Heinrich von Ofterdingen

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Miniatur des Sängerkriegs aus dem Codex Manesse, 14. Jahrhundert

Heinrich von Ofterdingen ist nach der Manessischen Liederhandschrift vom Beginn des 14. Jahrhunderts der historisch bisher nicht belegte[1] Gegenspieler Wolfram von Eschenbachs im Sängerkrieg auf der Wartburg. Im Wettstreit ruft ruft er den Zauberer Klingsor zur Hilfe. Heinrich von Ofterdingen ist auch die zentrale Figur des gleichnamigen, unvollendet gebliebenen Romans von Novalis, den dieser selbst als eine „Apotheose der Poesie“ bezeichnete. Aus diesem Roman stammt auch das für die Romantik zentral gewordene Symbol der „blauen Blume“.

Heinrich von Ofterdingen hat nach der Angabe Rudolf Steiners tatsächlich gelebt und wurde später als der Religionsphilosoph Gideon Spicker (1840-1912) wiedergeboren, der das lebende Vorbild des Doktor Strader in Rudolf Steiners Mysteriendramen war.

„Nun, wer war im Sängerkrieg auf der Wartburg? Es waren ja bedeutendste deutsche Dichter da vereinigt, die miteinander kämpften durch Gesang. Es ist ja bekannt, worinnen der Sängerkrieg auf der Wartburg bestand, wie da kämpften um den Ruhm von Fürsten und um ihre eigene Geltung Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Reinmar von Zweter, daß aber einer da war, der im Grunde gegen alle anderen war: Heinrich von Ofterdingen. Und in diesem Heinrich von Ofterdingen fand ich die Individualität, die dem Urbilde des Strader zugrunde lag, wieder.

Also haben wir es mit dem Heinrich von Ofterdingen zu tun — und wir müssen unsern Blick darauf wenden: Warum hat Heinrich von Ofterdingen, nachdem er durch die Pforte des Todes gegangen ist, die Schwierigkeit, wie im Dämmerzustand durchzugehen durch die Sternen weit? Warum?

Da braucht man nur die Geschichte des Sängerkrieges ein wenig zu verfolgen: Heinrich von Ofterdingen nimmt den Kampf auf gegen die andern. Man hat schon den Henker gerufen: er soll gehenkt werden, wenn er verliert. Er entzieht sich der Sache. Aber er ruft, um einen erneuerten Kampf herbeizuführen, aus dem Ungarlande den Zauberer Klingsor. Er bringt den Zauberer Klingsor aus dem Ungarlande ja wirklich nach Eisenach.

Nun spielt sich da eine neuere Art Wartburgkrieg ab, bei dem Klingsor mitwirkt. Man sieht aber ganz deutlich: Klingsor, der jetzt eintritt für Heinrich von Ofterdingen, der selber kämpfend, singend auftritt, kämpft nicht allein, sondern er läßt geistige Wesenheiten mitkämpfen. Und um geistige Wesenheiten mitkämpfen zu lassen, läßt er ja zum Beispiel einen Jüngling besessen sein von einer solchen geistigen Wesenheit, läßt den dann statt seiner singen. Und er läßt noch stärkere geistige Kräfte auf der Wartburg auftreten.

All dem, was da von Klingsors Seite kommt, all dem steht gegenüber Wolfram von Eschenbach. Eine Prozedur, die Klingsor ausführt, besteht ja namentlich darinnen, daß eine solche geistige Wesenheit dahinterkommen soll, ob Wolfram von Eschenbach ein gelehrter Mensch ist oder nicht. Klingsor ist etwas in die Enge getrieben durch Wolfram von Eschenbach. Denn als Wolfram von Eschenbach merkt, daß da Geistiges im Spiele ist, da singt er von dem heiligen Abendmahl, von der Transsubstantiation, von der Gegenwart Christi im Abendmahl, — und der Geist muß weichen, er kann das nicht vertragen. Hinter diesen Dingen liegen ja durchaus wirkliche Realitäten, wenn ich diese Tautologie gebrauchen darf.

Und es gelingt Klingsor, dem Wolfram von Eschenbach mit Hilfe mancher geistiger Wesenheiten zu beweisen, daß Wolfram von Eschenbach wohl ein Sternenloses Christentum hat, das nicht mehr mit dem Kosmos rechnende Christentum hat, aber ganz ungelehrt ist in aller kosmischen Weisheit. Darauf kommt es nun an. Klingsor hat bewiesen, daß der Sänger des Gral schon in jener Zeit nur alles das vom Christentum kennt, was das kosmische Christentum abgestreift hat. Und Klingsor kann ja nur dadurch in der geistig unterstützten Weise auftreten, daß er die Sternenweisheit hat. Aber schon aus der Art und Weise, wie er sie verwendet, sieht man, daß sich dasjenige, was man «schwarze Magie» nennt, in seine Künste hineinmischt.

Und so sehen wir denn, wie auf eine unrichtige Weise dem Sternen-Laien Wolfram von Eschenbach die Sternenweisheit entgegengestellt worden ist. Wir stehen in der Zeit des dreizehnten Jahrhunderts, vor dem Auftreten jener Dominikaner, von denen ich gesprochen habe; wir stehen in der Zeit, wo das Christentum gerade da, wo es besonders groß war, abgestreift hat alle Einsicht in die Sternenwelt und wo im Grunde genommen nur da, wo innerliche Entfremdung von dem Christentum war, noch Sternenweisheit vorhanden war, wie bei dem Klingsor aus dem Ungarlande.

Nun hatte Heinrich von Ofterdingen den Klingsor herbeigerufen, hatte also den Bund geschlossen mit der unchristlichen Sternen- Weisheit. Dadurch ist in einer gewissen Weise Heinrich von Ofterdingen verbunden geblieben nicht nur mit der Persönlichkeit des Klingsor, die später aus seinem übersinnlichen Leben eigentlich verschwunden ist, sondern namentlich verbunden geblieben zunächst mit der entchristeten Kosmologie des Mittelalters. Und so lebte er weiter zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, wird dann wiedergeboren in der Art, wie ich es Ihnen geschildert habe, lebt sich in eine gewisse Unsicherheit des Christentums hinein. Aber das Wesentliche ist dieses: Er stirbt wiederum, macht den Weg zurück, und indem er den Weg zurück macht in der Seelenwelt, steht er auf Schritt und Tritt der Notwendigkeit gegenüber, um wiederum an die Sternenwelt heranzukommen, durch den harten Kampf durchzugehen, den Michael bei Inanspruchnahme seiner Herrschaft führen mußte gerade im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts gegen jene dämonischen Gewalten, die mit der unchristlichen Kosmologie des Mittelalters zusammenhängen. Und um dieses Bild vollständig zu machen: Man konnte ganz genau sehen, wie unter denen, welche nun die Michael-Herrschaft hart bekämpften, gegen welche die Geister des Michael vorgehen mußten, gerade diejenigen geistigen Wesenheiten jetzt noch sind, welche dazumal auf der Wartburg von Klingsor beschworen worden sind, um gegen Wolfram von Eschenbach aufzutreten.

So daß also hier das vorliegt, daß jemand, der durch seine sonstigen karmischen Ergebnisse vorübergehend sogar in den Kapuzinerdienst hereingetrieben war, nicht herankommen konnte an das Christentum, nicht herankommen konnte aus dem Grunde, weil er in sich trug den Antagonismus gegen das Christentum, den er dazumal aufgebracht hatte, als er den Klingsor aus dem Ungarlande zu Hilfe gerufen hat gegen Wolfram von Eschenbach, den Sänger des Parsifal.“ (Lit.:GA 238, S. 115ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Zur Quellenlage über den „historischen“ Heinrich von Ofterdingen vgl. Peter Volk, „Von Ôsterrîch der herre mîn“. Zum Stand der Forschung zur Historizität Heinrichs von Ofterdingen, in: Wartburg-Jahrbuch 2000, hg. von der Wartburg-Stiftung, Regensburg (Schnell und Steiner) 2002, S. 48–133 (mit 15 Abbildungen).