Imaginatio

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Die Imago oder Imaginatio (von lat. imago, „Bild“) legt sich wie ein zweiter Schleier vor die Wahrnehmung der geistigen Welt und ist durch den Ätherleib des Menschen bedingt. In diesem lebt ein Bild eines geistigen Vorgangs, durch den eine Körperbewegung herbeigeführt wird. Der erste Schleier, die «Aestimatio», entsteht durch das Interesse, das der Mensch der sinnlichen Außenwelt durch die Sinnesorgane seines physischen Leibes entgegenbringt. Ein dritter Schleier, die «Incantatio», ist durch den Astralleib bedingt.

In einer der Nachschriften[1] zu einer esoterischen Stunde, die Rudolf Steiner am 12. April 1908 in Berlin gehalten hat, heißt es:

"Die «Aestimatio» ist der erste Schleier, der das Ich von den geistigen Welten trennt. Der zweite Schleier, der das Ich von der geistigen Welt trennt - so wurde dem Schüler gesagt in allen Geheimschulen -, der wird sich dir zeigen, wenn du intim achten lernst auf dasjenige, was du als ganz gewöhnlicher Mensch gar nicht beachtest. Eine jede Bewegung, die der Mensch ausführt, wenn er zum Beispiel die Hand erhebt, das Bein vorstreckt, das sind Abbilder geistiger Bewegungen, das ist ein Abbild, ein Imago eines geistigen Vorgangs. Im Geistigen - dem jetzigen Menschen vollkommen unbewußt, da dies Geistige in den unterbewußten Tiefen seines Wesens lebt - ist zuerst diese Bewegung. Dann erst führt die Hand sie aus. Etwas anderes ist es mit den Reflexbewegungen. Wenn ich zum Beispiel die Augen schließe, weil eine Fliege dagegen anfliegt, so ist das eine Bewegung, die derselben Kraft entstammt, aus der zum Beispiel die Feldwicke sich um eine andere Pflanze schlingt. - Die «Imaginatio» des Menschen lebt sich aus in den körperlichen Bewegungen. Früher war das anders. Als der Mensch noch ganz in der geistigen Welt lebte, wirkte er auch so in dieser geistigen Welt, daß er andere Wesen durch seine «Imaginatio» beeinflussen konnte. In seinen Leib senkte er sich nur hinein, um in ihm zu ruhen in irgendeinem Winkel unseres Planeten. Seine eigentliche Wirksamkeit spielte sich ab in der geistigen Welt als «Imaginatio». Diese «Imaginatio» verwendet der Mensch jetzt darauf, sie als äußere Bewegung in die Körperlichkeit einfließen zu lassen. Dadurch zieht er den zweiten Schleier vor die geistige Welt." (Lit.: GA 266a, S. 367)

Durch geistige Schulung wird der erste Schleier der «Aestimatio» durchsichtig und führt den Geistesschüler zur Erkenntnis. Kann er dann auch die «Imago» zur Imagination verwandeln, durchdringt er auch den zweiten Schleier:

"Der Mensch würde nicht fähig sein, seine Hand zu erheben, wenn er sich das nicht in Gedanken bildlich vorstellen könnte, es imaginieren könnte. Wenn er seine Hand erhebt, so sind gleichzeitig vorhanden das Bild und die Handlung. Wenn er anfangt, sich Bilder vorzustellen, zu imaginieren, ohne eine Handlung auszuüben, das heißt, wenn er sein Bewußtsein mit dem vorgestellten Bilde verbindet, dann wird er die Kraft wiedergewinnen, geistige Dinge zu schauen; er wird dann das Astrale wieder sehen können. Diese Stufe heißt «Imago»." (Lit.: GA 266a, S. 364f)

"Diese inneren Erkenntnisfähigkeiten führen den Schüler nun weiter. Er hat gelernt, die Eindrücke der Außenwelt in einer von ihm selbst bestimmten Weise an sich herankommen zu lassen. Er legt allmählich ab den ersten Schleier, den das Ich zog vor die geistige Welt durch die «Aestimatio». Er erkennt auch dieses Ich als etwas, was über sich selbst herauswachsen muß. Er lernt unterscheiden sein eigenes Ich-Erleben von einem Ich-Erleben, das sich verbunden fühlt mit einem Rein-Menschlichen und der ganzen Menschheit, das sich empfindet als Teil der ganzen Menschheit. Er lernt den Mittelpunkt seines Ich-Erlebens zu verlegen in sein Inneres. Er hört auf die Stimme seines Innern. Die kann er nur hören durch die tiefe Ruhe, die er in sich geschaffen hat. Der Lärm des Alltags ist in ihm verstummt, er hat die Türe seiner Seele zugeschlossen vor ihm. Ruhe, tiefe Stille ist in ihm. Er ist allein mit seinen Gedanken so, wie er früher mit den Dingen im Raume zusammen war. Er lernt allmählich das innere Wesen all dieser Dinge zu verstehen. Er lernt verstehen, wie sie entstanden sind in ihrer Mannigfaltigkeit durch den schaffenden Ton der Gottheit, der in dem Gedankenstoff der Welt, der göttlichen Lichtweisheit des Mondes von außen hereintönte, formengebend, formenschaffend. Jede Form draußen tastet er sozusagen innerlich nach, er erlebt nach die schaffende kosmische Welt der Töne. Und es wird ihm die eigene innere Beweglichkeit ein Abbild jener schaffenden Götterkraft. So dringt er vor, den zweiten Schleier, den er sich wob vor die geistige Welt, zu zerschmelzen. - Die Imago verwandelt sich in seinem inneren Erleben zur «Imaginatio », das heißt zu der Fähigkeit, die lebendig-wesenhafte göttliche Schaffenskraft zu erkennen, die aus den Dingen draußen der Seele entgegentönt. Es erschließt sich ihm nach und nach ein innerer Ton, durch den ihm die Dinge ihren eigensten Namen sagen. Den hört er mit der Seele. Der Schüler dringt vor, den dritten Schleier umzuwandeln: die «Incantatio» wandelt er zur Inspiration. Dann wird der innere Ton zum inneren Wort. Dies innere Wort ist eine lebendige, sinnvolle Einsprechung aus geistigen Welten in die Seele des Schülers. Das sind lebendige Kräfte, die einfließen in die Seele aus der geistigen Welt, die ihm geistig etwas mitteilen." (Lit.: GA 266a, S. 370f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band I: 1904 – 1909, GA 266a (1995), ISBN 3-7274-2661-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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Einzelnachweise

  1. Die Nachschrift gibt den Inhalt nur sinngemäß, aber nicht den authentischen Wortlaut Rudolf Steiners wieder. Fehler bzw. Missdeutungen sind daher nicht auszuschließen!