Common-Sense-Philosophie und Symbolischer Interaktionismus: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:ThomasReid.jpg|mini|[[Thomas Reid]] (1710-1796), Porträt von Sir Henry Raeburn (1796)]]
Der '''symbolische Interaktionismus''' ist eine [[Soziologie|soziologische]] Theorie aus der [[Mikrosoziologie]], die sich mit der [[Interaktion]] zwischen Personen beschäftigt. Diese [[Handlungstheorie (Soziologie)|Handlungstheorie]] basiert auf dem Grundgedanken, dass die Bedeutung von sozialen Objekten, Situationen und Beziehungen im [[symbol]]isch vermittelten Prozess der Interaktion/Kommunikation hervorgebracht wird (''siehe auch:'' [[Handeln]] und [[Soziales Handeln]], [[Symbolische Kommunikation]]).<ref>[http://www.soziologie.phil.uni-erlangen.de/system/files/22.11._symbolischer_interaktionismus_nach_h._blumer.pdf Jakob Krüger: ''Symbolischer Interaktionismus nach Herbert Blumer – Grundsätze und Methoden.'' Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Soziologie, WS 2010/11]</ref>
[[Datei:Five men; Robert Burns, Richard Baxter, Francis Bacon, Wellcome L0038353.jpg|mini|[[Wikipedia:James Beattie (Schriftsteller)|James Beattie]] (1735–1803)]]
[[Datei:Portrait of Thomas Paine.jpg|mini|[[Wikipedia:Thomas Paine|Thomas Paine]] (1737-1809)]]
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[[Datei:William Hamilton b1788.jpg|mini|[[Wikipedia:William Hamilton (Philosoph)|William Hamilton]] (1788–1856)]]
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Die '''Common-Sense-Philosophie''' ging als Frucht der [[Aufklärung]] im [[Wikipedia:18. Jahrhundert|18.]] und [[Wikipedia:19. Jahrhundert|19. Jahrhundert]] von [[Wikipedia:Schottland|Schottland]] aus, weshalb auch die Bezeichnung '''Schottische Schule''' ({{EnS|}} '''Scottish Common Sense Realism''', '''Scottish School of Common Sense''') gebräuchlich ist. Sie vertrat einen [[Naiver Realismus|naiven Realismus]] und sah den „[[common sense]]“ als natürliche Grundlage des [[Philosophie|philosophischen]] [[Denken]]s an. Dem ''common sense'' entspricht dabei im [[Deutsche Sprache|Deutschen]] in etwa der [[Gesunder Menschenverstand|gesundene Menschenverstand]], verbunden mit einem auf das [[Gemeinwohl]] gerichteten Denken, Fühlen und Handeln ([[Gemeinsinn]]).


Die Common-Sense-Philosophie richtete sich vor allem gegen den von [[David Hume]] vertretenen [[England|englichen]] [[Skeptizismus]] und gegen den [[Frankreich|französischen]] [[Materialismus]]. Als ihr eigentlicher Begründer gilt der schottische [[Philosoph]] [[Thomas Reid]] (1710-1796), der mit seiner [[Wikipedia:1764|1764]] veröffentlichten Schrift „''Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense''“ (''Untersuchung über den menschlichen Geist, nach den Grundsätzen des gemeinen Menschenverstandes'') seinem Zeitgenossen Hume entschlossen entgegentrat.
== Grundlagen ==
Die Schule des symbolischen Interaktionismus wurde von [[Herbert Blumer]] (1900–1987) begründet. Blumer war ein Schüler des Sozialphilosophen und frühen Sozialpsychologen [[George Herbert Mead]] (1863–1931). Als Blumer den Symbolischen Interaktionismus ausarbeitete, orientierte er sich vor allem an Meads Überlegungen zur stammesgeschichtlichen (''[[Phylogenese|phylogenetischen]]'') Bildung des Bewusstseins und persönlichen (''[[Ontogenese|ontogenetischen]]'') Entwicklung der Identität unter Verwendung einer gemeinsamen Sprache: „Logisches Universum signifikanter Symbole“ (siehe auch [[John Cunningham Lilly]]). Auch der amerikanische Soziologe [[Charles Cooley]] (1864–1929) trug mit seinen Überlegungen zur Entstehung der Theorie des symbolischen Interaktionismus bei, seine These (im Anschluss an [[Sozialpsychologie|sozialpsychologische]] Vorarbeiten von [[William James]], [[John Dewey]] und [[James Mark Baldwin]]) war, dass das Individuum schon geistig (mental) ein soziales Wesen sei; die abstrakte, begriffliche Gegenüberstellung von Individuum/Gesellschaft sei fehlgeleitete [[Metaphysik]]. Gesellschaft fasste er ebenfalls mental auf, insofern sie aus den geistigen Vorstellungen besteht, die aus den sozialen Interaktionen und Kommunikationen herauswachsen.<ref>Robert Cooley Angell: ''Introduction.'' In: ''The Two Major Works of Charles H. Cooley. Social Organization. Human Nature and the Social Order.'' With an Introduction of Robert Cooley Angell. The Free Press, Glencoe, Ill. 1956. S. xvi.</ref>


{{Zitat|Der moderne Skeptizismus ist der natürliche Nachwuchs des neues System; und obwohl das System dieses Monster bis zum Jahr 1739 nicht geboren hat, als Humes „Abhandlung über die menschliche Natur“ veröffentlicht wurde, kann man sagen, dass sie in seinem Schoß von Anfang getragen wurde.
== George H. Meads Überlegungen als Grundlage zum Symbolischen Interaktionismus ==


Das alte System akzeptierte alle Prinzipien des Common Sense als erste Prinzipien, ohne dass sie nachgewiesen werden müssen; und deshalb, obwohl seine Argumentation häufig vage war, analog und dunkel, wurde es auf einem breiten Fundament gebaut und hatte keine Neigung zur Skeptizismus.|Thomas Reid|''Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense'' (1764), Kapitel 7|ref=<ref>„Modern scepticism is the natural offspring of the new system; and although the system didn’t give birth to this monster until the year 1739 when Hume’s Treatise of Human Nature was published, it can be said to have carried it in its womb from the beginning.<br />
=== Der Mensch als soziales Wesen ===
The old system accepted all the principles of common sense as first principles, without requiring any proof of them; and therefore, though its reasoning was commonly vague, analogical and dark, it was built on a broad foundation and had no tendency to scepticism.“<br />
[[Thomas Reid]]: [http://www.earlymoderntexts.com/authors/reid ''Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense''], Glasgow & London 1764  [http://www.earlymoderntexts.com/assets/pdfs/reid1764.pdf pdf] [https://archive.org/details/inquiryintohuman00reidiala archive.org]
(deutsch: ''Thomas Reid's Untersuchung über den menschlichen Geist, nach den Grundsätzen des gemeinen Menschenverstandes''. Aus d. Engl., nach d. 3.&nbsp;Aufl. übers., Leipzig, im Schwickertschen Verlage, 1782 [https://books.google.at/books?id=js0AAAAAcAAJ google])</ref>}}


[[Rudolf Steiner]] schreibt über Reid:
Selbstbewusstsein/Identität und die Fähigkeit zum Denken entwickelt der Mensch erst innerhalb und mithilfe sozialer Beziehungen. Dementsprechend sind Individuum und Gesellschaft prozesshaft verwoben und bedingen sich gegenseitig.
Mead postuliert, dass Kommunikation der Faktor ist, der die Entwicklung des Menschen als soziales Wesen bedingt, weil die typische menschliche Kommunikation und Interaktion über „signifikante Symbole“ stattfindet. Diese Symbole sind Allgemeinbegriffe, d.&nbsp;h. dass das Symbol bei einem selbst das Gleiche auslöst wie bei den Anderen. Der Sinn oder die Bedeutung eines Symbols wird von allen Mitgliedern der Gesellschaft gleich interpretiert.


{{GZ|Vor dem Eingange der Weltanschauungsentwickelung
Ein Beispiel dafür wäre eine Situation, in der jemand „Feuer!“ schreit. Die Menschen interpretieren das Wort, da es ein Allgemeinbegriff ist, gleich und reagieren und handeln deshalb in der Situation auch gleich. Soziale Interaktion wird durch den symbolischen Interaktionismus möglich. Er setzt voraus, dass man die Fremdperspektive einnehmen und verinnerlichen und sich selbst aus der Fremdperspektive betrachten kann.
des neunzehnten Jahrhunderts steht in England ''Thomas Reid'' (1710—1796). Es bildet den Grundzug der Überzeugung
dieses Mannes, was auch Goethe als seine Anschauung
mit den Worten ausspricht: «Es sind am Ende
doch nur, wie mich dünkt, die praktischen und sich selbst
rektifizierenden Operationen des gemeinen Menschenverstandes,
der sich in einer höheren Sphäre zu üben wagt.»
(Vgl. Goethes Werke, Band 36, S. 595 in Kürschners
Deutscher National-Literatur.) Dieser gemeine Menschenverstand
zweifelt nicht daran, daß er es mit wirklichen,
wesenhaften Dingen und Vorgängen zu tun habe, wenn
er die Tatsachen der Welt betrachtet. Reid sieht nur eine
solche Weltanschauung für lebensfähig an, die an dieser
Grundansicht des gesunden Menschenverstandes festhält.
Wenn man selbst zugäbe, daß uns unsere Beobachtung
täuschen könne, und das wahre Wesen der Dinge ein ganz
anderes wäre als uns Sinne und Verstand sagen, so brauchten
wir uns um eine solche Möglichkeit nicht zu kümmern.
Wir kommen im Leben nur zurecht, wenn wir unserer Beobachtung
glauben; alles weitere geht uns nichts an. Von
diesem Gesichtspunkte aus glaubt Reid zu wirklich befriedigenden
Wahrheiten zu kommen. Er sucht nicht durch
komplizierte Denkverrichtungen zu einer Anschauung über
die Dinge zu kommen, sondern durch Zurückgehen auf
die von der Seele instinktiv angenommenen Ansichten.
Und instinktiv, unbewußt, besitzt die Seele schon das
Richtige, bevor sie es unternimmt, mit der Fackel des Bewußtseins
in ihre eigene Wesenheit hineinzuleuchten. Instinktiv
weiß sie, was sie von den Eigenschaften und Vorgängen
in der Körperwelt zu halten hat; instinktiv ist ihr
aber auch die Richtung ihres moralischen Verhaltens, ein
Urteil über Gut und Böse eigen. Reid lenkt das Denken,
durch seine Berufung auf die dem gesunden Menschenverstand
eingeborenen Wahrheiten, auf die Beobachtung der
Seele hin. Dieser Zug nach Seelenbeobachtung bleibt fortan
der englischen Weltanschauungsentwickelung eigen.|18|445f}}


Der schottische Dichter und [[Moralphilosoph]] [[Wikipedia:James Beattie (Schriftsteller)|James Beattie]] (1735–1803) beschrieb 1770 in seinem Hauptwerk „''Ein Essay über die Natur und Unveränderlichkeit der Wahrheit''“<ref>James Beattie: ''An Essay on the Nature and Immutability of Truth, in Opposition to Sophistry and Scepticism'', 1770 [https://books.google.at/books?id=xDj74ukDEh8C google]</ref> (''An Essay on the Nature and Immutability of Truth'') den ''common sense'' als instinktive und durch Erziehung nicht veränderbare Fähigkeit, selbstevidente Wahrheiten wahrzunehmen. Auch er wandte sich entschieden gegen den Skeptizismus David Humes und kritisierte insbesondere auch den in dessen Essay „''Of National Characters''“ vertretenen [[Rassismus]] und argumentierte in „''Elements of Moral Science''“<ref>James Beattie: ''Elements of Moral Science'', 2 Bände, 1790–1793 [https://archive.org/details/elementsmoralsci01beatiala Volume 1] [https://archive.org/details/elementsofmoral02beat Volume 2]</ref> gegen die Sklaverei - auch die Briten und Franzosen seien vor 2000 Jahren noch „Wilde“ gewesen.
===Sozialisation bei Mead===


[[Wikipedia:Thomas Paine|Thomas Paine]] (1737-1809), einer der [[Wikipedia:Gründerväter der Vereinigten Staaten|Gründerväter der Vereinigten Staaten]], verurteilte in seiner 1775 veröffentlichten  Schrift „''African Slavery In America''“ wie Beattie die Sklaverei. 1776 griff er während des [[Wikipedia:Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg|Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs]] (1775-1783) in seiner Schrift „''Common Sense''“ die Kolonialpolitik des englischen Königs Georg III. mit scharfen Worten an.
Sozialisation wird bei Mead verstanden als ein Prozess der Entwicklung der Persönlichkeit und Integration in die Gesellschaft. Erst in der organisierten Gemeinschaft oder gesellschaftlichen Gruppe entwickelt der Einzelne eine einheitliche Identität. Ein „generalisierter Anderer“ spielt eine Rolle bei der Sozialisation. Er übt prägenden Einfluss auf den Einzelnen aus. Merkmale eines „generalisierten Anderen“ sind ''emotionale Besetzung, permanente Interaktion'' und ''Machtgefälle''. Beispiele sind Eltern und Lehrer.
Das Kind wird zu einem Mitglied der Gesellschaft, indem es die Rollen und Einstellungen der „konkreten Anderen“ und somit die Moral und die Normen der Gesellschaft bis zu einem gewissen – individuell verschiedenen – Grad übernimmt (siehe [[Selbstkonzept]]).


Der schottische Philosoph und [[Mathematik]]er [[Wikipedia:Dugald Stewart (Philosoph)|Dugald Stewart]] (1753–1828) warnte allerdings davor, das Prinzip des Common-Sense zu überspannen und schlug vor, nur die allgemeinsten Voraussetzungen, z.B. bezüglich der Existenz der [[materiell]]en [[Dinge]], anzuerkennen. Besser sei es zumeist, von ''Prinzipien des menschlichen Glaubens'' zu sprechen.<ref>[[Wikipedia:Dugald Stewart (Philosoph)|Dugald Stewart]]: ''[http://books.google.de/books?id=lnRBAAAAIAAJ&printsec=titlepage Philosophical essays]'', Edinburgh 1810</ref><ref>Dugald Stewart: ''[http://books.google.de/books?id=3EOhw-djgh0C&printsec=frontcover The Collected Works of Dugald Stewart]'', Gesamtausgabe hrsg. von [[Wikipedia:William Hamilton (Philosoph)|William Hamilton]], 11 Bände, Edinburgh/London 1854 - 60</ref>
=== Sozialisation als Prozess der Identitätsbildung ===


[[Wikipedia:William Hamilton (Philosoph)|William Hamilton]] (1788–1856) knüpfte die ''Common-Sense-Philosophie'' an die [[Transzendentalphilosophie]] [[Immanuel Kant]]s (1724-1804) an, der in seinem [[Wikipedia:1784|1784]] verfassten Aufsatz „''[[Wikipedia:Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung|Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung]]''“ den Leitgedanken der Aufklärung so charakterisiert hatte: „''Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!''“ Sinngemäß findet sich dieser Ausspruch als „[[sapere aude!]]“ („Wage es, weise zu sein!“<ref>[[Wikipedia:Georg Büchmann|Georg Büchmann]]: ''Geflügelte Worte. Der klassische Zitatenschatz''. 39. Auflage, neu bearbeitet von Winfried Hofmann. Ullstein, Frankfurt am Main/Berlin 1993, S. 330.</ref>) schon 20 v. Chr. bei dem römischen Dichter [[Wikipedia:Horaz|Horaz]]. In seiner [[Wikipedia:1790|1790]] erschienen „[[Wikipedia:Kritik der Urteilskraft|Kritik der Urteilskraft]]“ formulierte [[Kant]] drei Maximen des ''gesunden Menschenverstands'': „''1. Selbstdenken; 2. An der Stelle jedes andern denken; 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken.''“<ref>Immanuel Kant: ''Kritik der Urteilskraft''. Akademieausgabe von Immanuel Kants Gesammelten Werken, Band V, [https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/Kant/aa05/294.html S.294f]</ref> Für seine Anknüpfung an die deutsche Philosophie wurde Hamilton später vielfach kritisiert, insbesonder von [[John Stuart Mill]] (1806-1873).
Durch die Übernahme der Haltungen der anderen entwickelt sich bei den Menschen die Identität und konsistentes Selbstbewusstsein. Eine Identität eines Menschen besteht aus elementaren Identitäten, die den verschiedenen Aspekten des gesellschaftlichen Prozesses entsprechen. Die Struktur der vollständigen Identität ist somit eine Spiegelung des vollständigen gesellschaftlichen Prozesses. So wird die Identität nur möglich, wenn ein Mensch in einer Gemeinschaft oder in einer gesellschaftlichen Gruppe lebt.  


Im [[angelsächsisch]]en Sprachraum genießt der ''common sense'' hohe Anerkennung, namentlich im amerikanischen [[Pragmatismus]] und im ''Critical Commonsensism'' von [[Charles Sanders Peirce]] und in der [[Ordinary Language Philosophy]]. Der britische Philosoph [[George Edward Moore]] (1873-1958), einer der Väter der [[Analytische Philosophie|analytischen Philosophie]], verteidigte ihn insbesondere in seiner [[Wikipedia:1925|1925]] erschienen Schrift „''A Defence of Common Sense''“ („''Eine Verteidigung des Common Sense''“):
Mead unterscheidet drei Stufen von Entwicklungen der Rollenübernahme, die sich nach Komplexität unterscheiden:


{{Zitat|Ich bin einer jener Philosophen, die dafürhalten, dass die ‚Common Sense Sicht der Welt‘ - bezüglich bestimmter grundlegender Eigenschaften - ''vollkommen'' wahr ist. Aber es muss daran erinnert werden, wie ich meine, dass alle Philosophen, ohne Ausnahme, darin mit mir übereinstimmen: Und dass die reale Differenz, die gemeinhin auf diese Weise ausgedrückt wird, nur eine Differenz zu solchen Philosophen ist, die darüber hinaus ''auch'' Ansichten vertreten haben, die mit diesen Eigenschaften der ‚Common Sense Sicht der Welt‘ nicht vereinbar sind. |George E. Moore|''A Defence of Common Sense''|ref=<ref>„I am one of those philosophers who have held that the 'Common Sense view of the world' is, in certain fundamental features, wholly true. But it must be remembered that, according to me, all philosophers, without exception, have agreed with me in holding this: and that the real difference, which is commonly expressed in this way, is only a difference between those philosophers, who have also held views inconsistent with these features in 'the Common Sense view of the world', and those who have not.“<br />George Edward Moore: [http://selfpace.uconn.edu/class/ana/MooreDefense.pdf ''A Defence of Common Sense''], 1925</ref>}}
# Nachahmendes Rollenspiel (''play'')
#:Bezugspunkt der [[Perspektivenübernahme]] ist dabei ein individueller Anderer und Orientierungsgrundlage des Handelns sind antizipierte Handlungen. „Play“ ist nach Mead eine spielerische Interaktion des Kindes mit einem imaginären Freund. Dies ist die einfachste Form der [[Rollenübernahme]]. Diese Stufe der Identitätsbildung erreicht ein Kind, wenn es variable Rollen übernehmen kann, z.&nbsp;B. wenn es einen Indianer oder Verkäufer spielt. Dadurch haben Kinder zwei elementare Identitäten: ihre eigene und die gespielte Identität. Eine voll entwickelte Identität haben sie aber noch nicht, weil die Reize in diesem Stadium noch nicht organisiert sind. Die Rollenübernahme findet also nacheinander statt, nicht gleichzeitig.
# Regelgerechte Kooperation (''game'')
#:Das organisierte Spiel (Wettkampf) repräsentiert im Leben des Kindes den Übergang von der spielerischen Übernahme der Rolle anderer zur organisierten Rollenübernahme mehrerer anderer, die für das Identitätsbewusstsein entscheidend ist.
#:Im "game" muss die Person verschiedene Rollen in einer systematischen Ordnung wahrnehmen und sich darauf beziehen lernen. Dies bedeutet, dass ein Kind die Haltung aller am Spiel beteiligten Personen übernehmen und diese Rollen in Beziehung zueinander setzen muss.
#:Bei dieser Stufe ist der Bezugspunkt der Perspektivenübernahme die begrenzte Gemeinschaft, in der das Kind sich befindet. Dabei handelt das Kind unter Berücksichtigung der gemeinschaftsspezifischen Normen ("Spielregeln").
#:Beispiel Baseball:
#:Bevor ein Kind einen bestimmten Wurf macht, so muss es, um ein erfolgreiches Spiel zu leisten, wissen, wie die anderen Teilnehmer auf seine Handlung reagieren werden. Dies wird erst möglich, wenn es sich in die verschiedenen Rollen (z.&nbsp;B. des Fängers und des Werfers) hineinversetzt. Die Reaktionen der anderen müssen so organisiert sein, dass die Haltung des einen Spielers die Haltung des anderen auslöst.  
# Universelle Kooperation und Verständigung
#:Bezugspunkt der Perspektivenübernahme ist hier die universelle menschliche Gesellschaft (universeller Anderer), sozusagen eine Weltgesellschaft. Das Handeln soll dabei nach einem Universalisierungsprinzip ablaufen. Dafür müssen gemeinsame Normen und Symbole geschaffen werden, damit ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Gesellschaften entsteht.


==Literatur==
===Persönlichkeitstheorie===


* [[Thomas Reid]]: ''Untersuchung des menschlichen Geistes entsprechend den Prinzipien des gesunden Menschenverstandes''. Hg. [[Wikipedia:Hans-Peter Schütt|Hans-Peter Schütt]]. [[Wikipedia:Manutius Verlag|Manutius Verlag]], Heidelberg 1992 ISBN 3-925678-27-1 (Zuerst 1764)
Identität entwickelt sich immer in Wechselwirkung mit der Gesellschaft. Auf der Ebene der Persönlichkeit unterscheidet Mead zwei zentrale Instanzen, die im Zusammenspiel gleichzeitig Handlung koordinieren und Identität konstituieren. Diese Instanzen des Selbst nennt Mead „me“ und „I“ (deutsch häufig mit „ICH“ und „ich“ übersetzt).
* [[Wikipedia:Paul Henri Thiry d’Holbach|Paul Henri Thiry d’Holbach]]: ''Der gesunde Menschenverstand.'' Nach der Übers. von [[Wikipedia:Samuel Ludvigh|Samuel Ludvigh]], Hg. und Kommentar Gottfried Beyvers, Angelika Penzkofer-Beyvers. [[Wikipedia:Alibri Verlag|Alibri Verlag]], Aschaffenburg 2016 ISBN 3865692346 (Zuerst 1772)
* [[George Edward Moore]]: ''Eine Verteidigung des Common Sense. Fünf Aufsätze aus den Jahren 1903–1941'' (Orig. „A Defense of Common Sense“, 1925). Suhrkamp, Frankfurt 1969
*Rudolf Steiner: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X {{Schriften|018}}


{{GA}}
Das „I“ (personales Selbst) bezeichnet Spontanität, Kreativität und das einmalig Subjektive. Diese Instanz stellt eine stellungnehmende Reaktion auf die Haltungen Anderer zur eigenen Person dar.  Häufig wird dieser Aspekt mit der Triebausstattung des Menschen verglichen.
 
Das „me“ (soziales Selbst) bezeichnet die Vorstellung von dem Bild, das andere von mir haben, die Verinnerlichung ihrer Erwartungen an mich. Es ist Bewertungsinstanz für die Strukturierung der spontanen Impulse. Es handelt sich also um den sozialen Aspekt der Identität.
Für die Erwartungen eines jeden Anderen entwickelt sich entsprechend eine Ausprägung des „me“, also eine soziale Repräsentation des Bildes von einem selbst. Im Laufe der Ontogenese werden diese verschiedenen Perspektiven in ständigem Dialog mit dem „I“ zu einem abstrakten Gesamtbild synthetisiert.
 
Die beiden Teile befinden sich ständig im inneren Dialog. Der innere Dialog entscheidet über weitere Handlungen und über die Entwicklung einer Person. Der Ausgang des inneren Dialogs ist aber zunächst offen, weil die Gewichtung zwischen „me“ und „I“ von mehreren Faktoren abhängt. Laut Mead verändert und reorganisiert sich die eigene Identität im Laufe des Lebens immer wieder neu und ist somit ein aktiver Prozess (Sozialisation).
 
=== Phasen des Selbst im inneren Dialog ===
Phase I: Handlungsentwurf des Individuums („I“)
         
Phase II: Stellungnahme aus der Perspektive des generalisierten anderen („me“)
 
Phase III: Stellungnahme und Entscheidung des Individuums („Self“)
 
== Symbolischer Interaktionismus nach Herbert Blumer ==
 
=== Grundannahmen ===
[[Herbert Blumer|Blumer]] stellte 1969 folgende Grundannahmen zum Symbolischen Interaktionismus auf:
# Menschen handeln gegenüber Dingen auf der Grundlage der Bedeutungen, die diese Dinge für sie besitzen.
# Die Bedeutung der Dinge entsteht durch soziale Interaktion.
# Die Bedeutungen werden durch einen interpretativen Prozess verändert, den die Person in ihrer Auseinandersetzung mit den ihr begegnenden Dingen benutzt.
 
Weitere Grundannahmen :
 
* Menschen erschaffen die Erfahrungswelt, in der sie leben.
* Die Bedeutungen dieser Welten sind das Ergebnis von Interaktionen und werden durch die von den Personen jeweils situativ eingebrachten selbstreflexiven Momente mitgestaltet.
* Die Interaktion der Personen mit sich selbst ist mit der sozialen Interaktion verwoben und beeinflusst sie ihrerseits.
* Formierung und Auflösung, Konflikte und Verschmelzungen gemeinsamer Handlungen konstituieren das soziale Leben der menschlichen Gesellschaft.
* Ein komplexer Interpretationsprozess erzeugt und prägt die Bedeutung der Dinge für die Menschen.
 
=== Soziales und individuelles Handeln ===
Interaktionisten erforschen das alltägliche Leben, "doing everyday life"<ref>{{Literatur|Autor=Dellwing, Michael; Prus, Robert|Titel=Einführung in die interaktionistische Ethnografie|Hrsg=|Sammelwerk=|Band=|Nummer=|Auflage=1. Auflage|Verlag=Springer VS|Ort=Wiesbaden|Datum=2012|Seiten=23f.|ISBN=978-3-531-18268-1}}</ref>. Im Alltag handeln die Menschen auf der Grundlage dessen, was sie wahrnehmen, wie sie das Wahrgenommene einschätzen und interpretieren. Die Wahrnehmung der Bedeutung eines Gegenstands ist eine Zuschreibung von Bedeutung. Das bedeutet, dass in einem Vorgang sozialer Aushandlung diese Wahrnehmung als hinreichend akzeptiert wurde. Diese Interpretation menschlichen [[Handeln]]s lässt sich ebenso auf gemeinsames, kollektives Handeln anwenden, an dem eine Vielzahl von [[Akteur]]en bzw. Individuen beteiligt sind. Gesellschaftliches Handeln (im wörtlichen Sinne, d.&nbsp;h. Handeln in einer Gesellschaft bzw. in einem sozialen Umfeld) lässt sich somit nach Blumer immer als [[soziales Handeln]] benennen. Da gesellschaftliches Handeln immer von Individuen ausgeht, ist es durch den symbolischen Interaktionismus möglich, dieses Handeln sowohl in seinem gemeinsamen, kollektiven Charakter zu betrachten wie auch in seinem individuellen, d.&nbsp;h. durch die symbolischen Interaktionen einzelner Individuen konstituierten Komponenten.
 
===Menschliches Zusammenleben===
 
Kollektives Handeln stellt für den symbolischen Interaktionismus immer das Ergebnis bzw.&nbsp;den Verlauf eines [[sozialer Prozess|Prozesses]] gegenseitig interpretierender Interaktionen dar. Menschliches Zusammenleben besteht also in dem gegenseitigen Aufeinanderabstimmen der Handlungen durch die Beteiligten, wobei der Charakter der gemeinsamen Handlungen sich aus der Beziehung der Beteiligten ergibt.<br>
Das gemeinsame Handeln, welches Blumer auch als das „verbundene Handeln der Gesamtheit“ bezeichnet, ist somit immer die Gesamtheit der Verkettungen / Aufeinanderabstimmungen einzelner Handlungen der Individuen und somit das Ergebnis einer fortwährend ablaufenden, niemals abgeschlossenen Entwicklung.<br>
 
=== Deutungen ===
 
Wenn man diejenigen Fälle betrachtet, in denen das gemeinsame Handeln wiederkehrend und stabil ist (also gesellschaftlich gefestigte, sich wiederholende Muster gemeinsamen Handelns), so haben die an der jeweiligen Situation beteiligten Menschen im Voraus ein Verständnis davon, wie sie und andere handeln wollen und wahrscheinlich werden. Dieses Verständnis ergibt sich aus den gemeinsamen, schon bestehenden [[Deutungsmuster]]n bzw. Deutungen dessen, was von der Handlung eines Teilnehmers einer Situation zu erwarten ist. Aufgrund ebendieses Verständnisses ist jeder Teilnehmer in der Lage, sein eigenes Verhalten auf der Grundlage dieser Deutungen zu steuern.
 
=== Das Entstehen von sozialen Normen und Regeln ===
Hierbei besteht die Gefahr, Ursache und Wirkung dahingehend zu vertauschen, dass man zu dem Schluss kommen könnte, es seien die [[Soziale Norm|Norm]]en, Regeln, [[Wertvorstellung|Werte]] und [[Sanktion]]en, welche das Handeln der Menschen bestimmen oder determinieren. Und zwar indem sie vorschreiben, wie Menschen in den unterschiedlichsten Situationen zu handeln haben.
 
Jedoch werden laut Blumer die Interaktionen der Teilnehmer einer Situation nicht von den Werten und Normen vorherbestimmt; sondern die Werte und Normen werden erst durch das kontinuierliche Aushandeln von [[Bedeutung]]en in den Interaktionen der Teilnehmer [[Wikipedia:Konstituierung|konstituiert]].<br>
Dies gilt auch wenn die Handlungen konsistent bleiben. Denn auch wenn es sich um eine dauerhaft bestehende und wiederkehrende Form gemeinsamen Handelns dreht, muss jede einzelne Wiederholung einer solchen gemeinsamen Handlung erneut entwickelt werden. Wenn sich die Handlung wiederholt, so tun die Teilnehmer dies, indem sie dieselben Bedeutungen wiederkehrend und konstant benutzen.
 
Akzeptiert man die ständige Neubildung von Handlungen und Deutungen, auch wiederkehrender, bedeutet dies gleichsam eine Verschiebung der Perspektive. Folglich ist es nicht die gemeinsame Handlung, die sich einer immer schon vorhandenen („über allem schwebenden“) Regel oder Norm unterordnet. Blumer geht davon aus, dass die Regeln und Normen dann entstehen, wenn Bedeutungen ausgehandelt werden und die gemeinsame Handlung konstruiert wird.
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Symbolischer Interaktionismus}}
* {{WikipediaDE|Cooleys Beitrag zum Symbolischen Interaktionismus}}
 
== Literatur ==
 
* Herbert Blumer: ''Symbolic Interactionism. Perspective and Method'', Englewood Cliffs, New Jersey 1969
* Herbert Blumer: ''Der methodologische Standort des symbolischen Interaktionismus''. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): ''Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit'', Bd. 1, Rowohlt, Reinbek 1973 (1981 ISBN 3-531-22054-3)
* Stuart Hall: ''Interaktion, Identität, Repräsentation. Gesammelte Schriften Bd. 4'', Argument Verlag, Hamburg ²2008 (ISBN 3-886-19326-8)
* Hans Joas: ''Praktische Intersubjektivität. Die Entwicklung des Werkes von G. H. Mead'', Frankfurt am Main 1989, S. 91–119.
* Dirk Kaesler, Ludgera Vogt (Hgg.): ''Hauptwerke der Soziologie'', Stuttgart 2000, S. 298–299.
* George Herbert Mead: ''Geist, Identität und Gesellschaft'', Frankfurt am Main 1978, S. 187–221.
* Michael Dellwing, Robert Prus: ''Einführung in die interaktionistische Ethnografie. Soziologie im Außendienst.'' Wiesbaden 2012, S. 23f.
 
== Weblinks ==
* [http://www.philso.uni-augsburg.de/lehrstuehle/soziologie/sozio1/medienverzeichnis/Bosancic_WS_07_08/GK_Di_PP_symb_interaktionismus.pdf Interaktion und abweichendes Verhalten. Universität Augsburg]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />


<references />
[[Kategorie:Soziologische Theorie]]
[[Kategorie:Soziologische Forschungsrichtung]]
[[Kategorie:Sozialpsychologie]]
[[Kategorie:Kommunikationsmodell]]
[[Kategorie:Pragmatismus]]
[[Kategorie:Interaktion]]


[[Kategorie:Philosophie]]
{{Wikipedia}}
[[Kategorie:Naiver Realismus]]

Version vom 12. August 2018, 00:22 Uhr

Der symbolische Interaktionismus ist eine soziologische Theorie aus der Mikrosoziologie, die sich mit der Interaktion zwischen Personen beschäftigt. Diese Handlungstheorie basiert auf dem Grundgedanken, dass die Bedeutung von sozialen Objekten, Situationen und Beziehungen im symbolisch vermittelten Prozess der Interaktion/Kommunikation hervorgebracht wird (siehe auch: Handeln und Soziales Handeln, Symbolische Kommunikation).[1]

Grundlagen

Die Schule des symbolischen Interaktionismus wurde von Herbert Blumer (1900–1987) begründet. Blumer war ein Schüler des Sozialphilosophen und frühen Sozialpsychologen George Herbert Mead (1863–1931). Als Blumer den Symbolischen Interaktionismus ausarbeitete, orientierte er sich vor allem an Meads Überlegungen zur stammesgeschichtlichen (phylogenetischen) Bildung des Bewusstseins und persönlichen (ontogenetischen) Entwicklung der Identität unter Verwendung einer gemeinsamen Sprache: „Logisches Universum signifikanter Symbole“ (siehe auch John Cunningham Lilly). Auch der amerikanische Soziologe Charles Cooley (1864–1929) trug mit seinen Überlegungen zur Entstehung der Theorie des symbolischen Interaktionismus bei, seine These (im Anschluss an sozialpsychologische Vorarbeiten von William James, John Dewey und James Mark Baldwin) war, dass das Individuum schon geistig (mental) ein soziales Wesen sei; die abstrakte, begriffliche Gegenüberstellung von Individuum/Gesellschaft sei fehlgeleitete Metaphysik. Gesellschaft fasste er ebenfalls mental auf, insofern sie aus den geistigen Vorstellungen besteht, die aus den sozialen Interaktionen und Kommunikationen herauswachsen.[2]

George H. Meads Überlegungen als Grundlage zum Symbolischen Interaktionismus

Der Mensch als soziales Wesen

Selbstbewusstsein/Identität und die Fähigkeit zum Denken entwickelt der Mensch erst innerhalb und mithilfe sozialer Beziehungen. Dementsprechend sind Individuum und Gesellschaft prozesshaft verwoben und bedingen sich gegenseitig.

Mead postuliert, dass Kommunikation der Faktor ist, der die Entwicklung des Menschen als soziales Wesen bedingt, weil die typische menschliche Kommunikation und Interaktion über „signifikante Symbole“ stattfindet. Diese Symbole sind Allgemeinbegriffe, d. h. dass das Symbol bei einem selbst das Gleiche auslöst wie bei den Anderen. Der Sinn oder die Bedeutung eines Symbols wird von allen Mitgliedern der Gesellschaft gleich interpretiert.

Ein Beispiel dafür wäre eine Situation, in der jemand „Feuer!“ schreit. Die Menschen interpretieren das Wort, da es ein Allgemeinbegriff ist, gleich und reagieren und handeln deshalb in der Situation auch gleich. Soziale Interaktion wird durch den symbolischen Interaktionismus möglich. Er setzt voraus, dass man die Fremdperspektive einnehmen und verinnerlichen und sich selbst aus der Fremdperspektive betrachten kann.

Sozialisation bei Mead

Sozialisation wird bei Mead verstanden als ein Prozess der Entwicklung der Persönlichkeit und Integration in die Gesellschaft. Erst in der organisierten Gemeinschaft oder gesellschaftlichen Gruppe entwickelt der Einzelne eine einheitliche Identität. Ein „generalisierter Anderer“ spielt eine Rolle bei der Sozialisation. Er übt prägenden Einfluss auf den Einzelnen aus. Merkmale eines „generalisierten Anderen“ sind emotionale Besetzung, permanente Interaktion und Machtgefälle. Beispiele sind Eltern und Lehrer.

Das Kind wird zu einem Mitglied der Gesellschaft, indem es die Rollen und Einstellungen der „konkreten Anderen“ und somit die Moral und die Normen der Gesellschaft bis zu einem gewissen – individuell verschiedenen – Grad übernimmt (siehe Selbstkonzept).

Sozialisation als Prozess der Identitätsbildung

Durch die Übernahme der Haltungen der anderen entwickelt sich bei den Menschen die Identität und konsistentes Selbstbewusstsein. Eine Identität eines Menschen besteht aus elementaren Identitäten, die den verschiedenen Aspekten des gesellschaftlichen Prozesses entsprechen. Die Struktur der vollständigen Identität ist somit eine Spiegelung des vollständigen gesellschaftlichen Prozesses. So wird die Identität nur möglich, wenn ein Mensch in einer Gemeinschaft oder in einer gesellschaftlichen Gruppe lebt.

Mead unterscheidet drei Stufen von Entwicklungen der Rollenübernahme, die sich nach Komplexität unterscheiden:

  1. Nachahmendes Rollenspiel (play)
    Bezugspunkt der Perspektivenübernahme ist dabei ein individueller Anderer und Orientierungsgrundlage des Handelns sind antizipierte Handlungen. „Play“ ist nach Mead eine spielerische Interaktion des Kindes mit einem imaginären Freund. Dies ist die einfachste Form der Rollenübernahme. Diese Stufe der Identitätsbildung erreicht ein Kind, wenn es variable Rollen übernehmen kann, z. B. wenn es einen Indianer oder Verkäufer spielt. Dadurch haben Kinder zwei elementare Identitäten: ihre eigene und die gespielte Identität. Eine voll entwickelte Identität haben sie aber noch nicht, weil die Reize in diesem Stadium noch nicht organisiert sind. Die Rollenübernahme findet also nacheinander statt, nicht gleichzeitig.
  2. Regelgerechte Kooperation (game)
    Das organisierte Spiel (Wettkampf) repräsentiert im Leben des Kindes den Übergang von der spielerischen Übernahme der Rolle anderer zur organisierten Rollenübernahme mehrerer anderer, die für das Identitätsbewusstsein entscheidend ist.
    Im "game" muss die Person verschiedene Rollen in einer systematischen Ordnung wahrnehmen und sich darauf beziehen lernen. Dies bedeutet, dass ein Kind die Haltung aller am Spiel beteiligten Personen übernehmen und diese Rollen in Beziehung zueinander setzen muss.
    Bei dieser Stufe ist der Bezugspunkt der Perspektivenübernahme die begrenzte Gemeinschaft, in der das Kind sich befindet. Dabei handelt das Kind unter Berücksichtigung der gemeinschaftsspezifischen Normen ("Spielregeln").
    Beispiel Baseball:
    Bevor ein Kind einen bestimmten Wurf macht, so muss es, um ein erfolgreiches Spiel zu leisten, wissen, wie die anderen Teilnehmer auf seine Handlung reagieren werden. Dies wird erst möglich, wenn es sich in die verschiedenen Rollen (z. B. des Fängers und des Werfers) hineinversetzt. Die Reaktionen der anderen müssen so organisiert sein, dass die Haltung des einen Spielers die Haltung des anderen auslöst.
  3. Universelle Kooperation und Verständigung
    Bezugspunkt der Perspektivenübernahme ist hier die universelle menschliche Gesellschaft (universeller Anderer), sozusagen eine Weltgesellschaft. Das Handeln soll dabei nach einem Universalisierungsprinzip ablaufen. Dafür müssen gemeinsame Normen und Symbole geschaffen werden, damit ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Gesellschaften entsteht.

Persönlichkeitstheorie

Identität entwickelt sich immer in Wechselwirkung mit der Gesellschaft. Auf der Ebene der Persönlichkeit unterscheidet Mead zwei zentrale Instanzen, die im Zusammenspiel gleichzeitig Handlung koordinieren und Identität konstituieren. Diese Instanzen des Selbst nennt Mead „me“ und „I“ (deutsch häufig mit „ICH“ und „ich“ übersetzt).

Das „I“ (personales Selbst) bezeichnet Spontanität, Kreativität und das einmalig Subjektive. Diese Instanz stellt eine stellungnehmende Reaktion auf die Haltungen Anderer zur eigenen Person dar. Häufig wird dieser Aspekt mit der Triebausstattung des Menschen verglichen.

Das „me“ (soziales Selbst) bezeichnet die Vorstellung von dem Bild, das andere von mir haben, die Verinnerlichung ihrer Erwartungen an mich. Es ist Bewertungsinstanz für die Strukturierung der spontanen Impulse. Es handelt sich also um den sozialen Aspekt der Identität. Für die Erwartungen eines jeden Anderen entwickelt sich entsprechend eine Ausprägung des „me“, also eine soziale Repräsentation des Bildes von einem selbst. Im Laufe der Ontogenese werden diese verschiedenen Perspektiven in ständigem Dialog mit dem „I“ zu einem abstrakten Gesamtbild synthetisiert.

Die beiden Teile befinden sich ständig im inneren Dialog. Der innere Dialog entscheidet über weitere Handlungen und über die Entwicklung einer Person. Der Ausgang des inneren Dialogs ist aber zunächst offen, weil die Gewichtung zwischen „me“ und „I“ von mehreren Faktoren abhängt. Laut Mead verändert und reorganisiert sich die eigene Identität im Laufe des Lebens immer wieder neu und ist somit ein aktiver Prozess (Sozialisation).

Phasen des Selbst im inneren Dialog

Phase I: Handlungsentwurf des Individuums („I“)

Phase II: Stellungnahme aus der Perspektive des generalisierten anderen („me“)

Phase III: Stellungnahme und Entscheidung des Individuums („Self“)

Symbolischer Interaktionismus nach Herbert Blumer

Grundannahmen

Blumer stellte 1969 folgende Grundannahmen zum Symbolischen Interaktionismus auf:

  1. Menschen handeln gegenüber Dingen auf der Grundlage der Bedeutungen, die diese Dinge für sie besitzen.
  2. Die Bedeutung der Dinge entsteht durch soziale Interaktion.
  3. Die Bedeutungen werden durch einen interpretativen Prozess verändert, den die Person in ihrer Auseinandersetzung mit den ihr begegnenden Dingen benutzt.

Weitere Grundannahmen :

  • Menschen erschaffen die Erfahrungswelt, in der sie leben.
  • Die Bedeutungen dieser Welten sind das Ergebnis von Interaktionen und werden durch die von den Personen jeweils situativ eingebrachten selbstreflexiven Momente mitgestaltet.
  • Die Interaktion der Personen mit sich selbst ist mit der sozialen Interaktion verwoben und beeinflusst sie ihrerseits.
  • Formierung und Auflösung, Konflikte und Verschmelzungen gemeinsamer Handlungen konstituieren das soziale Leben der menschlichen Gesellschaft.
  • Ein komplexer Interpretationsprozess erzeugt und prägt die Bedeutung der Dinge für die Menschen.

Soziales und individuelles Handeln

Interaktionisten erforschen das alltägliche Leben, "doing everyday life"[3]. Im Alltag handeln die Menschen auf der Grundlage dessen, was sie wahrnehmen, wie sie das Wahrgenommene einschätzen und interpretieren. Die Wahrnehmung der Bedeutung eines Gegenstands ist eine Zuschreibung von Bedeutung. Das bedeutet, dass in einem Vorgang sozialer Aushandlung diese Wahrnehmung als hinreichend akzeptiert wurde. Diese Interpretation menschlichen Handelns lässt sich ebenso auf gemeinsames, kollektives Handeln anwenden, an dem eine Vielzahl von Akteuren bzw. Individuen beteiligt sind. Gesellschaftliches Handeln (im wörtlichen Sinne, d. h. Handeln in einer Gesellschaft bzw. in einem sozialen Umfeld) lässt sich somit nach Blumer immer als soziales Handeln benennen. Da gesellschaftliches Handeln immer von Individuen ausgeht, ist es durch den symbolischen Interaktionismus möglich, dieses Handeln sowohl in seinem gemeinsamen, kollektiven Charakter zu betrachten wie auch in seinem individuellen, d. h. durch die symbolischen Interaktionen einzelner Individuen konstituierten Komponenten.

Menschliches Zusammenleben

Kollektives Handeln stellt für den symbolischen Interaktionismus immer das Ergebnis bzw. den Verlauf eines Prozesses gegenseitig interpretierender Interaktionen dar. Menschliches Zusammenleben besteht also in dem gegenseitigen Aufeinanderabstimmen der Handlungen durch die Beteiligten, wobei der Charakter der gemeinsamen Handlungen sich aus der Beziehung der Beteiligten ergibt.
Das gemeinsame Handeln, welches Blumer auch als das „verbundene Handeln der Gesamtheit“ bezeichnet, ist somit immer die Gesamtheit der Verkettungen / Aufeinanderabstimmungen einzelner Handlungen der Individuen und somit das Ergebnis einer fortwährend ablaufenden, niemals abgeschlossenen Entwicklung.

Deutungen

Wenn man diejenigen Fälle betrachtet, in denen das gemeinsame Handeln wiederkehrend und stabil ist (also gesellschaftlich gefestigte, sich wiederholende Muster gemeinsamen Handelns), so haben die an der jeweiligen Situation beteiligten Menschen im Voraus ein Verständnis davon, wie sie und andere handeln wollen und wahrscheinlich werden. Dieses Verständnis ergibt sich aus den gemeinsamen, schon bestehenden Deutungsmustern bzw. Deutungen dessen, was von der Handlung eines Teilnehmers einer Situation zu erwarten ist. Aufgrund ebendieses Verständnisses ist jeder Teilnehmer in der Lage, sein eigenes Verhalten auf der Grundlage dieser Deutungen zu steuern.

Das Entstehen von sozialen Normen und Regeln

Hierbei besteht die Gefahr, Ursache und Wirkung dahingehend zu vertauschen, dass man zu dem Schluss kommen könnte, es seien die Normen, Regeln, Werte und Sanktionen, welche das Handeln der Menschen bestimmen oder determinieren. Und zwar indem sie vorschreiben, wie Menschen in den unterschiedlichsten Situationen zu handeln haben.

Jedoch werden laut Blumer die Interaktionen der Teilnehmer einer Situation nicht von den Werten und Normen vorherbestimmt; sondern die Werte und Normen werden erst durch das kontinuierliche Aushandeln von Bedeutungen in den Interaktionen der Teilnehmer konstituiert.
Dies gilt auch wenn die Handlungen konsistent bleiben. Denn auch wenn es sich um eine dauerhaft bestehende und wiederkehrende Form gemeinsamen Handelns dreht, muss jede einzelne Wiederholung einer solchen gemeinsamen Handlung erneut entwickelt werden. Wenn sich die Handlung wiederholt, so tun die Teilnehmer dies, indem sie dieselben Bedeutungen wiederkehrend und konstant benutzen.

Akzeptiert man die ständige Neubildung von Handlungen und Deutungen, auch wiederkehrender, bedeutet dies gleichsam eine Verschiebung der Perspektive. Folglich ist es nicht die gemeinsame Handlung, die sich einer immer schon vorhandenen („über allem schwebenden“) Regel oder Norm unterordnet. Blumer geht davon aus, dass die Regeln und Normen dann entstehen, wenn Bedeutungen ausgehandelt werden und die gemeinsame Handlung konstruiert wird.

Siehe auch

Literatur

  • Herbert Blumer: Symbolic Interactionism. Perspective and Method, Englewood Cliffs, New Jersey 1969
  • Herbert Blumer: Der methodologische Standort des symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Rowohlt, Reinbek 1973 (1981 ISBN 3-531-22054-3)
  • Stuart Hall: Interaktion, Identität, Repräsentation. Gesammelte Schriften Bd. 4, Argument Verlag, Hamburg ²2008 (ISBN 3-886-19326-8)
  • Hans Joas: Praktische Intersubjektivität. Die Entwicklung des Werkes von G. H. Mead, Frankfurt am Main 1989, S. 91–119.
  • Dirk Kaesler, Ludgera Vogt (Hgg.): Hauptwerke der Soziologie, Stuttgart 2000, S. 298–299.
  • George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1978, S. 187–221.
  • Michael Dellwing, Robert Prus: Einführung in die interaktionistische Ethnografie. Soziologie im Außendienst. Wiesbaden 2012, S. 23f.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jakob Krüger: Symbolischer Interaktionismus nach Herbert Blumer – Grundsätze und Methoden. Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Soziologie, WS 2010/11
  2. Robert Cooley Angell: Introduction. In: The Two Major Works of Charles H. Cooley. Social Organization. Human Nature and the Social Order. With an Introduction of Robert Cooley Angell. The Free Press, Glencoe, Ill. 1956. S. xvi.
  3.  Dellwing, Michael; Prus, Robert: Einführung in die interaktionistische Ethnografie. 1. Auflage Auflage. Springer VS, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-531-18268-1, S. 23f..


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