Paul Feyerabend und Axiom: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Paul Karl Feyerabend''' (* [[13. Januar]] [[1924]] in [[Wien]]; † [[11. Februar]] [[1994]] in [[Genolier]] im [[Schweiz|schweizerischen]] [[Kanton Waadt|Waadtland]]) war ein [[Österreich|österreichischer]] [[Philosophie|Philosoph]] und [[Wissenschaftstheorie|Wissenschaftstheoretiker]]. Er war von 1958 bis 1989 Philosophieprofessor an der [[University of California|Universität von Kalifornien]] in [[Berkeley (Kalifornien)|Berkeley]] und lebte zeitweilig in [[England]], [[Deutschland]], [[Neuseeland]], [[Italien]], zuletzt in der Schweiz, wo er als Hochschullehrer an der [[Eidgenössische Technische Hochschule Zürich|ETH Zürich]] tätig war.
Ein '''Axiom''' (von griechisch ἀξίωμα: „Wertschätzung, Urteil, als wahr angenommener Grundsatz“<ref>{{Literatur |Autor=Peter Prechtl |Hrsg=[[Helmut Glück]] |Titel=Axiom |Sammelwerk=Metzler Lexikon Sprache |Verlag=J.B. Metzler Verlag GmbH |Ort=Stuttgart |Datum=2016 |ISBN=978-3-476-02641-5 |Seiten=81}}</ref>) ist ein [[Grundsatz]] einer [[Theorie]], einer [[Wissenschaft]] oder eines [[Axiomensystem|axiomatischen Systems]], der innerhalb dieses Systems nicht [[Begründung|begründet]] oder [[Deduktion|deduktiv]] abgeleitet wird.


Bekannt wurde Feyerabend durch seinen wissenschaftstheoretischen [[Anarchismus]]. Nach Feyerabend lassen sich keine universellen und ahistorischen wissenschaftlichen [[Methodik|Methoden]] formulieren, produktive Wissenschaft müsse vielmehr Methoden nach Belieben verändern, einführen und aufgeben dürfen. Zudem gebe es keine allgemeinen Maßstäbe, mit denen man verschiedene wissenschaftliche Methoden oder Traditionen bewerten könne. Das Fehlen allgemeiner Bewertungsmaßstäbe führt Feyerabend zu einem philosophischen [[Relativismus]], nach dem keine Theorie allgemein [[Wahrheit|wahr]] oder falsch ist.
== Abgrenzungen ==
Innerhalb einer formalisierbaren Theorie ist eine [[These]] ein Satz, der bewiesen werden soll.<ref>Regenbogen, Meyer: ''Wörterbuch der philosophischen Begriffe.'' 2005, ''These.''</ref> Ein Axiom ist ein Satz, der nicht in der Theorie bewiesen werden soll, sondern beweislos vorausgesetzt wird. Wenn die gewählten Axiome der Theorie ''logisch unabhängig'' sind, so kann keines von ihnen aus den anderen hergeleitet werden. Im Rahmen eines formalen [[Kalkül]]s sind die Axiome dieses Kalküls immer [[Ableitung (Logik)|ableitbar]]. Dabei handelt es sich im formalen oder syntaktischen Sinne um einen [[Beweis (Logik)|Beweis]]; semantisch betrachtet handelt es sich um einen [[Zirkelschluss]]. Ansonsten gilt: „Geht eine Ableitung von den Axiomen eines Kalküls bzw. von wahren Aussagen aus, so spricht man von einem Beweis.“<ref>Regenbogen, Meyer: ''Wörterbuch der philosophischen Begriffe.'' 2005, ''Ableitung.''</ref>


[[Datei:Paul Feyerabend Berkeley.jpg|mini|Paul Feyerabend in Berkeley]]
Axiom wird als Gegenbegriff zu [[Theorem]] (im engeren Sinn) verwendet.<ref>So bei Tarski: ''Einführung in die mathematische Logik.'' 5. Aufl. (1977), S. 127.</ref> Theoreme wie Axiome sind Sätze eines formalisierten Kalküls, die durch Ableitungsbeziehungen verbunden sind. Theoreme sind also Sätze, die durch formale Beweisgänge von Axiomen abgeleitet werden.<ref>Vgl. Carnap: ''Einführung in die symbolische Logik.'' 3. Aufl. (1968), S. 172.</ref> Mitunter werden die Ausdrücke These und Theorem jedoch im weiteren Sinn für alle gültigen Sätze eines formalen Systems verwendet, d.&nbsp;h. als Oberbegriff, der sowohl Axiome als auch Theoreme im ursprünglichen Sinn umfasst.<ref>So z.&nbsp;B. Paul Ruppen: ''Einstieg in die formale Logik. Ein Lern- und Übungsbuch für Nichtmathematiker.'' Peter Lang, Bern 1996, S. 125.</ref>


== Leben ==
Axiome können somit als Bedingungen der vollständigen [[Theorie]] verstanden werden, insofern diese in einem formalisierten Kalkül ausdrückbar sind. Innerhalb einer interpretierten [[Formale Sprache|formalen Sprache]] können verschiedene Theorien durch die Auswahl der Axiome unterschieden werden. Bei nicht-interpretierten Kalkülen der [[Formale Logik|formalen Logik]] spricht man statt von Theorien allerdings von ''logischen Systemen,'' die durch Axiome und [[Schlussregel]]n vollständig bestimmt sind. Dies relativiert den Begriff der Ableitbarkeit oder Beweisbarkeit: Sie besteht immer nur in Bezug auf ein gegebenes System.<ref name="bochenski79">Bochenski: ''Die zeitgenössischen Denkmethoden.'' 10. Aufl. (1993), S. 79.</ref> Die Axiome und die abgeleiteten Aussagen gehören zur [[Metasprache#Mehrdeutigkeit des Ausdrucks „Objektsprache“|Objektsprache]], die Regeln zur [[Metasprache]].<ref name="bochenski79" />
=== Kindheit, Jugend, Krieg ===
Paul Feyerabend wurde 1924 in Wien geboren. Als Sohn einer Mittelstandsfamilie besuchte er ein [[Realgymnasium]] und war ein Schüler mit überdurchschnittlichen Leistungen. Die Eltern hatten aufgrund von Krieg und Inflation lange gewartet, bevor sie ihr erstes und einziges Kind bekamen, Paul Feyerabends Mutter war bei seiner Geburt bereits 40 Jahre alt. In Kontakt mit der Philosophie kam Feyerabend nach eigenen Angaben durch einen Zufall: ''{{"|Wenn man sich nach Literatur umsah, die zum Verkauf bestimmt war, konnte man tonnenweise Bücher für nur ein paar Groschen erwerben. [] Ich konnte es nicht vermeiden, daß hin und wieder auch ein Band von Plato, Descartes oder Büchner (dem Materialisten, nicht dem Dichter) darunter waren. Ich habe diese unerwünschten Zugaben dann wohl aus Neugier gelesen oder einfach, weil ich dafür bezahlt hatte.}}''<ref>''Zeit'', S. 43 f.</ref>


Im März 1938 wurde Österreich Teil des deutschen Reiches, am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg und veränderte das Leben des 15-Jährigen. Feyerabends Eltern begrüßten den [[Anschluss Österreichs|Anschluss]], Feyerabend beschreibt sein Verhältnis zu den Nazis als naiv und relativ emotionslos. Er wurde nicht zu einem glühenden Anhänger, reagierte jedoch auch auf die im Krieg erlebten Grausamkeiten nicht mit Empörung. 1940 begann Feyerabend mit dem [[Reichsarbeitsdienst]], 1942 wurde er Teil eines Pionierkorps, 1943 besuchte er eine Offiziersschule. Er wurde für die Ausbildung nach Jugoslawien geschickt; nach Feyerabend war die Offiziersschule insbesondere ein Weg, den Kriegseinsatz zu umgehen. In Jugoslawien erfuhr er von der Selbsttötung seiner Mutter, ein Ereignis, das ihn damals nicht sehr bewegte. Feyerabend wurde noch im September 1943 nach Russland geschickt, wo er sich nach eigenen Angaben leichtsinnig und theatralisch verhielt und dafür bis zum [[Leutnant]] befördert wurde.
Ein Kalkül ist jedoch nicht notwendigerweise ein ''Axiomatischer Kalkül,'' der also „aus einer Menge von Axiomen und einer möglichst kleinen Menge von Schlussregeln“ besteht.<ref name="bussmann2002">Bußmann: ''Lexikon der Sprachwissenschaft.'' 3. Aufl., 2002, ''Kalkül.''</ref> Daneben gibt es auch [[Beweistheorie#Arten von Beweiskalkülen|Beweis-Kalküle]] und [[Baumkalkül|Tableau-Kalküle]].


Im letzten Kriegsjahr wurde Feyerabend auf dem Rückzug von mehreren Kugeln in den Magen und die Hand getroffen. ''{{"|Ich verspürte keinen Schmerz, aber ich war überzeugt, daß meine Beine getroffen waren. Einen Augenblick sah ich mich im Rollstuhl an einer endlosen Bücherwand entlangfahren – ich war fast glücklich. Die Soldaten, die schleunigst aus dem Kampfgebiet kommen wollten, standen um mich herum, hoben mich auf einen Schlitten und zogen mich weg. Für mich war der Krieg vorbei.}}''<ref>''Zeit'', S. 74 f.</ref> Feyerabends schwere Verletzungen bewirkten, dass er sein Leben lang starke Schmerzen hatte, an einem Stock gehen musste und impotent geworden war. Er wurde in eine Klinik in [[Apolda]] gebracht; nach Kriegsende studierte er für ein Jahr Gesang im nahen [[Weimar]].
[[Immanuel Kant]] bezeichnet Axiome als „synthetische Grundsätze a priori, sofern sie unmittelbar gewiß sind“ und schließt sie durch diese Definition aus dem Bereich der Philosophie aus. Diese nämlich gründe sich auf Begriffe, die als abstrakte Vorstellungsbilder niemals als Gegenstand unmittelbarer Anschauung Evidenz besitzen. Daher grenzt er die diskursiven Grundsätze der Philosophie von den intuitiven der Mathematik ab: Erstere müssten sich „bequemen, ihre Befugniß wegen derselben durch gründliche Deduction zu rechtfertigen“ und erfüllen daher nicht die Kriterien eines a priori.<ref>{{Literatur |Autor=Immanuel Kant |Hrsg=Benno Erdmann |Titel=Kritik der reinen Vernunft |Sammelwerk=Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften |Band=III |Verlag=Georg Reimer |Ort=Berlin |Datum=1904 |Seiten=480 f.}}</ref>


=== Studienzeit ===
== Unterscheidungen ==
1947 kehrte Feyerabend aus Weimar nach Wien zurück. Seine frühere Leidenschaft – die Physik – schien ihm nach Kriegsende lebensfremd, und so begann er mit dem Studium der Geschichte und Soziologie. Bald langweilten ihn jedoch seine Vorlesungen, er wechselte noch im gleichen Jahr zur Physik. Unter den Physikern an der [[Universität Wien]] machte insbesondere [[Felix Ehrenhaft]] Eindruck auf Feyerabend. Bald kam er durch [[Victor Kraft]] zudem in Kontakt mit der akademischen Philosophie. Kraft war im Gegensatz zu den anderen bekannten Mitgliedern des [[Wiener Kreis]]es in Österreich geblieben und hatte um sich eine Gruppe von Philosophen und Studenten versammelt – den so genannten „Kraft-Kreis“. Unter ihnen war auch Feyerabend, der im Kraft-Kreis die Gelegenheit bekam, mit Philosophen wie [[Walter Hollitscher]], [[Elizabeth Anscombe|G.E.M. Anscombe]] oder [[Ludwig Wittgenstein]] zu diskutieren. In dieser Zeit übernahm Feyerabend zentrale Überzeugungen des [[Logischer Empirismus|logischen Empirismus]]: {{"|Das war übrigens die Haltung bei all meinen Diskussionbeiträgen: die Wissenschaft ist die Grundlage des Wissens, Wissen ist empirisch, nicht-empirische Überlegungen sind entweder Logik oder Unsinn.}}<ref>''Zeit'', S. 95.</ref>
Der Ausdruck ''Axiom'' wird in drei Grundbedeutungen verwendet. Er bezeichnet
# einen [[Evidenz|unmittelbar]] einleuchtenden Grundsatz&nbsp;– den ''klassischen (materialen) Axiombegriff,''
# ein Naturgesetz, das als Prinzip für empirisch gut bestätigte Regeln [[Postulat|postuliert]] werden kann&nbsp;– den ''naturwissenschaftlichen (physikalischen) Axiombegriff,''
# einen Ausgangssatz, der in einem [[Kalkül]] einer formalen Sprache als gültig vorausgesetzt wird&nbsp;– den ''modernen (formalen) Axiombegriff''.


Entscheidend für Feyerabends weitere Entwicklung wurde das [[Europäisches Forum Alpbach|Forum Alpbach]], an dem er 1948 erstmals teilnahm. In Alpbach lernte Feyerabend [[Hanns Eisler]], [[Bertolt Brecht]] und nicht zuletzt [[Karl Popper]] kennen. Das Angebot, bei Brecht als Assistent zu arbeiten, schlug Feyerabend aus.<ref>''Zeit'', S. 101.</ref> Stattdessen wollte er nach seiner Promotion 1951 mit einem Stipendium des [[British Council]] bei Wittgenstein in Cambridge studieren. Da Wittgenstein jedoch 1951 verstarb, ging Feyerabend zu Popper an die [[London School of Economics and Political Science]]. Der Einfluss Poppers wurde in mehrfacher Hinsicht bestimmend für Feyerabends philosophische Entwicklung. Zunächst übernahm er den [[Falsifikationismus]] und wurde tief von Poppers Denken geprägt. Später wandte er sich jedoch von Poppers [[Kritischer Rationalismus|kritischem Rationalismus]] ab und machte ihn zum Hauptgegner des eigenen wissenschaftstheoretischen Anarchismus.
=== Klassischer Axiombegriff ===
Der klassische Axiombegriff wird auf die ''Elemente'' der Geometrie des [[Euklid]] und die [[Analytica posteriora]] des [[Aristoteles]] zurückgeführt. ''Axiom'' bezeichnet in dieser Auffassung ein unmittelbar [[Evidenz|einleuchtendes]] [[Prinzip]] bzw. eine Bezugnahme auf ein solches. Ein Axiom in diesem [[Essentialismus|essentialistischen]] Sinne bedarf aufgrund seiner empirischen Evidenz keines Beweises. Axiome wurden dabei angesehen als unbedingt wahre Sätze über existierende Gegenstände, die diesen Sätzen als objektive Realitäten gegenüberstehen. Diese Bedeutung war bis in das 19.&nbsp;Jahrhundert hinein vorherrschend.


=== Von Bristol nach Berkeley ===
Am Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte eine „Abnabelung der Geometrie von der Wirklichkeit“<ref>{{Literatur |Autor=Ulrich Felgner |Titel=Hilberts „Grundlagen der Geometrie“ und ihre Stellung in der Geschichte der Grundlagendiskussion |Sammelwerk=Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung |Band=115 |Nummer=3 |Datum=2014 |Seiten=185–206 |DOI=10.1365/s13291-013-0071-5}}</ref>. Die systematische Untersuchung unterschiedlicher Axiomensysteme für unterschiedliche Geometrien ([[Euklidische Geometrie|euklidische]], [[Hyperbolische Geometrie|hyperbolische]], [[Sphärische Geometrie|sphärische]] Geometrie usw.), die unmöglich allesamt die [[Mögliche Welt#Möglichkeit, Notwendigkeit und Kontingenz|aktuale]] Welt beschreiben konnten, musste zur Folge haben, dass der Axiombegriff formalistischer verstanden wurde und Axiome insgesamt im Sinne von Definitionen einen konventionellen Charakter erhielten. Als wegweisend erwiesen sich die Schriften [[David Hilbert]]s zur Axiomatik, der das aus den empirischen Wissenschaften stammende Evidenzpostulat durch die formalen Kriterien von [[Axiomensystem#Konsistenz|Vollständigkeit]] und [[Axiomensystem#Konsistenz|Widerspruchsfreiheit]] ersetzte. Eine alternative Auffassungsweise bezieht daher ein Axiomensystem nicht einfach hin auf die aktuale Welt, sondern folgt dem Schema: ''Wenn'' irgendeine Struktur die Axiome erfüllt, ''dann'' erfüllt sie auch die Ableitungen aus den Axiomen (sog. ''Theoreme''). Derartige Auffassungen lassen sich im Implikationismus, Deduktivismus oder eliminativen Strukturalismus verorten.<ref>Vgl. z.&nbsp;B. Michael Potter: ''Set Theory and its Philosophy.'' A Critical Introduction. Oxford University Press, Oxford/New York 2004, S. 8.</ref>
1955 bekam Feyerabend seine erste akademische Stelle an der [[University of Bristol]], wo er eine Vorlesung über Wissenschaftstheorie zu halten hatte. Die Stelle war wohl nicht zuletzt dem Einfluss Poppers zu verdanken, allerdings zeigten sich nach Feyerabend erste Brüche: [[John Watkins]] ''{{"|[…] ging mit ernstem Gesicht auf und nieder und hielt mir eine Strafpredigt, weil ich ein schlechter Popperianer war: zu wenig Popper im Text meiner Aufsätze und schon gar keinen Popper in den Fußnoten. Als ich ihm dann im Detail erklärte, daß man an einigen Stellen doch ein bißchen Popper herauslesen konnte, gab er einen Seufzer der Erleichterung von sich, führte mich ins Wohnzimmer und erlaubte mir zu essen.}}''<ref>''Zeit'', S. 149.</ref> Feyerabends Schriften der 1950er und frühen 1960er Jahre sind dennoch stark durch Poppers [[Falsifikationismus]] geprägt.<ref>Ein gutes Beispiel ist folgende Kritik am Positivismus: ''{{"-en|An Attempt at a Realistic Interpretation of Experience.}}'' 1958.</ref> Während seiner Zeit in Bristol heiratete Feyerabend zum zweiten Mal, die Ehe wurde jedoch, wie auch schon die erste, schnell geschieden. In dieser Situation war Feyerabend glücklich, dass ihm 1958 das Angebot gemacht wurde, ein Jahr an der [[University of California, Berkeley]], zu verbringen.


Berkeley wurde für über 30 Jahre zum Hauptwohnsitz von Feyerabend. Der Wechsel von Europa in die USA war auf verschiedene Weisen prägend: Zunächst kam Feyerabend insbesondere durch seine Besuche am [[Minnesota Center for the Philosophy of Science]] schnell in engen Kontakt mit der amerikanischen Philosophieszene. Unter den Bekanntschaften waren zum einen viele alte Vertreter des Wiener Kreises wie [[Herbert Feigl]], [[Rudolf Carnap]] und [[Carl Gustav Hempel]], zum anderen jüngere Vertreter der amerikanischen [[Analytische Philosophie|analytischen Philosophie]] wie [[John Searle]] und [[Hilary Putnam]]. 1965 veröffentlichte Feyerabend seine erste ausführliche, wissenschaftstheoretische Schrift, ''Problems of Empiricism''.<ref>''Problems of Empiricism. Beyond the Edge of Certainty: Essays in Contemporary Science and Philosophy'', ed. R.G. Colodny (New Jersey: Prentice-Hall, 1965), S. 145–260.</ref> Dieser lange Essay enthält bereits viele radikale Überlegungen, basiert jedoch auf einem philosophischen [[Realismus (Philosophie)|Realismus]] und führte Feyerabend noch nicht zu einer unbedingten Konfrontation mit der zeitgenössischen Wissenschaftsphilosophie.
In axiomatisierten Kalkülen im Sinne der modernen formalen Logik können die klassischen epistemologischen (Evidenz, Gewissheit), ontologischen (Referenz auf ontologisch Grundlegenderes) oder konventionellen (Akzeptanz in einem bestimmten Kontext) Kriterien für die Auszeichnung von Axiomen entfallen. Axiome unterscheiden sich von Theoremen dann nur formal dadurch, dass sie die Grundlage logischer Ableitungen in einem gegebenen Kalkül sind.<ref>Vgl. [[Joseph Maria Bocheński]]: ''Die zeitgenössischen Denkmethoden.'' 10. Aufl. 1993, S. 78 f.</ref> Als „grundsätzliches“ und „[[Axiomensystem#Unabhängigkeit|unabhängiges]]“ Prinzip sind sie innerhalb des Axiomensystems nicht aus anderen Ausgangssätzen ableitbar und somit keinem Beweis zugänglich.


Des Weiteren war das politische Klima Berkeleys und der [[San Francisco Bay Area]] prägend: 1964 machte die [[Free Speech Movement]] Berkeley zum linksrevolutionären Zentrum der USA, drei Jahre später war die Hippiebewegung im benachbarten San Francisco mit dem [[Summer of Love]] auf ihrem Höhepunkt angelangt. Feyerabend hat in seinen Schriften immer wieder betont, dass die Erfahrungen mit den politischen Bewegungen und der Multikulturalität der Bay Area seine philosophischen Gedanken stark geprägt haben. So erklärt er etwa in Bezug auf die multikulturelle Studentenschaft: ''{{"|Wer war ich, um diesen Menschen zu erklären, was und wie sie denken sollten? Ich hatte keine Ahnung von ihren Problemen, obwohl ich wusste, dass sie viele Probleme hatten. Ich kannte nicht ihre Interessen, ihre Gefühle, ihre Ängste, ihre Hoffnungen […]. Denn diese Aufgabe [gemeint ist das Dozieren der Tradition des westlichen Rationalismus] war die eines gebildeten und vornehmen Sklavenhalters. Und ein Sklavenhalter wollte ich nicht sein.}}''<ref>EffM, S. 233 f.</ref>
=== Naturwissenschaftlicher Axiombegriff ===
In den empirischen Wissenschaften bezeichnet man als Axiome auch grundlegende Gesetze, die vielfach empirisch bestätigt worden sind.<ref>Regenbogen/Meyer: ''Wörterbuch der philosophischen Begriffe'' (2005)/Axiom.</ref> Als Beispiel werden die [[Newtonsche Axiome|Newtonschen Axiome]] der Mechanik genannt.


Feyerabends lange Zeit in Berkeley änderte jedoch nichts an seiner Rastlosigkeit und der Unzufriedenheit mit seiner neuen Heimat. Über die Jahre nahm er viele (Gast-)Professuren an, ohne jedoch an einem Ort vollständig zufrieden zu sein. Längere Zeit verbrachte er in London und Berlin, wo er ebenfalls mit den Studentenbewegungen in Kontakt kam. Weitere Stationen waren Auckland, Kassel, Sussex und Yale.
Auch wissenschaftliche Theorien, insbesondere die Physik, beruhen auf Axiomen. Aus diesen werden Theorien geschlussfolgert, deren Theoreme und [[Korollar]]e Vorhersagen über den Ausgang von [[Experiment]]en treffen. Stehen Aussagen der Theorie im Widerspruch zur experimentellen Beobachtung, werden die Axiome angepasst. Beispielsweise liefern die Newtonschen Axiome nur für „langsame“ und „große“ Systeme gute Vorhersagen und sind durch die Axiome der [[Spezielle Relativitätstheorie|speziellen Relativitätstheorie]] und der [[Quantenmechanik]] abgelöst bzw. ergänzt worden. Trotzdem verwendet man die Newtonschen Axiome weiter für solche Systeme, da die Folgerungen einfacher sind und für die meisten Anwendungen die Ergebnisse hinreichend genau sind.


=== Der Anarchist in der Wissenschaftstheorie ===
=== Formaler Axiombegriff ===
In den 1960er Jahren hatte Feyerabend einige unkonventionelle Ideen publiziert, sich langsam vom kritischen Rationalismus gelöst und sich in Berkeley mit seinem unsteten Lehrstil einige Feinde gemacht. Insgesamt hatte er sich jedoch eine Reputation als ernstzunehmender und geachteter Wissenschaftstheoretiker erarbeitet. Die folgenden Jahre sollten diese Situation verändern. 1970 veröffentlichte Feyerabend einen Aufsatz mit dem Titel ''Against Method'', in dem er die bekannten wissenschaftstheoretischen Methodologien angriff.<ref>Paul Feyerabend: ''Against Method''. In: ''Minnesota Studies in the Philosophy of Science. Theories & Methods of Physics and Psychology''. 1970, S. 17–130.</ref> Seine Position entwickelte sich von einem liberalen und realistischen Methodenpluralismus zu einem relativistischen Angriff auf die Methodologie im Allgemeinen.
Durch [[David Hilbert|Hilbert]] (1899) wurde ein formaler Axiombegriff herrschend: Ein Axiom ist jede unabgeleitete Aussage. Dies ist eine rein formale Eigenschaft. Die Evidenz oder der [[Ontologie|ontologische]] Status eines Axioms spielt keine Rolle und bleibt einer gesondert zu betrachtenden [[Interpretation (Logik)|Interpretation]] überlassen.


Mit seinem Freund [[Imre Lakatos]] plante Feyerabend eine gemeinsame Publikation zur Methodendebatte in der Wissenschaftstheorie. Lakatos sollte die Methode der [[Falsifikation]] gegen Feyerabends wütende Attacken auf jede Form von methodologischen Regeln verteidigen. Lakatos verstarb allerdings 1974 und Feyerabend veröffentlichte seine Kritik unter dem Titel ''Against Method. Outline of an anarchistic Theory of Knowledge'' als Monographie. Das Buch machte Feyerabend mit dem Slogan „[[anything goes]]“ über die Grenzen der Wissenschaftstheorie bekannt. In einer der positiveren Rezensionen des Buches finden sich häufig angeführte Bedenken: ''{{"|Wider den Methodenzwang ist ein gutes Buch, vielleicht sogar ein großes. Es ist voll mit Widersprüchen, Über- und Untertreibungen und genügend Ad-hominem-Angriffen, um sogar dem liberalsten Studenten einen rhetorischen Hirnschlag zu verpassen.}}''<ref>Übersetzt von: ''{{"-en|Against Method is a good book, possibly a great one. It’s full of contradictions, over- and understatements, and enough ad hominem statements to give even the most liberal student rhetoric apoplexy.}}'' In: Ian Mitroff: ''Review of: Against Method, Outline of an Anarchistic Theory of Knowledge''. In: ''Contemporary Sociology'' 1976, S. 347.</ref>
Ein ''Axiom'' ist dann eine grundlegende Aussage, die
* Bestandteil eines formalisierten Systems von Sätzen ist,
* ohne Beweis angenommen wird und
* aus der zusammen mit anderen Axiomen alle Sätze (Theoreme) des Systems logisch abgeleitet werden.


Plötzlich fand sich Feyerabend in der Rolle des Hauptgegners der etablierten wissenschaftsphilosophischen Ansätze wieder. Er hatte offenbar nicht mit einer so breiten und heftigen Reaktion gerechnet und empfand die oft scharfe Ablehnung seines Werkes als verletzend: ''{{"|Mein Privatleben war ein Scherbenhaufen, ich war ohne Schutz. Ich habe oft gewünscht, daß ich dieses verfluchte Buch [englisch: „fucking book“] nie geschrieben hätte.}}''<ref>''Zeit'', S. 200.</ref> Als Reaktion auf die Kritik entstand ''[[Erkenntnis für freie Menschen]]'', ein Buch, das selbst wiederum scharfe Angriffe und ein leidenschaftliches Bekenntnis zum Relativismus enthielt. Zudem vertiefte Feyerabend seine politische Theorie, die gegen die Macht moderner Technik und Wissenschaft gerichtet war.
Teilweise wird behauptet, in diesem Verständnis seien Axiome völlig willkürlich:<ref name="seifert1997" /> Ein Axiom sei „ein unbewiesener und daher unverstandener Satz“,<ref name="seifert1997">Seiffert: ''Wissenschaftstheorie IV.'' 1997, ''Anfang.''</ref> denn ob ein Axiom auf Einsicht beruht und daher „verstehbar“ ist, spielt zunächst keine Rolle.<ref>Seiffert: ''Wissenschaftstheorie IV.'' 1997, ''Axiom.''</ref> Richtig daran ist, dass ein Axiom –&nbsp;bezogen auf eine Theorie&nbsp;– unbewiesen ist. Das heißt aber nicht, dass ein Axiom unbeweisbar sein muss. Die Eigenschaft, ein Axiom zu sein, ist relativ zu einem formalen System. Was in einer Wissenschaft ein Axiom ist, kann in einer anderen ein Theorem sein.


=== Späte Jahre ===
Ein Axiom ist ''unverstanden'' nur insofern, als seine Wahrheit formal nicht bewiesen, sondern vorausgesetzt ist. Der moderne Axiombegriff dient dazu, die Axiomeigenschaft von der Evidenzproblematik abzukoppeln, was aber nicht notwendigerweise bedeutet, dass es keine Evidenz gibt. Es ist allerdings ein bestimmendes Merkmal der axiomatischen Methode, dass bei der Deduktion der Theoreme nur auf der Basis formaler Regeln geschlossen wird und nicht von der Deutung der axiomatischen Zeichen Gebrauch gemacht wird.<ref>Carnap: ''Einführung in die symbolische Logik.'' 3. Aufl., 1968, S. 174.</ref>
Feyerabends späte Jahre werden von ihm selbst als seine glücklichsten beschrieben. Über die 1980er Jahre lehrte Feyerabend abwechselnd in Berkeley und an der ETH Zürich, eine Situation, die er sehr genoss. Zudem lernte er 1983 Grazia Borrini bei einer Vorlesung kennen. Sie heirateten sechs Jahre später und blieben bis zu Feyerabends Tod zusammen. Es war Feyerabends vierte Ehe.


Nach dem [[Loma-Prieta-Erdbeben|Erdbeben von San Francisco 1989]] zog sich Feyerabend endgültig aus Kalifornien zurück, ein Jahr später wurde er auch an der ETH Zürich emeritiert. ''{{"|Ich vergaß die 35 Jahre meiner akademischen Karriere fast so schnell wie ich den Militärdienst vergessen hatte. Heute fällt es mir schwer zu glauben, daß ich noch vor fünf Jahren an zwei wissenschaftlichen Institutionen, einer in Europa, einer in Kalifornien, unterrichtet habe.}}''<ref>''Zeit'', S. 229.</ref> In den 1980er und 1990er Jahren hat Feyerabend eine große Zahl an Aufsätzen publiziert, seine letzte große Arbeit sollte die Autobiographie ''Zeitverschwendung'' (Originaltitel: ''Killing Time'') werden, an der er bis kurz vor seinem Tode schrieb. 1993 wurde bei Feyerabend ein [[Hirntumor]] diagnostiziert; am 11. Februar 1994 starb er in einer Klinik am [[Genfersee]]. Er erhielt ein [[Liste gewidmeter Gräber der Stadt Wien|ehrenhalber gewidmetes Grab]] auf dem [[Südwestfriedhof (Wien)|Südwestfriedhof]] in Wien.
== Beispiele für Axiome ==
=== Traditionelle Logik ===
* [[Identität (Logik)|Satz von der Identität]]<ref>Spree, in: Rehfus: ''Handwörterbuch Philosophie.'' 2003, ''Axiom.''</ref>
* [[Satz vom Widerspruch]]
* [[Satz vom ausgeschlossenen Dritten]]
* [[Satz vom zureichenden Grund]]


== Wissenschaftstheoretische Ansichten ==
=== Klassische Logik ===
Zu Beginn seiner wissenschaftstheoretischen Laufbahn vertrat Feyerabend die Ansichten Karl Poppers bzw. des kritischen Rationalismus. Seine Beiträge kritisierten den von positivistischer Seite behaupteten Dualismus von Theorie- und Beobachtungssprache und die Annahme, es gebe atheoretische, d.h. nicht theoriegetränkte Beobachtungsbegriffe.<ref>zur Frage der Dispositionsbegriffe: Paul Feyerabend: ''Das Problem der Existenz theoretischer Entitäten,'' in: Ernst Topitsch (Hg.): ''Probleme der Wissenschaftstheorie. Festschrift für Viktor Kraft''. Wien 1960</ref> Aus dem Erfordernis kontra-induktiver und kontra-intuitiver Widerlegungsversuche leitete er ab, dass die Prüfung durch alternative Theorien einen Theorienpluralismus benötige.<ref> Paul Feyerabend: ''How to be a Good Empiricist'', in: Bernard Baumrin (Hg.): ''Philosophy of Science, The Delaware Seminar 2''. New York 1963</ref>
* [[Grundgesetz der Werthverläufe|Komprehensionsaxiom]]: „Zu jedem [[Prädikat (Logik)|Prädikat]] ''P'' gibt es die [[Menge (Mathematik)|Menge]] aller Dinge, die dieses Prädikat erfüllen.
Die ursprüngliche Formulierung stammt aus der [[Naive Mengenlehre|naiven Mengenlehre]] [[Georg Cantor]]s und schien lediglich den Zusammenhang zwischen [[Extension und Intension]] eines [[Begriff (Philosophie)|Begriffs]] klar auszusprechen. Es bedeutete einen großen Schock, als sich herausstellte, dass es in der [[Axiomatisierung]] durch [[Gottlob Frege]] nicht ''widerspruchsfrei'' zu den anderen Axiomen hinzugefügt werden konnte, sondern die [[Russellsche Antinomie]] hervorrief.


Um 1968 radikalisierte sich Feyerabends Wissenschaftsauffassung; fortan verstand er bestimmte Vernunftskriterien nur noch als eine mögliche Alternative unter vielen („anything goes“). Nach dieser wissenschaftstheoretischen [[Wikipedia:Katharsis (Psychologie)|Katharsis]] trat Feyerabend als Kritiker des Rationalismus auf, insbesondere der vorherrschenden Wissenschaftstheorie und Methodologie. So bezeichnete er etwa den kritischen Rationalismus zuweilen als „Law-and-Order-Rationalismus”. Feyerabend rebellierte gegen einen von ihm wahrgenommenen orthodoxen [[Dogmatismus]] der Wissenschaft, wobei er bewusst provokativ äußerte, Regentänze seien genauso gut wie Wettervorhersagen, Wahlprognosen nicht besser als Astrologie. Feyerabend sah Wissenschaft, neben beispielsweise Religion oder Kunst, nur als eine von vielen Möglichkeiten, [[Erkenntnis]] zu gewinnen. Den verschiedenen Zugängen zur Wahrheit eine feste Wertigkeit zuzuordnen, ist nach Feyerabend nicht möglich, teilweise auch deswegen, weil diese Wahrheitszugänge untereinander [[Wikipedia:Inkommensurabilität (Wissenschaftstheorie)|inkommensurabel]] seien.
=== Mathematik ===
[[Datei:Skizze zum mathematischen Gebäude.svg|mini|hochkant=1.2|Axiome bilden das Fundament der Mathematik.]]
Generell werden in der Mathematik Begriffe wie [[Gruppe (Mathematik)|Gruppe]], [[Ring (Algebra)|Ring]], [[Körper (Algebra)|Körper]], [[Hilbertraum]], [[Topologischer Raum]] etc. durch ein System von Axiomen definiert. Manchmal werden dabei Axiome auch '''Gesetze''' genannt (z.&nbsp;B. das [[Assoziativgesetz]]).
* Die [[Körper (Algebra)|Körperaxiome]] in Verbindung mit den [[Geordneter Körper|Anordnungsaxiomen]] und dem [[Vollständiger Raum|Vollständigkeitsaxiom]] definieren die [[Reelle Zahl|reellen Zahlen]].
* [[Parallelenaxiom]]: „Zu jeder [[Gerade]]n und jedem [[Punkt (Geometrie)|Punkt]], der nicht auf dieser Geraden liegt, gibt es genau eine zu der Geraden [[Parallel (Geometrie)|parallele]] Gerade durch diesen Punkt.“ Dieses [[Postulat]] der [[Euklidische Geometrie|euklidischen Geometrie]] galt immer als weniger einleuchtend als die anderen. Da seine Gültigkeit bestritten wurde, versuchte man, es aus den anderen Definitionen und Postulaten abzuleiten. Im Rahmen der Axiomatisierung der Geometrie um die Wende zum 19.&nbsp;Jahrhundert stellte sich heraus, dass eine solche Ableitung nicht möglich ist, da es von der Axiomatisierung der anderen Postulate logisch ''unabhängig'' ist. Damit war der Weg frei zur Anerkennung ''[[Nichteuklidische Geometrie|nichteuklidischer Geometrien]].''
* „Jede [[natürliche Zahl]] ''n'' hat genau einen [[Nachfolger (Mathematik)|Nachfolger]] ''n+1.''“ ist ein Axiom der [[Peano-Arithmetik]], die das System der natürlichen Zahlen mit den Rechenoperationen Addition und Multiplikation beschreibt.
* Der Begriff „Wahrscheinlichkeit“ wird seit 1933 durch ein von [[Kolmogorow]] aufgestelltes Axiomensystem exakt implizit definiert. Damit wurden alle verschiedenen stochastischen Schulen –&nbsp;Franzosen, Deutsche, Briten, Frequentisten, Bayesianer, Probabilisten und Statistiker&nbsp;– erstmals mit einer einheitlichen Theorie versorgt.


Nach Feyerabend lässt sich aus der [[Wissenschaftsgeschichte]] der Schluss ziehen, dass die Praxis des Erkenntnisgewinns und der Erkenntnisveränderung in oftmals irrationaler und anarchischer Weise bestehende wissenschaftstheoretische Grundsätze verletzt hat und eben darum erfolgreich war. Feyerabend betont die Bedeutung von Intuition und Kreativität als Voraussetzung des Erkenntnisgewinns und Erkenntnisfortschritts, beide dürften nicht durch eine bestimmte dogmatische Rationalität und wissenschaftstheoretisch-methodologische Regeln und Zwänge, die ihrerseits nicht sakrosankt seien, sondern vielmehr im Erkenntnisprozess einem Wandel unterlägen, nutzlos und in irreführender Weise eingeschränkt werden. So prägte er den Begriff der Anti-Regel, die eine [[Wikipedia:Regel (Richtlinie)|Regel]] bezeichnen soll, die der [[Wikipedia:Induktion (Philosophie)|Induktion]] widerspricht. Der [[Wissenschaftler]] soll sich nicht scheuen, methodische Regeln aufzustellen, die zu [[Hypothese]]n führen, die anerkannten [[Theorie]]n und beobachtbaren Tatsachen widersprechen. Für diese radikale Linie Feyerabends gab es in der Wissenschaftsgeschichte bereits Anknüpfungspunkte, etwa David Brewster, als er sich 1831 kritisch mit der Methodologie von Francis Bacon auseinandersetzte:
=== Physik ===
:''„The process of Lord Bacon was, we believe, never tried by any philosopher but himself. ... This example, in short, of the application of his system, will remain to future ages as a memorable instance of the absurdity of attempting to fetter discovery by any artificial rules.''<ref>So formuliert in seinem Buch ''Life of Sir Isaac Newton'' (London 1831). Siehe dazu Franz Graf-Stuhlhofer: ''David Brewster - ein „Vorläufer“ von Paul Feyerabend'', in: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 27 (2010) 167f.</ref>
==== Vorschläge zur Axiomatisierung wichtiger Teilgebiete ====
Auch Theorien der [[Empirie#Empirische und nicht-empirische Wissenschaften|empirischen Wissenschaften]] lassen sich „axiomatisiert“ [[Rationale Rekonstruktion|rekonstruieren]]. In der [[Wissenschaftstheorie]] existieren allerdings unterschiedliche Auffassungen darüber, was es überhaupt heißt, eine „Axiomatisierung einer Theorie“ vorzunehmen.<ref>Vgl. dazu einführend und repräsentativ für den damaligen Debattenstand [[Wolfgang Stegmüller]]: ''Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band&nbsp;II: Theorie und Erfahrung, Zweiter Teilband: Theorienstrukturen und Theoriendynamik.'' Springer, Berlin u.&nbsp;a., 2.&nbsp;Aufl., 1985, S.&nbsp;34&nbsp;ff.</ref> Für unterschiedliche physikalische Theorien wurden Axiomatisierungen vorgeschlagen. [[Hans Reichenbach (Physiker)|Hans Reichenbach]] widmete sich u.&nbsp;a. in drei Monographien seinem Vorschlag einer Axiomatik der [[Relativitätstheorie]],<ref>Vgl. bes. H. Reichenbach: ''Axiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre.'' Vieweg, Braunschweig 1924.</ref> wobei er insbesondere stark von Hilbert beeinflusst war.<ref>Vgl. zu den zeitgenössischen Diskussionslagen K. Brading, T. Ryckman: ''Hilbert’s ‚Foundations of Physics‘: Gravitation and Electromagnetism within the axiomatic method.'' In: ''Studies in History and Philosophy of Modern Physics&nbsp;39.'' 2008, 102–53.</ref> Auch [[Alfred Robb]]<ref>Vgl. A. A. Rob: ''A Theory of Space and Time.'' Cambridge University Press, Cambridge 1914.</ref> und [[Constantin Carathéodory]]<ref>Vgl. C. Carathéodory: ''Zur Axiomatik der Relativitätstheorie.'' In: ''Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Physikalisch-Mathematische Klasse&nbsp;5.'' 1924, 12–27.</ref> legten Axiomatisierungsvorschläge zur [[Spezielle Relativitätstheorie|speziellen Relativitätstheorie]] vor. Sowohl für die spezielle wie für die [[allgemeine Relativitätstheorie]] existiert inzwischen eine Vielzahl von in der Wissenschaftstheorie und in der [[Philosophie der Physik]] diskutierten Axiomatisierungsversuchen. [[Patrick Suppes]] und andere haben etwa für die [[Klassische Mechanik|klassische Partikelmechanik]] in ihrer [[Isaac Newton|Newtonschen]] Formulierung eine vieldiskutierte axiomatische Rekonstruktion im modernen Sinne vorgeschlagen,<ref>Vgl. J. C. C. McKinsey, A. C. Sugar, P. Suppes: ''Axiomatic Foundations of Classical Particle Mechanics.'' In: ''Journal of Rational Mechanics and Analysis&nbsp;2.'' 1953, S.&nbsp;253–272. Dieser Ansatz wird in etwas modifizierter Form rekapituliert und diskutiert bei Stegmüller, l.&nbsp;c., S.&nbsp;106&nbsp;ff.</ref> ebenso legten bereits [[Georg Hamel]],<ref>Vgl. G. Hamel: ''Die Axiome der Mechanik.'' In: H. Geiger, K. Scheel (Hrsg.): ''Handbuch der Physik, Bd.&nbsp;5: Mechanik der Punkte und starren Körper.'' Springer, Berlin 1927, S.&nbsp;1–42.</ref> ein Schüler Hilberts, sowie [[Hans Hermes]] Axiomatisierungen der klassischen Mechanik vor.<ref>H. Hermes: ''Eine Axiomatisierung der allgemeinen Mechanik.'' Forschungen zur Logik, Neue Folge&nbsp;3, Hirzel, Leipzig 1938. Ders.: ''Zur Axiomatisierung der Mechanik.'' In: L. Henkin, P. Suppes, A. Tarski (Hrsg.): ''The Axiomatic Method.'' Amsterdam 1959, S.&nbsp;282–290 ([[Iarchive:axiomaticmethod031862mbp|Digitalisat]] bei [[Internet Archive|archive.org]]).</ref> Zu den meistbeachteten Vorschlägen einer Axiomatisierung der [[Quantenmechanik]] zählt nach wie vor das Unternehmen von [[Günther Ludwig (Physiker)|Günther Ludwig]].<ref>Vgl. G. Ludwig: ''Deutung des Begriffs „physikalische Theorie“ und axiomatische Grundlegung der Hilbertraumstruktur der Quantenmechanik durch Hauptsätze des Messens.'' Lecture Notes in Physics&nbsp;4, Springer, Berlin 1970 und Ders.: ''An Axiomatic Basis for Quantum Mechanics.'' Vol.&nbsp;1/2, Springer, Berlin 1985/1987.</ref> Für die [[Axiomatische Quantenfeldtheorie]] war v.&nbsp;a. die Formulierung von [[Arthur Wightman]] aus den 1950er Jahren wichtig.<ref>Publiziert erst 1964 in A. Wightman, [[Ray Streater]]: ''PCT, Spin, Statistik und all das.'' BI Hochschultaschenbuch 1964 (''PCT, Spin, Statistics and all that.'' Benjamin, New York 1964.)</ref> Im Bereich der [[Kosmologie]] war für Ansätze einer Axiomatisierung u.&nbsp;a. [[Edward Arthur Milne]] besonders einflussreich.<ref>Vgl. die einführende Überblicksdarstellung bei {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/cosmology-30s/|Cosmology: Methodological Debates in the 1930s and 1940s|George Gale}}</ref> Für die klassische [[Thermodynamik]] existieren Axiomatisierungsvorschläge u.&nbsp;a. von Giles,<ref>Vgl. R. Giles: ''Mathematical foundations of thermodynamics.'' Pergamon, Oxford 1964.</ref> Boyling,<ref>Vgl. J. B. Boyling: ''An axiomatic approach to classical thermodynamics.'' In: ''Proceedings of the Royal Society of London&nbsp;329.'' 1972, 35–71.</ref> Jauch,<ref>Vgl. J. Jauch: ''On a new foundation of equilibrium thermodynamics.'' In: ''Foundations of Physics&nbsp;2.'' (1972), 327–332.</ref> Lieb und Yngvason.<ref>Vgl. E. H. Lieb, J. Yngvason: ''[http://xxx.lanl.gov/abs/cond-mat/9708200 The physics and mathematics of the second law of thermodynamics.]'' In: ''Physics Reports&nbsp;310.'' 1999, 1–96.314.669.</ref> Für alle physikalischen Theorien, die mit Wahrscheinlichkeiten operieren, insbes. die [[Statistische Mechanik]], wurde die Axiomatisierung der [[Wahrscheinlichkeitsrechnung]] durch [[Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow|Kolmogorow]] wichtig.<ref>Vgl. N. A. Kolmogorov: ''Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeit.'' Springer, Berlin 1933. Einführung zu aktuellen philosophischen Interpretationen von Wahrscheinlichkeiten und zu Kolmogorows Grundlegung: {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/probability-interpret/|Interpretations of Probability|Alan Hájek}}; Thomas Hochkirchen: ''Die Axiomatisierung der Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Kontexte. Von Hilberts [[Hilbertsche Probleme#Hilberts sechstes Problem|sechstem Problem]] zu Kolmogoroffs Grundbegriffen.'' Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1999.</ref>


Feyerabend forderte eine scharfe Trennung von Staat und Wissenschaft, darüber hinaus wandte er sich gegen jeden Überlegenheitsanspruch von Wissenschaftlern gegenüber „Normalbürgern“. Sein Ziel war eine freie Gesellschaft, in der Bürger und Politiker direkt, ohne weitere administrative Umwege über abstrakte Theorien, am Erkenntnisprozess teilhaben. Eine objektive, von Lebens- und Erfahrungspraxis in einer freien Gesellschaft abgetrennte (und damit die bislang herrschende) Rationalität – in Form der Logik, Wissenschaftstheorie und bestimmter Sozialtheorien – sollte durch eine Beteiligung der Bürger ersetzt werden.
==== Verhältnis von Experiment und Theorie ====
 
Die Axiome einer physikalischen Theorie sind weder formal [[Beweis (Mathematik)|beweisbar]] noch, so die inzwischen übliche Sichtweise, direkt und insgesamt durch Beobachtungen [[Verifikation|verifizierbar]] oder [[Falsifikation|falsifizierbar]]. Einer insbesondere im [[Strukturalistisches Theorienkonzept|wissenschaftstheoretischen Strukturalismus]] verbreiteten Sichtweise von Theorien und ihrem Verhältnis zu Experimenten und resultierenden Redeweise zufolge betreffen Prüfungen einer bestimmten Theorie an der Realität vielmehr üblicherweise Aussagen der Form „dieses System ist eine klassische Partikelmechanik“. Gelingt ein entsprechender Theorietest, wurden z.&nbsp;B. korrekte Prognosen von Messwerten angegeben, kann diese Überprüfung ggf. als ''Bestätigung'' dafür gelten, dass ein entsprechendes System zutreffenderweise unter die intendierten Anwendungen der entsprechenden Theorie gezählt wurde, bei wiederholten Fehlschlägen kann und sollte die Menge der intendierten Anwendungen um entsprechende Typen von Systemen reduziert werden.
== Feyerabends Kritik am Kritischen Rationalismus ==
Für Feyerabend ist „vernünftig“ etwas anderes als das, was Popper darunter versteht. Und Wissenschaft funktioniert nach ihm anders, als Poppers methodologische Untersuchungen dies nahelegten: Wissenschaftler stellen selbst fest, nach welchen Maßstäben eine bestimmte Wissenschaft abzulaufen hat, und wann es erforderlich ist, nicht nur Theorien, sondern auch methodologische Grundsätze und Regeln abzuändern oder auszuwechseln. Feyerabend liest die Wissenschaftsgeschichte gegen Poppers „Strich“; er belegt an vielen Beispielen, dass sich Wissenschaftler in Wirklichkeit häufig nicht an feste Regeln halten und dennoch oder gerade deswegen zum Erfolg gelangen. Besser, als sich auf die Schaffung einer bestmöglichen Methodologie zu konzentrieren, sei es demnach, sich grundsätzlich opportunistisch zu verhalten, überspitzt formuliert: Alles geht! Feyerabends Anarchismus verkündet nicht die Regellosigkeit oder Chaos als Zielsetzung, sondern fordert neben einem [[Wikipedia:Theorienpluralismus|Theorienpluralismus]] genauso einen Pluralismus der Methoden unter der Flagge eines [[Wikipedia:Methodenanarchismus|Methodenanarchismus]].
 
Feyerabend lehnt Poppers Präokkupation mit dem [[Wikipedia:Abgrenzungsproblem|Abgrenzungsproblem]] ab als direkten Weg in den Dogmatismus:
 
''„Kein Rationalist, kein kritischer Rationalist besitzt eine Einsicht in die Grenzen der Wissenschaften – dazu müsste er ja wissen, was außerhalb der Wissenschaften vorgeht, er müsste Mythen kennen, müsste ihre Funktion verstehen […] Man zeige einem kritischen Rationalisten einen Gegenstand, der außerhalb seiner Erfahrung liegt – damit kann er gar nichts anfangen, er benimmt sich wie ein Hund, der seinen Herrn in ungewöhnlichen Kleidern sieht; er weiß nicht, soll er ihn beißen, soll er davon laufen, oder soll er ihm das Gesicht lecken. Das ist auch der Grund, warum kritische Rationalisten an den Grenzen der Wissenschaft zu schimpfen beginnen – für sie ist das Ende ihres Glaubens erreicht und das einzige, was sie sagen können, ist: ‚irrationaler Unsinn‘ oder ‚ad hoc‘ oder ‚unfalsifizierbar‘ oder ‚degenerierend‘ – Bezeichnungen, die genau denselben Zweck haben wie die früheren Bezeichnungen ‚häretisch‘ etc. etc.“''<ref>Paul Feyerabend: ''Über die Methode. Ein Dialog.'' In: Gerard Radnitzky, Gunnar Andersson (Hgg.): ''Voraussetzungen und Grenzen der Wissenschaft''. Mohr, Tübingen 1981, ISBN 3-16-942722-9</ref>
 
=== Antwort des kritischen Rationalismus auf Feyerabends Kritik ===
Nach David Miller merkt Feyerabend nicht, wie sehr seine Kritik in Wirklichkeit mit dem Kritischen Rationalismus konform geht, und ihm gar nicht widerspricht.<ref>''Critical Rationalism'', S. 27</ref> Feyerabend übersieht demnach, dass das Ziel von Methoden im kritischen Rationalismus überhaupt nicht die Begründung einer Wahl von Theorien oder Methoden ist, also keine Theorien oder Methoden durch Grenzziehungen von der Erörterung ausgeschlossen werden sollen. Er liegt also zwar insofern richtig, als die Wahl einer Methode nicht begründet werden kann, er liegt aber falsch in der Annahme, dass sie daher alle gleichrangig sein müssen. Denn die Wahl einer Methode hat objektive Konsequenzen, weil die Methode  Probleme, die sie lösen soll, gemäß ihren eigenen Maßstäben besser oder schlechter löst. Die Methode von Versuch und Irrtum, die nichts zu begründen versucht, funktioniert daher ebenso bei der Methodenauswahl und ist dabei auch auf sich selbst anwendbar. Performative Widersprüche treten nicht auf, weil Ziel nicht Selbstbegründung ist, sondern Selbstkritik.
 
Tatsächlich vertritt Feyerabend gemäß Miller selbst eine ähnliche Position, geht aber so weit, auch Methoden zulassen zu wollen, die sich gegen die Logik stellen und somit nur schwer zu kritisieren und auszusortieren sind, wenn sie fehlschlagen. In diesem Punkt unterscheidet sich Feyerabends Methodenanarchismus vom kritischen Methodenpluralismus des kritischen Rationalismus. Miller ist der Ansicht, dass Feyerabend kein wirkliches Argument gegen die Logik hat und – frei nach seinen eigenen Worten – ein Dieb ist, der seinem Diskussionsgegner erst die Logik stiehlt, um den Bestohlenen dann dafür zu kritisieren, dass er sie nicht mehr besitzt.
 
==Paul Feyerabends Bedeutung für die Anthroposophie==
 
Entsprechend der Forderung nach völliger Freiheit (Anarchie) für das Freie Geistesleben in der [[Soziale Dreigliederung|Sozialen Dreigliederung]] Rudolf Steiners, erfüllt die [[Wissenschaftstheorie]] nach Paul Feyerabend eine wesentliche Anforderung der [[Anthroposophie]], als Methode, an die Wissenschaftstheorie, indem mit der Anwendung dieser Methode des "Anything goes" ein Höchstmaß an [[Pluralismus]] innerhalb der Wissenschaften gewährleistet werden kann.
 
"Im Wissenschaftsbereich hat das Recht auf Pluralismus zu herrschen, im Rechtsbereich dagegen die Pflicht zum Pluralismus. Nur bei dieser Unterscheidung ist der (wissenschaftstheoretische) [[Pluralismus]] überhaupt lebensfähig."<ref>Helmut Kiene: Komplementärmedizin - Schulmedizin. Der Wissenschaftsstreit am Ende des 20. Jahrhunderts, Schattauer Vlg., Stuttgart/New York 1994, S. 153</ref>
 
== Werke ==
=== Schriften ===
*''Zur Theorie der Basissätze''. Universität Wien, Diss., 1951 [http://www.univie.ac.at/ubwdb/data/nkn/m001/z024/h020/d0231979.gif Katalogzettel Universitätsbibliothek Wien]
*''Wider den Methodenzwang''. Suhrkamp (stw 597), Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-518-28197-6
*''Erkenntnis für freie Menschen''. Suhrkamp (Edition suhrkamp 1011), Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-518-11011-X
*''Wissenschaft als Kunst''. Suhrkamp (es 1231), Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-518-11231-7
*''Zeitverschwendung'' (Autobiographie). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-518-40693-0 (als Taschenbuch: ISBN 3-518-39222-0)
*''Briefe an einen Freund''. Hg. v. Hans Peter Duerr. Suhrkamp (es 1946), Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-518-11946-X
*''Widerstreit und Harmonie. Trentiner Vorlesungen''. Hg. von Peter Engelmann. Passagen, Wien 1998, ISBN 3-85165-305-X
*''Conquest of Abundance''. Postum veröffentlicht von Bert Terpstra. Chicago 2001, ISBN 0-226-24534-9
*{{Literatur | Titel=Die Vernichtung der Vielfalt. Ein Bericht | Übersetzer=Volker Böhnigk und Rainer Noske | Originaltitel=Conquest of Abundance | Verlag=Passagen Verlag | Ort=Wien | Auflage=1. | Jahr=2005 | ISBN=978-3-85165-633-6 | Online=[http://www.libreka.de/9783851656336 Buchvorschau bei Libreka]}}
*(mit Hans Albert): ''Briefwechsel'', Bd. I: ''1958–1971'', hgg. v. Wilhelm Baum, Kitab Vlg., Klagenfurt/Wien 2008
*(mit Hans Albert): ''Briefwechsel'', Bd. II: ''1972-1986'', hgg. v. Wilhelm Baum u. Michael Mühlmann, Kitab Vlg., Klagenfurt/Wien 2009, ISBN 978-3-902585-27-1
*Helmut Heit und Eric Oberheim (Hrsg.): ''Naturphilosophie''. 1. Auflage. Suhrkamp, 2009, ISBN 3-518-58514-2. Veröffentlichung eines kürzlich im Philosophischen Archiv der Universität Konstanz gefunden Manuskripts aus den siebziger Jahren.
* Christian Augustin (Hg.): ''Aber ein Paul hilft doch dem Anderen. Briefwechsel Paul Feyerabend - Paul Hoyningen-Huene (1983-1994)''. 1. Auflage. Passagen Verlag, 2010, ISBN 3-851-65920-1. Veröffentlichung des Briefwechsels sowie Kommentare des Hg. zur Feyerabendbiographie incl. unveröffentlichter Archivdokumente.
 
=== Ton- und Bilddokumente ===
*''Philosophie Heute: Lieber Himmel – was ist ein Mensch?'' Paul Feyerabend im Gespräch mit Rüdiger Safranski. VHS-Video. Junius, Hamburg 1994 ([http://video.google.com/videoplay?docid=-5514176914063562445 online]).
*''Wissenschaftstheoretische Plaudereien. Originaltonaufnahmen 1971–1992'', hg. v. Klaus Sander. Audio-CD, 60 Minuten und Booklet, 24 Seiten. Supposé, Köln 2000, ISBN 3-932513-15-0
*''Stories from Paolino’s Tapes. Private Recordings 1985–1993'', hg. v. Grazia Borrini-Feyerabend und Klaus Sander. Audio-CD, 68 Minuten. Supposé, Köln 2001, ISBN 3-932513-19-3


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Axiomatisierung}}
* {{WikipediaDE|Axiomatisches System}}
* {{WikipediaDE|Axiom}}


* {{WikipediaDE|Paul Feyerabend}}
== Literatur ==
* {{WikipediaDE|Wider den Methodenzwang}}
=== Artikel in fachbezogenen Enzyklopädien und Wörterbüchern ===
* {{WikipediaDE|Erkenntnis für freie Menschen}}
* ''Axiom.'' In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie.'' Bd. 1. B. I.-Wissenschaftsverlag, 1980.
* {{WikipediaDE|Pluralismus (Philosophie}}
* ''Logical Terms, Glossary of.'' In: Paul Edwards (Hrsg.): ''The Encyclopedia of Philosophy.'' Vol. 5. Collier Macmillan, 1972.
* {{WikipediaDE|anything goes}}
* ''Axiom.'' In: Arnim Regenbogen & Uwe Meyer (Hrsg.): ''Wörterbuch der philosophischen Begriffe.'' Meiner, Hamburg 2006, ISBN 3-7873-1761-9.
* ''Axiom.'' In: Helmut Seiffert: ''Einführung in die Wissenschaftstheorie.'' Band 4: ''Wörterbuch der wissenschaftstheoretischen Terminologie.'' Beck, München 1997, ISBN 3-406-42200-4.
* ''Axiom.'' In: Wulff D. Rehfus (Hrsg.): ''Handwörterbuch Philosophie.'' CD-ROM. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-30148-0.
* ''Axiom.'' In: Hadumod Bußmann (Hrsg.): ''Lexikon der Sprachwissenschaft.'' 3. Aufl. Kröner, Stuttgart 2002, ISBN 3-520-45203-0.


== Literatur ==
=== Monographien ===
*Bibliographie Paul Feyerabends. Journal for General Philosophy of Science. Vol. 28, Nr. 1 / Jan. 1997. Springer Netherlands. {{DOI|10.1023/A:1008200922400  }}
* Evandro Agazzi: ''Introduzione ai problemi dell’assiomatica.'' Milano 1961.
*Eberhard Döring: ''Paul K. Feyerabend zur Einführung''. Junius (Zur Einführung 180), Hamburg 1998, ISBN 3-88506-980-6
* Robert Blanché: ''Axiomatics.'' Routledge, London 1962.
* Paul Hoyningen-Huene: ''Paul K. Feyerabend''. Journal for General Philosophy of Science 28: 1-18 (1997).
* Euklid: ''Die Elemente.'' Harri Deutsch, Frankfurt am Main, 4. erw. Aufl., 2005.
* Paul Hoyningen-Huene: ''Paul Feyerabend und Thomas Kuhn''. Journal for General Philosophy of Science 33(1): 61-83 (2002).
* David Hilbert u.&nbsp;a.: ''Grundlagen der Geometrie.'' Teubner 2002, ISBN 3-519-00237-X.
* Paul Hoyningen-Huene: ''Three Biographies: Kuhn, Feyerabend, and Incommensurability''. In: Randy Harris (ed.): Rhetoric and Incommensurability. West Lafayette: Parlor Press, 2005, pp. 150-175.
* Árpád Szabó: ''Anfänge der griechischen Mathematik.'' Oldenbourg 1969, ISBN 3-486-47201-1.
*Friedrich Stadler / Kurt R. Fischer (Hgg.): ''Paul Feyerabend. Ein Philosoph aus Wien''. Springer (Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis 14), Wien 2006, ISBN 3-211-29759-6
* Bochenski: ''Die zeitgenössischen Denkmethoden.'' 10. Aufl., 1993, S. 73 ff.
*Martin Ludwig Hofmann: ''Paul Feyerabend (1924–1994) – Kultur des Wissens als Kultur der Freiheit'', in: Hofmann, Korta, Niekisch (Hrsg.): ''Culture Club II. Klassiker der Kulturtheorie''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-518-29398-2
* Carnap: ''Einführung in die symbolische Logik.'' 3. Aufl., 1968, S. 172 ff.
* Eric Oberheim (2007): Feyerabend's Philosophy. Berlin: de Gruyter.
* Hilbert/Ackermann: ''Grundzüge der theoretischen Logik.'' 6. Aufl., 1972, S. 24.
*Thomas Sukopp: ''Anything goes? Paul K. Feyerabend als Elefant im Popperschen Porzellanladen''. [http://www.gkpn.de Aufklärung und Kritik], 1/2007 14. Jg. {{ISSN|0945-6627}}
* Kutschera: ''Frege.'' 1989, S. 154 f.
*Ursula Schmidt: ''Wie wissenschaftliche Revolutionen zustande kommen: von der vorkopernikanischen Astronomie zur Newtonschen Mechanik.'' Würzburg, Königshausen & Neumann, 2010, ISBN 978-3-8260-4255-3
* Nagel, Newmann: ''Der Gödelsche Beweis.'' In: Meixner (Hrsg.): ''Philosophie der Logik.'' 2003, S. 150 (169).
*Thomas Kupka: ''Feyerabend und Kant — Kann das gut gehen? Paul K. Feyerabends ›Naturphilosophie‹ und Kants Polemik gegen den Dogmatismus''. In: ''Journal for General Philosophy of Science'' 42 (2011) S. 399-409 ([http://www.springerlink.com/content/d6440714n1118787/fulltext.pdf DOI 10.1007/s10838-011-9170-0])
* Tarski: ''Einführung in die mathematische Logik.'' 5. Aufl., 1977, S. 126 ff.
*[[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_pluralismus.pdf Gemäßigter Pluralismus: Der aufgeklärte Liberalismus in gemäßigter Form] PDF


== Weblinks ==
== Weblinks ==
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{{Wiktionary}}
{{Wikiquote|Paul Feyerabend}}
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/frege-hilbert/|The Frege-Hilbert Controversy|Patricia Blanchette}}
* {{DNB-Portal|118532812}}
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/feyerabend/ || John Preston}}
* [http://www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/philarchiv/bestaende/Feyerabend.htm Nachlass, Manuskripte, Korrespondenz und Handbibliothek Paul Feyerabends im Philosophischen Archiv der Uni Konstanz]
* [http://science.orf.at/science/news/145066 Das „Testament“ des Paul Feyerabend]
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/philosophie11.html Projekt Wissenschaftstheorie II]]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
Paul Feyerabends Autobiographie ''Zeitverschwendung'' wird mit ''Zeit'' abgekürzt.
<references />
<references />


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|ALTERNATIVNAMEN=Feyerabend, Paul Karl
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|STERBEORT=[[Genolier]], Schweiz
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Version vom 20. August 2019, 16:20 Uhr

Ein Axiom (von griechisch ἀξίωμα: „Wertschätzung, Urteil, als wahr angenommener Grundsatz“[1]) ist ein Grundsatz einer Theorie, einer Wissenschaft oder eines axiomatischen Systems, der innerhalb dieses Systems nicht begründet oder deduktiv abgeleitet wird.

Abgrenzungen

Innerhalb einer formalisierbaren Theorie ist eine These ein Satz, der bewiesen werden soll.[2] Ein Axiom ist ein Satz, der nicht in der Theorie bewiesen werden soll, sondern beweislos vorausgesetzt wird. Wenn die gewählten Axiome der Theorie logisch unabhängig sind, so kann keines von ihnen aus den anderen hergeleitet werden. Im Rahmen eines formalen Kalküls sind die Axiome dieses Kalküls immer ableitbar. Dabei handelt es sich im formalen oder syntaktischen Sinne um einen Beweis; semantisch betrachtet handelt es sich um einen Zirkelschluss. Ansonsten gilt: „Geht eine Ableitung von den Axiomen eines Kalküls bzw. von wahren Aussagen aus, so spricht man von einem Beweis.“[3]

Axiom wird als Gegenbegriff zu Theorem (im engeren Sinn) verwendet.[4] Theoreme wie Axiome sind Sätze eines formalisierten Kalküls, die durch Ableitungsbeziehungen verbunden sind. Theoreme sind also Sätze, die durch formale Beweisgänge von Axiomen abgeleitet werden.[5] Mitunter werden die Ausdrücke These und Theorem jedoch im weiteren Sinn für alle gültigen Sätze eines formalen Systems verwendet, d. h. als Oberbegriff, der sowohl Axiome als auch Theoreme im ursprünglichen Sinn umfasst.[6]

Axiome können somit als Bedingungen der vollständigen Theorie verstanden werden, insofern diese in einem formalisierten Kalkül ausdrückbar sind. Innerhalb einer interpretierten formalen Sprache können verschiedene Theorien durch die Auswahl der Axiome unterschieden werden. Bei nicht-interpretierten Kalkülen der formalen Logik spricht man statt von Theorien allerdings von logischen Systemen, die durch Axiome und Schlussregeln vollständig bestimmt sind. Dies relativiert den Begriff der Ableitbarkeit oder Beweisbarkeit: Sie besteht immer nur in Bezug auf ein gegebenes System.[7] Die Axiome und die abgeleiteten Aussagen gehören zur Objektsprache, die Regeln zur Metasprache.[7]

Ein Kalkül ist jedoch nicht notwendigerweise ein Axiomatischer Kalkül, der also „aus einer Menge von Axiomen und einer möglichst kleinen Menge von Schlussregeln“ besteht.[8] Daneben gibt es auch Beweis-Kalküle und Tableau-Kalküle.

Immanuel Kant bezeichnet Axiome als „synthetische Grundsätze a priori, sofern sie unmittelbar gewiß sind“ und schließt sie durch diese Definition aus dem Bereich der Philosophie aus. Diese nämlich gründe sich auf Begriffe, die als abstrakte Vorstellungsbilder niemals als Gegenstand unmittelbarer Anschauung Evidenz besitzen. Daher grenzt er die diskursiven Grundsätze der Philosophie von den intuitiven der Mathematik ab: Erstere müssten sich „bequemen, ihre Befugniß wegen derselben durch gründliche Deduction zu rechtfertigen“ und erfüllen daher nicht die Kriterien eines a priori.[9]

Unterscheidungen

Der Ausdruck Axiom wird in drei Grundbedeutungen verwendet. Er bezeichnet

  1. einen unmittelbar einleuchtenden Grundsatz – den klassischen (materialen) Axiombegriff,
  2. ein Naturgesetz, das als Prinzip für empirisch gut bestätigte Regeln postuliert werden kann – den naturwissenschaftlichen (physikalischen) Axiombegriff,
  3. einen Ausgangssatz, der in einem Kalkül einer formalen Sprache als gültig vorausgesetzt wird – den modernen (formalen) Axiombegriff.

Klassischer Axiombegriff

Der klassische Axiombegriff wird auf die Elemente der Geometrie des Euklid und die Analytica posteriora des Aristoteles zurückgeführt. Axiom bezeichnet in dieser Auffassung ein unmittelbar einleuchtendes Prinzip bzw. eine Bezugnahme auf ein solches. Ein Axiom in diesem essentialistischen Sinne bedarf aufgrund seiner empirischen Evidenz keines Beweises. Axiome wurden dabei angesehen als unbedingt wahre Sätze über existierende Gegenstände, die diesen Sätzen als objektive Realitäten gegenüberstehen. Diese Bedeutung war bis in das 19. Jahrhundert hinein vorherrschend.

Am Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte eine „Abnabelung der Geometrie von der Wirklichkeit“[10]. Die systematische Untersuchung unterschiedlicher Axiomensysteme für unterschiedliche Geometrien (euklidische, hyperbolische, sphärische Geometrie usw.), die unmöglich allesamt die aktuale Welt beschreiben konnten, musste zur Folge haben, dass der Axiombegriff formalistischer verstanden wurde und Axiome insgesamt im Sinne von Definitionen einen konventionellen Charakter erhielten. Als wegweisend erwiesen sich die Schriften David Hilberts zur Axiomatik, der das aus den empirischen Wissenschaften stammende Evidenzpostulat durch die formalen Kriterien von Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit ersetzte. Eine alternative Auffassungsweise bezieht daher ein Axiomensystem nicht einfach hin auf die aktuale Welt, sondern folgt dem Schema: Wenn irgendeine Struktur die Axiome erfüllt, dann erfüllt sie auch die Ableitungen aus den Axiomen (sog. Theoreme). Derartige Auffassungen lassen sich im Implikationismus, Deduktivismus oder eliminativen Strukturalismus verorten.[11]

In axiomatisierten Kalkülen im Sinne der modernen formalen Logik können die klassischen epistemologischen (Evidenz, Gewissheit), ontologischen (Referenz auf ontologisch Grundlegenderes) oder konventionellen (Akzeptanz in einem bestimmten Kontext) Kriterien für die Auszeichnung von Axiomen entfallen. Axiome unterscheiden sich von Theoremen dann nur formal dadurch, dass sie die Grundlage logischer Ableitungen in einem gegebenen Kalkül sind.[12] Als „grundsätzliches“ und „unabhängiges“ Prinzip sind sie innerhalb des Axiomensystems nicht aus anderen Ausgangssätzen ableitbar und somit keinem Beweis zugänglich.

Naturwissenschaftlicher Axiombegriff

In den empirischen Wissenschaften bezeichnet man als Axiome auch grundlegende Gesetze, die vielfach empirisch bestätigt worden sind.[13] Als Beispiel werden die Newtonschen Axiome der Mechanik genannt.

Auch wissenschaftliche Theorien, insbesondere die Physik, beruhen auf Axiomen. Aus diesen werden Theorien geschlussfolgert, deren Theoreme und Korollare Vorhersagen über den Ausgang von Experimenten treffen. Stehen Aussagen der Theorie im Widerspruch zur experimentellen Beobachtung, werden die Axiome angepasst. Beispielsweise liefern die Newtonschen Axiome nur für „langsame“ und „große“ Systeme gute Vorhersagen und sind durch die Axiome der speziellen Relativitätstheorie und der Quantenmechanik abgelöst bzw. ergänzt worden. Trotzdem verwendet man die Newtonschen Axiome weiter für solche Systeme, da die Folgerungen einfacher sind und für die meisten Anwendungen die Ergebnisse hinreichend genau sind.

Formaler Axiombegriff

Durch Hilbert (1899) wurde ein formaler Axiombegriff herrschend: Ein Axiom ist jede unabgeleitete Aussage. Dies ist eine rein formale Eigenschaft. Die Evidenz oder der ontologische Status eines Axioms spielt keine Rolle und bleibt einer gesondert zu betrachtenden Interpretation überlassen.

Ein Axiom ist dann eine grundlegende Aussage, die

  • Bestandteil eines formalisierten Systems von Sätzen ist,
  • ohne Beweis angenommen wird und
  • aus der zusammen mit anderen Axiomen alle Sätze (Theoreme) des Systems logisch abgeleitet werden.

Teilweise wird behauptet, in diesem Verständnis seien Axiome völlig willkürlich:[14] Ein Axiom sei „ein unbewiesener und daher unverstandener Satz“,[14] denn ob ein Axiom auf Einsicht beruht und daher „verstehbar“ ist, spielt zunächst keine Rolle.[15] Richtig daran ist, dass ein Axiom – bezogen auf eine Theorie – unbewiesen ist. Das heißt aber nicht, dass ein Axiom unbeweisbar sein muss. Die Eigenschaft, ein Axiom zu sein, ist relativ zu einem formalen System. Was in einer Wissenschaft ein Axiom ist, kann in einer anderen ein Theorem sein.

Ein Axiom ist unverstanden nur insofern, als seine Wahrheit formal nicht bewiesen, sondern vorausgesetzt ist. Der moderne Axiombegriff dient dazu, die Axiomeigenschaft von der Evidenzproblematik abzukoppeln, was aber nicht notwendigerweise bedeutet, dass es keine Evidenz gibt. Es ist allerdings ein bestimmendes Merkmal der axiomatischen Methode, dass bei der Deduktion der Theoreme nur auf der Basis formaler Regeln geschlossen wird und nicht von der Deutung der axiomatischen Zeichen Gebrauch gemacht wird.[16]

Beispiele für Axiome

Traditionelle Logik

Klassische Logik

Die ursprüngliche Formulierung stammt aus der naiven Mengenlehre Georg Cantors und schien lediglich den Zusammenhang zwischen Extension und Intension eines Begriffs klar auszusprechen. Es bedeutete einen großen Schock, als sich herausstellte, dass es in der Axiomatisierung durch Gottlob Frege nicht widerspruchsfrei zu den anderen Axiomen hinzugefügt werden konnte, sondern die Russellsche Antinomie hervorrief.

Mathematik

Axiome bilden das Fundament der Mathematik.

Generell werden in der Mathematik Begriffe wie Gruppe, Ring, Körper, Hilbertraum, Topologischer Raum etc. durch ein System von Axiomen definiert. Manchmal werden dabei Axiome auch Gesetze genannt (z. B. das Assoziativgesetz).

  • Die Körperaxiome in Verbindung mit den Anordnungsaxiomen und dem Vollständigkeitsaxiom definieren die reellen Zahlen.
  • Parallelenaxiom: „Zu jeder Geraden und jedem Punkt, der nicht auf dieser Geraden liegt, gibt es genau eine zu der Geraden parallele Gerade durch diesen Punkt.“ Dieses Postulat der euklidischen Geometrie galt immer als weniger einleuchtend als die anderen. Da seine Gültigkeit bestritten wurde, versuchte man, es aus den anderen Definitionen und Postulaten abzuleiten. Im Rahmen der Axiomatisierung der Geometrie um die Wende zum 19. Jahrhundert stellte sich heraus, dass eine solche Ableitung nicht möglich ist, da es von der Axiomatisierung der anderen Postulate logisch unabhängig ist. Damit war der Weg frei zur Anerkennung nichteuklidischer Geometrien.
  • „Jede natürliche Zahl n hat genau einen Nachfolger n+1.“ ist ein Axiom der Peano-Arithmetik, die das System der natürlichen Zahlen mit den Rechenoperationen Addition und Multiplikation beschreibt.
  • Der Begriff „Wahrscheinlichkeit“ wird seit 1933 durch ein von Kolmogorow aufgestelltes Axiomensystem exakt implizit definiert. Damit wurden alle verschiedenen stochastischen Schulen – Franzosen, Deutsche, Briten, Frequentisten, Bayesianer, Probabilisten und Statistiker – erstmals mit einer einheitlichen Theorie versorgt.

Physik

Vorschläge zur Axiomatisierung wichtiger Teilgebiete

Auch Theorien der empirischen Wissenschaften lassen sich „axiomatisiert“ rekonstruieren. In der Wissenschaftstheorie existieren allerdings unterschiedliche Auffassungen darüber, was es überhaupt heißt, eine „Axiomatisierung einer Theorie“ vorzunehmen.[18] Für unterschiedliche physikalische Theorien wurden Axiomatisierungen vorgeschlagen. Hans Reichenbach widmete sich u. a. in drei Monographien seinem Vorschlag einer Axiomatik der Relativitätstheorie,[19] wobei er insbesondere stark von Hilbert beeinflusst war.[20] Auch Alfred Robb[21] und Constantin Carathéodory[22] legten Axiomatisierungsvorschläge zur speziellen Relativitätstheorie vor. Sowohl für die spezielle wie für die allgemeine Relativitätstheorie existiert inzwischen eine Vielzahl von in der Wissenschaftstheorie und in der Philosophie der Physik diskutierten Axiomatisierungsversuchen. Patrick Suppes und andere haben etwa für die klassische Partikelmechanik in ihrer Newtonschen Formulierung eine vieldiskutierte axiomatische Rekonstruktion im modernen Sinne vorgeschlagen,[23] ebenso legten bereits Georg Hamel,[24] ein Schüler Hilberts, sowie Hans Hermes Axiomatisierungen der klassischen Mechanik vor.[25] Zu den meistbeachteten Vorschlägen einer Axiomatisierung der Quantenmechanik zählt nach wie vor das Unternehmen von Günther Ludwig.[26] Für die Axiomatische Quantenfeldtheorie war v. a. die Formulierung von Arthur Wightman aus den 1950er Jahren wichtig.[27] Im Bereich der Kosmologie war für Ansätze einer Axiomatisierung u. a. Edward Arthur Milne besonders einflussreich.[28] Für die klassische Thermodynamik existieren Axiomatisierungsvorschläge u. a. von Giles,[29] Boyling,[30] Jauch,[31] Lieb und Yngvason.[32] Für alle physikalischen Theorien, die mit Wahrscheinlichkeiten operieren, insbes. die Statistische Mechanik, wurde die Axiomatisierung der Wahrscheinlichkeitsrechnung durch Kolmogorow wichtig.[33]

Verhältnis von Experiment und Theorie

Die Axiome einer physikalischen Theorie sind weder formal beweisbar noch, so die inzwischen übliche Sichtweise, direkt und insgesamt durch Beobachtungen verifizierbar oder falsifizierbar. Einer insbesondere im wissenschaftstheoretischen Strukturalismus verbreiteten Sichtweise von Theorien und ihrem Verhältnis zu Experimenten und resultierenden Redeweise zufolge betreffen Prüfungen einer bestimmten Theorie an der Realität vielmehr üblicherweise Aussagen der Form „dieses System ist eine klassische Partikelmechanik“. Gelingt ein entsprechender Theorietest, wurden z. B. korrekte Prognosen von Messwerten angegeben, kann diese Überprüfung ggf. als Bestätigung dafür gelten, dass ein entsprechendes System zutreffenderweise unter die intendierten Anwendungen der entsprechenden Theorie gezählt wurde, bei wiederholten Fehlschlägen kann und sollte die Menge der intendierten Anwendungen um entsprechende Typen von Systemen reduziert werden.

Siehe auch

Literatur

Artikel in fachbezogenen Enzyklopädien und Wörterbüchern

  • Axiom. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Bd. 1. B. I.-Wissenschaftsverlag, 1980.
  • Logical Terms, Glossary of. In: Paul Edwards (Hrsg.): The Encyclopedia of Philosophy. Vol. 5. Collier Macmillan, 1972.
  • Axiom. In: Arnim Regenbogen & Uwe Meyer (Hrsg.): Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Meiner, Hamburg 2006, ISBN 3-7873-1761-9.
  • Axiom. In: Helmut Seiffert: Einführung in die Wissenschaftstheorie. Band 4: Wörterbuch der wissenschaftstheoretischen Terminologie. Beck, München 1997, ISBN 3-406-42200-4.
  • Axiom. In: Wulff D. Rehfus (Hrsg.): Handwörterbuch Philosophie. CD-ROM. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-30148-0.
  • Axiom. In: Hadumod Bußmann (Hrsg.): Lexikon der Sprachwissenschaft. 3. Aufl. Kröner, Stuttgart 2002, ISBN 3-520-45203-0.

Monographien

  • Evandro Agazzi: Introduzione ai problemi dell’assiomatica. Milano 1961.
  • Robert Blanché: Axiomatics. Routledge, London 1962.
  • Euklid: Die Elemente. Harri Deutsch, Frankfurt am Main, 4. erw. Aufl., 2005.
  • David Hilbert u. a.: Grundlagen der Geometrie. Teubner 2002, ISBN 3-519-00237-X.
  • Árpád Szabó: Anfänge der griechischen Mathematik. Oldenbourg 1969, ISBN 3-486-47201-1.
  • Bochenski: Die zeitgenössischen Denkmethoden. 10. Aufl., 1993, S. 73 ff.
  • Carnap: Einführung in die symbolische Logik. 3. Aufl., 1968, S. 172 ff.
  • Hilbert/Ackermann: Grundzüge der theoretischen Logik. 6. Aufl., 1972, S. 24.
  • Kutschera: Frege. 1989, S. 154 f.
  • Nagel, Newmann: Der Gödelsche Beweis. In: Meixner (Hrsg.): Philosophie der Logik. 2003, S. 150 (169).
  • Tarski: Einführung in die mathematische Logik. 5. Aufl., 1977, S. 126 ff.

Weblinks

 Wiktionary: Axiom – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1.  Peter Prechtl: Axiom. In: Metzler Lexikon Sprache. J.B. Metzler Verlag GmbH, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-476-02641-5, S. 81.
  2. Regenbogen, Meyer: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. 2005, These.
  3. Regenbogen, Meyer: Wörterbuch der philosophischen Begriffe. 2005, Ableitung.
  4. So bei Tarski: Einführung in die mathematische Logik. 5. Aufl. (1977), S. 127.
  5. Vgl. Carnap: Einführung in die symbolische Logik. 3. Aufl. (1968), S. 172.
  6. So z. B. Paul Ruppen: Einstieg in die formale Logik. Ein Lern- und Übungsbuch für Nichtmathematiker. Peter Lang, Bern 1996, S. 125.
  7. 7,0 7,1 Bochenski: Die zeitgenössischen Denkmethoden. 10. Aufl. (1993), S. 79.
  8. Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. 3. Aufl., 2002, Kalkül.
  9.  Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. In: Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften. III, Georg Reimer, Berlin 1904, S. 480 f..
  10.  Ulrich Felgner: Hilberts „Grundlagen der Geometrie“ und ihre Stellung in der Geschichte der Grundlagendiskussion. In: Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. 115, Nr. 3, 2014, S. 185–206, doi:10.1365/s13291-013-0071-5.
  11. Vgl. z. B. Michael Potter: Set Theory and its Philosophy. A Critical Introduction. Oxford University Press, Oxford/New York 2004, S. 8.
  12. Vgl. Joseph Maria Bocheński: Die zeitgenössischen Denkmethoden. 10. Aufl. 1993, S. 78 f.
  13. Regenbogen/Meyer: Wörterbuch der philosophischen Begriffe (2005)/Axiom.
  14. 14,0 14,1 Seiffert: Wissenschaftstheorie IV. 1997, Anfang.
  15. Seiffert: Wissenschaftstheorie IV. 1997, Axiom.
  16. Carnap: Einführung in die symbolische Logik. 3. Aufl., 1968, S. 174.
  17. Spree, in: Rehfus: Handwörterbuch Philosophie. 2003, Axiom.
  18. Vgl. dazu einführend und repräsentativ für den damaligen Debattenstand Wolfgang Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band II: Theorie und Erfahrung, Zweiter Teilband: Theorienstrukturen und Theoriendynamik. Springer, Berlin u. a., 2. Aufl., 1985, S. 34 ff.
  19. Vgl. bes. H. Reichenbach: Axiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre. Vieweg, Braunschweig 1924.
  20. Vgl. zu den zeitgenössischen Diskussionslagen K. Brading, T. Ryckman: Hilbert’s ‚Foundations of Physics‘: Gravitation and Electromagnetism within the axiomatic method. In: Studies in History and Philosophy of Modern Physics 39. 2008, 102–53.
  21. Vgl. A. A. Rob: A Theory of Space and Time. Cambridge University Press, Cambridge 1914.
  22. Vgl. C. Carathéodory: Zur Axiomatik der Relativitätstheorie. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Physikalisch-Mathematische Klasse 5. 1924, 12–27.
  23. Vgl. J. C. C. McKinsey, A. C. Sugar, P. Suppes: Axiomatic Foundations of Classical Particle Mechanics. In: Journal of Rational Mechanics and Analysis 2. 1953, S. 253–272. Dieser Ansatz wird in etwas modifizierter Form rekapituliert und diskutiert bei Stegmüller, l. c., S. 106 ff.
  24. Vgl. G. Hamel: Die Axiome der Mechanik. In: H. Geiger, K. Scheel (Hrsg.): Handbuch der Physik, Bd. 5: Mechanik der Punkte und starren Körper. Springer, Berlin 1927, S. 1–42.
  25. H. Hermes: Eine Axiomatisierung der allgemeinen Mechanik. Forschungen zur Logik, Neue Folge 3, Hirzel, Leipzig 1938. Ders.: Zur Axiomatisierung der Mechanik. In: L. Henkin, P. Suppes, A. Tarski (Hrsg.): The Axiomatic Method. Amsterdam 1959, S. 282–290 (Digitalisat bei archive.org).
  26. Vgl. G. Ludwig: Deutung des Begriffs „physikalische Theorie“ und axiomatische Grundlegung der Hilbertraumstruktur der Quantenmechanik durch Hauptsätze des Messens. Lecture Notes in Physics 4, Springer, Berlin 1970 und Ders.: An Axiomatic Basis for Quantum Mechanics. Vol. 1/2, Springer, Berlin 1985/1987.
  27. Publiziert erst 1964 in A. Wightman, Ray Streater: PCT, Spin, Statistik und all das. BI Hochschultaschenbuch 1964 (PCT, Spin, Statistics and all that. Benjamin, New York 1964.)
  28. Vgl. die einführende Überblicksdarstellung bei George Gale: Cosmology: Methodological Debates in the 1930s and 1940s. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
  29. Vgl. R. Giles: Mathematical foundations of thermodynamics. Pergamon, Oxford 1964.
  30. Vgl. J. B. Boyling: An axiomatic approach to classical thermodynamics. In: Proceedings of the Royal Society of London 329. 1972, 35–71.
  31. Vgl. J. Jauch: On a new foundation of equilibrium thermodynamics. In: Foundations of Physics 2. (1972), 327–332.
  32. Vgl. E. H. Lieb, J. Yngvason: The physics and mathematics of the second law of thermodynamics. In: Physics Reports 310. 1999, 1–96.314.669.
  33. Vgl. N. A. Kolmogorov: Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeit. Springer, Berlin 1933. Einführung zu aktuellen philosophischen Interpretationen von Wahrscheinlichkeiten und zu Kolmogorows Grundlegung: Alan Hájek: Interpretations of Probability. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.; Thomas Hochkirchen: Die Axiomatisierung der Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Kontexte. Von Hilberts sechstem Problem zu Kolmogoroffs Grundbegriffen. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1999.


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