Carl Orff

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Carl Orff (1956)
Carl Orff um 1970

Carl Orff (* 10. Juli 1895 in München; † 29. März 1982 ebenda) war ein deutscher Komponist und Musikpädagoge. Sein bekanntestes Werk ist die szenische Kantate Carmina Burana, die zu einem der populärsten Chorwerke des 20. Jahrhunderts wurde. Am 10. Juli 1990, dem 95. Geburtstag des Komponisten, fand in einem offiziellen Staatsakt im Max-Joseph-Saal der Münchner Residenz die feierliche Eröffnung des Orff-Zentrums München[1] durch den damaligen Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus, Wissenschaft und Kunst, Dr. h. c. Hans Zehetmair, sowie Frau Liselotte Orff und die Carl-Orff-Stiftung statt. Die Presse titelte anlässlich der Eröffnung »Ein Haus für die Musik« und »Die Studenten sollen hier forschen«.

Leben

Carl Orff, 1895 in der Maillingerstraße 16 (heute: Hausnr. 30[2]) im Münchener Stadtteil Neuhausen geboren,[3] war der Sohn eines Berufsoffiziers und erhielt ab 1900 Klavier-, Cello- und Orgelunterricht. In diesem Jahr erschien auch seine erste Komposition. Frühe Erfahrung im Musizieren in der Gruppe sammelte er als Schüler des Wittelsbacher-Gymnasiums, wo er das Schulorchester auf der Orgel, dem Klavier oder Harmonium begleitete und im Schulchor Solopartien als Sopran übernahm. Außerdem sang er sonntags im Kirchenchor, und zuhause, von seiner Mutter am Klavier begleitet, Opernpartien nach Klavierauszügen. Mit 14 Jahren war er nach dem Besuch der Oper Der Fliegende Holländer von Richard Wagner tagelang so erregt, dass er diese bald darauf mit einem Klavierauszug ausgestattet erneut besuchen musste, um wieder ansprechbar zu werden.[4]

Nachdem Carl Orff 1911 unter anderem Gedichte von Hölderlin und Heine für Gesang und Klavier vertont hatte, studierte er von 1913 bis 1914 an der Königlichen Akademie der Tonkunst in München und widmete sich daneben der Musikpädagogik. Nach kurzem Kriegsdienst 1917/18[5] war er bis 1919 Kapellmeister in München, Mannheim und Darmstadt. Orff studierte 1921 und 1922 in München bei Heinrich Kaminski. 1924 gründete er gemeinsam mit Dorothee Günther die „Günther-Schule München – Ausbildungsstätte vom Bund für freie und angewandte Bewegung e. V.“, die in den Bereichen Gymnastik, Rhythmik, Musik und Tanz ausbildete. Carl Orff selbst übernahm dort die Leitung der Musikabteilung. Grundlage seiner Arbeit bildete die Idee, das musikalisch-rhythmische Gefühl aus der Bewegung heraus zu entwickeln. Aus dieser Idee entwickelte er gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Gunild Keetman ein neues Modell für Musik- und Bewegungserziehung: das Orff-Schulwerk. Erste Veröffentlichungen hierzu erfolgten zwischen 1930 und 1934.

Verhältnis zum NS-Staat

Carl Orffs Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus ist in den letzten Jahren verstärkt in die Diskussion gekommen, besonders durch die Veröffentlichungen des kanadischen Historikers Michael H. Kater.[6][7] Es ergibt sich das Bild eines unpolitischen und auch nicht an Politik interessierten Komponisten, der es dennoch verstand, sich mit den Machthabern zu arrangieren, um ungehindert seinen künstlerischen Weg gehen zu können, und der es genoss, als bedeutender deutscher Komponist seiner Zeit hofiert zu werden.

Orff nahm zwei Aufträge der Machthaber an: Sein Einzug und Reigen der Kinder wurde zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin aufgeführt. Im Auftrag der Stadt Frankfurt überarbeitete er 1939 sein Bühnenwerk zu Shakespeares Ein Sommernachtstraum, dessen erste Fassung 1917 erschienen war und das nun als Ersatz für die Sommernachtstraum-Musik des als jüdisch geächteten Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy dienen sollte. 1944, in der Endphase des Zweiten Weltkriegs, wurde Orff von Hitler auf der „Gottbegnadeten-Liste“ genannt,[8] wodurch er vom Wehrmachts- und Arbeitseinsatz an der Heimatfront freigestellt war, nicht zuletzt wegen des aus der Sicht der Machthaber unbedingt schützenswerten „deutschen Kulturerbes“.

Orff war ein persönlicher Freund von Kurt Huber, einem der Gründer der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, der für sein Engagement 1943 hingerichtet wurde. Nach dem Ende des Nationalsozialismus soll Orff versucht haben, nachträglich einen Vorteil aus dieser Freundschaft zu schlagen, indem er gegenüber der Entnazifizierungskommission laut Michael Kater behauptet haben soll, selbst Mitglied der „Weißen Rose“ gewesen zu sein, was nicht der Fall war. Für diese Behauptung finden sich allerdings keine Belege in den Akten des Entnazifizierungsverfahrens, was der Wiener Historiker Oliver Rathkolb als Widerlegung von Katers These wertet.[9] Nach Rücksprache mit seinem ihm zugeteilten amerikanischen Offizier und ehemaligen Schüler, Newell Jenkins, wurde Orff als Mitläufer eingestuft. Er durfte seinen Beruf wieder ausüben. In einem Interview mit Michael Kater vom 3. März 1993 sagte Jenkins, Orff habe behauptet, eine Jugendgruppe mit Huber gegründet zu haben (they had „founded some kind of youth group“ together).[10]

Weitere Tätigkeiten

Für die Olympischen Spiele von Berlin 1936 komponierte er das Stück Einzug und Reigen der Kinder. Das wiederholte er auch bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München. Hier komponierte er den Gruß der Jugend. Mit Gunild Keetman gab er von 1950 bis 1954 fünf Bände Musik für Kinder heraus (Neufassung des Orff-Schulwerks). Die Kinder sollten durch eine musikalische Erziehung auch zu sich selbst finden. So werden seine Lehren auch in der Heilpädagogik bis heute eingesetzt.

Sein bekanntestes Werk wurden die Carmina Burana, ein Musikstück, das 24 Texte aus der mittelalterlichen Handschrift Carmina Burana neu vertonte. Auf literarische Vorlagen (insbesondere von Aischylos, Catull, Friedrich Hölderlin und den Brüdern Grimm) griff er auch bei anderen Werken zurück.

Neben seiner kompositorischen Arbeit übernahm er auch Führungspositionen in verschiedenen musikalischen Einrichtungen. Er war von 1950 bis 1960 Leiter einer Meisterklasse an der Musikhochschule in München. 1961 folgte die Leitung des Orff-Instituts in Salzburg. Ab 1962 war Wilhelm Keller dessen Leiter; zusammen mit dem niederländischen Musiker und Musikpädagogen Pierre van Hauwe gehört er zu den größten Förderern des Orffschen Schulwerkes in Europa.

Privatleben

Carl Orff war viermal verheiratet, von 1920 bis 1927 mit Alice Solscher, von 1939 bis 1953 in zweiter Ehe mit der Musik-Therapeutin Gertrud Willert, von 1954 bis 1959 in dritter Ehe mit der Schriftstellerin und Pädagogin Luise Rinser und ab 1960 in vierter Ehe mit Liselotte Schmitz (1930–2012).[11] Orff hatte eine Tochter aus erster Ehe, die Schauspielerin Godela Büchtemann-Orff (1921–2013).

Grab Carl Orffs in der „Schmerzhaften Kapelle“ der Klosterkirche Andechs mit Wandtafel und Bodenplatte

Orff starb nach langer Krankheit am 29. März 1982 in München. Der von Abt Odilo Lechner geleitete Trauergottesdienst fand am 2. April in der Theatinerkirche statt, den musikalischen Rahmen bildete Mozarts Requiem. Am 3. April wurde Orff, seinem Wunsch entsprechend, im engsten Familien- und Freundeskreis in der „Schmerzhaften Kapelle“ der Klosterkirche Andechs beigesetzt.[12] Für einen Nichtadligen und Nichtgeistlichen ist das eine ungewöhnliche Ehre. Seine Asche liegt unter einer Platte mit seinem Namen und einem Kreuz. Die Inschrift auf der Wandtafel über dem Grab lautet „Summus finis“ (lat. „das höchste Ziel“).

Werke

Bühnenwerke

Andere Werke

  • Orff-Schulwerk: Musik für Kinder (zusammen mit Gunild Keetman; 1930–1935, Neufassung 1950–1954)
  • Kantaten
  • Bearbeitungen
    • Lamenti nach Claudio Monteverdi:
      • Orpheus (1924; Neufassung 1939)
      • Klage der Ariadne (1925, Neufassung 1940)
      • Tanz der Spröden (1925, Neufassung 1940)
    • Entrata für Orchester, nach „The Bells“ von William Byrd (1928, Neufassung 1941)
  • Die Weihnachtsgeschichte (1948), Text von Carl Orff, Musik von Gunild Keetman

Siehe auch

Literatur

  • Nicole Coppey: Carl Orffs Pädagogik. In: Schweizer Musikzeitung. Nr. 9, September 2011.
  • Frohmut Dangel-Hofmann: Orff, Carl. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, S. 588–591 (Digitalisat).
  • Frohmut Dangel-Hofmann, Carl Orff ─ Michel Hofmann. Briefe zur Entstehung der Carmina burana. Hans Schneider, Tutzing 1990, ISBN 3-7952-0639-1.
  • Bernd Edelmann: Carl Orff. In: Katharina Weigand (Hrsg.): Große Gestalten der bayerischen Geschichte. Herbert Utz Verlag, München 2011, ISBN 978-3-8316-0949-9.
  • Alberto Fassone: Carl Orff. Libreria Musicale Italiana, Lucca 1994. (2. erweiterte Auflage. Lucca 2009, ISBN 978-88-7096-580-3)
  • Lilo Gersdorf: Carl Orff. Reinbek, Rowohlt 2002, ISBN 3-499-50293-3.
  • Michael H. Kater: Carl Orff im Dritten Reich. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 43, 1 (Januar 1995), S. 1–35, ifz-muenchen.de (PDF).
  • Michael H. Kater: Komponisten im Nationalsozialismus: acht Porträts. Parthas, Berlin 2004, ISBN 3-936324-12-3.
  • Harald Kaufmann: Carl Orff als Schauspieler. In: Werner Grünzweig, Gottfried Krieger (Hrsg.): Von innen und außen. Schriften über Musik, Musikleben und Ästhetik. Wolke, Hofheim 1993, S. 35–40.
  • Michael Kugler (Hrsg.): Elementarer Tanz – Elementare Musik: Die Günther-Schule München 1924 bis 1944. Mainz u. a. 2002, ISBN 3-7957-0449-9.
  • Horst Leuchtmann (Hrsg.): Carl Orff. Ein Gedenkbuch, Hans Schneider, Tutzing 1985, ISBN 3-7952-0451-8.
  • Andreas Liess: Carl Orff. Idee und Werk. Neubearbeitete Auflage. Goldmann, München 1980, ISBN 3-442-33038-6.
  • Hans Maier: Carl Orff in seiner Zeit. Schott, Mainz 1995. Abgedruckt in: ders.: Cäcilia. Essays zur Musik. Insel, Frankfurt am Main/ Leipzig 2005, ISBN 3-458-17276-9.
  • Kurt Malisch: Orff, Carl. In: Karl Bosl (Hrsg.): Bosls bayerische Biographie. Pustet, Regensburg 1983, ISBN 3-7917-0792-2, S. 130 (Digitalisat).
  • Pietro Massa: Carl Orffs Antikendramen und die Hölderlin-Rezeption im Deutschland der Nachkriegszeit. Peter Lang, Bern/ Frankfurt/ New York 2006, ISBN 3-631-55143-6.
  • Carl Orff und sein Werk. Dokumentation. 8 Bände. Schneider, Tutzing 1975–1983, ISBN 3-7952-0154-3, ISBN 3-7952-0162-4, ISBN 3-7952-0202-7, ISBN 3-7952-0257-4, ISBN 3-7952-0294-9, ISBN 3-7952-0308-2, ISBN 3-7952-0308-2, ISBN 3-7952-0373-2.
  • Godela Orff: Mein Vater und ich. Piper, München 1995, ISBN 3-492-18332-8.
  • Thomas Rösch: Die Musik in den griechischen Tragödien von Carl Orff. Hans Schneider, Tutzing 2003, ISBN 3-7952-0976-5.
  • Thomas Rösch: Carl Orff ─ Musik zu Skakespeares "Ein Sommernachtstraum". Entstehung und Deutung. Orff-Zentrum, München 2009.
  • Thomas Rösch (Hrsg.): Text, Musik, Szene ─ Das Musiktheater von Carl Orff. Symposium Orff-Zentrum München 2007. Schott, Mainz 2015, ISBN 978-3-7957-0672-2.
  •  Jürgen Schläder: Carl Orff. In: Wie man wird, was man ist. Die Bayerische Staatsoper vor und nach 1945. Henschel, Leipzig 2017, ISBN 978-3-89487-796-5, S. 283–296.
  • Reinhard Schulz: Alter Schnee? In: nmz. 3, 1999.
  • Werner Thomas: Carl Orff, De temporum fine comoedia. Das Spiel vom Ende der Zeiten. Vigilia, Hans Schneider, Tutzing 1973, ISBN 3-7952-0132-2.
  • Werner Thomas: Das Rad der Fortuna ─ Ausgewählte Aufsätze zu Werk und Wirkung Carl Orffs. Schott, Mainz 1990, ISBN 3-7957-0209-7.
  • Werner Thomas: Orffs Märchenstücke. Der Mond ─ Die Kluge. Schott, Mainz 1994, ISBN 3-7957-0266-6.
  • Werner Thomas: Dem unbekannten Gott. Ein nicht ausgeführtes Chorwerk von Carl Orff. Schott, Mainz 1997, ISBN 3-7957-0323-9.

Weblinks

Commons: Carl Orff - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
Aufnahmem

Einzelnachweise

  1. Orff-Zentrum München
  2. Gedenktafel Carl Orff, Stadtportal München, abgerufen am 26. Oktober 2017.
  3. Christian Lankes, Wolfram Funk: München als Garnison im 19. Jahrhundert: die Haupt- und Residenzstadt als Standort der Bayerischen Armee von Kurfürst Max IV. Joseph bis zur Jahrhundertwende. Mittler, Berlin 1993, ISBN 3-8132-0401-4, S. 503 (eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  4. Ulrich Rühle: Die Jugend großer Komponisten: Wie sie wurden, was sie waren. dtv junior, München 1983, ISBN 3-423-70011-4.
  5. Bayerisches Hauptstaatsarchiv IV, Kriegsstammrolle Nr. 13657 (1. Feldartillerieregiment / II. Ersatzabteilung)
  6. Michael H. Kater: Komponisten im Nationalsozialismus: acht Porträts. Parthas, Berlin 2004, ISBN 3-936324-12-3.
  7. Michael H. Kater: Carl Orff im Dritten Reich. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Heft 1, 1995, S. 1–35.
  8. Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 443.
  9. War Orff Mitglied der „Weißen Rose“? klassik.com, 11. Februar 1999.
  10. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 1, 1995, S. 1–35.
  11. Zusammenstellung der Lebensdaten durch die Carl-Orff-Stiftung.
  12. Orff-Schulwerk-Informationen, Heft Nr. 29, Mai 1982 (PDF; 3,7 MB) abgerufen 11. Januar 2013.
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