Orbis sensualium pictus

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Einleitung des Orbis pictus

Der Orbis sensualium pictus (Die sichtbare Welt), oft auch als Orbis pictus bezeichnet, war vom 17. bis zum 19. Jahrhundert ein in Europa weit verbreitetes Jugend- und Schulbuch. Autor war der aus Mähren (damals unter der Böhmischen Krone) stammende Humanist Johann Amos Comenius, der dieses in seiner Zeit in Patak am Bodrog (heute Sárospatak in Ungarn) verfasste, wo er als Lehrer tätig war.[1] Das «kleine Büchlein», wie er es nannte, erschien erstmals 1653 in einer Ausgabe mit lateinischen Texten und mit Illustrationen von einem Druckstock aus Holzschnitten.[2] Im Jahr 1658 erschien im Verlagshaus von Michael Endter[1] in Nürnberg die erste Ausgabe, die um die deutsche Sprache erweitert war,[2] und die als 2. Auflage verlegt wurde.[3] Die deutsche Bearbeitung und Neukonzeption geht auf den Nürnberger Dichter und Schriftsteller Sigmund von Birken, aus dem Umfeld des Pegnesischen Blumenordens, zurück. In diesem Zusammenhang werden auch Georg Philipp Harsdörffer (Begründer des Blumenordens) und Samuel Hartlib genannt (Fijałkowski, S. 21[1]). Der Anteil von Comenius an der Illustration erscheint heute als unsicher, so soll diese ein anonymer Schneider in Nürnberg, vermutlich Paul Creutzberger, angefertigt haben, während Comenius sich zu gleicher Zeit in Lissa (heute Leszno) bzw. Amsterdam aufgehalten haben soll (Fijałkowski, S. 18; wobei dieser von der ersten lateinisch-deutschen Ausgabe 1658 als Erstausgabe ausgeht, S. 17[1]).

Rezeptionsgeschichte

Beschreibung

Auf 309 Seiten im Format 10 × 16,5 cm zuzüglich Vortrag (Vorwort) und Titel-Register (Stichwortverzeichnis) wird von Johann Amos Comenius in seinem Jugendbuch[4] die Welt von Gott bis zu den Insekten beschrieben und mit 150 Holzschnitten illustriert. Die meist doppelseitigen Artikel sind links mit je einer nummerierten Abbildung und rechts mit zweispaltigen Erläuterungen versehen: Bilingual ist der lateinische Text übersetzt der Sprache des Erscheinungslandes gegenübergestellt.[2][4]

Die einzelnen Artikel bewegen sich in einem Zyklus über den gesamten Kosmos, von Gott und der Welt, Himmel und Erde, über die Elemente, Pflanzen und Tiere hin zu den Menschen. Deren Handwerke und Berufe, Künste und Wissenschaften, Tugenden und Laster werden ebenso thematisiert wie Spiele, Politik, Kriege, Religionen und Strafen bis hin zum Jüngsten Gericht. Die Darstellung des Werkes endet im Beschluss mit der gleichen Illustration wie in der Einleitung.

Verbreitung und Einsatz in Schulen

Anlauttabelle mit Tierlauten

In der Erstfassung des zweisprachigen Orbis pictus von 1658 erfolgte die deutsche Bearbeitung durch den Nürnberger Dichter Sigmund von Birken, der damit den damaligen Wortschatz maßgeblich geprägt hatte. Durch die Zweisprachigkeit der Texte sei es „bei etwas Aufmerksamkeit“ möglich gewesen, „auf angenehme Weise auch Latein [zu] lernen“[4] und so wurde das Werk zu einem „Bilderbuch“, zur „Lateinfibel“ und zu einem „Lehrbuch für die deutsche Sprache in einem“.[2]

Da es im 17. und 18. Jahrhundert an gleichwertigen Alternativen fehlte und wegen seiner einfachen wie „genialen Grundkonzeption“ verbreitete sich der Orbis pictus sehr rasch in ganz Europa[2] und wurde dadurch über einen Zeitraum von mehr als 200 Jahren in beinahe 20 Sprachen übersetzt und bearbeitet. Es wurden an die 200 Auflagen herausgegeben.[1] Johann Wolfgang von Goethe hätte versichert, „dass es zu seiner Zeit das einzige Kinderbuch war“,[2] nach anderer Quelle

Es wurden jedoch nicht nur zweisprachige Ausgaben mit der Landessprache des jeweiligen Erscheinungslandes aufgelegt, es gab auch polyglotte Ausgaben,[5] wie die Stadt- und Landesbibliothek Potsdam eine aus dem Jahr. 1728 in ihrem Bestand hat. Diese wurde 70. Jahre nach der deutschen Erstausgabe aufgelegt, dennoch wurde keine Überarbeitung vorgenommen und auf den originalen Druckstock von 1658[6] zurückgegriffen, „da der Inhalt und die Aufmachung des Werkes […] zeitlos im Sinne einer von Gott gewollten Weltenordnung [erschien]“. Daran sei der durchschlagende Erfolg dieses «kleinen Büchleins» (Comenius) festzumachen.[2]

Der Orbis pictus wurde im 18. Jahrhundert mangels gleichwertiger Alternativen (siehe oben) zum „Schulbuch par excellenz“.[2] Es fand mindestens bis in die zweite Hälfte 19. Jahrhunderts in den Schulen Verwendung und wurde von Lehrern wie von Schülern gleichermaßen geschätzt.[4]

Zitate

„Aber billig muß ich nicht des guten ehrlichen Orbis pictus vergessen, den die Mode (denn gewiß giebts auch im Erziehen eine) längst so gerne abgesetzt hätte, nur daß sie bis dahin kein beßres Buch an seine Stelle zu setzen gewußt hat. Auch seinen Unterricht habe ich nicht verschmäht, und ich bin sicher, daß ihre Kleinen eben- falls Unterricht und Vergnügen darinn finden werden, vorausgesetzt, daß die punktirte Seele, und was dem ähnlich sieht, aus dem Wege geräumt wird.“

Philanthropinum Dessau (Hrsg.): Schreiben eines Frauenzimmers an ihre Freundin, den Unterricht überhaupt betreffend. (Aufsatz) In: Philanthropisches Journal für die Erzieher und das Publicum. Nebenteil von: Pädagogische Unterhandlungen. 1778, S. 805.[7]

„Des Comenius Bücher liebe ich sehr, besonders den Orbis pictus, nicht weil sie die besten sind, sondern weil wir keine bessere haben“

Johann Matthias Gesner: Primæ lineæ isagoges in eruditionem universalem. (1756) Zitiert in: Ernst Christian Trapp: Ueber den Unterricht in Sprachen. In: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens. 11. Theil, 1788.[7]

Moderne Betrachtung

Das Werk kann als eines der ersten tatsächlich multimedialen Unterrichtsmaterialien und als Vorläufer des modernen Bildlexikons und des Comics angesehen werden. Die Idee Comenius' wurde 1995 in der interaktiven Installation Orbis Pictus Revised wieder aufgenommen.

Literatur

  • Adam Fijałkowski: Orbis Pictus. Świat malowany Jana Amosa Komeńskiego. Orbis Pictus. Die Welt in Bildern des Johann Amos Comenius. Universität Warschau, Warschau 2008, ISBN 978-83-924821-9-2 (zweisprachig: Polnisch und Deutsch).

Weblinks

Commons: Orbis pictus - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Adam Fijałkowski: Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung „Orbis Pictus. Die Welt in Bildern des Johann Amos Comenius“ am 6. Mai 2010 in der BBF. In: Christian Ritzi (Red.): Mitteilungsblatt des Förderkreises Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung e.V. (BBF, Hrsg.), 21 (2010) 1, Mai 2010, ISSN 1860-3084, S. 15–21, insb. S. 17ff. (PDF; 5,3 MB; S. 17–23, insb. S. 19ff. Abgerufen am 24. Juli 2011.)
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 Stadt- und Landesbibliothek Potsdam (Hrsg.): Buchpatenschaften. XVII. Auswahlkatalog. Das 18. Jahrhundert – Aufklärung in Preußen. Potsdam 2010, S. 22: „Comenius, Johann Amos“ / „Orbis sensualium pictus… Die Sichtbare Welt; das ist: Aller vornehmsten Welt-Dinge / und Lebens-Verrichtungen/Vorbildung und Benamung / samt einem Titel-Register / Joh. Amos Comenii. - Leutschoviae : Breverianis, 1728. 5, [6] Bl., 262 S., [5 Bl.] : III.“ Mit Abbildung dieser Ausgabe, aufgeschlagen die Seiten 174 und 175. (PDF; 2,34 MB; S. 23. Abgerufen am 24. Juli 2011.)
  3. Vgl. Bernhard Fabian (Hrsg.): Österreichische Nationalbibliothek: Druckschriftenbestand: OeNat2: Bestandsbeschreibung 2.1 - 2.125, Ziffer 2.52. In: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa. Wissenschaftsportal b2i an der SUB Göttingen. Abgerufen am 24. Juli 2011.
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 Ilse Ziehensack: Kinder- und Jugendliteratur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus historischer Sicht (mit Schwerpunkt deutschsprachige österreichisch-ungarische Monarchie). Diplomarbeit an der Universität Wien, Wien 2008, S. 25. (PDF; 13,31 MB; S. 26. Abgerufen am 24. Juli 2011.)
  5. Vgl. Christine Paschen: Pädagogische Handreichung – Arbeit für den Frieden: Deutsche und Tschechen. Wege zur Versöhnung. Hrsg.: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Landesverband Bayern. Darin auf S. 22 als Faksimile: „Eine Seite aus einer viersprachigen Ausgabe des Orbis sensualium pictus von 1685.“ (PDF; 3,28 MB; S. 22. Abgerufen am 24. Juli 2011.)
  6. Anm.: Die Stadt- und Landesbibliothek Potsdam schreibt wörtlich, „dass man bei dieser Ausgabe auf den originalen Druckstock zurückgriff, der bereits 1685 zum ersten Mal verwendet wurde. Auch nach 70 Jahren glaubte man …“ Bei der Jahreszahl handelt es sich um einen offensichtlichen Zahlendreher: Die Ausgabe der Bibliothek stammt – wie weiter oben erwähnt – aus dem Jahr 1728, minus 70 Jahre ergibt 1658, das Jahr der ersten lateinisch-deutschen Ausgabe aus Nürnberg.
  7. 7,0 7,1 Vgl. Ludwig Keller (Hrsg.): Monatshefte der Comenius-Gesellschaft. XV. Jahrgang, Heft I., Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1906, S. 174 (Digitalisat im Internet Archive, Herkunft: Harvard College Library.)


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