Weihnachtspiele

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Das Oberuferer Christgeburtspiel

Die Oberuferer Weihnachtspiele, das Paradeis-Spiel, das Christgeburt-Spiel und das Drei-König-Spiel, sind zum festen Bestandteil der weihnachtlichen Festesgestaltung an den Waldorfschulen geworden. In den deutschen Sprachinseln Ungarns wurden sie zu Zeiten der alten Österreichisch-Ungarischen Monarchie als ein letztes Zeugnis alter Weihnachtsgebräuche lebendig gehalten. Karl Julius Schröer, der verehrte Hochschullehrer Rudolf Steiners an der Technischen Hochschule in Wien, hat die Texte in Oberufer (slowak. Prievoz = über das Ufer, ungar. Fõrév), einem ehemals deutschen Dorf, seit 1946 ein Vorort der slowakischen Stadt Preßburg (Bratislava), wieder entdeckt, gesammelt und veröffentlicht und so der Nachwelt erhalten. Sie sind in einer Art donauschwäbischem Dialekt in Reimen abgefasst. Von einfachen bäuerlichen Menschen gespielt, spricht aus diesen schlichten volkstümlichen Texten eine innige, herzenswarme Gemütsstimmung.

Nach altem Brauch wird am Heiligen Abend zugleich auch der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies gedacht. Und so geht auch den eigentlichen Weihnachtspielen sinnigerweise das Paradeis-Spiel voran. Der «alte Adam» wurde in den Sündenfall verstrickt; mit dem Christuskind wird nach den Worten des Apostels Paulus ein «neuer Adam» geboren, der ein neues geistiges Licht in der Menschheit entzündet.

Friedvoll innig leuchtet dieses Hoffnungs-Licht aus dem Christgeburts-Spiel, das uns die Geburtserzählung nach Lukas vor Augen führt, mit der Verkündigung des Erzengels Gabriel an Maria, der Offenbarung, die den Hirten auf dem Feld zuteil wird, und schließlich der Geburt des Jesuskindes im Stall zwischen Ochs und Esulein.

Ganz anders erleben wir die Geburtsgeschichte nach Matthäus, die uns hochdramatisch im Drei-Königs-Spiel gezeigt wird, mit dem Besuch der Heiligen Drei Könige und dem von König Herodes anbefohlenen Kindesmord, dem das Jesuskind nur knapp entgeht.

Über die Entstehungsgeschichte der Weihnachtsspiele und ihren tieferen Sinn berichtet uns Rudolf Steiner:

„In jenen deutschen Sprachinseln Ungarns, in denen vor der Zeit der Magyarisierung in den fünfziger, sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die deutsche Muttersprache, die deutsche Umgangssprache sich erhalten hatte, entfaltete sich noch so manches an Weihnachtspielen und Weihnachtsgebräuchen, was in den Hauptgegenden, im deutschen Mutterlande, längst hinuntergesunken war in den Strom der Vergessenheit. Die einzelnen Kolonisten, die im Laufe der vorherigen Jahrhunderte in die slawischen Gegenden eingewandert waren, bewahrten ihre alten Weihnachtspiele und erneuerten sie, wenn sich die richtigen Menschen fanden, die immer aus den Dorfleuten genommen wurden, um diese Weihnachtspiele darzustellen. Ich erinnere mich wohl noch - und Sie werden mir vielleicht doch zugestehen, solches beurteilen zu können -, mit welchem Enthusiasmus der alte Schröer über solche Weihnachtspiele sprach, wenn er davon erzählte, wie er dabeigewesen ist, wenn die Leute ihre Weihnachtspiele zu dieser Festeszeit gefeiert haben. Man bekommt sozusagen - das ist nicht zuviel gesagt - erst einen Begriff von dem innersten Wesen des Künstlerischen, wenn man zu diesen Dorfleuten geht und sieht, wie sie die einfache Kunst des Weihnachtspieles herausgeboren haben aus der heiligsten Stimmung. Die Menschen, welche heute glauben, von diesem oder jenem Lehrer deklamieren lernen zu können, die heute da- oder dorthin laufen, um diese oder jene Atemübungen zu machen, welche die rechten sind - es gibt ja heute viele Dutzende der rechten Methoden der Atmung für Gesang oder Deklamation -, diese Menschen glauben, es käme darauf an, den Menschenleib oder den Kehlkopf zum rechten Automaten zu machen, um in materialistischer Weise irgendeine Kunst zu pflegen. Ich möchte nur, daß diese kuriose Ansicht niemals in unseren Kreisen wirklich Wurzel fassen kann, denn diese Menschen haben keinen Begriff, wie aus heiligster Stimmung, aus Gebetes-Weihnachtsstimmung heraus eine einfache, aber eine wirkliche Kunst geboren worden ist, dargestellt worden ist mit tiefster Christenstimmung in der Seele und in der Brust von Dorfbuben, von denen oft während des Jahres recht lose und nichtsnutzige Streiche ausgeführt wurden. Denn diese einfachen Leute unter ihren Strohdächern haben unendlich viel mehr gewußt von dem Zusammenhange von Menschenseele, vom ganzen Menschen und von Kunst, als man heute in unseren modernen Theatern oder sonstigem Kunstwesen weiß, und wenn noch soviel Aufhebens davon gemacht wird: daß Kunst etwas ist, was aus dem ganzen Menschen, und, wenn sie heilige Kunst ist, aus der heiligen, frommen Stimmung des Menschen hervorgehen muß.

Das kann Ihnen zum Beispiel hervorgehen aus den vier Hauptbestimmungen, wie sie in Gegenden bestanden, die Schröer noch besuchen konnte.

Wenn Weihnachtspiele aufgeführt wurden in Gegenden Oberungarns, da sammelte, wenn der Oktober oder November herannahte, der, welcher die früher nie aufgeschrieben überlieferten Weihnachtspiele hatte - denn das Aufschreiben wurde als eine Profanierung angesehen -, diejenigen Menschen, die er für geeignet hielt. Und geeignet waren in dieser Weihnachtszeit wirklich Menschen, von denen man es vielleicht sonst nicht vorausgesetzt hatte: lose, nichtsnutzige Buben, die schon ihr gut Teil an allem möglichen Allotria während des Jahres getrieben hatten. Während dieser Zeit aber senkte sich in diese Seelen die nötige Stimmung. Es waren strenge Vorschriften für die Teilnehmer der Weihnachtspiele während der wochenlangen Probenzeit. Ein jeder, der mitwirken wollte, hatte die vier folgenden Regeln strenge zu beachten. Dazu muß man sich natürlich in das Dorfleben versetzen und bedenken, was es im Dorfleben bedeutet, bei einer solchen Sache nicht mittun dürfen.

«Ein jeder, der mitspielen will, darf 1. nicht zu 'n Diernen gehn, 2. keine Schelmliedel singen die ganze heilige Zeit über, 3. muß er ein ehrsames Leben führen, 4. muß er mir folgen. Für alles ist eine Geldstrafe, auch für jeden Gedächtnisfehler und dergleichen im Spiel.»

Klingt Ihnen nicht in dieser Gepflogenheit etwas nach von jenem Bewußtsein, das da war an heiligen Stätten in den alten Mysterien, wo man auch nicht gedacht hat, daß man zur Weisheit kommen kann durch eine gewöhnliche Schulung? So herrschte auch hier das Bewußtsein, daß der ganze Mensch mit seinem Gemüt und seiner Moral geläutert und gereinigt sein muß, wenn er in würdiger Weise an die Kunst herankommen will. Aus dem ganzen Menschen heraus sollten solche Dinge geboren sein. Und die Weihnachtsstimmung brachte so etwas zustande, daß Frommheit in den losesten Buben sein konnte.

Was ich Ihnen eben angeführt habe, was Schröer und andere noch an Weihnachtspielen sammeln konnten, die wie letzte Reste von alten Spielen gespielt worden sind, sind nur noch Ruinen. Wir schauen aber dabei zurück auf noch frühere Zeiten, auf Zeiten des 16., 15., 14.Jahrhunderts und so weiter, wo noch ganz andere Verhältnisse waren zwischen Dörfern und Städten, wo in der Tat die Seelen der Dorfbewohner zu dieser Christfestzeit in eine ganz andere Stimmung eintauchten durch das, was ihnen durch die Spiele gegeben werden konnte, wo mit den einfachsten, primitivsten Mitteln die heilige Legende dargestellt wurde, die Geburt des Christus, mit allem, was biblisch dazugehört. Und wie dem Weihnachtstag, dem 25. Dezember, im Kalender vorangeht der Adam- und Eva-Tag, so ging gewöhnlich dem Spiel, das als das eigentliche Weihnachtspiel galt, voran das sogenannte Paradeisspiel, das Spiel von Adam und Eva im Paradies, wie sie dem Teufel, der Schlange, zum Opfer gefallen sind. Man hatte in den einfachsten Gegenden unmittelbar Einblick gewinnen können in den Zusammenhang, der besteht zwischen dem Hinunterstieg des Menschen aus geistigen Höhen in die Sphäre des physischen Planes, und jenem Ruck, den der Mensch empfangen hat durch den Christus-Impuls, wieder hinauf in die geistigen Welten.

Wenn der Mensch die Paulusbriefe liest, das Grandiose der Paulinischen Auffassung verspürt von dem Menschen, der in Adam heruntergestiegen ist von der geistigen Welt in die sinnliche, und von dem «neuen Adam», dem Christus, in dem der Mensch wieder hinaufsteigt von der Sinneswelt in die geistige, wenn der Mensch an Paulus das in grandioser Art empfinden und fühlen kann - in inniger, liebevoller, gemütvoller Weise konnten es die einfachsten Menschen, bis hinunter zu den Kindern, in der Tiefe ihres Herzens, in der Tiefe ihrer Seele empfinden, wenn ihnen in der Zeit nacheinander vorgeführt wurde das Paradeisspiel von Adam und Eva, vom Sündenfall der Menschen und von der Offenbarung des Christus in dem Weihnachtspiel. Und tief, tief hatte man empfunden den gewaltigen Einschnitt, der gemacht worden war in der Menschheitsentwickelung durch das Christus-Ereignis. Eine Umkehrung des Entwickelungsweges, so wurde das Christus-Ereignis empfunden. Ein Weg vom Himmel sozusagen auf die Erde war der Weg von Adam bis zum Christus hin. Ein Weg von der Erde bis zum Himmel ist der Weg von Christus bis zum Ende der Erdenzeit. Das hat man in innigster Art empfunden, wenn diese zwei hier ein wenig charakterisierten Spiele in primitiver Art vor die Augen von Tausenden und aber Tausenden von Menschen getreten sind. Denn man hat wirklich die völlige Erneuerung dessen empfunden, was der menschliche Geist ist, durch den Christus-Impuls.

Man kann darin vielleicht auch noch etwas wie einen Nachklang dessen fühlen, was man empfand in bezug auf diese Umkehrung des ganzen Menschheitsfortschrittes in jenen Worten, die aus alten, alten Zeiten, aus den ersten christlichen Jahrhunderten stammen, und die oft und oft gesprochen worden sind, auch noch im 8., 9., l0.Jahrhundert in Gegenden, in denen sich, namentlich innerhalb Europas, das Christentum ausgebreitet hat. Da fühlte man etwas Ungeheures bei Worten, wie die folgenden sind:

Ave maris stella
Dei mater alma
Atque semper virgo
Felix coeli porta.
Sumens illud Ave
Gabrielis ore
Funda nos in pace
Mutans nomen Evae!

Man fühlte, wenn diese Worte gesprochen wurden, den Weg des Menschen vom Himmel zur Erde durch den Sündenfall und den Aufstieg des Menschen durch den Christus von der Erde zum Himmel, und man fühlte ihn an den beiden Frauengestalten, an «Eva» und an dem Namen, den man der Jesus-Mutter beilegte, mit dem man sie sozusagen begrüßte, «Ave». Ave ist die Umkehrung des Namens Eva, wenn man Ave zurückliest, erhält man Eva. Das wurde in seiner ganzen vollen Bedeutung empfunden. Daher diese Worte, die zu gleicher Zeit zeigen, was man empfand innerhalb der elementarsten Naturerscheinungen, und zugleich das, was man Menschliches in der Legende sah:

Ave, Stern des Meeres,
Göttlich junge Mutter
Und ewige Jungfrau,
Du glückliche Pforte des Himmels.
Nehmend jenes Ave
Als eine Gabe Gabriels,
Wurdest du uns die Grundlage zum Frieden,
Indem du umwendetest
Den Namen Eva!

In solchen einfachen Worten wurden die größten Mysterien, die größten Geheimnisse der Menschheitsentwickelung empfunden. Und in der Umkehrung des Namens Eva zu Ave empfand ein jeder das in inniger Art, was man in grandioser Weise den Paulusbriefen dann entnehmen kann, wenn man die Stellen liest von Adam, dem «alten» Adam, und von Christus, dem «neuen» Adam. Diese Stimmung war dann da, wenn in den Tagen des Christfestes nacheinander gespielt wurden in primitiver Art das Paradeisspiel, das den Sündenfall darstellte, und das Weihnachtspiel, das darstellte die Hoffnung, die jeglicher Menschenseele für die Zukunft werden kann, wenn sie jene Kraft, die im Christus-Impuls liegt, aufnimmt. Aber es gehört, um das fühlen zu können, eine Gemütsstimmung dazu, von der wir uns nur klarmachen sollen, daß sie heute in dieser Art nicht mehr da sein kann. Die Zeiten sind andere geworden. Eine solche Unmöglichkeit, hinzuschauen zu den geistigen Welten, wie sie heute für die primitivste und für die intelligenteste Bevölkerung besteht, ein solches grundmaterialistisches Element im Menschengemüt gab es allerdings dazumal nicht. Die geistige Welt vorauszusetzen, war eine Selbstverständlichkeit. Und ein gewisses Verständnis für diese geistige Welt in ihrem Unterschiede von der Sinneswelt war ebenso eine Selbstverständlichkeit. Die Menschen machen sich heute wenig einen Begriff, wie man spirituell fühlen konnte bis ins 15., 16. Jahrhundert herein, und wie im Grunde genommen überall ein Bewußtsein von Spiritualität vorhanden war.

Wenn die Wiederholung eines der Weihnachtspiele, eines oberpfälzischen Weihnachtspieles, die in unseren beiden Kunstzimmern veranstaltet werden soll, gelingt, dann kann vielleicht auch außerhalb unserer Kreise wieder ein Verständnis dafür erweckt werden, was an spiritueller Stimmung darinnen ist. Für uns sollte diese oder jene Zeile gerade eines solchen Weihnachtspieles zum Erkennungszeichen werden für den spirituellen Sinn, der bei denen vorhanden war, die zur Festeszeit dieses Weihnachtspiel verstehen sollten. Wenn zum Beispiel in diesem oder jenem Weihnachtspiel die Maria, erwartend das Jesuskind, sagt: Die Zeit ist gekommen, ich sehe ein Kindelein - das heißt, hellseherisch erblickte sie in den Tagen, die der Geburt vorangehen, visionär das herannahende Kind, wie es in vielen Weihnachtspielen ist -, dann frage ich einmal, wo Sie heute bei derselben Gelegenheit eine ähnliche Erzählung finden können? Die Zeiten des Zusammenhanges mit der spirituellen Welt, wie er damals noch bewußt vorhanden war, sind nicht mehr vorhanden. Darüber darf man sich weder einer optimistischen noch einer pessimistischen Gesinnung hingeben. Man muß heute schon sehr weit hinausgehen in die primitivsten ländlichen Gegenden, wenn man die Vision finden will, welche die des Kindes ist, das in ein paar Tagen kommen soll. So etwas gibt es noch.

Nur in eine solche Stimmung konnte natürlich dasjenige eingetaucht werden, was in diesen primitiven Erinnerungen und Gedanken an das größte Ereignis der Menschheitsentwickelung der Weihnachtszeit entgegengebracht wurde. Daher müssen wir es ganz begreiflich finden, daß anstelle jener früheren Poesie, jener einfachen, primitiven Kunst, die heutige Prosa der elektrischen Eisenbahnen und des Automobils getreten ist, die in so grotesker Weise zwischen den Alleen von Weihnachtsbäumen dahinsausen. Unmöglich für ein ästhetisch empfindendes Auge, die zwei Dinge zusammenzusehen: Weihnachtsbäume, Weihnachtsmärkte — und Automobile und elektrische Eisenbahnen dazwischen durchfahrend! Das Unmögliche ist natürlich heute eine Selbstverständlichkeit, aber für das ästhetisch empfindende Auge bleibt es dennoch ein Unmögliches. Trotzdem wollen wir Freunde, nicht Feinde der Kultur sein und verstehen, daß es eine Selbstverständlichkeit sein muß.

Wir wollen aber auch verstehen, wie es zusammenhängt mit dem materialistischen Zug, der durch alle Gemüter, nicht bloß der Städter, sondern auch der ländlichen Bevölkerung gegangen ist. Oh, wir können sie belauschen, die materialistische Stimmung, wie sie sich heranmacht an die Gemüter der Menschen. Gehen Sie ins 14., 13. Jahrhundert, da finden Sie, daß die Menschen vollständig wissen, daß sie etwas Spirituelles meinen, wenn sie zum Beispiel vom Baum der Erkenntnis im Paradiese reden. Sie wissen in der rechten Weise, was ihnen dargestellt wird in dem Paradeisspiel, wissen es spirituell zu beziehen auf das Richtige, was als der Baum der Erkenntnis oder als der Baum des Lebens dargestellt wird. Denn der Aberglaube war in jenen Zeiten noch keineswegs so verbreitet, wie er dann später im 15., 16., 17. Jahrhundert sich ausgebreitet hat. Dagegen finden wir schon im 15. Jahrhundert, zum Beispiel in der Gegend von Bamberg - das ist historisch nachzuweisen -, wie die Leute in der Weihnacht hinausgehen in die Apfelgärten, weil sie physisch, materiell erwarten, daß ein besonders ausersehener Apfelbaum in der Weihnacht blühen werde. Materialistisch ist das ganze Gemütsleben der Menschen geworden in der Epoche, die vom 13., 14. Jahrhundert angefangen über das 16., 17. Jahrhundert hinaufgeht, und nicht bloß in den Städten, sondern auch in den Seelen derjenigen, die einfache Dorfbewohner waren.

Es hat sich noch vieles von dem, was die alte Poesie war, in die Häuser mit ihrem Weihnachtsbaum hineingeschlichen. Aber es ist schon das, was in heiligster Stimmung die Dörfer wie ein Mysterium durchwehte, zu einer bloßen äußeren Poesie geworden, zur Poesie des Weihnachtsbaumes, die zwar noch immer schön ist, aber doch nur ein Nachklang eines Großen ist. Warum ist das so? Weil die Menschheit im Laufe der Zeiten eine Entwickelung durchmachen muß, weil das, was das Innige, das Große und Bedeutsame in einer Zeit ist, in derselben Art nicht für alle Zeiten bleiben kann. Denn der wäre ein Feind der Entwickelung der Menschheit, welcher das, was für eine Zeit groß ist, hinüberschleppen wollte in andere Zeiten. Eine jede Zeit hat ihre besonderen Aufgaben, und in einer jeden Zeit muß man verstehen, das, was in die Seelen und Herzen der Menschen dringen soll, in einer neuen Weise zu beleben. Unsere Zeit kann sich ganz gewiß in jene wirklichen Weihnachtsstimmungen, die wir andeutend schildern konnten, nur versenken wie in eine historische Erinnerung, wie in ein Stück Vergangenheit. Wenn wir aber doch das Symbol des Weihnachtsbaumes auch in unsere festlichen Versammlungen hereinholen, so tun wir es gerade aus dem Grunde, weil wir mit der anthroposophischen Geisteswissenschaft selber verbinden den Gedanken an eine neue Weihnachtsstimmung der Menschheit, der fortgeschrittenen Menschheit. Denn die Geisteswissenschaft soll die Geheimnisse des Christus in einer solchen Weise in die Herzen und Seelen der Menschen senken, wie es unserer Zeit angemessen ist. Trotzdem unsere heutigen Verkehrsmittel an uns vorbeisausen, wenn wir vor unsere Türen hinaustreten, oder vielleicht sogar mit uns in die Lüfte davonfliegen werden - bald werden diese Dinge noch ganz anders die Menschheit zur nüchternsten, zur fürchterlichsten Prosa bringen -, trotzdem müssen die Menschen der heutigen Zeit Gelegenheit haben, gerade in einer um so stärkeren, in einer um so bedeutungsvolleren Vertiefung ihrer Seele das Göttlich-Geistige wiederzufinden, das in einer so einfachen Weise für die primitiven Gemüter abgelebter Jahrhunderte vor die Augen treten konnte, wenn sie das heilige Kindlein in der Krippe zur Weihnachtszeit sahen. Wir brauchen heute andere Mittel, um diese Stimmung in der Seele wachzurufen. Wir versenken uns gewiß gern in das, was die Vorzeiten gehabt haben, um die Wege zum Christus-Ereignis zu finden, aber wir müssen auch unabhängig sein von der Zeit. Wie sich die Menschen der Vorzeit in die Naturgeheimnisse ganz hineingefühlt haben, so war es nur in einer primitiven Zeit möglich. Wir brauchen heute andere Mittel.

Ich möchte Ihnen nur noch einen Begriff davon geben, wie sich die Menschen in die Natur hineingefühlt haben, wenn das Weihnachtsfest herangetreten ist, sich hineingefühlt haben in einer ganz primitiven Weise und dennoch vollsaftig in ihrem Gemüt aus dem Fühlen der Naturelemente gesprochen haben. Sie werden vielleicht, wenn ich Ihnen einen anderen kleinen Sterngesang mitteilen darf, es so recht nur an einer einzigen Stelle fühlen, wie aus der Seele die Elemente der Natur sprachen. Das übrige ist ziemlich primitiv. Hören Sie jedoch genauer zu, dann werden Sie jene Naturstimmung aus noch mehrerem herausfühlen.

Wenn nämlich der, welcher seine Spieler für das Weihnachtspiel oder Drei-Könige-Spiel zu sammeln hatte, mit ihnen ging, und wenn sie da oder dort auftraten, dann begrüßten sie zuerst diejenigen, welche sich versammelt hatten, denn jene abstrakte Stimmung, wie sie heute herrscht zwischen Darstellern und Zuschauern, gab es früher nicht.

Die Menschen gehörten zusammen, und es war das Ganze eingetaucht in ein gemeinsames Milieu. Daher traten die Spieler so auf, daß sie die, welche da waren, und auch die, welche nicht da waren, in primitiver Weise begrüßten. Das gab wirklich Weihnachtsstimmung.

Der Sternsinger spricht:

Ir liabn meini singa samlet eng zsam
Gleiwia die krapfen in der pfann.
Ir liabn meini singa trets zsam in a scheibn,
Ma wölln uns de wail mit singa vertreibn.
Ir liabn meini singa fangts tapfer an.
Zu grüaß'n wölln ma's heben an.
Grüaß'n ma God Voda im hechsten thron
Und grüaß'n ma a sein einiga Son;
Grüaß'n ma a dazua den haligen Geist mit nama
Und grüaß'n ma's ålli drei zsamma.

Joseph und Maria gehen auf die Bühne.

Grüaß'n ma Joseph und Maria rein,
Und grüaß'n ma das kloane kindalein.
Grüaß'n ma a ochs und esulein,
Wölche stehn bei dem krippalein.
Grüaß'n ma sie durch sunn und mondenschein,
Der leucht't übers meer und über den Rhein.
Grüaß'n ma sie durch laub und gras,
Der haiige regen mächt uns und eng ålli naß.
Grüaß'n ma den kaiser mit der kron,
Grüaß'n ma den master, der's machen kan.
Grüaß'n ma a dö geistlinga herrn,
Wail's uns erlaubt hobn, des g'spül z'lern.
Grüaß'n ma den herrn richter mit seiner beschwörd,
Denn sie san der eren wert.
Und grüaß'n ma die gånzi ersame gmoan,
Alli, wie sie hier vasammelt san.
Grüaß'n ma den ganzen ersamen råt,
Wia sie God dazua verurdnet hat.
Grüaß'n ma sie durch ålli würzalein,
So vül als in der erden sein.
Ir liabn meini singa, fangt's anders an,
Den stern zu grüaß'n wölln ma's heben an.
Grüaß'n ma unser sternstanga,
Daran unser stern tuat hanga.
Grüaß'n ma unser sternschar,
Daran unser stern umanand fart,
Grüaß'n ma a ålli hölzalein,
So vül als in dem Sterne sein. -
Ir liabn meini singa, håbt's mi wol vernumma,
Daß ma den stern håm ångsunga.
Grüaß'n ma unsern mastersinger guat,
Und grüaß'n ma den mastersinger sein huat.
Grüaß'n ma a unsern lermaster in der tat,
Wail er uns mit der hilf Godes geleret hat.
Ir liabn meini singa, håbt's mi wol vernumma,
Daß ma dös alls håbn ångsunga.

Nun bitte ich Sie, acht darauf zu geben, was das heißt, so die Natur aufzurufen, daß man alle, die man begrüßen will, mit solcher Stimmung im Herzen begrüßt, daß man solche Stimmung fühlt aus «Ålli würzalein, so vül als in der erden sein»! Das ist Mitfühlen der Naturstimmung selber. So muß man anerkennen, wie damals der Mensch mit allem Heiligen, mit allem Großen und Spirituellen bis in die Wurzeln der Gräser und Bäume hinein verbunden war. Wer das nachempfinden kann, der fühlt bei einer solchen Zeile, wie der eben angedeuteten, etwas Grandioses in den Geheimnissen der Menschheitsentwickelung. Die Zeiten, wo das naturgemäß war, wo das selbstverständlich war, sind einmal vorüber, und wir brauchen heute andere Mittel. Wir brauchen gewissermaßen Mittel, die uns zu einem noch tieferen Quell der menschlichen Natur führen, zu jenem Quell der Menschennatur, der in einer gewissen Weise von der äußeren Zeit unabhängig ist. Denn die Kultur selber, wie sie heute abläuft, macht es uns unmöglich, uns genau an die Jahreszeiten zu binden. Wer daher wirklich jene Stimmung versteht, die als die Christus-Stimmung zur heiligen Weihnacht in alten Zeiten zu empfinden war, wird auch Verständnis für das haben, was wir wollen, indem wir wieder künstlerisch vertiefen wollen, was wir aus der Geisteswissenschaft heraus gewinnen können, was wir wollen, indem wir darnach streben, jenen Quell in den Menschengemütern zu beleben, der in sich aufnehmen kann den Christus-Impuls.

Wir können zur Weihnachtszeit nicht mehr unmittelbar das Große wachrufen, so gern wir auch gerade zu dieser Zeit in unseren Seelen diesen Impuls wachrufen wollten, aber wir suchen es immerdar. Und wenn wir in dem, was die anthroposophische Geisteswissenschaft der Menschheit sein soll, selber ein Christfest dieses Menschheitsfortschrittes sehen, und wenn wir hinblicken zu dem, was der einfache Mensch fühlen konnte, wenn ihm zur heiligen Weihnacht das Kindlein in der Krippe dargeboten wurde, dann sagen wir uns: Solche Stimmungen, solche Gefühle sollen in uns wach werden, wenn wir hinblicken auf das, was geboren werden kann in unserer Seele dann, wenn uns die Geist-Erkenntnis unseren innersten Quell so heilig stimmt, so läutert, daß er in sich aufnehmen kann das heilige Mysterium des Christus-Impulses.

Von diesem Gesichtspunkt aus versuchen wir auch wieder die wahre, im Geistigen quellende Kunst zu finden, jene Kunst, welche nur ein Kind der Frommheit, ein Kind der heiligsten Empfindungen sein kann. Wenn wir in dieser Beziehung das ewige, das unvergängliche Christfest der Menschheit fühlen: wie geboren werden kann in dem Menschen, in der menschlichen Seele, in dem menschlichen Gemüt jener Christus-Impuls - wenn wir durch die Geisteswissenschaft wieder erfahren, wie dieser Christus-Impuls etwas Reales ist, etwas, was sich wirklich als eine lebendige Kraft hineinergießen kann in unsere Seelen, in unsere Herzen -, dann wird uns durch die Geisteswissenschaft der Christus-Impuls nicht ein Abstraktum, ein Dogmatisches bleiben, sondern dann wird uns dieser Christus-Impuls, der aus unserer spirituellen Bewegung hervorgeht, etwas werden, was uns Trost in den schlimmsten Augenblicken unseres Lebens geben kann, was uns froh machen kann in der Hoffnung, daß, wenn der Christus geboren wird in unserer Seele, zur Weihnachtszeit dieser Seele, wir erwarten dürfen die Osterzeit, die Auferstehung des Geistes in dem eigenen Inneren.

So müssen wir aus dem Materiellen, das in alle Geister, in alle Herzen eingezogen ist, wieder zum Spirituellen vorschreiten. Denn aus dem Geiste allein kann geboren werden jene Erneuerung, die notwendig ist gegenüber dem, was die heutige Prosa des Lebens ist. Wird es möglich sein, auch dann, wenn draußen die Automobile fahren, vielleicht die Luftballons durch die Luft fliegen, die elektrischen Bahnen dahinsausen, wird es dann möglich sein, daß in solchen Räumen, wie diese hier, sich etwas verbreitet von heiliger Stimmung, die allerdings nur durch das aufgenommen werden kann, was uns das ganze Jahr durch aus der Geist-Erkenntnis fließt, uns den Christus näherbringt, was in früherer Zeit in einer viel kindlicheren Stimmung aufleben durfte, dann besteht die Hoffnung, daß in einer gewissen Beziehung diese Versammlungsräume «Krippen» sein werden, auf die wir in einer ähnlichen Art blicken können, wie die Kinder und die Großen am Christabend, wenn die Krippe im Hause, oder früher in der Kirche, aufgerichtet war, hinblickten auf das Kindlein, auf die Hirten davor und auf «ochs und esulein, wölche stehn bei dem krippalein». Da haben sie gefühlt, daß von diesem Symbolum in ihr Herz strömte Kraft für alle Hoffnung, für alle Menschenliebe, für alle Menschengröße, für alle Erdenziele.

Wenn wir an diesem Tage, der geweiht und gewidmet sein soll der Erinnerung an den Christus-Impuls, fühlen können, daß das ganze Jahr hindurch durch unser ernstes geisteswissenschaftliches Streben in unseren Herzen etwas angefacht wird, dann werden unsere Herzen an diesem Tage fühlen: Das sind Krippen, diese unsere Versammlungsorte, und diese Lichter sind die Symbole! Diese Krippen enthalten durch die heilige Stimmung, die in ihnen ist, und diese Lichter durch das Symbolische ihres Glanzes, sie enthalten das, was wie die Weihnachtszeit, die Osterzeit eine große Zeit für die Menschheit vorbereiten soll: die Auferstehung des heiligsten Geistes, des wahrhaftigen spirituellen Lebens!

Versuchen wir so zu empfinden, daß unsere Versammlungsräume zur Weihnachtszeit Krippen sind, Stätten, in denen sich, abgeschlossen von der äußeren Welt, ein Großes vorbereitet, lernen wir fühlen, wenn wir das ganze Jahr hindurch emsig lernen, daß unsere Einsichten, unsere Weistümer an diesem Weihnachtsabend sich zusammendrängen können in heiße Gefühle, die wie ein Feuer erglühen aus dem Brennmaterial, das wir das ganze Jahr hindurch durch die Vertiefung in große Lehren gewinnen. Und fühlen wir, daß wir dabei das Andenken an den größten Impuls der Menschheitsentwickelung pflegen, fühlen wir, wie deshalb an diesen Stätten der Glaube leben darf, daß einstmals dasjenige, was in so engem Krippenraum als ein heiliges Feuer und als ein hoffnungssicheres Licht erbrennt, hinausdringen wird in die Menschheit. Dann wird es stark genug, kräftig genug sein, um auch die härteste, die nüchternste Prosa des Lebens zu durchdringen, zu befeueren, zu erwärmen, zu erleuchten. Dann können wir Weihnachtsstimmung hier empfinden als Hoffnungsstimmung für jene Welt-Osterstimmung, welche der Ausdruck des lebendigen Geistes ist, der notwendig ist der neuen Menschheit.

Am besten feiern wir Weihnachten in unserer Seele, wenn wir die nächsten Tage mit dieser Stimmung ausfüllen, so ausfüllen, daß wir in unserem Weihnachten geistig vorbereiten Menschheits-Ostern, die Auferstehung des spirituellen Lebens. Ja, Krippen sollen unsere Arbeitsstätten zur Weihnachtszeit werden. Geboren soll werden das Lichtkind, das angefacht wird durch das ganze Jahr hindurch durch die Versenkung in die geisteswissenschaftlichen Weistümer. Geboren soll werden der Christ in der Menschenseele in unseren Arbeitsstätten, damit das spirituelle Leben auferstehen kann zur großen Osterzeit der Menschheit, die in ihrem Wesen die Spiritualität als eine Auferstehung empfinden muß durch das Hinausströmen der Weihnachtsstimmung aus unseren Räumen in die allgemeine Menschheit der Gegenwart und der Zukunft.“ (Lit.: GA 125, S. 235 ff)

„Diejenigen Weihnachtspiele, die wir Ihnen hier vorführen, haben einen gewissen außerordentlichen, bedeutsamen Vorzug vor anderen solchen Weihnachtspielen. Die anderen Weihnachtspiele, die in Mitteleuropa aufgeführt worden sind, wurden eigentlich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verbessert. Dasjenige, was aus altem Volkstum in einer wunderbaren Weise vorhanden war, ist von allerlei intelligenten Leuten verbessert worden, und man hat sie dann also von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wieder aufgeführt. Was aus dem dann werden kann, das wirklich altem Volkstum künstlerisch und religiös und musikalisch entstammt, sieht man an der Karikierung des Volkstümlichen in den Oberammergauer Passionspielen. Aber in diesen Weihnachtspielen, die wir hier aufführen, ist etwas, was tatsächlich, so wie es gespielt worden ist, noch bis ins 16., 15. Jahrhundert zurück unverfälscht erhalten geblieben ist, und zwar aus folgendem Grunde.

Diese Spiele, um die es sich hier handelt, sind wohl gespielt worden im Elsaß, durch den Süden von Baden und Württemberg hindurch, wohl auch bis nach Bayern hinein. Sie werden es aus einer Anspielung in einem der Spiele in den nächsten Tagen ersehen, wie hingewiesen wird auf den Rhein. Sie wurden in den Gegenden nördlich vom Rhein - von der Schweiz aus gesehen - gespielt. Dann wanderten Stämme, unter denen diese Weihnachtspiele gespielt wurden, nach dem Osten hin aus, nach Ungarn. Man kann zunächst fragen: Warum wanderten im 15., 16. Jahrhundert deutsche Stämme nach Osten hinüber, nach Ungarn? Es wanderten ja solche Stämme aus in die Gegend von Preßburg, das heute in der Tschechoslowakei liegt, von der Donau abwärts über Preßburg nach den Zipser Gegenden, südwärts von den Karpaten, nach Siebenbürgen, nach dem Banat, der Gegend zwischen der südlichen Donau und der Theiß. Dahin wanderten diese schwäbischen Stämme aus. Und unter diesen Stämmen, die auswanderten, waren am charakteristischsten die Haidbauern. Und eben diese Leute sind in jener Gegend in Oberufer, etwas stromabwärts an der Donau, ansässig geworden und brachten sich aus ihrer ursprünglichen Heimat diese Weihnachtspiele mit, erhielten sie nun unverfälscht und spielten sie in der dortigen deutschen Kolonie von Jahr zu Jahr. Sie wurden als ein teures Gut in gewissen Familien aufbewahrt und so behandelt, wie sie vor Jahrhunderten waren. Da hat sie mein guter Freund und Lehrer, Karl Julius Schwer, kennengelernt, dort in Oberufer; es hatte sich noch keine Intelligenz, kein Verbesserer hineingemischt. Diese Spiele wurden in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts so aufgeschrieben, wie die Bauern, welche sie gespielt haben, sie Karl Julius Schröer diktieren konnten aus ihrem Gedächtnisse heraus, als er dahin kam.“ (Lit.:GA 274, S. 82f)

„Vorangegangen sind den heutigen Ausgewanderten die aus der Tschechoslowakei nach den ungarischen Gebieten ausgewanderten Mährischen Brüder. Und diese Mährischen Brüder mit ihrem intimen, christlichen tiefen Leben, das in so schöner Weise das Bruderschaftsprinzip zum Ausdrucke gebracht hat, waren schon dort, als dann die anderen Stämme, die ich jetzt meine, die Haidbauern und so weiter den Drang verspürten, auch hinüberzuwandern nach dem Osten. Es ist nicht irgendein besonderer wirtschaftlicher Beweggrund oder dergleichen gewesen, sondern es war tatsächlich ein idealer Grund für jene Menschen, als sie nachzogen dem schönen, intimen christlichen Bruderschaftsleben der Mährischen Brüder, die schon da hinübergewandert waren. Noch vor dem Auftreten des Luthertums haben diese aus dem eigentlich noch menschlichen Gemüte Mitteleuropas eine ideale christliche Atmosphäre hinübergetragen, die nicht die Schäden des in den westlichen Ländern vorhandenen Katholizismus mit sich nahm, aber auch nicht die Schäden des Protestantismus enthielt, sondern die wirklich echtes, wahres Christentum war, aus brüderlicher Menschheitsgesinnung heraus geboren. Das wanderte hinüber. Und angezogen von der idealen Gesinnung wanderten dann andere deutsche Stämme in die Gegenden hin, die von den Mährischen Brüdern besiedelt und mit dem Christentum durchtränkt worden waren und nahmen dahin das Teuerste mit, was sie hatten: diese christlichen Weihnachtspiele.“ (S. 83f)

„Gewiß, in vielen Dörfern Mitteleuropas im 19. Jahrhundert war solche Stimmung, war die Stimmung, daß man etwas Heiliges zu Weihnachten mit diesen Spielen entgegennahm. Aber man kann nur noch vielleicht ins 18. Jahrhundert zurückgehen und noch ein bißchen weiter, und diese Stimmung wird immer unheiliger und unheiliger. Diese Stimmung war nicht etwa von Anfang an da, als diese Spiele in das Dorf kamen, durchaus nicht von Anfang an, sondern sie stellte sich erst im Laufe der Zeit heraus und ein. Es gab schon Zeiten, und man braucht nicht einmal gar so weit zurückzugehen, da konnte man noch anderes finden. Da konnte man finden, wie sich da oder dort in Mitteleuropa das ganze Dorf versammelte, und wie eine Wiege hereingebracht wurde, in der das Kind lag, und dazu allerdings das schönste Mädchen des Dorfes - schön mußte Maria sein! - , aber ein häßlicher Joseph, ein urhäßlich aussehender Joseph. Dann wurde eine ähnliche Szene aufgeführt, wie Sie sie heute auch haben sehen können. Aber vor allen Dingen: da verkündet wurde, daß der Christus kommt, kam die ganze Gemeinde vor, und ein jeder trat auf die Wiege. Vor allen Dingen wollte ein jeder auf die Wiege etwas getreten und das Christkind auch geschaukelt haben. Darum handelte es sich allen. Und sie machten einen ungeheuren Krakeel, der ausdrücken sollte, daß der Christ in die Welt gekommen ist. In manche ältere von solchen Spielen ist eine fürchterliche Verspottung des Joseph eingestreut, der immer als ein tättelicher Greis in diesen Zeiten dargestellt worden ist, den man auslachte.

Wie sind denn Spiele solcher Art eigentlich in das Volk gekommen? Nun, wir müssen natürlich uns erinnern, daß die erste Form der größten, gewaltigen Erdenidee, des Erscheinens des Christus Jesus auf der Erde, die war des durch den Tod gegangenen Heilands, desjenigen, der durch den Tod das für die Erde gewonnen hat, was wir den Sinn der Erde nennen. Das Leiden des Christus war es zunächst, das im ersten Christentum in die Welt gekommen ist. Und dem leidenden Christus wurden in verschiedenen Handlungen die Opfer dargebracht, die im Kreislauf des Jahres sich vollzogen. Aber nur ganz langsam und allmählich eroberte sich das Kind die Welt. Der sterbende Heiland eroberte sich zuerst die Welt; langsam und allmählich erst das Kind. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Liturgie lateinisch war, daß die Leute nichts verstanden. Vom Messeopfer, das Weihnachten festgesetzt war, fing man allmählich an, den Leuten außer dem Meßopfer, das zu Weihnachten dreimal gehalten wird, noch etwas anderes zu zeigen. Vielleicht doch nicht so ganz mit Unrecht - wenn auch nicht auf ihn selbst, so auf Anhänger von ihm - wird die Idee, in der Weihnachtsnacht das Jesus-Geheimnis den Gläubigen zu zeigen, auf Franz von Assisi zurückgeführt, der aus einer gewissen Opposition heraus gegen die alten Kirchenformen und den alten Kirchengeist überhaupt seine ganze Lehre und sein ganzes Wesen gehalten hat. Da sehen wir allmählich, langsam, wie der gläubigen Gemeinde zu Weihnachten etwas geboten werden sollte, was mit dem großen Mysterium der Menschheit, mit dem Herabkommen des Christus Jesus auf die Erde zusammenhing.

Zuerst stellte man eine Krippe auf und machte bloß Figuren. Nicht durch Menschen stellte man es dar, sondern man machte Figuren: das Kindlein und Joseph und Maria, aber plastisch. Allmählich ersetzte man das durch Priester, die sich verkleideten, und die in der einfachsten Weise das darstellten. Und erst vom 13., 14. Jahrhundert ab begann innerhalb der Gemeinden äußerlich diejenige Stimmung, die man etwa dadurch bezeichnen könnte, daß die Leute sich sagten: Wir wollen auch etwas verstehen von dem, was wir da sehen, wir wollen eindringen in die Sache. - Und da fingen die Leute an, zunächst einzelne Teile mitspielen zu dürfen in dem, was zuerst nur von der Geistlichkeit gespielt war. Nun muß man natürlich das Leben in der Mitte des Mittelalters kennen, um zu begreifen, wie dasjenige, was mit dem Heiligsten zusammenhing, zugleich in einer solchen Weise genommen wird, wie ich es angedeutet habe. Das war damals durchaus möglich aus einem Entgegenkommen der Stimmung, daß die Gemeinde des Dorfes, die ganze Gemeinde sagen konnte: Ich habe auch mit dem Fuß an der Wiege, wo der Christus geboren worden ist, ein wenig geschaukelt. - Es ließe sich in diesem und in vielem anderen ausdrücken, zum Beispiel in dem Singen dabei, das sich zum Teil bis zum Jodeln steigerte, in alldem, das sich begeben hatte. Aber dasjenige, was in der Seele lebte, das hatte in sich selber die Stärke, man möchte fast sagen, aus einem Profanen, aus einem Profanieren des Weihnachtsgedankens zum Heiligsten selber sich umzubilden. Und die Idee des in der Welt erscheinenden Kindes eroberte sich das Allerheiligste in den Herzen der einfachsten Menschen.

Das ist das Wunderbare gerade bei diesen Spielen, von deren Art das erste eines war, daß sie nicht einfach so da waren, wie sie jetzt uns erscheinen, sondern so geworden sind: Frommheit in der Stimmung erst entfaltend aus Unfrommheit heraus, durch die Gewalt desjenigen, was sie darstellen! - Ja, das Kind mußte erst die Herzen erobern, mußte erst Einlaß finden in die Herzen. Durch dieses, was in ihm selber heilig war, heiligte es die Herzen, die zuerst in Grobheit und in Ungezähmtheit ihm begegneten. Das ist das Wunderbare in der Entwickelungsgeschichte dieser Spiele, wie überhaupt Stück für Stück das Christ-Geheimnis die Herzen und die Seelen noch sich hat erobern müssen.“ (S. 16ff)

„Nun, ich möchte bemerken, daß Derbheiten in den Dingen vorkommen, über die man vielleicht sogar, trotzdem es sich um die höchsten Angelegenheiten der Menschheit in dem Spiel handelt, zuweilen lachen und lächeln kann; das muß man durchaus zuschreiben der ganzen Stimmung, aus der so etwas herausgewachsen ist im Bauerntum. Man muß sich klar sein darüber, daß im Bauerntum die höchsten Angelegenheiten nicht eigentlich sentimental behandelt werden, sondern daß durchaus in die heiligsten Dinge Lustiges, Derbes sich hineinmischen kann. Das entheiligt für den Bauernverstand und für das Bauerngemüt durchaus nicht - in den dortigen Gegenden meine ich - die höchsten Angelegenheiten. Die Leute, die das sich anhörten, wollten nicht etwa bloß mit langen Gesichtern und in sentimentaler Stimmung sich die Dinge anhören, sondern sie wollten zu gleicher Zeit etwas haben, was sie über die Sentimentalität hinausschob.“ (S. 31)

Literatur

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Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

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