Eigenschaft (Philosophie)

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Eine Eigenschaft (lat. attributum, proprietas, qualitas; eng. property; franz. propriété) ist ganz allgemein etwas, das einer Sache, einer Person, einem Begriff oder einer anderen Eigenschaft eigen ist. Handelt es sich dabei um eine Eigenschaft, die zum Wesen der Sache gehört, so ist sie eine wesentliche Eigenschaft oder Wesenseigenschaft. Alle zufälligen und mithin unwesentliche Eigenschaften, die also nicht unmittelbar das Sosein berühren, werden auch Akzidentien genannt.

Primäre und sekundäre Eigenschaften

Seit Demokrit unterscheidet man zwischen primären Eigenschaften und sekundären Eigenschaften, so auch bei John Locke. Primäre Eigenschaften seien dabei Eigenschaften, die den Dingen unmittelbar und direkt zukommen, sekundäre Eigenschaften hingegen solche, die ihnen "nicht" direkt zukommen, sondern erst eine Konstruktion unseres Gehirns seien, wie Farbe, Geruch oder Geschmack.

„Primäre Qualitäten nannte Locke zum Beispiel alles dasjenige, was sich auf die Gestalt der Körper, auf deren geometrische Eigentümlichkeit, auf das Zahlenmäßige bezieht, auf die Bewegung bezieht, auf die Größe und so weiter. Davon unterschied er dann alles dasjenige, was er die sekundären Qualitäten nennt, Farbe, Ton, Wärmeempfindung und so weiter. Und während er die primären Qualitäten in die Dinge selbst hineinverlegt, so daß er annimmt, es seien räumliche, körperliche Dinge da, welche Gestalt haben, geometrische Eigentümlichkeiten haben, Bewegungen haben, nimmt er an, daß alles dasjenige, was sekundäre Qualitäten sind, Farbe, Ton usw., nur Wirkungen auf den Menschen seien. Draußen in der Welt seien nur primäre Qualitäten in den Körpern. Irgend etwas, dem Größe, Gestalt, Bewegung zukommt, das aber finster, stumm und kalt ist, irgend etwas übt eine Wirkung aus, und diese Wirkung drückt sich eben aus darinnen, daß der Mensch einen Ton, eine Farbe, eine Wärmequalität usw. erlebt.“ (Lit.:GA 326, S. 85)

Wie problematisch diese Behauptung ist und keineswegs eine emprisch gesicherte Tatsache darstellt, betonen auch Max Bennett und Peter Hacker in „Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften“:

„Erstens muss hervorgehoben werden, dass wir es hier nicht mit einer empirischen Behauptung oder wissenschaftlichen Hypothese zu tun haben und schon gar nicht mit einer wissenschaftlichen Theorie, die experimentell untermauert werden kann oder untermauert wurde, sondern mit einer philosophischen oder begrifflichen Behauptung, die nur durch begriffliche Untersuchungen und apriorische Argumente bekräftigt oder entkräftet werden kann. Es gibt kein wissenschaftliches Experiment, mit dem man beweisen könnte, dass Gras, wie es an sich ist, nicht grün ist, sondern uns nur so vorkommt, dass Zucker nicht wirklich süß ist, sondern es nur zu sein scheint, oder dass Eis nicht wirklich kalt ist, sondern nur diesen Anschein in uns hervorruft etc. Alles, was eine wissenschaftliche Theorie leisten kann, besteht darin, die Prozesse zu erklären, durch die wir in der Lage sind, Farben, Klänge und thermische Qualitäten wahrzunehmen, und zu untersuchen, ob andere Tierspezies dieselben perzeptuellen Unterscheidungsvermögen haben. Es ist nicht möglich zu zeigen, dass die Dinge, die wir als farbige wahrnehmen, in Wahrheit keine Farbe haben, oder dass die Dinge, die wir als klangerzeugende wahrnehmen, nicht wirklich Klänge hervorbringen. Man kann zeigen, dass farbige Objekte Licht bestimmter Wellenlängen reflektieren, das unsere Augen und Gehirne in der und der Weise beeinflusst, was dazu führt, dass wir das sehen, was wir ‚ihre Farbe‘ nennen. Und man kann zeigen, dass ‚lärmende‘ Objekte Schallwellen verursachen, die unsere Ohren und Gehirne auf eine Weise beeinflussen, dass unser Hörvermögen zur Entfaltung gelangt. Natürlich wird kein Geräusch gehört, wenn nicht Schallwellen die Ohren eines Hörenden erreichen – daraus folgt jedoch nicht, dass es kein Geräusch gab, das zu hören war, dass Bäume still zu Boden fallen, wenn kein Hörender dabei ist. Die wissenschaftliche Forschung zeigt keineswegs, dass Gras nicht wirklich grün ist oder dass Cellos keinen reichen und vollen Klang haben. Sie stellt nicht fest, dass es keine Farben gibt, wenn ein Beobachter ‚fehlt‘, oder dass Klänge auf der Anwesenheit eines Hörers beruhen.“ (Lit.: Bennett, Hacker 2010, S. 289f.)

Dennoch hat Lockes Unterscheidung einen nachvollziehbaren Grund. Rudolf Steiner nennt 12 Sinne des Menschen, wobei er drei Gruppen unterscheidet, nämlich die Willenssinne, die Gefühlssinne und die Erkenntnissinne. Die Willenssinne, zu denen der Tastsinn, der Lebenssinn, der Eigenbewegungssinn und der Gleichgewichtssinn zählen, sind auf die Wahrnehmung des eigenen Körpers gerichtet, dessen Zustand sie aber ganz objektiv wahrnehmen. Obgleich ihre Wahrnehmungen nur sehr dumpf und unterschwellig erlebt werden, vermitteln sie ein starkes Realitätsgefühl. Weil die Wahrnehmung dieser Sinne nur sehr dumpf ist, tritt zugleich das gedankliche Element viel stärker in den Vordergrund und vermittelt den Eindruck unverrückbar scheinender Wahrheiten, wie wir sie etwa aus der Mathematik und Geometrie kennen, die in der objektiven Realität unseres Leibes begründet sind. Daraus resultiert der objektive Charakter, den Locke den primären Sinnesqualitäten zubilligt.

Die sekundären Sinnesqualitäten gehören hauptsächlich dem Bereich der Gefühlssinne an, zu denen der Geruchssinn, der Geschmackssinn, der Sehsinn und der Wärmesinn gehören. Sie vermitteln zwischen Innerem und Äußerem, Subjektives und Objektives vermischt und durchdringt sich hier beständig, weshalb bezüglich dieser Sinne bereits eine gewisse Erkenntnisunsicherheit aufkommt. Zwar tritt die qualitative Wahrnehmung gegenüber dem gedanklichen Element stärker in den Vordergrund, doch ist sie mit einem deutlich geringeren Realitätsgefühl verbunden wie bei den Willenssinnen.

Die Erkenntnissinne (Gehörsinn, Sprachsinn, Denksinn und Ichsinn) sind ganz nach außen gerichtet. Wir sind von dem, was wir durch sie wahrnehmen ganz getrennt und mit ihrer eigentlichen Objektivität nicht unmittelbar verbunden, weshalb Rudolf Steiner gerade die äußeren Sinne mit Recht als subjektiv bezeichnet: „... richtig subjektiv sind gerade die ausgesprochen äußeren Sinne. Die müssen dasjenige, was durch sie wahrgenommen wird, im ausgesprochenen Sinne in unsere Menschlichkeit hereinbefördern.“ (GA 206, S. 17) Damit ist keineswegs gesagt, dass die äußeren Sinnesqualitäten selbst, also Farben, Töne usw., subjektiv sind, wohl aber, dass es uns zunächst schwer fällt, sie objektiv zu „ergreifen“.

Physische und charakterliche Eigenschaften

Im Allgemeinen unterscheidet man zischen physischen Eigenschaften, also solchen, die den Dingen direkt oder indirekt zukommen, und charakterlichen Eigenschaften, speziell der Menschen. Erstere sind zumeist wertfrei, letztere sind immer auch bewertend, weil sie Aussagen über die als besonderen Wert angesehene Tugendhaftigkeit der Menschen machen.

Wesentliche und unwesentliche Eigenschaften

Seit Aristoteles wird in der Philosophie ganz klar zwischen wesentlichen Eigenschaften (Essenz/Substanz) und unwesentlichen Eigenschaften (Akzidenz) unterschieden. Wesentliche Eigenschaften kommen einem Ding oder eine Sache "mit Notwendigkeit" zu, unwesentliche Eigenschaften nur "zufällig", gehören also nicht notwendig zum Wesen des Dings oder der Sache, wie zum Beipiel die Farbe eines Autos. Demgegenüber ist es wesentlich, dass das Auto Räder hat und fahren kann. Andernfalls wäre es kaputt und nicht mehr ganz. Würde es hingegen Autos geben, die mit Hilfe von Antigravition über die Straßen schweben könnten, müsste man den Begriff Auto komplett neue definieren. Aber auch dann hätten wir wieder einen Kern von notwendigen Eigenschaften und eine beliebig große Menge nicht notwendiger, also rein zufälliger Eigenschaften. Aristoteles trifft diese Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften vor allem in seiner Metaphysik.

Tropen

Eine einzelne partikuläre Eigenschaft, z.B. ein ganz bestimmte „Röte“, wird in der zeitgenössischen Philosophie auch als Trope (von griech. τρόπος tropos „Wende, Veränderung“; eng. trope) bezeichnet. Der Begriff wurde 1953 von dem US-amerikanischer Philosophen Donald Cary Williams (1899-1983) eingeführt[1]. Er sah darin eine Alternative zu allen bisherigen nominalistischen und realistischen Versuchen, das Universalienproblem zu lösen. Seiner Ansicht nach sind die Eigenschaften, d.h. die Tropen, die eigentlichen und einzigen Bestandteile der Wirklichkeit. Sie bilden gleichsam ein „Alphabet des Seins“ (Alphabet of Being), aus dem alle anderen, komplexeren Entitäten aufgebaut sind. Diese seien aber keine Universalien, sondern Partikularien (abstract particulars, individual properties, individual qualities, property instances) mit einzigartiger räumlich-zeitlicher Struktur.

Konkrete Dinge seien aus Bündeln von Eigenschaften (Tropen) zusammengesetzt, ohne dass dazu eine innere Substanz nötig wäre, die sie zusammenhält. Universelle Eigenschaften, die vielen Objekten gemeinsam sind, führt Williams auf die Ähnlichkeit der an ihnen beteiligten Tropen zurück. So enthalten etwa verschiedene rote Gegenstände ähnliche Farbtropen, die der Klasse „Rot“ angehören. Haben zwei Gegenstände die gleiche Farbe, so enthalten sie zwar numerisch unterschiedene, aber exakt gleiche Farbtropen. Keith Campbell[2] und Michael C. LaBossiere[3] erläutern den Unterschied zwischen Tropen und Universalien am Beispiel von sechs Erbsen, die exakt den gleichen grünen Farbton haben: Für den Tropen-Theoretiker liegen dann sechs exakt gleiche Grün-Tropen vor, während der Universalien-Realist in ihnen sechs Instanzen der einen und einzigen „Grünheit“ sieht. Letztere Position wurde etwa von David Armstrong vertreten[4]. Williams hingegen bezog eine nominalistisch-naturalistische Position. Die Existenz eigenständiger überräumlich-überzeitlicher ideeller Universalien bestritt er. Damit fehlt allerdings das geistige Band, dass die Tropen gesetzmäßig miteinander verbindet.

Eine metaphysische Theorie die sowohl Tropen als auch Objekte, von denen diese abhängen, umfasst, entwickelte Edmund Husserl in seinen Logischen Untersuchungen[5].

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. D.C. Williams: On the Elements of Being, Review of Metaphysics 7: 3-18 & 171-192 (1953)
  2. Keith Campbell: Abstract Particulars, Oxford: Blackwell (1990), S. 2
  3. Michael C. LaBossiere: „Substances and Substrata“, AJP 72: 360-370 (1994)
  4. D.M. Armstrong: Universals. An Opinionated Introduction, Boulder Colo./San Francisco/London 1989
  5. E. Husserl: Logische Untersuchungen, III, Halle 1900/1901