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== Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt (1792) ==
== Das Sehen in subjektiver Hinsicht ==


Sobald der Mensch die Gegenstände um sich her gewahr wird, betrachtet er sie in bezug auf sich selbst, und mit Recht. Denn es hängt sein ganzes Schicksal davon ab, ob sie ihm gefallen oder mißfallen, ob sie ihn anziehen oder abstoßen, ob sie ihm nutzen oder schaden. Diese ganz natürliche Art, die Sachen anzusehen und zu beurteilen, scheint so leicht zu sein, als sie notwendig ist, und doch ist der Mensch dabei tausend Irrtümern ausgesetzt, die ihn oft beschämen und ihm das Leben verbittern.
von Purkinje - 1819


Ein weit schwereres Tagewerk übernehmen diejenigen, deren lebhafter Trieb nach Kenntnis die Gegenstände der Natur an sich selbst und in ihren Verhältnissen untereinander zu beobachten strebt: denn sie vermissen bald den Maßstab, der ihnen zu Hülfe kam, wenn sie als Menschen die Dinge in bezug auf sich betrachteten. Es fehlt ihnen der Maßstab des Gefallens und Mißfallens, des Anziehens und Abstoßens, des Nutzens und Schadens; diesem sollen sie ganz entsagen, sie sollen als gleichgültige und gleichsam göttliche Wesen suchen und untersuchen, was ist, und nicht, was behagt. So soll den echten Botaniker weder die Schönheit noch die Nutzbarkeit der Pflanzen rühren, er soll ihre Bildung, ihr Verhältnis zu dem übrigen Pflanzenreiche untersuchen; und wie sie alle von der Sonne hervorgelockt und beschienen werden, so soll er mit einem gleichen ruhigen Blicke sie alle ansehen und übersehen und den Maßstab zu dieser Erkenntnis die Data der Beurteilung nicht aus sich, sondern aus dem Kreise der Dinge nehmen, die er beobachtet.
Den löblichen Gebrauch, bedeutende Schriften gleich zum erstenmal in Gegenwart eines Schreibenden zu lesen und sogleich Auszüge mit Bemerkungen, wie sie im Geiste erregt wurden, flüchtig zu diktieren, unterließ ich nicht bei obgenanntem Hefte und, brachte kursorisch diese Angelegenheit bis gegen das Ende.


Sobald wir einen Gegenstand in Beziehung auf sich selbst und in Verhältnis mit andern betrachten und denselben nicht unmittelbar entweder begehren oder verabscheuen, so werden wir mit einer ruhigen Aufmerksamkeit uns bald von ihm, seinen Teilen, seinen Verhältnissen einen ziemlich deutlichen Begriff machen können. je weiter wir diese Betrachtungen fortsetzen, je mehr wir Gegenstände untereinander verknüpfen, desto mehr üben wir die Beobachtungsgabe, die in uns ist. Wissen wir in Handlungen diese Erkenntnisse auf uns zu beziehen, so verdienen wir klug genannt zu werden. Für einen jeden wohl organisierten Menschen, der entweder von Natur mäßig ist oder durch die Umstände mäßig eingeschränkt wird, ist die Klugheit keine schwere Sache: denn das Leben weist uns bei Jedem Schritte zurecht. Allein wenn der Beobachter eben diese scharfe Urteilskraft zur Prüfung geheimer Naturverhältnisse anwenden, wenn er in einer Welt, in der er gleichsam allein ist, auf seine eigenen Tritte und Schritte acht geben, sich vor jeder Übereilung hüten, seinen Zweck stets in Augen haben soll, ohne doch selbst auf dem Wege irgendeinen nützlichen oder schädlichen Umstand unbemerkt vorbei zu lassen; wenn er auch da, wo er von niemand so leicht kontrolliert werden kann, sein eigner strengster Beobachter sein und bei seinen eifrigsten Bemühungen immer gegen sich selbst mißtrauisch sein soll: so sieht wohl jeder, wie streng diese Forderungen sind und wie wenig man hoffen kann, sie ganz erfüllt zu sehen, man mag sie nun an andere oder an sich machen. Doch müssen uns diese Schwierigkeiten, ja man darf wohl sagen diese hypothetische Unmöglichkeit, nicht abhalten, das möglichste zu tun, und wir werden wenigstens am weitsten kommen, wenn wir uns die Mittel im allgemeinen zu vergegenwärtigen suchen, wodurch vorzügliche Menschen die Wissenschaften zu erweitern gewußt haben; wenn wir die Abwege genau bezeichnen, auf welchen sie sich verirrt und auf welchen ihnen manchmal Jahrhunderte eine große Anzahl von Schülern folgten, bis spätere Erfahrungen erst wieder den Beobachter auf den rechten Weg einleiteten.
Meinem ersten Vorhaben, ausführlicher hierüber zu werden, muß ich zwar entsagen; den weitläufigen Auszug aus einer Schrift, die gegenwärtig in allen Händen ist, leg ich beiseite und führe vom Text nur an, was Veranlassung zu den nächsten Bemerkungen gab, indes ich noch gar manche, welche noch bedeutende Nacharbeiten gefordert hätten, gleichfalls zurücklasse, in Hoffnung, daß das gegenwärtig Mitgeteilte nicht ohne Wirkung bleiben werde.


Daß die Erfahrung, wie in allem, was der Mensch nimmt, so auch in der Naturlehre, von der ich gegenwärtig vorzüglich spreche, den größten Einfluß habe und haben solle, wird niemand leugnen, so wenig als man den Seelenkräften, in welchen diese Erfahrungen aufgefaßt, zusammengenommen, geordnet und ausgebildet werden, ihre hohe und gleichsam schöpferisch unabhängige Kraft absprechen wird. Allein wie diese Erfahrungen zu machen und wie sie zu nutzen, wie unsere Kräfte auszubilden und zu brauchen, das kann weder so allgemein bekannt noch anerkannt sein.
Noch ist zu bemerken, daß die Seitenzahl immer eine Stelle des Textes ankündige, in Klammern aber meine Bemerkungen eingeschlossen sind.


Sobald Menschen von scharfen frischen Sinnen auf Gegenstände aufmerksam gemacht werden, findet man sie zu Beobachtungen so geneigt als geschickt. Ich habe dieses oft bemerken können, seitdem ich die Lehre des Lichts und der Farben mit Eifer behandle und, wie es zu geschehen pflegt, mich auch mit Personen, denen solche Betrachtungen sonst fremd sind, von dem, was mich soeben sehr interessiert, unterhalte. Sobald ihre Aufmerksamkeit nur rege war, bemerkten sie Phänomene, die ich teils nicht gekannt, teils übersehen hatte, und berichtigten dadurch gar oft eine voreilig gefasste Idee, ja gaben mir Anlass, schnellere Schritte zu tun und aus der Einschränkung herauszutreten, in welcher uns eine mühsame Untersuchung oft gefangen hält.
Seite 7. Jeder Sinn kann durch Beobachtung und Experimente sowohl in seinem Eigenleben als in seiner eigentümlichen Reaktion gegen die Außenwelt aufgefaßt und dargestellt werden, jeder ist gewissermaßen ein Individuum; daher die Spezifizität, das zugleich Fremde und Eigene in den Empfindungen.


Es gilt also auch hier, was bei so vielen andern menschlichen Unternehmungen gilt, dass nur das Interesse mehrerer auf einen Punkt gerichtet etwas Vorzügliches hervorzubringen imstande sei. Hier wird es offenbar, dass der Neid, welcher andere so gern von der Ehre einer Entdeckung ausschließen möchte, dass die unmäßige Begierde, etwas Entdecktes nur nach seiner Art zu behandeln und auszuarbeiten, dem Forscher selbst das größte Hindernis sei.
[Das Anerkennen eines Neben- Mit- und Ineinanderseins und -wirkens verwandter lebendiger Wesen leitet uns bei jeder Betrachtung des Organismus und erleuchtet den Stufenweg vom Unvollkommenen zum Vollkommenen.


ich habe mich bisher bei der Methode, mit mehreren zu arbeiten, zu wohl befunden, als daß ich nicht solche fortsetzen sollte. Ich weiß genau, wem ich dieses und jenes auf meinem Wege schuldig geworden, und es soll mir eine Freude sein, es künftig öffentlich bekannt zu machen.
Die wundersame Erfahrung, daß ein Sinn an die Stelle des andern einrücken und den entbehrten vertreten könne, wird uns eine naturgemäße Erscheinung, und das innigste Geflecht der verschiedensten Systeme hört auf, als Labyrinth den Geist zu verwirren.]


Sind uns nun bloß natürliche, aufmerksame Menschen so viel zu nützen imstande, wie allgemeiner muß der Nutzen sein, wenn unterrichtete Menschen einander in die Hände arbeiten! Schon ist eine Wissenschaft an und für sich selbst eine so große Masse, daß sie viele Menschen trägt, wenn sie gleich kein Mensch tragen kann. Es läßt sich bemerken, daß die Kenntnisse, gleichsam wie ein eingeschlossenes aber lebendiges Wasser, sich nach und nach zu einem gewissen Niveau erheben, daß die schönsten Entdeckungen nicht sowohl durch Menschen als durch die Zeit gemacht worden; wie denn eben sehr wichtige Dinge zu gleicher Zeit von zweien oder wohl gar mehreren geübten Denkern gemacht worden. Wenn also wir in jenem ersten Fall der Gesellschaft und den Freunden so vieles schuldig sind, so werden wir in diesem der Welt und dem Jahrhundert noch mehr schuldig, und wir können in beiden Fällen nicht genug anerkennen, wie nötig Mitteilung, Beihülfe, Erinnerung und Widerspruch sei, um uns auf dem rechten Wege zu erhalten und vorwärts zu bringen.
Abstraktion und Experimente am eigenen Organismus. Beide sind wichtige Zweige der physikalischen Kunst überhaupt und fordern eine eigene Richtung der Aufmerksamkeit, eine eigene und methodische Folge von Abhärtungen, Übungen und Fertigkeiten. Es gibt Gegenstände der Naturforschung, die nur auf diesem Wege eruiert werden können, von denen wir außerdem kaum eine Ahnung hätten.


Man hat daher in wissenschaftlichen Dingen gerade das Gegenteil von dem zu tun, was der Künstler rätlich findet: denn er tut wohl, sein Kunstwerk nicht öffentlich sehen zu lassen, bis es vollendet ist, weil ihm nicht leicht jemand raten noch Beistand leisten kann; ist es hingegen vollendet, so hat er alsdann den Tadel oder das Lob zu überlegen und zu beherzigen, solches mit seiner Erfahrung zu vereinigen und sich dadurch zu einem neuem Werke auszubilden und vorzubereiten. In wissenschaftlichen Dingen hingegen ist es schon nützlich, jede einzelne Erfahrung, ja Vermutung öffentlich mitzuteilen; und es ist höchst rätlich, ein wissenschaftliches Gebäude nicht eher aufzuführen, bis der Plan dazu und die Materialien allgemein bekannt, beurteilt ausgewählt sind.
[Wir wünschen dem Verfasser Glück, daß er die Disposition, dieses Geschäft zu unternehmen und auf den hohen Grad durchzuführen, von der Natur empfangen, und erfreuen uns an der Versicherung, daß diese anhaltenden und bedenklichen Versuche seinem Organ keineswegs geschadet und daß er auch im ethischen Sinne sich auf alle Weise diesem Unternehmen gewachsen erzeigt. «Man muß tüchtig geboren sein, um ohne Kränklichkeit auf sein Inneres zurück zu gehen.» Gesundes Hineinblicken in sich selbst, ohne sich zu untergraben; nicht mit Wahn und Fabelei, sondern mit reinem Schauen in die unerforschte Tiefe sich wagen, ist eine seltene Gabe, aber auch die Resultate solcher Forschung für Welt und Wissenschaft ein seltenes Glück.


Wenn wir die Erfahrungen, welche vor uns gemacht worden, die wir selbst oder andere zu gleicher Zeit mit uns machen, vorsätzlich wiederholen und die Phänomene, die teils zufällig, teils künstlich entstanden sind, wieder darstellen, so nennen wir dieses einen Versuch.
Wir danken dem Verfasser für seine kühne und wichtige Arbeit, eben wie wir das Verdienst trefflicher Reisenden anerkennen, welche jede Art von Entbehrung und Not übernehmen, um uns dadurch einer gleichen Mühe und Qual zu überheben. Nicht ein jeder hat nötig, diese Versuche persönlich zu wiederholen, wie sich der wunderliche Wahn gerade im Physischen eingeschlichen hat, daß man alles mit eignen Augen sehen müsse, wobei man nicht bedenkt, daß man die Gegenstände auch mit eignen Vorurteilen sieht. Nichts aber ist nötiger, als daß man lerne, eigenes Tun und Vollbringen an das anzuschließen, was andere getan und vollbracht haben. das Produktive mit dem Historischen zu verbinden.


Der Wert eines Versuchs besteht vorzüglich darin, daß er, er sei nun einfach oder zusammengesetzt, unter gewissen Bedingungen mit einem bekannten Apparat und mit erforderlicher Geschicklichkeit jederzeit wieder hervorgebracht werden könne, so oft sich die bedingten Umstände vereinigen lassen. Wir bewundern mit Recht den menschlichen Verstand, wenn wir auch nur obenhin die Kombinationen ansehen, die er zu diesem Endzwecke gemacht hat, und die Maschinen betrachten, die dazu erfunden worden sind und man darf wohl sagen täglich erfunden werden.
Damit nun gerade dieses Büchlein um so mehr Zutrauen finde, so wollen wir, ohne die Anmaßung, des Verfassers Arbeiten eigner Prüfung zu unterwerfen, vielmehr das, worin wir, durch identische und analoge Erfahrungen geleitet, mit ihm völlig übereinstimmen, auf eine Weise hinzufügen, welche wir dem Zweck am vorteilhaftesten glauben.]


So schätzbar aber auch ein jeder Versuch einzeln betrachtet sein mag, so erhält er doch nur seinen Wert durch Vereinigung und Verbindung mit andern. Aber eben zwei Versuche, die miteinander einige Ähnlichkeit haben, zu vereinigen und zu verbinden, gehört mehr Strenge und Aufmerksamkeit, als selbst scharfe Beobachter oft von sich gefordert haben. Es können zwei Phänomene miteinander verwandt sein, aber doch noch lange nicht so nah, als wir glauben. Zwei Versuche können scheinen auseinander zu folgen, wenn zwischen ihnen noch eine große Reihe stehen müßte, um sie in eine recht natürliche Verbindung zu bringen.
Seite 9. Ich habe einiges hierher Gehörige gefunden, was mir neu scheint oder was wenigstens von mir mehr als anderswo ins einzelne verfolgt wurde.


Man kann sich daher nicht genug in acht nehmen, aus Versuchen nicht zu geschwind zu folgern: denn beim Übergang von der Erfahrung zum Urteil, von der Erkenntnis zur Anwendung ist es, wo dem Menschen gleichsam wie an einem Passe alle seine inneren Feinde auflauern, Einbildungskraft, Ungeduld, Vorschnelligkeit, Selbstzufriedenheit, Steifheit, Gedankenform, vorgefaßte Meinung, Bequemlichkeit, Leichtsinn, Veränderlichkeit und wie die ganze Schar mit ihrem Gefolge heißen mag, alle liegen hier im Hinterhalte und überwältigen unversehens sowohl den handelnden Weltmann als auch den stillen, vor allen Leidenschaften gesichert scheinenden Beobachter.
Seite 10. Für jetzt beschränke ich mich nur auf den Gesichtssinn.


Ich möchte zur Warnung dieser Gefahr, welche größer und näher ist, als man denkt, hier eine Art von Paradoxon aufstellen, um eine lebhaftere Aufmerksamkeit zu erregen. Ich wage nämlich zu behaupten: daß ein Versuch, ja mehrere Versuche in Verbindung nichts beweisen, ja daß nichts gefährlicher sei, als irgendeinen Satz unmittelbar durch Versuche bestätigen zu wollen, und daß die größten Irrtümer eben dadurch entstanden sind, daß man die Gefahr und die Unzulänglichkeit dieser Methode nicht eingesehen. Ich muß mich deutlicher erklären, um nicht in den Verdacht zu geraten, als wollte ich nur etwas Sonderbares sagen.
[Indem ein Naturfreund, der sich um alle Sinne bekümmert, sich auf einen Sinn beschränkt, wird er sich aufklärender Andeutungen ins Allgemeine nicht enthalten können, er wird nach mehreren Seiten hinweisen, und das Entferntscheinende zu verknüpfen suchen. Daß er zuerst aus dem Gesichtssinne herauswirkt und ihn für diesmal zum Mittelpunkt der übrigen macht, ist mir um so viel erfreulicher, weil es auch gerade derjenige Sinn ist, durch welchen ich die Außenwelt am vorzüglichsten ergreife.]


Eine jede Erfahrung, die wir machen, ein jeder Versuch, durch den wir sie wiederholen, ist eigentlich ein isolierter Teil unserer Erkenntnis; durch öftere Wiederholung bringen wir diese isolierte Kenntnis zur Gewißheit. Es können uns zwei Erfahrungen in demselben Fache bekannt werden, sie können nahe verwandt sein, aber noch näher verwandt scheinen, und gewöhnlich sind wir geneigt, sie für näher verwandt zu halten, als sie sind. Es ist dieses der Natur des Menschen gemäß, die Geschichte des menschlichen Verstandes zeigt uns tausend Beispiele, und ich habe an mir selbst bemerkt, daß ich diesen Fehler oft begehe.
Seite 10. Die Licht-Schattenfigur des Auges.


Es ist dieser Fehler mit einem andern nahe verwandt, aus dem er auch meistenteils entspringt. Der Mensch erfreut sich nämlich mehr an der Vorstellung als an der Sache, oder wir müssen vielmehr sagen: der Mensch erfreut sich nur einer Sache, insofern er sich dieselbe vorstellt; sie muß in seine Sinnesart passen, und er mag seine Vorstellungsart noch so hoch über die gemeine heben, noch so sehr reinigen, so bleibt sie doch gewöhnlich nur ein Versuch, viele Gegenstände in ein gewisses faßliches Verhältnis zu bringen, das sie, streng genommen, untereinander nicht haben; daher die Neigung zu Hypothesen, zu Theorien, Terminologien und Systemen, die wir nicht mißbilligen können, weil sie aus der Organisation unsers Wesens notwendig entspringen.
[Hier gleich beim Eintritt begrüßen wir den Verfasser aufs freundlichste, beteuernd vollkommene Übereinstimmung mit seinen Ansichten, Einklang mit seiner Methode, Zusammentreffen mit Ziel und Zweck.


Wenn von einer Seite eine jede Erfahrung, ein jeder Versuch ihrer Natur nach als isoliert anzusehen sind und von der andern Seite die Kraft des menschlichen Geistes alles, was außer ihr ist und was ihr bekannt wird, mit einer ungeheuren Gewalt zu verbinden strebt: so sieht man die Gefahr leicht ein, welche man läuft, wenn man mit einer gefaßten Idee eine einzelne Erfahrung verbinden oder irgendein Verhältnis, das nicht ganz sinnlich ist, das aber die bildende Kraft des Geistes schon ausgesprochen hat, durch einzelne Versuche beweisen will.
Auch wir betrachten Licht und Finsternis als den Grund aller Chroagenesie, sind überzeugt, daß alles, was innen ist, auch außen sei und daß nur ein Zusammentreffen beider Wesenheiten als Wahrheit gelten dürfe.]


Es entstehen durch eine solche Bemühung meistenteils Theorien und Systeme, die dem Scharfsinn der Verfasser Ehre machen, die aber, wenn sie mehr als billig ist Beifall finden, wenn sie sich länger als recht ist erhalten, dem Fortschritte des menschlichen Geistes, den sie in gewissem Sinne befördern, sogleich wieder hemmend und schädlich werden.
Seite 11. Ich stelle mich mit geschlossenen Augen in heilen Sonnenschein, das Angesicht senkrecht gegen die Sonne. Nun fahre ich mit gestreckten, etwas auseinandergehaltenen Fingern vor den Augen hin und her, daß sie abwechselnd beschattet und beleuchtet werden. Auf dem sonst bei der bloßen Schließung der Augenlider vorhandenen gleichmäßig gelbroten Gesichtsfelde erscheint nun eine schöne, regelmäßige Figur, die sich jedoch anfangs sehr schwer fixieren und näher bestimmen läßt, bis man sich nach und nach in ihr mehr orientiert.


Man wird bemerken können, daß ein guter Kopf nur desto mehr Kunst anwendet, je weniger Data vor ihm liegen; dass er, gleichsam seine Herrschaft zu zeigen, selbst aus den vorliegenden Datis nur wenige Günstlinge herauswählt, die ihm schmeicheln; dass er die übrigen so zu ordnen versteht, wie sie ihm nicht geradezu widersprechen, und dass er die feindseligen zuletzt so zu verwickeln, zu umspinnen und beiseite zu bringen weiß, dass wirklich nunmehr das Ganze nicht mehr einer freiwirkenden Republik, sondern einem despotischen Hofe ähnlich wird.
[Da ich bei vieljähriger Forschung über die innigste Entstehung und über das ausgebreitete Erscheinen der Farbenwelt meine Augen nicht geschont, so sind mir manche Phänomene, welche der Verfasser deutlich entwickelt und in Ordnung aufstellt, jedoch nur zufällig und wankend vorgekommen. Auch gegenwärtig, da ich diesem edlen Sinn nichts Außerordentliches mehr zumuten darf, finde ich mich keineswegs berufen, dergleichen Versuche abermals vorzunehmen und durch eigne Erfahrungen zu bestätigen, sondern beruhige mich gern bei seinem glaubwürdigen zusammenhängenden Vortrag. Da jedoch, wie er selbst versichert und ich auch überzeugt bin, diese Phänomene als allgemeine Bedingung des Sehens zu betrachten sind, so wird es an Personen nicht fehlen, die dergleichen entweder schon gewahr geworden oder in der Folge sie zufällig, vielleicht auch vorsätzlich gewahr werdend, diese so schön sich ausbildende Lehre immer mehr sicherstellen.


Einem Manne, der so viel Verdienst hat, kann es an Verehrern und Schülern nicht fehlen, die ein solches Gewebe historisch kennen lernen und bewundern und, insofern es möglich ist, sich die Vorstellungsart ihres Meisters eigen machen. Oft gewinnt eine solche Lehre dergestalt die Überhand, daß man für frech und verwegen gehalten würde, wenn man an ihr zu zweifeln sich erkühnte. Nur spätere Jahrhunderte würden sich an ein solches Heiligtum wagen, den Gegenstand einer Betrachtung dem gemeinen Menschensinne wieder vindizieren, die Sache etwas leichter nehmen und von dem Stifter einer Sekte das wiederholen, was ein witziger Kopf von einem großen Naturlehrer sagt. er wäre ein großer Mann gewesen, wenn er weniger erfunden hätte.
Und so können wir denn auch vorläufig gedenken, daß der rühmlich bekannte Hofkupferstecher, Herr Schwerdgebürth, gleichfalls ein empfängliches Auge hat, dergleichen Erscheinungen leicht und öfters gewahr zu werden. Sie setzten ihn sonst in Furcht, als ob das einem jeden und ihm besonders höchst werte Organ dadurch gefährdet sei. Nun aber nahm er teil an den beruhigenden Purkinjeschen Erfahrungen, er zeichnete die Phänomene, wie sie ihm gewöhnlich vorschweben. Ich habe das Blatt zu gelegentlicher Vergleichung der Purkinieschen Tafel beigesellt.]


Es möchte aber nicht genug sein, die Gefahr anzuzeigen und vor derselben zu warnen. Es ist billig, daß man wenigstens seine Meinung eröffne und zu erkennen gebe, wie man selbst einen solchen Abweg zu vermeiden glaubt, oder ob man gefunden, wie ihn ein anderer vor uns vermieden habe.
Seite 37. Nun sei mir erlaubt, die Analogie der dargestellten Phänomene mit anderen Naturerscheinungen aufzuzeigen. Solange eine Beobachtung im Reiche der Naturkunde isoliert steht, solange sie nicht in mehrfache Beziehungen zu andern mehr oder weniger wichtigen Erfahrungen und Anwendungen gekommen ist und durch Einwirken in das übrige System eine Art Charakter und Rang erworben hat, ist sie immer in Gefahr, längere Zeit ganz unbeachtet zu bleiben, oder wenn sie sich anfangs durch eine neue Erscheinungsweise aufgedrungen hat, wieder in Vergessenheit zu geraten. Nur wenn im ununterbrochenen Entwickelungsgange des Wissens die ihr nächst verwandten Gegenstände mehrfach auf sie deuten und sie endlich in die ihr gebührende Stelle aufnehmen, erst dann wird sie, in dem ihr zukommenden Lichte der Wissenschaft stehen, um nie wieder in die Finsternis der Verborgenheit zurückzukehren.


Ich habe vorhin gesagt, daß ich die unmittelbare Anwendung eines Versuchs zum Beweis irgendeiner Hypothese für schädlich halte, und habe dadurch zu erkennen gegeben, daß ich eine mittelbare Anwendung derselben für nützlich ansehe, und da auf diesen Punkt alles ankommt, so ist es nötig, sich deutlich zu erklären.
[Wir sagen dem Verfasser aufrichtigen Dank, daß er diese köstlichen Worte so frei und treulich ausspricht; ohne Befolgung des Sinnes derselben blüht kein Heil in unserer Wissenschaft.


In der lebendigen Natur geschieht nichts, was nicht in einer Verbindung mit dem Ganzen stehe, und wenn uns die Erfahrungen nur isoliert erscheinen, wenn wir die Versuche nur als isolierte Fakta anzusehen haben, so wird dadurch nicht gesagt, daß sie isoliert seien, es ist nur die Frage: wie finden wir die Verbindung dieser Phänomene, dieser Begebenheiten?
Zwei Behandlungsarten dagegen sind zu Hindernis und Verspätung die traurigsten Werkzeuge: entweder man nähert und verknüpft himmelweit entfernte Dinge in düsterer Phantasie und witziger Mystik; oder man vereinzelt das Zusammengehörige durch zersplitternden Unverstand, bemüht sich, nahverwandte Erscheinungen zu sondern, jeder ein eigen Gesetz unterzulegen, woraus sie zu erklären sein soll.


Wir haben oben gesehen, daß diejenigen am ersten dem Irrtume unterworfen waren, welche ein isoliertes Faktum mit ihrer Denk- und Urteilskraft unmittelbar zu verbinden suchten. Dagegen werden wir finden, daß diejenigen am meisten geleistet haben, welche nicht ablassen, alle Seiten und Modifikationen einer einzigen Erfahrung, eines einzigen Versuches, nach aller Möglichkeit durchzuforschen und durchzuarbeiten.
Fern bleibe von uns dieses falsche Beginnen, halten wir aber um desto mehr zusammen, weil wir es andern keineswegs untersagen können.]


Da alles in der Natur, besonders aber die allgemeinern Kräfte und Elemente, in einer ewigen Wirkung und Gegenwirkung sind, so kann man von einem jeden Phänomene sagen, daß es mit unzähligen andem in Verbindung stehe, wie wir von einem freischwebenden leuchtenden Punkte sagen, daß er seine Strahlen nach allen Seiten aussende. Haben wir also einen solchen Versuch gefaßt, eine solche Erfahrung gemacht, so können wir nicht sorgfältig genug untersuchen, was unmittelbar an ihn grenzt? was zunächst auf ihn folgt? Dieses ist's, worauf wir mehr zu sehen haben, als auf das, was sich auf ihn bezieht. Die Vermannigfaltigung eines jeden einzelnen Versuches ist also die eigentliche Pflicht eines Naturforschers. Er hat gerade die umgekehrte Pflicht eines Schriftstellers, der unterhalten will. Dieser wird Langeweile erregen, wenn er nichts zu denken übrig läßt, jener muß rastlos arbeiten, als wenn er seinen Nachfolgern nichts zu tun übrig lassen wollte, wenn ihn gleich die Disproportion unseres Verstandes zu der Natur der Dinge zeitig genug erinnert, daß kein Mensch Fähigkeiten genug habe, in irgendeiner Sache abzuschließen.
Seite 38. Die beschriebenen Figuren im Innern des Auges wecken in mir unwiderstehlich die Erinnerung an die Chladnischen Klangfiguren, und zwar vorzüglich an ihre primäre Form. Ich unterscheide nämlich bei diesen, ebenso wie ich oben die verschiedenen Ordnungen der Würfelfelder als primäre, die aus ihrer wechselseitigen Beschränkung entstehenden Linien als sekundäre Formen unterschied, auch bei den Chladnischen Figuren primäre und sekundäre Gestaltungen. Die ersteren werden durch die bewegten Stellen des tönenden Körpers, die andern durch die ruhenden konstituiert. Mit letzteren hat sich vorzüglich Chladni beschäftigt.


Ich habe in den zwei ersten Stücken meiner optischen Beiträge eine solche Reihe von Versuchen aufzustellen gesucht, die zunächst aneinander grenzen und sich unmittelbar berühren, ja, wenn man sie alle genau kennt und übersieht, gleichsam nur einen Versuch ausmachen, nur eine Erfahrung unter den mannigfaltigsten Ansichten darstellen.
[Wenn wir vorher im Allgemeinen mit dem Verfasser vollkommen übereinstimmten, so freuen wir uns gar sehr, in besonderer Anwendung gleichfalls mit ihm zusammenzutreffen.


Eine solche Erfahrung, die aus mehreren andern besteht, ist offenbar von einer höhern Art. Sie stellt die Formel vor, unter welcher unzählige einzelne Rechnungsexempel ausgedrückt werden. Auf solche Erfahrungen der höhern Art loszuarbeiten, halt ich für höchste Pflicht des Naturforschers, und dahin weist uns das Exempel der vorzüglichsten Männer, die in diesem Fache gearbeitet haben.
Im dritten Hefte unserer Mitteilungen zur Naturlehre Seite 805 konnten wir, bei Behandlung der entoptischen Erscheinungen, uns nicht enthalten, sie den Chladnischen Tonfiguren zu vergleichen. Da wir nun die große Ähnlichkeit beider ausgesprochen, so geben wir gern zu, daß im Auge ein Analogon vorgehe, und wir drücken uns darüber folgendermaßen aus: alles, was den Raum füllt, nimmt, insofern es solidesziert, sogleich eine Gestalt an; diese regelt sich mehr oder weniger und hat gegen die Umgebung gleiche Bezüge mit andern gleichgestalteten Wesen. Wenn nun die Chladnischen Figuren nach eingewirkter Bewegung erst schweben, beben, oszillieren und dann sich beruhigen, so zeigt der entoptische Kubus gleiche Empfindlichkeit gegen die Wirkung des Lichts und die atmosphärische Gegenwirkung.


Diese Bedächtlichkeit, nur das Nächste ans Nächste zu reihen oder vielmehr das Nächste aus dem Nächsten zu folgern, haben wir von den Mathematikern zu lernen, und selbst da, wo wir uns keiner Rechnung bedienen, müssen wir immer so zu Werke gehen, als wenn wir dem strengsten Geometer Rechenschaft zu geben schuldig wären.
Wagen wir noch einen Schritt und sprechen: das entoptische Glas, welches wir ja auch als Linse darstellen können, vergleicht sich dem Auge; es ist ein feingetrübtes Wesen, sensibel für direkten und obliquen Widerschein, und zugleich für die zartesten Übergänge empfindlich. Die Acht- Figur im Auge deutet auf das Ähnliche; sie zeigt ein organisches Kreuz, welches hervorzubringen Hell und Dunkel abwechseln müssen. Noch nähere Verhältnisse werden sich entdecken.]


Denn eigentlich ist es die mathematische Methode, welche wegen ihrer Bedächtlichkeit und Reinheit gleich jeden Sprung in der Assertion offenbart, und ihre Beweise sind eigentlich nur umständliche Ausführungen, daß dasjenige, was in Verbindung vorgebracht wird, schon in seinen einfachen Teilen und in seiner ganzen Folge da gewesen, in seinem ganzen Umfange übersehen und unter allen Bedingungen richtig und unumstößlich erfunden worden. Und so sind ihre Demonstrationen immer mehr Darlegungen, Rekapitulationen, als Argumente. Da ich diesen Unterschied hier mache, so sei es mir erlaubt, einen Rückblick zu tun.
Seite 43. Überall, wo entgegengesetzte, kontinuierlich wirkende Kräfte einander beschränken, entsteht im Wechselsiege der einen über die andere Periodismus in der Zeit, Oszillation im Raume; jener als Vorherrschen der einen Kraft über die andere in verschiedenen Momenten, diese wegen Überwiegen der einen und Zurücktreten der andern an verschiedenen Orten, so daß auch bei einer scheinbaren äußeren Ruhe dennoch die innigste Bewegung in und zwischen den Begrenzungspunkten stattfinden kann.


Man sieht den großen Unterschied zwischen einer mathematischen Demonstration, welche die ersten Elemente durch so viele Verbindungen durchführt, und zwischen dem Beweise, den ein kluger Redner aus Argumenten führen könnte. Argumente können ganz isolierte Verhältnisse enthalten und dennoch durch Witz und Einbildungskraft auf einen Punkt zusammengeführt und der Schein eines Rechts oder Unrechts, eines Wahren oder Falschen überraschend genug hervorgebracht werden. Ebenso kann man, zugunsten einer Hypothese oder Theorie, die einzelnen Versuche gleich Argumenten zusammen stellen und einen Beweis führen, der mehr oder weniger blendet.
Seite 92. Die Blendungsbilder.


Wem es dagegen zu tun ist, mit sich selbst und andern redlich zu Werke zu gehen, der wird auf das sorgfältigste die einzelnen Versuche durcharbeiten und so die Erfahrungen der höheren Art auszubilden suchen. Diese lassen sich durch kurze und faßliche Sätze aussprechen, nebeneinander stellen, und wie sie nach und nach ausgebildet worden, können sie geordnet und in ein solches Verhältnis gebracht werden, daß sie so gut als mathematische Sätze entweder einzeln oder zusammengenommen unerschütterlich stehen.
Es ist ein unabweisbarer Glaube des Naturforschers, daß einer jeden Modifikation des Subjektiven innerhalb der Sinnensphäre jedesmal eine im Objektiven entspreche. Gewiß sind die Sinne die feinsten und erregbarsten Messer und Reagenten der ihnen gehörigen Qualitäten und Verhältnisse der Materie [Hört!], und wir müssen innerhalb des individuellen Kreises des Organismus ebenso die Gesetze der materiellen Welt erforschen wie der Physiker äußerlich durch mannigfaltigen Apparat.


Die Elemente dieser Erfahrungen der höheren Art, welches viele einzelne Versuche sind, können alsdann von jedem untersucht und geprüft werden, und es ist nicht schwer zu beurteilen, ob die vielen einzelnen Teile durch einen allgemeinen Satz ausgesprochen werden können; denn hier findet keine Willkür statt.
Könnte das Subjektive alle Materie so innig oder noch inniger durchdringen, wie es die Nervenmasse durchdrungen hält, so würden wahrscheinlich unzählbare neue, höchst zarte Modifikationen derselben zur Erscheinung kommen, von denen man es jetzt kaum wagen möchte, eine Ahnung zu fassen.


Bei der andern Methode aber, wo wir irgend etwas, das wir behaupten, durch isolierte Versuche gleichsam als durch Argumente beweisen wollen, wird das Urteil öfters nur erschlichen, wenn es nicht gar in Zweifel stehen bleibt. Hat man aber eine Reihe Erfahrungen der höheren Art zusammengebracht, so übe sich alsdann der Verstand, die Einbildungskraft, der Witz an denselben wie sie nur mögen, es wird nicht schädlich, ja es wird nützlich sein. jene erste Arbeit kann nicht sorgfältig, emsig, streng, ja pedantisch genug vorgenommen werden; denn sie wird für Welt und Nachwelt unternommen. Aber diese Materialien müssen in Reihen geordnet und niedergelegt sein, nicht auf eine hypothetische Weise zusammengestellt, nicht zu einer systematischen Form verwendet. Es steht alsdann einem jeden frei, sie nach seiner Art zu verbinden und ein Ganzes daraus zu bilden, das der menschlichen Vorstellungsart überhaupt mehr oder weniger bequem und angenehm sei. Auf diese Weise wird unterschieden, was zu unterscheiden ist, und man kann die Sammlung von Erfahrungen viel schneller und reiner vermehren, als wenn man die späteren Versuche wie Steine, die nach einem geendigten Bau herbeigeschafft werden, unbenutzt beiseite legen muß.
Seite 103. Das Blendungsgebild verhält sich gegen das äußere Licht wie ein trübes Mittel, was aber in gehöriger Finsternis selbst leuchtend ist.


Die Meinung der vorzüglichsten Männer und ihr Beispiel läßt mich hoffen, daß ich auf dem rechten Wege sei, und ich wünsche, daß mit dieser Erklärung meine Freunde zufrieden sein mögen, die mich manchmal fragen. was denn eigentlich bei meinen optischen Bemühungen meine Absicht sei? Meine Absicht ist. alle Erfahrungen in diesem Fache zu sammeln, alle Versuche selbst anzustellen und sie durch ihre größte Mannigfaltigkeit durchzuführen, wodurch sie denn auch leicht nachzumachen und nicht aus dem Gesichtskreise so vieler Menschen hinausgerückt sind. Sodann die Sätze, in welchen sich die Erfahrungen von der höheren Gattung aussprechen lassen, aufzustellen und abzuwarten, inwiefern sich auch diese unter ein höheres Prinzip rangieren. Sollte indes die Einbildungskraft und der Witz ungeduldig manchmal vorauseilen, so gibt die Verfahrungsart selbst die Richtung des Punktes an, wohin sie wieder zurückzukehren haben.
[Hier, wo die Blendungsbilder zur Sprache kommen, ist wohl billig, dessen zu gedenken, was ich hierüber in meinem Entwurf der Farbenlehre, und zwar in dessen erster Abteilung durchaus, besonders aber § 23 und so fort von gesunden Augen, § 121 und so weiter aber von krankhaften umständlich angezeigt habe.]
 
Seite 145. Einheit beider Gesichtsfelder. Doppelsehen.
 
[Aus eigner Erfahrung kann ich folgendes anführen und vorschlagen. Man nehme irgendein Rohr vor das eine Auge und schaue damit, indem man das andere offen behält, gegen einen Stern, so wird man ihn nur einfach erblicken. Nun ,wende man das Rohr von dem Stern ab, so wird derselbe dem freien Auge gleichfalls einfach erscheinen. Nun führe man das Rohr sachte gegen den Stern zu, und es wird derselbe auch am Rande des Gesichtsfeldes abermals und also doppelt erscheinen. Wenn man diese Operation vorsichtig macht, so kann man das doppelte Bild ziemlich weit voneinander bringen und in das Gesichtsfeld des Rohres auffassen, wobei man in dem Wahne steht, man sehe sie beide wirklich durch das Rohr. Es dauert aber nicht lange, so ziehen sie gegeneinander und decken sich. Schließt man zur Zeit, wo man den Stern doppelt durchs Rohr zu sehen glaubt, das äußere Auge, so verschwindet ganz natürlich die Doppelerscheinung, und nur der eine Stern ist sichtbar.
 
Da ich von Jugend auf meine Augen sehr leicht in den Zustand des Schielens versetzen kann, so ergötze ich mich manchmal an folgendem Phänomen. Ich stellte eine Kerze vor mich hin, und die Augen ins Schielen gewendet, sah ich zwei, welche ich, solange mir beliebte, auseinander halten konnte. Nun aber nahm ich zwei Kerzen und sah daher, sie anschreiend, vier. Diese konnte ich jedoch nicht auseinander halten, denn die zwei mittlern bewegten sich gegeneinander und deckten sich gar bald, so daß ich nunmehr drei sah, deren Beschauung ich nach Belieben verlängern konnte.]
 
Seite 149. Ich denke mir die Möglichkeit dieser Erscheinung auf folgende Weise. jedes Auge kann, solange das Bewußtsein ganz in dessen besondere Begrenztheit versunken ist, als ein eigenes Individuum genommen werden, welches, in Beziehung auf die Außenwelt, sein Vornen, Oben und Unten, sein Links und Rechts hat. Dasselbe gilt von dem Tastsinne. Alle diese Begriffe aber sind relativ und gelten nur in Rücksicht des Subjekts und seines räumlichen Verhältnisses zum Objekte.
 
[Das räumliche Verhältnis des Subjekts zum Objekte ist durchaus von der größten Bedeutung. Hierher gehört das Phänomen, daß eine Erbse zwischen kreuzweis gelegten Fingern einer Hand doppelt empfunden wird, und fällt diese Erscheinung mit dem Schielen völlig zusammen. Nun hat jeder Finger sein Rechts und Links, sein Hüben und Drüben, welches zugleich der ganzen Hand angehört. Wenn also der eine Finger die Kugel an der linken Seite fühlt, der andere aber an der rechten Seite, so ist es keine Täuschung, sondern es deutet ganz eigentlich konsequente Bildung des Subjekts zum Objekt an, ohne welche das erstere letzteres keineswegs fassen, noch mit ihm in Verbindung treten könnte.
 
Eine unnatürliche Richtung gegen die Außenwelt anderer Art ist auch hier, da besonders vom subjektiven Sehen die Rede ist, zu bemerken. wenn man auf einer Höhe stehend bei klarem Himmel einen weiten Gesichtskreis übersieht, so blicke man alsdann niedergebückt durch die Füße oder lehne sich über irgendeine Erderhöhung hinterwärts und schaue so, in beiden Fällen gleichsam auf dem Kopf stehend, nach der Gegend, so wird man sie in der allerhöchsten Farbenpracht erblicken, wie nur auf dem schönsten Bilde des geübtesten, trefflichsten Malers, übrigens nicht etwa umgekehrt, sondern völlig wie beim aufrechten Stande, nur glaub' ich mich zu erinnern, etwas in die Breite gezogen.]
 
Seite 166. Das Nachbild. Imagination. Gedächtnis des Gesichtsinnes.
 
Seite 167. Das Nachbild ist genau von dem Blendungsbilde zu unterscheiden. Das Nachbild wird nur durch freie Tätigkeit längere Zeit festgehalten und verschwindet, sobald der Wille nachläßt, kann aber von demselben wieder hervorgerufen werden;, das Blendungsbild schwebt unwillkürlich dem Sinne vor, verschwindet und erscheint wieder aus objektiven Gründen.
 
Seite 168. Besonders lebhaft ist das Nachbild bei erhöhter Seelentätigkeit, das Blendungsbild hingegen pflegt bei nervöser Stimmung in asthenischern Zustande länger nachzuhalten und verschwindet desto schneller, je energischer das Organ vorn Leben durchströmt wird.
 
Seite 169. Ich glaube, daß man durch Übung, indem man, nach ergreifender Anschauung des Gegenstandes, das Nachbild immer länger und inniger festhielte, dasselbe wohl der den Sinn belangenden Realität des Urbildes nahe bringen könnte, welche Übung als Vorbildung des Gedächtnisses und der Einbildungskraft nicht unwichtig sein dürfte.
 
Seite 170: Zunächst diesem ließe sich behaupten, daß Gedächtnis und Einbildungskraft in den Sinnesorganen selbst tätig sind und daß jeder Sinn sein ihm eigentümlich zukommendes Gedächtnis und Einbildungskraft besitze, die als einzelne begrenzte Kräfte der allgemeinen Seelenkraft unterworfen sind.
 
[Von der Produktivität solcher innern, vor die Augen gerufenen Bilder bliebe mir manches zu erzählen. Ich hatte die Gabe, wenn ich die Augen schloß und mit niedergesenktem Haupte mir in der Mitte des Sehorgans eine Blume dachte, so verharrte sie nicht einen Augenblick in ihrer ersten Gestalt, sondern sie legte sich auseinander, und aus ihrem Innern entfalteten sich wieder neue Blumen aus farbigen, auch wohl grünen Blättern; es waren keine natürlichen Blumen, sondern phantastische, jedoch regelmäßig wie die Rosetten der Bildhauer. Es war unmöglich, die hervorquellende Schöpfung zu fixieren, hingegen dauerte sie so lange, als mir beliebte, ermattete nicht und verstärkte sich nicht. Dasselbe könnt' ich hervorbringen, wenn ich mir den Zierat einer bunt gemalten Scheibe dachte, welcher denn ebenfalls aus der Mitte gegen die Peripherie sich immerfort veränderte, völlig wie die in unsern Tagen erst erfundenen Kaleidoskope. Ich erinnere mich nicht, inwiefern bei dieser regelmäßigen Bewegung eine Zahl zu bemerken gewesen, vermutlich aber bezog sie sich auf den Acht-Strahl, denn nicht weniger Blätter hatten die oben gemeldeten Blumen. Mit andern Gegenständen fiel mir nicht ein, den Versuch zu machen; warum aber diese bereitwillig von selbst hervortraten, mochte darin liegen, daß die vieljährige Betrachtung der Pflanzenmetamorphose, sowie nachheriges Studium der gemalten Scheiben, mich mit diesen Gegenständen ganz durchdrungen hatte; und hier tritt hervor, was Herr Purkinje so bedeutend anregt. Hier ist die Erscheinung des Nachbildes, Gedächtnis, produktive Einbildungskraft, Begriff und Idee alles auf einmal im Spiel und manifestiert sich in der eignen Lebendigkeit des Organs mit vollkommener Freiheit ohne Vorsatz und Leitung.
 
Hier darf nun unmittelbar die höhere Betrachtung aller bildenden Kunst eintreten; man sieht deutlicher ein, was es heißen wolle, daß Dichter und alle eigentliche Künstler geboren sein müssen. Es muß nämlich ihre innere produktive Kraft jene Nachbildet, die im Organ, in der Erinnerung, in der Einbildungskraft zurückgebliebenen Idole freiwillig ohne Vorsatz und Wollen lebendig hervortun, sie müssen sich entfalten, wachsen, sich ausdehnen und zusammenziehn, um aus flüchtigen Schemen wahrhaft gegenständliche Wesen zu werden. «Wie besonders die Alten mit diesen Idolen begabt gewesen sein müssen, läßt sich aus Demokrits Lehre von den Idolen schließen. Er kann nur aus der eigenen lebendigen Erfahrung seiner Phantasie darauf gekommen sein.» Je größer das Talent, je entschiedener bildet sich gleich anfangs das zu produzierende Bild. Man sehe Zeichnungen von Raffael und Michelangelo, wo auf der Stelle ein strenger Umriß das, was dargestellt werden soll, vorn Grunde loslöst und körperlich einfaßt. Dagegen werden spätere, obgleich treffliche Künstler auf einer Art von Tasten ertappt; es ist öfters, als wenn sie erst durch leichte, aber gleichgültige Züge aufs Papier ein Element erschaffen wollen, woraus nachher Kopf und Haar, Gestalt und Gewand und was sonst noch wie aus dem Ei das Hühnchen sich bilden solle. Von noch spätern Künstlern finden sich wunderbare Beispiele. Ich besitze eine verdienstvolle Federzeichnung, wo, bei Anbetung der Hirten, Mutter und Kind, Joseph und die Schäfer, ja Ochs und Esel, doppelt und dreifach durcheinander spielen. Doch muß man gestehen, daß ein geistreicher Künstler, mit Geschmack bei dieser Gelegenheit verfahren und den vorschwebenden Traum so gut als möglich zu fixieren gesucht. Und so wird sich immer die Entschiedenheit des eingebornen Talents gegen die Velleität eines Dilettanten beweisen, und man sieht daher, wie höchst recht jene Kunstlehrer haben, welche das Skizzieren verwerfen und den scharfen Federumriß einer weichlichen Kreidezeichnung vorziehen. Alles kommt darauf an, das Eigenleben des Auges und der korrepondierenden Finger zu der entschiedensten verbündeten Wirksamkeit heranzusteigern.]


[[Kategorie:Goethe (Text)]]
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Version vom 3. Juni 2009, 23:28 Uhr

Das Sehen in subjektiver Hinsicht

von Purkinje - 1819

Den löblichen Gebrauch, bedeutende Schriften gleich zum erstenmal in Gegenwart eines Schreibenden zu lesen und sogleich Auszüge mit Bemerkungen, wie sie im Geiste erregt wurden, flüchtig zu diktieren, unterließ ich nicht bei obgenanntem Hefte und, brachte kursorisch diese Angelegenheit bis gegen das Ende.

Meinem ersten Vorhaben, ausführlicher hierüber zu werden, muß ich zwar entsagen; den weitläufigen Auszug aus einer Schrift, die gegenwärtig in allen Händen ist, leg ich beiseite und führe vom Text nur an, was Veranlassung zu den nächsten Bemerkungen gab, indes ich noch gar manche, welche noch bedeutende Nacharbeiten gefordert hätten, gleichfalls zurücklasse, in Hoffnung, daß das gegenwärtig Mitgeteilte nicht ohne Wirkung bleiben werde.

Noch ist zu bemerken, daß die Seitenzahl immer eine Stelle des Textes ankündige, in Klammern aber meine Bemerkungen eingeschlossen sind.

Seite 7. Jeder Sinn kann durch Beobachtung und Experimente sowohl in seinem Eigenleben als in seiner eigentümlichen Reaktion gegen die Außenwelt aufgefaßt und dargestellt werden, jeder ist gewissermaßen ein Individuum; daher die Spezifizität, das zugleich Fremde und Eigene in den Empfindungen.

[Das Anerkennen eines Neben- Mit- und Ineinanderseins und -wirkens verwandter lebendiger Wesen leitet uns bei jeder Betrachtung des Organismus und erleuchtet den Stufenweg vom Unvollkommenen zum Vollkommenen.

Die wundersame Erfahrung, daß ein Sinn an die Stelle des andern einrücken und den entbehrten vertreten könne, wird uns eine naturgemäße Erscheinung, und das innigste Geflecht der verschiedensten Systeme hört auf, als Labyrinth den Geist zu verwirren.]

Abstraktion und Experimente am eigenen Organismus. Beide sind wichtige Zweige der physikalischen Kunst überhaupt und fordern eine eigene Richtung der Aufmerksamkeit, eine eigene und methodische Folge von Abhärtungen, Übungen und Fertigkeiten. Es gibt Gegenstände der Naturforschung, die nur auf diesem Wege eruiert werden können, von denen wir außerdem kaum eine Ahnung hätten.

[Wir wünschen dem Verfasser Glück, daß er die Disposition, dieses Geschäft zu unternehmen und auf den hohen Grad durchzuführen, von der Natur empfangen, und erfreuen uns an der Versicherung, daß diese anhaltenden und bedenklichen Versuche seinem Organ keineswegs geschadet und daß er auch im ethischen Sinne sich auf alle Weise diesem Unternehmen gewachsen erzeigt. «Man muß tüchtig geboren sein, um ohne Kränklichkeit auf sein Inneres zurück zu gehen.» Gesundes Hineinblicken in sich selbst, ohne sich zu untergraben; nicht mit Wahn und Fabelei, sondern mit reinem Schauen in die unerforschte Tiefe sich wagen, ist eine seltene Gabe, aber auch die Resultate solcher Forschung für Welt und Wissenschaft ein seltenes Glück.

Wir danken dem Verfasser für seine kühne und wichtige Arbeit, eben wie wir das Verdienst trefflicher Reisenden anerkennen, welche jede Art von Entbehrung und Not übernehmen, um uns dadurch einer gleichen Mühe und Qual zu überheben. Nicht ein jeder hat nötig, diese Versuche persönlich zu wiederholen, wie sich der wunderliche Wahn gerade im Physischen eingeschlichen hat, daß man alles mit eignen Augen sehen müsse, wobei man nicht bedenkt, daß man die Gegenstände auch mit eignen Vorurteilen sieht. Nichts aber ist nötiger, als daß man lerne, eigenes Tun und Vollbringen an das anzuschließen, was andere getan und vollbracht haben. das Produktive mit dem Historischen zu verbinden.

Damit nun gerade dieses Büchlein um so mehr Zutrauen finde, so wollen wir, ohne die Anmaßung, des Verfassers Arbeiten eigner Prüfung zu unterwerfen, vielmehr das, worin wir, durch identische und analoge Erfahrungen geleitet, mit ihm völlig übereinstimmen, auf eine Weise hinzufügen, welche wir dem Zweck am vorteilhaftesten glauben.]

Seite 9. Ich habe einiges hierher Gehörige gefunden, was mir neu scheint oder was wenigstens von mir mehr als anderswo ins einzelne verfolgt wurde.

Seite 10. Für jetzt beschränke ich mich nur auf den Gesichtssinn.

[Indem ein Naturfreund, der sich um alle Sinne bekümmert, sich auf einen Sinn beschränkt, wird er sich aufklärender Andeutungen ins Allgemeine nicht enthalten können, er wird nach mehreren Seiten hinweisen, und das Entferntscheinende zu verknüpfen suchen. Daß er zuerst aus dem Gesichtssinne herauswirkt und ihn für diesmal zum Mittelpunkt der übrigen macht, ist mir um so viel erfreulicher, weil es auch gerade derjenige Sinn ist, durch welchen ich die Außenwelt am vorzüglichsten ergreife.]

Seite 10. Die Licht-Schattenfigur des Auges.

[Hier gleich beim Eintritt begrüßen wir den Verfasser aufs freundlichste, beteuernd vollkommene Übereinstimmung mit seinen Ansichten, Einklang mit seiner Methode, Zusammentreffen mit Ziel und Zweck.

Auch wir betrachten Licht und Finsternis als den Grund aller Chroagenesie, sind überzeugt, daß alles, was innen ist, auch außen sei und daß nur ein Zusammentreffen beider Wesenheiten als Wahrheit gelten dürfe.]

Seite 11. Ich stelle mich mit geschlossenen Augen in heilen Sonnenschein, das Angesicht senkrecht gegen die Sonne. Nun fahre ich mit gestreckten, etwas auseinandergehaltenen Fingern vor den Augen hin und her, daß sie abwechselnd beschattet und beleuchtet werden. Auf dem sonst bei der bloßen Schließung der Augenlider vorhandenen gleichmäßig gelbroten Gesichtsfelde erscheint nun eine schöne, regelmäßige Figur, die sich jedoch anfangs sehr schwer fixieren und näher bestimmen läßt, bis man sich nach und nach in ihr mehr orientiert.

[Da ich bei vieljähriger Forschung über die innigste Entstehung und über das ausgebreitete Erscheinen der Farbenwelt meine Augen nicht geschont, so sind mir manche Phänomene, welche der Verfasser deutlich entwickelt und in Ordnung aufstellt, jedoch nur zufällig und wankend vorgekommen. Auch gegenwärtig, da ich diesem edlen Sinn nichts Außerordentliches mehr zumuten darf, finde ich mich keineswegs berufen, dergleichen Versuche abermals vorzunehmen und durch eigne Erfahrungen zu bestätigen, sondern beruhige mich gern bei seinem glaubwürdigen zusammenhängenden Vortrag. Da jedoch, wie er selbst versichert und ich auch überzeugt bin, diese Phänomene als allgemeine Bedingung des Sehens zu betrachten sind, so wird es an Personen nicht fehlen, die dergleichen entweder schon gewahr geworden oder in der Folge sie zufällig, vielleicht auch vorsätzlich gewahr werdend, diese so schön sich ausbildende Lehre immer mehr sicherstellen.

Und so können wir denn auch vorläufig gedenken, daß der rühmlich bekannte Hofkupferstecher, Herr Schwerdgebürth, gleichfalls ein empfängliches Auge hat, dergleichen Erscheinungen leicht und öfters gewahr zu werden. Sie setzten ihn sonst in Furcht, als ob das einem jeden und ihm besonders höchst werte Organ dadurch gefährdet sei. Nun aber nahm er teil an den beruhigenden Purkinjeschen Erfahrungen, er zeichnete die Phänomene, wie sie ihm gewöhnlich vorschweben. Ich habe das Blatt zu gelegentlicher Vergleichung der Purkinieschen Tafel beigesellt.]

Seite 37. Nun sei mir erlaubt, die Analogie der dargestellten Phänomene mit anderen Naturerscheinungen aufzuzeigen. Solange eine Beobachtung im Reiche der Naturkunde isoliert steht, solange sie nicht in mehrfache Beziehungen zu andern mehr oder weniger wichtigen Erfahrungen und Anwendungen gekommen ist und durch Einwirken in das übrige System eine Art Charakter und Rang erworben hat, ist sie immer in Gefahr, längere Zeit ganz unbeachtet zu bleiben, oder wenn sie sich anfangs durch eine neue Erscheinungsweise aufgedrungen hat, wieder in Vergessenheit zu geraten. Nur wenn im ununterbrochenen Entwickelungsgange des Wissens die ihr nächst verwandten Gegenstände mehrfach auf sie deuten und sie endlich in die ihr gebührende Stelle aufnehmen, erst dann wird sie, in dem ihr zukommenden Lichte der Wissenschaft stehen, um nie wieder in die Finsternis der Verborgenheit zurückzukehren.

[Wir sagen dem Verfasser aufrichtigen Dank, daß er diese köstlichen Worte so frei und treulich ausspricht; ohne Befolgung des Sinnes derselben blüht kein Heil in unserer Wissenschaft.

Zwei Behandlungsarten dagegen sind zu Hindernis und Verspätung die traurigsten Werkzeuge: entweder man nähert und verknüpft himmelweit entfernte Dinge in düsterer Phantasie und witziger Mystik; oder man vereinzelt das Zusammengehörige durch zersplitternden Unverstand, bemüht sich, nahverwandte Erscheinungen zu sondern, jeder ein eigen Gesetz unterzulegen, woraus sie zu erklären sein soll.

Fern bleibe von uns dieses falsche Beginnen, halten wir aber um desto mehr zusammen, weil wir es andern keineswegs untersagen können.]

Seite 38. Die beschriebenen Figuren im Innern des Auges wecken in mir unwiderstehlich die Erinnerung an die Chladnischen Klangfiguren, und zwar vorzüglich an ihre primäre Form. Ich unterscheide nämlich bei diesen, ebenso wie ich oben die verschiedenen Ordnungen der Würfelfelder als primäre, die aus ihrer wechselseitigen Beschränkung entstehenden Linien als sekundäre Formen unterschied, auch bei den Chladnischen Figuren primäre und sekundäre Gestaltungen. Die ersteren werden durch die bewegten Stellen des tönenden Körpers, die andern durch die ruhenden konstituiert. Mit letzteren hat sich vorzüglich Chladni beschäftigt.

[Wenn wir vorher im Allgemeinen mit dem Verfasser vollkommen übereinstimmten, so freuen wir uns gar sehr, in besonderer Anwendung gleichfalls mit ihm zusammenzutreffen.

Im dritten Hefte unserer Mitteilungen zur Naturlehre Seite 805 konnten wir, bei Behandlung der entoptischen Erscheinungen, uns nicht enthalten, sie den Chladnischen Tonfiguren zu vergleichen. Da wir nun die große Ähnlichkeit beider ausgesprochen, so geben wir gern zu, daß im Auge ein Analogon vorgehe, und wir drücken uns darüber folgendermaßen aus: alles, was den Raum füllt, nimmt, insofern es solidesziert, sogleich eine Gestalt an; diese regelt sich mehr oder weniger und hat gegen die Umgebung gleiche Bezüge mit andern gleichgestalteten Wesen. Wenn nun die Chladnischen Figuren nach eingewirkter Bewegung erst schweben, beben, oszillieren und dann sich beruhigen, so zeigt der entoptische Kubus gleiche Empfindlichkeit gegen die Wirkung des Lichts und die atmosphärische Gegenwirkung.

Wagen wir noch einen Schritt und sprechen: das entoptische Glas, welches wir ja auch als Linse darstellen können, vergleicht sich dem Auge; es ist ein feingetrübtes Wesen, sensibel für direkten und obliquen Widerschein, und zugleich für die zartesten Übergänge empfindlich. Die Acht- Figur im Auge deutet auf das Ähnliche; sie zeigt ein organisches Kreuz, welches hervorzubringen Hell und Dunkel abwechseln müssen. Noch nähere Verhältnisse werden sich entdecken.]

Seite 43. Überall, wo entgegengesetzte, kontinuierlich wirkende Kräfte einander beschränken, entsteht im Wechselsiege der einen über die andere Periodismus in der Zeit, Oszillation im Raume; jener als Vorherrschen der einen Kraft über die andere in verschiedenen Momenten, diese wegen Überwiegen der einen und Zurücktreten der andern an verschiedenen Orten, so daß auch bei einer scheinbaren äußeren Ruhe dennoch die innigste Bewegung in und zwischen den Begrenzungspunkten stattfinden kann.

Seite 92. Die Blendungsbilder.

Es ist ein unabweisbarer Glaube des Naturforschers, daß einer jeden Modifikation des Subjektiven innerhalb der Sinnensphäre jedesmal eine im Objektiven entspreche. Gewiß sind die Sinne die feinsten und erregbarsten Messer und Reagenten der ihnen gehörigen Qualitäten und Verhältnisse der Materie [Hört!], und wir müssen innerhalb des individuellen Kreises des Organismus ebenso die Gesetze der materiellen Welt erforschen wie der Physiker äußerlich durch mannigfaltigen Apparat.

Könnte das Subjektive alle Materie so innig oder noch inniger durchdringen, wie es die Nervenmasse durchdrungen hält, so würden wahrscheinlich unzählbare neue, höchst zarte Modifikationen derselben zur Erscheinung kommen, von denen man es jetzt kaum wagen möchte, eine Ahnung zu fassen.

Seite 103. Das Blendungsgebild verhält sich gegen das äußere Licht wie ein trübes Mittel, was aber in gehöriger Finsternis selbst leuchtend ist.

[Hier, wo die Blendungsbilder zur Sprache kommen, ist wohl billig, dessen zu gedenken, was ich hierüber in meinem Entwurf der Farbenlehre, und zwar in dessen erster Abteilung durchaus, besonders aber § 23 und so fort von gesunden Augen, § 121 und so weiter aber von krankhaften umständlich angezeigt habe.]

Seite 145. Einheit beider Gesichtsfelder. Doppelsehen.

[Aus eigner Erfahrung kann ich folgendes anführen und vorschlagen. Man nehme irgendein Rohr vor das eine Auge und schaue damit, indem man das andere offen behält, gegen einen Stern, so wird man ihn nur einfach erblicken. Nun ,wende man das Rohr von dem Stern ab, so wird derselbe dem freien Auge gleichfalls einfach erscheinen. Nun führe man das Rohr sachte gegen den Stern zu, und es wird derselbe auch am Rande des Gesichtsfeldes abermals und also doppelt erscheinen. Wenn man diese Operation vorsichtig macht, so kann man das doppelte Bild ziemlich weit voneinander bringen und in das Gesichtsfeld des Rohres auffassen, wobei man in dem Wahne steht, man sehe sie beide wirklich durch das Rohr. Es dauert aber nicht lange, so ziehen sie gegeneinander und decken sich. Schließt man zur Zeit, wo man den Stern doppelt durchs Rohr zu sehen glaubt, das äußere Auge, so verschwindet ganz natürlich die Doppelerscheinung, und nur der eine Stern ist sichtbar.

Da ich von Jugend auf meine Augen sehr leicht in den Zustand des Schielens versetzen kann, so ergötze ich mich manchmal an folgendem Phänomen. Ich stellte eine Kerze vor mich hin, und die Augen ins Schielen gewendet, sah ich zwei, welche ich, solange mir beliebte, auseinander halten konnte. Nun aber nahm ich zwei Kerzen und sah daher, sie anschreiend, vier. Diese konnte ich jedoch nicht auseinander halten, denn die zwei mittlern bewegten sich gegeneinander und deckten sich gar bald, so daß ich nunmehr drei sah, deren Beschauung ich nach Belieben verlängern konnte.]

Seite 149. Ich denke mir die Möglichkeit dieser Erscheinung auf folgende Weise. jedes Auge kann, solange das Bewußtsein ganz in dessen besondere Begrenztheit versunken ist, als ein eigenes Individuum genommen werden, welches, in Beziehung auf die Außenwelt, sein Vornen, Oben und Unten, sein Links und Rechts hat. Dasselbe gilt von dem Tastsinne. Alle diese Begriffe aber sind relativ und gelten nur in Rücksicht des Subjekts und seines räumlichen Verhältnisses zum Objekte.

[Das räumliche Verhältnis des Subjekts zum Objekte ist durchaus von der größten Bedeutung. Hierher gehört das Phänomen, daß eine Erbse zwischen kreuzweis gelegten Fingern einer Hand doppelt empfunden wird, und fällt diese Erscheinung mit dem Schielen völlig zusammen. Nun hat jeder Finger sein Rechts und Links, sein Hüben und Drüben, welches zugleich der ganzen Hand angehört. Wenn also der eine Finger die Kugel an der linken Seite fühlt, der andere aber an der rechten Seite, so ist es keine Täuschung, sondern es deutet ganz eigentlich konsequente Bildung des Subjekts zum Objekt an, ohne welche das erstere letzteres keineswegs fassen, noch mit ihm in Verbindung treten könnte.

Eine unnatürliche Richtung gegen die Außenwelt anderer Art ist auch hier, da besonders vom subjektiven Sehen die Rede ist, zu bemerken. wenn man auf einer Höhe stehend bei klarem Himmel einen weiten Gesichtskreis übersieht, so blicke man alsdann niedergebückt durch die Füße oder lehne sich über irgendeine Erderhöhung hinterwärts und schaue so, in beiden Fällen gleichsam auf dem Kopf stehend, nach der Gegend, so wird man sie in der allerhöchsten Farbenpracht erblicken, wie nur auf dem schönsten Bilde des geübtesten, trefflichsten Malers, übrigens nicht etwa umgekehrt, sondern völlig wie beim aufrechten Stande, nur glaub' ich mich zu erinnern, etwas in die Breite gezogen.]

Seite 166. Das Nachbild. Imagination. Gedächtnis des Gesichtsinnes.

Seite 167. Das Nachbild ist genau von dem Blendungsbilde zu unterscheiden. Das Nachbild wird nur durch freie Tätigkeit längere Zeit festgehalten und verschwindet, sobald der Wille nachläßt, kann aber von demselben wieder hervorgerufen werden;, das Blendungsbild schwebt unwillkürlich dem Sinne vor, verschwindet und erscheint wieder aus objektiven Gründen.

Seite 168. Besonders lebhaft ist das Nachbild bei erhöhter Seelentätigkeit, das Blendungsbild hingegen pflegt bei nervöser Stimmung in asthenischern Zustande länger nachzuhalten und verschwindet desto schneller, je energischer das Organ vorn Leben durchströmt wird.

Seite 169. Ich glaube, daß man durch Übung, indem man, nach ergreifender Anschauung des Gegenstandes, das Nachbild immer länger und inniger festhielte, dasselbe wohl der den Sinn belangenden Realität des Urbildes nahe bringen könnte, welche Übung als Vorbildung des Gedächtnisses und der Einbildungskraft nicht unwichtig sein dürfte.

Seite 170: Zunächst diesem ließe sich behaupten, daß Gedächtnis und Einbildungskraft in den Sinnesorganen selbst tätig sind und daß jeder Sinn sein ihm eigentümlich zukommendes Gedächtnis und Einbildungskraft besitze, die als einzelne begrenzte Kräfte der allgemeinen Seelenkraft unterworfen sind.

[Von der Produktivität solcher innern, vor die Augen gerufenen Bilder bliebe mir manches zu erzählen. Ich hatte die Gabe, wenn ich die Augen schloß und mit niedergesenktem Haupte mir in der Mitte des Sehorgans eine Blume dachte, so verharrte sie nicht einen Augenblick in ihrer ersten Gestalt, sondern sie legte sich auseinander, und aus ihrem Innern entfalteten sich wieder neue Blumen aus farbigen, auch wohl grünen Blättern; es waren keine natürlichen Blumen, sondern phantastische, jedoch regelmäßig wie die Rosetten der Bildhauer. Es war unmöglich, die hervorquellende Schöpfung zu fixieren, hingegen dauerte sie so lange, als mir beliebte, ermattete nicht und verstärkte sich nicht. Dasselbe könnt' ich hervorbringen, wenn ich mir den Zierat einer bunt gemalten Scheibe dachte, welcher denn ebenfalls aus der Mitte gegen die Peripherie sich immerfort veränderte, völlig wie die in unsern Tagen erst erfundenen Kaleidoskope. Ich erinnere mich nicht, inwiefern bei dieser regelmäßigen Bewegung eine Zahl zu bemerken gewesen, vermutlich aber bezog sie sich auf den Acht-Strahl, denn nicht weniger Blätter hatten die oben gemeldeten Blumen. Mit andern Gegenständen fiel mir nicht ein, den Versuch zu machen; warum aber diese bereitwillig von selbst hervortraten, mochte darin liegen, daß die vieljährige Betrachtung der Pflanzenmetamorphose, sowie nachheriges Studium der gemalten Scheiben, mich mit diesen Gegenständen ganz durchdrungen hatte; und hier tritt hervor, was Herr Purkinje so bedeutend anregt. Hier ist die Erscheinung des Nachbildes, Gedächtnis, produktive Einbildungskraft, Begriff und Idee alles auf einmal im Spiel und manifestiert sich in der eignen Lebendigkeit des Organs mit vollkommener Freiheit ohne Vorsatz und Leitung.

Hier darf nun unmittelbar die höhere Betrachtung aller bildenden Kunst eintreten; man sieht deutlicher ein, was es heißen wolle, daß Dichter und alle eigentliche Künstler geboren sein müssen. Es muß nämlich ihre innere produktive Kraft jene Nachbildet, die im Organ, in der Erinnerung, in der Einbildungskraft zurückgebliebenen Idole freiwillig ohne Vorsatz und Wollen lebendig hervortun, sie müssen sich entfalten, wachsen, sich ausdehnen und zusammenziehn, um aus flüchtigen Schemen wahrhaft gegenständliche Wesen zu werden. «Wie besonders die Alten mit diesen Idolen begabt gewesen sein müssen, läßt sich aus Demokrits Lehre von den Idolen schließen. Er kann nur aus der eigenen lebendigen Erfahrung seiner Phantasie darauf gekommen sein.» Je größer das Talent, je entschiedener bildet sich gleich anfangs das zu produzierende Bild. Man sehe Zeichnungen von Raffael und Michelangelo, wo auf der Stelle ein strenger Umriß das, was dargestellt werden soll, vorn Grunde loslöst und körperlich einfaßt. Dagegen werden spätere, obgleich treffliche Künstler auf einer Art von Tasten ertappt; es ist öfters, als wenn sie erst durch leichte, aber gleichgültige Züge aufs Papier ein Element erschaffen wollen, woraus nachher Kopf und Haar, Gestalt und Gewand und was sonst noch wie aus dem Ei das Hühnchen sich bilden solle. Von noch spätern Künstlern finden sich wunderbare Beispiele. Ich besitze eine verdienstvolle Federzeichnung, wo, bei Anbetung der Hirten, Mutter und Kind, Joseph und die Schäfer, ja Ochs und Esel, doppelt und dreifach durcheinander spielen. Doch muß man gestehen, daß ein geistreicher Künstler, mit Geschmack bei dieser Gelegenheit verfahren und den vorschwebenden Traum so gut als möglich zu fixieren gesucht. Und so wird sich immer die Entschiedenheit des eingebornen Talents gegen die Velleität eines Dilettanten beweisen, und man sieht daher, wie höchst recht jene Kunstlehrer haben, welche das Skizzieren verwerfen und den scharfen Federumriß einer weichlichen Kreidezeichnung vorziehen. Alles kommt darauf an, das Eigenleben des Auges und der korrepondierenden Finger zu der entschiedensten verbündeten Wirksamkeit heranzusteigern.]