukunft nach dem Tode etwas Grauenvolles; diese Empfindungen sind in dem bekannten Selbstgespräch Hamlets sehr glücklich ausgedrückt.

Die Beschreibung, die uns Tacitus von dem feierlichen Aufzug der Göttin Hertha macht, wird durch das Dunkel, das er darüber verbreitet, furchtbar erhaben. Der Wagen der Göttin verschwindet im Innersten des Waldes, und keiner von denen, die zu diesem geheimnisvollen Dienst gebraucht werden, kommt lebend zurück. Mit Schauder fragt man sich, was das wohl sein möge, welches dem, der es sieht, das Leben kostet, quod tantum morituri vident.

Alle Religionen haben ihre Mysterien, welche ein heiliges Grauen unterhalten, und so wie die Majestät der Gottheit hinter dem Vorhang im Allerheiligsten wohnet, so pflegt sich auch die Majestät der Könige mit Geheimnis zu umgeben, um die Ehrfurcht ihrer Untertanen durch diese künstliche Unsichtbarkeit in fortdauernder Spannung zu erhalten.

Dies sind die vorzüglichsten Unterarten des Kontemplativerhabenen der Macht, und da sie in der moralischen Bestimmung des Menschen gegründet sind, welche allen Menschen gemein ist, so ist man berechtigt, eine Empfänglichkeit dafür bei allen menschlichen Subjekten vorauszusetzen, und der Mangel derselben kann nicht wie bei bloß sinnlichen Rührungen durch ein Spiel der Natur entschuldigt, sondern darf als eine Unvollkommenheit dem Subjekt zugerechnet werden. Zuweilen findet man das Erhabene der Erkenntnis mit dem Erhabenen der Macht verbunden, und die Wirkung ist um so größer, wenn nicht bloß das sinnliche Widerstehungsvermögen, sondern auch selbst das Darstellungsvermögen an einem Objekt seine Schranken findet und die Sinnlichkeit mit ihrer doppelten Forderung abgewiesen wird.

II

Das Pathetischerhabene

Wenn uns ein Gegenstand nicht bloß als Macht überhaupt, sondern zugleich als eine dem Menschen verderbliche Macht objektiv gegeben wird - wenn er also seine Gewalt nicht bloß zeigt, sondern sie wirklich feindlich äußert, so steht es der Einbildungskraft nicht mehr frei, ihn auf den Erhaltungstrieb zu beziehen, sondern sie muß, sie wird objektiv dazu genötigt. Wirkliches Leiden aber gestattet kein ästhetisches Urteil, weil es die Freiheit des Geistes aufhebt. Also darf es nicht das urteilende Subjekt sein, an welchem der furchtbare Gegenstand seine zerstörende Macht beweist, d.i. wir dürfen nicht selbst, sondern bloß sympathetisch leiden. Aber auch das sympathetische Leiden ist für die Sinnlichkeit schon zu angreifend, wenn das Leiden außer uns Existenz hat. Der teilnehmende Schmerz überwiegt allen ästhetischen Genuß. Nur alsdann, wenn das Leiden entweder bloße Illusion und Erdichtung ist, oder (im Fall, daß es in der Wirklichkeit stattgefunden hätte) wenn es nicht unmittelbar den Sinnen, sondern der Einbildungskraft vorgestellt wird, kann es ästhetisch werden und ein Gefühl des Erhabenen erregen. Die Vorstellung eines fremden Leidens, verbunden mit Affekt und mit dem Bewußtsein unsrer innern moralischen Freiheit, ist pathetischerhaben.

Die Sympathie oder der teilnehmende (mitgeteilte) Affekt ist keine freie Äußerung unsers Gemüts, die wir erst selbsttätig in uns hervorbringen müßten, sondern eine unwillkürliche, durch das Naturgesetz bestimmte Affektion des Gefühlvermögens. Es kommt gar nicht auf unsern Willen an, ob wir das Leiden eines Geschöpfs mitempfinden wollen. Sobald wir eine Vorstellung davon haben, müssen wir es. Die Natur, nicht unsre Freiheit handelt, und die Gemütsbewegung eilt dem Entschluß zuvor.

Sobald wir also objektiv die Vorstellung eines Leidens erhalten, so muß vermöge des unveränderlichen Naturgesetzes der Sympathie in uns selbst ein Nachgefühl dieses Leidens erfolgen. Dadurch machen wir es gleichsam zu dem unsrigen. Wir leiden mit. Nicht bloß die teilnehmende Betrübnis, das Gerührtsein über fremdes Unglück, heißt Mitleiden, sondern jeder traurige Affekt ohne Unterschied, den wir einem andern nachempfinden; also gibt es so viele Arten des Mitleidens, als es verschiedene Arten des ursprünglichen Leidens gibt: mitleidende Furcht, mitleidenden Schrecken, mitleidende Angst, mitleidende Entrüstung, mitleidende Verzweiflung.

Wenn aber das Affekterregende (oder Pathetische) einen Grund des Erhabenen abgeben soll, so darf es nicht bis zum wirklichen Selbstleiden getrieben werden. Auch mitten im heftigsten Affekt müssen wir uns von dem selbstleidenden Subjekt unterscheiden, denn es ist um die Freiheit des Geistes geschehen, sobald die Täuschung sich in völlige Wahrheit verwandelt. Wird das Mitleiden zu einer solchen Lebhaftigkeit erhöht, daß wir uns mit dem Leidenden ernstlich verwechseln, so beherrschen wir den Affekt nicht mehr, sondern er beherrscht uns. Bleibt hingegen die Sympathie in ihren ästhetischen Grenzen, so vereinigt sie zwei Hauptbedingungen des Erhabenen: sinnlichlebhafte Vorstellung des Leidens, mit dem Gefühl eigner Sicherheit verbunden.

Aber dieses Gefühl der Sicherheit bei der Vorstellung fremder Leiden ist ganz und gar nicht der Grund des Erhabenen und überhaupt nicht die Quelle des Vergnügens, das wir aus dieser Vorstellung schöpfen. Erhaben wird das Pathetische bloß allein durch das Bewußtsein unsrer moralischen, nicht unsrer physischen Freiheit. Nicht weil wir uns durch unser gutes Geschick diesem Leiden entzogen sehen (denn da würden wir noch immer einen sehr schlechten Gewährsmann für unsre Sicherheit haben), sondern weil wir unser moralisches Selbst der Kausalität dieses Leidens, nämlich seinem Einfluß auf unsre Willensbestimmung, entzogen fühlen, erhebt es unser Gemüt und wird pathetischer haben.

Es ist nicht schlechterdings nötig, daß man die Seelenstärke wirklich in sich fühle, bei ernstlich eintretender Gefahr seine moralische Freiheit zu behaupten. Nicht von dem, was geschieht, sondern von dem, was geschehen soll und kann, ist hier die Rede; von unsrer Bestimmung, nicht von unserm wirklichen Tun, von der Kraft, nicht von Anwendung derselben. Indem wir ein schwerbeladnes Frachtschiff im Sturm untergehen sehen, so können wir uns an der Stelle des Kaufmanns, dessen ganzer Reichtum hier von dem Wasser verschlungen wird, recht sehr unglücklich fühlen. Aber zugleich fühlen wir doch auch, daß dieser Verlust nur zufällige Dinge betrifft, und daß es Pflicht ist, sich darüber zu erheben. Es kann aber nichts Pflicht sein, was unerfüllbar ist, und was geschehen soll, muß notwendig geschehen können. Daß wir uns aber über einen Verlust hinwegsetzen können, der uns als Sinnenwesen mit Recht so empfindlich ist, beweist ein Vermögen in uns, welches nach ganz andern Gesetzen handelt als das sinnliche und mit dem Naturtrieb nichts gemein hat. Erhaben aber ist alles, was dieses Vermögen in uns zum Bewußtsein bringt. Man kann sich also recht gut sagen, daß man den Verlust dieser Güter nichts weniger als gelassen ertragen werde, dieses hindert das Gefühl des Erhabenen gar nicht - wenn man nur fühlt, daß man sich darüber hinwegsetzen sollte und daß es Pflicht ist, ihnen keinen Einfluß auf die Selbstbestimmung der Vernunft zu gestatten. Wer freilich auch nicht einmal dafür Sinn hat; an dem ist alle ästhetische Kraft des Großen und Erhabenen verloren.

Es erfordert also doch wenigstens eine Fähigkeit des Gemüts, sich seiner Vernunftbestimmung bewußt zu werden, und eine Empfänglichkeit für die Idee der Pflicht, wenn man auch gleich die Schranken erkennt, welche die schwache Menschheit ihrer Ausübung setzen dürfte. Es würde überhaupt um das Wohlgefallen am Guten sowohl als am Erhabenen mißlich stehen, wenn man nur Sinn für das haben könnte, was man selber erreicht hat oder zu erreichen sich zutraut. Aber es ist ein achtungswerter Charakterzug der Menschheit, daß sie sich wenigstens in ästhetischen Urteilen zu der guten Sache bekennt, auch wenn sie gegen sich selbst sprechen müßte, und daß sie den reinen Ideen der Vernunft in der Empfindung wenigstens huldigt, wenn sie gleich nicht immer Stärke genug hat, wirklich darnach zu handeln.

Zum Pathetischerhabenen werden also zwei Hauptbedingungen erfordert. Erstlich eine lebhafte Vorstellung des Leidens, um den mit leidenden Affekt in der gehörigen Stärke zu erregen. Zweitens eine Vorstellung des Widerstandes gegen das Leiden, um die innre Gemütsfreiheit ins Bewußtsein zu rufen. Nur durch das erste wird der Gegenstand pathetisch, nur durch das zweite wird das Pathetische zugleich erhaben.

Aus diesem Grundsatz fließen die beiden Fundamentalgesetze aller tragischen Kunst. Diese sind erstlich: Darstellung der leidenden Natur; zweitens: Darstellung der moralischen Selbständigkeit im Leiden.

Einzelnachweise

  1. »Wider diese Auflösung des Begriffs vom Dynamischerhabenen«, sagt Kant, »scheint zu streiten, daß wir Gott im Ungewitter, Erdbeben usf. als eine zürnende Macht und dennoch als erhaben vorzustellen pflegen, wobei es von unsrer Seite Torheit sowohl als Frevel sein würde, uns eine Überlegenheit des Gemüts über die Wirkungen einer solchen Macht einzubilden. Hier scheint kein Gefühl der Erhabenheit unsrer eignen Natur, sondern vielmehr Niedergeschlagenheit und Unterwerfung die Gemütsstimmung zu sein, die sich für die Erscheinung eines solchen Gegenstandes schickt. In der Religion überhaupt scheint Niederwerfen Anbetung mit zerknirschten, angstvollen Gebärden das einzig schickliche Benehmen in Gegenwart der Gottheit zu sein, welches daher auch die meisten Völker angenommen haben. Aber«, fahrt er fort, »diese Gemütsstimmung ist mit der Idee der Erhabenheit einer Religion bei weitem nicht so notwendig verbunden. Der Mensch, der sich seiner Schuld bewußt ist und also Ursache hat, sich zu fürchten, ist in gar keiner Gemütsstimmung, um die göttliche Größe zu bewundern- nur alsdann, wenn sein Gewissen rein ist, dienen jene Wirkungen der göttlichen Macht dazu, ihm eine erhabene Idee von der Gottheit zu geben, sofern er durch das Gefühl seiner eigenen erhabenen Gesinnung über die Frucht Vor den Wirkungen dieser Macht erhoben wird. Er hat Ehrfurcht, nicht Furcht vor der Gottheit, da hingegen die Superstition bloße Furcht und Angst vor der Gottheit fühlt, ohne sie hochzuschätzen, woraus nie eine Religion des guten Wandels, bloß Gunstbewerbung und Einschmeichlung entstehen kann.« Kants »Kritik der ästhetischen Urteilskraft«, Analytik des Erhabenen.