Unbekannter Gott

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Von dem Unbekannten Gott oder dem Unbekannten Vater, gelegentlich auch als Ungezeugter Vater bezeichnet[1], wird oft in gnostischen Schriften gesprochen. Der unbekannte, unermessliche, unergründliche und unbegrenzte Gott oder Vater überragt alle Sphären und ist für die Gnostiker der geheime Mittelpunkt der Welt und die Quelle alles Seins, vergleichbar dem Ain Soph (hebr. אין סוף nicht endlich) der Kabbalisten. Im Apokryphon des Johannes wird Johannes von dem Christus ausführlich über das Wesen des «unbekannten Vaters» belehrt:

„Sofort als ich diese Dinge in meinem Herzen bewegte siehe, die Himmel öffneten sich, und die ganze Schöpfung, die unter dem Himmel ist, erstrahlte, und die Welt geriet in Erschütterung. Ich war ängstlich. Und siehe, ich sah im Licht ein Kind; es stand bei mir. Als ich es aber betrachtete, wurde es wie ein alter Mann. Und er änderte seine Gestalt ein weiteres Mal und wurde zu einem kleinen Menschen. Es war keine Vielheit vor mir, sondern es war da eine Gestalt mit vielen Formen im Licht. Und die Erscheinungen offenbarten sich gegenseitig, und die Gestalt hatte drei Formen.

Er sagte zu mir: ‚Johannes, Johannes, warum wunderst du dich. Sei nicht kleinmütig. Ich bin der, der mit euch ist alle Zeit. Ich bin der Vater, ich bin die Mutter, ich bin der Sohn. Ich bin der Unbesudelte und Fleckenlose. Nun bin ich gekommen, dich darüber zu belehren, was ist, was war und was sein wird, damit du alle Dinge kennst, welche nicht offenbar sind und welche offenbar sind, damit ich dich belehre über das nichtwankende Geschlecht des vollkommenen Menschen. Nun, deswegen erhebe dein Angesicht, damit du empfangen mögest die Dinge, die ich dir sagen werde heute, und damit du sie weitergibst an deine Gefährten des Geistes, die aus dem nichtwankenden Geschlecht des vollkommenen Menschen stammen.‘ Und ich fragte, damit ich es wisse.

Und er sagte zu mir: ‚Die Einheit ist eine Einherrschaft, über der nichts ist. Er ist der, der existiert als Gott und Vater des Alls, der Unsichtbare, der über dem All ist, der existiert als Unvergänglichkeit und als reines Licht, in das kein Auge blicken kann. Er ist der unsichtbare Geist, in bezug auf den es nicht passend ist, sich ihn als Gott oder etwas ähnliches vorzustellen. Denn er ist mehr als Gott, da es keinen über ihm gibt, denn niemand ist Herr über ihn. Denn er existiert nicht in irgendeiner Untergeordnetheit, denn alles existiert in ihm.

Denn er ist der, der sich selbst befestigt. Er ist ewig, denn er braucht nichts. Denn er ist die ganze Vollendung. Er brauchte nichts, daß er vollkommen werde durch es; vielmehr ist er immer gänzlich vollkommen im Licht. Er ist unbegrenzbar, da es keinen, der vor ihm ist, gibt, der ihn begrenzt. Er ist unergründbar, da es dort keinen, der vor ihm ist, gibt, um ihn zu ergründen. Er ist unmeßbar, da es keinen, der vor ihm ist, gab, um ihn zu messen. Er ist unsichtbar, da keiner ihn gesehen hat. Er ist ewig, da er ewiglich existiert. Er ist unaussprechbar, da keiner in der Lage war, ihn zu begreifen, um dann über ihn zu reden. Er ist unbenennbar, da dort keiner ist, der vor ihm ist, um ihn zu benennen. Er ist das unmeßbare Licht, das rein, heilig und gereinigt ist. Er ist unaussprechbar, indem er vollkommen ist in der Unvergänglichkeit. Er ist nicht in Vollkommenheit noch in Seligkeit noch in Göttlichkeit, sondern er ist weitaus vorzüglicher. Er ist weder körperlich noch ist er unkörperlich. Er ist weder groß noch ist er klein. Es gibt keine Art und Weise zu sagen: Wie groß ist er? Oder: Was ist seine Art? denn keiner ist in der Lage, ihn zu erkennen. Er gehört nicht zu den Existierenden, sondern er ist weitaus vorzüglicher, nicht als ob er an sich vorzüglicher wäre, sondern dieses, was das Seine ist, ist vorzüglicher. Er hat keinen Anteil, weder an den Äonen noch an Zeit. Denn wer nämlich Anteil hat an einem Äon, diesen haben andere bereitet. Man hat ihn nicht in eine Zeit eingeschlossen, denn er empfängt nicht von jemand anderem, denn es würde empfangen werden als Anleihe.

Denn der, der über allen steht, hat keinen Mangel, damit er empfange von ihm. Denn er ist der, der erwartungsvoll auf sich selbst blickt in seinem Licht.

Denn er ist groß. Zu ihm gehört eine unermeßliche Reinheit. Er ist Ewigkeit, die Ewigkeit gibt. Er ist Leben, das Leben gibt.

Er ist ein Seliger, der Seligkeit gibt. Er ist Erkenntnis, die Wissen gibt. Er ist Güte, die Güte gibt. Er ist Erbarmen, das Erbarmen und Rettung gibt. Er ist Gnade, die Gnade gibt.

Nicht weil er es besitzt, sondern weil er das unmeßbare unbegreifbare Licht gibt.

Wie soll ich sprechen mit dir über ihn? Denn sein Äon ist unvergänglich, er schweigt und existiert im Schweigen, indem er ruht und vor allen Dingen ist. Denn er ist das Haupt aller Äonen, und er ist der, der ihnen Stärke gibt in seiner Güte. Denn wir wissen nicht die unaussprechbaren Dinge, und wir wissen nicht, was unmeßbar ist außer ihm, der aus ihm offenbar geworden ist, nämlich aus dem Vater. Er nämlich ist es, der es uns allein gesagt hat. Denn er ist der, der sich anblickt in seinem Licht, welches ihn umgibt, das ist die Quelle des lebendigen Wassers. Und er ist es, der allen Äonen gibt. Und in jeder Gestalt nimmt er sein Bild wahr, indem er es in der Quelle des Geistes sieht.‘“

Apokryphon des Johannes: Der unbekannte Vater [1]

Anmerkungen

Literatur

  • James M. Robinson: The Nag Hammadi Library in English. Harper & Row, San Francisco 1988, ISBN 978-0-06-066935-5 (englische Übersetzung).
  • Gerd Lüdemann, Martina Janßen: Die Bibel der Häretiker. Radius, Stuttgart 1997, ISBN 3-87173-128-5 (deutsche Übersetzung der Nag-Hammadi-Texte).
  • Konrad Dietzfelbinger (Hrsg.): Schöpfungsberichte aus Nag Hammadi. Edition Argo, Dingfelder, Andechs 1989, 2. Auflage 1996, ISBN 3-926253-17-7 (greift auf mehrere Übersetzungen zurück, Texte und Kommentare).

Weblinks