Urpflanze und Kabiren: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Bild:Urpflanze.jpg|thumb|220px|[[Rudolf Steiner]], [[Urpflanze]], Aquarell 1924]]
[[Datei:Samothraki Hieron.jpg|thumb|300px|Das Kabeirion auf [[Samothrake]].]]
Die '''Urpflanze''' ist ein Begriff aus [[Goethe]]s [[Metamorphosenlehre]] für das [[Urbild]] ([[Idee]], [[begriff]]liche Urgestalt), nach dem alle anderen Pflanzenarten durch Abwandlung entstanden sein sollen. Wesentliche Anregungen für seine Pflanzenstudien empfing Goethe auf seiner ''Italienreise'', die er 1786 antrat. Schon auf dem Weg über den Brenner konnte er wichtige Erkenntnisse darüber gewinnen, wie das Klima die Wuchsformen modifiziert:


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Die '''Kabiren''' (auch ''Kabiri'' oder ''Kabeiri'', von {{ELSalt|Κάβειροι}} ''Kábeiroi'' „die Großen“, [[Latein|lat.]] ''Cabiri'') waren nicht näher bestimmte [[chthonische Götter]] beiderlei Geschlechts aus Kleinasien, die vielfach mit der Fruchtbarkeit, der Seefahrt oder dem Schmiedehandwerk in Zusammenhang gebrcht wurden. Als „Große Götter“ ({{ELSalt|Μεγάλοι Θεοί}} ''Megáloi Theoí'') wurden sie insbesondere auf [[Samothrake]], aber auch auf [[w:Imbros|Imbros]] und [[w:Lemnos|Lemnos]] verehrt. Weitere Kultstätten gab es unter anderem auch in [[w:Makedonien (antikes Königreich)|Makedonien]], [[w:Böotien|Böotien]], [[Pergamon]] und [[w:Milet|Milet]]. Die [[Kult]]e waren allerdings teils sehr unterschiedlich.
"Die Pflanzen betreffend, fühl' ich noch sehr meine Schülerschaft. Bis München glaubt' ich wirklich nur die gewöhnlichen zu sehen. Freilich war meine eilige Tag- und Nachtfahrt solchen feinern Beobachtungen nicht günstig. Nun habe ich zwar meinen Linné bei mir und seine Terminologie wohl eingeprägt, wo soll aber Zeit und Ruhe zum Analysieren herkommen, das ohnehin, wenn ich mich recht kenne, meine Stärke niemals werden kann? Daher schärf' ich mein Auge aufs Allgemeine, und als ich am Walchensee die erste Gentiana sah, fiel mir auf, daß ich auch bisher zuerst am Wasser die neuen Pflanzen fand.  


Was mich noch aufmerksamer machte, war der Einfluß, den die Gebirgshöhe auf die Pflanzen zu haben schien. Nicht nur neue Pflanzen fand ich da, sondern Wachstum der alten verändert; wenn in der tiefern Gegend Zweige und Stengel stärker und mastiger waren, die Augen näher aneinander standen und die Blätter breit waren, so wurden höher ins Gebirg hinauf Zweige und Stengel zarter, die Augen rückten auseinander, so daß von Knoten zu Knoten ein größerer Zwischenraum stattfand und die Blätter sich lanzenförmiger bildeten. Ich bemerkte dies bei einer Weide und einer Gentiana und überzeugte mich, daß es nicht etwa verschiedene Arten wären. Auch am Walchensee bemerkte ich längere und schlankere Binsen als im Unterlande." ''(Goethe, Italienische Reise, 8. September, abends)''
Die Kabiren galten als Kinder der ''[[Muttergöttin|Großen Mutter]]'', der '''Kabeiro'''. Diese war nach der [[Griechische Mythologie|griechischen Mythologie]] eine Tochter des formwandelnden Meeresgottes [[Proteus]] und lebte als [[Nymphe|Meeresnymphe]] auf der Insel [[w:Lemnos|Lemnos]]. Nachdem sie aus dem Olymp verstoßen worden war, zeugte der griechische Schmiedegott [[Hephaistos]] mit ihr drei Söhne. Nach manchen antikten Autoren wurden auf Lemnos drei Kabeiri und drei kabeirische Nymphen ({{ELSalt|τρεῖς Καβειρίδες νύμφαι}} ''treís Kabeirídes nýmphai'') verehrt.<ref>[[w:Strabo|Strabo]], [[w:Geographica|''Geography'']], translated by Horace Leonard Jones; Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press; London: William Heinemann, Ltd. (1924). [https://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Strabo/home.html LacusCurtis], [https://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus%3Atext%3A1999.01.0198%3Abook%3D6%3Achapter%3D1%3Asection%3D1 Online version at the Perseus Digital Library, Books 6&ndash;14]</ref> Von den Griechen wurde Kabeiro u.&nbsp;a. mit der Göttermutter [[Rhea]], aber auch mit [[Demeter]], [[Hekate]] und [[Aphrodite]] indentifiziert. 
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Goethe suchte die Urpflanze zunächst in der Natur als eine noch unbekannte [[Wikipedia:Art|Art]], oder auch in der Grundgestalt eines Blattes oder eines Stammes zu finden. Einmal glaubte er, sie im botanischen Garten von [[Wikipedia:Palermo|Palermo]] gefunden zu haben:
== Mythologie ==
[[Datei:Καβείριο.JPG|thumb|300px|Das lemnische Kabeirion]]


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Der Name der ''Kabiren'' ist nicht griechischen Ursprungs, sondern leitet sich ab von dem Berg ''Kabeiros'' in der Landschaft ''Berekyntia'', der der [[Wikipedia:Phrygien|phrygischen]] Göttermutter gehörte. Später machten sie [[Wikipedia:Samothrake|Samothrake]] zu ihrer heiligen Mysterieninsel und begründeten hier die [[Samothrakische Mysterien|samothrakischen Mysterien]]. Zu dieser Zeit sei auch [[Orpheus]] ihr Schüler gewesen. Von in Not geratenen Seeleuten wurden sie als rettende Götter angerufen.
"Palermo, Dienstag, den 17. April 1787. Es ist ein wahres Unglück, wenn man von vielerlei Geistern verfolgt und versucht wird! Heute früh ging ich mit dem festen, ruhigen Vorsatz, meine dichterischen Träume fortzusetzen, nach dem öffentlichen Garten, allein eh' ich mich's versah, erhaschte mich ein anderes Gespenst, das mir schon diese Tage nachgeschlichen. Die vielen Pflanzen, die ich sonst nur in Kübeln und Töpfen, ja die größte Zeit des Jahres nur hinter Glasfenstern zu sehen gewohnt war, stehen hier froh und frisch unter freiem Himmel, und indem sie ihre Bestimmung vollkommen erfüllen, werden sie uns deutlicher. Im Angesicht so vielerlei neuen und erneuten Gebildes fiel mir die alte Grille wieder ein, ob ich nicht unter dieser Schar die Urpflanze entdecken könnte. Eine solche muß es denn doch geben! Woran würde ich sonst erkennen, daß dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären?" ''(Goethe, Italienische Reise, 17. April 1787)''
</div>


Und schon am 17. Mai schrieb er an [[Theaterwiki:Herder|Herder]]:
Verglichen mit der Großen Mutter erschienen sie wie Zwerge, dennoch nannte man sie Megaloi Theoi, »Große Götter«. Von den vier überlieferten Götternamen, die aus Mysterien der Kabiren, wahrscheinlich aus [[Wikipedia:Theben (Böotien)|Theben]], bekannt sind, [[Axieros]], [[Axiokersos]], [[Axiokersa]]  und [[Kadmilos]], wurde behauptet, sie bezeichneten [[Persephone]], [[Demeter]], [[Hades]] und [[Hermes]]. Die Vorsilbe ''axios'' ({{ELSalt|ἄξιος}}), die in diesen Namen vorkommt, bedeutet ''würdig''.


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Die Kabiren von ''[[Wikipedia:Limnos|Lemnos]]'' waren Schmiede, und wurden darum ''Hephaistoi'' genannt, was sie in die Verwandtschaft zu den [[Telchinen]] rückt, jenen göttlichen Künstlern, die die ersten Götterstatuen nach menschlichem Bild aus Erz geformt haben sollen. Nur trat bei den Telchinen der unterweltliche Zug mehr hervor. Sie waren als böse Zauberer verrufen und hüteten neidisch die Geheimnisse ihrer Kunst.
"Ferner muß ich Dir vertrauen, daß ich dem Geheimnis der Pflanzenzeugung und -organisation ganz nahe bin und daß es das einfachste ist, was nur gedacht werden kann. Unter diesem Himmel kann man die schönsten Beobachtungen machen. Den Hauptpunkt, wo der Keim steckt, habe ich ganz klar und zweifellos gefunden; alles übrige seh' ich auch schon im ganzen, und nur noch einige Punkte müssen bestimmter werden. Die Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf von der Welt, um welches mich die Natur selbst beneiden soll. Mit diesem Modell und dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendliche erfinden, die konsequent sein müssen, das heißt, die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten und nicht etwa malerische oder dichterische Schatten und Scheine sind, sondern eine innerliche Wahrheit und Notwendigkeit haben. Dasselbe Gesetz wird sich auf alles übrige Lebendige anwenden lassen." ''(Goethe, Italienische Reise, 17. Mai 1787)''
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[[Theaterwiki:Schiller|Schiller]] wies in einem Gespräch mit Goethe am 20. Juli 1794 darüber hinaus auf den platonischen Ideencharakter der Urpflanze hin.  Sie hatten gerade eine Sitzung der von ''Batsch'' begründeten Naturforschenden Gesellschaft in Jena verlassen und waren ins Gespräch gekommen. Schiller war wenig befriedigt von der dort gepflegten abstrakten Naturanschauung. Da entwickelte ihm Goethe die Vorstellung einer plastisch-ideellen Form, die sich dem Geiste offenbart, wenn er die Mannigfaltigkeit der Pflanzengestalten überschaut und das Gemeinsame der sich ständig metamorphosierenden Formen erlebend verstehen lernt. Nicht willkürlicher Spekulation, sonder unbefangener Beobachtung glaubte er diese "Urpflanze" zu verdanken:
Es ist auch die Geschichte von einem tragischen Brudermord unter den Kabiren überliefert:


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{{LZ|Auf dem Festlande, den genannten Inseln gegenüber, in Mazedonien, wurde über sie erzählt: es seien einmal drei Korybanten gewesen, drei Brüder, und zwei von ihnen ermordeten den dritten. Sie hüllten das abgeschnittene Haupt in ein purpurnes Gewand, sie bekränzten es und trugen es auf ehernem Schild zum Fuß des Olymp. Dort begruben sie es. Dieselben zwei Brüder trugen auch den Mysterienkorb, der einen Phallos enthielt, das Glied des Dionysos, bis zu den Etruskern.|Kerényi, S. 70}}
"Wir gelangten zu seinem Hause, das Gespräch lockte mich hinein; da trug ich die Metamorphose der Pflanzen lebhaft vor und ließ, mit manchen charakteristischen Federstrichen, eine symbolische Pflanze vor seinen Augen entstehen. Er vernahm und schaute das alles mit großer Teilnahme, mit entschiedener Fassungskraft; als ich aber geendet, schüttelte er den Kopf und sagte: «Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee". Ich stutzte, verdrießlich einigermaßen; denn der Punkt, der uns trennte, war dadurch aufs strengste bezeichnet. Die Behauptung aus Anmut und Würde fiel mir wieder ein, der alte Groll wollte sich regen; ich nahm mich aber zusammen und versetzte: «Das kann mir sehr lieb sein, daß ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe»." ''(Goethe, Glückliches Ereignis)''
</div>


Goethe anerkannte nur eine Quelle der Erkenntnis, die Erfahrungswelt, in der die objektive Ideenwelt mit eingeschlossen ist. Anders dachte Schiller. Ideenwelt und Erfahrungswelt empfand er als zwei getrennte Reiche.
== Die Kabiren in Goethes «Faust II» ==
[[File:Relief Samothrace Louvre Ma697.jpg|thumb|200px|[[Wikipedia:Agamemnon|Agamemnon]] wird in die [[Samothrakische Mysterien|samothrakischen Mysterien]] eingeweiht. Relief aus [[Wikipedia:Samothrake|Samothrake]] ([[Wikipedia:Louvre|Louvre]])]]


Die Urpflanze erschließt sich nicht dem [[diskursiv]]en, logisch ableitenden [[Denken]], sondern nur der unmittelbaren [[Intuition|intutiven]] [[Intellekt|intellektuellen]] [[Anschauung]]. Ein derartiges Vermögen hatte [[Wikipedia:Immanuel Kant|Immanuel Kant]] dem [[Mensch]]en abgesprochen. Dem widersprach Goethe energisch:
Im zweiten Teil von [[Goethe]]s [[Faust-Dichtung]], in den Szenen in den ''Felsbuchten des Ägäischen Meers'' spielen die Kabiren eine wesentliche Rolle:


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<center>
"Als ich die Kantische Lehre, wo nicht zu durchdringen, doch möglichst zu nutzen suchte, wollte mir manchmal dünken, der köstliche Mann verfahre schalkhaft ironisch, in dem er bald das Erkenntnisvermögen aufs engste einzuschränken bemüht schien, bald über die Grenzen, die er selbst gezogen hatte, mit einem Seitenwink hinausdeutete. Er mochte freilich bemerkt haben, wie anmaßend und naseweis der Mensch verfährt, wenn er behaglich, mit wenigen Erfahrungen ausgerüstet, sogleich unbesonnen abspricht und voreilig etwas festzusetzen, eine Grille, die ihm durchs Gehirn läuft, den Gegenständen aufzuheben trachtet. Deswegen beschränkt unser Meister seinen Denkenden auf eine reflektierende diskursive Urteilskraft, untersagt ihm eine bestimmende ganz und gar. Sodann aber, nachdem er uns genugsam in die Enge getrieben, ja zur Verzweiflung gebracht, entschließt er sich zu den liberalsten Äußerungen und überläßt uns, welchen Gebrauch wir von der Freiheit machen wollen, die er einigermaßen zugesteht. In diesem Sinne war mir folgende Stelle höchst bedeutend:
{|width="600px" align="left"|
|valign="top"|
NEREIDEN UND TRITONEN. <br>
Was wir auf Händen tragen,<br>
Soll allen euch behagen.<br>
Chelonens Riesenschilde<br>
Entglänzt ein streng Gebilde:<br>
Sind Götter, die wir bringen!<br>
Müßt hohe Lieder singen.<br>


<div style="margin-left:30px; margin-right:20px">
SIRENEN. Klein von Gestalt,<br>
«Wir können uns einen Verstand denken, der, weil er nicht wie der unsrige diskursiv, sondern intuitiv ist, vom synthetisch Allgemeinen, der Anschauung eines Ganzen als eines solchen, zum Besondern geht, das ist, von dem Ganzen zu den Teilen: Hierbei ist gar nicht nötig zu beweisen, daß ein solcher intellectus archetypus möglich sei, sondern nur, daß wir in der Dagegenhaltung unseres diskursiven, der Bilder bedürftigen Verstandes (intellectus ectypus) und der Zufälligkeit einer solchen Beschaffenheit auf jene Idee eines intellectus archetypus geführt werden, diese auch keinen Widerspruch enthalte.»
Groß von Gewalt,<br>
</div>
Der Scheiternden Retter,<br>
Uralt-verehrte Götter!<br>


Zwar scheint der Verfasser hier auf einen göttlichen Verstand zu deuten, allein wenn wir ja im sittlichen, durch Glauben an Gott, Tugend und Unsterblichkeit uns in eine obere Region erheben und an das erste Wesen annähern sollen: so dürft' es wohl im Intellektuellen derselbe Fall sein, daß wir uns, durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur zur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen würdig machten. Hatte ich doch erst unbewußt und aus innerem Trieb auf jenes Urbildliche, Typische rastlos gedrungen, war es mir sogar geglückt, eine naturgemäße Darstellung aufzubauen, so konnte mich nunmehr nichts weiter verhindern, das Abenteuer der Vernunft, wie es der Alte vom Königsberge selbst nennt, mutig zu bestehen."
NEREIDEN UND TRITONEN.<br>
</div>
Wir bringen die Kabiren,<br>
Ein friedlich Fest zu führen;<br>
Denn wo sie heilig walten,<br>
Neptun wird freundlich schalten.<br>


Der österreichische Physiker [[Wikipedia:Wolfgang Pauli|Wolfgang Pauli]] hat diese archetypische Denken sehr treffend so beschrieben:
SIRENEN. Wir stehen euch nach:<br>
Wenn ein Schiff zerbrach,<br>
Unwiderstehbar an Kraft,<br>
Schützt ihr die Mannschaft.<br>


<div style="margin-left:20px">
NEREIDEN UND TRITONEN.<br>
"Wenn man die vorbewusste Stufe der Begriffe analysiert, findet man immer Vorstellungen, die aus «symbolischen» Bildern mit im allgemeinen starkem emotionalen Gehalt bestehen. Die Vorstufe des Denkens ist ein malendes Schauen dieser inneren Bilder, deren Ursprung nicht allgemein und nicht in erster Linie auf Sinneswahrnehmungen ... zurückgeführt werden kann ...
Drei haben wir mitgenommen,<br>
Der vierte wollte nicht kommen;<br>
Die archaische Einstellung ist aber auch die notwendige Voraussetzung und die Quelle der wissenschaftlichen Einstellung. Zu einer vollständigen Erkenntnis gehört auch diejenige der Bilder, aus denen die rationalen Begriffe gewachsen sind. ... Das Ordnende und Regulierende muss jenseits der Unterscheidung von «physisch» und «psychisch» gestellt werden - so wie Platos's «Ideen» etwas von Begriffen und auch etwas von «Naturkräften» haben (sie erzeugen von sich aus Wirkungen). Ich bin sehr dafür, dieses «0rdnende und Regulierende» «Archetypen» zu nennen; es wäre aber dann unzulässig, diese als psychische Inhalte zu definieren. Vielmehr sind die erwähnten inneren Bilder («Dominanten des kollektiven Unbewussten» nach Jung) die psychische Manifestation der Archetypen, die aber auch alles Naturgesetzliche im Verhalten der Körperwelt hervorbringen, erzeugen, bedingen müssten. Die Naturgesetze der Körperwelt wären dann die physikalische Manifestation der Archetypen. ... Es sollte dann jedes Naturgesetz eine Entsprechung innen haben und umgekehrt, wenn man auch heute das nicht immer unmittelbar sehen kann." {{Lit|Atmanspacher, Primas, Wertenschlag-Birkhäuser, S 219}}
Er sagte, er sei der Rechte;<br>
</div>
Der für sie alle dächte.<br>
|valign="top"|
SIRENEN. Ein Gott den andern Gott<br>
Macht wohl zu Spott.<br>
Ehrt ihr alle Gnaden!<br>
Fürchtet jeden Schaden!<br>


In Goethes botanischem Hauptwerk „Die Metamorphose der Pflanzen“ (1790) taucht das Wort „Urpflanze“ nicht auf. Das gab Raum für allerlei Spekulationen, was genau Goethe unter der Urpflanze verstanden haben könnte. In einer späteren Ausgabe seiner [[Wikipedia:Morphologie (Biologie)|morphologischen]] Arbeiten („Zur Morphologie“, 1817) griff er das Wort recht versteckt im Vorwort wieder auf: „wie ich früher die Urpflanze aufgesucht, so trachtete ich nunmehr, das Urtier zu finden, das heisst denn doch zuletzt, den Begriff, die Idee des Tiers.“ Wenige Wochen vor seinem Tod schrieb er an den Chemiker [[Wikipedia:Heinrich Wilhelm Ferdinand Wackenroder|Heinrich Wilhelm Ferdinand Wackenroder]]: „Es interessiert mich höchlich, inwiefern es möglich sei, der organisch-chemischen Operation des Lebens beizukommen, durch welche die Metamorphose der Pflanzen nach einem und demselben Gesetz auf die mannigfaltigste Weise bewirkt wird.“<ref>Zitiert nach Dorothea Kuhn: Goethe und die Chemie. In: Typus und Metamorphose. Goethe-Studien. Marbach 1988.</ref> Dieses wenig bekannte Zitat umschreibt nicht nur die Urpflanze als das allgemeine „Gesetz“ der Metamorphose. Es zeigt zugleich, dass Goethe (im hohen Alter jedenfalls) nicht der einseitige [[Wikipedia:Idealismus|Idealist]] war, zu dem er oft stilisiert wird. Er war davon überzeugt, dass die von ihm beschriebene Metamorphose organisch-chemisch ''bewirkt'' wird. Die ''Idee'' der Urpflanze ''wirkt'' demnach ''im'' Stofflichen.
NEREIDEN UND TRITONEN.<br>
Sind eigentlich ihrer sieben!<br>


<div style="margin-left:20px">
SIRENEN. Wo sind die drei geblieben?<br>
"Goethe sieht in der Idee eines Dinges ein Element, das in demselben unmittelbar gegenwärtig ist, in ihm wirkt und schafft. Ein einzelnes Ding nimmt, nach seiner Ansicht, bestimmte Formen aus dem Grunde an, weil die Idee sich in dem gegebenen Falle in einer besonderen Weise ausleben muß. Es hat für Goethe keinen Sinn zu sagen, ein Ding entspreche der Idee nicht. Denn das Ding kann nichts anderes sein, als das, wozu es die Idee gemacht hat. Anders denkt Schiller. Ihm sind Ideenwelt und Erfahrungswelt zwei getrennte Reiche. Der Erfahrung gehören die mannigfaltigen Dinge und Ereignisse an, die den Raum und die Zeit erfüllen. Ihr steht das Reich der Ideen gegenüber, als eine anders geartete Wirklichkeit, dessen sich die Vernunft bemächtigt. Weil von zwei Seiten dem Menschen seine Erkenntnisse zufließen, von außen durch Beobachtung und von innen durch das Denken, unterscheidet Schiller zwei Quellen der Erkenntnis. Für Goethe gibt es nur eine Quelle der Erkenntnis, die Erfahrungswelt, in welcher die Ideenwelt eingeschossen ist. Für ihn ist es unmöglich, zu sagen: Erfahrung ''und'' Idee, weil ihm die Idee durch die geistige Erfahrung so vor dem geistigen Auge liegt, wie die sinnliche Welt vor dem physischen." {{Lit|{{G|006|22f}}}}
</div>


Ausgehend von der Urpflanze beschrieb Goethe die Umwandlung der drei Grundorgane [[Wurzel]], [[Sprossachse]] und [[Blatt]] zur Anpassung an besondere Lebens- und Umweltbedingungen als [[Metamorphose]]. Auch heute noch wird in der Botanik zwischen Wurzel-, Blatt- und Sprossmetamorphosen unterschieden. So sind etwa viele [[Ranke]]n und [[Dorn (Botanik)|Dorn]]bildungen Blattmetamorphosen.
NEREIDEN UND TRITONEN. <br>
Wir wüßtens nicht zu sagen,<br>
Sind im Olymp zu erfragen;<br>
Dort west auch wohl der achte,<br>
An den noch niemand dachte!<br>
In Gnaden uns gewärtig,<br>
Doch alle noch nicht fertig.<br>
Diese Unvergleichlichen<br>
Wollen immer weiter:<br>
Sehnsuchtsvolle Hungerleider<br>
Nach dem Unerreichlichen.<br>
|}
</center>


<div style="margin-left:20px">
[[Bild:Kabirenbecher.gif|thumb|Kabirenbecher]]
"Goethe hat verfolgt, wenn wir das am einfachsten Beispiel ins Auge
fassen, wie, sagen wir, am Pflanzenstengel Blatt nach Blatt sich entwikkelt,
und wie aber jedes folgende Blatt, das eine andere Form zeigt als das
darunterstehende, doch nur eine Metamorphose des darunterstehenden
ist. So daß Goethe sagt: Die einzelnen Organe der Pflanze, die unteren
einfacheren Blätter, dann die komplizierteren Stengelblätter, dann die
Kelchblätter, die wieder ganz anders gestaltet sind, die Blumenblätter,
die sogar eine andere Farbe haben als die Stengelblätter, sie sind eigentlich
alle so, daß sie äußerlich in der Form voneinander verschieden sind,
innerlich in der Idee aber gleich sind, so daß dasjenige, was in der Idee
gleich ist, sich dem äußeren sinnlichen Scheine nach vermannigf altigt, in
den verschiedenen Gestalten auftritt. Goethe sieht deshalb in dem
einzelnen Blatte die ganze Pflanze und in der Pflanze wiederum nur die
komplizierte Ausgestaltung des einzelnen Blattes. Jedes Blatt ist für
Goethe eine ganze Pflanze, nur daß die Idee der Pflanze, der Typus der
Pflanze, die Urpflanze, eben im äußeren physischen Ausgestalten eine
bestimmte Gestalt annimmt, vereinfacht ist und so weiter, so daß Goethe
gewissermaßen sich sagt (es wird gezeichnet): Indem der Pflanzenstengel
ein Blatt treibt, will er eigentlich eine ganze Pflanze treiben. Hier ist
durchaus die Tendenz vorhanden, eine ganze Pflanze zu treiben. Aber
diese pflanzenbildnerische Kraft gestaltet sich gewissermaßen nur in
beschränktem Maße aus, hält sich zurück. Im nächsten Blatte gestaltet
sie sich wiederum in einem in gewissem Sinne beschränkten Maße aus
und so weiter. Hier will diese pflanzenbildnerische Kraft eine ganze
Pflanze werden, hier wieder eine ganze Pflanze. In jedem Blatte will
eigentlich eine ganze Pflanze entstehen, und es entsteht nur immer etwas
wie ein Fragment einer Pflanze; aber die ganze Pflanze ist doch da und
ist wiederum eine Realität. Und diese unsichtbare ganze Pflanze, die hält
nun all das in Harmonie zusammen, was immer viele Pflanzen werden
will. Jede Pflanze möchte eigentlich viele Pflanzen werden; aber jede von
diesen vielen Pflanzen wird nicht eine volle Pflanze, sondern nur eine
beschränkte Ausgestaltung, ein Organ. Jedes Organ will eigentlich der
ganze Organismus sein, und der ganze Organismus hat die Aufgabe,
diese einzelnen fragmentarischen Ausbildungen seiner selbst wiederum
zu einer größeren Harmonie zusammenzuhalten, so daß wir dasjenige
haben, was im einzelnen Organ wirkt und dasjenige, was die einzelnen
Organe zusammenhält.


Nun, Goethe geht nicht aus auf abstrakte Begriffe. Er gestaltete zum
[[Rudolf Steiner]] hat darauf hingewiesen, dass die Kabiren wesentlich mit dem Werden des [[Mensch]]en zusammenhängen. Sie stehen in enger Beziehung zu den sieben [[Wesensglieder]]n des Menschen:
Beispiel nicht den ganz abstrakten Begriff: Man sieht einzelne fragmentarische
Pflanzen sich gestalten wollen und dann die Einheitspflanze, die
das zusammenhält -, das wäre noch Abstraktion. Er will erfassen, wie
diese pflanzenbildnerische Kraft wirkt. Er möchte erfassen, was da
eigentlich sich ausgestaltet, und namentlich, was sich in einem solchen
einzelnen Blatte zurückhält. Er möchte das anschauen, er möchte nicht
beim Begriff bleiben, er möchte bis zu der Anschauung kommen.
Deshalb wird ihm ganz besonders wichtig, wenn er, wie er es nennt,
irgendwo Mißbildungen auftreten sieht, wenn also zum Beispiel an einer
bestimmten Stelle nicht ein Blatt auftritt, wie man es erwartet, sondern
wenn sich der Stengel meinetwillen verdickt, eine Mißbildung entsteht,
oder wenn irgendwo die Blüte, statt sich in Blättern zu runden, schlank
auswächst und dergleichen.


Wenn Mißbildungen auftreten, sagte sich Goethe, dann tritt an der
{{GZ|Äußerlich betrachtet sind sie wiederum einfache Meeresgötter. Samothrake
Pflanze die pflanzenbildnerische Kraft so auf, daß dasjenige sich verrät,
- die Griechen wußten es - war in verhältnismäßig gar nicht alter
äußerlich sichtbar wird, was sich eigentlich zurückhalten sollte; wenn
Urzeit von den furchtbarsten, erdbebenartigen Stürmen umbrandet,
das Blatt mißgestaltet wird, so hat sich eben die Kraft nicht zurückgehalten,
zerklüftet, durcheinandergeworfen. Also die Naturdämonen hatten hier
dann ist sie ins Blatt hineingeschossen. Und so sagte sich Goethe:
in ganz ungeheuerlicher Weise so gewaltet, daß das noch wie in einer
Also sieht man, wenn eine Mißbildung auftritt, wie physisch wird
historischen Erinnerung für die alten Griechen war. Und in den Wäldern,
dasjenige, was eigentlich geistig ist; was sich zurückhalten sollte, was nur
in den dichten, damals dichten Wäldern von Samothrake war verborgen
als Wachstumskraft auftreten sollte, wird sichtbar. In der Mißbildung
das Mysterium der Kabiren. Unter den mancherlei Namen, die
liegt etwas vor, was man gerade studieren sollte, denn an der Mißbildung
die Kabiren tragen, sind auch die, wo der eine Kabir genannt wird
sieht man, was in der Pflanze drinnen ist. Ist diese Mißbildung nicht da,
Axieros, der zweite Axiokersos und der dritte Axiokersa, Kadmilos der
so bleibt etwas zurück, was dann in den folgenden Blättern oder in den
vierte. Dann hatte man so ein unbestimmtes Gefühl, daß es noch einen
folgenden Organen überhaupt zum Ausdrucke kommt. - So werden für
fünften, sechsten und siebenten gab. Aber im wesentlichen war der Menschen geistiger Blick hingerichtet auf die drei ersten Kabiren. Es handelte
Goethe die Mißbildungen für sein Studium ganz besonders wichtig." {{Lit|{{G|304|69ff}}}}
sich bei den alten Vorstellungen von den Kabiren nun wirklich um das
</div>
Menschenwerde-Geheimnis. Und eigentlich sollte derjenige, der in die
heiligen Mysterien von Samothrake eingeweiht wurde, zu der Anschauung
kommen: Was entspricht in der geistigen Welt, geistig angeschaut,
demjenigen, was hier auf Erden geschieht, wenn für eine auf der Erde
sich verkörpernde Seele der Mensch entsteht, der Mensch wird in der
Generationsfolge? - Gewissermaßen das geistige Korrelat des menschlichen
Geborenwerdens sollte geschaut werden in der geistigen Welt.|273|202f}}


<div style="margin-left:20px">
{{GZ|Nehmen Sie aus der heutigen Vorstellung die Szene mit den Kabiren heraus, versuchen Sie einmal, in dieser «Faust»-Szene nachzulesen alles, was sich auf die Kabiren bezieht, versuchen Sie, jede einzelne Zeile wirklich mit tieferem Interesse zu verfolgen, und Sie werden sehen, wie Goethe durch seine vergeistigten Instinkte durchaus noch drinnenstand in dem ahnenden Erkennen. Durch solche Vorstellungen und Mysterienverrichtungen, wie sie die Griechen hatten in Anlehnung zum Beispiel an die Kabiren, drückt sich für den Menschen ein Höchstes in bezug auch auf das Erkenntnisstreben und dergleichen aus. Diese Kabiren brachte Goethe mit Recht zusammen mit dem Wege, der führen soll vom Homunkulus zum Homo. Er brachte diese Kabiren mit Recht zusammen mit dem Geheimnisse des menschlichen Werdens.
"Goethe sah mit einer besonderen
Freude hin auf dasjenige, was bei Pflanzen an Mißbildungen
entsteht. Und es gehören zu den interessantesten Artikeln, die man bei
Goethe finden kann, diejenigen, die von diesen Mißbildungen handeln,
wo irgendein Organ an der Pflanze, das man gewohnt ist, sonst in
einer bestimmten, sogenannten normalen Form zu finden, entweder
mit der Größe über die Norm hinauswächst, oder wie es sich abnorm
gliedert, wie es zuweilen sogar Organe heraustreibt, die normalerweise
an einer andern Stelle stehen und so weiter. Gerade darin, daß sich die
Pflanze in solchen Mißbildungen äußern kann, sieht Goethe die besten
Anhaltspunkte, um auf die eigentliche Idee der Urpflanze zu kommen.
Denn er weiß, daß sich dasjenige, was hinter der Pflanze als Idee
steckt, gerade in solchen Mißbildungen besonders zeigt; so daß, wenn
wir in einer Reihe von Beobachtungen an Pflanzen sehen würden, wie
die Wurzel in Mißbildung verfallen kann, wie das Blatt, der Stengel,
die Blüte, wie auch die Früchte mißgebildet sein können - natürlich
muß man das an einer Reihe von Pflanzen sehen - , so würden wir aus
dem Zusammenschauen der Mißbildungen die Urpflanze gerade herausschauen
können." {{Lit|{{G|317|179f}}}}
</div>


== Anmerkungen ==
Drei Kabiren werden herangebracht. Wir reden von drei menschlichen Gliedern zunächst. Bevor wir auf das wahrhaft Innere des Menschen gehen, reden wir von drei menschlichen Gliedern: von dem physischen Leib, dem ätherischen Leib, dem astralischen Leib. Indem man von diesen menschlichen Gliedern spricht, erregt man ja sogleich die Kritik derjenigen Menschen, die sich heute besonders gescheit dünken, die sich heute besonders wissenschaftlich dünken. So wenden zum Beispiel solche Leute ein: Warum denn den einheitlichen Menschen teilen, gliedern? Der Mensch sei doch eine Einheit, es sei schematisch, wenn man den Menschen in solche Glieder auseinanderschält. - Ja, aber so ist die Sache nicht, so einfach liegt sie nicht. Gewiß, wenn bloß eine schematische Einteilung des Menschen zugrunde läge, brauchte man keinen besonderen Wert auf diese Glieder zu legen. Aber diese einzelnen Glieder, die man scheinbar so abstrahiert von dem ganzen Menschen, stehen ja alle mit ganz ändern Sphären des Weltenalls in Verbindung. Dadurch, daß der Mensch einen physischen Leib hat, so wie er ihn heute hat, wie sich dieser physische Leib von seiner saturnischen Anlage heraus entwickelt hat bis in die heutige Zeit, dadurch gehört der Mensch dem Räume an, der Sphäre des Raumes. Und durch seinen ätherischen Leib gehört der Mensch der Sphäre der Zeit an. Also indem der Mensch den zwei total voneinander verschiedenen Sphären angehört, indem er, man könnte sagen, aus der Welt der Zeit und des Raumes herauskristallisiert ist, besteht er aus physischem Leib und aus Ätherleib. Das ist nichts Willkürlich-Schematisches, was man da als Einteilung, als Gliederung des Menschen anführt. Das beruht tatsächlich auf dem ganzen Zusammenhang des Menschen mit dem Weltenall. Und durch seinen astralischen Leib gehört der Mensch schon dem Außerräumlichen und Außerzeitlichen an.


<references/>
Diese Trinität, gewissermaßen die menschliche Hüllentrinität, wird vorgeführt in den drei Kabiren. Der vierte «wollte nicht kommen». Und der ist es, der für sie alle denkt! Steigen wir herauf von den drei Hüllen zum menschlichen Ich, so haben wir in diesem menschlichen Ich zunächst das, was über Raum und Zeit, selbst über das Zeitlose, Raumlose des Astralischen herausragt. Aber dieses Ich des Menschen kam ja erst zum Bewußtsein gerade in dem Zeitraume, der auf die samothrakische Kabirenverehrung folgte. Die Griechen hatten aus der uralt heiligen samothrakischen Lehre allerdings ihren Glauben an das Unsterbliche; aber innerhalb des griechisch-lateinischen Zeitraumes sollte erst das Bewußtsein von dem Ich geboren werden. Daher wollte der vierte nicht kommen, der dasjenige repräsentiert, was als Verhältnis besteht zwischen dem Ich und dem Kosmos. Und wie ferne lag das dem Kabirengeheimnis, das zunächst hinweist auf das, was da war in dem Menschenwerden. Die drei höchsten, der fünfte, sechste und siebente, die sind noch «im Olymp zu erfragen»: Geistselbst, Lebensgeist, Geistesmensch. Die kommen, wie wir wissen, im sechsten und siebenten Zeitraume. Und an den achten hat überhaupt noch niemand gedacht!
 
Wir erblicken tatsächlich in der alten Form ausgesprochen das Menschheitsgeheimnis, wie es in Samothrake in denjenigen Mysterien verhüllt war, von denen die Griechen das Beste für ihr Seelenwissen, für ihre Seelenweisheit, ja auch das Beste für ihre Dichtung, insofern sich diese auf den Menschen bezog, genommen haben. Das ist das Wichtige, daß man erkennt: Sobald man den Blick zurückwendet in diese alten Zeiten, die Goethe also wiederum zu beleben versuchte, so schaut man hinein in ein Wissen vom Zusammenhang des Menschen mit dem Weltenall. Der Mensch fühlte sich verwandt mit allen Geheimnissen des Daseins. Der Mensch wußte: er ist nicht bloß eingeschlossen in die Grenzen seiner Haut, er gehört dem ganzen, weiten Weltenall an. Und dasjenige, was in seiner Haut eingeschlossen ist, ist nur das Bild seines besonderen Wesens.|188|168ff}}
 
In Goethes Faust-Dichtung eilen die [[Nereiden]] und [[Tritonen]] fort, um die Kabiren heranzubringen, was von den [[Sirenen]] so kommentiert wird:
 
<center>
{|
|-
| <poem>
SIRENEN: Fort sind sie im Nu!
Nach Samothrake gradezu,
Verschwunden mit günstigem Wind.
Was denken sie zu vollführen
Im Reiche der hohen Kabiren ?
Sind Götter! wundersam eigen,
Die sich immerfort selbst erzeugen,
Und niemals wissen, was sie sind.
</poem>
|}
</center>
 
{{GZ|Also das sagen die Sirenen von den Kabiren. Es ist vielleicht so am
leichtesten nahezukommen der Gesamtverfassung dieser Kabiren,
wenn Sie an die Stelle in der Bibel denken, wo von den Elohim die
Rede ist, die eigentlich erst, nachdem sie ihr Tagewerk geschaffen
haben, sehen, daß es gut war, oder eigentlich, wie es dort steht, daß
es schön war. Es ist natürlich für Menschen etwas schwer zu verstehen,
weil Götter - die Kabiren - gerade, um die es sich hier handelt,
nicht ein solches Bewußtsein haben wie Menschen oder wie gewisse
spätere Götter. Die Kabiren sind Götter ersten Entstehens, und sie
gehen auf in diesem Entstehen. Daher sind sie von einer viel zu großen
Lebendigkeit, als daß sie ein voll ausgebildetes Bewußtsein haben.
Sie gehören auch zusammen in dieser Beziehung. Es sind in Samothrake
vier solcher Kabirengötter. Eigentlich sind es wohl acht;
aber für Samothrake selbst kommen nur die vier in Betracht. Und
nun natürlich kann man sagen: «Wundersam eigen, die sich immerfort
selbst erzeugen, und niemals wissen, was sie sind.» Das kann
man von den dreien, von den drei Hauptgöttern, welche die Erzeugungsgötter
sind, schon sagen: von Axieros Axiokersos und Axiokersa.
Von denen kann man schon sagen, daß sie nicht wissen, was
sie sind. Aber so wenig diese drei zusammen wissen, was sie sind, so
gut weiß der vierte für die drei. Also, wenn Sie sich denken: der
Mensch bestehe aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich,
und das Ich vollführt das Bewußtsein, so müssen Sie sich denken:
diese Kabiren sind vier. Während beim Menschen diese vier Glieder
zusammenhalten, sind aber diese Kabiren vier getrennte Wesen. Und
Axieros ist physischer Leib, Axiokersos ist Ätherleib, Axiokersa ist
Astralleib; die haben also kein Bewußtsein. Dagegen Kadmilos, der
dem Ich entsprechende, der denkt für alle drei. Also das ist das Eigentümliche dieser Götter, daß der vierte eigentlich ihr Bewußtsein
zugleich ist.
 
Wenn Sie den Zyklus nehmen, wo ich von den Elohim gesprochen
habe, ist es auch so ähnlich, daß eigentlich der siebente für die sechs
denkt.<ref>vgl. dazu [[GA 122]] ([[Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte]]), wo Rudolf Steiner schildert, wie die 7 [[Elohim]] durch die Schöpfungstätigkeit und insbesonders durch die Erschaffung des Menschen zu einem höheren Gemeinschaftsbewusstsein erwachen, das durch [[Jahve]] repräsentiert wird, der zugleich einer der sieben Elohim ist und sich später mit der [[Mondensphäre]] verbindet.</ref>|277|534}}
 
=== Die künstlerische Gestaltung der Kabiren ===
 
[[Bild:Kabiren.jpg|thumb|300px|Die Kabiren als Krüge gestaltet nach dem  Entwurf [[Rudolf Steiner]]s.]]
Anläßlich der Inszenierung von Szenen aus dem zweiten Teil von [[Goethe]]s [[Faust-Dichtung]] hat Rudolf Steiner nach einer geeigneten künstlerischen Darstellung der Kabiren gesucht:
 
{{GZ|Erinnern wir dabei zum Beispiel an die samothrakischen Mysterien, auf die ''Goethe'' im zweiten Teile seines «Faust» anspielt, wo er von den Kabiren spricht. Ich habe versucht, in meinem Atelier in Dornach diese Kabiren nachzubilden. Was habe ich herausbekommen? Es war etwas sehr Interessantes. Ich habe einfach mir die Aufgabe gestellt, herauszubekommen durch Anschauung, wie innerhalb der samothrakischen Mysterien die Kabiren ausgesehen haben müssen. Und denken Sie: Ich habe drei Krüge, allerdings plastisch-künstlerisch gestaltete Krüge bekommen! Ich war anfangs selbst erstaunt, obwohl Goethe auch von Krügen spricht. Die Sache wurde mir erst erklärlich, als ich darauf kam: diese Krüge standen auf einem Altar, da wurde etwas Weihrauchähnliches hineingebracht, das Opferwort wurde gesungen, und aus der Kraft des Opferwortes, das in älteren Menschheitszeiten noch eine ganz andere schwingungserregende Gewalt hatte als heute, gestaltete sich der Opferrauch zu dem Bilde der Gottheit, das gesucht wurde. Sie haben unmittelbar in der religiösen Verrichtung den sekundierenden Gesang, der unmittelbar in der Plastik des Rauches sich auslebt.|218|280}}
 
{{GZ|Das waren die Zeiten, in denen der Mensch nicht in abstracto gesagt
hat: Im Urbeginne war der Logos, und der Logos war bei Gott,
und ein Gott war der Logos - das waren die Zeiten, in denen der Mensch
etwas ganz anderes sagen konnte, in denen der Mensch sagen konnte:
In mir gestaltet sich die Ausatmung, und indem die Ausatmung sich in
regelmäßiger Weise gestaltet, erweist sie sich selber als ein Nachbild
kosmischen Schaffens, denn sie schafft mir aus dem Opferrauch Gestaltungen,
die für mich die lebendigen Schriftzüge sind, die mir verraten,
was mir die planetarischen Welten sagen wollen.
 
Und wenn sich der Schüler der Kabirenmysterien auf Samothrake
näherte den Pforten dieser Einweihungsstätten, dann hatte er durch
seinen Unterricht das Gefühl: Ja, jetzt betrete ich dasjenige, was mir
umschließt die magischen Handlungen des opfernden Vaters. Denn
«Vater» nannte man die zelebrierenden Initiatoren dieser Mysterien.
Und was offenbarte dem Schüler die magische Kraft dieser zelebrierenden
Väter? Durch das, was die Götter in den Menschen gelegt haben,
durch die Gewalt der Sprache, schrieb der priesterliche Magier und
Weise hinein in den Opferrauch jene Schriftzüge, die aussprachen die
Geheimnisse des Weltenalls.|232|182}}
 
In den für die Priester der [[Christengemeinschaft]] gehaltenen Vorträgen über [[Apokalypse und Priesterwirken]] gab Steiner dazu noch weitere Erläuterungen:
 
{{GZ|Wir stellen vor unsere Seele den Kabirenaltar von Samothrake.
Die Kabiren, die daraufstanden als äußere Denkmäler, waren
Opferkrüge, in denen jetzt nicht Fermentsubstänzen waren,
sondern Substanzen, welche die menschliche Erkenntnis finden
konnte, wenn sie in das innere Spirituelle der Substanz eindringen
konnte. Solche Substanzen, die in den Opferkrügen darin waren,
Opfersubstanzen, wurden entzündet, der Rauch stieg in die Höhe,
und die magische Sprache wirkte so, daß in dem aufsteigenden
Rauch erschien die Imagination dessen, was das Wort intonierte.
So wurde äußerlich sichtbar im Opferrauch der Weg hinauf zu den
göttlichen Kräften. Im Opferrauch wußten sich die Priester in der
Atmosphäre, durch die die Transsubstantiation vollzogen wurde.<ref>Die interne Vervielfältigung der Christengemeinschaft enthält hier noch folgenden Wortlaut:<br>
«Dann waren die Substanzen so gemischt, wie es noch Aristoteles einem Alexander
in alten Zeiten lehrte, daß aus dem Opferrauch herauskam die heilige
Imagination, die den Weg zu den Göttern bedeutete; dann war diese Transsubstantiation,
die priesterliche Handlung eine richtige. Die Menschenweihehandlung
war wahrhaftig vollzogen. Der sie zelebrierte und der, der daran teilnehmen
konnte, wußte, das ist das Erkenntnisorgan; denn indem aufflammt in dem
Opferrauch und in dem Gebet, das zeremoniell gestaltet wird in dem magischen
Wortverlauf, dasjenige was hinauf strömt zu den Göttern, kommt als Gnadengeschenk
entgegen von oben die Offenbarung, die das Apokalyptische ist.» {{GZ||346|335}}</ref>
Das war das dritte Stadium in der Entwickelung der Mysterien und
desjenigen, was in der Menschenweihehandlung für den Menschen
enthalten ist.|346|27}}
 
== Die Kabiren und der [[Menschheitsrepräsentant]] zwischen [[Luzifer]] und [[Ahriman]] ==
 
Die samothrakischen [[Einweihung|Eingeweihten]] sahen den [[Mensch]]en nicht als eine Einheit, sondern als eine Dreiheit an, die durch die drei Kabiren [[Axieros]], [[Axiokersos]], [[Axiokersa]] repräsentiert wurde.
 
{{GZ|Der samothrakische Eingeweihte lernte
den Menschen kennen, wie er vor ihm stand im sinnlichen Anschauen,
und ihm wurde gesagt: Du mußt von diesem Menschen zwei Extreme
abziehen; Axiokersa, Axiokersos, die strahlen nur herein. Dann kannst
du eventuell zurückbehalten Axieros. - So daß man auch die Sache so
darstellen konnte, daß von den dreien Axieros gewissermaßen darstellt
den menschlichen Mittelzustand, und die andern, die beiden Unsichtbaren,
bestrahlen ihn nur.|273|204}}
 
Diese Anschauung entsprach dem alten [[atavistisch]]en [[Hellsehen]]; wird sie in eine für unsere Zeit gültige Form lebendig umgebildet, erscheint das [[Bild]] des [[Menschheitsrepräsentant]]en zwischen [[Luzifer]] und [[Ahriman]]:
 
{{GZ|Das samothrakische Mysterium als solches, mit seinen Kabirenverbildlichungen
des Menschengeheimnisses, ist ganz und gar entsprechend
der alten atavistisch-hellseherischen Weltanschauung, aber
dasjenige, was in irgendeiner Menschheitsperiode lebt an Erkenntnisinhalt,
kann in rechtmäßiger Weise fortgesetzt, muß umgebildet werden.
Es ist unberechtigt, zu den alten Anschauungen, die für ganz andere
Menschheitsepochen da waren, einfach wieder zurückkehren zu wollen;
sie müssen umgebildet werden. Das samothrakische Geheimnis hat
natürlich nur einen historischen Wert. Heute würden wir sagen: Wir
stellen dar, wie in der Mitte der Menschheitsrepräsentant steht, Axieros,
wie der Menschheitsrepräsentant umkreist wird von Axiokersa, wie
Axiokersos heute wiederum mit dem Irdischen in Zusammenhang gebracht
werden muß, und wir haben den Menschheitsrepräsentanten,
Luzifer, Ahriman. Wir haben darinnen die für das heutige und das kommende
Zeitalter angemessene Umgestaltung des heiligen samothrakischen
Mysteriums.|273|205}}
 
== Aristoteles und Alexander ==
 
[[Aristoteles]] und sein [[Geistesschüler]] [[Alexander der Große]] standen nach den Angaben Steiners zwar kaum in einer ''äußeren'', aber in einer starken ''inneren'' [[seelisch]]en Beziehung zu den [[Samothrakische Mysterien|samothrakischen Mysterien]]:
 
{{GZ|Das Eigentümliche
ist, daß in Alexander und in Aristoteles Menschen lebten, die
eine andere Beziehung zum Geistigen hatten als ihre Umgebung,
die, trotzdem sie sich nicht viel kümmerten um die samothrakischen
Mysterien, dennoch in ihrer Seele eine große Verwandtschaft hatten
mit dem, was in den samothrakischen Mysterien mit den Kabiren
vorging.|233|72}}
 
== Sprüche Rudolf Steiners aus den Kabirenmysterien auf Samothrake ==
 
;Empfindung des Schülers an der Pforte:
 
<poem>
Ich trete ein in dasjenige,
Was mir umschließt einen gewaltigen Geist,
Was mir umschließt die großen Götter,
Jene großen Götter, welche auf der Erde
Durch die Opferhandlungen der Menschen
Die Geheimnisse des Weltenalls enthüllen.
</poem>
 
;Innerliches Erleben des Schülers, vermittelt durch den zelebrierenden Initiator am Opferaltar:
 
<poem>
So wollen dich die Kabiren,
Die großen Götter:
Merkurius in den Gliedmaßen,
Sonne im Herzen,
Mars in der Sprache.
</poem>
 
;Das Geheimnis der samothrakischen Welt, dem Schüler das Bewusstsein zu vermitteln:
 
<poem>
Natur ist Geist,
Geist ist Natur.
</poem>
 
Dornach, 21. Dezember 1923 {{GZ||40|175}}


== Literatur ==
== Literatur ==
# H. Atmanspacher, H. Primas, E. Wertenschlag-Birkhäuser (Hrsg.): ''Der Pauli-Jung-Dialog'', Springer Verlag, Berlin Heidelberg 1995
* [[Wikipedia:Karl Kerényi|Karl Kerényi]]: ''Die Mythologie der Griechen'', Band I, Deutscher Taschenbuch Verlag, München (1966)
# Rudolf Steiner: ''Goethes Weltanschauung'', [[GA 6]] (1990)
* [[Rudolf Steiner]]: ''Wahrspruchworte'', [[GA 40]] (2005), ISBN 3-7274-0401-9 {{Vorträge|40}}
#Rudolf Steiner: ''Erziehungs- und Unterrichtsmethoden auf anthroposophischer Grundlage'', [[GA 304]] (1979), ISBN 3-7274-3040-0 {{Vorträge|304}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Der Goetheanismus - ein Umwandlungsimpuls und Auferstehungsgedanke'', [[GA 188]] (1982), Achter Vortrag, Dornach, 25. Januar 1919 {{Vorträge|188}}
#Rudolf Steiner: ''Heilpädagogischer Kurs'', [[GA 317]] (1995), ISBN 3-7274-3171-7 {{Vorträge|317}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus'', [[GA 218]] (1992), Stuttgart, 4. Dezember 1922 {{Vorträge|218}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Mysteriengestaltungen'', [[GA 232]] (1998), ISBN 3-7274-2321-8 {{Vorträge|232}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung und als Grundlage der Erkenntnis des Menschengeistes'', [[GA 233]] (1991), ISBN 3-7274-2331-5 {{Vorträge|233}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes «Faust»'', Band II: Das Faust-Problem, [[GA 273]] (1981), ISBN 3-7274-2730-2 {{Vorträge|272}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Eurythmie – Die Offenbarung der sprechenden Seele'', [[GA 277]] (1999), ISBN 3-7274-2770-1 {{Vorträge|277}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, V. Apokalypse und Priesterwirken'', [[GA 346]] (2001), ISBN 3-7274-3460-0 {{Vorträge|346}}
 
{{GA}}
 
== Weblinks ==
* {{Pierer|Kabiren}}
* [http://books.google.at/books?id=m1M9AAAAcAAJ Karl Barth: ''Die Kabiren in Deutschland''] (1832)
* [http://www.dasschwarzenetz.de/griechen/kabeiroi.htm Kabeiroi]
* [http://en.wikipedia.org/wiki/Kabeiroi Kabeiroi] - From Wikipedia, the free encyclopedia (Englisch)


[[Kategorie:Botanik]] [[Kategorie:Morphologie]] [[Kategorie:Goethe]] [[Kategorie:Goetheanismus]]
== Einzelnachweise ==
<references/>


{{Wikipedia}}
[[Kategorie:Griechische Mythologie]]
[[Kategorie:Griechische Gottheit]]
[[Kategorie:Gottheit nach Gruppe]]
[[en:Kabiri]]

Version vom 14. Juni 2022, 22:48 Uhr

Das Kabeirion auf Samothrake.

Die Kabiren (auch Kabiri oder Kabeiri, von griech. Κάβειροι Kábeiroi „die Großen“, lat. Cabiri) waren nicht näher bestimmte chthonische Götter beiderlei Geschlechts aus Kleinasien, die vielfach mit der Fruchtbarkeit, der Seefahrt oder dem Schmiedehandwerk in Zusammenhang gebrcht wurden. Als „Große Götter“ (griech. Μεγάλοι Θεοί Megáloi Theoí) wurden sie insbesondere auf Samothrake, aber auch auf Imbros und Lemnos verehrt. Weitere Kultstätten gab es unter anderem auch in Makedonien, Böotien, Pergamon und Milet. Die Kulte waren allerdings teils sehr unterschiedlich.

Die Kabiren galten als Kinder der Großen Mutter, der Kabeiro. Diese war nach der griechischen Mythologie eine Tochter des formwandelnden Meeresgottes Proteus und lebte als Meeresnymphe auf der Insel Lemnos. Nachdem sie aus dem Olymp verstoßen worden war, zeugte der griechische Schmiedegott Hephaistos mit ihr drei Söhne. Nach manchen antikten Autoren wurden auf Lemnos drei Kabeiri und drei kabeirische Nymphen (griech. τρεῖς Καβειρίδες νύμφαι treís Kabeirídes nýmphai) verehrt.[1] Von den Griechen wurde Kabeiro u. a. mit der Göttermutter Rhea, aber auch mit Demeter, Hekate und Aphrodite indentifiziert.

Mythologie

Das lemnische Kabeirion

Der Name der Kabiren ist nicht griechischen Ursprungs, sondern leitet sich ab von dem Berg Kabeiros in der Landschaft Berekyntia, der der phrygischen Göttermutter gehörte. Später machten sie Samothrake zu ihrer heiligen Mysterieninsel und begründeten hier die samothrakischen Mysterien. Zu dieser Zeit sei auch Orpheus ihr Schüler gewesen. Von in Not geratenen Seeleuten wurden sie als rettende Götter angerufen.

Verglichen mit der Großen Mutter erschienen sie wie Zwerge, dennoch nannte man sie Megaloi Theoi, »Große Götter«. Von den vier überlieferten Götternamen, die aus Mysterien der Kabiren, wahrscheinlich aus Theben, bekannt sind, Axieros, Axiokersos, Axiokersa und Kadmilos, wurde behauptet, sie bezeichneten Persephone, Demeter, Hades und Hermes. Die Vorsilbe axios (griech. ἄξιος), die in diesen Namen vorkommt, bedeutet würdig.

Die Kabiren von Lemnos waren Schmiede, und wurden darum Hephaistoi genannt, was sie in die Verwandtschaft zu den Telchinen rückt, jenen göttlichen Künstlern, die die ersten Götterstatuen nach menschlichem Bild aus Erz geformt haben sollen. Nur trat bei den Telchinen der unterweltliche Zug mehr hervor. Sie waren als böse Zauberer verrufen und hüteten neidisch die Geheimnisse ihrer Kunst.

Es ist auch die Geschichte von einem tragischen Brudermord unter den Kabiren überliefert:

„Auf dem Festlande, den genannten Inseln gegenüber, in Mazedonien, wurde über sie erzählt: es seien einmal drei Korybanten gewesen, drei Brüder, und zwei von ihnen ermordeten den dritten. Sie hüllten das abgeschnittene Haupt in ein purpurnes Gewand, sie bekränzten es und trugen es auf ehernem Schild zum Fuß des Olymp. Dort begruben sie es. Dieselben zwei Brüder trugen auch den Mysterienkorb, der einen Phallos enthielt, das Glied des Dionysos, bis zu den Etruskern.“ (Lit.: Kerényi, S. 70)

Die Kabiren in Goethes «Faust II»

Agamemnon wird in die samothrakischen Mysterien eingeweiht. Relief aus Samothrake (Louvre)

Im zweiten Teil von Goethes Faust-Dichtung, in den Szenen in den Felsbuchten des Ägäischen Meers spielen die Kabiren eine wesentliche Rolle:

NEREIDEN UND TRITONEN.
Was wir auf Händen tragen,
Soll allen euch behagen.
Chelonens Riesenschilde
Entglänzt ein streng Gebilde:
Sind Götter, die wir bringen!
Müßt hohe Lieder singen.

SIRENEN. Klein von Gestalt,
Groß von Gewalt,
Der Scheiternden Retter,
Uralt-verehrte Götter!

NEREIDEN UND TRITONEN.
Wir bringen die Kabiren,
Ein friedlich Fest zu führen;
Denn wo sie heilig walten,
Neptun wird freundlich schalten.

SIRENEN. Wir stehen euch nach:
Wenn ein Schiff zerbrach,
Unwiderstehbar an Kraft,
Schützt ihr die Mannschaft.

NEREIDEN UND TRITONEN.
Drei haben wir mitgenommen,
Der vierte wollte nicht kommen;
Er sagte, er sei der Rechte;
Der für sie alle dächte.

SIRENEN. Ein Gott den andern Gott
Macht wohl zu Spott.
Ehrt ihr alle Gnaden!
Fürchtet jeden Schaden!

NEREIDEN UND TRITONEN.
Sind eigentlich ihrer sieben!

SIRENEN. Wo sind die drei geblieben?

NEREIDEN UND TRITONEN.
Wir wüßtens nicht zu sagen,
Sind im Olymp zu erfragen;
Dort west auch wohl der achte,
An den noch niemand dachte!
In Gnaden uns gewärtig,
Doch alle noch nicht fertig.
Diese Unvergleichlichen
Wollen immer weiter:
Sehnsuchtsvolle Hungerleider
Nach dem Unerreichlichen.

Kabirenbecher

Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen, dass die Kabiren wesentlich mit dem Werden des Menschen zusammenhängen. Sie stehen in enger Beziehung zu den sieben Wesensgliedern des Menschen:

„Äußerlich betrachtet sind sie wiederum einfache Meeresgötter. Samothrake - die Griechen wußten es - war in verhältnismäßig gar nicht alter Urzeit von den furchtbarsten, erdbebenartigen Stürmen umbrandet, zerklüftet, durcheinandergeworfen. Also die Naturdämonen hatten hier in ganz ungeheuerlicher Weise so gewaltet, daß das noch wie in einer historischen Erinnerung für die alten Griechen war. Und in den Wäldern, in den dichten, damals dichten Wäldern von Samothrake war verborgen das Mysterium der Kabiren. Unter den mancherlei Namen, die die Kabiren tragen, sind auch die, wo der eine Kabir genannt wird Axieros, der zweite Axiokersos und der dritte Axiokersa, Kadmilos der vierte. Dann hatte man so ein unbestimmtes Gefühl, daß es noch einen fünften, sechsten und siebenten gab. Aber im wesentlichen war der Menschen geistiger Blick hingerichtet auf die drei ersten Kabiren. Es handelte sich bei den alten Vorstellungen von den Kabiren nun wirklich um das Menschenwerde-Geheimnis. Und eigentlich sollte derjenige, der in die heiligen Mysterien von Samothrake eingeweiht wurde, zu der Anschauung kommen: Was entspricht in der geistigen Welt, geistig angeschaut, demjenigen, was hier auf Erden geschieht, wenn für eine auf der Erde sich verkörpernde Seele der Mensch entsteht, der Mensch wird in der Generationsfolge? - Gewissermaßen das geistige Korrelat des menschlichen Geborenwerdens sollte geschaut werden in der geistigen Welt.“ (Lit.:GA 273, S. 202f)

„Nehmen Sie aus der heutigen Vorstellung die Szene mit den Kabiren heraus, versuchen Sie einmal, in dieser «Faust»-Szene nachzulesen alles, was sich auf die Kabiren bezieht, versuchen Sie, jede einzelne Zeile wirklich mit tieferem Interesse zu verfolgen, und Sie werden sehen, wie Goethe durch seine vergeistigten Instinkte durchaus noch drinnenstand in dem ahnenden Erkennen. Durch solche Vorstellungen und Mysterienverrichtungen, wie sie die Griechen hatten in Anlehnung zum Beispiel an die Kabiren, drückt sich für den Menschen ein Höchstes in bezug auch auf das Erkenntnisstreben und dergleichen aus. Diese Kabiren brachte Goethe mit Recht zusammen mit dem Wege, der führen soll vom Homunkulus zum Homo. Er brachte diese Kabiren mit Recht zusammen mit dem Geheimnisse des menschlichen Werdens.

Drei Kabiren werden herangebracht. Wir reden von drei menschlichen Gliedern zunächst. Bevor wir auf das wahrhaft Innere des Menschen gehen, reden wir von drei menschlichen Gliedern: von dem physischen Leib, dem ätherischen Leib, dem astralischen Leib. Indem man von diesen menschlichen Gliedern spricht, erregt man ja sogleich die Kritik derjenigen Menschen, die sich heute besonders gescheit dünken, die sich heute besonders wissenschaftlich dünken. So wenden zum Beispiel solche Leute ein: Warum denn den einheitlichen Menschen teilen, gliedern? Der Mensch sei doch eine Einheit, es sei schematisch, wenn man den Menschen in solche Glieder auseinanderschält. - Ja, aber so ist die Sache nicht, so einfach liegt sie nicht. Gewiß, wenn bloß eine schematische Einteilung des Menschen zugrunde läge, brauchte man keinen besonderen Wert auf diese Glieder zu legen. Aber diese einzelnen Glieder, die man scheinbar so abstrahiert von dem ganzen Menschen, stehen ja alle mit ganz ändern Sphären des Weltenalls in Verbindung. Dadurch, daß der Mensch einen physischen Leib hat, so wie er ihn heute hat, wie sich dieser physische Leib von seiner saturnischen Anlage heraus entwickelt hat bis in die heutige Zeit, dadurch gehört der Mensch dem Räume an, der Sphäre des Raumes. Und durch seinen ätherischen Leib gehört der Mensch der Sphäre der Zeit an. Also indem der Mensch den zwei total voneinander verschiedenen Sphären angehört, indem er, man könnte sagen, aus der Welt der Zeit und des Raumes herauskristallisiert ist, besteht er aus physischem Leib und aus Ätherleib. Das ist nichts Willkürlich-Schematisches, was man da als Einteilung, als Gliederung des Menschen anführt. Das beruht tatsächlich auf dem ganzen Zusammenhang des Menschen mit dem Weltenall. Und durch seinen astralischen Leib gehört der Mensch schon dem Außerräumlichen und Außerzeitlichen an.

Diese Trinität, gewissermaßen die menschliche Hüllentrinität, wird vorgeführt in den drei Kabiren. Der vierte «wollte nicht kommen». Und der ist es, der für sie alle denkt! Steigen wir herauf von den drei Hüllen zum menschlichen Ich, so haben wir in diesem menschlichen Ich zunächst das, was über Raum und Zeit, selbst über das Zeitlose, Raumlose des Astralischen herausragt. Aber dieses Ich des Menschen kam ja erst zum Bewußtsein gerade in dem Zeitraume, der auf die samothrakische Kabirenverehrung folgte. Die Griechen hatten aus der uralt heiligen samothrakischen Lehre allerdings ihren Glauben an das Unsterbliche; aber innerhalb des griechisch-lateinischen Zeitraumes sollte erst das Bewußtsein von dem Ich geboren werden. Daher wollte der vierte nicht kommen, der dasjenige repräsentiert, was als Verhältnis besteht zwischen dem Ich und dem Kosmos. Und wie ferne lag das dem Kabirengeheimnis, das zunächst hinweist auf das, was da war in dem Menschenwerden. Die drei höchsten, der fünfte, sechste und siebente, die sind noch «im Olymp zu erfragen»: Geistselbst, Lebensgeist, Geistesmensch. Die kommen, wie wir wissen, im sechsten und siebenten Zeitraume. Und an den achten hat überhaupt noch niemand gedacht!

Wir erblicken tatsächlich in der alten Form ausgesprochen das Menschheitsgeheimnis, wie es in Samothrake in denjenigen Mysterien verhüllt war, von denen die Griechen das Beste für ihr Seelenwissen, für ihre Seelenweisheit, ja auch das Beste für ihre Dichtung, insofern sich diese auf den Menschen bezog, genommen haben. Das ist das Wichtige, daß man erkennt: Sobald man den Blick zurückwendet in diese alten Zeiten, die Goethe also wiederum zu beleben versuchte, so schaut man hinein in ein Wissen vom Zusammenhang des Menschen mit dem Weltenall. Der Mensch fühlte sich verwandt mit allen Geheimnissen des Daseins. Der Mensch wußte: er ist nicht bloß eingeschlossen in die Grenzen seiner Haut, er gehört dem ganzen, weiten Weltenall an. Und dasjenige, was in seiner Haut eingeschlossen ist, ist nur das Bild seines besonderen Wesens.“ (Lit.:GA 188, S. 168ff)

In Goethes Faust-Dichtung eilen die Nereiden und Tritonen fort, um die Kabiren heranzubringen, was von den Sirenen so kommentiert wird:

SIRENEN: Fort sind sie im Nu!
Nach Samothrake gradezu,
Verschwunden mit günstigem Wind.
Was denken sie zu vollführen
Im Reiche der hohen Kabiren ?
Sind Götter! wundersam eigen,
Die sich immerfort selbst erzeugen,
Und niemals wissen, was sie sind.

„Also das sagen die Sirenen von den Kabiren. Es ist vielleicht so am leichtesten nahezukommen der Gesamtverfassung dieser Kabiren, wenn Sie an die Stelle in der Bibel denken, wo von den Elohim die Rede ist, die eigentlich erst, nachdem sie ihr Tagewerk geschaffen haben, sehen, daß es gut war, oder eigentlich, wie es dort steht, daß es schön war. Es ist natürlich für Menschen etwas schwer zu verstehen, weil Götter - die Kabiren - gerade, um die es sich hier handelt, nicht ein solches Bewußtsein haben wie Menschen oder wie gewisse spätere Götter. Die Kabiren sind Götter ersten Entstehens, und sie gehen auf in diesem Entstehen. Daher sind sie von einer viel zu großen Lebendigkeit, als daß sie ein voll ausgebildetes Bewußtsein haben. Sie gehören auch zusammen in dieser Beziehung. Es sind in Samothrake vier solcher Kabirengötter. Eigentlich sind es wohl acht; aber für Samothrake selbst kommen nur die vier in Betracht. Und nun natürlich kann man sagen: «Wundersam eigen, die sich immerfort selbst erzeugen, und niemals wissen, was sie sind.» Das kann man von den dreien, von den drei Hauptgöttern, welche die Erzeugungsgötter sind, schon sagen: von Axieros Axiokersos und Axiokersa. Von denen kann man schon sagen, daß sie nicht wissen, was sie sind. Aber so wenig diese drei zusammen wissen, was sie sind, so gut weiß der vierte für die drei. Also, wenn Sie sich denken: der Mensch bestehe aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich, und das Ich vollführt das Bewußtsein, so müssen Sie sich denken: diese Kabiren sind vier. Während beim Menschen diese vier Glieder zusammenhalten, sind aber diese Kabiren vier getrennte Wesen. Und Axieros ist physischer Leib, Axiokersos ist Ätherleib, Axiokersa ist Astralleib; die haben also kein Bewußtsein. Dagegen Kadmilos, der dem Ich entsprechende, der denkt für alle drei. Also das ist das Eigentümliche dieser Götter, daß der vierte eigentlich ihr Bewußtsein zugleich ist.

Wenn Sie den Zyklus nehmen, wo ich von den Elohim gesprochen habe, ist es auch so ähnlich, daß eigentlich der siebente für die sechs denkt.[2]“ (Lit.:GA 277, S. 534)

Die künstlerische Gestaltung der Kabiren

Die Kabiren als Krüge gestaltet nach dem Entwurf Rudolf Steiners.

Anläßlich der Inszenierung von Szenen aus dem zweiten Teil von Goethes Faust-Dichtung hat Rudolf Steiner nach einer geeigneten künstlerischen Darstellung der Kabiren gesucht:

„Erinnern wir dabei zum Beispiel an die samothrakischen Mysterien, auf die Goethe im zweiten Teile seines «Faust» anspielt, wo er von den Kabiren spricht. Ich habe versucht, in meinem Atelier in Dornach diese Kabiren nachzubilden. Was habe ich herausbekommen? Es war etwas sehr Interessantes. Ich habe einfach mir die Aufgabe gestellt, herauszubekommen durch Anschauung, wie innerhalb der samothrakischen Mysterien die Kabiren ausgesehen haben müssen. Und denken Sie: Ich habe drei Krüge, allerdings plastisch-künstlerisch gestaltete Krüge bekommen! Ich war anfangs selbst erstaunt, obwohl Goethe auch von Krügen spricht. Die Sache wurde mir erst erklärlich, als ich darauf kam: diese Krüge standen auf einem Altar, da wurde etwas Weihrauchähnliches hineingebracht, das Opferwort wurde gesungen, und aus der Kraft des Opferwortes, das in älteren Menschheitszeiten noch eine ganz andere schwingungserregende Gewalt hatte als heute, gestaltete sich der Opferrauch zu dem Bilde der Gottheit, das gesucht wurde. Sie haben unmittelbar in der religiösen Verrichtung den sekundierenden Gesang, der unmittelbar in der Plastik des Rauches sich auslebt.“ (Lit.:GA 218, S. 280)

„Das waren die Zeiten, in denen der Mensch nicht in abstracto gesagt hat: Im Urbeginne war der Logos, und der Logos war bei Gott, und ein Gott war der Logos - das waren die Zeiten, in denen der Mensch etwas ganz anderes sagen konnte, in denen der Mensch sagen konnte: In mir gestaltet sich die Ausatmung, und indem die Ausatmung sich in regelmäßiger Weise gestaltet, erweist sie sich selber als ein Nachbild kosmischen Schaffens, denn sie schafft mir aus dem Opferrauch Gestaltungen, die für mich die lebendigen Schriftzüge sind, die mir verraten, was mir die planetarischen Welten sagen wollen.

Und wenn sich der Schüler der Kabirenmysterien auf Samothrake näherte den Pforten dieser Einweihungsstätten, dann hatte er durch seinen Unterricht das Gefühl: Ja, jetzt betrete ich dasjenige, was mir umschließt die magischen Handlungen des opfernden Vaters. Denn «Vater» nannte man die zelebrierenden Initiatoren dieser Mysterien. Und was offenbarte dem Schüler die magische Kraft dieser zelebrierenden Väter? Durch das, was die Götter in den Menschen gelegt haben, durch die Gewalt der Sprache, schrieb der priesterliche Magier und Weise hinein in den Opferrauch jene Schriftzüge, die aussprachen die Geheimnisse des Weltenalls.“ (Lit.:GA 232, S. 182)

In den für die Priester der Christengemeinschaft gehaltenen Vorträgen über Apokalypse und Priesterwirken gab Steiner dazu noch weitere Erläuterungen:

„Wir stellen vor unsere Seele den Kabirenaltar von Samothrake. Die Kabiren, die daraufstanden als äußere Denkmäler, waren Opferkrüge, in denen jetzt nicht Fermentsubstänzen waren, sondern Substanzen, welche die menschliche Erkenntnis finden konnte, wenn sie in das innere Spirituelle der Substanz eindringen konnte. Solche Substanzen, die in den Opferkrügen darin waren, Opfersubstanzen, wurden entzündet, der Rauch stieg in die Höhe, und die magische Sprache wirkte so, daß in dem aufsteigenden Rauch erschien die Imagination dessen, was das Wort intonierte. So wurde äußerlich sichtbar im Opferrauch der Weg hinauf zu den göttlichen Kräften. Im Opferrauch wußten sich die Priester in der Atmosphäre, durch die die Transsubstantiation vollzogen wurde.[3] Das war das dritte Stadium in der Entwickelung der Mysterien und desjenigen, was in der Menschenweihehandlung für den Menschen enthalten ist.“ (Lit.:GA 346, S. 27)

Die Kabiren und der Menschheitsrepräsentant zwischen Luzifer und Ahriman

Die samothrakischen Eingeweihten sahen den Menschen nicht als eine Einheit, sondern als eine Dreiheit an, die durch die drei Kabiren Axieros, Axiokersos, Axiokersa repräsentiert wurde.

„Der samothrakische Eingeweihte lernte den Menschen kennen, wie er vor ihm stand im sinnlichen Anschauen, und ihm wurde gesagt: Du mußt von diesem Menschen zwei Extreme abziehen; Axiokersa, Axiokersos, die strahlen nur herein. Dann kannst du eventuell zurückbehalten Axieros. - So daß man auch die Sache so darstellen konnte, daß von den dreien Axieros gewissermaßen darstellt den menschlichen Mittelzustand, und die andern, die beiden Unsichtbaren, bestrahlen ihn nur.“ (Lit.:GA 273, S. 204)

Diese Anschauung entsprach dem alten atavistischen Hellsehen; wird sie in eine für unsere Zeit gültige Form lebendig umgebildet, erscheint das Bild des Menschheitsrepräsentanten zwischen Luzifer und Ahriman:

„Das samothrakische Mysterium als solches, mit seinen Kabirenverbildlichungen des Menschengeheimnisses, ist ganz und gar entsprechend der alten atavistisch-hellseherischen Weltanschauung, aber dasjenige, was in irgendeiner Menschheitsperiode lebt an Erkenntnisinhalt, kann in rechtmäßiger Weise fortgesetzt, muß umgebildet werden. Es ist unberechtigt, zu den alten Anschauungen, die für ganz andere Menschheitsepochen da waren, einfach wieder zurückkehren zu wollen; sie müssen umgebildet werden. Das samothrakische Geheimnis hat natürlich nur einen historischen Wert. Heute würden wir sagen: Wir stellen dar, wie in der Mitte der Menschheitsrepräsentant steht, Axieros, wie der Menschheitsrepräsentant umkreist wird von Axiokersa, wie Axiokersos heute wiederum mit dem Irdischen in Zusammenhang gebracht werden muß, und wir haben den Menschheitsrepräsentanten, Luzifer, Ahriman. Wir haben darinnen die für das heutige und das kommende Zeitalter angemessene Umgestaltung des heiligen samothrakischen Mysteriums.“ (Lit.:GA 273, S. 205)

Aristoteles und Alexander

Aristoteles und sein Geistesschüler Alexander der Große standen nach den Angaben Steiners zwar kaum in einer äußeren, aber in einer starken inneren seelischen Beziehung zu den samothrakischen Mysterien:

„Das Eigentümliche ist, daß in Alexander und in Aristoteles Menschen lebten, die eine andere Beziehung zum Geistigen hatten als ihre Umgebung, die, trotzdem sie sich nicht viel kümmerten um die samothrakischen Mysterien, dennoch in ihrer Seele eine große Verwandtschaft hatten mit dem, was in den samothrakischen Mysterien mit den Kabiren vorging.“ (Lit.:GA 233, S. 72)

Sprüche Rudolf Steiners aus den Kabirenmysterien auf Samothrake

Empfindung des Schülers an der Pforte

Ich trete ein in dasjenige,
Was mir umschließt einen gewaltigen Geist,
Was mir umschließt die großen Götter,
Jene großen Götter, welche auf der Erde
Durch die Opferhandlungen der Menschen
Die Geheimnisse des Weltenalls enthüllen.

Innerliches Erleben des Schülers, vermittelt durch den zelebrierenden Initiator am Opferaltar

So wollen dich die Kabiren,
Die großen Götter:
Merkurius in den Gliedmaßen,
Sonne im Herzen,
Mars in der Sprache.

Das Geheimnis der samothrakischen Welt, dem Schüler das Bewusstsein zu vermitteln

Natur ist Geist,
Geist ist Natur.

Dornach, 21. Dezember 1923 (Lit.:GA 40, S. 175)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Strabo, Geography, translated by Horace Leonard Jones; Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press; London: William Heinemann, Ltd. (1924). LacusCurtis, Online version at the Perseus Digital Library, Books 6–14
  2. vgl. dazu GA 122 (Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte), wo Rudolf Steiner schildert, wie die 7 Elohim durch die Schöpfungstätigkeit und insbesonders durch die Erschaffung des Menschen zu einem höheren Gemeinschaftsbewusstsein erwachen, das durch Jahve repräsentiert wird, der zugleich einer der sieben Elohim ist und sich später mit der Mondensphäre verbindet.
  3. Die interne Vervielfältigung der Christengemeinschaft enthält hier noch folgenden Wortlaut:
    «Dann waren die Substanzen so gemischt, wie es noch Aristoteles einem Alexander in alten Zeiten lehrte, daß aus dem Opferrauch herauskam die heilige Imagination, die den Weg zu den Göttern bedeutete; dann war diese Transsubstantiation, die priesterliche Handlung eine richtige. Die Menschenweihehandlung war wahrhaftig vollzogen. Der sie zelebrierte und der, der daran teilnehmen konnte, wußte, das ist das Erkenntnisorgan; denn indem aufflammt in dem Opferrauch und in dem Gebet, das zeremoniell gestaltet wird in dem magischen Wortverlauf, dasjenige was hinauf strömt zu den Göttern, kommt als Gnadengeschenk entgegen von oben die Offenbarung, die das Apokalyptische ist.» (Lit.:GA 346, S. 335)