Co-Abhängigkeit

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Co-Abhängigkeit bezeichnet ein sozialmedizinisches Konzept, nach dem manche Bezugspersonen eines Suchtkranken (beispielsweise als Co-Alkoholiker) dessen Sucht durch ihr Tun oder Unterlassen zusätzlich fördern oder selber darunter in besonderer Form leiden. Ihr Verhalten enthält seinerseits Sucht-Aspekte. [1]

Co-Abhängigkeit bezeichnet darüber hinaus auch ein Verhalten von Menschen mit einer Beziehungsstörung, bei der sie sich ganz allgemein von anderen Menschen abhängig machen, unabhängig von einem bestimmten Menschen oder von einem süchtigen Menschen. In Selbsthilfegruppen für Anonyme Co-Abhängige (CoDA) tauschen Betroffene ihre Erfahrungen aus und lernen, sich verantwortlich um ihr eigenes Leben zu kümmern.

Es ist umstritten, ob Co-Abhängigkeit als abhängige oder gemischte Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60) eingestuft werden kann. Nicht jedes co-abhängige Verhalten ist pathologisch.[2]

Verhaltensformen in Bezug auf Süchtige

Beispiele für Co-Abhängigkeit sind Arbeitskollegen, welche die trunkenheitsbedingten Minderleistungen eines Kollegen vertuschen und kompensieren, Familienangehörige, die den Suchtmittelkonsum finanzieren oder den Süchtigen beim Arbeitgeber krankmelden, Freunde, die den Konsum beispielsweise bei gemeinsamen Feiern legitimieren, oder Ärzte, die suchtbildende Medikamente ohne korrekte Indikation verordnen. Sie machen sich sozusagen zum Komplizen des Abhängigen. Co-abhängiges Verhalten reduziert den Leidensdruck des Suchtkranken und verlängert so seine Krankheits- und Leidensdauer.

Eine Co-Abhängigkeit kann in drei Phasen verlaufen:

  1. In der Beschützerphase erfährt der Suchtkranke besondere Zuwendung und Mitgefühl in der Hoffnung, er könne seine Sucht aus eigener Kraft überwinden.
  2. In der Kontrollphase übernehmen die Bezugspersonen die Aufgaben und Probleme des Süchtigen, wodurch sie die Sucht gegenüber dritten Personen verdecken.
  3. Die Anklagephase ist durch zunehmende Aggression und Verachtung dem Kranken gegenüber geprägt. Am Ende kann eine vollständige Hilflosigkeit der Co-Abhängigen entstehen.[3]

Sucht- und Helferrolle

Abhängige verhalten sich typischerweise manipulativ. Zum Wesen einer ausgebildeten Sucht gehört es, dass der Süchtige alles tut, um seine Sucht weiter ausleben zu können. Gelingt dies nicht ohne Hilfe Dritter, z. B. weil die finanziellen Mittel nicht genügen, wird der Süchtige teils bewusst, teils unbewusst Hilfe Dritter in Anspruch nehmen, und verstrickt dabei andere in co-abhängiges Verhalten.

Der Co-Abhängige hat dabei eigene Motive. Indem er sich um den Süchtigen kümmert, vermeidet er gleichzeitig, sich um sein eigenes Leben zu kümmern. Co-Abhängiges Verhalten ist psychoanalytisch gesehen eine Form der Abwehr eigener ängstigender Bedürfnisse und Gefühle. Das Helfersyndrom ist eine besonders ausgeprägte Form dieser Abwehr. Co-Abhängige machen den Abhängigen oft zum Mittelpunkt ihres Lebens. Sie erfahren dafür teilweise zunächst die Anerkennung ihrer Umgebung. Sie nehmen die Helferrolle ein bis zur völligen Selbstverleugnung. So kommt es z. B. zur finanziellen Überschuldung bei dem Versuch, einem Heroinsüchtigen zu helfen. Als Folge solcher Co-Abhängigkeit können die Kinder leiden, beispielsweise durch mangelnde Zuwendung, oder die eigene Arbeitsfähigkeit im Beruf. Nach einer Trennung sucht sich der Co-Abhängige oft wiederum einen Süchtigen als neuen Partner, bei dem er seine eigene Co-Abhängigkeit wieder als vertrautes Abwehrmuster nutzen kann.

Co-Abhängige können gleichzeitig mit dem Wunsch zu helfen, auch Wut oder andere als schwierig erlebte Gefühle in Bezug auf den Abhängigen empfinden und schwere Auseinandersetzungen führen, z. B. um die Menge des Alkoholkonsums. Für Kinder in solchen Beziehungen ist es schwierig, soziale Kompetenzen zu erwerben – z. B. die Beurteilung, wann und wie auf einen Anlass adäquat zu reagieren ist. Diese soziale Unsicherheit wird als Negativfaktor für das Risiko später entstehender Suchterkrankungen bei den betroffenen Kindern im Erwachsenenalter gesehen. Jedoch sollten auch biologische Prädispositionen und das allgemeine soziale Umfeld bei solchen Schlussfolgerungen nicht außer Acht gelassen werden.[4]

Therapie

Erfolgversprechende Suchttherapie setzt meistens voraus oder geht damit einher, dass Angehörige in der Lage sind, ihre eigene Co-Abhängigkeit aufzulösen. Bei der Behandlung von Abhängigen ist es deshalb sinnvoll, auch deren Bezugspersonen (Partner, Familienangehörige, Arbeitskollegen etc.) mit in die Therapie einzubeziehen. In einem ersten Schritt geht es darum, einerseits dem Abhängigen Wege aus der Sucht in Kooperation mit seinem (noch) intakten sozialen Umfeld zu zeigen. Das typische Suchtverhalten, die Sucht „um jeden Preis“, auch um den Preis der bewussten Schädigung der Menschen aus dem nahen sozialen Umfeld, aufrechtzuerhalten, soll durchbrochen werden. Andererseits geht es darum, den Angehörigen zu zeigen, wie sie den Abhängigen dabei in einer für ihn und für sich selbst gesunden Weise unterstützen können. Zentral für die Angehörigen ist das Entwickeln der Bereitschaft, sich vom Suchtverhalten klar abzugrenzen. Ziel der Abgrenzung ist es dabei einerseits, dem Co-Abhängigen zu helfen, sein eigenes Leben von der eigentlichen Sucht nur in einem bewusst in Kauf genommenen und also begrenzten Maße beeinträchtigen zu lassen. Andererseits soll die Abgrenzung gerade auch dazu dienen, dem Süchtigen aufzuzeigen, dass es für ihn keine Möglichkeit gibt, mit der Sucht zu leben. Oft kann erst durch die Aussichtslosigkeit, die Sucht aufgrund externer Hilfe relativ unbeschadet weiter auszuleben, der echte Wille geweckt werden, die Sucht zu überwinden. Daher gehören zu den Methoden einer effektiven Therapie von Süchtigem und Co-Abhängigem auch harte Maßnahmen wie Kontaktsperren, Kündigung des Arbeitsplatzes und sogar Scheidung.

In einem zweiten Schritt geht es darum, dem Angehörigen die Bedeutung von Co-Abhängigkeit aufzuzeigen und mit ihm zu prüfen, wieweit er davon betroffen ist. Dabei kann er erkennen, welchen Rolle er übernimmt und wodurch er die Abhängigkeit unterstützt. Und vor allem welchen Schaden er sich durch dieses Verhalten selber zufügt. Oft ist das der erste Schritt für die eigene Entwicklung. Selbsthilfegruppen bieten Hilfen für Angehörige und Partner an. Für Erwachsene gibt es Al-Anon und für Kinder Alateen. Gemeinsam mit anderen Co-Abhängigen lernt man, was die Co-Abhängigkeit für das eigene Leben bedeutet.

Falls der Angehörige co-abhängig ist, benötigt er meist therapeutische Hilfe.

Kritik am Konzept

Co-Abhängigkeit wird in der Suchtforschung kontrovers diskutiert. So wird unter anderem kritisiert, dass es viele einander widersprechende, unpräzise Begriffsdefinitionen gibt, und dass Angehörige, über das Attribut 'co-abhängig', oft völlig ungerechtfertigterweise, pauschal als Schuldige bzw. Täter diffamiert werden. Uhl und Puhm[5] beispielsweise beschreiben in ihrem Artikel, dass, sobald man alle „Irrationalitäten, Widersprüchlichkeiten und Absurditäten“ aus der Definition ausschließt, die Co-Abhängigkeit zum Synonym für suchtförderndes Verhalten wird. Somit wäre es zweckmäßiger, in begründeten Fällen davon zu sprechen, als einen ungenauen und stigmatisierenden Terminus wie Co-Abhängigkeit zu verwenden.

Siehe auch

Literatur

  • Monika Rennert: Co-Abhängigkeit. Was Sucht für die Familie bedeutet. Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgau 2012, ISBN 978-3-7841-2089-8.
  • Pia Mellody, Andrea Wells Miller, J. K. Miller: Verstrickt in die Probleme anderer. Über Entstehung und Auswirkung von Co-Abhängigkeit. Kösel, München 1991, ISBN 3-466-30309-5.
  • Reinhold Aßfalg: Die heimliche Unterstützung der Sucht: Co-Abhängigkeit. Neuland, Geesthacht 2005, ISBN 3-87581-251-4.
  • Melody Beattie: Mut zur Unabhängigkeit. Wege zur Selbstfindung und inneren Heilung. Das Zwölf-Schritte-Programm, Wilhelm Heyne Verlag, München, 1992, ISBN 3-453-07863-2.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jörg Fengler (Hrsg.): Handbuch der Suchtbehandlung. Hüthig Jehle Rehm, 2002, ISBN 3-609-51980-0, S. 100–105. (Google-Buchvorschau)
  2. Waltraud Hörauf: Alkohol in der Familie: Im Spannungsfeld von Co-Abhängigkeit und Resilienz. Akademische Verlagsgemeinschaft München AVM, 19. August 2016, ISBN 978-3-95477-065-6, S. 54.
  3. Holger Thiel, Markus Jensen, Siegfried Traxler: Psychiatrie für Pflegeberufe. Elsevier, Urban&Fischer, 2006, ISBN 3-437-26551-2, S. 160. (Google-Buchsuche)
  4. K. Raabe: Die Rolle des Partners in der Suchtberatung zwischen Co-Abhängigkeit und Unterstützung, GRIN Verlag, 2009 ISBN 3-640-28427-5 in Googlebooks
  5. Alfred Uhl, Alexandra Puhm: Co-Abhängigkeit – ein hilfreiches Konzept? In: Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 30, 13–20, 2007. ( PDF; 139 kB (Memento vom 2. Februar 2014 im Internet Archive) i Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft (bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis))


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Co-Abhängigkeit aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.