Sensorische Substitution

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Sensorische Substitution übermittelt sensorische Informationen mit technischer Hilfe durch eine andere Sinnesmodalität als üblich. Auf diesem Weg kann der Ausfall eines Sinnesorgans teilweise kompensiert oder Reize, für die wir keine entsprechenden Organe haben, der Wahrnehmung zugänglich gemacht werden (Sensorische Augmentation).

So können etwa bei Blinden optische Daten mittels einer Matrix elektrisch gesteuerter Druckstifte auf die Haut übertragen und durch taktile Wahrnehmung erfasst werden. Nötig ist dazu ein geeigneter Sensor, im gegeben Fall eine Videokamera, ein geeignetes Übertragungssystem, das die sensorischen Daten konvertiert, und ein entsprechender Stimmulator, hier die elektrische gesteuerte Druckstift-Matrix. Derartige Versuche wurden schon in den 1960er Jahren von Paul Bach-y-Rita, der auf diesem Gebiet Pionierarbeit leistete, erfolgreich durchgeführt. Nach einer Trainigsphase lernten die Versuchspersonen, sich im Raum zu orientieren und Formen zu erkennen[1][2]. Nach einigen Wochen verschwanden sogar die Druckempfindungen und an ihre Stelle trat eine grobe räumliche Empfindung, die den angebotenen optischen Daten entsprach[3]. Möglich ist das durch die Neuroplasizität des Gehirns, durch das es sich der Struktur der angebotenen Daten bis zu einem gewissen Grad anpassen kann.

Ähnliche Versuche wurden später auch mit einer Übersetzung der optischen Informationen in akustische Signale gemacht. Während bei früh erblindeten Personen eine auditorische oder taktile Wahrnehmung auftrat, erlebten sehende Versuchspersonen, die mit verbundenen Augen getestet wurden, visuelle Eindrücke. Untersuchungen mittels fMRT zeigten, dass aber bei beiden Gruppen neben den auditorischen bzw. somatosensorischen Hirnarealen auch solche aktiv sind, die üblicherweise der visuellen Wahrnehmung dienen (Brodmann-Areale 17, 18 und 19) [4].

David Eagleman entwickelte mit seinen Mitarbeitern eine Weste (VEST), die die unter der Kleidung getragen werden kann und mit kleinen Vibratoren akustische Signale als dynamisches Muster auf den Oberkörper überträgt. Bereits nach etwa fünf Tagen konnten von Geburt an gehörlose Menschen gesprochene Worte korrekt verstehen[5][6][7].

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1.  Paul Bach-y-Rita, CC Collins, F. Saunders, B. White, L. Scadden: Vision substitution by tactile image projection. In: Nature. 221, 1969, S. 963–964.
  2.  Nicholas Humphrey: A History of the Mind: Evolution and the Birth of Consciousness. Springer, 1999, ISBN 0-387-98719-3 (eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  3.  Paul Bach-y-Rita: Tactile sensory substitution studies. In: Annals of New York Academic Sciences. 1013, 2004, S. 83–91, doi:10.1196/annals.1305.006.
  4.  C. Poirier, AG De Volder, C. Scheiber: What neuroimaging tells us about sensory substitution. In: Neuroscience and Behavioral Reviews. 31, 2007, S. 1064–1070 (pdf).
  5. David Eagleman: The Brain: Die Geschichte von dir, 3. Auflage, Pantheon Verlag 2017, ISBN 978-3570552889, S. 210
  6. https://www.eagleman.com/research/sensory-substitution
  7. Scott D. Novich, David M. Eagleman: Using space and time to encode vibrotactile information: toward an estimate of the skin’s achievable throughput, Experimental Brain Research, October 2015, Volume 233, Issue 10, pp. 2777–2788 doi:10.1007/s00221-015-4346-1