Qualia: Unterschied zwischen den Versionen

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== Das ungelöste Rätsel der Qualia ==
== Das ungelöste Rätsel der Qualia ==
Der Begriff der "Qualia" wurde [[Wikipedia:1866|1866]] von dem amerikanischen [[Philosoph]]en [[Charles S. Peirce|Charles S. Peirce]]<ref>[[Charles S. Peirce|Charles S. Peirce]]: ''Collected Papers''. Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge [1866] 1958-1966 (Nachdr.), § 223.</ref> geprägt, aber erst [[Wikipedia:1929|1929]] durch [[Wikipedia:Clarence Irving Lewis|C. I. Lewis]] in dem Buch ''Mind and the World Order''<ref>[[Wikipedia:Clarence Irving Lewis|Clarence Irving Lewis]]: ''Mind and the World Order. Outline of a Theory of Knowledge.'' Charles Scribner's sons, New York 1929, Dover, New York 1991 (Nachdr.). ISBN 0-486-26564-1.</ref> im heute gebräuchlichen Sinn verwendet. Das Problem der Qualia steht im Zentrum der modernen [[Wikipedia:Philosophie des Geistes|Philosophie des Geistes]], die sich damit an eine [[Erkenntnis]]grenze gestellt sieht und vielfach davon ausgeht, dass dieses Problem grundsätzlich nicht mit den Mitteln der [[Wikipedia:Neurowissenschaft|Neuro-]] und [[Wikipedia:Kognitionswissenschaft|Kognitionswissenschaft]]en gelöst werden kann. Tatsächlich muss für eine rein [[materialistisch]]e Weltsicht das Phänomen der Qualia rätselhaft bleiben. Darauf hatte schon [[Wikipedia:1872|1872]] der [[Wikipedia:Physiologe|Physiologe]] [[Emil Heinrich Du Bois-Reymond]] in seiner berühmten [[Ignoramus et ignorabimus|Ignorabimus-Rede]] hingewiesen:
Der Begriff der "Qualia" wurde [[Wikipedia:1866|1866]] von dem amerikanischen [[Philosoph]]en [[Charles S. Peirce|Charles S. Peirce]]<ref>[[Charles S. Peirce|Charles S. Peirce]]: ''Collected Papers''. Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge [1866] 1958-1966 (Nachdr.), § 223.</ref> geprägt, aber erst [[Wikipedia:1929|1929]] durch [[Wikipedia:Clarence Irving Lewis|C. I. Lewis]] in dem Buch ''Mind and the World Order''<ref>[[Wikipedia:Clarence Irving Lewis|Clarence Irving Lewis]]: ''Mind and the World Order. Outline of a Theory of Knowledge.'' Charles Scribner's sons, New York 1929, Dover, New York 1991 (Nachdr.). ISBN 0-486-26564-1.</ref> im heute gebräuchlichen Sinn verwendet. Das Problem der Qualia steht im Zentrum der modernen [[Philosophie des Geistes]], die sich damit an eine [[Erkenntnis]]grenze gestellt sieht und vielfach davon ausgeht, dass dieses Problem grundsätzlich nicht mit den Mitteln der [[Wikipedia:Neurowissenschaft|Neuro-]] und [[Wikipedia:Kognitionswissenschaft|Kognitionswissenschaft]]en gelöst werden kann. Tatsächlich muss für eine rein [[materialistisch]]e Weltsicht das Phänomen der Qualia rätselhaft bleiben. Darauf hatte schon [[Wikipedia:1872|1872]] der [[Wikipedia:Physiologe|Physiologe]] [[Emil Heinrich Du Bois-Reymond]] in seiner berühmten [[Ignoramus et ignorabimus|Ignorabimus-Rede]] hingewiesen:


{{Zitat|Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen: "Ich fühle Schmerz, ruhte Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot," und der ebenso unmittelbar daraus fließenden Gewißheit: "Also bin ich"? Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammensein Bewußtsein entstehen könne.|Emil Du Bois-Reymond|''Über die Grenzen des Naturerkennens'', S 458}}
{{Zitat|Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen: "Ich fühle Schmerz, ruhte Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot," und der ebenso unmittelbar daraus fließenden Gewißheit: "Also bin ich"? Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammensein Bewußtsein entstehen könne.|Emil Du Bois-Reymond|''Über die Grenzen des Naturerkennens'', S 458}}

Version vom 2. Februar 2018, 16:25 Uhr

Farben sind ein klassisches Problem der Qualiadebatte: Wie kommt es, dass bei der Verarbeitung von bestimmten Lichtwellen Farberlebnisse entstehen?
Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? Mit dieser Frage regte der Philosoph Thomas Nagel die Debatte um die Qualia neu an.
Farbkreis, Zeichnung von Johann Wolfgang von Goethe.

Als Qualia (von lat. qualis „wie beschaffen“) werden die zunächst subjektiv erscheinenden Erlebnisinhalte des phänomenalen Bewusstseins bezeichnet. Zu den phänomenalen Bewusstseinsinhalten zählen die erlebten Sinnesqualitäten, die auf die Außenwelt verweisen, aber auch rein auf die Innenwelt bezogene Erlebnisse wie Gefühle, Gedanken, Schmerzen usw.

Das ungelöste Rätsel der Qualia

Der Begriff der "Qualia" wurde 1866 von dem amerikanischen Philosophen Charles S. Peirce[1] geprägt, aber erst 1929 durch C. I. Lewis in dem Buch Mind and the World Order[2] im heute gebräuchlichen Sinn verwendet. Das Problem der Qualia steht im Zentrum der modernen Philosophie des Geistes, die sich damit an eine Erkenntnisgrenze gestellt sieht und vielfach davon ausgeht, dass dieses Problem grundsätzlich nicht mit den Mitteln der Neuro- und Kognitionswissenschaften gelöst werden kann. Tatsächlich muss für eine rein materialistische Weltsicht das Phänomen der Qualia rätselhaft bleiben. Darauf hatte schon 1872 der Physiologe Emil Heinrich Du Bois-Reymond in seiner berühmten Ignorabimus-Rede hingewiesen:

„Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen: "Ich fühle Schmerz, ruhte Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot," und der ebenso unmittelbar daraus fließenden Gewißheit: "Also bin ich"? Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammensein Bewußtsein entstehen könne.“

Emil Du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens, S 458

Der Philosoph Thomas Nagel trat mit seinem 1974 veröffentlichten Aufsatz "What is it like to be a bat?"[3] (Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?) allen reduktionistischen Bestrebungen zur Erklärung der Qualia energisch entgegen. Die Naturwissenschaft sei methodisch auf die objektive Außenperspektive festgelegt und könne daher das subjektive Erleben niemals erfassen. So mögen wir etwa noch so genau die Prozesse studieren, die im Gehirn einer Fledermaus ablaufen, wenn sie sich im Raum mit HIlfe der Echolotung orientiert. Wie es sich aber im subjektiven Erleben der Fledermaus anfühlt, ein Objekt auf diese Weise wahrzunehmen, werden wir dadurch niemals erfahren.

Qualia-Rätsel - nur ein Scheinproblem?

Eine Argumentation in der heutigen Qualia-Diskussion im Rahmen der Philosophie des Geistes ist, daß das Qualia-Problem ein künstlich erzeugtes Pseudo-Problem der Philosophie sei, dem nichts Reales entspreche. Ein Vertreter der Nichtexistenz des Qualiaproblems ist Daniel Dennett. Eine Schiene dieser Argumentation sieht die Quelle des angeblichen Qualia-Problems in dem cartesianischen Dualismus, der unbefragt vorausgesetzt werde. Als Alternative zu dem cartesischen Dualismus werden die Ansichten Wittgensteins ins Feld geführt, der die Innen-Aussen-Differenz des Bewußtseins verneint habe.

Goethes Farbenlehre

Einen ganz anderen und auch heute noch wenig verstandenen Weg ging Goethe mit seiner Farbenlehre. Er hat damit die Grundlage für den Goetheanismus geschaffen, einer wissenschaftlich exakten Betrachtung der Natur, die sich vom herkömmlichen naturwissenschaftlichen Ansatz in wesentlichen Punkten unterscheidet. Bei diesem steht die quantitative Erfassung der Naturerscheinung im Vordergrund. "Messen, was messbar ist, und messbar machen, was nicht messbar ist", war hier seit Galilei der oberste Grundsatz. Goethe strebte demgegenüber nach einer systematischen reinen Phänomenologie der sinnlich erfahrbaren Erscheinungen. Das qualitative Element steht im Vordergrund. Die Qualia selbst, die bei der Farbwahrnehmung unmittelbar erlebten Sinnesqualitäten, die bei der herkömmlichen naturwissenschaftlichen Methode als vorgeblich rein subjektive Erscheinungen aus der wissenschaftlichen Theorienbildung völlig ausgeklammert werden, rücken bei Goethe gerade in den Mittelpunkt der durchaus objektiven naturwissenschaftlichen Betrachtung.

Die seelische Realität der Qualia

Aus anthroposophischer Sicht liegt die objektive Realität der Qualia in der Astralwelt begründet. Sie sind die grundlegenden seelischen Substanzen, die diese Seelenwelt aufbauen, so wie die physischen Substanzen die physische Welt aufbauen. Indem die Qualia vom menschlichen Astralleib aufgenommen werden, treten sie in den subjektiven Erlebnishorizont des Bewusstseins ein.

Die Sinnesqualitäten sind rein seelischer und nicht physischer Natur, aber wir erfahren sie zunächst nicht in ihrer reinen Gestalt, sondern nur abgeschattet an der Materie. Tatsächlich eröffnet sich der Blick für die Wirklichkeit der Qualia erst der imaginativen Anschauung, die durch entsprechende geistige Übungen erreicht werden kann.

"Mit Bezug auf die Sinneswahrnehmungen ist man aber in eine wahre wissenschaftliche Verwirrung gekommen. Die Menschen meinen vielfach - die Physiologen haben sich in dieser Beziehung sogar den Erkenntnistheoretikern und Philosophen im 19. Jahrhundert angeschlossen -, wenn wir zum Beispiel Rot sehen, so ist der äußere Vorgang irgendein Schwingungsvorgang, der sich fortpflanzt bis zu unserem Sehorgan, bis zum Gehirn. Dann wird ausgelöst das eigentliche Rot-Erlebnis. Oder es wird durch den äußeren Schwingungsvorgang ausgelöst der Ton Cis auf dieselbe Weise. Hier ist man in Verwirrung geraten, weil man dasjenige, was in uns, in unserer Körperbegrenzung lebt, gar nicht mehr von dem Äußeren unterscheiden kann. Hier spricht man durchaus davon, daß alle Sinnesqualitäten, Farben, Töne, Wärmequalitäten, eigentlich nur subjektiv seien; daß das äußere Objektive etwas ganz anderes sei.

Wenn wir nun geradeso, wie wir die drei Raumesdimensionen zunächst aus uns heraus bilden, um sie an und in den Dingen wieder zu finden, wenn wir ebenso dasjenige, was in uns sonst als Sinnesempfindung auftritt, aus uns selbst schöpfen und dann außer uns versetzen könnten, dann würden wir das erst in uns Gefundene in den Dingen ebenso finden, ja, auf uns zurückschauend, es wiederfinden, wie wir das als Raum in uns Erlebte in der Außenwelt finden und auf uns zurückschauend, uns selbst diesem Räume angehörend finden. Wir würden, wie wir die Raumeswelt um uns haben, eine Welt von ineinanderfließenden Farben und Tönen um uns haben. Wir würden sprechen von einer objektivierten farbigen, tönenden Welt, einer flutenden, farbigen, tönenden Welt, so wie wir von dem Räume um uns herum sprechen.

Das kann der Mensch aber durchaus erreichen, daß er diese Welt, die sonst für ihn nur vorliegt als die Welt der Wirkungen, kennenlernt als die Welt seiner eigenen Bildung. Wie wir unbewußt, einfach aus unserer menschlichen Natur heraus, uns die Raumesgestalt ausbilden, um sie dann in der Welt wiederzufinden, indem wir sie erst metamorphosiert haben, so kann der Mensch durch gewisse Übung - das muß er jetzt bewußt ausführen - dazu kommen, aus sich heraus den gesamten Umfang der Qualitäten enthaltenden Welt zu finden, um sie dann wiederzufinden in den Dingen, wiederzufinden zurückschauend auf sich selbst.

Was ich Ihnen hier schildere, das ist das Aufsteigen zu der sogenannten imaginativen Anschauung." (Lit.: GA 082, S. 58f)

Trivia

Thomas Metzinger, einer der wenigen deutschsprachigen Philosophen, die auf dem Gebiet der Philosophie des Geistes heute hervorragen (ist ansonsten angel-sächsisch dominiert), glaubt nicht an die Existenz eines Ich, sondern hält dieses für eine Modellkonstruktion des Gehirns, und hat eine entsprechende Theorie entworfen, soll aber angeblich selbst luzider Träumer sein.

Anmerkungen

  1. Charles S. Peirce: Collected Papers. Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge [1866] 1958-1966 (Nachdr.), § 223.
  2. Clarence Irving Lewis: Mind and the World Order. Outline of a Theory of Knowledge. Charles Scribner's sons, New York 1929, Dover, New York 1991 (Nachdr.). ISBN 0-486-26564-1.
  3. Thomas Nagel: What is it like to be a bat? In: The Philosophical Review. Cornell University, Ithaca 83/1974, S. 435–450. ISSN 0031-8108

Siehe auch

Sinnesqualitäten

Farben

Farbwahrnehmungsprozeß

Schmerzsinn

Literatur

  • Emil du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens, 1872, Nachdruck u.a. in: Emil du Bois-Reymond: Vorträge über Philosophie und Gesellschaft, Hamburg, Meiner, 1974.
  • Rudolf Steiner: Damit der Mensch ganz Mensch werde, GA 82 (1994), ISBN 3-7274-0820-0 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  • Thomas Metzinger: Grundkurs Philosophie des Geistes 1: Phänomenales Bewusstsein, Mentis-Verlag (Thomas Metzinger gilt als einer der großen deutschen Köpfe auf dem Gebiet der Philsophie des Geistes)

DVD-Set

  • 2009: Philosophie des Bewusstseins - 15 Vorlesungen an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz vom Wintersemester 2007/8, Auditorium-Netzwerk, 5 DVDs (Video) (enthält zu einem Gutteil die Einführung in die Qualia-Forschung und -Diskussion in der Philosophie des Geistes, mit besonderem Bezug zu den Neurowissenschaften, sehr zu empfehlen. In dieser Vorlesung gibt es auch den Tipp von Metzinger, den Auffassungen Martine Nida-Rümelins Aufmerksamkeit zu widmen, denn sie nehme konträre Positionen zu den eigenen Ansichten ein.)