Geschmackssinn

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Der Geschmackssinn, auch als gustatorische Wahrnehmung bezeichnet, ist einer der zwölf physischen Sinne, von denen Rudolf Steiner in seiner Sinneslehre gesprochen hat. Was gemeinhin als Geschmacksempfindung bezeichnet wird, ist allerdings ein komplexes Zusammenspiel des eigentlichen Geschmackssinns und des Geruchssinns gemeinsam mit Tast- und Temperaturinformationen aus der Mundhöhle.

Der Geschmackssinn hängt eng mit der Verstandes- oder Gemütsseele und mit einer Wechselwirkung der Gefühle zusammen:

„Der Geschmackssinn wirkt in seiner Weise, weil in ihm der Ätherleib von der Verstandes- oder Gemütsseele bearbeitet wird. Diese ergießt die astralischen Strömungen durch das Geschmacksorgan nach außen und schickt sie den Substanzen auf der Zunge entgegen. - [...]

Wie beim Geruchssinn willensartig ist, was sich hinausergießt, ist das, was beim Geschmackssinn, der Nahrung entgegen, herausströmt, gefühlsartiger Natur, und auch das Hereinströmende ist gefühlsartiger Natur. Hier, beim Schmecken, gelangt also Gefühl mit Gefühl in Wechselwirkung. Alles andere daran ist bloß Maja, bloß äußeres Zeichen. Hier zeigt sich eine Gefühlswirkung als Sinn, nämlich das Schmecken wird als angenehm, unangenehm, widrig und so weiter empfunden. Allerdings nicht mit dem Gefühl selber hat man es da zu tun, sondern nur mit entsprechenden Wechselwirkungen von Gefühlen.“ (Lit.:GA 115, S. 42f)

Ästhetisch-moralischer Geschmack

„Wenn man heute vom Geschmack im Künstlerischen spricht und vom Geschmack bei der Gurke oder dem Kalbsbraten, so fühlt man nicht mehr die Notwendigkeit, welche die Menschen dazu veranlaßt hat, das eine und das andere mit dem Worte Geschmack zu belegen. Aber nehmen Sie die Tatsache, daß der Mensch, wenn er Bitteres genießt - dasjenige, was man im Speisen- oder Getränkegenuß bitter nennt, das ganz gewöhnliche materiell Bittere - , dann das Geschäft, für ihn die Empfindung des Bitteren zu besorgen, dem rückwärtigen Teil seiner Zunge und dem Gaumen auflegt, so daß also in dem Augenblicke, wo Bitteres von Ihrem Mund in Ihre Speiseröhre geht, und Sie das Erlebnis, das ganz materiell physische Erlebnis des Bitteren haben, bei dieser Angelegenheit Ihr Gaumen in Verbindung mit der Zunge und der hintere Teil der Zunge beschäftigt ist.

Nun können Sie auch Saures genießen, dasjenige, was Sie genießend in das Erlebnis des Sauren hineinbringt. Da legen Sie wiederum hauptsächlich Ihrem Zungenrand die Verpflichtung auf, für Sie die Empfindung des Sauren zu vermitteln; der ist beschäftigt, während Sie das Erlebnis des Sauren haben. Und haben Sie die Empfindung des Süßen, dann ist Ihre Zungenspitze vorzugsweise beschäftigt. So sehen wir also, wie das Verhältnis zur Außenwelt sich streng nach den Gesetzen des Organismus regelt. Wir können nicht mit der Zungenspitze irgendwie die Freundschaft so schließen, daß sie uns das Saure oder Bittere vermittelt; sie bleibt untätig beim Sauren oder Bitteren, sie hat schon einmal die charaktervolle Eigentümlichkeit, nur wenn wir etwas Süßes durch den Mund gehen lassen, tätig zu sein.

Nun übertragen wir wirklich nicht ohne Grund die Ausdrücke sauer, bitter, süß auf moralische Eindrücke. Wir sprechen sogar in sehr dezidierter Weise von dem Sauren, von dem Bitteren, von dem Süßen bei moralischen Eindrücken. Ich sage in dezidierter Weise aus dem Grunde, weil wir zum Beispiel beim anderen Menschen nicht durchweg veranlaßt sein werden, in seinen Worten, die er ausspricht, etwas Saures zu sehen. Wir sprechen aber schon bei seinem Mienenspiel aus einem ganz natürlichen Instinkt heraus von einem sauren Gesichte. Wir werden nicht leicht einen Satz sauer finden, aber ein Gesicht werden wir außerordentlich leicht sauer finden.

Nun, sehen Sie, dasjenige, was da bei einem Gesichte uns veranlaßt, es als sauer zu bezeichnen, das regt genau dieselben Gegenden dahinten, wo es schon gegen die Kehle zu geht, in der Zunge an, etwas geistiger, aber doch tätig zu sein, gerade so, wie wenn wir Essig verschlucken. Es ist eine innere Verwandtschaft, die instinktiv durchaus sich im Menschen geltend macht. Und das Unbewußte weiß in diesem Augenblicke ganz genau die Beziehung zwischen dem Essig und dem Gesichte. Der Essig aber hat die Eigentümlichkeit, daß er die mehr passiven kleinen Organe der Zunge für sich in Anspruch nimmt. Das Gesicht der «Tante» bei gewissen Gelegenheiten hat die Eigentümlichkeit, daß sie die mehr aktiven Teile derselben Gegend in Anspruch nimmt.“ (Lit.:GA 282, S. 224f)

Geschmacksrichtungen und die seelisch-geistige Entwicklung

Heinz Grill weist darauf hin, dass die verschiedenen Geschmacksrichtungen sehr wichtige und wesentliche Prozesse für die seelisch-geistige Entwicklung erwecken würden. Durch die Ernährung könnten die Sinne auf eine höhere Stufe entfaltet werden.[1]

In einer differenzierten Ausarbeitung dieses Grundgedankens unterscheidet er 6 charakteristische Geschmacksrichtungen:

Das Süße

„Das Süße enthebt das Bewusstsein auf feine Weise vom Körper und bringt es gleichzeitig in eine Interessensbereitschaft für verschiedene neue Fragen und auch für das irdische Leben. Die Welt will süß und geborgen erscheinen. Sie will vom menschlichen Ego ergriffen werden. Würde man dem Menschen das süße Erleben ganz entziehen, so würde er wohl an den immer nur gesalzenen Speisen mehr verhärten und nahezu zerbrechen. Das Süße öffnet ihn für das Interesse zur Welt, aber dieses Interesse nicht zu sehr in die egoistische und einseitige Verhaltensrolle entgleiten.

In jeder Pflanze und ganz besonders im Getreide befinden sich die süßen Kohlenhydrate. Sie sind im Getreide, in Karotten und auch anderen kohlenhydratreichen Gemüsesorten harmonisch und fein verteilt und nicht isoliert. Der weiße Kristallzucker aber ist ein isoliertes Produkt und er fördert nicht die soziale und gute Integrität des Menschen, sondern sein Streben nach einem Eigensinn und einer Antiliebe.“[1]

Das Bittere

„Die bitteren Speisen mit ihrem Amara-Geschmack sind im Gesamten und besonders in der depressiven Kondition für die Gesundheit förderlich und erregen die Aktivitätskraft des Leberstoffwechsels. Bei fast allen psychischen Erkrankungen, bei denen die Seele nicht mehr so recht In den Leibzusammenhang findet und bei denen allgemein die nervösen, beunruhigenden Tendenzen vorherrschen, geben leicht bittere Gewürze und auch Nahrungsmittel, wie beispielsweise der Hafer mit seiner milden Bittertendenz eine außerordentlich gute Grundlage. Das Bewusstsein möchte infolge der nervösen Unruhen wieder mehr den Leib ergreifen und meist bestehen in diesem nicht die ausreichenden Grundlagen, denn die Organe des Menschen sind fast immer zu einem gewissen Grade geschwächt. Bittere Gemüsesorten sind beispielsweise die Artischocke, Chicoree, ganz besonders die Löwenzahnblätter und verschiedene Wintersalate. Nicht unerwähnenswert ist auch die Brunnenkresse. Die bitteren Nahrungsmittel, die bereits auf die Sekretion und Enzymbildung anregend wirken und die gesamte Verdauungsleistung straffen, geben eine bessere Grundlage, um das Bewusstsein wieder in den Leib hineinfinden zu lassen. Diese Art Nahrung dynamisiert die Organe, ohne sie zu überdehnen und zu überlasten.“[2]

Das Herbe

„Die herbe oder adstringierende Geschmackrichtung liegt gewissermaßen zwischen den salzigen und bitteren Nahrungsmitteln und diese bewirkt eine sehr angenehme, formbildende Erkraftung gegenüber dem Körper. Alle herben Nahrungsmittel trocknen das Gewebe aus und ziehen den Säftefluss zusammen, sodass die Lymphtätigkeit mehr zur Erkraftung kommt. Sesam, Hibiskusblüte, Schlehe, Buchweizen und Quark wirken leicht herb und zusammenziehend. Ein sehr stark zusammenziehendes Mittel ist auch die Quitte.“[2]

Das Saure

„Wie wirkt die saure Komponente, der man nachsagt, sie mache den Menschen lustig? Es muss jemand nicht in die Zitrone beißen, um das saure Erleben einen Moment für sich auszukosten. In den Milchsäureprodukten wie Joghurt, Sauermilch oder Buttermilch befindet sich eine sehr harmonische, leicht säuerliche Komponente, die in milder Art das Verdauungssystem anregt und das Bewusstsein auf leichte Weise vom Körper erhebt. Allgemein wirkt das Saure lösend und entkrampfend auf das Bewusstsein und durchlichtet den Stoffwechsel. Es hilft, die Seelenkräfte voneinander zu gliedern, und gibt deshalb dem ganzen Gemüt eine beschwingte Anregung. Der typisch saure Zitronensaft wirkt heilend auf die gesamte Gemütslage des Menschen, die sich zu stark in Schweregefühlen und Depressionen verliert, denn er trägt ein Licht hinab in die dunklen Schattenseiten des Leibes.“[2]

Das Scharfe

„Das pikante und scharfe Würzen von Speisen, das vor allem in östlichen Ländern zur Vermeidung von Darmparasiten und zur Aktivierung des Temperaments bevorzugt wird, ist dem westlichen Bürger nicht sehr geheuer. Mit zu großen Gaben Pfeffer oder Chili sollte der Mensch auch vorsichtig sein, da er nur unnötig seine Schleimhäute überbeansprucht und das Nervensystem zur Unruhe reizt. Geringe Anregungen durch das scharfe Element sind jedoch für den Menschen, der sehr zu Melancholie neigt und in einen zu tiefen, einseitigen Innenbezug flüchtet, wertvoll denn die im Moment entflammende Wärmeanregung des Paprika kann beispielsweise das Bewusstsein mehr an die Peripherie locken. Hervorragende Nahrungsmittel, die nahezu den Standard eines Heilmittels aufweisen, sind die verschiedenen Zwiebelgewächse. Diese geben, ganz besonders wenn man an die weiße oder rote Zwiebel denkt, jeder Speise eine belebende, anregende und mild-scharfe Komponente. Der Knoblauch hingegen wäre durchaus kräftigend und gesund, aber er nimmt das Bewusstsein noch mehr als die Zwiebel durch seine schweflige und einhüllende Wirkung gefangen, sodass eine gewisse Dumpfheit durch zu viel Knoblauchgenuss entstehen kann. Zwiebeln jedoch, als Gewürz oder manchmal auch in feinen Scheiben auf das Brot gelegt, geben eine sinnvolle Anregung und lassen das Bewusstsein dennoch ausreichend frei von den aufsteigenden und einhüllenden Schwefelkräften. Sehr heilsam und gut ist auch die milde Schärfe der Ingwerwurzel. Dieses Gewürz gilt in Indien als eines der reinsten Produkte.“[3]

Das Salzige

„Das Salz ist ein erwähnenswertes Mineral, denn es fördert die konkrete Bildung des Gedankens und macht des Weiteren die Sinne wacher. Es fördert die Strukturierung und Formbildekraft im Bewusstsein. Die salzige Komponente wirkt auf das Verdauungssystem auf feine Weise zentrierend und bahnt die Bewegungen des Stoffwechsels. Es ist aber bei der Zubereitung der Nahrung grundsätzlich darauf zu achten, dass dem Körper keine überdurchschnittlich salzigen Speisen zugeführt werden. Das Salz sollte mehr den Geschmack jeder Speise emporheben, aber es sollte in keinster Weise dominieren. Es wäre günstig, wenn jede Form der Zubereitung so harmonisch wie möglich mit dem Salz abgestimmt wird, sodass der Einzelne keinen überdurchschnittlichen Durst nach dem Essen verspürt. Eine ungesalzene Speise besitzt in der Regel keine wirkliche Geschmacksintensität und dadurch kann sich der physische Leib weniger für die Nahrung interessieren. Eine Ausnahme hierzu bilden die Süßspeisen. Eine ganz geringfügige Menge Salz kann aber auch so manche Süßspeise im Geschmack anheben und sie dem Organismus seiner Sinnesfreude näher führen. Das Salz kann jedenfalls zur Harmonie jedes Gerichtes beitragen. Nicht zu viel und nicht zu wenig, sondern im genau bemessenen, geschmacklich wohlerwogenen Abgestimmtsein wird das Salz der Speise zugeführt.“[3]

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Heinz Grill: Ein neuer Yogawille und seine therapeutische Anwendung bei Ängsten und Depressionen. 2. Auflage. Lammers-Koll-Verlag, 2012, ISBN 978-3-941995-88-8, S. 184 f.
  2. 2,0 2,1 2,2 Heinz Grill: Ein neuer Yogawille und seine therapeutische Anwendung bei Ängsten und Depressionen. 2. Auflage. Lammers-Koll-Verlag, 2012, ISBN 978-3-941995-88-8, S. 185 f.
  3. 3,0 3,1 Heinz Grill: Ein neuer Yogawille und seine therapeutische Anwendung bei Ängsten und Depressionen. 2. Auflage. Lammers-Koll-Verlag, 2012, ISBN 978-3-941995-88-8, S. 187 f.
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.