Taubblindheit

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Taubblindheit ist eine komplexe Sinnesbehinderung, bei der Gehörlosigkeit und Blindheit zusammen auftreten. Der Begriff bezieht sich in der Regel nicht nur auf den vollständigen Ausfall des Hör- und Sehvermögens, sondern auch auf die viel häufigere Kombination mehr oder weniger starker Hör- und Sehschädigungen. Zentrale Probleme der betroffenen Menschen sind zum einen Mobilität und räumliche Orientierung, zum anderen die Kommunikation, die mithilfe einer Vielzahl unterschiedlicher Kommunikationssysteme ermöglicht wird. Aus diesen Problemen erwachsen eigene, über die Blinder und Gehörloser hinausgehende Bedürfnisse. Taubblindheit ist eine Behinderung, die eigenständige Merkmale aufweist. Die Betroffenen können im Gegensatz zu blinden oder gehörlosen Menschen die Funktionseinschränkung eines Fernsinnes (Sehen/Hören) nicht durch den jeweils anderen Sinn ausgleichen. Sie sind auf bedarfsgerechte und dauerhafte Unterstützung und Assistenz angewiesen, um selbstbestimmt leben und an der Gesellschaft teilhaben zu können.[1]

Symptome und Beschwerden

Grundsätzlich kann man unterscheiden zwischen:

  • blind geboren und ertaubt vor Spracherwerb,
  • blind geboren und ertaubt nach Spracherwerb,
  • taubblind geboren,
  • taub geboren und erblindet im Kindesalter,
  • taub geboren und erblindet in hohem Alter,
  • weder taub noch blind geboren; später ertaubt und erblindet (entweder gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeiten).

Es ist leicht vorstellbar, dass in den ersten drei Situationen blindenspezifische Hilfsmittel eine größere Rolle spielen, in den beiden dann genannten Situationen eine Zugehörigkeit zur Gehörlosen(kultur)gemeinschaft möglich ist, in letztgenannter Situation ein davon völlig unterschiedliches (erheblich hilfsbedürftiges) Leben geführt wird.

Ursachen

Es gibt mehr als 70 verschiedene Ursachen für Taubblindheit, eine davon ist das Usher-Syndrom. Generell kann man in zwei große Bereiche einteilen: erworbene und angeborene Taubblindheit.

Taubblindheit als eigene Behinderung

Die Mitglieder aller Fraktionen im Deutschen Bundestag stimmen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Taubblinden und dem Deutschen Gehörlosenbund zu, dass „Bl“ für blind und „Gl“ für gehörlos in Kombination kein Ersatz für ein eigenes Merkzeichen „TBl“ sind. Taubblindheit ist eine eigenständige Behinderung, die Betroffenen haben spezielle Bedürfnisse, die man mit denen der tauben oder blinden Menschen nicht vergleichen kann. Die Stiftung taubblind Leben, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Taubblinden und der Verein Leben mit Usher-Syndrom haben am 20. März 2013 14000 Unterschriften für das Merkzeichen „TBl“ an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales übergeben. Die Fraktion der SPD hat dem Deutschen Bundestag am 27. November 2012 einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister hat im November 2012 einstimmig die Einführung des Merkzeichens beschlossen. Es wird nun daran gearbeitet, den Bedarf taubblinder Menschen anzuerkennen und Leistungen zu schaffen.[2] In Deutschland gibt es etwa 6000 Taubblinde.[3]

Seit dem 30. Dezember 2016 ist Taubblindheit in Deutschland als Behinderung eigener Art anerkannt. An diesem Tag wurde das Bundesteilhabegesetz (BTHG) im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und damit ist ab diesem Datum das Merkzeichen „TBl“ - taubblind - für taubblinde Menschen im Schwerbehindertenausweis eingeführt. [4]

Behandlung

Taubblindheit ist eine Behinderung und keine Krankheit. Folgend wird auszugsweise beschrieben, was bei der Bewältigung der Einschränkungen beider Fernsinne hilfreich ist:

Bei geringer Sehfähigkeit können zum Lesen bestimmte Hilfsmittel (große Bildschirme, Leselupen) zum Einsatz kommen. Das Erlernen von Gebärdensprachen mit Hilfe von haptischen Sinneswahrnehmungen wie Fühlen und Berührung ist ein weiterer Weg zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit. Bei geringer Hörfähigkeit kann mit Hörhilfen gearbeitet werden. Eine geringe Anzahl von taubblinden Kindern wird auch mit einem Cochleaimplantat versorgt, d. h. mit einer Hörprothese. Dies ist dann möglich, wenn der Hörnerv funktionstüchtig ist.

Folgen und Komplikationen

Taubblindheit erschwert die selbständige Lebensführung erheblich. Die schulische Ausbildung (Sonderschule), die Berufswahl, das Arbeitsleben, die Partnerschaft bzw. Ehe, die Kindererziehung, die Mobilität und die Bewältigung des Alltags sind stark beeinträchtigt.

Blindheit erschwert in diesem Zusammenhang die räumliche Orientierung, die Mobilität und die Aufnahme all der Informationen, die ausschließlich oder überwiegend nur optisch verfügbar sind.

Gehörlosigkeit schränkt die Kommunikation ein, so dass eine Unterhaltung taktile Gebärdensprache (Berührungssprache) erfordert, z. B. Lormen oder Tadoma.

In Ländern, in denen die Beschlüsse des Mailänder Kongresses von 1880 umgesetzt wurden (z. B. Deutschland und andere deutschsprachige Länder), konnten Betroffene oft ihre Kommunikationsform nicht frei wählen. Hier ist das Lormen (bei dem in die Handinnenfläche getastet wird) weit verbreitet, während in vielen anderen Ländern von Taubblinden die „geführte Gebärde“ eingesetzt wird, eine spezielle Gebärdensprache, die darauf angepasst ist, dass sie vom „Hörenden“ an den Händen des „Sprechenden“ abgefühlt wird.

Eine Ausnahme war das Oberlinhaus in Potsdam. Von 1887 bis 1962 befand sich hier die einzige Schule und Wohneinrichtung für taubblinde Menschen in Deutschland.[5] Von Beginn an wurde hier daktyliert und/oder körpernah (taktil) gebärdet.[6]

Taubblindenassistenz

Seit Mai 2012 gibt es eine Vereinbarung zwischen dem Taubblinden-Assistenten-Verband e.V. (TBA) und den Krankenkassen in NRW über Taubblinden-Assistenz bei Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung. In dieser Vereinbarung wird geregelt, dass Menschen mit Taubblindheit eine Taubblinden-Assistenz bezahlt bekommen.[7] Baden-Württemberg folgte dieser Regelung 2014, in anderen Bundesländern gibt es noch keine Kostenübernahme der Taubblindenassistenz durch die Krankenkassen.

Berühmte Taubblinde

Laura Bridgman[8] (1829–1889) war am Perkins-Institute for the Blind in Boston (Massachusetts/USA) die erste Taubblinde, der von Samuel Gridley Howe eine Schulbildung ermöglicht wurde. Laura Bridgman verlor im Alter von zwei Jahren Hör- und Sehsinn, später auch den Riech- und Geschmackssinn, war also nur auf den Tastsinn angewiesen. Vom für Bridgman entwickelten Bildungssystem für Taubblinde profitierte Helen Keller (1880–1968), sie lernte Bridgman noch persönlich kennen. Keller wurde zur bekanntesten taubblinden Person. Sie verlor im Alter von 19 Monaten durch eine bis heute nicht genau identifizierte Krankheit ihr Augenlicht und ihr Hörvermögen. Kellers schriftstellerische Begabung wurde vom Wiener Philosophen Wilhelm Jerusalem entdeckt, mit ihr war er zeit seines Lebens in Briefkontakt und konnte mit ihrer Hilfe 1913 in Wien Schule und Internat für Taubblinde mitbegründen.[9] Die taubblind geborene Marie Heurtin (1885–1921) erhielt in Larnay (Frankreich) auch die Möglichkeit zur Schulbildung. Im deutschsprachigen Raum bekannt ist die taubblinde Hertha Schulz (1876–1957). Hertha Schulz wurde am 14. Januar 1887 in das Oberlinhaus gebracht. Damals war sie zehn Jahre alt und konnte weder sehen noch hören. Mit ihrer Aufnahme begann der diakonische Dienst für taubblinde Menschen in Deutschland. Hertha lernte lesen, schreiben und daktylieren.[10]

Weblinks

Siehe auch

Literatur

  • Verena Cardinaux, Hubert Cardinaux, Armin Löwe: Nehmt mich an. Die Erziehung taubblinder Kinder. Groos, Heidelberg 1981, ISBN 3-87276-250-8.
  • Eun Cheong: „Schwerstbehinderte“ Menschen verstehen. Zur Psychologie und Pädagogik geistig behinderter blindtaubstummer Menschen. Afra-Verlag, Butzbach-Griedel 2002, ISBN 3-932079-63-9.
  • David Etheridge (Hrsg.): The education of dual sensory impaired children. Recognising and developing ability. 1. Auflage. Fulton, London 1995, ISBN 1-85346-335-3.
  • David Goode: A world without words. The social construction of children born deaf and blind. Temple Univ. Press (Health, society, and policy), Philadelphia 1994, ISBN 1-56639-216-0.
  • Gudrun Lemke-Werner: Taubblindheit, Hörsehbehinderung. Ein Überblick. Ed. Bentheim, Würzburg 2009, ISBN 978-3-934471-77-1.
  • Andrea Wanka, Hildegard Bruns, Almuth Kolb, Claudia Preißner, Annika Olschok: Taubblinden-Assistenz, Ein Lehrbuch Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft der TBA-Qualifizierungsinstitute (AGTI) ISBN 978-3-941146-61-7

Einzelnachweise

  1. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/11676 vom 27. November 2012 (PDF; 174 kB)
  2. Antrag TBL-Merkzeichen (PDF; 174 kB)
  3. Zahl auch bei Melanie Mühl: Nichts sehen, nichts hören : Warum sich niemand um die Taubblinden kümmert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Juni 2013 online, abgerufen 16. Februar 2018. Diese Zahl sei die Schätzung des "Gemeinsamen Fachausschusses hörsehbehindert/taubblind", man könne allerdings davon ausgehen, dass es weitaus mehr sind.
  4. taubblind, Zeitschrift für taubblinde u. hörsehbehinderte Menschen, Herausgeber: Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V., Heft 1 Januar / Februar 2017: Taubblindheit ist anerkannt
  5. Oberlinschule - Geschichte. Abgerufen am 5. Oktober 2009.
  6. Wilhelm Hochbaum: D. Theodor Hoppe. Vater der Krüppel und Taubstummblinden. Ein Lebensbild. Stiftungsverlag, Potsdam 1935, OCLC 66771157.
  7. Taubblinden-Assistentenverband
  8. Laura Bridgman und die Musik Abgerufen am 11. September 2013.
  9. Helen Keller, Wilhelm Jerusalem und die Gründung des Wiener Taubblinden-Instituts 1913. In: Herbert Gantschacher (Hrsg.): Wilhelm Jerusalem - Helen Keller: 'Briefe'. ARBOS-Edition, 2012, ISBN 978-3-9503173-0-5. Abgerufen am 11. September 2013.
  10. Hertha Schulz Abgerufen am 29. Juni 2012.


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