Volksstamm

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Als Volksstamm oder kurz Stamm wurde ursprüngliche eine kleinere oder größere Menschengemeinschaft bezeichnet, die sich auf eine gemeinsame Abstammung, d.h. auf eine durch konsequente Nahehe bewahrte enge Blutsverwandtschaft gründete und nicht als komplexer Staat, sondern als Stammesgesellschaft organisiert war. Verbunden damit war oft die Berufung auf einen menschlichen oder übermenschlichen Stammvater, seltener auf eine Stammmutter und das Prinzip der Blutrache. Der Stammvater wirkte dabei oft viele Generationen über seinen Tod hinaus als das einende Stammes-Ich der Stammesgemeinschaft. Daraus erklärt sich auch das sonst unverständlich hohe „biblische“ Alter, das diese Stammväter nach dem Bericht des Alten Testaments erreicht haben sollen. Damit war nicht die irdische Persönlichkeit gemeint, sondern die lange Zeit, während der der Stammvater noch nach seinem Tod als Stammes-Ich aus der geistigen Welt seinen Stamm inspirierte, um sich erst nach Jahrhunderten von ihm zu lösen. Eine an das Stammesbewusstsein bzw. die Stammeszugehörigkeit gebundene Politik wird heute als Tribalismus (von lat. tribus = Stamm, engl. tribalism = Stammeszugehörigkeit) bezeichnet.

„Wenn wir uns da nun erinnern an den Vortrag «Blut ist ein besonderer Saft», da finden wir eine besondere Anwendung des Wortes «Bewusstsein». Wer da festhält daran, dass es eine Entwicklung gibt, der muss auch zugeben, dass alles in Entwicklung ist; auch das Bewusstsein. Das Bewusstsein, was wir heute haben, war nicht immer da, es entwickelte sich aus einem andern Bewusstsein heraus, das dämmerhaft, traumhaft war, das in Bildern im Menschen lebte.

Diese Art des Bewusstseins, das dumpf und hellseherisch zugleich war, hing an einer ganz bestimmten Tatsache. Die Menschen lebten damals in kleinen Gemeinschaften, alle Völker, in deren fernen Ursprung wir untertauchen, zeigen dasselbe, je weiter die Geisteswissenschaft zurückgeht, desto kleinere Volksverbände zeigen sich ihr. Es galt als unsittlich, aus diesen kleinen Volksverbänden herauszuheiraten. Erst spater wurde dies Prinzip der Nah-Ehe durch das Prinzip der Fern-Ehe unterbrochen, und mit dieser Unterbrechung fängt auch die Entwicklung des dämmerhaften Bewusstseins zu dem heutigen verstandesmäßigen Bewusstsein zusammen. In den Angehörigen jener alten Stämme lebte ein ganz anderes Gedächtnis; das, was der Vater, der Großvater erlebte, das lebte im Sohn, als ob er selbst es erlebt habe. Die durchziehenden Kräfte von den Vorvätern, die rannen durch das Blut dieser in engen Blutsverbänden zusammengeschlossenen Stämme, und zwar in einem solchen Grade, dass der Nachkomme sich der Geschehnisse seiner Vorfahren so erinnerte, als ob er selbst sie erlebt habe; das war im Blut, das rollte durch Generationen hindurch. Der Sohn erinnerte sich und sagte: Ich habe das erlebt -, was Vater und Großvater et cetera erlebt hatten. Solange sich dies Ich - dies Stammes-Ich - erhielt, sprach man von derselben Wesenheit mit demselben Namen. Es ist Adam das durchgängige Ich des Adam, man bezeichnet damit das, was sich hinvererbt durch viele Generationen von Adam, nicht die Person des Adam.

Ebenso müssen wir die Stelle auffassen, wo es heißt: «Henoch, der Mann Gottes, verschwand von der Erde.» (1 Mos 5,24 LUT) Das heißt nicht, er habe sich aufgelöst in Dunst und Nebel, sondern «Henoch» bedeutet eben eines jener gemeinsame[n] Ich[e]. Dies wird aufgelöst dadurch, dass er der Mann Gottes wird, das heißt derjenige, der sich dem Geiste widmet, der es aufgibt, Nachkommen zu haben, der sich in einer Art Askese hingibt und daher verschwindet, da er nicht im Sohn weiterlebt und das mitgegeben hat, was im Blut rinnt.“ (Lit.:GA 68a, S. 261)

Noch in der Antike fühlten sich die Griechen nicht nur einer Polis (griech. πόλις „Stadt, Stadtstaat“), sondern auch einem einem Stamm, der Phyle (griech. φυλή, „der Stamm, das Volk“, vom Verb φύεσθαι phyesthai „abstammen“), zugehörig. Klassische Beispiele für das Stammeswesen sind die Zwölf Stämme Israels oder die in Stämmen organisierten Germanen, die vor allem eine Siedlungsgemeinschaft auf einem bestimmten Gebiet bildeten, auf dem aber auch andere ethnische Gruppen leben konnten, namentlich wenn es sich um eroberte Gebiete handelte. Für die die eigentliche Blutsbindung wurde der Begriff Sippe (ahd. sippar, von altnord. sifjar, vermutlich als Plural abgeleitet von der Göttin Sif).

Der Stammesbegriff gilt als veraltet; heute spricht man allgemeiner von einer Ethnie, die sich durch ihr Selbstverständnis als Gemeinschaft empfindet.

Siehe auch

Literatur

  • Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. MEW 21, Berlin 1973, S. 25–173 (Zürich 1884)
  • Morton Herbert Fried: The notion of tribe. Cummings, Menlo Park 1975
  • S. C. Humphreys: Anthropology and the Greeks. London 1978 (Kapitel 8)
  • Wolfgang Kraus: Islamische Stammesgesellschaften. Tribale Identitäten im Vorderen Orient in sozialanthropologischer Perspektive. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2004
  • Bruno Krüger: Stamm und Stammesverband bei den Germanen in Mitteleuropa. ZfA 20/1, 1986, S. 27–37
  • Adam Kuper: The invention of primitive society. Transformations of an illusion. Routledge, London 1988
  • Reinhard Wenskus: Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes. Böhlau, Köln/Graz 1961
  • Rudolf Steiner: Über das Wesen des Christentums, GA 68a (2020), ISBN 978-3-7274-0680-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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