Reflexbogen

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Querschnitt des Rückenmarks mit der einfachen monosynaptischen Verschaltung einer afferenten und einer efferenten Nervenfaser.
Blockschaltbild eines einfachen Standardregelkreises, bestehend aus der Regelstrecke, dem Regler und einer negativen Rückkopplung der Regelgröße y (auch Istwert). Die Regelgröße y wird mit der Führungsgröße (Sollwert) w verglichen. Die Regeldifferenz e = wy wird dem Regler zugeführt, der daraus entsprechend der gewünschten Dynamik des Regelkreises eine Stellgröße u bildet. Die Störgröße d wirkt meistens auf den Ausgang der Regelstrecke, sie kann aber auch auf verschiedene Teile der Regelstrecke Einfluss nehmen.

Der Reflexbogen ist ein grundlegendes funktionales Element des gesamten Nervensystems und beruht auf der Verkopplung afferenter und efferenter Neuronen mittels entsprechender Synapsen. Diese funktionale Verschaltung der miteinander verkoppelten Neuronen wird auch als neuronaler Erregungskreis oder neuronaler Schaltkreis bezeichnet.

Im einfachsten Fall handelt es dabei um einen monosynaptischen Reflexbogen wie er im Rückenmark anzutreffen ist und die funktionelle Basis einfacher Reflexe bildet. Hier sind die beiden Nervenfasern über eine einzige Synapse im Vorderhorn des Rückenmarks miteinander verbunden. Weil hier die beiden Nervenfasern unmittelbar im gleichen Organ liegen, werden diese einfachen Reflexe auch Eigenreflexe genannt.

Bei polysynaptische Reflexbögen sind oft eine ganze Reihe von Neuronen auf wesentlich komplexere Weise miteinander verschaltet, wobei die afferenten und efferenten Fasern räumlich oft weit auseinander liegen können, weshalb man hier von Fremdreflexen spricht.

In den Neurowissenschaften wird die Funktion des Reflexbogens in Analogie zu einem technischen Regelkreis gedacht, womit aber eine Wirkung des Geistes und der Seele des Menschen nicht mehr denkmöglich erscheint.

Rudolf Steiner hat daher ein völlig anderes Bild gezeichnet, ohne deswegen in den von den Neurowissenschaftler zurecht mehrheitlich abgelehnten cartesianischen Dualismus zu verfallen. Descartesres cogitans“ ist nicht das wirkliche Ich des Menschen, sondern nur dessen flüchtiges, am Gehirn reflektiertes mentales Spiegelbild, dem keine eigenständige Realität zukommt und daher auch nicht in den Organismus eingreifen kann - weder über die Epiphyse, wie Descartes meinte, noch sonst wie.

Rudolf Steiners aus geistiger Erfahrung geschöpfte Darstellung steht gleichermaßen im Widerspruch zu Descartes als auch zur zeitgenössischen Neurowissenschaft. Steiner war sich dieses Widerspruchs ganz bewusst. Unermüdlich hat er darauf hingewiesen, dass die bis heute unverrückbar Unterscheidung motorischer und sensorischer Nerven, die ihren Ursprung schon bei den allerersten Anatomen der griechischen Antike hat, völlig unsinnig ist und auch anatomisch nicht zu rechtfertigen sei. Die Muskelbewegungen würden keinesfalls durch sog. „motorische“ Nerven ausgelöst oder gar gesteuert, sondern vielmehr dadurch, dass das wirkliche Ich und der Astralleib im Willensakt von außen - d.h. aus der geistigen Außenwelt - unmittelbar in den Stoffwechsel eingreifen. Die sog. „motorischen“ Nerven dienen nur der Wahrnehmung des Muskelsystems und der resultierenden Bewegungen. Ohne diese Wahrnehmung könne die Bewegung nicht stattfinden. Die Körperbewegung ist in diesem Sinn kein rein innerlich bewirktes Körpergeschehen, sondern ein Weltgeschehen, durch das sich unser Karma verwirklicht und an dem höchsten geistigen Hierarchien beteiligt sind.

„Ich will ganz absehen davon, daß ja schließlich die sensitiven von den motorischen Nerven anatomisch fast gar nicht zu unterscheiden sind; die einen sind höchstens etwas dicker als die anderen; aber in bezug auf die Struktur ist wirklich ein wesentlicher Unterschied nicht vorhanden. Was anthroposophische Forschung in dieser Beziehung lehrt - ich kann das nur andeuten, nur Ergebnisse mitteilen, ich müßte sonst anthroposophische Physiologie vortragen - , das ist dieses, daß die Nerven durchaus einheitliche Organe sind, daß es ein Unding ist, von zweierlei Nerven, von sensitiven und motorischen Nerven zu sprechen. Da im Seelischen das Willensmäßige und Empfindungsmäßige überall durchgebildet ist, stelle ich es jedem frei, motorisch oder sensitiv zu sagen, aber er muß einheitlich werten, denn sie sind absolut einheitlich, es gibt keinen Unterschied. Der Unterschied liegt nämlich nur in der Richtung der Funktion. Wenn der sensitive Nerv nach dem Auge hingeht, so öffnet er sich den Eindrücken des Lichtes, und es wirkt wiederum dasjenige, was an der Peripherie des Menschen liegt, auf einen anderen Nerv, den die heutige Physiologie als einen motorischen Nerv anspricht. Wenn er nun vom Gehirn ausgeht nach dem übrigen Organismus, so ist dieser Nerv dazu da, daß er dasjenige wahrnimmt, was bei einer Bewegung vorgeht. Eine richtige Behandlung der Tabes gibt schon auch durchaus Bestätigung dieses Resultates. Der Nerv also, der motorischer Nerv genannt ist, der ist dazu da, um die Bewegungsimpulse, das, was da während der Bewegung vorgeht, wahrzunehmen, nicht um der Bewegung den Impuls zu geben. Nerven sind überall die Vermittlungsorgane für die Wahrnehmungen, die sensitiven Nerven für die Wahrnehmungen nach außen, die sogenannten motorischen Nerven, die auch sensitive Nerven sind, für die Wahrnehmungen nach innen. Es gibt nur einen Nerv. Und nur eine materialistische Wissenschaftsgesinnung hat diese Telegraphengeschichte als Analogon erfunden.

Diese materialistische Wissenschaftsgesinnung glaubt nämlich, ebenso wie sie für die Sensation, für die Empfindung, für die Wahrnehmung der Vermittelung der Nerven bedarf, bedürfe sie auch der Vermittelung des Nervs für die Willensimpulse. Das ist aber nicht der Fall. Der Willensimpuls geht von dem Geistig-Seelischen aus. Da beginnt er, und er wirkt im Leibe, unmittelbar, nicht auf dem Umweg des Nervs, unmittelbar auf das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem. Und der Nerv, der in das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem hineingeht, vermittelt nur die Wahrnehmung desjenigen, was das Geistig-Seelische an dem ganzen Menschen in bezug auf sein Gliedmaßen-Stoffwechselsystem tut. Wir nehmen dasjenige wahr, was eine Folge ist seelisch-geistiger Willensprozesse in der Blutzirkulation, im übrigen Stoffwechsel und auch in der mechanischen Bewegung der Glieder; wir nehmen das wahr. Die sogenannten motorischen Nerven sind keine motorischen Nerven, die sind bloß dasjenige, was die Äußerungen, den Impuls des Willens wahrnimmt. Ehe man diesen Zusammenhang nicht einsehen wird, eher wird man nicht zu einer durchsichtigen Menschenerkenntnis kommen. Wenn Sie aber diesen Zusammenhang voll einsehen, dann werden Sie es auch begreiflich finden, daß ich nun eben ein Paradoxon, eine Ketzerei vor Sie hinstellen muß: denn dann wirkt das Geistig-Seelische ja eben auf den ganzen übrigen Menschen.“ (Lit.:GA 303, S. 208f)

Rudolf Steiner: Der dreigliedrige Mensch, Pastell auf Transparentpapier, 12. Juni 1923

Laut Rudolf Steiner lässt sich das Seelenleben des Menschen nicht auf die Tätigkeit des Nervensystems reduzieren, vielmehr sei der ganze dreigliedrige Organismus des Menschen daran beteiligt. In etwas abgewandelter Form gilt das auch für die Tiere. Nur die Sinneswahrnehmung und die Vorstellungstätigkeit bedient sich unmittelbar des Nerven-Sinnessystems. Das Fühlen wirkt unmittelbar im rhythmischen System und das Wollen - und damit auch die Körperbewegung - gründet sich auf das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. Letztere werfen nur mittelbar durch das Nervensystem ihren Schatten in das Bewusstsein. Denken bzw. Vorstellen, Fühlen und Wollen haben dadurch ganz unterschiedliche Bewusstseinsgrade. Nur im Denken sind wir voll wach, im Fühlen träumen wir und die eigentliche Willenstätigkeit verschlafen wir praktisch völlig.

„Das Nerven- und Sinnessystem, wie es im Kopfe zentralisiert ist, ist im menschlichen Organismus ein eigenes, für sich bestehendes, selbständiges Glied. Was als Lungen- und Herzsystem, als Zirkulationssystem vorliegt, ist wiederum ein für sich bestehendes, selbständiges Glied. Ebenso das Stoffwechselsystem. Das Genauere können Sie in meinem Buch «Von Seelenrätseln» nachlesen. Das ist das Charakteristische im menschlichen Organismus, daß seine Systeme gerade dadurch ihre rechte Entfaltung und Wirksamkeit entfalten, daß sie nicht zentralisiert sind, sondern daß sie nebeneinander bestehen und frei zusammenwirken. Kann man heute nicht einmal in dieser umfassenden, eindringlichen Weise den menschlichen Organismus begreifen, so kann man mit der Wissenschaft, die noch nicht reformiert ist, die aber in geisteswissenschaftlichem Sinne reformiert werden muß, den sozialen Organismus erst recht nicht verstehen. Man glaubt heute, der menschliche Organismus ist etwas Zentralisiertes, während er eine Dreigliedrigkeit ist.“ (Lit.:GA 328, S. 21)

Die gestaltende Grundform des Nervensystems, insbesondere des Reflexbogens, die überhaupt auch die Gestaltung des ganzen Organismus bestimmt (→ Nervensystem und Gestaltbildung), ist die Lemniskate.

„... ich rate Ihnen, versuchen Sie einmal - wie gesagt, hier sollen ja zunächst nur Anregungen gegeben werden, und es sollte durchaus sehr emsig wissenschaftlich nach dieser Richtung gearbeitet werden -, versuchen Sie einmal, Untersuchungen darüber anzustellen, welche Kurve entsteht, wenn Sie die mittlere Linie der linken Rippe zeichnen, über den Anschluß der Rippe hinausgehen in den Rückenwirbel, da sich drehen und wiederum zurückgehen (Fig. 11). Bringen Sie in Anschlag, daß der Wirbel eine wesentlich andere innere Struktur aufweist als die Rippen, und bringen Sie in Anschlag, daß das bedeutet, daß bei diesem Beschreiben der Linie Rippe-Wirbel-Rippe, natürlich nicht nur quantitativ, sondern qualitativ, innere Wachstumsverhältnisse in Betracht kommen, dann werden Sie die Morphologie dieses ganzen Systems verstehen durch die Lemniskate, durch die Schleifenbildung. Sie werden, je mehr Sie hinaufgehen zur Kopforganisation, notwendig haben, starke Modifikationen dieser Lemniskate vorzunehmen. Es wird ein gewisser Punkt eintreten, wo Sie genötigt sind, dasjenige, was ja schon vorbereitet ist in der Bildung des Brustbeines, das Zusammengehen der beiden Bögen hier (Fig. 11),

Zeichnung aus GA 323, S. 211 (Fig. 11)
Zeichnung aus GA 323, S. 211 (Fig. 11)

sich eigentlich als verwandelt zu denken, aber Sie bekommen eine Metamorphose, eine Modifikation dieser Lemniskatenbüdung, wenn Sie zum Haupte hinaufgehen. Und Sie bekommen, wenn Sie gewissermaßen studieren die gesamte menschliche Figur in dem Gegensatz von Sinnes-Nervenorganisation und Stoffwechsel-Organisation, eine nach unten auseinandergehende und nach oben sich schließende Lemniskate. Sie bekommen auch Lemniskaten, nur sind die Lemniskaten eben sehr modifiziert, die eine Hälfte durch die eine Schleife ist außerordentlich klein, wenn Sie den Weg verfolgen, der genommen wird von Zentripetalnerven durch das Zentrum zum Ende der Zentrifugalnerven. Sie bekommen überall eingeschrieben, wenn Sie die Dinge sachgemäß verfolgen, gerade in die menschliche Natur in einer gewissen Weise diese Lemniskate.

Und wenn Sie dann beim Tiere die tierische Organisation im ausgesprochen horizontalen Rückgrat nehmen, so werden Sie finden, daß diese tierische Organisation sich von der menschlichen Organisation dadurch unterscheidet, daß diese Lemniskaten, diese nach unten offenen Lemniskaten oder auch etwas geschlossenen Lemniskaten, beim Tier wesentlich weniger Modifikationen aufweisen als beim Menschen, namentlich aber auch, daß die Ebenen dieser Lemniskaten beim Tier immer parallel sind, während sie beim Menschen schiefe Winkel miteinander einschließen.

Hier liegt ein ungeheures Arbeitsfeld, ein Arbeitsfeld, welches uns daraufhinweist, das morphologische Element immer weiter und weiter auszubauen.“ (Lit.:GA 323, S. 210ff)

Rudolf Steiner wies weiters darauf hin, dass die Unterberechung, welche die zentripetalen (afferenten) „sensorischen“ und die zentrifugalen (efferenten) „motorischen“ Nerven (an der Synapse) voneinander trennt, erst ermöglicht, dass sich das Geistige und Seelische in die Tätigkeit des Leibes einschalten kann. Die Unterbrechung bildet den Übergang vom physischen zum geistigen Erleben. Ohne sie wäre der Mensch tatsächlich ein bloß gehirn- bzw. nervengesteuerter Automat, wie viele Hirnforscher mittlerweile annehmen. So behauptet etwa der Neurophysiologe Wolf Singer: „Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen[1] und fordert entsprechende ethische und juristische Konsequenzen bezüglich der Schuldfähigkeit des Menschen. Aus ganz anderen als den von Singer genannten Gründen ist es tatsächlich nicht zielführend, von einer primären Willensfreiheit auszugehen. Da wir, wie oben ausgeführt, im Willen schlafen, uns des Willens also nicht bewusst sind, hat hier die Freiheit keine Grundlage. Die Freiheit beginnt erst, wie Rudolf Steiner bereits in seiner «Philosophie der Freiheit» ausgeführt hat, im reinen, willensdurchdrungenen Denken, in dem Denken, Fühlen und Wollen eine bewusste, vom Ich, d.h. vom wirklichen Geist des Menschen, durchkraftete Einheit bilden.

„Auf eine Vorstellung habe ich öfters hingewiesen, öffentlich nun auch in meinem Buch «Von Seelenrätseln»: Es ist eine gangbare naturwissenschaftliche Vorstellung heute, daß man im Nervensystem - bleiben wir zunächst beim Menschen, aber in ähnlicher Weise, nur in ähnlicher Weise ist das auch beim Tiere gültig -, daß man im Nervensystem unterscheidet zwischen sogenannten sensitiven Nerven, Sinnesnerven, Wahrnehmungsnerven und motorischen Nerven. Schematisch kann das nur so dargestellt werden, daß zum Beispiel irgendein Nerv, sagen wir ein Tastnerv, die Tastempfindung hineinträgt bis zum Zentralorgan, sagen wir bis zum Rückenmark (gelb), da mündet dasjenige, was da aus der Peripherie des Leibes geleitet wird, in einem Horn des Rückenmarks. Und dann geht von einem andern Horn, Vorderhorn, der sogenannte motorische Nerv aus, da wird wiederum weitergeleitet der Willensimpuls (siehe Zeichnung S. 12).

Zeichnung aus GA 179, S. 12
Zeichnung aus GA 179, S. 12

Beim Gehirn ist das nur komplizierter dargestellt, so etwa, wie wenn die Nerven eine Art Telegraphendrähte wären. Der Sinneseindruck, der Hauteindruck wird bis zum Zentralorgan geleitet, dort wird gewissermaßen der Befehl erteilt, daß eine Bewegung ausgeführt werden soll. Eine Fliege setzt sich irgendwo auf einen Körperteil, das macht einen Eindruck, das wird geleitet bis zum Zentralorgan; dort wird der Befehl gegeben, die Hand bis zu der Stirne zu erheben und die Fliege wird weggejagt. Es ist eine, schematisch angedeutet, sehr gangbare Vorstellung. Künftigen Zeiten wird diese Vorstellung außerordentlich komisch erscheinen, denn sie ist ja nur komisch für denjenigen, der die Tatsache durchschaut. Aber es ist eine Vorstellung, von der heute ein großer Teil der fachmännischen und fachmännischesten Wissenschaft beherrscht ist. Sie können das nächstbeste Elementarbuch, das Sie über solche Dinge unterrichtet, aufschlagen, und Sie werden finden, man habe zu unterscheiden zwischen Sinneswahrnehmungsnerven und motorischen Nerven. Und man wird besonders das urkomische Bild von den Telegraphenleitungen - wie der Eindruck bis zum Zentralorgan geleitet und dort der Befehl gegeben wird, daß die Bewegung entstehe - gerade in populären Werken heute noch immer sehr verbreitet finden können.

Die Wirklichkeit ist allerdings schwieriger zu durchschauen, als die an die primitivsten Vorstellungen erinnernden Vergleichsvorstellungen von den Telegraphendrähten. Die Wirklichkeit kann nur durchschaut werden, wenn sie eben mit Geisteswissenschaft durchschaut wird. Daß ein Willensimpuls erfolgt, hat mit einem solchen Vorgange, den man in kindischer Weise so ausdrückt, als ob da irgendwo in einem materiellen Zentralorgan ein Befehl erteilt würde, wirklich gar nichts zu tun. Die Nerven sind nur da, um einer einheitlichen Funktion zu dienen, sowohl diejenigen Nerven, die man heute sensitive Nerven nennt, wie auch diejenigen, die man motorische Nerven nennt. Und ob nun im Rückenmark oder im Gehirn der Nervenstrang durchbrochen ist, beides weist auf dasselbe hin; im Gehirn ist er nur in komplizierterer Weise durchbrochen.

Diese Durchbrechung ist nicht deshalb da, damit durch die eine Hälfte, wenn ich so sagen darf, von der Außenwelt etwas zum Zentralorgan geleitet wird und dann, nachdem sie vom Zentralorgan durch die andere Hälfte in einen Willen umgewandelt worden ist, weitergeleitet würde. Diese Unterbrechung ist aus einem ganz andern Grunde da. Daß unser Nervensystem so gebaut und in dieser regelmäßigen Weise durchbrochen ist, hat seinen Grund darin: An der Stelle, wo unsere Nerven durchbrochen sind, da liegt im Abbilde im Menschen - allerdings nur im körperlichen Abbilde einer komplizierten geistigen Wirklichkeit — die Grenze zwischen physischem und geistigem Erfahren, physischem und geistigem Erleben. Sie ist allerdings im Menschen auf eine merkwürdige Weise enthalten. Sie ist so enthalten, daß der Mensch mit der ihm zunächstliegenden physischen Welt in eine solche Beziehung tritt, daß mit dieser Beziehung der Teil des Nervenstranges, der bis zu jener Unterbrechung geht, etwas zu tun hat. Aber der Mensch muß auch als seelisches Wesen eine Beziehung haben zu seinem eigenen physischen Leib. Diese Beziehung, die er zu seinem eigenen physischen Leib hat, ist durch den andern Teil vermittelt. Wenn ich eine Hand bewege, dadurch veranlaßt, daß ein äußerer Sinneseindruck auf mich gemacht worden ist, dann liegt der Impuls, daß diese Hand bewegt wird, vereinigt von der Seele mit dem Sinneseindruck, schematisch dargestellt, schon bereits hier (siehe Zeichnung, a). Und dasjenige, was geleitet wird, wird auf den ganzen sensitiven Nerven und den sogenannten motorischen Nerven entlang geleitet von a bis zu b. Das ist nicht so, daß der Sinneseindruck erst bis zu c geht und dann von da aus einen Befehl gibt, damit b dazu veranlaßt werde - nein, wenn ein Willensimpuls stattfindet, lebt das Seelische schon befruchtet bei a und geht durch den ganzen unterbrochenen Nervenweg durch.

Es ist keine Rede davon, daß solche kindischen Vorstellungen, als ob die Seele da irgendwo säße zwischen den sensitiven und motorischen Nerven und wie ein Telegraphist die Eindrücke der Außenwelt empfangen und dann Befehle aussenden würde, es ist keine Rede davon, daß diese kindischen Vorstellungen irgendeiner auch wie immer gearteten Wirklichkeit entsprechen würden. Diese kindische Vorstellung, die wir immer hören, nimmt sich recht sonderbar komisch aus neben der Forderung, man soll ja in der Naturwissenschaft nicht anthropomorphistisch sein! Da fordern nun die Leute, man solle ja nicht anthropomorphistisch sein und merken nicht, wie anthropomorphistisch sie sind, wenn sie Worte gebrauchen wie: Ein Eindruck wird empfangen, ein Befehl wird ausgegeben und so weiter. - Sie reden darauf los, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, was sie alles für mythologische Wesen - wenn sie die Worte ernst nehmen würden - hineinträumen in den menschlichen Organismus.

Nun entsteht aber die Frage: Warum ist der Nervenstrang unterbrochen? — Er ist unterbrochen aus dem Grunde, weil wir, wenn er nicht unterbrochen wäre, nicht eingeschaltet wären in den ganzen Vorgang. Nur dadurch, daß gewissermaßen der Impuls an der Unterbrechungsstelle überspringt - der gleiche Impuls, wenn es ein Willensimpuls ist, geht schon von a aus -, dadurch sind wir selbst drinnen in der Welt, dadurch sind wir bei diesem Impuls dabei. Würde er einheitlich sein, würde hier nicht eine Unterbrechung sein, so wäre das ganze ein Naturvorgang, ohne daß wir dabei wären.

Stellen Sie sich denselben Vorgang, den Sie bei einer sogenannten Reflexbewegung haben, vor: Eine Fliege setzt sich Ihnen irgendwo hin, der ganze Vorgang kommt Ihnen gar nicht voll zum Bewußtsein, aber Sie wehren die Fliege ab. Dieser ganze Vorgang hat sein Analogen, sein ganz gerechtfertigtes Analogen auf physikalischem Gebiete. Insofern dieser Vorgang physikalische Erklärung herausfordert, muß diese Erklärung nur etwas komplizierter sein als ein anderer physikalischer Vorgang. Nehmen Sie an, Sie haben hier einen Kautschukball, Sie stoßen hinein, Sie deformieren den Kautschukball: das geht wieder heraus, richtet sich wieder her. Sie stoßen nochmals hinein; er stößt wieder heraus. Das ist der einfache physikalische Vorgang: eine Reflexbewegung.

Zeichnung aus GA 179, S. 15
Zeichnung aus GA 179, S. 15

Nur ist kein Wahrnehmungsorgan eingeschaltet, nichts Geistiges ist eingeschaltet. Schalten Sie hier etwas Geistiges ein (innerer Kreis) und unterbrechen Sie hier (Zentrum), dann fühlt sich die Kautschukkugel als ein Eigenwesen. Die Kautschukkugel müßte dann allerdings, um sowohl die Welt wie sich zu empfinden, ein Nervensystem einschalten. Aber das Nervensystem ist immer da, um die Welt in sich zu empfinden, niemals irgendwie da, um auf der einen Seite des Drahtes eine Sensation zu leiten und auf der andern Seite des Drahtes einen motorischen Impuls zu leiten.

Ich deute dieses an aus dem Grunde, weil dies, wenn es weiter verfolgt wird, auf einen der zahlreichen Punkte hinführt, wo Naturwissenschaft korrigiert werden muß, wenn sie zu Vorstellungen führen soll, die einigermaßen der Wirklichkeit gewachsen sind. Die Vorstellungen, die heute herrschen, sind eben weiter nichts als solche Vorstellungen, die den Impulsen der Geister der Finsternis dienen. Im Menschen selber ist die Grenze zwischen dem physischen Erleben und dem geistigen Erleben.

Dieses Stück des Nervs, das ich rot bezeichnet habe, dient im wesentlichen dazu, um uns hineinzustellen in die physische Welt, um uns Empfindung zu vermitteln innerhalb der physischen Welt. Das andere Stück des Nervs, das ich blau bezeichnet habe, dient im wesentlichen dazu, um uns selbst uns empfinden zu lassen als Leib. Und es ist kein wesentlicher Unterschied, ob wir eine Farbe außen bewußt erleben durch den Strang a-c, oder ob wir innerlich ein Organ oder eine Organlage oder dergleichen erleben durch den Strang d-b; das ist im wesentlichen dasselbe. Das eine Mal erleben wir ein Physisches, das nicht in uns zu sein scheint, das andere Mal erleben wir ein Physisches, das in uns ist, das heißt innerhalb unserer Haut. Dadurch aber sind wir eingeschaltet, daß wir bei einem Willensvorgang alles das erleben können, was nicht nur außen ist, sondern auch was innerlich an uns ist. Aber die Stärke der Wahrnehmung ist verschieden vermittelt durch den Strang a-c und durch den Strang d-b. Dasjenige, was eintritt, ist allerdings eine wesentliche Abschwächung der Intensität. Wenn wir eine Vorstellung mit einem Willensimpuls zusammen formen in a, so wird dieser Impuls von a aus weitergeleitet. Indem er von c auf d überspringt, schwächt sich das Ganze so ab für unser Bewußtsein, für unser bewußtes Erleben, daß wir das weitere, was wir nun in uns erleben, die Hebung der Hand und so weiter, nur mit der geringen Intensität des Bewußtseins erleben, die wir sonst auch im Schlafe haben. Wir sehen das Wollen erst wiederum, wenn die Hand sich bewegt, wenn wir wieder von einer andern Seite her eine Sensation haben.“ (Lit.:GA 179, S. 11ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Wolf Singer in: Christian Geyer (Hrsg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 2004, S. 30ff.