Paul Asmus

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Paul Asmus (* 14. September 1842 in Pillkallen, Ostpreußen in der heutigen Oblast Kaliningrad; † 5. Juni 1877 ebenda) war ein deutscher Philosoph und Theologe.

Leben und Werk

Paul Asmus wurde am 14. September 1842 in Pillkallen im damaligen Ostpreußen geboren. Sein Vater war Stadtphysikus. Nach dessen frühem Tod im Jahre 1846 zog seine christlich gläubige, aufrichtig fromme Mutter Emma Asmus, geb. von Zitzewitz, mit den 5 Kindern in ihre alte Heimat in Pommern. Asmus besuchte die Gymnasien von Neustettin (heute Szczecinek) und Stolp (heute Słupsk) und die Nikolaischule in Leipzig. Mit dem verehrten Direktor Kock in Stolp blieb Asmus noch über die Schulzeit hinaus in Verbindung.

Von 1862 - 1865 studierte Asmus in Leipzig, Erlangen, Berlin und Halle Theologie und Philosophie. Daneben war er auch als Hauslehrer tätig. Ab 1869 arbeitete an der Realschule des Waisenhauses der Franckeschen Stiftungen in Halle.

Seinen in früher Kindheit gefassten Wunsch, Pastor zu werden, gab Asmus auf und widmete sich einer streng wissenschaftlichen Laufbahn. 1871 promovierte und habilitierte er sich an der Universität Halle mit den Arbeiten «De dei immutabilitate» und «De relatione, quae est inter principia agendi moralia et religiosa». Als Privatdozent hielt er anschließend Vorlesungen über Logik, Psychologie, Religionsphilosophie und Geschichte der Philosophie.

Das Ich und das Ding an sich

1873 erschien sein bemerkenswertes, auch von Rudolf Steiner sehr geschätztes Büchlein über «Das Ich und das Ding an sich». Steiner bemerkt dazu in «Rätsel der Philosophie» (GA 18):

„Persönlichkeiten, welche durch Sich-Versenken in die Hegelsche Ideenart eine Sicherheit suchten für das Verhältnis einer Vorstellung über das selbstbewußte Ich zu dem allgemeinen Weltbilde, gibt es in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts nur wenige. Einer der Besten ist der zu früh verstorbene Paul Asmus (1842—1876), der 1873 eine Schrift veröffentlichte «Das Ich und das Ding an sich». Er zeigt, wie in der Art, in der Hegel das Denken und die Ideenwelt ansah, ein Verhältnis des Menschen zum Wesen der Dinge zu gewinnen ist. Er setzt in scharfsinniger Weise auseinander, daß im Denken des Menschen nicht etwas Wirklichkeitsfremdes, sondern etwas Lebensvolles, Urwirkliches gegeben ist, in das man sich nur zu versenken braucht, um zum Wesen des Daseins zu kommen. Er stellte in lichtvoller Weise den Gang dar, den die Weltanschauungsentwickelung genommen hat, um von Kant, der das «Ding an sich» als etwas dem Menschen Fremdes, Unzugängliches angesehen hatte, zu Hegel zu kommen, welcher meinte, daß der Gedanke nicht nur sich selbst als ideelle Wesenheit, sondern auch das «Ding an sich» umspanne. Solche Stimmen fanden aber kaum Gehör.“ (Lit.:GA 18, S. 472)

Asmus geht in seinem Werk von der das Selbstbewusstsein konstituierenden Spaltung in Ich und Nicht-Ich, in Subjekt und Objekt aus, wie sie vornehmlich von den Philosophen des deutschen Idealismus geschildert wurde. Ausgehend von einer grundlegenden Darstellung der «Identität des Denkens und Seins» und den prinzipiellen Möglichkeiten der Erkenntnis, skizziert Asmus darin die Grundzüge der Philosophien von Immanuel Kant, Aenesidemus, Jacob Sigismund Beck, Friedrich Heinrich Jacobi, Johann Gottlieb Fichte, Novalis, Friedrich Schlegel, Friedrich Schleiermacher, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Johann Friedrich Herbart und Arthur Schopenhauer und zeichnete damit zugleich durch das ihm eigene lebendige Denken ein dynamische Bild der modernen Bewusstseinsentwicklung.

Die Ichheit - das allgemeine, wirkliche Ich

Kant hatte verneint, dass der Mensch die Welt an sich, das Ding an sich, erkennen könne, da er stets seine Gedankennetzte über die Dinge lege. Kants Fehler liege laut Asmus darin, dass er von dem einzelnen, besonderen Ich ausgehe, das tatsächlich von der Welt getrennt sei und diese daher nicht in ihrer wahren Gestalt erkennen könne. Dieses besondere Ich sei aber nicht das allgemeine, das wirkliche Ich, sondern nur dessen Spiegelbild.

„Die Identität des Subjects und Objects - abstract ausgedrückt des Denkens und Seins - hat bekanntlich die gröbsten Missdeutungen erfahren. Der Grund davon liegt fast immer darin, dass man dahinter die Identität eines bestimmten Subjects und bestimmten Objects verstanden hat. Aber eine Identität des Subjects und Objects überhaupt wird von jedem vorausgesetzt, der die Möglichkeit des Erkenntnis zugibt. Glauben wir die wirklichen Dinge zu erkennen, glauben wir, dass wir die Wahrheit des Objects, sein Ansich begreifend zu erfassen vermögen, so haben wir eben damit eine Identität des wirklichen Seins und unserer Subjectivität angenommen. Wie leicht verständlich unser Rückschluss von dem Erkennen der Dinge an sich zur Identität des Subjects und Objects erscheinen mag, so sind doch weitaus die Meisten geneigt, ihn für einen Trugschluss zu halten. Das Ding, sofern es in unserer Vorstellung existire, soll dann doch nur in sofern identisch mit dem seienden Dinge sein, als eine Idealtität stattfindet zwischen uns und unserem Spiegelbilde. Es ergeht diesem Einwande, wie so vielen; je mehr es ihm gelingt, die Streitfrage in sinnliche Ausdrücke zu kleiden, oder eigentlich dahinter zu verstecken, desto unwiderleglicher erscheint er; die eigentliche Sache wird aber davon gar nicht berührt.“

Paul Asmus: Das Ich und das Ding an sich, S. 3

In anderer Form finde sich Kants Irrtum in Fichtes subjektivem Idealismus, der gleichsam dem einzelnen, besonderen Ich die Fähigkeit zumute, die ganze Welt aus sich herausspinnen zu können. Auch die Gleichsetzung von Ich und Nicht-Ich, wie sie Novalis in seinem magischen Idealismus anstrebe, biete noch keine befriedigende Lösung, ebensowenig kläre das System Schellings die Beziehung von Ich und Nicht-Ich restlos auf. Einen Fortschritt sieht Asmus in der dialektischen Aufhebung des Gegensatzes von Ich und Nicht-Ich bei Hegel.

„Die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Subject und Object in ihrer stufenweisen Entwickelung gibt uns Hegel in der Phänomenologie. Er zeigt, dass es im Begriffe des Subjects, wie des Objects liege, nicht in ihrer lsolirtheit genommen zu werden; dass eine Verselbständigung des einen dieser Momente gegen das andere dem eigenen Begriffe jedes Momentes widerspreche; dass sie also beide in ihrer Isolirtheit nur abstracte Formbestimmungen seien, in ihrer Einheit aber den absoluten Inhalt bilden, den Schelling als alle Wahrheit hinstellt.“

Paul Asmus: Das Ich und das Ding an sich, S. 130

1875 veröffentliche Asmus den ersten Band seines breit angelegten Werkes über die «Die indogermanische Religion in den Hauptpunkten ihrer Entwickelung», in dem er die indogermanische Urreligion charakterisierte. 1877 folgte der zweite Band über «''Das Absolute und die Vergeistigung der einzelnen indogermanischen Religionen». Asmus führte darin die bereits in «Das Ich und das Ding an sich» angerissenen Gedanken weiter aus. Das allgemeine, wirkliche Ich enthalte auch seine Negation, das Nicht-Ich, ohne dass dadurch seine Besonderheit, d.h. seine Individualität, ausgelöscht würde, da es ja dieses Besondere, Individuelle mit enthalte, aber eben auch den geistigen Gehalt der ganzen Welt umspanne, in der er sich durch sein Denken versenken könne. Er versenke sich damit in eine allen Menschen gemeinsame ideelle Welt, in der sich das wahre Wesen der Dinge enthülle.

„Also: die Besonderheit der Iche geht hervor aus dem besondern Verhältniss, in dem sie zu ihrer Negation stehen, die Allgemeinheit des Ich, die Ichheit, ist das Ich mit der Negation in Einheit gedacht... Das Wichtigste ist nun: Wie haben wir uns das Verhältniss des einzelnen Ich zum allgemeinen Ich zu denken? Das einzelne Ich ist ein aufgehobenes Moment wegen der es begleitenden Negation. Darin ruht, wie bemerkt, seine Gleichheit mit den Objecten, die auch in unsrer Subjectivität aufgehoben sind. Ist nun das Verhältniss des einzelnen Ich zum allgemeinen dasselbe, wie das der einzelnen Vorstellung zum einzelnen Subjecte? Wäre es so, so gäbe es keine Verbindung zwischen dem einzelnen Ich und dem allgemeinen, und dieses schwebte als die kahle absolute Negation über dem subjectiven und objectiven Universum. Aber der Unterschied leuchtet ein. Die einzelnen Objecte werden als Vorstellungen einfach aufgehoben durch das Ich, heben sich nicht selbst auf; das einzelne Ich aber hat seine Negation in sich, hebt sich selbst auf und in dieser Selbstaufhebung ist es eben das allgemeine Ich. Und wiederum: das allgemeine Ich hat keine vom einzelnen Ich getrennte an sich seiende Realität, sondern ist eben nur die Einheit des einzelnen Ich und seiner Negation, und zwar eben die durch den Begriff jenes Ich selbst gesetzte Einheit, es existirt also nur in dieser Selbstaufhebung des einzelnen Ich. — Machen wir uns die Sache deutlich: wollte unser einzelnes Ich in seiner absoluten Einzelheit verharren und sich in nichts Anderes versenken, so wäre es allerdings absolut getrennt vom allgemeinen Ich; dann fehlte auch die in der allgemeinen Ichheit beruhende Gemeinschaft mit den andern besondern Ichen. So lassen wir auch einen Menschen, der sich nur auf sein allereigenstes Gefühl beruft, ohne den allgemein vernünftigeu Gründen Gehör zu geben, ruhig stehen; es fehlt eben die Basis der Gemeinschaft. Aber das Ich kann sich nicht in dieser absoluten Vereinzelung behaupten, es ist ihm unmöglich gemacht durch seinen Begriff, der es mit seiner Negation verbindet. So sind wir jederzeit in etwas Anderes versenkt, wir vermögen uns beim besten Willen nicht in unsrer Einzelheit zu erhalten und auch, wenn wir nur über uns selbst reflectiren, haben wir unser Ich uns als ein anderes, einen Gegenstand gegenüberstellen müssen. So beruhen auch die Aussagen jenes nur aus seiner Einzelheit schöpfenden Menschen factisch nur auf Selbsttäuschung. Er bleibt ebenso wenig in seiner Einzelheit eingeschlossen wie ein Anderer; nur ist sein Bewusstsein noch nicht gebildet genug, die Allgemeinheit seines Ich, damit seine Vernünftigkeit zu begreifen. Die Thätigkeit nun, uns in ein anderes zu versenken, nennen wir „denken“; im Denken hat das Ich seinen Begriff erfüllt, es hat sich als einzelnes selbst aufgegeben; deshalb befinden wir uns denkend in einer für Alle gleichen Sphäre, denn das Princip der Besonderung, das da in dem Verhältniss unsres Ich zu dem ihm Anderen liegt, ist verschwunden in der Thätigkeit der Selbstaufhebung des einzelnen Ich, es ist da nur die Allen gemeinsame Ichheit oder Vernünftigkeit. — So haben wir also das Verhältniss des einzelnen zum allgemeinen Ich dahin bestimmt, dass jenes in seiner ursprünglichsten Thätigkeit, dem Denken, eins sei mit diesem; so muss dieses, da es ausser den einzelnen Ichen nicht existirt, sondern nur als deren Thätigkeit, eben als dieses ursprüngliche Denken bestimmt werden und damit verliert unser Princip den letzten Schein der blossen Subjectivität, der ihm bisher noch durch den Namen des (wenn gleich absoluten) Ich anhaftete.“

Paul Asmus: Die indogermanische Religion in den Hauptpunkten ihrer Entwickelung, Band 1, S. 28f

Rudolf Steiner hat diese Gedanken bis hin zur Entwicklung seiner Geisteswissenschaft vertieft und namentlich in seinem 1911 gehaltenen Bologna-Vortrag einem philosophisch vorgebildeten Publikum präsentiert.

Für das Wintersemester 1877/78 war Asmus bereits ein Privatdozentenstipendium zugesagt, doch am 5.Juni 1877 starb er völlig unerwartet während eines Ferienaufenthaltes in seiner Heimat Pilkallen.

Rudolf Steiner schreibt weiters über das Werk von Asmus, mit dessen Schwester Martha Asmus er in freundschaftlicher Beziehung stand (Lit.:GA 28, S. 384f):

„Weniges ist über Kant geschrieben worden, das an Wert dem gleich kommt, was Paul Asmus über ihn in seiner Schrift «Das Ich und das Ding an sich» ausgeführt hat. Er wird Kant vollkommen gerecht; aber er zeigt zugleich, wie unmöglich es ist, bei ihm stehenzubleiben, und wie der große Anstoß, den der Königsberger Philosoph dem deutschen Denken gegeben hat, notwendig zu den Auffassungen Fichtes, Schellings, Hegels, Schopenhauers und anderer hat führen müssen. Kant hatte gezeigt, und diese Tat ist eine der geistesgeschichtlich bedeutsamsten im modernen Denken, daß die gewöhnlichen wissenschaftlichen Denkmethoden niemals zu einer Erkenntnis des «Dinges an sich» führen, sondern immer nur dazu, die Welt der dem Menschen gegebenen Erscheinungen erkennend zu beherrschen. Auf das «Ding an sich» aber hat Kant in einer ganz eigentümlichen Weise hingedeutet. Er nahm an, daß in dem kategorischen Imperativ, der in dem Pflichtgebot zu dem Menschen spricht, ein Ruf ertönt aus der Welt des «Dinges an sich». Aber dieser Ruf liefere keine Erkenntnis des Höchsten, sondern nur einen Glauben an dasselbe, der dem Menschen die Richtung gibt nach dem moralischen Leben. Will der Mensch sich für ein moralisches Wesen halten und sich in der Richtung der Moralität immer weiter und weiter entwickeln, so muß er an die Wirklichkeit dessen glauben, was ihm den kategorischen Imperativ zusendet. Erkennen kann er aber nicht, was ihn so moralisch trägt.

Nun hat Fichte versucht, diesen im Innern des Menschen ertönenden Ruf zu untersuchen, und er kam so zu seiner «Ich-Philosophie». Im «Ich» geht, nach Fichte, dem Menschen eine höhere Welt auf, die ebenso wirklich, ja viel wirklicher ist, als die äußere Erscheinungswelt. Denn diese äußere Erscheinungswelt erhält erst Sinn und Bedeutung, wenn das menschliche Ich sein eigenes Licht auf dieselbe leuchten läßt. Diesen Hervorgang von Fichtes Denken aus dem Kantschen stellt Paul Asmus in scharfsinniger Weise dar. Und ebenso, wie dann Hegel und Schelling aus dem «Ich» heraus, aus dem Menschengeiste die Antworten suchen auf die großen Rätselfragen des Daseins, die keine äußere Sinnesanschauung lösen kann.

Und von hier aus fand dann Paul Asmus den Zugang zum Verständnis der Religionen, dieser mannigfaltigen Versuche der Menschheit, aus der Tiefe des Menscheninnern heraus die wirkenden Geistkräfte des Universums zu erfassen. Es wird vielen nicht leicht, Paul Asmus' bedeutsamen Auseinandersetzungen über «die indogermanischen Religionen» zu folgen, da er sich in einer Gipfelhöhe des menschlichen Denkens bewegt. Wer aber durch Selbstschulung seines Denkens das Buch zu lesen lernt, der wird eine Aufklärung der reinsten Art über die Formen menschlichen Wahrheitsstrebens empfangen. Unser Philosoph sieht überall durch den Bildergehalt der Religionen auf die geistigen Gedankenkerne hindurch und zeigt den Zusammenhang und die Verwandtschaft dieser Kerne. Sein Buch ist daher eine Auslegung eines großen Urgedankens der indogermanischen Völker. Niemand wird es studieren, ohne davon den tiefsten Eindruck zu empfangen, und sich darüber klar werden, was Entwickelung des religiösen Lebens ist. Damit aber gehört Paul Asmus unter diejenigen, die im Sinne der Theosophie die Wesenheit der Religionen und Philosophien der Menschheit verfolgen.“ (Lit.:GA 34, S. 489ff)

„Denker wie Asmus, die sich heraus entwickelt haben aus dem Strom, den der deutsche philosophische Idealismus von der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts aus geschenkt hat: solche Denker verstanden in Gedanken zu leben. Im deutschen Geistesleben hat sich da geschichtlich das abgespielt, was der theosophische Mystiker als eine ganz bestimmte innere Lebenstatsache kennt. Das kamisch-manasische Vorstellen, in dem der Mensch des alltäglichen Lebens befangen ist, und in dem insbesondere der europäische Kulturmensch lebt: dieses Vorstellen wirft die kamischen Hüllen von sich und wird zum rein manasischen Denken.

Wer auf dem Felde jener Erkenntnis über eine gewisse Stufe hinausgelangen will, muß in sich selbst dieses Erlebnis kennenlernen, zur Tatsache werden lassen. Wer dazu nicht gelangen kann, bleibt entweder in den Fesseln einer trüben Mystik hängen, die ihn nur befähigt, die Tatsachen des Astralplanes verständnislos zu schauen; oder aber er muß sich mit einem bloßen Glauben an die theosophischen Dogmen begnügen. Deshalb betrachte ich es als eine Aufgabe dieser Zeitschrift, diese Proben eines ätherreinen Denkens vorzuführen. Solches Denken allein kann innere, selbstsichere Festigkeit und Forschergewißheit geben, die den Theosophen zwischen der Skylla einer nebelhaften Schwärmerei, und der Charybdis eines blinden Dogmenglaubens hindurchleiten in die hellen Lichthallen der Weisheit. Wer nicht bloß durchdenkt, was in reinen Gedanken gegeben ist, sondern es bis zum unmittelbaren Erleben bringt, der wird sich selbst von der Wahrheit des Gesagten überzeugen. Aber vorläufig können es nur wenige Menschen unserer Kultur zu dem bringen, was man «Leben in Gedanken» nennt. Und die meisten können sich bei solchem Worte: «Leben in Gedanken» gar nicht einmal das Richtige «denken». Die theosophische Bewegung, welche uns wieder das Leben im Spirituellen bringen soll, wird auch die Aufgabe haben, die aus dem Spirituellen geborenen Gedanken des deutschen Idealismus zu verstehen. Und Paul Asmus, dessen physische Hülle die Erde so früh sich angeeignet hat, mag mit seinen herrlichen Gedankenkeimen wohl auch einen Einschlag geben zum Karma der theosophischen Bewegung in Deutschland.“ (S. 491f)

„Daß Paul Asmus in der Ätherhöhe des reinen Denkens die Geheimnisse des Daseins suchte, macht den Grundcharakter seines Forschens aus. Was den Dingen als ihr Wesen zugrunde liegt, das enthüllt sich in dem denkenden Menschen. Diese Grundanschauung des deutschen philosophischen Idealismus ist auch diejenige Paul Asmus'. Die Gedanken, die sich der Mensch über den Sternenhimmel macht: sie sind auch zugleich die Ordnung, die innere Gesetzmäßigkeit selbst, die diesem Sternenhimmel zugrunde liegt. Wenn ich denke, spreche nicht nur ich, sondern die Dinge sprechen in mir ihre Wesenheit, das, was sie eigentlich sind, aus. Die sinnlichen Dinge sind gewissermaßen nur Gleichnisse ihres ideellen Wesens; und der menschliche Gedanke ergreift dieses ihr Wesen. In seiner Schrift «Das Ich und das Ding an sich» sagt Paul Asmus: «Stellen wir uns ein Stück Zucker vor; es ist rund, süß, undurchdringlich usw., dies sind lauter Eigenschaften, die wir begreifen; nur eins dabei schwebt uns als ein schlechthin anderes vor, das wir nicht begreifen, das so verschieden von uns ist, daß wir nicht hineindringen können, ohne uns selbst zu verlieren; von dessen bloßer Oberfläche der Gedanke scheu zurückprallt. Dies eine ist der uns unbekannte Träger aller jener Eigenschaften; das Ansich, welches das innerste Selbst dieses Gegenstandes ausmacht. So sagt Hegel richtig, daß der ganze Inhalt unserer Vorstellung sich nur als Accidens zu jenem dunklen Subjekte verhalte, und wir, ohne in seine Tiefen zu dringen, nur Bestimmungen an dieses Ansich heften - die schließlich, weil wir es selbst nicht kennen, auch keinen wahrhaft objektiven Wert haben, subjektiv sind. Das begreifende Denken hingegen hat kein solch unerkennbares Subjekt, an dem seine Bestimmungen nur Accidenzen wären, sondern das gegenständliche Subjekt fällt innerhalb des Begriffes. Begreife ich etwas, so ist es in seiner ganzen Fülle meinem Begriffe präsent; im innersten Heiligtum seines Wesens bin ich zu Hause, nicht deshalb, weil es kein eigenes Ansich hätte, sondern weil es mich durch die über uns beiden schwebende Notwendigkeit des Begriffes, der in mir subjektiv, in ihm objektiv erscheint, zwingt, seinen Begriff nachzudenken. Durch dies Nachdenken offenbart sich uns, wie Hegel sagt - ebenso wie dies unsere subjektive Tätigkeit ist-, zugleich die wahre Natur des Gegenstandes. -»

Wer in solch einem Satze sein Bekenntnis ausspricht, der hat sich und sein Denken in ein wahres Verhältnis zur Welt und Wirklichkeit gesetzt. Durch Beobachten lernen wir den Umkreis der Welt kennen; durch das Denken dringen wir in ihren Mittelpunkt. Die Versenkung in das eigene Innere löst uns die Rätsel des Daseins. Der in mir aufleuchtende Gedanke geht nicht nur mich an, sondern die Dinge, über die er mich aufklärt. Und meine Seele ist nur der Schauplatz, auf dem die Dinge sich über sich selbst aussprechen.

Um das zu begreifen, muß der Mensch allerdings es dahin bringen, in dem Denken ein Lebenselement zu haben, etwas, das für ihn ebenso Wirklichkeit, Tatsache ist, wie für den unentwickelten Menschen die Dinge eine Wirklichkeit sind, an denen er sich stößt, die er mit Händen greifen kann. Wer in seinen Vorstellungen nicht anderes erfassen kann, als schemenhafte Nachbilder dessen, was ihm die Sinne sagen, der versteht nicht, was Denken ist. Denn, um zur Wesenheit der Dinge vorzudringen, muß sich das Denken mit einem Inhalte erfüllen, den kein äußerer Sinn geben kann, der aus dem Geiste selbst fließt. Das Denken muß produktiv, intuitiv sein. Wenn es dann nicht willkürlich in phantastischen Gebilden lebt, sondern in der hellen Klarheit des inneren Anschauens, dann lebt und webt in ihm das Weltgesetz selbst. Man könnte von einem solchen Denken ganz gut sagen: die Welt denkt sich in den Gedanken des Menschen. Notwendig ist aber dazu, daß der Mensch in sich die ewigen Gesetze erlebt, die sich das Denken selbst gibt. Was die Menschen gewöhnlich «Denken» nennen, ist ja nur ein wirres Vorstellen.“ (S. 493f)

Schriften

  • De relatione, quae est inter principia agendi moralia et religiosa, Inaugural-Dissertation, 1871 (lateinisch) archive.org
  • Das Ich und das Ding an sich. Geschichte ihrer begrifflichen Entwickelung in der neuesten Philosophie, Verlag C. E. M. Pfeffer, Halle 1873 urn:nbn:de:bvb:12-bsb11163813-5
  • Die indogermanische Religion in den Hauptpunkten ihrer Entwickelung. Ein Beitrag zur Religionsphilosophie, Erster Band:: Indogermanische Naturreligion, Verlag C. E. M. Pfeffer, Halle 1875 eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche, urn:nbn:de:bvb:12-bsb11315442-0
  • Die indogermanische Religion in den Hauptpunkten ihrer Entwickelung. Ein Beitrag zur Religionsphilosophie, Zweiter Band: Das Absolute und die Vergeistigung der einzelnen indogermanischen Religionen, Verlag C. E. M. Pfeffer, Halle 1877 eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche, urn:nbn:de:bvb:12-bsb11315443-6
    • Neuausgabe beider Bände (Reprint): Die Indogermanische Religion in den Hauptpunkten Ihrer Entwickelung: Ein Beitrag Zur Religionsphilosophie, Volumes 1-2, WENTWORTH PR 2018, ISBN 978-0270960525
  • Die Willkür, nachgelassenes Manuskript

Literatur

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