Wiener Kreis

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Der Wiener Kreis des Logischen Empirismus war eine Gruppe Intellektueller aus den Bereichen der Philosophie, der Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften, der Mathematik und Logik, die sich von 1924 bis 1936 unter der Leitung von Moritz Schlick regelmäßig in Wien trafen.

Eingangstür des Mathematischen Seminars der Universität Wien, Boltzmanngasse. Treffpunkt des Wiener Kreises.

Überblick

Zum Kern der Gruppe zählten neben Schlick Hans Hahn, Philipp Frank, Otto Neurath, Rudolf Carnap, Herbert Feigl, Richard von Mises, Karl Menger, Kurt Gödel, Friedrich Waismann, Felix Kaufmann, Victor Kraft und Edgar Zilse. Zu den gelegentlichen Besuchern des Wiener Kreises gehörten Alfred Tarski, Hans Reichenbach, Carl Gustav Hempel, Willard Van Orman Quine, Ernest Nagel, Alfred Jules Ayer, Frank P. Ramsey.[1] Auch Ludwig Wittgenstein und Karl Popper standen in engem Kontakt zum Wiener Kreis, nahmen selbst aber nie an den Treffen des Schlick-Zirkels teil.[2][3]

Die philosophische Position des Wiener Kreises wurde als Logischer Empirismus, Logischer Positivismus oder Neopositivismus bezeichnet. Beeinflusst wurde sie durch Ernst Mach, David Hilbert, den französischen Konventionalismus (Henri Poincaré und Pierre Duhem), Gottlob Frege, Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein. Innerhalb des Wiener Kreises herrschte ein Pluralismus philosophischer Positionen. Die Teilnehmer verband aber der Versuch einer Verwissenschaftlichung der Philosophie mit den Mitteln der modernen Logik und das Bekenntnis zu den Werten der Aufklärung. Vorherrschende Themen waren die Grundlagendebatten in den Natur- und Sozialwissenschaften, der Mathematik und Logik, die Aktualisierung des Empirismus durch die moderne Logik, die Suche nach einem „empiristischen Sinnkriterium“, die Kritik der Metaphysik und die Verbindung der Wissenschaften im Rahmen einer Enzyklopädie der „Einheitswissenschaft“.[4]

Der Wiener Kreis trat öffentlich in Erscheinung durch die Publikation mehrerer Schriftenreihen (die Buchreichen Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung, Einheitswissenschaft, die Zeitschrift Erkenntnis) und die Organisation internationaler Konferenzen (u. a. in Prag, Königsberg, Paris, Kopenhagen, Cambridge, UK und Cambridge, Mass.). Im Rahmen des Vereins Ernst Mach waren Mitglieder des Wiener Kreises auch in der Volksbildung aktiv.

Im Zuge des Austrofaschismus und der späteren Machtergreifung der Nationalsozialisten waren viele Mitglieder des Wiener Kreises zur Emigration gezwungen. Die Ermordung Schlicks 1936 durch einen ehemaligen Dissertanten markiert das faktische Ende des Wiener Kreises.[5]

Die Arbeiten, die im Umfeld des Wiener Kreises entstanden, hatten einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Wissenschaftsphilosophie und der Analytischen Philosophie bis zur Gegenwart.

Geschichte

Die Geschichte und Entwicklung des Wiener Kreises kann in mehrere Phasen eingeteilt werden:[6]

Der „erste Wiener Kreis“ (1907–1912)[7]

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg gab es eine informelle Diskussionsrunde, zu der sich die späteren Wiener-Kreis-Mitglieder Hans Hahn, Philipp Frank, Otto Neurath trafen. Diskutiert wurden unter anderem Grundlagenprobleme der modernen Mathematik und Naturwissenschaften, die (Un-)Wissenschaftlichkeit der Philosophie und die Erneuerung des Empirismus in Verbindung mit dem französischen Konventionalismus und den Mitteln der modernen Logik. Behandelt wurden dabei Autoren wie Mach, Duhem, Poincaré, Brentano, Meinong, Husserl, Freud, Russell, Whitehead, Lenin und Frege. Spätestens der Erste Weltkrieg setzte dieser ersten Phase ein Ende.

Die Konstituierungsphase (1918–1924)[8]

Die Konstituierung des Wiener Kreises begann 1921 mit der Rückkehr Hans Hahns nach Wien. Hahn veranstaltete gemeinsam mit dem Mathematiker Kurt Reidemeister Seminare zu Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus und zur Principia Mathematica von Whitehead und Russell. 1922 gelang mit Unterstützung Hahns die Berufung von Moritz Schlick nach Wien auf den Lehrstuhl für Naturphilosophie, den vor ihm Ernst Mach innegehabt hatte und an dem auch teilweise Ludwig Boltzmann unterrichtet hatte.

Unmittelbar nach seiner Ankunft organisierte Schlick gemeinsame Diskussionskreise mit den Mathematikern um Hahn. Ab dem Wintersemester 1924/1925 wurde schließlich auf Vorschlag von Schlicks Studenten Friedrich Waismann und Herbert Feigl ein donnerstäglicher „Abendkreis“ eingerichtet, zu dem Schlick persönlich in das Mathematische Institut in der Wiener Boltzmanngasse 5 einlud. Diese Treffen können als „Geburtsstunde“ des späteren „Wiener Kreises“ betrachtet werden.[9]

Die nichtöffentliche Phase des Wiener Kreises – Der Schlick-Kreis (1924–1928)[10]

Die seit 1924 bestehenden wöchentlichen interdisziplinären Diskussionsrunden setzten sich aus unterschiedlichen Teilnehmern zusammen: Es nahmen daran sowohl arrivierte Forscher, jüngere Dozenten als auch Studierende und Doktoranden teil. Hinzu kamen geladene Gäste aus dem Ausland.

1926 wurde Rudolf Carnap auf Betreiben Schlicks als Privatdozent nach Wien geholt. Carnaps Logischer Aufbau der Welt wurde im Kreis intensiv diskutiert.

Daneben wurde Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus laut vorgelesen und debattiert. Seit 1927 bestanden zudem persönliche Kontakte zu Wittgenstein und es kam zu Treffen mit Schlick, Waismann, Carnap und Feigl.[11]

Öffentliche Phase – Schlick-Kreis und Verein Ernst Mach (1928–1934)[12]

Mit der Gründung des Vereins Ernst Mach 1928 und der Publikation der Programmschrift „Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis“ 1929 trat der Wiener Kreis erstmals unter diesem Namen an die Öffentlichkeit – die Bezeichnung stammt von Otto Neurath[13]. Ziel des Vereins Ernst Mach, zu dessen Vorsitzenden Schlick gewählt wurde, war die Popularisierung der „wissenschaftlichen Weltauffassung“ durch Vortragstätigkeit, an der sich Mitglieder des Wiener Kreises aktiv beteiligten.[14] In dem genannten Manifest heißt es u.a.:

„Die wissenschaftliche Weltauffassung ist nicht so sehr durch eigene Thesen charakterisiert als vielmehr durch die grundsätzliche Einstellung, die Gesichtspunkte, die Forschungsrichtung. Als Ziel schwebt die Einheitswissenschaft vor. Das Bestreben geht dahin, die Leistungen der einzelnen Forscher auf den verschiedenen Wissenschaftsgebieten in Verbindung und Einklang miteinander zu bringen. Aus dieser Zielsetzung ergibt sich die Betonung der Kollektivarbeit; hieraus auch die Hervorhebung des intersubjektiv Erfaßbaren; hieraus entspringt das Suchen nach einem neutralen Formelsystem, einer von den Schlacken der historischen Sprachen befreiten Symbolik; hieraus auch das Suchen nach einem Gesamtsystem der Begriffe. Sauberkeit und Klarheit werden angestrebt, dunkle Fernen und unergründliche Tiefen abgelehnt. In der Wissenschaft gibt es keine »Tiefen«; überall ist Oberfläche: alles Erlebte bildet ein kompliziertes, nicht immer überschaubares, oft nur im einzelnen faßbares Netz. Alles ist dem Menschen zugänglich; und der Mensch ist das Maß aller Dinge. Hier zeigt sich Verwandtschaft mit den Sophisten, nicht mit den Platonikern; mit den Epikureern, nicht mit den Pythagoreern; mit allen, die irdisches Wesen und Diesseitigkeit vertreten. Die wissenschaftliche Weltauffassung kennt keine unlösbaren Rätsel. Die Klärung der traditionellen philosophischen Probleme führt dazu, daß sie teils als Scheinprobleme entlarvt, teils in empirische Probleme umgewandelt und damit dem Urteil der Erfahrungswissenschaft unterstellt werden. In dieser Klärung von Problemen und Aussagen besteht die Aufgabe der philosophischen Arbeit, nicht aber in der Aufstellung eigener »philosophischer« Aussagen. Die Methode dieser Klärung ist die der logischen Analyse; [...]

Diese Methode der logischen Analyse ist es, die den neuen Empirismus und Positivismus wesentlich von dem früheren unterscheidet, der mehr biologisch-psychologisch orientiert war. Wenn jemand behauptet: »es gibt einen Gott«, »der Urgrund der Welt ist das Unbewußte«, »es gibt eine Entelechie als leitendes Prinzip im Lebewesen«, so sagen wir ihm nicht: »was du sagst, ist falsch«; sondern wir fragen ihn: »was meinst du mit deinen Aussagen?« Und dann zeigt es sich, daß es eine scharfe Grenze gibt zwischen zwei Arten von Aussagen. Zu der einen gehören die Aussagen, wie sie in der empirischen Wissenschaft gemacht werden; ihr Sinn läßt sich feststellen durch logische Analyse, genauer: durch Rückführung auf einfachste Aussagen über empirisch Gegebenes. Die anderen Aussagen, zu denen die vorhin genannten gehören, erweisen sich als völlig bedeutungsleer, wenn man sie so nimmt, wie der Metaphysiker sie meint. Man kann sie freilich häufig in empirische Aussagen umdeuten; dann verlieren sie aber den Gefühlsgehalt, der dem Metaphysiker meist gerade wesentlich ist. Der Metaphysiker und der Theologe glauben, sich selbst mißverstehend, mit ihren Sätzen etwas auszusagen, einen Sachverhalt darzustellen. Die Analyse zeigt jedoch, daß diese Sätze nichts besagen, sondern nur Ausdruck etwa eines Lebensgefühls sind. Ein solches zum Ausdruck zu bringen, kann sicherlich eine bedeutsame Aufgabe im Leben sein. Aber das adäquate Ausdrucksmittel hierfür ist die Kunst, zum Beispiel Lyrik oder Musik. Wird statt dessen das sprachliche Gewand einer Theorie gewählt, so liegt darin eine Gefahr: es wird ein theoretischer Gehalt vorgetäuscht, wo keiner besteht. Will ein Metaphysiker oder Theologe die übliche Einkleidung in Sprache beibehalten, so muß er sich selbst darüber klar sein und deutlich erkennen lassen, daß er nicht Darstellung, sondern Ausdruck gibt, nicht Theorie, Mitteilung einer Erkenntnis, sondern Dichtung oder Mythus. Wenn ein Mystiker behauptet, Erlebnisse zu haben, die über oder jenseits aller Begriffe liegen, so kann man ihm das nicht bestreiten. Aber er kann darüber nicht sprechen; denn sprechen bedeutet einfangen in Begriffe, zurückführen auf wissenschaftlich eingliederbare Tatbestände.

Von der wissenschaftlichen Weltauffassung wird die metaphysische Philosophie abgelehnt [...]

In den metaphysischen Theorien und schon in den Fragestellungen stecken zwei logische Grundfehler: eine zu enge Bindung an die Form der traditionellen Sprachen und eine Unklarheit über die logische Leistung des Denkens. Die gewöhnliche Sprache verwendet zum Beispiel dieselbe Wortform, das Substantiv, sowohl für Dinge (»Apfel«) wie für Eigenschaften (»Härte«), Beziehungen (»Freundschaft«), Vorgänge (»Schlaf«); dadurch verleitet sie zu einer dinghaften Auffassung funktionaler Begriffe (Hypostasierung, Substanzialisierung). Es lassen sich zahlreiche ähnliche Beispiele von Irreführungen durch die Sprache angeben, die für die Philosophie ebenso verhängnisvoll geworden sind.

Der zweite Grundfehler der Metaphysik besteht in der Auffassung, das Denken könne entweder aus sich heraus, ohne Benutzung irgendwelchen Erfahrungsmaterials zu Erkenntnissen führen, oder es könne wenigstens von gegebenen Sachverhalten aus durch Schließen zu neuen Inhalten gelangen. Die logische Untersuchung führt aber zu dem Ergebnis, daß alles Denken, alles Schließen in nichts anderem besteht als in einem Übergang von Sätzen zu anderen Sätzen, die nichts enthalten, was nicht schon in jenen steckte (tautologische Umformung). Es ist daher nicht möglich, eine Metaphysik aus »reinem Denken« zu entwickeln.

In solcher Weise wird durch die logische Analyse nicht nur die Metaphysik im eigentlichen, klassischen Sinne des Wortes überwunden, insbesondere die scholastische Metaphysik und die der Systeme des deutschen Idealismus, sondern auch die versteckte Metaphysik des Kantischen und des modernen Apriorismus. Die wissenschaftliche Weltauffassung kennt keine unbedingt gültige Erkenntnis aus reiner Vernunft, keine »synthetischen Urteile a priori«, wie sie der Kantischen Erkenntnistheorie und erst recht aller vor- und nachkantischen Ontologie und Metaphysik zugrunde liegen... Die wissenschaftliche Weltauffassung kennt nur Erfahrungssätze über Gegenstände aller Art und die analytischen Sätze der Logik und Mathematik.

In der Ablehnung der offenen Metaphysik und der versteckten des Apriorismus sind alle Anhänger wissenschaftlicher Weltauffassung einig. Der Wiener Kreis aber vertritt darüber hinaus die Auffassung, daß auch die Aussagen des (kritischen) Realismus und Idealismus über Realität oder Nichtrealität der Außenwelt und des Fremdpsychischen metaphysischen Charakters sind, da sie denselben Einwänden unterliegen wie die Aussagen der alten Metaphysik: sie sind sinnlos, weil nicht verifizierbar, nicht sachhaltig. Etwas ist »wirklich« dadurch, daß es eingeordnet wird dem Gesamtgebäude der Erfahrung.

Die von den Metaphysikern als Erkenntnisquelle besonders betonte Intuition wird von der wissenschaftlichen Weltauffassung nicht etwa überhaupt abgelehnt. Wohl aber wird eine nachträgliche rationale Rechtfertigung jeder intuitiven Erkenntnis Schritt für Schritt angestrebt und gefordert. Dem Suchenden sind alle Mittel erlaubt; das Gefundene aber muß der Nachprüfung standhalten. Abgelehnt wird die Auffassung, die in der Intuition eine höherwertige, tieferdringende Erkenntnisart sieht, die über die sinnlichen Erfahrungsinhalte hinausführen könne und nicht durch die engen Fesseln begrifflichen Denkens gebunden werden dürfe.

Wir haben die wissenschaftliche Weltauffassung im wesentlichen durch zwei Bestimmungen charakterisiert. Erstens ist sie empiristisch und positivistisch: es gibt nur Erfahrungserkenntnis, die auf dem unmittelbar Gegebenen beruht. Hiermit ist die Grenze für den Inhalt legitimer Wissenschaft gezogen. Zweitens ist die wissenschaftliche Weltauffassung gekennzeichnet durch die Anwendung einer bestimmten Methode, nämlich der der logischen Analyse. Das Bestreben der wissenschaftlichen Arbeit geht dahin, das Ziel, die Einheitswissenschaft, durch Anwendung dieser logischen Analyse auf das empirische Material zu erreichen [...]

In die wissenschaftliche Beschreibung kann nur die Struktur (Ordnungsform) der Objekte eingehen, nicht ihr »Wesen«. Das die Menschen in der Sprache Verbindende sind die Strukturformeln; in ihnen stellt sich der Inhalt der gemeinsamen Erkenntnis der Menschen dar. Die subjektiv erlebten Qualitäten – die Röte, die Lust – sind als solche eben nur Erlebnisse, nicht Erkenntnisse; in die physikalische Optik geht nur das ein, was auch dem Blinden grundsätzlich verständlich ist.“

H. Hahn, O. Neurath, R. Carnap: Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis pdf

Das Manifest des Wiener Kreises wurde anlässlich der im Herbst 1929 in Prag stattfindenden „Tagung für Erkenntnislehre der exakten Wissenschaften“ vorgestellt. Diese Tagung, die gemeinsam vom Verein Ernst Mach und der Berliner Gesellschaft für Empirische Philosophie veranstaltet wurde, war der erste internationale Auftritt der Logischen Empiristen und die erste einer Reihe internationaler Konferenzen, an deren Organisation Mitglieder des Wiener Kreises beteiligt waren. Es folgten weitere Tagungen, die sich bis in die Jahre der Emigration fortsetzten: 1930 in Königsberg, 1934 in Prag, 1935 in Paris, 1936 in Kopenhagen, 1938 in Cambridge (England), 1939 in Cambridge (USA) und 1941 in Chicago.

1930 übernahmen der Wiener Kreis und die Berliner Gruppe zudem die Zeitschrift Annalen der Philosophie und führten sie unter dem Titel Erkenntnis, herausgegeben von Carnap und Reichenbach, als zentrale Publikationsplattform des Logischen Empirismus weiter. Die Publikationstätigkeit des Wiener Kreises wurde ergänzt durch die Buchreihen Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung (herausgegeben von Schlick und Frank, 1928–1937)[15], Einheitswissenschaft (herausgegeben von Neurath, 1933–1939), und später – bereits in der Emigration – die International Encyclopedia of Unified Science (mit Neurath als Hauptherausgeber, Carnap und Charles W. Morris als Nebenherausgeber, insgesamt von 1938 bis 1970).

Desintegration, Emigration, Internationalisierung (1934–1938)

Seit Anfang der Dreißigerjahre zeigten sich aus politischen, weltanschaulichen und rassistischen Gründen erste Anzeichen einer Desintegration: Herbert Feigl verließ Österreich 1930, Carnap wurde 1931 nach Prag berufen und ging 1935 nach Chicago.

Eine Zäsur markiert das Jahr 1934: Hahn starb an den Folgen einer Operation, Neurath musste im Zusammenhang mit dem Austrofaschismus nach Holland emigrieren und in Wien wurde der Verein Ernst Mach vom Schuschnigg-Regime aufgelöst.

Das faktische Ende des Wiener Kreises kam durch die Ermordung Schlicks durch seinen ehemaligen Dissertanten Hans Nelböck aus persönlicher und weltanschaulicher Gegnerschaft.[16]

Danach wurden noch sporadisch weitere Treffen mit Kraft, Waismann, Zilsel, Menger und Gomperz veranstaltet. Der „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland bedeutete das endgültige Verschwinden des Wiener Kreises aus Österreich.

Mit der Emigration ging eine Internationalisierung des Logischen Empirismus einher. Viele ehemalige Mitglieder emigrierten in den angloamerikanischen Raum und nahmen dort Einfluss auf die weitere Entwicklung der Wissenschaftsphilosophie. Bezeichnend für die Internationalisierung ist auch die vor allem von Neurath, Carnap und Morris getragene Unity-of-Science-Bewegung zum Aufbau einer International Encyclopedia of Unified Science, die maßgeblich an der Organisation der angeführten Kongresse beteiligt war und die International Encyclopedia of Unified Science publizierte.[17]

Siehe auch

Literatur

Primärliteratur (Auswahl)

  • Rudolf Carnap: Logische Syntax der Sprache. Wien: Springer Verlag, 1968 [1934].
  • Rudolf Carnap: Mein Weg in die Philosophie. Stuttgart: Reclam, 1993 [1963].
  • Rudolf Carnap: Der logische Aufbau der Welt. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1998 [1928].
  • Rudolf Carnap: Scheinprobleme in der Philosophie und andere metaphysikkritische Schriften. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 2004.
  • Otto Neurath: Gesammelte philosophische und methodologische Schriften. (2 Bände) Wien: Verlag Hölder-Pichler-Tempsky, 1981.
  • Otto Neurath, Rudolf Carnap, Hans Hahn: Wissenschaftliche Weltauffassung - der Wiener Kreis. Veröffentlichungen des Vereins Ernst Mach, Wien 1929 [1] [2]
  • Otto Neurath, Rudolf Carnap und Charles Morris (Hrsg.): Foundations of the Unity of Science. Toward an International Encyclopedia of Unified Science. (2 Bände) Chicago: Chicago University Press, 1971.
  • Karl Popper: Logik der Forschung. Tübingen: Mohr Siebeck, 2005 [1935].
  • Moritz Schlick: Lebensweisheit. Versuch einer Glückseligkeitslehre. Fragen der Ethik. (Moritz Schlick Gesamtausgabe, Abteilung I, Band 3) Wien: Springer Verlag, 2006 [1908, 1930].
  • Moritz Schlick: Die Wiener Zeit. Aufsätze, Beiträge, Rezensionen 1926-1936. (Moritz Schlick Gesamtausgabe, Abteilung I, Band 6) Wien: Springer Verlag, 2008.
  • Moritz Schlick: Allgemeine Erkenntnislehre. (Moritz Schlick Gesamtausgabe, Abteilung I, Band 1) Wien: Springer Verlag, 2009 [1918/1925].
  • Michael Stöltzner und Thomas Uebel (Hrsg.): Wiener Kreis. Texte zur wissenschaftlichen Weltauffassung von Rudolf Carnap, Otto Neurath, Moritz Schlick, Philipp Frank, Hans Hahn, Karl Menger, Edgar Zilsel und Gustav Bergmann. Hamburg: Meiner Verlag, 2006. ISBN 3-7873-1811-9
  • Friedrich Stadler und Thomas Uebel (Hrsg.): Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis. Hrsg. vom Verein Ernst Mach (1929). Reprint der Erstausgabe. Mit Übersetzungen ins Englische, Französische, Spanische und Italienische. Wien: Springer Verlag, 2012.
  • Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag, 1963 [1921].

Sekundärliteratur

  • A. J. Ayer: Language, Truth and Logic. London: Victor Gollancz 1936.
  • Gustav Bergmann: „Erinnerungen an den Wiener Kreis. Brief an Otto Neurath (1936)“, in: Michael Stöltzner, Thomas Uebel (Hrsg.), Wiener Kreis. Texte zur wissenschaftlichen Weltauffassung. Hamburg: Meiner 2006, 633-654.
  • Nancy Cartwright, Jordi Cat, Lola Fleck, Thomas E. Uebel: Otto Neurath. Philosophy between Science and Politics. Cambridge: Cambridge University Press, 1996.
  • Philipp Frank: Modern Science and its Philosophy. Cambridge 1949.
  • Michael Friedman: Reconsidering Logical Positivism. Cambridge 1999.
  • Peter Galison: “Aufbau/Bauhaus: Logical Positivism and Architectural Modernism”. Critical Inquiry 16, 709-752, 1990.
  • Manfred Geier: Der Wiener Kreis. Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-50508-8.
  • Ronald Giere, Alan Richardson (Hrsg.): Origins of Logical Empiricism. Minneapolis 1996.
  • Rudolf Haller: Neopositivismus. Eine historische Einführung in die Philosophie des Wiener Kreises. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1993, ISBN 3-534-06677-4.
  • Rudolf Haller, Friedrich Stadler (Hrsg.): Wien – Berlin – Prag. Der Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie. Wien 1993.
  • Victor Kraft: Der Wiener Kreis. Der Ursprung des Neopositivismus. 3. Auflage. Springer, Wien u. a. 1997 [1950], ISBN 3-211-82956-3 (Texte zur wissenschaftlichen Weltauffassung 1).
  • Paul Kruntorad (Hrsg.): Jour fixe der Vernunft. Der Wiener Kreis und die Folgen. Hölder-Pichler-Tempsky, Wien 1991, ISBN 3-209-01221-0 (Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis 1).
  • Richard von Mises: Kleines Lehrbuch des Positivismus. Einführung in die empiristische Wissenschaftsauffassung. Mit einer Einleitung neu hrsg. von Friedrich Stadler. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-518-28471-1 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 871 Wiener Kreis-Schriften zum logischen Empirismus).
  • Christoph Limbeck / Friedrich Stadler (Hrsg.): Der Wiener Kreis. Texte und Bilder einer Ausstellung. Münster-Berlin-London: LIT Verlag 2015. ISBN 978-3-643-50672-6
  • Thomas Mormann: Rudolf Carnap. München: Verlag C.H. Beck, 2000.
  • Nicholas Rescher (Hrsg.): The Heritage of Logical Positivism. University Press of America 1985.
  • Alan Richardson: “The Scientific World Conception. Logical Positivism”, in: T. Baldwin (Hrsg.), The Cambridge History of Philosophy, 1870–1945, 2003, 391-400.
  • Alan Richardson, Thomas Uebel (Hrsg.): The Cambridge Companion to Logical Empiricism, Cambridge 2007.
  • Annemarie Siegetsleitner: Ethik und Moral im Wiener Kreis. Böhlau, Wien 2014, ISBN 978-3-205-79533-9.
  • Karl Sigmund: Sie nannten sich Der Wiener Kreis: Exaktes Denken am Rand des Untergangs. Springer Spektrum, 2015. ISBN 978-3-658-08534-6 (Print); ISBN 978-3-658-08535-3 (eBook)
  • Friedrich Stadler: Vom Positivismus zur „Wissenschaftlichen Weltauffassung“. Am Beispiel der Wirkungsgeschichte von Ernst Mach in Österreich von 1895-1934. Wien-München 1982.
  • Friedrich Stadler: Studien zum Wiener Kreis. Ursprung, Entwicklung und Wirkung des Logischen Empirismus im Kontext. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-518-58207-0. 2. Auflage bei Springer, Dordrecht 2015.
  • Friedrich Stadler (Hrsg.): The Vienna Circle and Logical Empiricism. Re-evaluation and Future Perspectives. Dordrecht – Boston – London, Kluwer 2003.
  • Volker Thurm (Hrsg.): Wien und der Wiener Kreis. Orte einer unvollendeten Moderne. Wien 2003.
  • Thomas Uebel: Vernunftkritik und Wissenschaft: Otto Neurath und der erste Wiener Kreis. Wien-New York 2000.
  • Thomas Uebel: Empiricism at the Crossroads. The Vienna Circle’s Protocol-Sentence Debate. Chicago: Open Court, 2007.

Weblinks

Commons: Wiener Kreis - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise

  1. Vgl. die Zurechnung zu „Kern“ und „Peripherie“ des Wiener Kreises in Stadler 1997.
  2. Von 1926 bis 1933 fanden gelegentliche Treffen Wittgensteins mit Schlick, Waismann, Carnap und Feigl statt. Vgl. Stadler 1997, Kapitel zu "Wittgenstein und der Wiener Kreis", 467-488.
  3. Zu Popper und dem Wiener Kreis, vgl. Stadler 1997, 502-545.
  4. Vgl. Stöltzner/Uebel 2006, LII-LXXIX
  5. Stöltzner/Uebel 2006, LXXXIX
  6. Diese Darstellung folgt vor allem Stadler 1997. Bes. 629-630 für einen Überblick über die Phasen der Entwicklung.
  7. Frank 1949, Stadler 1997, Uebel 2000, Stöltzner/Uebel 2006. Die Bezeichnung geht zurück auf Rudolf Haller, „Der erste Wiener Kreis“, in: Fragen zu Wittgenstein und Aufsätze zur Österreichischen Philosophie, Amsterdam 1986.
  8. Stadler 1997, 225-251.
  9. Stadler 1997, 230.
  10. Stadler 1997, 229-251.
  11. Die Aufzeichnung dieser Treffen durch Waismann findet sich im Band Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis, Gespräche aufgezeichnet von Friedrich Waismann, Frankfurt a. M. 1984.
  12. Stadler 1997, 364-388.
  13. Frank 1949, 38.
  14. Für einen Überblick über die Vortragstätigkeit 1929-1932: Stadler 1997, 379-381.
  15. In dieser Reihe erschien 1934 auch Karl Poppers Logik der Forschung.
  16. Zur Dokumentation des Mordes an Schlick und des Strafprozesses gegen Nelböck: Stadler 1997, 920-961.
  17. Für eine Chronologie der Emigration: Hans-Joachim Dahms, „The Emigration of the Vienna Circle“, in: Friedrich Stadler, Peter Weibel (Hrsg.), The Cultural Exodus from Austria, Wien 1995.


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