Philosophie der Gegenwart

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Eine Übersicht über die Philosophie der Gegenwart hat das besondere Problem, ihren Gegenstand überhaupt zu erfassen – wie spät erst wurden beispielsweise Arthur Schopenhauer oder Friedrich Nietzsche rezipiert; Bernard Bolzano wäre ohne Edmund Husserl in Vergessenheit geraten. Ein weiteres Problem liegt in der Auswahl und Interpretation. Philosophie der Gegenwart heißt, sich mit noch lebenden oder kürzlich verstorbenen Philosophen auseinanderzusetzen. Oftmals ist ein wesentlicher Teil des Werkes noch nicht veröffentlicht oder noch gar nicht verfasst. Es gibt prominente Philosophen wie Hilary Putnam, der seine Grundposition im Verlaufe seiner Arbeiten deutlich veränderte. Die Bewertung der Bedeutung der verschiedenen Ansätze ist in der Öffentlichkeit noch nicht gefestigt. Sie erfolgt unter dem Eindruck der Aktualität. Festzustellen ist, dass die analytische Philosophie zwar methodisch dominiert, aber in den Themen und Schulen ein ausgeprägter Pluralismus vorzufinden ist. Für alle vorgestellten Richtungen gilt, dass ihre Anfänge in der Philosophie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegen; vgl. Philosophie des 20. Jahrhunderts.

Analytische Philosophie

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Philosophie des Geistes

Philosophie des Geistes - Artikel in der deutschen Wikipedia

Die Situation im deutschsprachigen Raum

Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland ist einerseits geprägt durch die Universitäten mit ca. 300 Stellen für Philosophie-Professoren, andererseits sind im deutschen Sprachraum sehr bekannte Philosophen keine habilitierten Professoren im Fach Philosophie wie Peter Sloterdijk, Richard David Precht, Rüdiger Safranski, Norbert Bolz und Robert Pfaller. Der bekannteste lebende deutsche Philosoph ist ohne Zweifel Jürgen Habermas, der als Vertreter der Frankfurter Schule sich schrittweise von dem Hintergrund der Kritischen Theorie löste und mit seinen Schriften „Erkenntnis und Interesse“ sowie „Theorie des kommunikativen Handelns“ grundlegende Diskussionen anstieß.

Neben der dominierenden Debatte zur Philosophie des Geistes in der theoretischen Philosophie haben sich in der Ethik themenspezifische sogenannte Bereichsethiken entwickelt wie Umweltethik, Bioethik oder Technikethik, für die sogar spezifische Lehrstühle existieren. Hinzugekommen sind modernere Fächer wie Kulturphilosophie und Philosophische Anthropologie oder Medienphilosophie. Eine wachsende Bedeutung gewinnt auch die Interkulturelle Philosophie, in der bewusst der Austausch mit Vertretern der islamischen, asiatischen und afrikanischen Welt gesucht wird.

Mittlerweile verbreitet sind Initiativen wie die Philosophische Praxis, die unter anderem von Gerd B. Achenbach, Alexander Dill, Joachim Koch und Günther Witzany (in Österreich 1985) begründet wurde, und die das philosophische Gespräch mit jedermann sucht, sowie freie Philosophen wie Wilhelm Schmid.

Aus dem Schatten der großen deutschsprachigen Philosophen des 19. Jahrhunderts wie Karl Marx und Friedrich Engels, sowie des 20. Jahrhunderts wie Ludwig Wittgenstein, Rudolf Carnap, Martin Heidegger, Karl R. Popper, Hans-Georg Gadamer und Theodor W. Adorno ist in der aktuellen Diskussion noch kein prominenter Vertreter herausgetreten.

Zumindest in Deutschland einen guten Namen haben Bernhard Waldenfels und Heinrich Rombach als Vertreter für die Phänomenologie, Ernst Tugendhat und Peter Bieri in der analytischen Philosophie, Peter Janich und Jürgen Mittelstraß im Bereich des Erlanger Konstruktivismus, Karl-Otto Apel in der Diskursphilosophie bzw. im Neopragmatismus und Hans Albert als Vertreter des Kritischen Rationalismus. Gerhard Vollmer machte die Evolutionäre Erkenntnistheorie zu einer prominenten Position. Günter Abel und Hans Lenk entwickelten eine eigenständige erkenntnistheoretische Position des Interpretationismus. Neben Habermas bemüht sich Axel Honneth mit dem Schlüsselbegriff der Anerkennung um die Weiterentwicklung der Kritischen Theorie. Herta Nagl-Docekal ist eine bekannte Vertreterin der feministischen Philosophie. Als Vertreter eines Idealismus kann man Vittorio Hösle nennen und für die Wissenschaftstheorie Paul Hoyningen-Huene. Den Versuch einer postneukantianisch kritisch erneuerten Transzendentalphilosophie haben in einem revidierten Anschluss an Kant Werner Flach, Hans D. Klein, Kurt W. Zeidler unternommen, Harald Holz noch dazu unter Rückgriff auf sachliche Motive auch eines neuplatonisch verstandenen transzendentalen Idealismus (Fichte, Hegel, Schelling), Peter Rohs und Lorenz Puntel unter Einarbeitung von Motiven analytischer Philosophie. Im Bereich der Wissenschaftstheorie sind unter anderem Paul Hoyningen-Huene und Martin Carrier bekannte Namen. Bekannte Vertreter eines rationalen Kritizismus sind Herbert Schnädelbach und Otfried Höffe. Odo Marquard gilt als Vertreter eines modernen Skeptizismus.

Eine gewisse Nähe der gegenwärtigen Philosophie zur allgemeinen politischen Diskussion zeigt die Einrichtung gesetzlich festgelegter Ethikräte bzw. Ethikkommissionen, etwa in Verbindung mit der Erforschung von Stammzellen. Im speziellen medizinischen Fall (Stammzellen) sind von den neun Vertretern der Ethikkommission allerdings fünf aus dem Bereich Medizin/Gentechnik und je zwei aus den Bereichen Theologie und Ethik (Ludwig Siep und Claudia Siepmann), so dass die Kontrollfunktion nur begrenzt sichergestellt ist. In Österreich gibt es gar eine Ethikkommission für die Bundesregierung und eine Bioethikkommission im Bundeskanzleramt. Ein weiteres Thema in diesem Bereich ist die – wenn auch kurze – Tätigkeit von Julian Nida-Rümelin als Staatsminister für Kultur.

Als weitere Strömungen der Gegenwartsphilosophie sind die Bemühungen um Philosophie mit Kindern, die Unternehmensphilosophie und Philosophiedidaktik anzusehen, da in vielen Schulen Philosophie, Ethik oder sogenannter lebenskundlicher Unterricht als Schulfach gelehrt wird. Ein Weg zur Heranführung junger Menschen an das Thema ist die Philosophie-Olympiade, die jährlich in verschiedenen Ländern der Welt stattfindet und für die auf Ebene der Bundesländer in Deutschland ein Vorwettbewerb stattfindet.

Die Situation in Frankreich und Italien

Postmoderne

Jean Baudrillard

Jean Baudrillard (1929–2007) war ein französischer Philosoph und Soziologe, der als Kritiker und Theoretiker der Postmoderne über zahlreiche Themen wie Virtualität, Simulation, Cyberspace, Hyperrealität, Fundamentalismus, Globalisierung, Mediengesellschaft, Subjektwerdung und Menschenrechte schrieb. Zudem entwarf er eine Art „Anti-Medientheorie“.

Baudrillards Denken ist bestimmt vom Zeichensystem (Signifikat und Signifikant), in dem Aussagen sich immer mehr von der Wahrheit entfernen, was zum Beispiel die Verführung des Konsumenten möglich macht. Dadurch entsteht ein Raum permanenter Simulation von Realität, die in Hyperrealität (der Auflösung alles Greifbaren, Referentiellen) endet.

Baudrillard liebt es, mathematisch-physikalische Begriffe wie Raum-Zeit, Paralleluniversum usw. in einer Weise zu gebrauchen, die dem gelernten Mathematiker oder Physiker schlicht und einfach sinnlos erscheint. Dabei prallt die Welt der Naturwissenschaftler mit ihren festen Begriffen und klaren Definitionen auf die der Philosophie, die sich mit den Begriffen selber und ihren Bedeutungen, mit Ähnlichkeiten und Analogien in Strukturen auseinandersetzt.

Giorgio Agamben

Hauptartikel: Giorgio Agamben

Der italienische Philosoph Giorgio Agamben (* 1942) hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch in Deutschland Aufmerksamkeit erhalten. Anknüpfend an Martin Heidegger und als Herausgeber von Walter Benjamin nimmt er literarisch zu aktuellen rechtlich-politischen Fragen Stellung. Agamben nähert sich seinen Themen genealogisch. Die Mächtigen seit der Antike versuchen das Individuum in seinen Lebensräumen unter Kontrolle zu bekommen. Als Paradigmen gelten ihm die Konzentrationslager, die Inhaftierung von Asylanten und Guantánamo Bay. Durch solche Ein- und Ausschließungen erzeugt die Gesellschaft laufend Ausnahmezustände und ist in ihrer Reaktion auf den Terrorismus immer mehr in Gefahr, diese Strukturen auf die allgemeinen Lebensverhältnisse zu übertragen. Die Gesellschaft ist im Übergang von der parlamentarischen Demokratie zu einer von der Regierung geprägten Republik.

Die Situation im anglo-amerikanischen Bereich

Die amerikanische Philosophie ist weitgehend von analytischer Methode geprägt. Zunächst hatte dies Schwerpunkte in den Bereichen Sprachphilosophie und Pragmatismus. Nachdem besonders der Carnap-Schüler Willard Van Orman Quine in verschiedenen Kontexten gezeigt hatte, dass eine Erklärung der Welt im Rahmen des logischen Empirismus nicht durchhaltbar ist, wenden sich analytisch geschulte Theoretiker immer mehr einem breiteren Themenspektrum zu, das alle Themenbereiche und Positionen einschließt, inklusive metaphysischer Fragen.

Dabei wird von einigen in verstärktem Maß auf die klassischen Vertreter des Pragmatismus (Charles S. Peirce, William James und John Dewey) zurückgegriffen. Schon bei Nelson Goodman verband sich eine antirealistische Tendenz mit der These, dass die Menschen in ihrer Vielheit durch Sprache und andere Symbole verschiedene Versionen von Welten erschaffen, also verschiedene „Weisen der Welterzeugung“ existieren. Hier besteht eine gewisse Nähe zum Interpretationismus (s. o.). Aktuelle Vertreter eines (Neo-)Pragmatismus auf verschiedenen Themenfeldern sind Richard Rorty, Robert Brandom und Hilary Putnam. Insbesondere der von klassischen analytischen Themenfeldern herkommende Rorty hat mit seinem Buch „Der Spiegel der Natur“, in dem er einen radikalen Naturalismus vertritt, eine heftige Diskussion ausgelöst, weil er der Philosophie die Möglichkeit der Erkenntnisbegründung und damit, wie Kritiker meinen, ihre eigene Grundlage abspricht.

Ein wichtiges neueres Themenfeld auch der amerikanischen Philosophie ist die Philosophie des Geistes. Hier wird unter anderem, aber bei weitem nicht nur, die jahrhundertealte Kontroverse diskutiert, ob der Geist vollständig materialistisch bzw. naturalistisch erklärbar und realisiert ist. Eng mit diesem Thema verbunden ist die Frage nach dem Determinismus. Die Zahl der ausgearbeiteten Positionen ist annähernd so groß, wie die Zahl der sich dazu äußernden Philosophen. Dabei haben einzelne Theoretiker, wie zum Beispiel Hilary Putnam, über die Zeit verschiedene, nicht miteinander vereinbare Positionen vertreten. Die jüngste Phase dieser Richtung wird vertreten durch die Arbeiten von Donald Davidson, Michael Dummett, Wilfrid Sellars, Fred Dretske, David Lewis, Saul A. Kripke und vor allem durch John Searle.

In der praktischen Philosophie zog der neokantianische Ansatz von John Rawls in der Philosophie der Gerechtigkeit große Aufmerksamkeit auf sich. In der Ethik haben andererseits die Auffassungen des Australiers Peter Singer – vor allem in Deutschland – heftige Reaktionen ausgelöst. Für ihn hat die ethische Urteilsfindung ausschließlich die Präferenzen aller Betroffenen zu berücksichtigen. Begriffe wie jener der "Person" sind in diesem Rahmen lediglich abkünftig begründbar. Dies hat im Bereich etwa der Ökologie, der Tierhaltung, der Abtreibung oder der Euthanasie für die heutige Praxis der westlichen Welt sehr ungewohnte Konsequenzen. Daneben existiert eine Vielzahl im Detail anders bestimmter utilitaristischer Positionen neben diversen Alternativen, darunter Neuauflagen etwa von Vertragstheorien ebenso wie von deontologischen Theorien.

Ein anderer „Trend“ im Bereich der Ethik ist die Wiederbelebung der Tugendethik vor allem durch die Briten Philippa Foot und Alasdair McIntyre mit einer strikten Ablehnung sowohl des Utilitarismus als auch der Pflichtethik. Eine auf die Vernunft orientierte Position zur Ethik des Aristoteles entwickelte Martha C. Nussbaum.

Eine naturrechtlich begründete „Ethik der Freiheit“ entwickelte Murray Rothbard.

Feministische Philosophie

Hauptartikel: Feministische Philosophie

Judith Butler (* 1956) ist Professorin für Rhetorik und vergleichende Literaturwissenschaft und gilt heute als die Vertreterin eines dekonstruktiven Feminismus. Einer von Butlers wichtigsten Beiträgen ist ein performatives Modell von Geschlecht, in welchem die Kategorien "männlich" und "weiblich" als Wiederholung von Handlungen verstanden werden, und nicht als natürliche oder unausweichliche Absolutheiten. Diese Beiträge waren auch in der feministischen und kritischen Theoriebildung einflussreich, weil Butler damit die Kategorie "Frau" als Subjekt des Feminismus in Frage stellte. Dies führte besonders in Deutschland zu erbitterten Debatten innerhalb der feministischen Theorie.

Die Subjektwerdung des Menschen vollzieht sich nach Butler innerhalb gesellschaftlicher (Macht-)Strukturen, wodurch jede Identität im Zusammenhang mit den sozialen/kulturellen Verhältnissen zu denken ist. Judith Butler bedient sich in ihrer Analyse verschiedenster Theorien und Forschungsansätze, unter anderem derer von Sigmund Freud, Louis Althusser und Michel Foucault, wobei letzterer wohl für Butlers gesamtes Werk als prägend anzusehen ist.

Julia Kristeva (* 1941) ist eine feministische Intellektuelle, Psychoanalytikerin, Schriftstellerin und Philosophin, deren Schriften zur Linguistik und zur Sprache die poststrukturalistische Diskussion mitprägten. Schon in den frühen 70ern problematisierte Kristeva die weibliche Identität im Patriarchat. Wegen ihrer Nähe zur Psychoanalyse wurde Kristeva aber von Teilen der feministischen Literaturwissenschaft kritisiert. In jüngerer Zeit hatten ihre Arbeiten Einfluss auf die Theorien der Gender Studies.

Luisa Muraro (* 1940) ist eine italienische Professorin für Philosophie die eine Vereinigung für Philosophinnen (Diotima) ins Leben rief, die für Feminismus als praktisch gelebte Philosophie steht.

Siehe auch

Literatur

  • Topoi (Zeitschrift) 25 (2006) (namhafte Gegenwartsphilosophen bestimmen Miseren, Hoffnungsaussichten und Forschungsprogramme aus ihrer jeweiligen Perspektive)
  • Reiner Ruffing: Einführung in die Philosophie der Gegenwart. Fink, Paderborn 2005, ISBN 3-8252-2675-1
  • Andreas Graeser: Positionen der Gegenwartsphilosophie. Vom Pragmatismus bis zur Postmoderne. Beck, München 2002, ISBN 3-406-47595-7
  • Julian Nida-Rümelin (Hrsg.): Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen. Von Adorno bis v. Wright. 2. Aufl. Kröner, Stuttgart 1999, ISBN 3-520-42302-2.
  • Ingeborg Breuer, Peter Leusch, Dieter Mersch: Welten im Kopf. Profile der Gegenwartsphilosophie. Lizenzausg. WBG, Darmstadt 1996, ISBN 3-534-13420-6.
  • Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion. Konturen einer Auseinandersetzung der Gegenwartsphilosophie. Fink, München 2002, ISBN 3-7705-3643-6.
  • Stephan Moebius: Die soziale Konstituierung des Anderen. Grundrisse einer poststrukturalistischen Sozialwissenschaft nach Lévinas und Derrida. Campus, New York/Frankfurt a.M. 2003, ISBN 3-593-37268-1.
  • Ernst R.Sandvoss: Space Philosophy – Philosophie im Zeitalter der Raumfahrt. Marixverlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-86539-151-3
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