Psychopathologie

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Psychopathologie ist eine wissenschaftliche Disziplin, die einen Teilbereich der Psychiatrie und der Klinischen Psychologie bildet. Sie beschäftigt sich mit der Erfassung der verschiedenen Formen eines krankhaft veränderten Erlebens und Verhaltens. Dazu beschreibt sie psychische Symptome, die in ihrer Komplexität dann als Erscheinungsformen psychischer Erkrankungen benannt werden. Folgende psychische Funktionen werden dabei u. a. untersucht:[1]

Psychopathologie kann als wissenschaftliche Methodenlehre der Psychiatrie verstanden werden, wobei psychologische Denkkategorien auf psychische Krankheiten angewendet werden. Untersucht wird somit die psychische Seite hinter abnormen seelischen Phänomenen und Zuständen.[2] Es wird damit ein Vokabular bereitgestellt, um psychische Symptome möglichst genau beschreiben, klassifizieren und teilweise auch erklären zu können.[1]

Psychopathologie wird als Teilgebiet der Psychiatrie meist an medizinischen Fakultäten unterrichtet; an einigen Universitäten jedoch auch als Teilgebiet der Klinischen Psychologie.

Begriff

Der Begriff Psychopathologie bedeutet wörtlich übersetzt „die Lehre von den psychischen Erkrankungen“ und leitet sich ab von ψυχή psyché = „Hauch“, „Seele“, „Gemüt“ und πάθος, páthos = „Leiden[schaft], Sucht, Pathos“ sowie logos = „Wort, Vernunft, Sinn, Lehre“. Er wurde zuerst vom Freiburger Psychiater Hermann Emminghaus geprägt.[3]

Diagnostik

Die psychopathologischen Symptome (einzelne Krankheitszeichen) und Syndrome (Gruppen von Krankheitszeichen) bilden ein wichtiges Instrumentarium für die psychiatrische und psychologische Diagnostik. Die Ergebnisse davon werden im psychopathologischen Befund festgehalten.

Nach AMDP-System

Durch das System der Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie (AMDP-System) wurde eine umfassende Katalogisierung dieser großen Zahl von Störungssymptomen vorgenommen. Dabei ergab sich folgende Gliederung:

Jede dieser Symptomgruppen enthält wiederum mehrere, genauer spezifizierte Symptome.

Gesundheit, Krankheit und Störung

In der modernen Psychiatrie und Psychotherapie wird anstelle von Krankheit bevorzugt von Störung (untergliedert in psychische Störung und Verhaltensstörung) gesprochen, weil das Wort Krankheit stigmatisieren kann. Zudem handelt es sich bei den bisherigen Beschreibungen psychischer Störungen streng genommen nur um Symptomkomplexe (Syndrome), aber nicht um Krankheiten im klassischen medizinischen Sinne (wie z. B. Infektionskrankheiten). Der Begriff Krankheit wäre nur dann angemessen, wenn Ursachen, Symptommuster, Verlauf, Behandlung etc. bekannt und eindeutig wären. Das jedoch ist bei keinem der heutigen Syndrome, die in Psychiatrie und klinischer Psychologie behandelt werden, der Fall.

Zur Annäherung an eine Definition werden u. a. folgende Punkte untersucht: statistische Seltenheit, unangemessene Reaktionen, Leidensdruck, Verletzung der sozialen Norm (siehe Abschnitt Was ist eine psychische Störung?). Sind einige dieser genannten Kriterien erfüllt, kann eine psychische Störung oder eine Verhaltensstörung angenommen werden. Zur genauen Feststellung bedarf es jedoch einer detaillierten Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) und Abgrenzung von anderen Krankheitsbildern (Differenzialdiagnostik). Nach der genauen, weiteren Erkundung (Exploration) von möglichen Krankheitssymptomen wird mit Hilfe eines Klassifikationssystems (ICD-10 oder DSM-5) die passende Diagnose gestellt. Eine Diagnose dient auch der Auswahl von Therapiemethoden.[4]

Psychopathologie vs. Pathologie

Während Pathologie (Pathologische Anatomie) die körperlichen Aspekte von Kranksein und Krankheit untersucht, befasst sich die Psychopathologie mit deren psychischen Bedingungen. Da Psychopathologie auch die körperlichen Auswirkungen auf seelisches Befinden umfasst, ist eines ihrer Hauptgebiete die psychophysische Korrelation, d. h. der Zusammenhang von körperlicher und seelischer Auffälligkeit. Es besteht auch heute noch in der Medizin eine Konkurrenz verschiedener Theorien, die sich aus dem dialektisch seit über 2000 Jahren ungeklärten Leib-Seele-Problem ergibt. Der geschichtlich wichtigste Zusammenhang ist der von Psychopathologie und Neurologie. Hieraus entwickelten sich die historisch bedeutsamen Positionen der Somatiker.[5]

Aus der Kenntnis neurologischer Gesetzmäßigkeiten haben sich bedeutende Fortschritte der Psychopathologie ergeben, z. B. auf dem Gebiet der Leistungspsychologie unter Zugrundelegung des Reflexbogens. Therapeutisch konnten sich diese Vorstellungen als lerntheoretische Grundlage der Verhaltenstherapie bewähren (Pawlow). Umgekehrt haben die Ergebnisse psychopathologischer Untersuchungen auch die Entwicklung der herkömmlichen (körperlichen) Medizin begünstigt (Psychosomatische Medizin). Methodische Unterschiede bestehen z. B. in den gegensätzlichen Sichtweisen des Aufwärts- und Abwärtseffekts für die Entstehung von Krankheiten. Aufwärtseffekt bedeutet die Verursachung von Krankheiten durch körperliche Veränderungen, Abwärtseffekt heißt Krankheitsentwicklung durch seelische Auffälligkeiten. Dieses Konzept vertritt das Prinzip der Wechselwirkungen zwischen Leib und Seele, was heute als am wahrscheinlichsten gilt (Schischkoff 1982). Pathologie und Psychopathologie konnten beide wesentliche Beiträge zur Krankheitslehre (Nosologie) erbringen. Die Abgrenzung beider Gebiete erbrachte also deutliche Vorteile für beide.

Als nachteilig ist die Überbewertung einer von beiden Disziplinen anzusehen. Dies wäre auf der einen Seite der Standpunkt des Materialismus, der in der Krankheitslehre begrifflich als Maschinenparadigma bekannt geworden ist, andererseits die Haltung des Psychologismus, die hauptsächlich zur Zeit der Romantik aufkam. Medizingeschichtlich sind in dieser Zeit auch die Standpunkte als die der Psychiker und Somatiker bedeutsam geworden. Allerdings dürfen die Psychiker nicht mit den psychologisierenden Theoretikern des Psychologismus verwechselt werden. Sie vertraten ein eher erzieherisches Konzept.[6] Als Neurologisierung wäre die Überbetonung neurologischer Aspekte für die Psychopathologie zu nennen, wie sie z. B. von Wilhelm Griesinger (1817–1868) vertreten wurde mit seinem Fazit: „Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten“. Sein Standpunkt wäre demnach als der eines Somatikers zu bezeichnen.[5]

Geschichtliches

Die Geschichte der Psychopathologie ist eng mit der Geschichte der Psychiatrie verbunden. Die Anfänge der Psychopathologie können schon in der Antike, z. B. in Aristoteles Werk de anima veranschlagt werden. Die neuere Psychopathologie hat ihren Anfang im 19. Jahrhundert. Systematisch wurde sie von Karl Jaspers aufbereitet, eine Studie von Sigmund Freud behandelt die "Psychopathologie des Alltagslebens".

Die zunehmend wissenschaftlich fundierte Ausgestaltung der Krankheitsklassifikationssysteme ICD (Internationale Klassifikation der Krankheiten) und DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) ist ein Spiegelbild der neuesten Entwicklungen der Psychopathologie die Krankheitsdiagnosen betreffend.

Siehe auch

Literatur

Geschichte

  • German Berrios: The History of Mental Symptoms, Cambridge University Press, ISBN 0-521-43736-9.
  • Erwin Heinz Ackerknecht (1985): Kurze Geschichte der Psychiatrie, 3. Auflage. Enke Verlag, Stuttgart, ISBN 3-432-80043-6, Seite 59.
  • Werner Leibbrand, Annemarie Wettley: Der Wahnsinn. Geschichte der abendländischen Psychopathologie, 1961 (= Orbis Academicus, II, 12).

Lehrbücher

  • Christian Scharfetter: Allgemeine Psychopathologie. 6. Auflage, Thieme, Stuttgart 2010, ISBN 978-3135315065.
  • Theo R. Payk: Psychopathologie. Vom Symptom zur Diagnose. 2. Auflage, Springer 2007, ISBN 978-3-540-35451-2 (= Springer Lehrbuch).
  • Ernst Ryffel (2012): Neue Psychopathologie, ISBN 978-3-033-03273-6
  • Karl Jaspers: Allgemeine Psychopathologie: Ein Leitfaden für Studierende, Ärzte und Psychologen, Nachdruck der 5. Auflage von 1946. Springer, Berlin/Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-49410-9.

Wörterbucheinträge

  • Georgi Schischkoff: Philosophisches Wörterbuch. 14. Auflage. Alfred Kröner-Verlag, Stuttgart 1982, ISBN 3-520-01321-5; Eintrag Leib-Seele-Problem (Seite 402), vgl. auch Peters, ebenda und sein Begriff der psychophysischen Korrelation.
  • Uwe Henrik Peters (1984): Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. 3. Auflage, Urban & Schwarzenberg; Eintrag Psychopathologie (Seite 449f.) und Eintrag Griesinger, Wilhelm (Seite 223) hier zum Stw. Neurologisierung

Weblinks

 Wiktionary: Psychopathologie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Pschyrembel klinisches Wörterbuch, Verlag deGruyter, 267. Auflage 2017 (ISBN 978-3-11-049497-6). (Stichwort Psychopathologie, online)
  2. Psychopathologie In: Uwe Henrik Peters: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. 1999, ISBN 3-86047-864-8, S. 422–423.
  3. Hermann Emminghaus (1878): Allgemeine Psychopathologie zur Einführung in das Studium der Geistesstörungen. (Digitalisat).
  4. Gerald C. Davison, John M. Neale, Martin Hautzinger (2016): Klinische Psychologie. Beltz Verlag, ISBN 978-3-621-28441-7. S. 6f. (Leseprobe)
  5. 5,0 5,1 Uwe Henrik Peters: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Urban & Schwarzenberg, München 3. Auflage 1984, Stw. Psychopathologie, Seite 449.
  6. Erwin H. Ackerknecht: Kurze Geschichte der Psychiatrie. Enke, Stuttgart 31985, ISBN 3-432-80043-6, Seite 59 f.


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