Gottessohn

Aus AnthroWiki
(Weitergeleitet von Sohn Gottes)

Mit den Begriffen Gottessohn und Menschensohn sind zwei Menschen bezeichnet, die wir alle in uns tragen. Etwa während der ersten drei Lebensjahren, wenn das Ichbewusstsein noch nicht erwacht ist, lebt der Mensch noch als reiner Gottessohn; erst danach, wenn sein Ich allmählich zum Bewusstsein seiner selbst erwacht, wird er zum Menschensohn.

In den altorientalischen Kulturen wurden seit der urpersischen Zeit die herrschenden Gottkönige als Gottessohn bezeichnet. Bei den alten Ägyptern galt der Pharao als Sohn des Gottes Amun. Im alttestamentarischen Judentum wurde das Volk Israel (Hos 11,1 LUT), seine Könige (Ps 2,7 LUT; 89,27-28 LUT) und einzelne gerechte Israeliten Söhne Gottes bzw. Söhne der Elohim genannt (hebr. בֵּן אֱלֹהִים ben elohim). Die Menschensöhne hingegen wurden als Söhne Adams angesehen (hebr. בן–אדם ben adam). Bei den Griechen wurde Alexander der Große als Sohn des Zeus verehrt und bei den Römern nannte sich Augustus ab 42 v. Chr. „Sohn Gottes“ (lat. Divi filius) und begründete damit den römischen Kaiserkult. In den christlichen Konfessionen wird die Bezeichnung Sohn Gottes exklusiv auf die Menschwerdung Gottes in dem Jesus Christus bezogen (Mk 1,1 LUT).

„Wenn wir zurückgehen in ältere Zeiten - die äußere Geschichte zeigt nur noch Spuren davon, man muß da schon geisteswissenschaftlich durch die Methoden, die wir ja kennengelernt haben, in die Sache eindringen, um das einzusehen -, wenn wir zurückgehen zu dem Menschen der vorgriechischen Zeit, etwa zur ägyptischen Kultur, zur babylonisch-chaldäischen Kultur oder gar zur urpersischen Kultur, finden wir überall, daß beim Menschen die Empfindung vorliegt, er sei aus einem vorgeburtlichen, aus einem vorirdischen Leben auf die Erde heruntergestiegen. Und was Götter in ihn verpflanzt hatten im vorirdischen Leben, das trägt er noch als eine Nachwirkung in sich.

Der Mensch fühlte sich damals eigentlich so auf der Erde, daß er sich sagte: Hier auf der Erde stehe ich. Bevor ich auf der Erde stand, war ich in einer geistig-seelischen Welt, bildhaft gesprochen in einer Lichtwelt. In meinem Innern leuchtet geheimnisvoll noch jenes Licht fort. Ich bin gewissermaßen als Mensch die Umhüllung des göttlichen Lichtes, das noch in mir fortlebt. - Und so war sich der Mensch bewußt, daß ein Göttliches mit ihm selber auf die Erde heruntergestiegen war. Er sagte eigentlich nicht — das ist selbst philosophisch nachzuweisen —: Ich stehe hier auf der Erde, sondern er sagte eigentlich: Ich Mensch umhülle den Gott, der sich auf die Erde gestellt hat. - Das war eigentlich sein Bewußtsein. Und je weiter wir zurückgehen in der Menschheitsentwickelung, desto mehr finden wir dieses Bewußtsein: Ich Mensch auf der Erde umhülle den Gott, der herabgestiegen ist. - Denn das Göttliche war ein Vielfältiges. Und man möchte sagen: Die letzten Götter in der Götterhierarchie, die bis zur Erde herabreichten, waren für das alte Bewußtsein die Menschen selbst [...]

Daraus aber entwickelte sich dasjenige Bewußtsein, welches im Menschen gegenüber dem göttlichen Vater, dem Vatergotte, vorhanden war. Der Mensch selber fühlte sich als eine Art Göttersohn. Nicht das am Menschen fühlte er so, was in Fleisch und Blut dastand, aber dasjenige, was Fleisch und Blut umhüllte, was ja nach der Anschauung verschiedener Menschen der alten Zeit allerdings sich nicht würdig machte, den Gott zu umhüllen. Nicht diesen Menschen in Fleisch und Blut betrachtete er als ein Göttliches, aber dasjenige, was hereinragte aus einer geistigen Welt in diesen physisch-irdischen Menschen, in den Menschen aus Fleisch und Blut.“ (Lit.:GA 221, S. 127f)

„Es ist keineswegs dasselbe Verhältnis zwischen Ätherleib und Astralleib und Ich für die erste Kindheit und für das spätere Alter des Menschen. Auch beim Menschen selber, bei der einzelnen menschlichen Entwickelung müssen wir darauf Rücksicht nehmen, daß das Verhältnis sich ändert. Wir haben namentlich als eine sehr wichtige Zeit im Verlauf des menschlichen Einzellebens jene Zeit, welche die drei ersten Lebensjahre ungefähr umfaßt. Im Grunde ist jeder Mensch da ein ganz anderes Wesen als später. Wir wissen, daß diese drei ersten Jahre und die spätere Zeit scharf voneinander abgegrenzt sind durch zwei Tatsachen. Die eine ist diese, daß der Mensch erst nach Verlauf dieser Zeit lernt, das Ich zu erfassen, zu sich Ich zu sagen, seine Ichheit zu verstehen. Das andere ist, daß der Mensch, wenn er sich später zurückerinnert, sich nur bis an diesen Zeitpunkt höchstens zurückerinnert, der diesen Zeitraum von dem späteren Leben trennt. Kein Mensch weiß im normalen Zustand irgend etwas, was diesem Zeitpunkt vorangeht. Der Mensch ist da ein ganz anderes Wesen in einer gewissen Beziehung. Und wenn auch wiederum heutige Psychologen die unglaublichsten Kindereien sagen, müssen wir dennoch an dieser Erkenntnis festhalten, daß in der Tat der Mensch zu einem Bewußtsein seiner Ichheit erst nach Verlauf dieser Zeit kommt. Es gibt heute schon sogar Psychologien, in denen man lesen kann, der Mensch lernte zuerst denken und dann sprechen. Nun, solches Blech, wie es heute geschrieben wird in populären psychologischen Schriften, ist nur möglich in einem Zeitalter, in dem diejenigen Menschen, die heute an den offiziellen Stellen Psychologie treiben, als ernsthafte Wissenschafter angesehen werden. Diese Tatsache gehört zu den wichtigsten, daß wir die Scheidung dieser ersten Lebensjahre von den späteren ins Auge fassen und sozusagen die ersten Lebensjahre hindurch den Menschen als ein ganz anderes Wesen ansehen als später. Später erst tritt das Ich des Menschen, dasjenige, woran alles gebunden ist, auf. Aber kein Mensch sollte behaupten, daß dieses Ich vorher untätig war. Es war natürlich nicht untätig. Es wird nicht erst geboren im dritten Jahre; es war da, es hatte nur eine andere Aufgabe als in die Tätigkeit des Bewußtseins einzugreifen.

Was hatte es für eine Aufgabe? Es ist der wichtigste spirituelle Faktor bei der Bildung der drei Hüllen des Kindes, des Astralleibes, Ätherleibes und physischen Leibes. Die physische Hülle des Gehirns wird fortwährend umgebildet. Da haben wir fortwährend das Ich an der Arbeit. Es kann nicht bewußt werden, weil es eine ganz andere Aufgabe hat: es muß erst das Werkzeug des Bewußtseins formen. Dasselbe, was uns später bewußt wird, arbeitet erst an unserem physischen Gehirn in den ersten Lebensjahren. Es ist sozusagen nur eine Änderung der Aufgabe des Ich. Erst arbeitet es an uns, dann in uns. Es ist wirklich ein Plastiker zuerst, dieses Ich, und es ist unsagbar, was dieses Ich an der Formung selbst dieses physischen Gehirns leistet. Ein gewaltiger Künstler ist dieses Ich. Aber wer gibt ihm die Kraft? Diese Kraft hat es aus dem Grunde, weil in das Ich in den ersten drei Lebensjahren die Kräfte der nächsthöheren Hierarchie, der Engel einströmen. In der Tat arbeitet - das ist kein Bild, das ist kein Gleichnis, sondern tatsächlich eine Wahrheit - im Menschen durch das Ich des Menschen Engel, das heißt eine Wesenheit der nächsthöheren Hierarchie. Diese Wesenheit arbeitet in dem Ich und durch das Ich an dem Menschen, ihn plastisch ausgestaltend. Es ist, wie wenn der Mensch den ganzen Strom des spirituellen Lebens hätte, als ob er zu den höheren Hierarchien hinaufflösse und da die Kräfte der höheren Hierarchien auf ihn hereinströmten. Und in dem Augenblick, wo er lernt Ich zu sagen, ist es so, als ob etwas von der Kraft abgetrennt würde, wie wenn er dazu berufen würde, etwas zu tun von dem, was der Engel vorher tat.

Damit aber haben wir in den ersten Lebensjahren tatsächlich etwas gegeben, was uns wie ein letzter Nachklang dessen erscheint, was durch das ganze menschliche Leben auch noch in einem gewissen Grade da war in der ersten nachatlantischen Zeit. So wie der Mensch ungefähr in den ersten Lebensjahren ist, so war der Mensch fast sein ganzes Leben hindurch, mindestens die erste Hälfte seines Lebens, unmittelbar nach der großen atlantischen Katastrophe. Das können wir uns deutlich an der ersten indischen Kultur vergegenwärtigen. Die kindlichsten Menschen in der ersten indischen Kultur waren die großen Lehrer des indischen Volkes, die heiligen Rishis. Ich habe öfter auf sie aufmerksam gemacht. Wenn man sie sich vorstellen würde nach dem Muster eines heutigen Gelehrten, würde man sehr fehl gehen. Wenn ein heutiger Mensch sie treffen würde, würde er sie überhaupt nicht für erhebliche Menschen betrachten. Sie würden ihm einfach kindlich naive Bauern sein. Es gibt vielleicht heute solche Kindlichkeit gar nicht mehr, wie sie bei den Rishis vorhanden war. Dann aber, wenn sie ihre Zeiten hatten, sprach durch sie das, was als Strom der Inspiration hereinströmte, dann sagten sie Dinge, welche die Geheimnisse der höheren Welten waren, weil sie ihr ganzes Leben hindurch eigentlich niemals das Wort Ich im Sinne der heutigen Menschen über ihre Lippen brachten. Sie haben nie Ich gesagt. Sie unterschieden sich also von dem Kind dadurch, daß das Kind das primitive Vorstellen hat. Aber in dieselbe Form des Seelenlebens flössen herein die höchsten Weisheitsschätze, wie wenn heute ein Kind in den ersten drei Jahren die größte Weisheit sagen würde. Die sagt es im Grunde nicht - aber vielleicht doch nur für einen Teil der Menschen nicht. Vielleicht darf ich Sie daran erinnern, daß ich öfter den Satz ausgesprochen habe: Der Weiseste kann vielleicht am meisten von dem Kinde lernen. - Und wenn tatsächlich derjenige, der selber in die geistigen Welten hineinschauen kann, das Kind vor sich hat mit dem Strom, der in die geistige Welt hinaufgeht, dann ist das so - verzeihen Sie den trivialen Ausdruck -, dann hat derjenige, der in die geistigen Welten hineinzusehen vermag, in dem Kinde etwas wie einen Telephonanschluß in die geistigen Welten. Durch das Kind spricht die geistige Welt. Die Menschen wissen es nur nicht. Der Weiseste kann am meisten von dem Kinde lernen. Das Kind spricht nicht, sondern der Engel aus dem Kinde.

Nun ist die Frage diese: Wie verhält sich zum späteren Leben die ganze Konstitution des Menschen dann, wenn sein Ich nicht bloß das vierte Glied ist, sondern zugleich das unterste Glied eines Engels ist? Wir könnten geradezu die Glieder des Engels für diese Zeit anführen, das Kindes-Ich als das unterste Glied des Engels aufzählen. Die Beziehungen sind ganz anders als später zwischen den Wesensgliedern. Es fragt sich also, wie verwandelt sich das später beim Menschen? Was geht da später vor? - Es wird so etwas wie die lebendige Strömung abgeschnürt, der Mensch verliert den lebendigen Zusammenhang mit der geistigen Welt. Daher sind auch in diesen ersten Lebensjahren am Menschen am intensivsten bemerkbar diejenigen Kräfte, die er aus seinen früheren Inkarnationen mitbringt. Da arbeitet am intensivsten der Wesenskern der geistigen Teile, so die Körperlichkeit herauszugestalten, daß sie geeignet ist für die Inkarnation. Wie verhält sich das spätere normale Bewußtsein dazu? So, daß der Mensch heute eben nicht mehr jenen Leib hat, jenen Ätherleib und seine Beziehungen zum physischen Leib, wie sie bei den heiligen Rishis vorhanden waren. Da blieb das ganze Leben hindurch jenes Vererbungsverhältnis für den Ätherleib und Astralleib, welches möglich machte, daß dieses Ich plastisch arbeiten konnte an der äußeren Hülle des Menschen. Heute erben wir schon mit der Geburt einen so dichten und anspruchsvollen physischen Leib, daß nur ein geringer Teil der Arbeit von dem Ich geleistet werden kann, der früher geleistet worden ist. Unser physischer Leib ist nicht mehr geeignet für das, was wir in den ersten drei Jahren sind. Wir erben jenen physischen Leib, den wir für die späteren Lebensjahre brauchen, und der ist nicht geeignet, das Auge hinaufzurichten in die geistigen Welten. Das Kind weiß nicht, was herunterströmt, und die Umstehenden erst recht nicht, denn es hat sich der physische Leib geändert, er ist dichter, trockener geworden. Wir werden geboren mit einer Seele, die noch in den ersten drei Jahren in die geistigen Welten hinaufragt, aber wir werden mit einem Leib geboren, der dazu berufen ist, das Bewußtsein, in dem das Ich lebt, unser ganzes übriges Leben hindurch zu entwickeln. Hätten wir nicht diesen dichten physischen Leib, so würden wir allerdings kindlich bleiben vermöge des heutigen Menschheitszyklus. Aber weil wir ihn haben, kann das Zusammenleben mit der spirituellen Welt während der drei ersten Jahre nicht zum vollen Bewußtsein kommen.

Was muß jetzt eintreten im Laufe der Menschheitsentwickelung? Was ist das einzig Gesunde? Wir können am leichtesten dieses Gesunde aussprechen, wenn wir die beiden Begriffe der alten Zeit gebrauchen für diese zwei Menschen, die in uns leben. Der eine Mensch ist der geistig-seelische in den ersten drei Kindheitsjahren, der nicht mehr recht zum äußeren Menschen paßt, aber kein Ich-Bewußtsein entwickeln kann. Diesen Menschen nannte man in alten Zeiten den Gottessohn. Und den, der heute seinen physischen Leib so hat, daß das Ich-Bewußtsein darin leben kann, nannte man den Menschensohn. So daß der Gottessohn im Menschensohn lebt. Heute ist es so, daß der Gottessohn sich nicht mehr bewußt werden kann im Menschensohn, sondern erst abgeschnürt werden soll, wenn das heutige Ich-Bewußtsein auftreten soll. Aber des Menschen Aufgabe ist es, den Menschensohn, die äußeren Hüllen, durch bewußte Aufnahme der spirituellen Welt so umzugestalten, so zu überwinden, so sich über das zum Herrn zu machen, daß nach und nach der Menschensohn wiederum ganz durchdrungen wird vom Gottessohn. Wenn die Erde am Ende ihrer Entwickelung angelangt sein wird, muß der Mensch bewußt gemacht haben, was er unbewußt von der Kindheit herauf nicht mehr machen kann. Mit seinem göttlichen Teil muß er seinen Menschensohn ganz durchdrungen haben. Was muß den Menschen ganz durchdringen und durchgießen, was muß sich in alle Glieder des physischen, Äther- und Astralleibes hineingießen, damit der Mensch seinen ganzen Menschensohn mit dem ganzen Gottessohn durchdringt? Da muß - vom Ich durchdrungen, vollbewußt -, was in den drei ersten Lebensjahren lebt, den ganzen Menschen durchdringen, das muß sich ergießen.“ (Lit.:GA 127, S. 61ff)

Die Bezeichnung Gottessohn oder Sohn Gottes wird auch in der Bibel, insbesondere im Neuen Testament verwendet und dort auf den Christus bezogen, der ab der Jordan-Taufe für drei Jahre im Leib des Jesus von Nazareth auf Erden lebte.

„Nehmen wir an, es sollte vor uns auftreten wie ein Muster dessen, was der Mensch werden soll, ein Wesen wie ein Ideal. Was muß sich bei diesem Wesen erfüllen? Dasjenige, was als Seele in diesem Wesen drinnen sitzt, kann man nicht brauchen, das kann die äußeren Hüllen nicht durchdringen. Ein gewöhnlicher Mensch der heutigen Entwickelung würde nicht das menschliche Erdenideal verwirklichen können, würde es nicht darstellen können. Wir müßten die Seele herausreißen, sozusagen ihn vor uns stehen haben wie er als Menschensohn die Seele herausreißt, und eine solche Seele in diesen Menschen hineinsenken, die wie die Seele in den drei ersten Lebensjahren ist, nur von vollem Ich-Bewußtsein durchdrungen. Auf keine andere Weise könnten wir ein Ideal der Erdenentwickelung vor uns hinstellen als einen Menschen, dem wir ausreißen seine Seele und dem wir eine Seele einpflanzen wie in den drei ersten Jahren, und diese kindliche Seele müßte das volle Ich-Bewußtsein haben. Die müßten wir einpflanzen. Und wie lange würde dann in einem physischen Menschenleben es eine solche Seele aushalten können? Der physische Leib kann nur drei Jahre hindurch eine solche Seele tragen, dann muß er eine solche Seele unterjochen. Also bei einem solchen Menschen muß der physische Leib nach drei Jahren zerbrechen. Es müßte das ganze Karma der Erde so eingerichtet sein, daß der physische Leib nach drei Jahren zerbricht. Denn beim Menschen, wie er heute ist, ist es so, daß das, was in drei Jahren lebt, unterjocht wird. Bleibt es aber, so müßte es umgekehrt den physischen Leib unterjochen und zersprengen. Also ein Ideal dessen, was die Menschen-Erdenmission ist, würde sich nur erfüllen, wenn in einem Menschen physischer Leib, Ätherleib und Astralleib für sich blieben, die gewöhnliche Seelenhaftigkeit herausgerissen würde, die Seelen-haftigkeit der drei ersten Jahre mit vollem Ich-Bewußtsein hineingesenkt würde. Dann würde die Seele den Menschenleib zersprengen, aber während dieser Jahre würde es darleben ein volles Musterbild dessen, was der Mensch erreichen kann.

Dieses Ideal ist das Christus-Ideal, und was in der Jordan-Taufe geschehen ist, ist die Realität dessen, was geschildert worden ist. Es wurde tatsächlich dieses vor die Erdenmenschheit hingestellt, was wir als das menschliche Ideal begreifen müssen. Es kann gar nicht anders sein. Was wir da einsehen, ist geschehen. Es ist geschehen, daß durch die Jordan-Taufe die Seele, an die wir gebannt werden während unserer drei ersten Kindheitsjahre, aber nun voll durchdrungen vom menschlichen Ich, in vollem Zusammenhang mit der spirituellen Welt nach oben, in einen menschlichen Leib, aus dem die frühere Seele herausging, hineinversetzt worden ist, und daß nach drei Jahren diese Seele aus den spirituellen Welten die Leiber zersprengt hat. So haben wir in den drei ersten Lebensjahren ein schwaches Abbild dessen vor uns, gleichsam ein ganz entblößtes Abbild dessen, was als Christus-Wesenheit drei Jahre lang im Leib des Jesus auf der Erde gelebt hat. Und wenn wir eine solche Menschenwesenheit in uns selber auszubilden versuchen, die wie die Kindheitsseele ist, aber voll durchdrungen von allem Inhalt der spirituellen Welt, dann haben wir eine Vorstellung jener Ichheit, jener Christusheit, von der Paulus spricht, als er die Forderung an die Menschen stellt: Nicht ich, sondern der Christus in mir -: die mit der vollen Ichheit erfüllte kindliche Seele. Dadurch wird der Mensch so, daß er seinen Menschensohn durchdringen kann mit seinem Gottessohn und imstande sein wird, sein Erdenideal zu erfüllen, zu überwinden alle äußere Wesenheit und den Zusammenhang wieder zu finden mit der spirituellen Welt.

Wie müssen wir aber werden? Jeder Ausspruch hat einen mehrfachen Sinn in den religiösen Urkunden. Wir müssen werden wie die Kinder, wenn wir hineinschauen wollen in die Reiche der Himmel, aber mit der vollen Reife des Ich. Das steht uns in Aussicht bis zur Zeit, wo die Erde ihre Mission erfüllt haben wird.“ (Lit.:GA 127, S. 66ff)

„Das müssen Sie sich einmal als einen Begriff aneignen: der Menschensohn, der sich im Menschen findet von dem Zeitpunkt ab, bis zu dem sich der Mensch heute zurückerinnert, mit alledem, was sich der Mensch von der Kultur aneignen kann. Fassen Sie diesen Menschen ins Auge und denken Sie sich nun alles, was der Mensch sein könnte durch den Zusammenhang mit dem Makrokosmos, wenn hinzukäme, was in den ersten Kindheitsjahren hereindringt vom Makrokosmos. In den ersten Kindheitsjahren kann es nichts anderes sein als eine Grundlage, weil das entwickelte menschliche Ich noch nicht da ist. Wenn es aber in das entwickelte menschliche Ich hereinfiele, dann würde geschehen, was zuerst geschehen ist in dem Augenblick, als dem Jesus von Nazareth der Geist von oben herunterkam durch die Jordan-Taufe: Die drei unschuldigen Kindheits-Entwickelungsstadien mischten sich mit dem übrigen Menschentum zusammen. Das ist das Nächste. Und was war die Folge davon? Die Folge war, daß dieses unschuldige Kindheitsleben, als es sich entwickeln wollte auf der physischen Erde, sich nur drei Jahre entwickeln konnte — wie es sich überall nur drei Jahre entwickelt - und dann auf Golgatha sein Ende fand, das heißt, sich nicht vermischen konnte mit dem, was der Mensch wird in dem Zeitpunkt, bis zu dem er sich dann normalerweise zurückerinnert.

Wenn Sie dies durchdenken: was es bedeuten würde, wenn sich herein mischte in einen Menschen all der Zusammenhang mit dem Makrokosmos, der dumpf und dämmerhaft in den ersten Kindheitsjahren aufkommt, der aber, weil das Kind noch nicht das Ich-Bewußtsein hat, noch nicht wirklich leuchten kann; und wenn Sie weiter denken, wie, wenn er aufdämmerte im späteren Bewußtsein, etwas sich bilden würde, etwas hereinfiele in uns, was nicht aus dem Menschen in uns stammt, sondern aus der ganzen Weltentiefe, aus der wir herausgeboren werden - dann haben Sie die Interpretation der Worte, die da gesprochen worden sind in bezug auf das, was dargestellt ist in dem Herunterkommen der Taube: «Dies ist mein viel geliebter Sohn; heute habe ich ihn gezeuget!» Das heißt: es ist hier der Christus in dem Jesus von Nazareth inkarniert worden, «gezeuget» worden, der Christus, der in der Tat geboren wurde in den Jesus von Nazareth in dem Augenblick der Johannes-Taufe und der auf der Höhe jenes Bewußtseins stand, das sonst die Menschen nur in den ersten Kindheitsjahren haben, aber mit allem kosmischen Zusammengehörigkeitsgefühl, welches das Kind haben müßte, wenn es wissen würde, was es fühlt in den ersten drei Jahren. Dann würden allerdings auch jene Worte eine ganz andere Bedeutung bekommen: «Ich und der Vater» - der kosmische Vater - «sind eins.»

Wenn Sie dies auf Ihre Seele wirken lassen, dann werden Sie ein wenig von dem nachfühlen, was sozusagen als ein erstes Grundelement in der Offenbarung von Damaskus für Paulus eingetreten ist, und was in dem schönen Worte zum Ausdruck kommt: «Wenn ihr nicht werdet wie die Kindlein, könnt ihr nicht in die Reiche der Himmel kommen!» Dieses Wort hat eine vielfache Bedeutung, aber auch diese. Paulus sagte: «Nicht ich, sondern der Christus in mir!» - das heißt die Wesenheit, die ein solches makrokosmisches Bewußtsein hat, wie es das Kind haben würde, wenn es das Bewußtsein der ersten drei Jahre durchdringen könnte mit dem Bewußtsein der späteren Zeit. Beim heutigen normalen Menschen sind diese beiden Arten getrennt, müssen getrennt sein; denn sie würden sich sonst nicht vertragen können. Sie haben sich auch nicht im Christus Jesus vertragen. Denn nach jenen drei Jahren mußte notwendigerweise der Tod eintreten, und zwar unter den Verhältnissen, wie sie sich in Palästina abgespielt haben. Nicht zufällig haben sie sich so dargestellt, sondern durch das Ineinanderleben dieser zwei Faktoren: des Gottessohnes, der der Mensch ist von dem Zeitpunkt der Geburt bis zur Entwickelung des Ich-Bewußtseins, und des Menschensohnes, der der Mensch ist nach dem Zeitpunkt der Erringung des Ich-Bewußtseins. Durch das Zusammenleben des Menschensohnes und des Gottessohnes wurden hervorgerufen die Ereignisse, die dann zu den Ereignissen von Palästina geführt haben.“ (Lit.:GA 124, S. 127ff)

Der Gottessohn in uns ist die Quelle aller belebenden, aufbauenden Kräfte, die in dieser Form nur in den ersten drei Jahren unseres Lebens wirken können. Dennoch bleibt der Gottessohn auch später noch in uns erhalten, nur kann er dann den bereits verhärteten physischen Leib nicht mehr voll ergreifen. Wer die Kräfte des Gottessohnes in späteren Lebensjahren noch in sich regsam machen kann, bei dem fließt diese Kraft durch die Fingerspitzen, und er bekommt die besondere Gabe der Heilung, der Gesundung durch Handauflegen.

„Die besten Kräfte sind in diesen ersten drei bis dreieinhalb Jahren enthalten; wir zehren das ganze Leben davon. Sie werden verdunkelt, aber sie sind in den späteren Jahren doch in der verschiedensten Art vorhanden. Es ist so, wie wenn wir von diesen Kräften durchsetzt würden und sie nur nicht unmittelbar ausleben lassen könnten. Wenn wir durch die Geisteswissenschaft Begriffe von den höheren Welten aufnehmen wollen, so können wir dies um so besser, je mehr wir von dem in uns haben, was in den ersten drei Jahren in uns war, wo das Ich selbstlos in uns war. Je frischer, je biegsamer diese Kräfte sind, je weniger greisenhaft sie bis ins hohe Alter geworden sind, desto mehr eignen wir uns dazu, uns durch diese Kräfte des Geistes umzugestalten. Es ist der Menschheit bestes Teil, was wir in diesen drei Jahren um uns haben. Nur der dichte physische Leib hindert uns leider, diese Kräfte voll zu gebrauchen. Wenn sie jemand in späteren Jahren besonders entwickeln kann, so kann er dadurch nicht mehr seinen physischen Körper umändern, er ist nicht mehr so weich wie Wachs. Aber wenn er sie voll gebrauchen kann durch esoterische Weisheit, dann fließt diese Kraft aus durch die Fingerspitzen, und er bekommt die besondere Gabe der Heilung, der Gesundung durch Handauflegen - wenn sie noch wirksam sind, jene geistigen Kräfte, die nicht mehr den eigenen Körper umgestalten, die aber, wenn sie ausfließen, segensreich wirken.

Das Ziel der Erdenentwickelung ist, diese besten Kräfte in uns nach und nach zur Geltung zu bringen. Wenn die Erdenentwickelung zu Ende sein wird und wir durch die vielen Inkarnationen durchgegangen sein werden, werden wir uns ganz durchdrungen haben müssen bewußt mit dem, was wir unbewußt haben in den ersten Kindheitsjahren. Es ist ein Unterschied, ob wir diese Kräfte unbewußt haben oder bewußt. Die Menschen werden dann ganz durchdrungen sein müssen von einem solchen kindhaften Bewußtsein. Und es wird dann, weil es nur langsam ausdehnen wird seinen Körper, ihn auch nicht zersprengen.“ (Lit.:GA 127, S. 91)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.