Irrlichter

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Der Fährmann und die zwei Irrlichter; Illustration zu Goethes Märchen von Gustav Wolf (1922)

Irrlichter oder Irrwische (lat. ignis fatum, von ignis, „Feuer“ und fatum, „Schicksal,Verhängnis“), auch Sumpflichter genannt, sind seltsam anmutende, flackernd-bewegliche Lichterscheinungen, die nachts gelegentlich insbesondere in Sümpfen und Mooren zu sehen sind. Um sie ranken sich viele Sagen und Legenden. Sie gelten als Elementarwesen, die Wanderer in die Irre und oft auch in den Tod führen. Es gibt aber auch natürliche Erklärungsversuche für diese Lichterscheinungen, wie etwa Biolumineszenz-Effekte durch Pilze oder leuchtende Insekten oder selbstentzündende Faulgase.

Goethe verwendet die Irrlichter in seinem Faust und in seinem Märchen als Bild für den herumirrenden, nicht in die Tiefe des Seins vordringenden abstrakten Verstand. Dennoch ist auch dieses Wissen von Wert, wenn es, wie in Goethes Märchen geschildert, von der grünen Schlange verdaut und zum lebendigen Weisheitslicht verwandelt wird.

„Naturkräfte haben den Menschen hineingebracht durch die Geburt in die physische Welt. Will der Mensch während des Lebens zurück in die höheren Welten, so muß er das selber tun. Es gibt einen Weg zurück. Das Ich vermag Erkenntnisse zu sammeln. Erkenntnis hat immer als Sinnbild im Okkultismus das Gold. Gold und Weisheit - Erkenntnis - entsprechen sich. Das Gold der Erkenntnis, das was durch die Irrlichter repräsentiert wird, hat auch die niedere Menschlichkeit, die ein Irrlicht wird, wenn sie nicht den rechten Weg findet. Es gibt eine niedere Weisheit, die der Mensch sich erwirbt innerhalb der Sinneswelt, indem er die Dinge und die Wesenheiten dieser Sinneswelt beobachtet, sich Vorstellungen davon macht und sie durch sein Denken kombiniert. Das ist aber eine bloße Verstandes Weisheit. Die Irrlichter wollen den Fährmann bezahlen mit diesem Gold, das sie leicht aufnehmen und leicht wieder von sich schleudern. Aber der Fährmann weist es zurück. Verstandesweisheit befriedigt nicht die Natur, nur diejenige Gabe kann in der Natur wirken, die verbunden ist mit den lebendigen Kräften der Natur. Unreif empfangene Weisheit läßt den Fluß des Astralen aufschäumen, er nimmt sie nicht an, er weist sie zurück. Der Fährmann verlangt Früchte der Erde als Lohn. Die haben die Irrlichter noch nie genossen; die haben sie nicht. Sie haben nie danach gestrebt, in die Tiefen der Natur einzudringen, aber sie müssen dennoch der Natur ihren Tribut abzahlen. Sie müssen versprechen, die Forderung des Fährmanns demnächst zu befriedigen. Diese Forderung besteht in Früchten der Erde: drei Kohlhäupter, drei Artischocken und drei große Zwiebeln. Was sind diese Erdenfrüchte? Goethe nimmt diese Früchte, welche Schalen haben, die die menschlichen Hüllen vorstellen.

Der Mensch hat seine drei Hüllen, seine drei Körper: den physischen Körper, den ätherischen Körper und den astralischen Körper. Innerhalb dieser Hüllen lebt der Wesenskern des Menschen, sein Selbst. In diesen Körpern, die es wie Schalen umgeben, hat das Selbst zu sammeln die Früchte einer Inkarnation nach der anderen. Erdenfrüchte sind es, die es sammeln muß. Nicht bestehen diese Früchte aus Verstandeswissen. Der Fährmann verlangt diese drei schalenförmigen Körper als Abgabe an die Natur. Goethe hat diese Lehre in feiner Weise in sein Märchen hineingeheimnißt.“ (Lit.:GA 53, S. 342f)

„Diese Seelenverfassung, die durch Unproduktivität und Abstraktheit gekennzeichnet ist, wird uns in den Irrlichtern repräsentiert. Sie nehmen das Gold auf, wo sie es finden; sie sind frei von aller Erfindungsgabe, sind unproduktiv, können keine Ideen fassen. Diesen Ideen stehen sie fremd gegenüber. Sie haben nicht den Willen, sich selbstlos den Dingen hinzugeben, an die Tatsachen sich zu halten und Begriffe nur soweit zu benutzen, als sie Dolmetscher für die Tatsachen sind. Ihnen kommt es darauf an, ihren Verstand mit Begriffen vollzupfropfen und diese dann wieder in verschwenderischer Weise fortzugeben. Sie gleichen einem Menschen, der sich in Bibliotheken setzt, die Weisheit da sammelt, in sich aufnimmt und wieder in entsprechender Weise von sich gibt. Diese Irrlichter sind charakteristisch für dasjenige Seelenvermögen, das niemals imstande ist, einen einzigen literarischen Gedanken oder Empfindungsgehalt zu fassen, das aber sehr wohl das, was einmal da ist als Literaturgeschichte, das, was produktive Geister geleistet haben, in schöne Formen zu fassen vermag. Es soll hier nichts gegen dieses Seelenvermögen gesprochen werden. Hätte der Mensch dieses Seelenvermögen nicht oder pflegte er es nicht, wenn es ihm m zu geringem Maße zuteil geworden ist, so würde ihm etwas fehlen, was in bezug auf die wirkliche Erkenntnisfähigkeit notwendig vorhanden sein muß. Goethe stellt durch das Bild der Irrlichter, durch die ganzen Verhältnisse, in denen er sie auftreten und wirken läßt, die Art und Weise dar, wie ein solches Seelenvermögen im Verhältnis zu den anderen Seelenvermögen arbeitet, wie es schadet und nützt. Wahrhaftig, wenn jemand dieses Seelenvermögen nicht hätte und zu höheren Stufen der Erkenntnis aufsteigen wollte, dann würde nichts da sein, was ihm den Tempel aufschließen könnte. Goethe stellt ebenso die Vorzüge wie auf der anderen Seite die Nachteile dieses Seelenvermögens hin. Das, was in den Irrlichtern gegeben ist, stellt eben ein Seelenelement dar. In dem Augenblick, wo es nach der einen oder andern Seite hin ein selbständiges Leben führen will, wird es schädlich. Es wird aus dieser Abstraktheit ein kritisches Vermögen, das die Menschen so gestaltet, daß sie zwar alles lernen, sich aber nicht weiterentwickeln können, weil ihnen das produktive Element fehlt. Goethe zeigt aber ganz klar, inwiefern auch ein Wertvolles in dem ist, was in den Irrlichtern dargestellt wird. Das, was sie in sich haben, kann auch etwas Wertvolles werden: in der Schlange wird das Gold der Irrlichter zu etwas Wertvollem, insofern es die Gegenstände, welche um die Schlange herum sind, beleuchtet.“ (Lit.:GA 57, S. 69f)

Irrlichtelieren

Als Irrlichtelieren bezeichnet Rudolf Steiner häufig das ungelenkte, nicht willentlich geführte schwärmerische Schweifenlassen der Gedanken, das von jeder verlässlichen geistigen Erkenntnis abführt. Für den Geistesschüler ist daher eine strenge Gedankenkontrolle unerlässlich.

„Kontrolle der Gedankenwelt erreicht man, wenn man sich bemüht, dem Irrlichtelieren der Gedanken und Emp- findungen, die beim gewöhnlichen Menschen immer auf- und abwogen, entgegenzuarbeiten. Im alltäglichen Leben ist der Mensch nicht der Führer seiner Gedanken; sondern er wird von ihnen getrieben. Das kann natürlich auch gar nicht anders sein. Denn das Leben treibt den Menschen. Und er muß als ein Wirkender sich diesem Treiben des Lebens überlassen. Während des gewöhnlichen Lebens wird das gar nicht anders sein können. Will man aber in eine höhere Welt aufsteigen, so muß man sich wenigstens ganz kurze Zeiten aussondern, in denen man sich zum Herrn seiner Gedanken- und Empfindungswelt macht. Man stellt da einen Gedanken aus völliger innerer Freiheit in den Mittelpunkt seiner Seele, während sich sonst die Vorstellungen von außen aufdrängen. Dann versucht man alle aufsteigenden Gedanken und Gefühle fernzuhalten und nur das mit dem ersten Gedanken zu verbinden, von dem man selbst will, daß es dazu gehöre. Eine solche Übung wirkt wohltätig auf die Seele und dadurch auch auf den Leib. Sie bringt den letzteren in eine solche harmonische Verfassung, daß er sich schädlichen Einflüssen entzieht, wenn die Seele auch nicht unmittelbar auf ihn wirkt.“ (Lit.:GA 12, S. 30f)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.