Die Bestimmung des Menschen

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Die Bestimmung des Menschen (Erstausgabe 1800) ist eine populäre Schrift des Philosophen Johann Gottlieb Fichtes, durch die der Nicht-Fachgelehrte zur Selbsterkenntnis angeleitet werden soll, die diesen dann befähigen wird, mündig am öffentlichen Geschehen teilzunehmen.

Aufbau und Hintergrund

Im 18. Jahrhundert war es geradezu eine Modeerscheinung, Bücher unter dem Titel Die Bestimmung des Menschen zu veröffentlichen, die sich an den gebildeten Laien richteten (z. B. Johann J. Spalding, Betrachtung über die Bestimmung des Menschen). Auch Fichte machte diese Modeerscheinung mit. Seine Schrift gliedert sich in drei Bücher mit den Titeln "Zweifel", "Wissen" und "Glaube". Das erste und letzte Buch sind in der Ich-Form gehaltene Monologe, das zweite ist ein Dialog zwischen dem Ich und dem Geist. Damit erinnert das zweite Buch an die Soliloquia des Kirchenvaters Augustinus, in der es zu einem Dialog zwischen einem Ich und der Vernunft (ratio) kommt.

Hintergrund der Bestimmung des Menschen ist der sog. Atheismusstreit (1799), in dem Fichte vorgeworfen worden ist, er leugne mit seiner Philosophie Gott. In der Bestimmung wird der Glaube an Gott als Ziel seiner Philosophie festgelegt (eigentlicher Wille des Ichs = Wille Gottes).

Inhalt

Wissen und Handeln

In den beiden ersten Büchern „Zweifel“ und „Wissen“ untersucht Fichte die Frage, ob der menschliche Erkenntnisapparat die Welt als „unabhängig von [ihm] vorhandene Sinnenwelt objektiv vermittle. Einerseits habe er durch sein Wissen zwar Informationen über die Sinnenwelt […] aber Wissen [sei] nicht Realität“. Das Wissen sei nur von anderen übernommen, es sei „nur Abbildung“ (2. Buch, 8. Abschnitt), aber nicht das Original. Andererseits könne er durch seine Wahrnehmung und Gefühle nur seiner selbst, aber nicht der Objekte seiner Betrachtung als Wahrheit sicher sein. Denn er sei sein eigenes Geschöpf: „Der innerste Geist [s]eines Geistes [sei] nicht ein fremder Geist, sondern er [sei] schlechthin durch [ihn] selbst im eigentlichen Sinn hervorgebracht“ (3/3). Nach dem Lehrgespräch zwischen „Ich“ und dem „Geist“ (2. Buch) kommt „Ich“ zur Einsicht, dass das selbstbestimmte Handeln für das Bewusstsein entscheidend ist: „Nicht bloßes Wissen, sondern nach deinem Wissen Tun ist deine Bestimmung: so ertönt es laut im innersten meiner Seele […] Es ist in mir ein Trieb zu absoluter unabhängiger Selbsttätigkeit […] er ist unzertrennlich vereinigt mit dem Bewusstsein meiner selbst. […] Wer bin ich? Subject und Object in Einem, das allgegenwärtig Bewusstseiende und Bewusste, Anschauende und Angeschaute, Denkende und Gedachte zugleich“ (3/1). „Auf [s]ein Tun [müsse] alles [s]ein Denken sich beziehen […]“ (3/3).

Der Geist der Natur

Aber Fichte verlangt etwas „außer der bloßen Vorstellung Liegendes, das da ist, und war, und sein wird, wenn auch die Vorstellung nicht wäre“ (3/1). Die innere Stimme sage ihm, dass der Mensch im Kern ein übersinnliches Wesen ist und dies dem Geist der Natur entspricht: „Die Natur, in der [er] zu handeln habe, [sei] nicht ein fremdes, ohne Rücksicht auf [sich] zu Stande gebrachtes Wesen, in welches [er] nie eindringen könne. Sie [sei] durch [s]eine eigne Denkgesetze gebildet, und [müsse] wohl mit denselben übereinstimmen; sie [müsse] wohl [ihm] überall durchaus durchsichtig und erkennbar, und durchdringbar sein bis in ihr Inneres. Sie drück[e] überall nichts aus als Verhältnisse und Beziehungen [s]einer selbst zu [ihm] selbst, und so gewiss er hoffen [könne], [s]ich selbst zu erkennen, so gewiss [dürfe er sich] versprechen, sie zu erforschen“ (3/3). Dies geschieht in den vier Teilen (I-IV) des 3. Buches:

Verbindung zum ewigen Willen

In Teil IV fasst Fichte die Ergebnisse seiner Überlegungen zusammen. Er stellt in seinem Modell den Menschen in einen transzendenten, übersinnlichen, ewigen Zusammenhang und setzt ein „Gesetz einer geistigen Welt“ voraus, unter dem der „Wille aller endlichen Wesen selbst steht“ (3/IV/1). Die sinnliche, endliche Welt sieht er als „das Resultat des ewigen Willens in uns“ an (3/IV/2). Die Welt bedürfe jedoch der endlichen Vernunft und dieser dem Menschen von Gott anvertraute Teil der Schöpfung sei die Wurzel seiner Erkenntnisse. Sein „Gemüt“ und seine „Gedanken, wenn sie nur wahr und gut sind“ (3/IV/2), seien die Verbindung zum ewigen Willen, denn er sei nicht von ihm getrennt: „Deine Stimme ertönt in mir, die meinige tönt in dir wieder“. (3/IV/2). In den Gemütern der Menschen bilde er diese Welt fort und greife in sie ein und lasse „fortdauernd aus unseren Zuständen andere Zustände entstehen“ (3/IV/2). Und diese Stimme rufe den Menschen zur „Pflicht“ auf. Darin sieht der Autor seine „Bestimmung in der Reihe der vernünftigen Wesen“ (3/IV/2) zur Erfüllung der „Verordnung des geistigen Weltplans“ (3/IV/3). Mit ihm möchte sich der ewige Geist verwirklichen, und zwar durch die Menschen: „Durch alle“ solle „Eine große, freie, moralische Gemeine hervorgebracht werde[n]“ (3/IV/3).

Das Unbegreifliche

Am Ende seiner Untersuchung gesteht Fichte allerdings ein, dass er die Folgen dieses Willens und damit die Bestimmung des Menschen im System nicht begreifen kann: „Was ich werden soll, und was ich sein werde, übersteigt alles mein Denken“ (3/IV/5). „Was ich begreife, wird durch mein bloßes Begreifen zum Endlichen; und dieses lässt auch durch unendliche Steigerung und Erhöhung sich nie ins Unendliche umwandeln“ (3/IV/2). Auch sei es unmöglich, auf „Feigheit, Niederträchtigkeit und gegenseitiges Misstrauen der Menschen untereinander“ (3/IV/3) beruhende weltgeschichtliche Entwicklungen, und damit den „Plan, der über das Ganze sich erstreckt“ (3/IV/5.), der dem Menschlichen nicht ähnlich sein könne, zu begreifen. Denn „Natur, und Naturerfolg in den Schicksalen und Wirkungen freier Wesen, wird dir gegenüber zu einem leeren, nichts bedeutenden Worte“ (3/IV/3).

Die Rolle des Bösen in der Natur

„[S]ogar das in der Welt, was wir böse nennen, die Folge des Missbrauchs der Freiheit, [sei] nur durch ihn“ (3/IV/3). Fichte greift hier die oft diskutierte Frage nach der „Herrschaft des Bösen“ in der Welt auf. Aus guten Vorsätzen entständen oft Unheil und umgekehrt bewirkten ungerechte Zustände einen Widerstand und eine Verbesserung der Situation. Er erklärt dies mit der Ambivalenz der Natur: „Der Tugendhafte [sei] eine edle, der Lasterhafte eine unedle und verwerfliche, jedoch aus dem Zusammenhange des Universums notwendig erfolgende Natur“ (1/IV/7). Fichte glaubt an eine schmerzliche Heilung, in dessen Verlauf „Feigheit und Sklavensinn ausgerottet [werden], und Verzweiflung den verlorenen Mut wieder weckt“ (3/IV/3). „Dann werden die beiden entgegengesetzten Laster einander vernichtet haben, und das Edelste in allen menschlichen Verhältnissen, dauernde Freiheit, wird aus ihnen hervorgegangen sein“ (3/IV/3): „Die Natur führet den Menschen durch Mangel zum Fleiße, durch die Übel der Allgemeinen Unordnung zu einer rechtlichen Verfassung, durch die Drangsale ihrer unaufhörlichen Kriege zum endlichen ewigen Frieden“ (3/IV/3).

Ergebnis der Untersuchung ist, dass der Mensch nur für sich selbst Verantwortung übernehmen kann. Es ist seine Pflicht, sich selbst zu verbessern, seinen Verstand auszubilden, „die ganze Menschheit in ihrer ganzen Fülle darstellen, aber nicht um der Menschheit selbst willen; diese [sei] an sich nicht von dem geringsten Werte, sondern um hinwiederum in der Menschheit die Tugend, welche allein Wert an sich hat, in ihrer höchsten Vollkommenheit darzustellen“ (3/IV/5). Am besten fasse diese Bestimmung die „kunstlose Einfalt, wenn sie dieses Leben für eine Prüfungs- und Bildungs-Anstalt, für eine Schule zur Ewigkeit anerkennt; wenn sie in allen Schicksalen […] deine Fügungen erblickt, die zum Guten führen sollen; wenn sie fest glaubt, dass denen, die ihre Pflicht lieben und dich kennen, alle Dinge zum Besten dienen müssen“ (3/IV/3). Die Hoffnung auf den Fortschritt in der Entwicklung führt zu einer gelassenen Lebenshaltung: „Nur Eins ist, das ich wissen mag: was ich tun soll, und das weiß ich stets unfehlbar. Über alles anderes weiß ich nichts […] und enthalte mich, zu meinen, zu mutmaßen […] Kein Ereignis in der Welt kann durch Freude, keins durch Betrübnis mich in Bewegung setzen […] denn ich weiß, dass ich kein einziges zu deuten, noch seinen Zusammenhang mit dem, woran mir gelegen ist, einzusehen vermag“ (3/IV/6). Aus dieser Einsicht leitet Fichte eine Haltung der Ruhe „bei allen Ereignissen in der Welt“ (3/IV/3) ab.

Die Freiheit des Menschen

Aus der Freiheit des Menschen ergebe sich allerdings, dass auch „freie, zur Vernunft und Sittlichkeit bestimmte Wesen sind, welche gegen die Vernunft streiten, und ihre Kräfte zur Beförderung der Unvernunft und des Lasters aufbieten“ (3/ IV/6). Fichte entlastet diese Menschen teilweise. Eine „Liebe zum Bösen […] welche allein [s]einen gerechten Zorn reizen könnte“, liege „nicht in der menschlichen Natur“ (3/IV/6). Für sie gebe es überhaupt kein Böses oder Gutes, „sondern lediglich ein Angenehmes oder Unangenehmes“. Sie stände „nicht unter ihrer eigenen Botmäßigkeit, sondern unter der Gewalt der Natur […] in [ihr], die das erstere [das Angenehme] mit aller Macht sucht und das letztere [das Unangenehme] flieht“ (3/ IV/6). Viele Menschen könnten „nicht um das Mindeste anders handeln […] als sie handeln“. Darin liege jedoch „ihre Schuld und ihre Unwürde, dass sie sind, was sie sind, und dass sie, anstatt frei und etwas für sich zu sein, sich dem Strome der blinden Natur hingeben“. Denn sie handelten nur wirklich frei, wenn sie sich der „blinden und willenlosen Natur“ widersetzten 3/IV/6). Aus diesen Einsichten fällt Fichte nie ein, „statt Seiner die Welt regieren zu wollen“ (3/IV/5). Er sei nur das „Werkzeug[] des Vernunftzwecks“ (3/IV/6). Deshalb müsse der Mensch auch bei seinen Aktionen die eigene Verantwortung und „Freiheit anderer Wesen außer [ihm] in seinem Handeln ehren“ (3/IV/5), indem er unmittelbar nur „auf ihre Überzeugungen und auf ihren Willen wirken wolle[], soweit die Ordnung der Gesellschaft und ihre eigene Einwilligung es verstattet; keineswegs aber ohne ihre Überzeugung und ohne ihren Willen auf ihre Kräfte und Verhältnisse“ (3/IV/5), denn „sie tun auf ihre eigene Verantwortung, was sie tun, was ich nicht ändern kann, oder nicht darf, und der ewige Wille wird alles zu Besten lenken“ (3/IV/5).

Die Unsterblichkeit des Geistes

Aus seiner eigenen individuellen Geistigkeit, die nicht mit dem materiellen Ende zusammenfallen könne, schließt Fichte auf die Unsterblichkeit des Geistes. Das Universum trage das „Gepräge des Geistes; stetes Fortschreiten zum Vollkommenen in einer geraden Linie, die in die Unendlichkeit geht“ (3/IV/6). „Aller Tod in der Natur [sei] Geburt […] Es [sei] kein tötendes Princip in der Natur, denn die Natur [sei] durchaus lauter Leben“: „Selbst mein natürliches Leben, selbst diese bloße Darstellung des innern unsichtbaren Lebens vor dem Blicke des Endlichen, kann sie nicht vernichten, weil sie sonst sich selbst müsste vernichten können; sie, die bloß für mich und um meinetwillen da ist, und nicht ist, wenn ich nicht bin. Gerade darum, weil sie mich tötet, muss sie mich neu beleben; es kann nur mein in ihr sich entwickelndes höheres Leben sein, vor welchem mein gegenwärtiges verschwindet; und das, was der Sterbliche Tod nennt, ist die sichtbare Erscheinung einer zweiten Belebung“ (3/IV/6). Die Welt sei nur der „Vorhang“, durch den eine „unendlich vollkommene“ verdeckt werde, und der „Keim“, aus dem diese sich entwickeln soll (3/IV/6).

Analyse

Ähnlich wie René Descartes in seinen Meditationes findet Fichte im Wissen (cogitatio) Zuflucht vor dem Zweifel. Er will aber bei diesem Wissen nicht stehen bleiben, weil es den Menschen als Naturwesen völlig determiniere[1] (vgl. den Dogmatismus des Spinoza) und nur den Verstand zu befriedigen vermöge und dabei die Forderung des Herzens nach Freiheit und Verantwortlichkeit unerfüllt bleibe. Diese Freiheit könne sich der Einzelne nur durch die Selbsterkenntnis erwerben[2] (vgl. Kants Sapere aude, die sokratische Philosophie). Wahres Wissen könne das Ich nur in sich selbst finden, denn ein "Ding außerhalb von mir" gebe es nicht. Alles, was mich umgibt, sei lediglich das Produkt meines Vorstellungsvermögens[3]. Die Natur habe keinen Zweck an sich, sondern sie sei nur für mich da, dass ich nämlich durch sie zu meiner wahren Bestimmung gelange[4].

Literatur

Quellen

  • Band 2, S.165-319 der Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg. von Reinhard Lauth, Erich Fuchs und Hans Gliwitzky, Stuttgart - Bad Cannstatt 1962 ff. ISBN 3-7728-0138-2.
  • Band 1, S.219-376 der Werke in 2 Bänden. Hrsg. Wilhelm G. Jacobs, Peter L. Oesterreich, Frankfurt a. M. 1997. ISBN 3-618-63073-5
  • Die Bestimmung des Menschen. Auf der Grundlage der Ausgabe von Fritz Medicus revidiert von Horst D. Brandt. Mit einer Einleitung von Hansjürgen Verweyen, Hamburg 2000. ISBN 3-7873-1449-0.
  • Die Bestimmung des Menschen. Hrsg. und Nachw. von Theodor Ballauff und Ignaz Klein, Philipp Reclam jun. Stuttgart 1997. ISBN 3-15-001201-5.

Sekundärliteratur

  • Harald Münster: Fichte trifft Darwin, Luhmann und Derrida. "Die Bestimmung des Menschen" in differenztheoretischer Rekonstruktion und im Kontext der "Wissenschaftslehre nova methodo"; Amsterdam, New York: Rodopi 2011 (Fichte-Studien-Supplementa, Band 28). ISBN 978-90-420-3434-1
  • Bernhard Pansch: Fichtes "Bestimmung des Menschen" und Schleiermachers "Monologen". Vetterli, Buxtehude 1885 (Digitalisat)

Weblink

Einzelnachweise

  1. Kernsatz: "Ich bin eine durch das Universum bestimmte Äußerung einer durch sich selbst bestimmten Naturkraft.", S. 243, Band 1, Werke in 2 Bänden (s.o.).
  2. "Erkühne dich wahrhaft weise zu werden. (...) Ich [sc. der Geist] bringe dir keine neuen Offenbarungen. Was ich dich lehren kann, das weißt du längst, und du sollst dich jetzt desselben nur erinnern.", S. 254, Band 1, Werke in 2 Bänden (s.o.).
  3. S. 294, Band 1, Werke in 2 Bänden (s.o.).
  4. "Meine Welt sei - Objekt und Sphäre meiner Pflichten, und absolut nichts anderes." S. 316, Band 1, Werke in 2 Bänden (s.o.)


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