Henry Corbin

Aus AnthroWiki

Henry Corbin (* 14. April 1903 in Paris; † 7. Oktober 1978 ebenda) war ein französischer Philosoph, Theologe und Professor für Islamische Studien an der Sorbonne in Paris.

Leben

Corbin wurde in Paris geboren. Als Jugendlicher entwickelte er ein starkes Interesse an Musik, das in seinem späteren Werk deutliche Spuren hinterließ. Obwohl Protestant, entwickelte er früh ein Interesse an der katholischen Tradition und erhielt im Alter von neunzehn Jahren ein Zertifikat in Scholastischer Philosophie am Katholischen Institut von Paris. Drei Jahre später beendete er sein Philosophiestudium bei dem renommierten Thomisten Étienne Gilson. Im Jahr 1928 stieß er auf Louis Massignon, Direktor der islamwissenschaftlichen Fakultät an der Sorbonne, der Corbin die Schriften des iranischen Mystikers und Philosophen Suhrawardi aus dem 12. Jahrhundert näherbrachte. Die Schriften dieses Denkers, dessen philosophische Wurzeln neben dem Islam im antiken Griechenland und in anderen prophetischen Religionen des Nahen Ostens liegen, entfalteten einen enormen Einfluss auf Corbins Leben und Werk.

Seine spirituelle Suche ging jedoch weit über die westliche Scholastik und die islamische Mystik hinaus. In den 1920er und den frühen 1930er Jahren befasste er sich eingehend mit evangelischer Theologie und verstand sich selbst als evangelischer Christ. Er studierte die deutsche theologische Tradition, lehrte Martin Luther, Søren Kierkegaard und Johann Georg Hamann und übersetzte die frühen Arbeiten Karl Barths ins Französische. Eine weitere Station war seine Begegnung mit Martin Heideggers phänomenologischer Arbeit Sein und Zeit in den frühen 1930er Jahren.

Im Jahr 1933 heiratete er Stella Leenhardt. 1939 reiste das Paar nach Istanbul, um Manuskripte zu einer kritischen Suhrawardi-Ausgabe von sammeln. Sie blieben dort bis zum Ende des Krieges. Im Jahr 1945 reisten die Corbins zum ersten Mal in den Iran, wo er eine einjährige Lehrtätigkeit an der Universität Teheran annahm. Corbin betrachtete den Iran bald als zweites Zuhause, das deutliche Spuren in seinem Denken hinterließ. 1949 besuchte Corbin erstmals eine der jährlichen Eranos-Tagungen im schweizerischen Ascona, wo er neben C. G. Jung, Mircea Eliade, Gershom Scholem, Adolf Portmann und anderen zu den wichtigsten Teilnehmern zählte. 1954 übernahm er Louis Massignons Professur für Islam und arabische Religionen. Seit den 1950er Jahren verbrachte seine Zeit abwechselnd in Teheran, Paris und Ascona. Bei seinen Aufenthalten in Teheran machte er die Bekanntschaft mit Allameh Tabatabai, mit dem ein reger intellektueller Austausch stattfand. [1]

Seine veröffentlichtes Werk umfasst mehr als 200 kritische Editionen, Übersetzungen, Bücher und Artikel. Seine letzte Schrift erschien im Juni 1978 mit dem Titel "Augen des Feuers: Die Wissenschaft der Gnosis". Er starb am 7. Oktober desselben Jahres im Alter von 75 Jahren in Paris.[2]

Werk

Corbin ist maßgeblich beteiligt an einem Paradigmenwechsel innerhalb der Studien der islamischen Philosophie. In seiner Histoire de la philosophie islamique (1964) widerlegt er die verbreitete Auffassung, dass die Philosophie unter den Muslimen nach Ibn Rushd zu einem Ende gekommen sei, und zeichnete stattdessen die lebendige philosophische Tätigkeit nach, die in der östlichen islamischen Welt - vor allem in Iran – fortging und bis in unsere Zeit anhält.[3]

Die Biografie und die Karriere Corbins können in drei Phasen unterteilt werden. In der ersten Phase in den 1920er und 1930er Jahren forschte er noch primär über westliche Philosophie. In der Zeit von 1939 bis 1946 studierte er die Werke Suhrawardis und die sogenannte Illuminationsphilosophie. Eine dritte Phase beginnt 1946 und war der Einführung in die östliche und islamische Philosophie gewidmet.[4]

Die drei Hauptwerke, auf denen sein Ruf weitgehend beruht, wurden in den 1950er Jahren auf Französisch veröffentlicht und sind Avicenna, Ibn Arabi und generell dem Sufismus gewidmet. Seine späteren Arbeiten zum zentralasiatischen und iranischen Sufismus erschienen auf Englisch mit einer Einführung von Zia Inayat Khan unter dem Titel „The Man of Light in Iranian Sufism“. Sein bis heute weder auf Deutsch noch auf Englisch vorliegendes Hauptwerk ist das vierbändige „En Islam iranien: Aspects spirituels et philosophiques“.[5]

Positionen

Zu den wichtigsten Positionen in Corbins Werk zählt die Verteidigung der Spiritualität und die Betonung der Vorstellungskraft als Mittel, um Zugang zu Gott und ein Verständnis für die Schöpfung zu erlangen. Als höchste Form der schöpferischen Fantasie betrachtete Corbin das Gebet. Als Gegenteil all dessen betrachtete er eine starke, buchstabentreue Textbezogenheit in Religionen. Corbin äußerte eine vehemente Kritik sowohl am Götzendienst, an Dogmatismus und an der Institutionalisierung von Religion, verbunden mit einer radikalen Bewertung der Lehre von der Menschwerdung Gottes. Er betrachtete sich selbst als protestantischer Christ, lehnte eine christozentrisches Geschichtsbild jedoch ab. Seine Vorstellung einer Theologie des Heiligen Geistes umfasst Judentum, Christentum und Islam als Manifestationen einer einzigen zusammenhängenden Geschichte der anhaltenden Beziehung zwischen dem Individuum und Gott. Er plädierte für die Anerkennung einer übergeordneten Einheit der abrahamitischen Religionen. Er war ein leidenschaftlicher Verteidiger der zentralen Rolle des Individuums als endgültiges Abbild des Göttlichen. Es ist die Verbindung zwischen der menschlichen Seele und dem Gesicht des himmlischen Zwillings, der einzigartig für jeden von uns erscheint und die ethische Bindung par excellence ist. Diese mystische Spiritualität hängt ab von der Fähigkeit der menschlichen Seele, ihren Weg in Richtung der Engel und somit der Perfektion zu finden. Der Status der Person ist nicht einfach ein Geschenk, das der Einzelne bei der Geburt erhält – es ist ein Ziel, das erreicht werden muss. Die wahre Reise unseres Lebens findet nach Corbin auf einer vertikalen Skala statt. Unser Fortschritt auf diesem Weg wird von unserer Fähigkeit zur Liebe und, damit verbunden, unserer Fähigkeit, Schönheit wahrnehmen, gemessen.[6] Corbins Mystik ist keine weltverneinende Askese, sondern betrachtet die gesamte Schöpfung als Theophanie, d. h. als eine Erscheinung des Göttlichen. Schönheit ist die höchste Theophanie, und die Liebe zu einem menschlichen Wesen von ebensolcher Schönheit ist kein Hindernis für unsere Vereinigung mit dem Göttlichen, sondern eine Schwelle der göttlichen Leidenschaft. Diese Vision hat viel gemeinsam mit dem, was als Schöpfungsspiritualität bekannt geworden ist, und die Figur des himmlischen Zwillings ähnelt dem Konzept des kosmischen Christus.[7]

Vermächtnis und Einfluss

Corbins Arbeit wurde von einer Reihe von Autoren aus einer Vielzahl von Gründen kritisiert. Kollegen wie Algar, Adams, Chittick, Walbridge & Ziai und Wasserstrom stellten seine wissenschaftliche Objektivität in Frage, die gelegentlich zugunsten seiner eigenen theologischen Voreingenommenheit für schiitische Sichtweisen suspendiert werde. Ihm wurde zugleich vorgeworfen, ahistorisch naiv und politisch reaktionär zu sein, seine spirituelle und politische Haltung wurde als elitär kritisiert. Des Weiteren attestierte man ihm eine Nähe zum iranischen Nationalismus. Corbins Ideen übten von Beginn an einen starken Einfluss auf verschiedene Autoren und Wissenschaftler aus. Dazu zählen an erster Stelle einige renommierte Gelehrte des Sufismus und des islamischen Denkens, wie Seyyed Hossein Nasr, William Chittick, Christian Jambet, Ali Amir-Moezzi, Hermann Landolt, Pierre Lory, James Cowan, James Morris und Todd Lawson. In England machten seine Schriften bei den Mitgliedern der Temenos Academy Schule. Corbin war eine wichtige Quelle für die archetypische Psychologie von James Hillman und andere, die die Psychologie C.G. Jungs weiterentwickelt haben. Der amerikanische Literaturkritiker Harold Bloom zitiert Corbin als bedeutenden Einfluss auf seine eigene Vorstellung von Gnosis. Freunde und Kollegen Corbins haben in Frankreich eine Gesellschaft für die Verbreitung seiner Arbeit durch Tagungen, Kolloquien und die Veröffentlichung seines schriftlichen Nachlasses (L'Association des Amis de Henry Corbin et Stella) ins Leben gerufen.[8]

Werke

  • Avicenna and the Visionary Recital. Princeton University Press, 1960
  • Histoire de la philosophie islamique, Collection idées No. 38, Gallimard, Paris 1964
  • Creative Imagination in the Sufism of Ibn 'Arabi. Princeton University Press, 1969. (Re-issued in 1998 as Alone with the Alone.)
  • En Islam Iranien: Aspects spirituels et philosophiques (4 vols.). Gallimard, 1971-3. (Zusammenfassung; PDF; 127 kB)
  • Spiritual Body & Celestial Earth: From Mazdean Iran to Shi'ite Iran. Princeton University Press, 1977.
  • Le Paradoxe du Monothèisme. Ed. de l'Herne (Le Livre de Poche), 1981.
  • Cyclical Time & Ismaili Gnosis. KPI, 1983.
  • L'Homme et Son Ange: Initiation et Chevalerie Spirituelle. Fayard, 1983.
  • Face de Dieu, Face de l'homme: Hermeneutique et soufisme. Flammarion, 1983.
  • Temple and Contemplation. KPI, 1986.
  • Die smaragdene Vision : der Licht-Mensch im persischen Sufismus (frz. Orig.: L’ homme de lumière dans le soufisme iranien). München: Diederichs, 1989

Siehe auch

Einzelnachweise


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Henry Corbin aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.