Axiom und Gesetz: Unterschied zwischen den Seiten

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Ein '''Axiom''' (von griechisch ἀξίωμα: „Wertschätzung, Urteil, als wahr angenommener Grundsatz“<ref>{{Literatur |Autor=Peter Prechtl |Hrsg=[[Helmut Glück]] |Titel=Axiom |Sammelwerk=Metzler Lexikon Sprache |Verlag=J.B. Metzler Verlag GmbH |Ort=Stuttgart |Datum=2016 |ISBN=978-3-476-02641-5 |Seiten=81}}</ref>) ist ein [[Grundsatz]] einer [[Theorie]], einer [[Wissenschaft]] oder eines [[Axiomensystem|axiomatischen Systems]], der innerhalb dieses Systems nicht [[Begründung|begründet]] oder [[Deduktion|deduktiv]] abgeleitet wird.
{{Begriffsklärung}}


== Abgrenzungen ==
Innerhalb einer formalisierbaren Theorie ist eine [[These]] ein Satz, der bewiesen werden soll.<ref>Regenbogen, Meyer: ''Wörterbuch der philosophischen Begriffe.'' 2005, ''These.''</ref> Ein Axiom ist ein Satz, der nicht in der Theorie bewiesen werden soll, sondern beweislos vorausgesetzt wird. Wenn die gewählten Axiome der Theorie ''logisch unabhängig'' sind, so kann keines von ihnen aus den anderen hergeleitet werden. Im Rahmen eines formalen [[Kalkül]]s sind die Axiome dieses Kalküls immer [[Ableitung (Logik)|ableitbar]]. Dabei handelt es sich im formalen oder syntaktischen Sinne um einen [[Beweis (Logik)|Beweis]]; semantisch betrachtet handelt es sich um einen [[Zirkelschluss]]. Ansonsten gilt: „Geht eine Ableitung von den Axiomen eines Kalküls bzw. von wahren Aussagen aus, so spricht man von einem Beweis.“<ref>Regenbogen, Meyer: ''Wörterbuch der philosophischen Begriffe.'' 2005, ''Ableitung.''</ref>


Axiom wird als Gegenbegriff zu [[Theorem]] (im engeren Sinn) verwendet.<ref>So bei Tarski: ''Einführung in die mathematische Logik.'' 5. Aufl. (1977), S. 127.</ref> Theoreme wie Axiome sind Sätze eines formalisierten Kalküls, die durch Ableitungsbeziehungen verbunden sind. Theoreme sind also Sätze, die durch formale Beweisgänge von Axiomen abgeleitet werden.<ref>Vgl. Carnap: ''Einführung in die symbolische Logik.'' 3. Aufl. (1968), S. 172.</ref> Mitunter werden die Ausdrücke These und Theorem jedoch im weiteren Sinn für alle gültigen Sätze eines formalen Systems verwendet, d.&nbsp;h. als Oberbegriff, der sowohl Axiome als auch Theoreme im ursprünglichen Sinn umfasst.<ref>So z.&nbsp;B. Paul Ruppen: ''Einstieg in die formale Logik. Ein Lern- und Übungsbuch für Nichtmathematiker.'' Peter Lang, Bern 1996, S. 125.</ref>
Der Begriff '''Gesetz''' ist mehrdeutig und steht u.a. für:


Axiome können somit als Bedingungen der vollständigen [[Theorie]] verstanden werden, insofern diese in einem formalisierten Kalkül ausdrückbar sind. Innerhalb einer interpretierten [[Formale Sprache|formalen Sprache]] können verschiedene Theorien durch die Auswahl der Axiome unterschieden werden. Bei nicht-interpretierten Kalkülen der [[Formale Logik|formalen Logik]] spricht man statt von Theorien allerdings von ''logischen Systemen,'' die durch Axiome und [[Schlussregel]]n vollständig bestimmt sind. Dies relativiert den Begriff der Ableitbarkeit oder Beweisbarkeit: Sie besteht immer nur in Bezug auf ein gegebenes System.<ref name="bochenski79">Bochenski: ''Die zeitgenössischen Denkmethoden.'' 10. Aufl. (1993), S. 79.</ref> Die Axiome und die abgeleiteten Aussagen gehören zur [[Metasprache#Mehrdeutigkeit des Ausdrucks „Objektsprache“|Objektsprache]], die Regeln zur [[Metasprache]].<ref name="bochenski79" />
* [[Wikipedia:Gesetz|Gesetz]], als Sammlung allgemein verbindlichen [[Recht]]snormen
* [[Wikipedia:Gesetz (Theologie)|Gesetz]], als der Gesamtheit der Gebote Gottes, insbesondere der [[Zehn Gebote]], in der [[christlich]]en und [[jüdisch]]en [[Wikipedia:Theologie|Theologie]] und für die im heiligen [[Wikipedia:Koran|Koran]] gegebenen Gesetze des [[Islam]]
* [[Wikipedia:Physikalisches Gesetz|Physikalisches Gesetz]] bzw. [[Naturgesetz]]
* [[Wikipedia:Sprachgesetz|Sprachgesetz]], für allgemeine Aussagen über Zustände oder Veränderungen der [[Sprache]] in der [[Wikipedia:Linguistik|Linguistik]]


Ein Kalkül ist jedoch nicht notwendigerweise ein ''Axiomatischer Kalkül,'' der also „aus einer Menge von Axiomen und einer möglichst kleinen Menge von Schlussregeln“ besteht.<ref name="bussmann2002">Bußmann: ''Lexikon der Sprachwissenschaft.'' 3. Aufl., 2002, ''Kalkül.''</ref> Daneben gibt es auch [[Beweistheorie#Arten von Beweiskalkülen|Beweis-Kalküle]] und [[Baumkalkül|Tableau-Kalküle]].
[[Kategorie:Begriffsklärung]]
 
[[Immanuel Kant]] bezeichnet Axiome als „synthetische Grundsätze a priori, sofern sie unmittelbar gewiß sind“ und schließt sie durch diese Definition aus dem Bereich der Philosophie aus. Diese nämlich gründe sich auf Begriffe, die als abstrakte Vorstellungsbilder niemals als Gegenstand unmittelbarer Anschauung Evidenz besitzen. Daher grenzt er die diskursiven Grundsätze der Philosophie von den intuitiven der Mathematik ab: Erstere müssten sich „bequemen, ihre Befugniß wegen derselben durch gründliche Deduction zu rechtfertigen“ und erfüllen daher nicht die Kriterien eines a priori.<ref>{{Literatur |Autor=Immanuel Kant |Hrsg=Benno Erdmann |Titel=Kritik der reinen Vernunft |Sammelwerk=Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften |Band=III |Verlag=Georg Reimer |Ort=Berlin |Datum=1904 |Seiten=480 f.}}</ref>
 
== Unterscheidungen ==
Der Ausdruck ''Axiom'' wird in drei Grundbedeutungen verwendet. Er bezeichnet
# einen [[Evidenz|unmittelbar]] einleuchtenden Grundsatz&nbsp;– den ''klassischen (materialen) Axiombegriff,''
# ein Naturgesetz, das als Prinzip für empirisch gut bestätigte Regeln [[Postulat|postuliert]] werden kann&nbsp;– den ''naturwissenschaftlichen (physikalischen) Axiombegriff,''
# einen Ausgangssatz, der in einem [[Kalkül]] einer formalen Sprache als gültig vorausgesetzt wird&nbsp;– den ''modernen (formalen) Axiombegriff''.
 
=== Klassischer Axiombegriff ===
Der klassische Axiombegriff wird auf die ''Elemente'' der Geometrie des [[Euklid]] und die [[Analytica posteriora]] des [[Aristoteles]] zurückgeführt. ''Axiom'' bezeichnet in dieser Auffassung ein unmittelbar [[Evidenz|einleuchtendes]] [[Prinzip]] bzw. eine Bezugnahme auf ein solches. Ein Axiom in diesem [[Essentialismus|essentialistischen]] Sinne bedarf aufgrund seiner empirischen Evidenz keines Beweises. Axiome wurden dabei angesehen als unbedingt wahre Sätze über existierende Gegenstände, die diesen Sätzen als objektive Realitäten gegenüberstehen. Diese Bedeutung war bis in das 19.&nbsp;Jahrhundert hinein vorherrschend.
 
Am Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte eine „Abnabelung der Geometrie von der Wirklichkeit“<ref>{{Literatur |Autor=Ulrich Felgner |Titel=Hilberts „Grundlagen der Geometrie“ und ihre Stellung in der Geschichte der Grundlagendiskussion |Sammelwerk=Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung |Band=115 |Nummer=3 |Datum=2014 |Seiten=185–206 |DOI=10.1365/s13291-013-0071-5}}</ref>. Die systematische Untersuchung unterschiedlicher Axiomensysteme für unterschiedliche Geometrien ([[Euklidische Geometrie|euklidische]], [[Hyperbolische Geometrie|hyperbolische]], [[Sphärische Geometrie|sphärische]] Geometrie usw.), die unmöglich allesamt die [[Mögliche Welt#Möglichkeit, Notwendigkeit und Kontingenz|aktuale]] Welt beschreiben konnten, musste zur Folge haben, dass der Axiombegriff formalistischer verstanden wurde und Axiome insgesamt im Sinne von Definitionen einen konventionellen Charakter erhielten. Als wegweisend erwiesen sich die Schriften [[David Hilbert]]s zur Axiomatik, der das aus den empirischen Wissenschaften stammende Evidenzpostulat durch die formalen Kriterien von [[Axiomensystem#Konsistenz|Vollständigkeit]] und [[Axiomensystem#Konsistenz|Widerspruchsfreiheit]] ersetzte. Eine alternative Auffassungsweise bezieht daher ein Axiomensystem nicht einfach hin auf die aktuale Welt, sondern folgt dem Schema: ''Wenn'' irgendeine Struktur die Axiome erfüllt, ''dann'' erfüllt sie auch die Ableitungen aus den Axiomen (sog. ''Theoreme''). Derartige Auffassungen lassen sich im Implikationismus, Deduktivismus oder eliminativen Strukturalismus verorten.<ref>Vgl. z.&nbsp;B. Michael Potter: ''Set Theory and its Philosophy.'' A Critical Introduction. Oxford University Press, Oxford/New York 2004, S. 8.</ref>
 
In axiomatisierten Kalkülen im Sinne der modernen formalen Logik können die klassischen epistemologischen (Evidenz, Gewissheit), ontologischen (Referenz auf ontologisch Grundlegenderes) oder konventionellen (Akzeptanz in einem bestimmten Kontext) Kriterien für die Auszeichnung von Axiomen entfallen. Axiome unterscheiden sich von Theoremen dann nur formal dadurch, dass sie die Grundlage logischer Ableitungen in einem gegebenen Kalkül sind.<ref>Vgl. [[Joseph Maria Bocheński]]: ''Die zeitgenössischen Denkmethoden.'' 10. Aufl. 1993, S. 78 f.</ref> Als „grundsätzliches“ und „[[Axiomensystem#Unabhängigkeit|unabhängiges]]“ Prinzip sind sie innerhalb des Axiomensystems nicht aus anderen Ausgangssätzen ableitbar und somit keinem Beweis zugänglich.
 
=== Naturwissenschaftlicher Axiombegriff ===
In den empirischen Wissenschaften bezeichnet man als Axiome auch grundlegende Gesetze, die vielfach empirisch bestätigt worden sind.<ref>Regenbogen/Meyer: ''Wörterbuch der philosophischen Begriffe'' (2005)/Axiom.</ref> Als Beispiel werden die [[Newtonsche Axiome|Newtonschen Axiome]] der Mechanik genannt.
 
Auch wissenschaftliche Theorien, insbesondere die Physik, beruhen auf Axiomen. Aus diesen werden Theorien geschlussfolgert, deren Theoreme und [[Korollar]]e Vorhersagen über den Ausgang von [[Experiment]]en treffen. Stehen Aussagen der Theorie im Widerspruch zur experimentellen Beobachtung, werden die Axiome angepasst. Beispielsweise liefern die Newtonschen Axiome nur für „langsame“ und „große“ Systeme gute Vorhersagen und sind durch die Axiome der [[Spezielle Relativitätstheorie|speziellen Relativitätstheorie]] und der [[Quantenmechanik]] abgelöst bzw. ergänzt worden. Trotzdem verwendet man die Newtonschen Axiome weiter für solche Systeme, da die Folgerungen einfacher sind und für die meisten Anwendungen die Ergebnisse hinreichend genau sind.
 
=== Formaler Axiombegriff ===
Durch [[David Hilbert|Hilbert]] (1899) wurde ein formaler Axiombegriff herrschend: Ein Axiom ist jede unabgeleitete Aussage. Dies ist eine rein formale Eigenschaft. Die Evidenz oder der [[Ontologie|ontologische]] Status eines Axioms spielt keine Rolle und bleibt einer gesondert zu betrachtenden [[Interpretation (Logik)|Interpretation]] überlassen.
 
Ein ''Axiom'' ist dann eine grundlegende Aussage, die
* Bestandteil eines formalisierten Systems von Sätzen ist,
* ohne Beweis angenommen wird und
* aus der zusammen mit anderen Axiomen alle Sätze (Theoreme) des Systems logisch abgeleitet werden.
 
Teilweise wird behauptet, in diesem Verständnis seien Axiome völlig willkürlich:<ref name="seifert1997" /> Ein Axiom sei „ein unbewiesener und daher unverstandener Satz“,<ref name="seifert1997">Seiffert: ''Wissenschaftstheorie IV.'' 1997, ''Anfang.''</ref> denn ob ein Axiom auf Einsicht beruht und daher „verstehbar“ ist, spielt zunächst keine Rolle.<ref>Seiffert: ''Wissenschaftstheorie IV.'' 1997, ''Axiom.''</ref> Richtig daran ist, dass ein Axiom –&nbsp;bezogen auf eine Theorie&nbsp;– unbewiesen ist. Das heißt aber nicht, dass ein Axiom unbeweisbar sein muss. Die Eigenschaft, ein Axiom zu sein, ist relativ zu einem formalen System. Was in einer Wissenschaft ein Axiom ist, kann in einer anderen ein Theorem sein.
 
Ein Axiom ist ''unverstanden'' nur insofern, als seine Wahrheit formal nicht bewiesen, sondern vorausgesetzt ist. Der moderne Axiombegriff dient dazu, die Axiomeigenschaft von der Evidenzproblematik abzukoppeln, was aber nicht notwendigerweise bedeutet, dass es keine Evidenz gibt. Es ist allerdings ein bestimmendes Merkmal der axiomatischen Methode, dass bei der Deduktion der Theoreme nur auf der Basis formaler Regeln geschlossen wird und nicht von der Deutung der axiomatischen Zeichen Gebrauch gemacht wird.<ref>Carnap: ''Einführung in die symbolische Logik.'' 3. Aufl., 1968, S. 174.</ref>
 
== Beispiele für Axiome ==
=== Traditionelle Logik ===
* [[Identität (Logik)|Satz von der Identität]]<ref>Spree, in: Rehfus: ''Handwörterbuch Philosophie.'' 2003, ''Axiom.''</ref>
* [[Satz vom Widerspruch]]
* [[Satz vom ausgeschlossenen Dritten]]
* [[Satz vom zureichenden Grund]]
 
=== Klassische Logik ===
* [[Grundgesetz der Werthverläufe|Komprehensionsaxiom]]: „Zu jedem [[Prädikat (Logik)|Prädikat]] ''P'' gibt es die [[Menge (Mathematik)|Menge]] aller Dinge, die dieses Prädikat erfüllen.“
Die ursprüngliche Formulierung stammt aus der [[Naive Mengenlehre|naiven Mengenlehre]] [[Georg Cantor]]s und schien lediglich den Zusammenhang zwischen [[Extension und Intension]] eines [[Begriff (Philosophie)|Begriffs]] klar auszusprechen. Es bedeutete einen großen Schock, als sich herausstellte, dass es in der [[Axiomatisierung]] durch [[Gottlob Frege]] nicht ''widerspruchsfrei'' zu den anderen Axiomen hinzugefügt werden konnte, sondern die [[Russellsche Antinomie]] hervorrief.
 
=== Mathematik ===
[[Datei:Skizze zum mathematischen Gebäude.svg|mini|hochkant=1.2|Axiome bilden das Fundament der Mathematik.]]
Generell werden in der Mathematik Begriffe wie [[Gruppe (Mathematik)|Gruppe]], [[Ring (Algebra)|Ring]], [[Körper (Algebra)|Körper]], [[Hilbertraum]], [[Topologischer Raum]] etc. durch ein System von Axiomen definiert. Manchmal werden dabei Axiome auch '''Gesetze''' genannt (z.&nbsp;B. das [[Assoziativgesetz]]).
* Die [[Körper (Algebra)|Körperaxiome]] in Verbindung mit den [[Geordneter Körper|Anordnungsaxiomen]] und dem [[Vollständiger Raum|Vollständigkeitsaxiom]] definieren die [[Reelle Zahl|reellen Zahlen]].
* [[Parallelenaxiom]]: „Zu jeder [[Gerade]]n und jedem [[Punkt (Geometrie)|Punkt]], der nicht auf dieser Geraden liegt, gibt es genau eine zu der Geraden [[Parallel (Geometrie)|parallele]] Gerade durch diesen Punkt.“ Dieses [[Postulat]] der [[Euklidische Geometrie|euklidischen Geometrie]] galt immer als weniger einleuchtend als die anderen. Da seine Gültigkeit bestritten wurde, versuchte man, es aus den anderen Definitionen und Postulaten abzuleiten. Im Rahmen der Axiomatisierung der Geometrie um die Wende zum 19.&nbsp;Jahrhundert stellte sich heraus, dass eine solche Ableitung nicht möglich ist, da es von der Axiomatisierung der anderen Postulate logisch ''unabhängig'' ist. Damit war der Weg frei zur Anerkennung ''[[Nichteuklidische Geometrie|nichteuklidischer Geometrien]].''
* „Jede [[natürliche Zahl]] ''n'' hat genau einen [[Nachfolger (Mathematik)|Nachfolger]] ''n+1.''“ ist ein Axiom der [[Peano-Arithmetik]], die das System der natürlichen Zahlen mit den Rechenoperationen Addition und Multiplikation beschreibt.
* Der Begriff „Wahrscheinlichkeit“ wird seit 1933 durch ein von [[Kolmogorow]] aufgestelltes Axiomensystem exakt implizit definiert. Damit wurden alle verschiedenen stochastischen Schulen –&nbsp;Franzosen, Deutsche, Briten, Frequentisten, Bayesianer, Probabilisten und Statistiker&nbsp;– erstmals mit einer einheitlichen Theorie versorgt.
 
=== Physik ===
==== Vorschläge zur Axiomatisierung wichtiger Teilgebiete ====
Auch Theorien der [[Empirie#Empirische und nicht-empirische Wissenschaften|empirischen Wissenschaften]] lassen sich „axiomatisiert“ [[Rationale Rekonstruktion|rekonstruieren]]. In der [[Wissenschaftstheorie]] existieren allerdings unterschiedliche Auffassungen darüber, was es überhaupt heißt, eine „Axiomatisierung einer Theorie“ vorzunehmen.<ref>Vgl. dazu einführend und repräsentativ für den damaligen Debattenstand [[Wolfgang Stegmüller]]: ''Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band&nbsp;II: Theorie und Erfahrung, Zweiter Teilband: Theorienstrukturen und Theoriendynamik.'' Springer, Berlin u.&nbsp;a., 2.&nbsp;Aufl., 1985, S.&nbsp;34&nbsp;ff.</ref> Für unterschiedliche physikalische Theorien wurden Axiomatisierungen vorgeschlagen. [[Hans Reichenbach (Physiker)|Hans Reichenbach]] widmete sich u.&nbsp;a. in drei Monographien seinem Vorschlag einer Axiomatik der [[Relativitätstheorie]],<ref>Vgl. bes. H. Reichenbach: ''Axiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre.'' Vieweg, Braunschweig 1924.</ref> wobei er insbesondere stark von Hilbert beeinflusst war.<ref>Vgl. zu den zeitgenössischen Diskussionslagen K. Brading, T. Ryckman: ''Hilbert’s ‚Foundations of Physics‘: Gravitation and Electromagnetism within the axiomatic method.'' In: ''Studies in History and Philosophy of Modern Physics&nbsp;39.'' 2008, 102–53.</ref> Auch [[Alfred Robb]]<ref>Vgl. A. A. Rob: ''A Theory of Space and Time.'' Cambridge University Press, Cambridge 1914.</ref> und [[Constantin Carathéodory]]<ref>Vgl. C. Carathéodory: ''Zur Axiomatik der Relativitätstheorie.'' In: ''Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Physikalisch-Mathematische Klasse&nbsp;5.'' 1924, 12–27.</ref> legten Axiomatisierungsvorschläge zur [[Spezielle Relativitätstheorie|speziellen Relativitätstheorie]] vor. Sowohl für die spezielle wie für die [[allgemeine Relativitätstheorie]] existiert inzwischen eine Vielzahl von in der Wissenschaftstheorie und in der [[Philosophie der Physik]] diskutierten Axiomatisierungsversuchen. [[Patrick Suppes]] und andere haben etwa für die [[Klassische Mechanik|klassische Partikelmechanik]] in ihrer [[Isaac Newton|Newtonschen]] Formulierung eine vieldiskutierte axiomatische Rekonstruktion im modernen Sinne vorgeschlagen,<ref>Vgl. J. C. C. McKinsey, A. C. Sugar, P. Suppes: ''Axiomatic Foundations of Classical Particle Mechanics.'' In: ''Journal of Rational Mechanics and Analysis&nbsp;2.'' 1953, S.&nbsp;253–272. Dieser Ansatz wird in etwas modifizierter Form rekapituliert und diskutiert bei Stegmüller, l.&nbsp;c., S.&nbsp;106&nbsp;ff.</ref> ebenso legten bereits [[Georg Hamel]],<ref>Vgl. G. Hamel: ''Die Axiome der Mechanik.'' In: H. Geiger, K. Scheel (Hrsg.): ''Handbuch der Physik, Bd.&nbsp;5: Mechanik der Punkte und starren Körper.'' Springer, Berlin 1927, S.&nbsp;1–42.</ref> ein Schüler Hilberts, sowie [[Hans Hermes]] Axiomatisierungen der klassischen Mechanik vor.<ref>H. Hermes: ''Eine Axiomatisierung der allgemeinen Mechanik.'' Forschungen zur Logik, Neue Folge&nbsp;3, Hirzel, Leipzig 1938. Ders.: ''Zur Axiomatisierung der Mechanik.'' In: L. Henkin, P. Suppes, A. Tarski (Hrsg.): ''The Axiomatic Method.'' Amsterdam 1959, S.&nbsp;282–290 ([[Iarchive:axiomaticmethod031862mbp|Digitalisat]] bei [[Internet Archive|archive.org]]).</ref> Zu den meistbeachteten Vorschlägen einer Axiomatisierung der [[Quantenmechanik]] zählt nach wie vor das Unternehmen von [[Günther Ludwig (Physiker)|Günther Ludwig]].<ref>Vgl. G. Ludwig: ''Deutung des Begriffs „physikalische Theorie“ und axiomatische Grundlegung der Hilbertraumstruktur der Quantenmechanik durch Hauptsätze des Messens.'' Lecture Notes in Physics&nbsp;4, Springer, Berlin 1970 und Ders.: ''An Axiomatic Basis for Quantum Mechanics.'' Vol.&nbsp;1/2, Springer, Berlin 1985/1987.</ref> Für die [[Axiomatische Quantenfeldtheorie]] war v.&nbsp;a. die Formulierung von [[Arthur Wightman]] aus den 1950er Jahren wichtig.<ref>Publiziert erst 1964 in A. Wightman, [[Ray Streater]]: ''PCT, Spin, Statistik und all das.'' BI Hochschultaschenbuch 1964 (''PCT, Spin, Statistics and all that.'' Benjamin, New York 1964.)</ref> Im Bereich der [[Kosmologie]] war für Ansätze einer Axiomatisierung u.&nbsp;a. [[Edward Arthur Milne]] besonders einflussreich.<ref>Vgl. die einführende Überblicksdarstellung bei {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/cosmology-30s/|Cosmology: Methodological Debates in the 1930s and 1940s|George Gale}}</ref> Für die klassische [[Thermodynamik]] existieren Axiomatisierungsvorschläge u.&nbsp;a. von Giles,<ref>Vgl. R. Giles: ''Mathematical foundations of thermodynamics.'' Pergamon, Oxford 1964.</ref> Boyling,<ref>Vgl. J. B. Boyling: ''An axiomatic approach to classical thermodynamics.'' In: ''Proceedings of the Royal Society of London&nbsp;329.'' 1972, 35–71.</ref> Jauch,<ref>Vgl. J. Jauch: ''On a new foundation of equilibrium thermodynamics.'' In: ''Foundations of Physics&nbsp;2.'' (1972), 327–332.</ref> Lieb und Yngvason.<ref>Vgl. E. H. Lieb, J. Yngvason: ''[http://xxx.lanl.gov/abs/cond-mat/9708200 The physics and mathematics of the second law of thermodynamics.]'' In: ''Physics Reports&nbsp;310.'' 1999, 1–96.314.669.</ref> Für alle physikalischen Theorien, die mit Wahrscheinlichkeiten operieren, insbes. die [[Statistische Mechanik]], wurde die Axiomatisierung der [[Wahrscheinlichkeitsrechnung]] durch [[Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow|Kolmogorow]] wichtig.<ref>Vgl. N. A. Kolmogorov: ''Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeit.'' Springer, Berlin 1933. Einführung zu aktuellen philosophischen Interpretationen von Wahrscheinlichkeiten und zu Kolmogorows Grundlegung: {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/probability-interpret/|Interpretations of Probability|Alan Hájek}}; Thomas Hochkirchen: ''Die Axiomatisierung der Wahrscheinlichkeitsrechnung und ihre Kontexte. Von Hilberts [[Hilbertsche Probleme#Hilberts sechstes Problem|sechstem Problem]] zu Kolmogoroffs Grundbegriffen.'' Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1999.</ref>
 
==== Verhältnis von Experiment und Theorie ====
Die Axiome einer physikalischen Theorie sind weder formal [[Beweis (Mathematik)|beweisbar]] noch, so die inzwischen übliche Sichtweise, direkt und insgesamt durch Beobachtungen [[Verifikation|verifizierbar]] oder [[Falsifikation|falsifizierbar]]. Einer insbesondere im [[Strukturalistisches Theorienkonzept|wissenschaftstheoretischen Strukturalismus]] verbreiteten Sichtweise von Theorien und ihrem Verhältnis zu Experimenten und resultierenden Redeweise zufolge betreffen Prüfungen einer bestimmten Theorie an der Realität vielmehr üblicherweise Aussagen der Form „dieses System ist eine klassische Partikelmechanik“. Gelingt ein entsprechender Theorietest, wurden z.&nbsp;B. korrekte Prognosen von Messwerten angegeben, kann diese Überprüfung ggf. als ''Bestätigung'' dafür gelten, dass ein entsprechendes System zutreffenderweise unter die intendierten Anwendungen der entsprechenden Theorie gezählt wurde, bei wiederholten Fehlschlägen kann und sollte die Menge der intendierten Anwendungen um entsprechende Typen von Systemen reduziert werden.
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Axiomatisierung}}
* {{WikipediaDE|Axiomatisches System}}
* {{WikipediaDE|Axiom}}
 
== Literatur ==
=== Artikel in fachbezogenen Enzyklopädien und Wörterbüchern ===
* ''Axiom.'' In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie.'' Bd. 1. B. I.-Wissenschaftsverlag, 1980.
* ''Logical Terms, Glossary of.'' In: Paul Edwards (Hrsg.): ''The Encyclopedia of Philosophy.'' Vol. 5. Collier Macmillan, 1972.
* ''Axiom.'' In: Arnim Regenbogen & Uwe Meyer (Hrsg.): ''Wörterbuch der philosophischen Begriffe.'' Meiner, Hamburg 2006, ISBN 3-7873-1761-9.
* ''Axiom.'' In: Helmut Seiffert: ''Einführung in die Wissenschaftstheorie.'' Band 4: ''Wörterbuch der wissenschaftstheoretischen Terminologie.'' Beck, München 1997, ISBN 3-406-42200-4.
* ''Axiom.'' In: Wulff D. Rehfus (Hrsg.): ''Handwörterbuch Philosophie.'' CD-ROM. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-30148-0.
* ''Axiom.'' In: Hadumod Bußmann (Hrsg.): ''Lexikon der Sprachwissenschaft.'' 3. Aufl. Kröner, Stuttgart 2002, ISBN 3-520-45203-0.
 
=== Monographien ===
* Evandro Agazzi: ''Introduzione ai problemi dell’assiomatica.'' Milano 1961.
* Robert Blanché: ''Axiomatics.'' Routledge, London 1962.
* Euklid: ''Die Elemente.'' Harri Deutsch, Frankfurt am Main, 4. erw. Aufl., 2005.
* David Hilbert u.&nbsp;a.: ''Grundlagen der Geometrie.'' Teubner 2002, ISBN 3-519-00237-X.
* Árpád Szabó: ''Anfänge der griechischen Mathematik.'' Oldenbourg 1969, ISBN 3-486-47201-1.
* Bochenski: ''Die zeitgenössischen Denkmethoden.'' 10. Aufl., 1993, S. 73 ff.
* Carnap: ''Einführung in die symbolische Logik.'' 3. Aufl., 1968, S. 172 ff.
* Hilbert/Ackermann: ''Grundzüge der theoretischen Logik.'' 6. Aufl., 1972, S. 24.
* Kutschera: ''Frege.'' 1989, S. 154 f.
* Nagel, Newmann: ''Der Gödelsche Beweis.'' In: Meixner (Hrsg.): ''Philosophie der Logik.'' 2003, S. 150 (169).
* Tarski: ''Einführung in die mathematische Logik.'' 5. Aufl., 1977, S. 126 ff.
 
== Weblinks ==
{{Wiktionary}}
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/frege-hilbert/|The Frege-Hilbert Controversy|Patricia Blanchette}}
 
== Einzelnachweise ==
<references />
 
[[Kategorie:Wissenschaftstheorie]]
[[Kategorie:Erkenntnistheorie]]
[[Kategorie:Philosophie der Mathematik]]
[[Kategorie:Mathematik]]
[[Kategorie:Logik]]  
 
{{Wikipedia}}

Version vom 10. April 2013, 23:41 Uhr

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Der Begriff Gesetz ist mehrdeutig und steht u.a. für: