Zahl und Übermensch: Unterschied zwischen den Seiten

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Die '''Zahlen''' sind eine [[Kategorien|Grundkategorie]] menschlichen Denkens. Es beginnt mit der [[Unterscheidung]], die der Zwei entspricht. Umstritten ist, inwiefern die sog. objektive [[Realität]] auch nach solchem Zahlenraster bestimmt sein soll. Ist die Zahl ein objektives Merkmal einer Realität, die einem erkennenden Menschen faßbar ist, oder kann ein Mensch [[Wirklichkeit]] nur fassen bei der Voraussetzung der Zahl, die exemplarisch in der 2 gegeben ist, - die objektive Realität fügt sich den Zahlen "in Wirklichkeit" aber nicht? Die Zahlen sind ein Kategoriensystem des Menschen, das wegen seiner unbegreiflichen Unhintergehbarkeit im [[Erkennen]] es schwierig macht, den Kosmos anders als ein Zahlenräderwerk zu verstehen.
'''Übermensch''' ({{ELSalt|υπεράνθρωπος}} ''Hyperánthropos''; [[lat.]] ''{{lang|la|homo superior}}'') ist ein Begriff aus dem [[Philosophie|philosophischen Denken]]. Als Übermensch wird ein „Idealmensch“ bezeichnet, der über das gewöhnliche Leben eines als normal und meist negativ bewerteten Menschen hinausgewachsen ist oder hinausstrebt. Die weitaus bekannteste ''Übermensch''-Konzeption stammt von [[Friedrich Nietzsche]].


Das gilt übrigens auch für Fragen hinsichtlich des [[Monotheismus]], der [[Trinität]] usw., denn es wird da vorausgesetzt ein System der Zahlen: es gibt die Eins, die Zwei usw. Was hat es damit auf sich, und wie kann sich eine Forschung dem zuwenden, wenn sie das Zahlensystem schon voraussetzt, voraussetzen ''muß''?
== Begriffsgeschichte ==
Die früheste Prägung des Wortes ''Übermensch'' ist als „hyperanthropos“ bekannt und wurde schon im 1. Jahrhundert v. Chr. von [[w:Dionysios von Halikarnassos|Dionysios von Halikarnassos]] benutzt. [[w:Lukian von Samosata|Lukian]] verwendete im 2. Jahrhundert n. Chr. den Begriff, allerdings zum Spott auf die großen Herren der Welt, die im Totenreich auf ihre natürliche Größe zurechtgestutzt würden. In deutscher Sprache tauchte der ''Übermensch'' erstmals bei Hermann Rab, [[w:Provinzial|Provinzial]] der sächsischen Dominikanerprovinz, 1527 in einem Brief auf, wo er so etwas wie ein Schimpfwort für „[[Lutheraner]]“ ist.


Diese Frage ist auch an die Experten der sog. [[Voraussetzungslosigkeit|voraussetzungslosen]] Erkenntnis zu stellen. Man hat viel schlaue Einwendungen gemacht gegen [[Kant]], aber wie ist es mit den Zahlen? Der Mensch ist notwendigerweise als Erkennender von der Umwelt getrennt, unterscheidet sich von ihr, daher ist er uneins, und im Erkennen wird er eins mit ihr. Das ist aber das System der Zahl. D.h. der Mensch kann nichts [[wissen]] ohne die Zahl vorauszusetzen, oder aber sie im Erkennen zumindest mit zu [[Konstitution|konstituieren]]. Kann er aber auch wissen, wie die Wahrheit oder Realität jenseits eines Zahlenrasters aussieht?
Der Übermensch spielt in [[Dante Alighieri|Dantes]] ''[[Göttliche Komödie]]'' eine zentrale Rolle. Das [[Hapax legomenon]] ''transumanar'' (Wortschöpfung Dantes, aus [[lat]]. ''trans'', „hindurch“, „über … hinweg“ und ''umano'', „menschlich“, als [[Verb]]um (hier) jedoch das „Übermenschlichen“) wird besonders im Paradiso (erwähnt in Canto I, 70) zu einem Hauptmotiv. Analogien lassen sich in der verhängnisvollen Vergöttlichung des [[Glaukos (Meeresgott)|Glaukos]] finden. In [[Ovid]]s ''[[Metamorphosen (Ovid)|Metamorphosen]]'' (7, 219; 13, 898 - 14, 74) war Glaukos ein sterblicher Fischer, der durch Zufall ein magisches Kraut entdeckte, das ihn durch Verzehr unsterblich machte. Allerdings wuchsen ihm Brust- und Schwanzflossen, die Arme und Beine bildeten sich zurück. Dies zwang ihn, für immer im Meer zu leben.<ref>Siehe auch: [//danteworlds.laits.utexas.edu/textpopup/par0101.html ''danteworlds.laits.utexas.edu''], abgerufen am 22. Februar 2015, 20:57.</ref> In Dantes Werk bedeutet das Übermenschliche nichts weniger als „den Status des Menschen, seine Daseinsbedingungen hinter sich zu lassen, auf dem Wege zum Göttlichen.“ Konkret bedeutet das aber, dass der normale Mensch (im Gegensatz zu dem Wanderer Dante) dieses Übermenschlichen nicht im Diesseits, sondern erst im Jenseits erleben wird.<ref>Hartmut Köhler (Übers. u. Komm.): „La Commedia / Die Göttliche Komödie III. Paradiso / Paradies“, Stuttgart 2012, S. 21–25, ISBN 978-3-15-010796-6.</ref>


Es handelt sich bei dieser schwierigen Erkenntnisfrage nicht etwa um eine fragliche erste richtige, ''bestimmte'' Unterscheidung, wie sie das Denken trifft, etwa die zwischen [[Subjekt]] und [[Objekt]]. Wenn das Denken wohl jenseits solcher bestimmter Unterscheidung liegt, denn es bringt diese erst hervor, so kann das Denken doch nichts anderes hervorbringen als eine Unterscheidung. Das Denken kann nicht zuerst die Einheit denken. Es beginnt notwendigerweise mit der Zwei. Insofern ist die traditionelle Auffassung, daß das Denken aus einem Subjektiven anhebe, nachvollziebar, denn das Denken beginnt aus dem Unterschied zur Welt, und nicht aus einer Einheit der Welt. Im Erkennen findet es wohl zur Einheit zurück, kann aber diese Differenz selbst damit nicht fassen. Der [[Monismus]] ist insofern genauso wie der [[Dualismus]] eine dogmatische Position, denn nicht nur die Idee der [[Einheit]] wirbt suggestiv für ihren Vorrang, sondern auch die Idee einer [[Ursprung|ursprünglichen]] Differenz, aus der allein Welt entstehen konnte, hat Plausibilität. Welt wäre demnach in ihrer Grundstruktur dualistisch.
[[Datei:Faust und Erdgeist, Illustration von Goethe.jpg|mini|hochkant|„Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich Dir!“ ([[Faust. Eine Tragödie.|Faust]], Illustration von [[Johann Wolfgang von Goethe|Goethe]])]]
Angeregt wurde Dante sicherlich von Schriften des [[Pseudo-Dionysius Areopagita]] (besonders die in lateinischen Übersetzungen häufig vorkommenden Ausdrücke ''super hominem'', ''ultra hominum modum'', ''superhumanus''), aber auch [[Thomas von Aquin]], [[Augustinus von Hippo|Augustinus]] und schon [[Matthäus (Evangelist)|Matthäus]] könnten sprachliche Anstöße gegeben haben. Bei [[w:Lukian von Samosata|Lukian]] noch heidnisch, wurde der Begriff „Übermensch“ erstmals in christlichem Sinne vom Propheten Montanus (gest. 178) verwendet. Schon [[w:Ernst Benz|Ernst Benz]] legte ausführlich dar, dass der Terminus „Übermensch“ in der Theologie der Kirche weit entwickelt war, Jahrhunderte vor der Verbreitung von [[Friedrich Nietzsche|Nietzsches]] antichristlichem Pathos.


Die weiteren [[a priori|apriorischen]] Denknotwendigkeiten führen dann entweder zum [[Paradox]], einer ursprünglichen Einheit der Eins und der Zwei<ref>"Die sorgfältige Beschreibung des Veränderungsphänomens führt in ein Widerspruchsproblem. Veränderung muss nämlich als ein Zugleich von Identität und Nicht-Identität ausgesagt werden. Wenn sich etwas verändert, bleibt es dasselbe und ist doch zugleich nicht dasselbe. Veränderung besteht also in einer Einheit voneinander ausschließenden Gegensätzen und stellt ein Beispiel dafür dar, dass alles in der Welt (und auch die Welt als ganze) die Struktur einer Einheit von Gegensätzen aufweist. Hierin liegt die letzte logisch-ontologische Erklärungsbedürftigkeit der Welt, weil angegeben werden können muss, wie sich ein Widerspruchsproblem von einem echten Widerspruch, der durch die universale Geltung des Nichtwiderspruchsprinzips ausgeschlossen ist, unterscheiden lässt." (Zitat aus wikipedia: [[wikipedia:Veränderung#Auffassung der Dialektik|Veränderung]])</ref>, oder, wie es auch die Zahlenfolge angibt, zur Dreiheit. Im Begriff des Paradoxes ist freilich schon enthalten, was den Zahlen als solchen nicht zukommt: Das Moment der Spannung, der [[Übergang]] und die [[Prozeß]]förmigkeit, der [[Bewegung]]scharakter des Denkens. Die Dreiheit entspricht im [[Dialektik|dialektischen]] Denken der [[Synthese]]. In der Dreiheit oder Synthese kommt das Denken zu einer ersten Ruhe, weshalb der dritte Gott der Trinität, der [[heiliger Geist|heilige Geist]], auch mit [[Frieden]] assoziiert ist.
Vom ''Übermenschen'' sprachen, jeweils mit unterschiedlichem Bedeutungsinhalt, unter anderem der Theologe [[w:Heinrich Müller (Theologe, 1631)|Heinrich Müller]] in dem Werk ''Geistliche Erquickungsstunden'' (1664),<ref>Walter Kaufmann: ''Nietzsche. Philosoph, Psychologe, Antichrist''. Übersetzt von Jörg Salaquarda. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1982, ISBN 3-534-08769-0, S.&nbsp;359</ref> [[Johann Gottfried von Herder]] und der indische Philosoph [[Sri Aurobindo]]. [[Johann Wolfgang von Goethe]] gebrauchte den Ausdruck, wiederum in spöttischem Sinn, in seiner Tragödie [[Faust. Eine Tragödie|''Faust I'']]: „Welch erbärmlich Grauen fasst Übermenschen dich!“ sagt der [[Erdgeist]]. Faust sei eigentlich nur „ein furchtsam weggekrümmter Wurm“. Im Gedicht ''Zueignung'' schreibt Goethe:


Insofern man zwischen [[Form]] und [[Struktur]] unterscheiden will, ist die Zahl eher der Struktur zuzuordnen, ihre [[Geometrie|geometrische]] Entsprechung (Punkt, Linie, Fläche, Tetraeder usw.) der [[Form]]. [[Gestalt]] ist ein Begriff, den man der Struktur und der Form gleichermaßen zuordnen kann, oder, über sie hinausgehend, ihrem [[Spiel|Zusammenspiel]]<ref>Der Begriff des Spiels ist andererseits umfassender, enthält die Komponente [[Bewegung]].</ref>.
<poem>
: ''Kaum bist du Herr vom ersten Kinderwillen,''
: ''So glaubst du dich schon Übermensch genug,''
: ''Versäumst die Pflicht des Mannes zu erfüllen!''
: ''Wie viel bist du von andern unterschieden?''
: ''Erkenne dich, leb' mit der Welt in Frieden!''
</poem>


== Das Zahlenverständnis Rudolf Steiners ==
Im Roman ''[[Schuld und Sühne]]'' (1866) des russischen Schriftstellers [[Dostojewski]] ist die Vorstellung der Hauptfigur Raskolnikow Vorläuferin der Idee von Nietzsche von einem zur Herrschaft berufenen „Übermenschen“. Raskolnikow, der davon träumt, ein Napoleon zu werden, hat sich einer Selbsttäuschung hingegeben. Er zerbricht an dem Versuch, als Übermensch die Funktion Gottes mit zu übernehmen, über Gut und Böse zu entscheiden. „Der wahre Meister“ des Verbrechens sei [[Napoleon]], erkennt er an: „Ich bin genauso eine Laus wie die andere.“ Dostojewski verurteilte also das Gefühl der Macht und das individualistische Prinzip.<ref>Vgl. hierzu Rainer Buck: ''Fjodor M. Dostojewski: Sträfling, Spieler, Seelenforscher'', B&S 2013, [https://books.google.fr/books?id=bFBqAwAAQBAJ&pg=PT67&dq S. 67]; Fedor Dostojewski: ''Schuld und Sühne'', Aufbau Verlag, 1956, [http://gutenberg.spiegel.de/buch/schuld-und-suhne-2100/40 Nachwort.]</ref>


<div style="margin-left:20px">
Kritisch verarbeitet [[Theodor Fontane]] den Begriff in seinem Roman ''[[Der Stechlin (Roman)|Der Stechlin]]'' (1897), wo der alte Stechlin sagt: „Jetzt hat man statt des wirklichen Menschen den sogenannten Übermenschen etabliert; eigentlich gibt es aber bloß noch [[Untermensch]]en, und mitunter sind es gerade die, die man durchaus zu einem ‚Über‘ machen will. Ich habe von solchen Leuten gelesen und auch welche gesehn. Ein Glück, daß es, nach meiner Wahrnehmung, immer entschieden komische Figuren sind, sonst könnte man verzweifeln.“<ref>Theodor Fontane: ''Der Stechlin'' [1897], mit einem Nachwort von Walter Müller-Seidel, Insel, Frankfurt 1975, S.&nbsp;347</ref>
"Sehen Sie, hier in der physisch-sinnlichen Welt kann man zählen:
eins, zwei, drei; man kann sogar - wenn auch nicht gerade jetzt - Geld
zählen in der physisch-sinnlichen Welt; aber das Zählen hat in der geistigen
Welt nicht eigentlich einen Sinn. Da bedeutet die Zahl nichts
Besonderes, da ist alles mehr oder weniger Einheit, und jene Unterscheidung,
die man haben muß zwischen den Dingen, wenn man sie
zählt, wo eins neben dem anderen sein muß, gibt es nicht in der geistigen
Welt." {{Lit|{{G|239|156}}}}
</div>


<div style="margin-left:20px">
== Friedrich Nietzsche ==
"Verstehen kann ich die Welt eigentlich nur, wenn ich sie mit Bezug auf die Dreizahl ins Auge fasse. Denn wir haben auf der einen Seite alles dasjenige, was luziferisch ist, auf der anderen Seite alles dasjenige, was ahrimanisch ist, mitten hineingestellt den Menschen, der als ein Drittes, wie im Gleichgewichtszustande zwischen beiden, sein Göttliches empfinden muß."<ref>Diese Dreiheit hat Rudolf Steiner auch in seiner Skulptur des Menschheitsrepräsentanten Christus, zwischen Luzifer und Ahriman, dargestellt, die im Goetheanum steht.</ref>
Aus Sicht [[Friedrich Nietzsche]]s ist es die Aufgabe des Menschen, einen Typus hervorzubringen, der höher entwickelt ist als er selbst.<ref>Primus-Heinz Kucher, ''Verdrängte Moderne – vergessene Avantgarde: Diskurskonstellationen zwischen Literatur, Theater, Kunst und Musik in Österreich 1918–1938'', Vandenhoeck & Ruprecht 2015, S. 68</ref> Diesen dem Menschen überlegenen Menschen nennt Nietzsche den ''Übermenschen'', ein Begriff, welcher bei Nietzsche sowohl eine geistige als auch eine biologische Bedeutung hat. Nietzsche verwendet den Begriff ''Übermensch'' das erste Mal in seinen Jugendschriften in Bezug auf [[George Gordon Byron|Lord Byron]], der als „geisterbeherrschender Übermensch“ charakterisiert wird.<ref>''Jugendschriften'', dtv, München 1994, Band 2, Seite 10.</ref> In systematischer Weise taucht der Begriff des Übermenschen zuerst in seinem Werk ''[[Also sprach Zarathustra]]'' (1883–85) auf, auch wenn sein Konzept des Übermenschen schon in seinem Werk ''Menschliches, Allzumenschliches'' (1878) teilweise entwickelt ist. Nietzsche übernahm den Terminus vom französischen materialistischen Philosophen [[w:Helvétius|Helvétius]], der vom ''„homme supérieur“'' geschrieben hatte.
{{Lit|{{G|194|18}}}}
</div>


<div style="margin-left:20px">
=== Immoralismus und Biologismus ===
"Die Zwei nennt man im Okkultismus die Zahl der Offenbarung. Mit der Zahl Zwei bekommen wir sozusagen schon etwas Boden unter die Füße, während wir bei der Zahl Eins noch ziemlich im Bodenlosen herumtappen. Wenn wir sagen: Zwei ist die Zahl der Offenbarung -, dann heißt das nichts anderes als: Alles, was uns in der Welt entgegentritt, was nicht in irgendeiner Beziehung verborgen ist, sondern heraustritt in die Welt, steht irgendwie in der Zweiheit. Sie werden nämlich die Zahl Zwei überall in der Natur verbreitet finden. Es kann sich nichts offenbaren, ohne die Zahl Zwei zu berühren. Licht kann sich niemals für sich allein als Einheit offenbaren. Wenn sich Licht offenbart, muß auch Schatten oder Dunkelheit dabei sein, es muß also eine Zweiheit da sein. Es könnte niemals eine Welt geben, die mit offenbartem Licht erfüllt wäre, wenn es nicht auch dementsprechenden Schatten gäbe. Und so ist es mit allen Dingen. Nie könnte sich das Gute offenbaren, wenn es nicht als Schattenbild das Böse hätte. Die Zweiheit von Gut und Böse ist eine Notwendigkeit in der offenbaren Welt. Solche Zweiheiten gibt es unendlich viele, sie erfüllen die ganze Welt, wir müssen sie nur an der richtigen Stelle aufsuchen." {{Lit|{{G|101|170}}}}
Das Ziel der Menschheit liegt nach Nietzsche nicht in der Zukunft oder im allgemeinen Wohlergehen der derzeit bestehenden Gattung, sondern in den immer wieder auftretenden „höchsten Exemplaren“, eben den Übermenschen. Aus dieser philosophischen Position resultiert seine Ablehnung der „idealistischen“ Interpretation des Übermenschen und die positive Einschätzung gerade von immoralistischen und nach Größe strebenden Machtmenschen wie [[Alkibiades]], [[Julius Cäsar]], [[Cesare Borgia]] oder [[Napoléon Bonaparte]]. So schrieb er in [[Ecce homo (Nietzsche)|Ecce homo]] (1888):
</div>


{{GZ|Der Laie in solchen Dingen
{{Zitat|Das Wort »Übermensch« zur Bezeichnung eines Typus höchster Wohlgeratenheit, im Gegensatz zu »modernen« Menschen, zu »guten« Menschen, zu Christen und andren Nihilisten –&nbsp;ein Wort, das im Munde eines Zarathustra, des Vernichters der Moral, ein sehr nachdenkliches Wort wird&nbsp;– ist fast überall mit voller Unschuld im Sinn derjenigen Werte verstanden worden, deren Gegensatz in der Figur Zarathustras zur Erscheinung gebracht worden ist: will sagen als »idealistischer« Typus einer höheren Art Mensch, halb »Heiliger«, halb »Genie« … Andres gelehrtes Hornvieh hat mich seinethalben des Darwinismus verdächtigt; selbst der von mir so boshaft abgelehnte »Heroen-Kultus« jenes großen Falschmünzers wider Wissen und Willen, [[Thomas Carlyle|Carlyles]], ist darin wiedererkannt worden. Wem ich ins Ohr flüsterte, er solle sich eher nach einem [[Cesare Borgia]] als nach einem [[Parsifal]] umsehn, der traute seinen Ohren nicht.}}
wird sehr leicht sagen, wenn er hört, daß die Siebenzahl und andere
Zahlen eine so große Rolle spielen in unseren Betrachtungen:
Nun ja, diese Anthroposophen wärmen wieder jenen alten Aberglauben
auf, der sich an die Siebenzahl, an die Zwölfzahl und dergleichen
knüpft. — Und schon wenn unsere lieben Zeitgenossen
von so etwas hören, was in einer regelmäßigen Weise nach der
Siebenzahl vorwärtsschreitet, dann sprechen sie von Aberglauben,
obwohl diese unsere Zeitgenossen eigentlich in bezug auf das, wovon
sie etwas verstehen, in genau demselben Aberglauben leben,
denn unsere Zeitgenossen sprechen zum Beispiel davon, daß der
Regenbogen sieben Farben hat, die Tonskala sieben Töne, da der
achte nur eine Wiederholung der Prim ist. Und noch auf manch
anderem Gebiete spricht man von der Siebenzahl, und mit Recht.
In keinem anderen Sinne als der Physiker es tut, wenn er von der
Siebenzahl der Farben spricht, und ebenso wie man in der Tonlehre
spricht von den sieben Tönen, so sprechen wir, wenn wir
die großen Weltenverhältnisse betrachten in bezug auf die Siebenzahl.
Die Siebenzahl ist uns dabei gar nichts anderes als ein Ergebnis
der okkulten Erfahrung. So wie sich der Mensch hinstellt
und die sieben Farben zählt, so zählt der Okkultist sieben aufeinanderfolgende
Zustände der Weltenentwickelung. Und weil die
Weisheit der Welt immer von diesen Dingen wußte und sprach,
deshalb ging das in das allgemeine Bewußtsein über und man fand
etwas besonders Bedeutungsvolles in dieser Siebenzahl. Gerade weil
die Siebenzahl zum Beispiel in den Weltverhältnissen begründet
war, ging sie in den allgemeinen Glauben, natürlich auch Aberglauben,
über.|104|191f}}


Man kann diese Aussagen Steiners wohl dahin gehend interpretieren, daß er die Zahlenförmigkeit der Welt als eine objektive ansieht. Die Zahlenförmigkeit ist ein objektiv gegebenes Faktum der realen Welt, und nicht etwa nur ein kategoriales Raster. Er spricht allerdings von der Welt als einer "offenbaren". Gemeint ist wohl eine für den Menschen offenbare Welt. Es könnte aber auch die Welt gemeint sein als eine [[Entäußerung|entäußerte]].
Neben dem [[Idealismus]] weist Nietzsche hier auch den Zusammenhang mit dem [[Darwinismus]] zurück. Wie jedoch beispielsweise [[Rüdiger Safranski]] argumentiert, finden sich in Nietzsches Schriften durchaus darwinistisch-biologistische Ansätze, oft verbunden mit Gedanken zur [[Eugenik]]. Bereits im Zarathustra vergleicht Nietzsche die ''Entwicklung'' vom Affen zum Menschen mit der Entwicklung vom Menschen zum Übermenschen. In einem Notizbuch von 1884 schrieb Nietzsche, dass man durch ''Züchtung'' und durch „Vernichtung von Millionen Mißrathener“ den „zukünftigen Menschen“ gestalten soll. In der [[Zur Genealogie der Moral|Genealogie der Moral]] (1887) findet sich der Gedanke, dass die Menschheit als Masse dem Gedeihen einer einzelnen stärkeren ''Species'' Mensch geopfert werden könnte. Ziel sei es, eine Herrenkaste zu züchten, welche zur Herrschaft über Europa berufen sei. Schließlich spricht er in [[Ecce homo (Nietzsche)|Ecce homo]] von der „Partei des Lebens“, welche die ''Höherzüchtung'' des Menschen und die Vernichtung alles „Entartenden“ und „Parasitischen“ in die Hand nimmt. Safranski schließt:


== Siehe auch ==  
{{Zitat|Nietzsches Bild vom Übermenschen ist ambivalent, und es verbirgt sich darin ein existenzielles Drama. Der Übermensch repräsentiert einen höheren biologischen Typus, er könnte das Produkt einer zielstrebigen Züchtung sein; er ist aber auch ein Ideal für jeden, der Macht über sich selbst gewinnen und seine Tugenden pflegen und entfalten will, der schöpferisch ist und auf der ganzen Klaviatur des menschlichen Denkvermögens, der Phantasie und Einbildungskraft zu spielen weiß. Der Übermensch realisiert das Vollbild des Menschenmöglichen, und darum ist Nietzsches Übermensch auch eine Antwort auf den Tod Gottes.}}
*[[Mathematik]]
 
*[[Numerologie]]
=== Ewige Wiederkunft, Wille zur Macht und Nihilismus ===
*[[Zahlen]]
Nietzsche verbindet vorerst den Gedanken des ''[[Wille zur Macht|Willens zur Macht]]'' mit seiner Idee der ''[[Ewige Wiederkunft|Ewigen Wiederkunft]]''. Der Gedanke der Ewigen Wiederkunft besagt, dass sich alle Ereignisse im Universum auf ewig wiederholen werden, da es eine unendlich lange Zeit gebe, jedoch eine nur endliche Zahl möglicher Zustände der Welt. Damit sind alle möglichen Zustände bereits eingetreten und der gegenwärtige Zustand stelle eine Wiederholung dar. Alles, was der Mensch erlebt, wurde also von diesem schon unendlich oft erlebt und wird ebenso unendlich oft wieder durchlebt werden. Diesen Gedanken zu denken, ist für Nietzsche ''das Schwerste''. Erst wer fähig ist, ihn zu ertragen, d.&nbsp;h., in die Interpretation des eigenen Lebens zu integrieren, der beweist sich als Übermensch und überwindet somit den [[Nihilismus]] der Ewigen Wiederkunft. In einem Akt der gänzlichen Einverleibung ''identifiziert'' sich der Übermensch mit der Ewigen Wiederkunft.
*[[wikipedia:Philosophie der Mathematik|Philosophie der Mathematik]]
 
*[[1]]
Darüber hinaus besitzt der Übermensch auch einen Überschuss an Lebenskraft und Willen zur Macht, was ihn zu besonderer Selbstbeherrschung und Selbstentfaltung befähigt. Er stellt somit eine radikale Lebensbejahung als Gegenentwurf zum [[Nihilismus]] dar. Der Übermensch gilt deshalb als Überwinder des Nihilismus. Er ist der Schöpfer neuer (produktiverer) Werte, die er aus sich selbst bezieht und die anstelle der durch den Nihilismus zuvor zerstörten bzw. verneinten transzendenten Werte ([[Gott]], [[Religion]], ewige und unbezweifelbare [[moral]]ische und [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretische]] [[Dogma|Dogmen]]) nunmehr eine immanente, dem Leben zugewandte und dem Leben dienliche Entsprechung finden.
*[[2]]
 
*[[3]]
Aus dieser Perspektive wäre der Übermensch somit nicht eine neue [[Gattung (Biologie)|Gattung]], welche auf den von Nietzsche sogenannten „Letzten Menschen“ folgt, sondern er geht aus dem einzelnen Menschen hervor, der sich selbst überwunden hat.
*[[Unbestimmte Zweiheit]]
 
=== Metaphysik-Kritik und der Begriff vom Übermenschen ===
Es bleibt zu ergänzen, dass die neuere philosophische Nietzsche-Interpretation über idealistische, biologistische oder existenzielle Tendenzen hinaus den Begriff des Übermenschen in den Zusammenhang von Nietzsches ''Erkenntnis- und Metaphysikkritik'' stellt.<ref>Zusammenfassend dargestellt bei Georg Römpp, „Nietzsche leicht gemacht“, UTB 3718, Köln/Weimar 2013</ref> Demnach ist Nietzsches ganze Philosophie aus dem Blickwinkel seiner fundamentalen Kritik am „Allgemeinen“ zu verstehen. Demgegenüber wollte er das „Individuelle“ geltend machen, das in unserer vorherrschend platonisch geprägten Kultur des Denkens, in der Philosophie, den Wissenschaften und in der Ethik tendenziell ausgeklammert wird; dies war auch schon die Grundlage von Nietzsches Moralkritik, denn in seiner Sichtweise stellt die verallgemeinernde Ethik Handlungen, Verhalten und Motive als „gleich“ dar, die in Wahrheit nicht gleich sind, d.&nbsp;h., sie unterdrückt gewaltsam das, was – nach Nietzsche – einzig wirklich ist, nämlich das Individuelle. Nietzsche stellt also einem historischen Empirismus einen – freilich ebenfalls radikal übersteigerten – Individualismus gegenüber.
 
Analog lässt sich der Begriff des Übermenschen verstehen als der Entwurf einer gedanklichen Welt, in dem menschliche ''Individuen'' nicht mehr unter ''allgemeinen'' und gleichmachenden Begriffen wie eben ‚Mensch’ verstanden werden müssen. Nietzsches Kritik lautet also, Individuen unter einen schematischen Begriff wie ‚Mensch’ zu subsumieren, mache diese auf ungerechtfertigte und gewaltsame Weise ‚gleich’, obwohl sie doch als Individuen eigentlich nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen seien, sondern sich vollständig voneinander unterschieden. Aus diesem freilich sehr selektiven Blickwinkel lässt sich auch verstehen, warum sich bei Nietzsche nirgends eine harte ‚Definition’ des Übermenschlichen findet, da der Begriff lediglich auf ein ''Ziel des Denkens'' deutet, das gerade nicht darin bestehen soll, eine neue ‚Gleichheit’ der Individuen unter einer bestimmten Definition zu definieren.
 
=== Nationalsozialismus ===
Die biologistische und immoralistische Seite von Nietzsches Übermenschen-Konzeption bot dem [[Nationalsozialismus]] die Möglichkeit, seine Lehre mit der „[[Herrenmensch|Herrenmenschen-Ideologie]]“ im Sinne des nationalsozialistischen Gesellschaftsmodells gleichzusetzen. Nietzsches Ablehnung des [[Nationalismus]] wurde von den Nationalsozialisten ignoriert. Maßgeblichen Anteil an dieser Interpretation hatte vor allem Nietzsches Schwester [[Elisabeth Förster-Nietzsche]], die, im Gegensatz zu Nietzsche selbst, in einem Naheverhältnis zu national-[[Völkische Bewegung|völkischen]] Kreisen stand.
 
=== Fiktion ===
Der amerikanische Schriftsteller [[Jack London]] schrieb seine Romane ''[[Der Seewolf]]'' und ''[[Martin Eden]]'' mit der Intention, das Übermenschen-Ideal und Nietzsches individualistische Philosophie zu kritisieren.<ref>Patrick Bridgwater: ''Nietzsche in Anglosaxony. A Study of Nietzsche's Impact on English and American Literature''. Leicester University Press, S. 167–169</ref>
 
Das Wort „Übermensch“ (in der englischen Übersetzung ''superman'') inspirierte die Amerikaner [[Jerry Siegel]] und [[Joe Shuster]] zu ihrer berühmten [[Superman|Comicfigur gleichen Namens]], die jedoch inhaltlich nichts mit Nietzsches philosophisches Konzept zu tun hat: Der Superman der Comics ist ein menschlich wirkender Außerirdischer, der zwar übermenschliche Körperkräfte und phantastische Fähigkeiten besitzt, aber vehement traditionelle moralische Werte verteidigt, vor allem den Schutz der Schwachen vor Schurken und Katastrophen. Er ist also gerade nicht [[Jenseits von Gut und Böse (Nietzsche)|jenseits von gut und böse]] im Sinne des [[Nihilismus]]. Im Januar 1933 erschien von Siegel und Shuster eine Kurzgeschichte mit dem Titel ''[[The Reign of the Superman]]'' ([[Deutsche Sprache|dt.]] ''Die Herrschaft des Übermenschen'') im Fanzine ''Science Fiction: The Advance Guard of Future Civilization''. In dieser ursprünglichen Version ist [[Superman]] kein [[Superheld]], sondern ein glatzköpfiger [[Bösewicht]], und ähnelt damit in Erscheinung und Ambitionen eher [[Lex Luthor]]<ref>Joe Sergi, ''The Law for Comic Book Creators: Essential Concepts and Applications'', McFarland 2015, S. 193</ref>, dem [[Antagonist (Literatur)|Gegenspieler]] des späteren Comichelden Superman: Er plant, mit Hilfe seiner übermenschlichen mentalen Fähigkeiten die Herrschaft über die Menschheit zu erlangen.
 
Der Ausspruch „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ (nach ''[[Götzen-Dämmerung]]'', Sprüche 8, KSA 6, 60) ist das Motto von [[John Milius]]' Film ''Conan the Barbarian'' (dt. ''[[Conan der Barbar]]'', USA 1981).<ref>Henning Ottmann: ''Nietzsche-Handbuch: Leben, Werk, Wirkung'', Metzler, 2000, S. 435.</ref>
 
[[Fantasy]] und der [[Science-Fiction]] handelt immer wieder von Übermenschen, verstanden als menschliche Wesen mit übermenschlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Ein frühes Beispiel ist etwa im Roman ''Slan'' von [[Alfred Elton van Vogt|A. E. von Vogt]] zu finden. Gerade in der [[Comic in den Vereinigten Staaten|amerikanischen Comicliteratur]] herrscht dabei im Gegensatz zu Nietzsche ein moralisches Erzählmotiv vor, wonach die große Macht solcher Wesen auch große Verantwortung für andere Menschen mit sich bringen muss. Ein entsprechender Ausspruch wurde durch den Comicautoren [[Stan Lee]] populär gemacht. Innerhalb der Geschichte werden oft Kunstworte eingeführt, um diese Wesen von gewöhnlichen Menschen abzugrenzen etwa ''Metamensch'' oder ''Metawesen'' (oft kurz ''Meta'').<ref>Siehe z.&nbsp;B. ''[http://www.paninicomics.de/-i11933.html Futures End – Das Ende aller Zeiten]'' #2, Panini Comics, Stuttgart 2015</ref> Ursachen für das Auftreten von Personen mit besonderen Fähigkeiten sind dabei manchmal [[Außerirdisches Leben|außerirdische Herkunft]] (z.&nbsp;B. [[Superman]]), [[Menschenversuch|medizinische Versuche]] (z.&nbsp;B. der [[Figuren aus dem Marvel-Universum#Grüner Kobold|Grüne Kobold]]), [[Unfall|Unfälle]] (z.&nbsp;B. [[The Flash]]), [[Vorsehung|Einwirkung von Göttern]] (z.&nbsp;B. [[Wonder Woman]]), [[Zucht]] (z.&nbsp;B. der Kwisatz Haderach aus den [[Dune]]-Romanen) oder auch [[Mutation]] (z.&nbsp;B. die [[X-Men]]; als ''Homo Sapiens Superior'' bilden sie eine eigene Art der Gattung ''[[Homo]]'').
 
== Albert Schweitzer ==
[[Wikipedia:Albert Schweizer|Albert Schweitzer]] hat den Begriff des Übermenschen in seiner Auseinandersetzung mit der [[Kulturphilosophie]] in den 1920er Jahren benutzt, um sich kritisch gegen die menschliche [[Hybris]] insbesondere beim Einsatz von Großtechnologien zu wenden:
 
{{Zitat|Macht über die Kräfte der Natur ist eine Errungenschaft der zur Ausbildung gekommenen Kultur. Der Kulturmensch, der sie erworben hat, kann sie gebrauchen. Daß aber der Neoprimitive von der Kultur das Geistige verwirft und das durch das Geistige geschaffene Materielle beibehält und also in primitiver Mentalität, als verstünde sich dies von selbst, über die von Kulturmenschen erworbene Übermenschen-Macht verfügen will, ist etwas Ungeheuerliches. […] Das ist, wie wenn man das Steuer eines Ozeandampfers einem, der einen Einbaum lenkte, anvertrauen wollte, einem, der seinen mit einem kleinen Segel ausgestatteten Einbaum lenkte.<ref> Albert Schweitzer: Kulturphilosophie III (KPh III). Vier Teile. Dokumentationsabschrift von Johann Zürcher. Einsehbar im Schweitzer-Zentralarchiv Gunsbach/Elsaß, 138, zitiert nach: Claus Günzler: Albert Schweitzer. Einführung in sein Denken, Beck, München 1996, S.&nbsp;43–44.</ref>}}
 
In seiner Nobelpreisrede im Jahr 1954 hat er den Begriff nochmals in gleicher Weise eingesetzt:
 
{{Zitat|Der Übermensch leidet aber an einer verhängnisvollen geistigen Unvollkommenheit. Er bringt die übermenschliche Vernünftigkeit, die dem Besitz übermenschlicher Macht entsprechen sollte, nicht auf. […] Was uns eigentlich zu Bewußtsein kommen sollte und schon längst zuvor hätte kommen sollen, ist dies, daß wir als Übermenschen Unmenschen geworden sind.<ref>Albert Schweitzer: Aus meiner Kindheit und Jugendzeit. Beck, München 1991, S.&nbsp;119–120.</ref>}}
 
== Der spirituelle Übermensch bei Sri Aurobindo ==
 
In der Evolutionsphilosophie Sri [[Aurobindo]]s (1872–1950) ist der Mensch ein Übergangswesen, bei dem die Entwicklung nicht stehen bleiben wird. Einen vergleichbaren Gedanken finden wir heute im „Pop-akademischen Diskurs“, wo seit einigen Jahren von einem „Anthropozän“ gesprochen wird.<ref>Siehe "Der Spiegel", Nr. 14/31.3.2018, S. 118: "Das Anthropozän bezeichnet das Zeitalter des Menschen. Indem der Mensch aber sein eigenes Zeitalter bekommt…, denkt er sein Ende schon mit." (Die Formulierung "Pop-akademischer Diskurs" wurde ebenfalls dem Artikel entnommen.)</ref> Allerdings hält Sri Aurobindo es für einen großen Fehler, im Hinblick auf eine zukünftige Entwicklung den Menschen bloß linear fortzudenken, d.&nbsp;h. als weiterhin mentales Wesen mit gesteigerten Fähigkeiten, oder gar als dominanten Herrenmenschen.
 
Vielmehr solle der Mensch durch einen Bewusstseinswandel über sich und sein mentales Denken hinauswachsen und über mehrere Zwischenstufen ein „supramentales“ Wahrheitsbewusstsein erreichen, das er auch "Gnosis" nennt. Dieser "Aufstieg" wird ergänzt durch eine seelische Entwicklung, d.&nbsp;h. eine intensive Verbindung zur Herzebene, die sicherstellt, dass das neue Wesen Werten der Liebe, Harmonie, Schönheit und Wahrheit verbunden ist. Sri Aurobindo glaubt, dass die Evolution in einem langfristigen Prozess unweigerlich in Richtung auf dieses ganzheitliche Bewusstsein fortschreiten werde, wobei der Mensch mittels des [[Integraler Yoga|integralen Yoga]] die Möglichkeit habe, die individuelle und kollektive Entwicklung zu beschleunigen.<ref>Wilfried Huchzermeyer, ''Sri Aurobindo und die europäische Philosophie'', Karlsruhe 2015, S. 11–13. Siehe insbes. auch "Superman in Sri Aurobindos Hauptwerken", S. 108–111.</ref>
 
Sri Aurobindo war gut vertraut mit Nietzsches Schriften und würdigt den mutigen Ansatz des deutschen Philosophen, über den Menschen hinaus zu denken. Er bescheinigt ihm, dass er einige brillante Intuitionen hatte, grenzt sich jedoch deutlich ab von allen Gedanken, die in Richtung [[Asura]], Herrenmensch, führen. Sein Superman soll ein Wesen der Liebe sein, das – frei von Ego – im Einklang mit der höchsten Wahrheit handelt.<ref>''Sri Aurobindo und die europäische Philosophie'', S. 106–108</ref>
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Übermensch}}
* {{WikipediaDE|Untermensch}}
* [[Transhumanismus]]


== Literatur ==
== Literatur ==
#[[Herbert Witzenmann]]: ''Sinn und Sein. Der gemeinsame Ursprung von Gestalt und Bewegung.'' Verlag Freies Geistesleben, 1989
* Manuel Knoll: The Übermensch as Social and Political Task: A Study in the Continuity of Nietzsche’s Political Thought, in: Manuel Knoll/ Barry Stocker (Hg.): Nietzsche as Political Philosopher, Berlin/Boston 2014, S. 239–266.  
#Rudolf Steiner: ''Mythen und Sagen. Okkulte Zeichen und Symbole'', [[GA 101]] (1992), ISBN 3-7274-1010-8 {{Vorträge|101}}
* {{Literatur| Autor=Rüdiger Safranski| Titel=Nietzsche. Biographie seines Denkens| Jahr=2000| Verlag=Carl Hanser| Ort=München/Wien| Seiten= 267ff|ISBN=3-446-19938-1}}
#Rudolf Steiner: ''Die Apokalypse des Johannes'', [[GA 104]] (1985), ISBN 3-7274-1040-X {{Vorträge|104}}
* Carsten Schmieder: ''Contra culturam: Nietzsche und der Übermensch'', in: A.U. Sommer (Hg.), Nietzsche – Philosoph der Kultur(en)?, Verlag W. de Gruyter, Berlin, New York 2008, S. 97–102 ISBN 978-3-11-020130-7
#Rudolf Steiner: ''Die Sendung Michaels'', [[GA 194]] (1994), ISBN 3-7274-1940-7 {{Vorträge|194}}
* Wilfried Huchzermeyer: ''Der Übermensch bei Friedrich Nietzsche und Sri Aurobindo.'' Hinder + Deelmann, Gladenbach 1986, ISBN 3-87348-123-5
#Rudolf Steiner: ''Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge. Fünfter Band'', [[GA 239]] (1985), ISBN 3-7274-2390-0 {{Vorträge|239}}
* Pierre Kynast: ''Friedrich Nietzsches Übermensch. Eine philosophische Einlassung''. pkp Verlag, Leuna 2013, ISBN 978-3-943519-04-4
#Helmut Werner: ''Lexikon der Numerologie und Zahlenmystik'', Komet, ISBN 3-89836-132-2.
* [[w:Ernst Benz|Ernst Benz]] (Hrsg.): ''Der Übermensch. Eine Diskussion''. Rhein-Verlag, Zürich 1961
 
* [[w:Georg Römpp|Georg Römpp]]: ''Nietzsche leicht gemacht'', UTB 3718, Köln/Weimar 2013, ISBN 978-3-8252-3718-9
{{GA}}


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* {{UTB-Philosophie|Ulrich Wille|974|Zahl}}
{{wiktionary|Übermensch}}
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/zahlenmysik.html Projekt Zahlenmystik]
* [http://www.odinring.de/ubermensch/ubermensch.htm ''Der Übermensch''] Essay von [[Sri Aurobindo]], erschienen in seiner Zeitschrift ''Arya'', 1920
* [http://www.f-nietzsche.de/hw_philos.htm ''Nietzsche – Mensch und Übermensch (1988)''] auf ''F-Nietzsche.de''


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references/>
<references />
 
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Version vom 24. März 2020, 20:56 Uhr

Übermensch (griech. υπεράνθρωπος Hyperánthropos; lat. homo superior) ist ein Begriff aus dem philosophischen Denken. Als Übermensch wird ein „Idealmensch“ bezeichnet, der über das gewöhnliche Leben eines als normal und meist negativ bewerteten Menschen hinausgewachsen ist oder hinausstrebt. Die weitaus bekannteste Übermensch-Konzeption stammt von Friedrich Nietzsche.

Begriffsgeschichte

Die früheste Prägung des Wortes Übermensch ist als „hyperanthropos“ bekannt und wurde schon im 1. Jahrhundert v. Chr. von Dionysios von Halikarnassos benutzt. Lukian verwendete im 2. Jahrhundert n. Chr. den Begriff, allerdings zum Spott auf die großen Herren der Welt, die im Totenreich auf ihre natürliche Größe zurechtgestutzt würden. In deutscher Sprache tauchte der Übermensch erstmals bei Hermann Rab, Provinzial der sächsischen Dominikanerprovinz, 1527 in einem Brief auf, wo er so etwas wie ein Schimpfwort für „Lutheraner“ ist.

Der Übermensch spielt in Dantes Göttliche Komödie eine zentrale Rolle. Das Hapax legomenon transumanar (Wortschöpfung Dantes, aus lat. trans, „hindurch“, „über … hinweg“ und umano, „menschlich“, als Verbum (hier) jedoch das „Übermenschlichen“) wird besonders im Paradiso (erwähnt in Canto I, 70) zu einem Hauptmotiv. Analogien lassen sich in der verhängnisvollen Vergöttlichung des Glaukos finden. In Ovids Metamorphosen (7, 219; 13, 898 - 14, 74) war Glaukos ein sterblicher Fischer, der durch Zufall ein magisches Kraut entdeckte, das ihn durch Verzehr unsterblich machte. Allerdings wuchsen ihm Brust- und Schwanzflossen, die Arme und Beine bildeten sich zurück. Dies zwang ihn, für immer im Meer zu leben.[1] In Dantes Werk bedeutet das Übermenschliche nichts weniger als „den Status des Menschen, seine Daseinsbedingungen hinter sich zu lassen, auf dem Wege zum Göttlichen.“ Konkret bedeutet das aber, dass der normale Mensch (im Gegensatz zu dem Wanderer Dante) dieses Übermenschlichen nicht im Diesseits, sondern erst im Jenseits erleben wird.[2]

„Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich Dir!“ (Faust, Illustration von Goethe)

Angeregt wurde Dante sicherlich von Schriften des Pseudo-Dionysius Areopagita (besonders die in lateinischen Übersetzungen häufig vorkommenden Ausdrücke super hominem, ultra hominum modum, superhumanus), aber auch Thomas von Aquin, Augustinus und schon Matthäus könnten sprachliche Anstöße gegeben haben. Bei Lukian noch heidnisch, wurde der Begriff „Übermensch“ erstmals in christlichem Sinne vom Propheten Montanus (gest. 178) verwendet. Schon Ernst Benz legte ausführlich dar, dass der Terminus „Übermensch“ in der Theologie der Kirche weit entwickelt war, Jahrhunderte vor der Verbreitung von Nietzsches antichristlichem Pathos.

Vom Übermenschen sprachen, jeweils mit unterschiedlichem Bedeutungsinhalt, unter anderem der Theologe Heinrich Müller in dem Werk Geistliche Erquickungsstunden (1664),[3] Johann Gottfried von Herder und der indische Philosoph Sri Aurobindo. Johann Wolfgang von Goethe gebrauchte den Ausdruck, wiederum in spöttischem Sinn, in seiner Tragödie Faust I: „Welch erbärmlich Grauen fasst Übermenschen dich!“ sagt der Erdgeist. Faust sei eigentlich nur „ein furchtsam weggekrümmter Wurm“. Im Gedicht Zueignung schreibt Goethe:

Kaum bist du Herr vom ersten Kinderwillen,
So glaubst du dich schon Übermensch genug,
Versäumst die Pflicht des Mannes zu erfüllen!
Wie viel bist du von andern unterschieden?
Erkenne dich, leb' mit der Welt in Frieden!

Im Roman Schuld und Sühne (1866) des russischen Schriftstellers Dostojewski ist die Vorstellung der Hauptfigur Raskolnikow Vorläuferin der Idee von Nietzsche von einem zur Herrschaft berufenen „Übermenschen“. Raskolnikow, der davon träumt, ein Napoleon zu werden, hat sich einer Selbsttäuschung hingegeben. Er zerbricht an dem Versuch, als Übermensch die Funktion Gottes mit zu übernehmen, über Gut und Böse zu entscheiden. „Der wahre Meister“ des Verbrechens sei Napoleon, erkennt er an: „Ich bin genauso eine Laus wie die andere.“ Dostojewski verurteilte also das Gefühl der Macht und das individualistische Prinzip.[4]

Kritisch verarbeitet Theodor Fontane den Begriff in seinem Roman Der Stechlin (1897), wo der alte Stechlin sagt: „Jetzt hat man statt des wirklichen Menschen den sogenannten Übermenschen etabliert; eigentlich gibt es aber bloß noch Untermenschen, und mitunter sind es gerade die, die man durchaus zu einem ‚Über‘ machen will. Ich habe von solchen Leuten gelesen und auch welche gesehn. Ein Glück, daß es, nach meiner Wahrnehmung, immer entschieden komische Figuren sind, sonst könnte man verzweifeln.“[5]

Friedrich Nietzsche

Aus Sicht Friedrich Nietzsches ist es die Aufgabe des Menschen, einen Typus hervorzubringen, der höher entwickelt ist als er selbst.[6] Diesen dem Menschen überlegenen Menschen nennt Nietzsche den Übermenschen, ein Begriff, welcher bei Nietzsche sowohl eine geistige als auch eine biologische Bedeutung hat. Nietzsche verwendet den Begriff Übermensch das erste Mal in seinen Jugendschriften in Bezug auf Lord Byron, der als „geisterbeherrschender Übermensch“ charakterisiert wird.[7] In systematischer Weise taucht der Begriff des Übermenschen zuerst in seinem Werk Also sprach Zarathustra (1883–85) auf, auch wenn sein Konzept des Übermenschen schon in seinem Werk Menschliches, Allzumenschliches (1878) teilweise entwickelt ist. Nietzsche übernahm den Terminus vom französischen materialistischen Philosophen Helvétius, der vom „homme supérieur“ geschrieben hatte.

Immoralismus und Biologismus

Das Ziel der Menschheit liegt nach Nietzsche nicht in der Zukunft oder im allgemeinen Wohlergehen der derzeit bestehenden Gattung, sondern in den immer wieder auftretenden „höchsten Exemplaren“, eben den Übermenschen. Aus dieser philosophischen Position resultiert seine Ablehnung der „idealistischen“ Interpretation des Übermenschen und die positive Einschätzung gerade von immoralistischen und nach Größe strebenden Machtmenschen wie Alkibiades, Julius Cäsar, Cesare Borgia oder Napoléon Bonaparte. So schrieb er in Ecce homo (1888):

„Das Wort »Übermensch« zur Bezeichnung eines Typus höchster Wohlgeratenheit, im Gegensatz zu »modernen« Menschen, zu »guten« Menschen, zu Christen und andren Nihilisten – ein Wort, das im Munde eines Zarathustra, des Vernichters der Moral, ein sehr nachdenkliches Wort wird – ist fast überall mit voller Unschuld im Sinn derjenigen Werte verstanden worden, deren Gegensatz in der Figur Zarathustras zur Erscheinung gebracht worden ist: will sagen als »idealistischer« Typus einer höheren Art Mensch, halb »Heiliger«, halb »Genie« … Andres gelehrtes Hornvieh hat mich seinethalben des Darwinismus verdächtigt; selbst der von mir so boshaft abgelehnte »Heroen-Kultus« jenes großen Falschmünzers wider Wissen und Willen, Carlyles, ist darin wiedererkannt worden. Wem ich ins Ohr flüsterte, er solle sich eher nach einem Cesare Borgia als nach einem Parsifal umsehn, der traute seinen Ohren nicht.“

Neben dem Idealismus weist Nietzsche hier auch den Zusammenhang mit dem Darwinismus zurück. Wie jedoch beispielsweise Rüdiger Safranski argumentiert, finden sich in Nietzsches Schriften durchaus darwinistisch-biologistische Ansätze, oft verbunden mit Gedanken zur Eugenik. Bereits im Zarathustra vergleicht Nietzsche die Entwicklung vom Affen zum Menschen mit der Entwicklung vom Menschen zum Übermenschen. In einem Notizbuch von 1884 schrieb Nietzsche, dass man durch Züchtung und durch „Vernichtung von Millionen Mißrathener“ den „zukünftigen Menschen“ gestalten soll. In der Genealogie der Moral (1887) findet sich der Gedanke, dass die Menschheit als Masse dem Gedeihen einer einzelnen stärkeren Species Mensch geopfert werden könnte. Ziel sei es, eine Herrenkaste zu züchten, welche zur Herrschaft über Europa berufen sei. Schließlich spricht er in Ecce homo von der „Partei des Lebens“, welche die Höherzüchtung des Menschen und die Vernichtung alles „Entartenden“ und „Parasitischen“ in die Hand nimmt. Safranski schließt:

„Nietzsches Bild vom Übermenschen ist ambivalent, und es verbirgt sich darin ein existenzielles Drama. Der Übermensch repräsentiert einen höheren biologischen Typus, er könnte das Produkt einer zielstrebigen Züchtung sein; er ist aber auch ein Ideal für jeden, der Macht über sich selbst gewinnen und seine Tugenden pflegen und entfalten will, der schöpferisch ist und auf der ganzen Klaviatur des menschlichen Denkvermögens, der Phantasie und Einbildungskraft zu spielen weiß. Der Übermensch realisiert das Vollbild des Menschenmöglichen, und darum ist Nietzsches Übermensch auch eine Antwort auf den Tod Gottes.“

Ewige Wiederkunft, Wille zur Macht und Nihilismus

Nietzsche verbindet vorerst den Gedanken des Willens zur Macht mit seiner Idee der Ewigen Wiederkunft. Der Gedanke der Ewigen Wiederkunft besagt, dass sich alle Ereignisse im Universum auf ewig wiederholen werden, da es eine unendlich lange Zeit gebe, jedoch eine nur endliche Zahl möglicher Zustände der Welt. Damit sind alle möglichen Zustände bereits eingetreten und der gegenwärtige Zustand stelle eine Wiederholung dar. Alles, was der Mensch erlebt, wurde also von diesem schon unendlich oft erlebt und wird ebenso unendlich oft wieder durchlebt werden. Diesen Gedanken zu denken, ist für Nietzsche das Schwerste. Erst wer fähig ist, ihn zu ertragen, d. h., in die Interpretation des eigenen Lebens zu integrieren, der beweist sich als Übermensch und überwindet somit den Nihilismus der Ewigen Wiederkunft. In einem Akt der gänzlichen Einverleibung identifiziert sich der Übermensch mit der Ewigen Wiederkunft.

Darüber hinaus besitzt der Übermensch auch einen Überschuss an Lebenskraft und Willen zur Macht, was ihn zu besonderer Selbstbeherrschung und Selbstentfaltung befähigt. Er stellt somit eine radikale Lebensbejahung als Gegenentwurf zum Nihilismus dar. Der Übermensch gilt deshalb als Überwinder des Nihilismus. Er ist der Schöpfer neuer (produktiverer) Werte, die er aus sich selbst bezieht und die anstelle der durch den Nihilismus zuvor zerstörten bzw. verneinten transzendenten Werte (Gott, Religion, ewige und unbezweifelbare moralische und erkenntnistheoretische Dogmen) nunmehr eine immanente, dem Leben zugewandte und dem Leben dienliche Entsprechung finden.

Aus dieser Perspektive wäre der Übermensch somit nicht eine neue Gattung, welche auf den von Nietzsche sogenannten „Letzten Menschen“ folgt, sondern er geht aus dem einzelnen Menschen hervor, der sich selbst überwunden hat.

Metaphysik-Kritik und der Begriff vom Übermenschen

Es bleibt zu ergänzen, dass die neuere philosophische Nietzsche-Interpretation über idealistische, biologistische oder existenzielle Tendenzen hinaus den Begriff des Übermenschen in den Zusammenhang von Nietzsches Erkenntnis- und Metaphysikkritik stellt.[8] Demnach ist Nietzsches ganze Philosophie aus dem Blickwinkel seiner fundamentalen Kritik am „Allgemeinen“ zu verstehen. Demgegenüber wollte er das „Individuelle“ geltend machen, das in unserer vorherrschend platonisch geprägten Kultur des Denkens, in der Philosophie, den Wissenschaften und in der Ethik tendenziell ausgeklammert wird; dies war auch schon die Grundlage von Nietzsches Moralkritik, denn in seiner Sichtweise stellt die verallgemeinernde Ethik Handlungen, Verhalten und Motive als „gleich“ dar, die in Wahrheit nicht gleich sind, d. h., sie unterdrückt gewaltsam das, was – nach Nietzsche – einzig wirklich ist, nämlich das Individuelle. Nietzsche stellt also einem historischen Empirismus einen – freilich ebenfalls radikal übersteigerten – Individualismus gegenüber.

Analog lässt sich der Begriff des Übermenschen verstehen als der Entwurf einer gedanklichen Welt, in dem menschliche Individuen nicht mehr unter allgemeinen und gleichmachenden Begriffen wie eben ‚Mensch’ verstanden werden müssen. Nietzsches Kritik lautet also, Individuen unter einen schematischen Begriff wie ‚Mensch’ zu subsumieren, mache diese auf ungerechtfertigte und gewaltsame Weise ‚gleich’, obwohl sie doch als Individuen eigentlich nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen seien, sondern sich vollständig voneinander unterschieden. Aus diesem freilich sehr selektiven Blickwinkel lässt sich auch verstehen, warum sich bei Nietzsche nirgends eine harte ‚Definition’ des Übermenschlichen findet, da der Begriff lediglich auf ein Ziel des Denkens deutet, das gerade nicht darin bestehen soll, eine neue ‚Gleichheit’ der Individuen unter einer bestimmten Definition zu definieren.

Nationalsozialismus

Die biologistische und immoralistische Seite von Nietzsches Übermenschen-Konzeption bot dem Nationalsozialismus die Möglichkeit, seine Lehre mit der „Herrenmenschen-Ideologie“ im Sinne des nationalsozialistischen Gesellschaftsmodells gleichzusetzen. Nietzsches Ablehnung des Nationalismus wurde von den Nationalsozialisten ignoriert. Maßgeblichen Anteil an dieser Interpretation hatte vor allem Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche, die, im Gegensatz zu Nietzsche selbst, in einem Naheverhältnis zu national-völkischen Kreisen stand.

Fiktion

Der amerikanische Schriftsteller Jack London schrieb seine Romane Der Seewolf und Martin Eden mit der Intention, das Übermenschen-Ideal und Nietzsches individualistische Philosophie zu kritisieren.[9]

Das Wort „Übermensch“ (in der englischen Übersetzung superman) inspirierte die Amerikaner Jerry Siegel und Joe Shuster zu ihrer berühmten Comicfigur gleichen Namens, die jedoch inhaltlich nichts mit Nietzsches philosophisches Konzept zu tun hat: Der Superman der Comics ist ein menschlich wirkender Außerirdischer, der zwar übermenschliche Körperkräfte und phantastische Fähigkeiten besitzt, aber vehement traditionelle moralische Werte verteidigt, vor allem den Schutz der Schwachen vor Schurken und Katastrophen. Er ist also gerade nicht jenseits von gut und böse im Sinne des Nihilismus. Im Januar 1933 erschien von Siegel und Shuster eine Kurzgeschichte mit dem Titel The Reign of the Superman (dt. Die Herrschaft des Übermenschen) im Fanzine Science Fiction: The Advance Guard of Future Civilization. In dieser ursprünglichen Version ist Superman kein Superheld, sondern ein glatzköpfiger Bösewicht, und ähnelt damit in Erscheinung und Ambitionen eher Lex Luthor[10], dem Gegenspieler des späteren Comichelden Superman: Er plant, mit Hilfe seiner übermenschlichen mentalen Fähigkeiten die Herrschaft über die Menschheit zu erlangen.

Der Ausspruch „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ (nach Götzen-Dämmerung, Sprüche 8, KSA 6, 60) ist das Motto von John Milius' Film Conan the Barbarian (dt. Conan der Barbar, USA 1981).[11]

Fantasy und der Science-Fiction handelt immer wieder von Übermenschen, verstanden als menschliche Wesen mit übermenschlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Ein frühes Beispiel ist etwa im Roman Slan von A. E. von Vogt zu finden. Gerade in der amerikanischen Comicliteratur herrscht dabei im Gegensatz zu Nietzsche ein moralisches Erzählmotiv vor, wonach die große Macht solcher Wesen auch große Verantwortung für andere Menschen mit sich bringen muss. Ein entsprechender Ausspruch wurde durch den Comicautoren Stan Lee populär gemacht. Innerhalb der Geschichte werden oft Kunstworte eingeführt, um diese Wesen von gewöhnlichen Menschen abzugrenzen etwa Metamensch oder Metawesen (oft kurz Meta).[12] Ursachen für das Auftreten von Personen mit besonderen Fähigkeiten sind dabei manchmal außerirdische Herkunft (z. B. Superman), medizinische Versuche (z. B. der Grüne Kobold), Unfälle (z. B. The Flash), Einwirkung von Göttern (z. B. Wonder Woman), Zucht (z. B. der Kwisatz Haderach aus den Dune-Romanen) oder auch Mutation (z. B. die X-Men; als Homo Sapiens Superior bilden sie eine eigene Art der Gattung Homo).

Albert Schweitzer

Albert Schweitzer hat den Begriff des Übermenschen in seiner Auseinandersetzung mit der Kulturphilosophie in den 1920er Jahren benutzt, um sich kritisch gegen die menschliche Hybris insbesondere beim Einsatz von Großtechnologien zu wenden:

„Macht über die Kräfte der Natur ist eine Errungenschaft der zur Ausbildung gekommenen Kultur. Der Kulturmensch, der sie erworben hat, kann sie gebrauchen. Daß aber der Neoprimitive von der Kultur das Geistige verwirft und das durch das Geistige geschaffene Materielle beibehält und also in primitiver Mentalität, als verstünde sich dies von selbst, über die von Kulturmenschen erworbene Übermenschen-Macht verfügen will, ist etwas Ungeheuerliches. […] Das ist, wie wenn man das Steuer eines Ozeandampfers einem, der einen Einbaum lenkte, anvertrauen wollte, einem, der seinen mit einem kleinen Segel ausgestatteten Einbaum lenkte.[13]

In seiner Nobelpreisrede im Jahr 1954 hat er den Begriff nochmals in gleicher Weise eingesetzt:

„Der Übermensch leidet aber an einer verhängnisvollen geistigen Unvollkommenheit. Er bringt die übermenschliche Vernünftigkeit, die dem Besitz übermenschlicher Macht entsprechen sollte, nicht auf. […] Was uns eigentlich zu Bewußtsein kommen sollte und schon längst zuvor hätte kommen sollen, ist dies, daß wir als Übermenschen Unmenschen geworden sind.[14]

Der spirituelle Übermensch bei Sri Aurobindo

In der Evolutionsphilosophie Sri Aurobindos (1872–1950) ist der Mensch ein Übergangswesen, bei dem die Entwicklung nicht stehen bleiben wird. Einen vergleichbaren Gedanken finden wir heute im „Pop-akademischen Diskurs“, wo seit einigen Jahren von einem „Anthropozän“ gesprochen wird.[15] Allerdings hält Sri Aurobindo es für einen großen Fehler, im Hinblick auf eine zukünftige Entwicklung den Menschen bloß linear fortzudenken, d. h. als weiterhin mentales Wesen mit gesteigerten Fähigkeiten, oder gar als dominanten Herrenmenschen.

Vielmehr solle der Mensch durch einen Bewusstseinswandel über sich und sein mentales Denken hinauswachsen und über mehrere Zwischenstufen ein „supramentales“ Wahrheitsbewusstsein erreichen, das er auch "Gnosis" nennt. Dieser "Aufstieg" wird ergänzt durch eine seelische Entwicklung, d. h. eine intensive Verbindung zur Herzebene, die sicherstellt, dass das neue Wesen Werten der Liebe, Harmonie, Schönheit und Wahrheit verbunden ist. Sri Aurobindo glaubt, dass die Evolution in einem langfristigen Prozess unweigerlich in Richtung auf dieses ganzheitliche Bewusstsein fortschreiten werde, wobei der Mensch mittels des integralen Yoga die Möglichkeit habe, die individuelle und kollektive Entwicklung zu beschleunigen.[16]

Sri Aurobindo war gut vertraut mit Nietzsches Schriften und würdigt den mutigen Ansatz des deutschen Philosophen, über den Menschen hinaus zu denken. Er bescheinigt ihm, dass er einige brillante Intuitionen hatte, grenzt sich jedoch deutlich ab von allen Gedanken, die in Richtung Asura, Herrenmensch, führen. Sein Superman soll ein Wesen der Liebe sein, das – frei von Ego – im Einklang mit der höchsten Wahrheit handelt.[17]

Siehe auch

Literatur

  • Manuel Knoll: The Übermensch as Social and Political Task: A Study in the Continuity of Nietzsche’s Political Thought, in: Manuel Knoll/ Barry Stocker (Hg.): Nietzsche as Political Philosopher, Berlin/Boston 2014, S. 239–266.
  •  Rüdiger Safranski: Nietzsche. Biographie seines Denkens. Carl Hanser, München/Wien 2000, ISBN 3-446-19938-1, S. 267ff.
  • Carsten Schmieder: Contra culturam: Nietzsche und der Übermensch, in: A.U. Sommer (Hg.), Nietzsche – Philosoph der Kultur(en)?, Verlag W. de Gruyter, Berlin, New York 2008, S. 97–102 ISBN 978-3-11-020130-7
  • Wilfried Huchzermeyer: Der Übermensch bei Friedrich Nietzsche und Sri Aurobindo. Hinder + Deelmann, Gladenbach 1986, ISBN 3-87348-123-5
  • Pierre Kynast: Friedrich Nietzsches Übermensch. Eine philosophische Einlassung. pkp Verlag, Leuna 2013, ISBN 978-3-943519-04-4
  • Ernst Benz (Hrsg.): Der Übermensch. Eine Diskussion. Rhein-Verlag, Zürich 1961
  • Georg Römpp: Nietzsche leicht gemacht, UTB 3718, Köln/Weimar 2013, ISBN 978-3-8252-3718-9

Weblinks

 Wiktionary: Übermensch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Siehe auch: danteworlds.laits.utexas.edu, abgerufen am 22. Februar 2015, 20:57.
  2. Hartmut Köhler (Übers. u. Komm.): „La Commedia / Die Göttliche Komödie III. Paradiso / Paradies“, Stuttgart 2012, S. 21–25, ISBN 978-3-15-010796-6.
  3. Walter Kaufmann: Nietzsche. Philosoph, Psychologe, Antichrist. Übersetzt von Jörg Salaquarda. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1982, ISBN 3-534-08769-0, S. 359
  4. Vgl. hierzu Rainer Buck: Fjodor M. Dostojewski: Sträfling, Spieler, Seelenforscher, B&S 2013, S. 67; Fedor Dostojewski: Schuld und Sühne, Aufbau Verlag, 1956, Nachwort.
  5. Theodor Fontane: Der Stechlin [1897], mit einem Nachwort von Walter Müller-Seidel, Insel, Frankfurt 1975, S. 347
  6. Primus-Heinz Kucher, Verdrängte Moderne – vergessene Avantgarde: Diskurskonstellationen zwischen Literatur, Theater, Kunst und Musik in Österreich 1918–1938, Vandenhoeck & Ruprecht 2015, S. 68
  7. Jugendschriften, dtv, München 1994, Band 2, Seite 10.
  8. Zusammenfassend dargestellt bei Georg Römpp, „Nietzsche leicht gemacht“, UTB 3718, Köln/Weimar 2013
  9. Patrick Bridgwater: Nietzsche in Anglosaxony. A Study of Nietzsche's Impact on English and American Literature. Leicester University Press, S. 167–169
  10. Joe Sergi, The Law for Comic Book Creators: Essential Concepts and Applications, McFarland 2015, S. 193
  11. Henning Ottmann: Nietzsche-Handbuch: Leben, Werk, Wirkung, Metzler, 2000, S. 435.
  12. Siehe z. B. Futures End – Das Ende aller Zeiten #2, Panini Comics, Stuttgart 2015
  13. Albert Schweitzer: Kulturphilosophie III (KPh III). Vier Teile. Dokumentationsabschrift von Johann Zürcher. Einsehbar im Schweitzer-Zentralarchiv Gunsbach/Elsaß, 138, zitiert nach: Claus Günzler: Albert Schweitzer. Einführung in sein Denken, Beck, München 1996, S. 43–44.
  14. Albert Schweitzer: Aus meiner Kindheit und Jugendzeit. Beck, München 1991, S. 119–120.
  15. Siehe "Der Spiegel", Nr. 14/31.3.2018, S. 118: "Das Anthropozän bezeichnet das Zeitalter des Menschen. Indem der Mensch aber sein eigenes Zeitalter bekommt…, denkt er sein Ende schon mit." (Die Formulierung "Pop-akademischer Diskurs" wurde ebenfalls dem Artikel entnommen.)
  16. Wilfried Huchzermeyer, Sri Aurobindo und die europäische Philosophie, Karlsruhe 2015, S. 11–13. Siehe insbes. auch "Superman in Sri Aurobindos Hauptwerken", S. 108–111.
  17. Sri Aurobindo und die europäische Philosophie, S. 106–108


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