William S. Condon

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William S. Condon ist ein US-amerikanischer Kommunikationswissenschaftler, der langjährige Studien über die mit dem Sprechen verbundenen Mikrobewegungen des Körpers machte.

Condon entdeckte gemeinsam mit Louis W. Sander in den 1970er Jahren an der Boston University School of Medicine, dass Babys ihre Bewegungen mit der gehörten Sprache der Erwachsenen synchronisieren. Wie er mittels Hochgeschwindigkeitskameras feststellte, führt der gesamte menschliche Körper beim Sprechen charakteristische Mikrobewegungen aus.

„Wenn eine Person spricht, bewegen sich meist mehrere Körperteile gleichzeitig. Eine "Einheit" des Verhaltens kann durch das Auftreten einer geordneten Beziehung dieser simultan bewegten Körperteile zueinander definiert werden. Das zeigt sich durch den rhythmischen Zusammenhalt und die gemeinsame Veränderung der Körperteile auf komplexe Weise.“ (Lit.: William S. Condon, Louis W. Sander (1974), S. 457)

Überraschenderweise werden diese Mikrobewegungen unbewusst von dem zuhörenden Menschen mit einer minimalen Zeitverzögerung synchron nachgeahmt. Dies ist auch der Fall, wenn man auf Tonband festgehaltene Sprache hört. Condon dokumentierte diese linguistisch-kinesischen Seiten des menschlichen Verhaltens über einen Zeitraum von dreißig Jahren[1].

„Condon stieß auf einen bis dahin unbekannten Vorgang, der gesetzmäßig mit dem Sprechen verknüpft: ist, sich aber nur mit moderner Technik aufdecken ließ: Während des Sprechvorgangs, so stellte er fest, vollführt der gesamte Körper des Sprechers winzige Bewegungen, die der gewöhnlichen Beobachtung entgehen. Zu diesem Resultat kam er, indem er Menschen beim Sprechen mit Hochgeschwindigkeitskameras (30 und 48 Bilder pro Sekunde) filmte und anschließend die Einzelbilder einer aufwendigen Mikroanalyse unterzog. Die Analyse ergab, dass die feinen Bewegungen (Mikrokinesik) genau synchron mit dem Sprechakt ablaufen und die gesamte Körpermuskulatur betreffen, vorn Kopf bis zu den Füßen. Im Fortgang seiner Forschungen spielte Condon die Signale der Tonspur synchron als Lichtsignale auf den Film (ein Verfahren, das vom Kinofilm bekannt war), sodass er bei jedem einzelnen der 30 oder 48 Bilder pro Sekunde genau sehen konnte, bei welchen Lauten im Sprechfluss welche gestischen Bewegungen an der Körperoberßäche auftraten. Dadurch ließ sich eindeutig belegen, dass es sich bei den Mikrobewegungen nicht um eine belanglose Begleiterscheinung handelt, sondern um eine bis in die letzten Feinheiten reichende vollständige Kongruenz von Ton und Bewegung...

Die größte Überraschung aber stand Condon noch bevor: Als er beiläufig die Kamera während eines Dialogs auf beide Partner richtete, musste er feststellen, dass der hörende Mensch auf die wahrgenommene Sprache mit eben denselben feinen Bewegungen antwortet, die der Sprecher unbewusst vollführt, ebenfalls vorn Kopf bis zu den Füßen, und genau synchron zu den gesprochenen Lauten, mit einer minimalen Zeitverzögerung von 40 bis 50 Millisekunden, die für den Weg vom Mund zum Ohr des anderen benötigt werden[2]. Eine bewusste Reaktion ist da mit Sicherheit auszuschließen. Condon beschrieb diese erstaunliche Synchronizität von Sprech- und Hörbewegungen mit den Worten: «Bildlich gesehen ist es, als ob der ganze Körper des Hörers in präziser und fließender Begleitung zur gesprochenen Sprache tanzte.»[3]“ (Lit.: Patzlaff, S. 148f.)

„In der Synchronie der Interaktion setzt sich das einheitliche linguistischkinesische Verhalten fort. Innerhalb von 50 Millisekunden spiegelt die ganze Organisation der Körperreaktion des Hörers sein Entrainment[4] auf die herankommenden Worte wider. Mit jeder Lautveränderung gibt es parallel verlaufende Bewegungen der Hörer.

«Der Kopf des Hörers neigt sich leicht nach unten, während das rechte Handgelenk die Haltung beibehält, während der rechte Daumen sich leicht anwinkelt, während der rechte Zeigefinger und die zweiten Finger sich leicht strecken, während sich der linke Fuß leicht anwinkelt.»[5]

Condon schließt aus der kurzen Latenzzeit zwischen der Wahrnehmung und der physiologischen Reaktion, dass diese Bewegungen sich nicht gegenseitig verursachen können und dass es eine «zentrale, wahrnehmende neurologische Einheit geben muss, die peripher in der Körperbewegung reflektiert wird».[6]

Eine weitere von Condons überraschenden Entdeckungen war, dass Neugeborene die gleichen Muster des synchronen Entrainments auf die Worte von Erwachsenen zeigten. Diese Reaktion von Neugeborenen scheint nur im Zusammenhang mit Sprachphänomenen aufzutreten, da es keine Beweise für eine synchrone Interaktion mit «Klopfgeräuschen, Rauschen (white noise), nicht-strukturierten Geräuschen» gab. Die sprachspezifischen Qualitäten dieser kinesischen Reaktion werden auch bestätigt durch die Synchronizität, die bei der Reaktion von Neugeborenen festgestellt wurde, wenn sie auf Tonband festgehaltene Sprache hörten.[7]“ (Lit.: Lutzker, S. 65f.)

Schriften (Auswahl)

  • Condon, W. S., Ogston, W. D. (1966). Sound film analysis of normal and pathological behavior patterns. In Journal of Nervous and Mental Disease, 1966, 143, 338-347
  • Condon, W. S., Ogston, W. D. (1967). A segmentation of behavior. In Journal of Psychiatric Research, 1967, 5, 221- 235
  • Condon, W. S. (1970). Method of microanalysis of sound films of behavior. In Behavioral Research Methods and Instrumentation, 1970, 2(2), 51-44
  • William S. Condon, Louis W. Sander. Synchrony Demonstrated between Movements of the Neonate and Adult Speech. In Child Development Vol. 45, No. 2 (Jun., 1974), 456-462
  • Condon, W. S. (1980). The Realation of Interactional Synchrony to Cognitive and Emotional Processes. In Mary Ritchie Key (Hrsg.): The Relationship of Verbal and Nonverbal Communication (Contributions to the Sociology of Language [CSL], Band 25), De Gruyter Mouton Publishers 1980, ISBN 90-279-7878-6
  • Condon, W. S. (1996). Sound-Film Microanalysis: A Means for Correlating Brain and Behavior in Persons with Autism. Proceedings of the 1996 Autism Society of America National Conference, Milwaukee, WI, July 1996, 221–225.
  • Condon, W. S. (1985). Sound-Film Microanalysis: A Means for Correlating Brain and Behavior. In Frank Duffy and Norman Geschwind (Eds.), Dyslexia: A Neuroscientific Approach to Clinical Evaluation, Boston, MA: Little, Brown & Co., 123–156.
  • Condon, W. S. (1974) Cultural Microrhythms. In M. Davis (Ed.), Interaction Rhythms. New York: Human Sciences, 1982.
  • Condon, W. S. (1971). Speech and Body Motion Synchrony of the Speaker-Hearer. In D. L. Horton and J. J. Jenkins (Eds.), Perception of Language, Columbus, Ohio: Merrill, 150–173.
  • Condon, W. S. (1974). Multiple response to sound in autistic-like children. In Proceedings of the National Society for Autistic Children Conference, Washington, DC, June 1974.
  • Condon, W. S. and Sander, L. W. (1974). Neonate movement is synchronized with adult speech. Integrated participation and language acquisition. Science 183:99.
  • Condon, W. S. (1963). Synchrony units and the communicational hierarchy. Paper presented at Western Psychiatric Institute & Clinics, Pittsburgh, PA

Literatur

  • Johanna F. Zinke, Rainer Patzlaff (Hrsg.): Luftlautformen sichtbar gemacht. Sprache als plastische Gestaltung der Luft., Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2001, ISBN 3-7725-1856-7
  • Rainer Patzlaff: Sprache – das Lebenselixier des Kindes: Moderne Forschung und die Tiefendimensionen des gesprochenen Wortes, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2017, ISBN 978-3772528583
  • Peter Lutzker: Der Sprachsinn. Sprachwahrnehmung als Sinnesvorgang, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2017, ISBN 9783772528576, eBook ASIN B075GYZLSD

Einzelnachweise

  1. Lutzker, S. 61
  2. „Diese synchronen Bewegungen werden allerdings nicht immer an denselben Körperteilen wahrnehmbar. Aus Condons Filmaufnahmen ist zu ersehen, dass Bewegungen, die beim Sprecher an bestimmten Regionen des Oberkörpers auftreten, sich beim Zuhörer beispielsweise auch in den Bewegungen der Zehen zeigen können, was jedoch nichts daran ändert, dass der Bewegungsduktus genau gleich ist.“
  3. William S. Condon: An Analysis of Behavioral Organization, in: Sign Language Studies 13 (1976); Neuauflage: Sign Language Studies 59 (1988), S. 59.
  4. Die Begriffe «entrainment» bzw. «entrain» werden im linguistisch-kinesischen Bereich benutzt, um das unmittelbare Reagieren des gesamten beweglichen physischen Organismus auf gesprochene Laute oder auf Geräusche zu beschreiben.
  5. ebd., S. 79
  6. ebd., S. 80
  7. William S. Condon: Sound-Film Microanalysis: A Means for Correlating Brain and Behavior, in: Dyslexia. A Neuroscientific Approach to Clinical Evaluation, hrsg. von Frank Duffy und Norman Geschwind, Boston 1985, S. 137 – 139.