Spiel und Sri Lanka: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Jean-Baptiste Siméon Chardin 001.jpg|250px|thumb|right|Freies Spiel mit Spielkarten: Ein Kartenhaus ("Das Kartenhaus" von [[wikipedia:Jean Siméon Chardin|Jean Siméon Chardin]], (1699–1779))]]
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'''Spiel''' (von althochdeutsch: ''spil'' für „Tanzbewegung“) ist eine Tätigkeitsform, Spielen eine Tätigkeit, die zum Vergnügen, zur Entspannung, allein aus Freude an ihrer Ausübung, aber auch als Beruf  ausgeführt werden kann ([[wikipedia:Theaterspiel|Theaterspiel]], [[wikipedia:Sport|Sport]]spiel, [[wikipedia:Violine|Violinspiel]]). Es ist eine Beschäftigung, die  oft in Gemeinschaft mit anderen vorgenommen wird. Ein Gutteil der kognitiven Entwicklung und der Entwicklung von [[wikipedia:Motorik|motorischen]] Fähigkeiten findet durch Spielen statt, beim Menschen ebenso wie bei zahlreichen Tierarten. Einem Spiel liegen oft ganz bestimmte Handlungsabläufe zugrunde, aus denen, besonders in Gemeinschaft, verbindliche [[wikipedia:Regel (Richtlinie)|Regeln]] hervorgehen können. Die konkreten Handlungsabläufe können sich sowohl aus der Art des Spiels selbst, den Spielregeln ([[wikipedia:Völkerball|Völkerball]], [[wikipedia:Mensch ärgere Dich nicht|Mensch ärgere Dich nicht]]) oder aber aus dem Wunsch verschiedener Individuen ergeben, gemeinschaftlich zu handeln (Bau einer Sandburg z.B.).
 
== Definitionen und Merkmale ==
Eine ältere, aber inzwischen veraltete Definition des Begriffs "Spiel" stammt von dem niederländischen [[wikipedia:Kulturanthropologie|Kulturanthropologen]] [[wikipedia:Johan Huizinga|Johan Huizinga]]. In seinem Hauptwerk ''[[wikipedia:Homo ludens|Homo ludens]]'' schreibt er:
{{Zitat|Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘.|Huizinga|1938/1991, S. 37}}
 
Eine modernere Definition des Begriffs "Spiel", die die Widersprüche der Definition von Huizinga vermeidet, denn es gibt auch nicht-selbstzweckliche Spiele wie Lernspiele oder das Basteln von Geschenken, stammt von [[Joachim Stiller]]:
 
'''Definition: Spiel ist jede Handlung oder Tätigkeit, die die bloß existentiellen Seins- und Handlungsvollzüge in redundanter Weise transzendeirt.'''<ref>[[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_spiel.pdf Was ist Spile?] PDF</ref>
 
Die [[wikipedia:Spielwissenschaft|Spielwissenschaft]] unterscheidet heute zwischen zweckfreien und zweckgerichteten Spielen.<ref>Siegbert A. Warwitz, Anita Rudolf: ''Was Spielen bedeutet und welche Merkmale es kennzeichnen.'' In: Dies.: ''Vom Sinn des Spielens. Reflexionen und Spielideen.'' 3. Auflage. Baltmannsweiler 2014, S. 18–22.</ref> Als zweckfrei gelten etwa die [[wikipedia:Funktionsspiel|Funktionsspiel]]e, als zweckgerichtet die [[wikipedia:Lernspiel|Lernspiel]]e. Das zweckgerichtete Spiel gab es bereits bei den [[wikipedia:Philanthrop|Philanthrop]]en, etwa bei [[wikipedia:Guts Muths|Guts Muths]].<ref>I.C.F. Guts Muths: ''Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und des Geistes.'' Schnepfental 1796</ref> Das Lernspiel soll dem Zweck des [[Lernen]]s dienen, aber dennoch spielerisch sein.<ref name="Hans Scheuerl 1990">Hans Scheuerl: ''Das Spiel. Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen.'' 11. Auflage. Weinheim/ Basel 1990</ref>
Neben dem Lernspiel hat sich seit etwa 1995 eine Spielbewegung etabliert, die als Bildungsspiel<ref>Benedikt Sturzenhecker, Christoph Riemer (Hrsg.): ''Playing Arts. Impulse ästhetischer Bildung.'' Weinheim/ München 2005.</ref> bezeichnet werden kann: Playing Arts<ref>Christoph Riemer, Benedikt Sturzenhecker (Hrsg.): ''Playing Arts.'' Gelnhausen 2002</ref>
 
Das [[wikipedia:Sport|Sport]]spiel nimmt eine Sonderstellung ein: Es ist sowohl als Arbeit und Einnahmequelle (Berufsfußball) zu verstehen, als auch mit Spielfreude verbunden.
Es gibt auch einen [[heilig]]en Ernst des Spieles: Das Spiel enthält dann [[kult]]ische und [[Religion|religiöse]] Züge.
 
Für [[wikipedia:Roger Caillois|Roger Caillois]] werden sämtliche Spiele stets von mindestens einem der folgenden vier Prinzipien geprägt:
 
* [[wikipedia:Agon (Wettstreit)|Agon]] (Wettkampf)
* [[wikipedia:Aleatorik|Alea]] (Zufall)
* [[wikipedia:Mimikry|Mimikry]] (Maske) und
* [[wikipedia:Rausch|Ilinx]] (Rausch).
 
Diese Prinzipien können sich vielfältig mischen. Allerdings sieht Caillois eine wesentliche Trennungslinie zwischen ''Wettkampf'' und ''Zufall'' einerseits und ''Maske'' und ''Rausch'' andererseits. Hier stellte er einen Zusammenhang zwischen der Spielkultur und der allgemeinen Verfassung einer Gesellschaft her. Archaische oder sogenannte primitive Gesellschaften fänden sich eher von Maske und Rausch, sogenannte zivilisierte Gesellschaften von Wettkampf und Zufall beherrscht.<ref>Roger Caillois: ''Die Spiele und die Menschen.'' Paris 1958, erste deutsche Ausgabe Stuttgart 1960, siehe darin v.a. Kapitel VII und VIII</ref> Das Schlagwort von der „Leistungsgesellschaft“ ist bekannt – es ist aber auch offenkundig, dass in dieser durch den Zufall der Geburt, Erbschaft, Beziehung, Chance viel gewürfelt wird.
 
[[wikipedia:Friedrich Georg Jünger|Friedrich Georg Jünger]] sieht im Wettkampfgedanken keinen Entstehungsgrund von Spielen. Er führt sämtliche Spiele auf nur drei Prinzipien zurück, nämlich ''Geschicklichkeit'', ''Zufall'' und ''Ahmung'' &#91;[[sic]]!&#93;. Das letzte Prinzip – das Darstellung und Beschwörung zugleich meint – deckt sich nur streckenweise mit Caillois’ Prinzip Maske und Rausch. Jünger schreibt:<ref>Friedrich Georg Jünger: ''Die Spiele.'' Frankfurt am Main 1953, S. 190. Obwohl fünf Jahre früher erschienen, wird Jüngers anregende Untersuchung von Caillois nicht erwähnt. Sie behandelt auch Sport, Dressuren, Jagd, Stierkampf, Krieg, Liebe und dergleichen.</ref>{{Zitat|Ein Geschicklichkeitsspiel stützt sich nie auf den Agon, sondern auf die Geschicklichkeit. Wettbewerb, Konkurrenz, Agon sind etwas zum Spiel Hinzukommendes. Sichtbar wird das dort, wo das gleiche Spiel bald von Spielern gespielt wird, die ihre Geschicklichkeit messen, bald von einem einzelnen Spieler, dessen Lust das Spiel selbst ist und der nicht daran denkt, in einen Wettbewerb einzutreten.}}
 
Spielen gewinnt eine besondere Qualität, wenn kreative Aspekte überwiegen, das heißt weiterreichende Entwicklungen der teilnehmenden Persönlichkeiten und ihrer gesellschaftlichen Beziehungen ins Auge gefasst werden. Obwohl solche Spiele nach [[Ökonomie|ökonomischen]] Kriterien keinesfalls Arbeit sind, tragen sie aus sozialwissenschaftlicher Sicht doch ganz wesentliche [[wikipedia:Arbeit (Philosophie)|Arbeitsmerkmale]]. Es kommt auf die [[wikipedia:Soziale Rolle|Rolle]] und [[wikipedia:Soziale Funktion|Funktion]] des Beteiligten im ''Spiel'' oder ''Nicht-Spiel'' und auf die Sichtweise des Beobachters an.
 
[[Ludwig Wittgenstein]] vertrat die Auffassung, dass die Gesamtheit aller Spiele lediglich durch [[wikipedia:Familineähnlichkeit|Familienähnlichkeit]] miteinander verbunden ist, dass es also keine Eigenschaft gibt, die allen Spielen gemeinsam ist.
 
Spielen, so [[wikipedia:Natias Neutert|Natias Neutert]] als ehemaliger Dozent für [[wikipedia:Polyästhetik|Polyästhetik]], schärfe gegenüber der kruden Wirklichkeit den Möglichkeitssinn. In ''Spielen ist ein ernster Fall''<ref>Natias Neutert: ''Spielen ist ein ernster Fall.'' In: ''Hamburger Morgenpost.'' Nr. 77, 1. April 1971, Magazin, S. 4.</ref> schreibt er:
{{Zitat|Spielen erzeugt eine  eigene Wirklichkeit: die der Möglichkeiten.|Natias Neutert|1971}}
 
== Der geistige Hintergrund der Brett- und Kartenspiele ==
 
In seinen Vorträgen über die [[Tempellegende]] hat [[Rudolf Steiner]] auf die geistige Bedeutung der klassischen Brett- und Kartenspiele hingewiesen:
 
{{GZ|Immer mehr ist der Menschheit verlorengegangen das Wissen, daß
der Mensch sich hineinbauen soll in den großen Weltentempel. Menschen
können heutzutage geboren werden und sterben, ohne eine
Ahnung davon zu haben, daß sich in uns Gesetze ausleben, daß alles
was wir tun, von den Gesetzen der Welt beherrscht wird. Unsere
ganze gegenwärtige Zeit ist eine verlorene Zeit, weil die Menschen
nicht wissen, daß sie nach Gesetzen zu leben haben. Daher haben die
Priesterweisen der alten Zeiten auf Mittel gesonnen, um von den großen
Gesetzen der geistigen Welt etwas hinüberzuretten in die neue
Kultur. Es war sozusagen ein Kniff der großen Weisen, daß sie die
gesetzmäßige Ordnung in viele Zweige des Lebens hineingeheimnißt
haben, ja sogar bis in das Spiel hinein, dessen sich die Menschen
bedienen zu ihrer Erholung nach des Tages Last. In den Karten, in
den Figuren des Schachspiels und in der Gesetzmäßigkeit, in der man
spielt, finden wir einen Abklatsch, wenn auch nur einen schwachen,
von dem, was ich die gesetzmäßige Ordnung genannt habe. Wenn Sie
sich mit jemandem zum Kartenspiel hinsetzen wollen, so wird es nicht
gehen, wenn Sie nicht die Gesetze, die Art und Weise wie man spielt,
kennen. Und dieses ist wirklich ein Abklatsch großer Weltgesetze.
Was man in der Kabbala die Sephirot nennt, was wir die sieben Prinzipien
in ihrer verschiedenen Gestaltung nennen, das finden Sie auch
in der Art und Weise, wie die Karten beim Spielen aufeinandergelegt
werden müssen. Bis in die Reize des Spiels haben die Weisen die großen
Gesetze hineinzulegen verstanden, damit die Menschen wenigstens
spielend einen Abklatsch haben von der Weisheit. Für denjenigen,
der wenigstens Karten spielen kann, gehen seine gegenwärtigen
Inkarnationen nicht ganz verloren. Das sind so Geheimnisse, wie die
großen Weisen in die Räder der Zeitläufe eingreifen. Sagt man den
Menschen, daß sie sich nach den großen Gesetzen richten sollen, so
tun sie es nicht. Wenn man aber die Gesetze in Dinge hineinlegt, wo
sie es gar nicht merken, so kann man manchmal noch einen Tropfen
dieser Gesinnung in sie hineingießen. Wenn Sie diese Gesinnung haben,
dann bekommen Sie eine Vorstellung davon, was in der großen
Allegorie vom verlorenen Tempel symbolisiert ist.|93|136f}}
 
Was in diesem Sinn in der Vergangenheit berechtigt war, gilt allerdings heute nicht mehr in gleichem Maß, ''„denn alle die Spiele, welche sich an den Verstand, an das kombinierende Denken richten, sind so, daß sie das Persönliche des Menschen, das am meisten an das Instrument des Gehirnes gebunden ist, in Angriff nehmen. Soviel Günstiges auch über das Schachspiel gesagt wird, so kann es deshalb doch nie ein Faktor der Selbsterziehung sein, weil es dabei auf das ankommt, was am meisten an das Instrument des Gehirnes gebunden ist, was Kombinationen machen muß.“'' {{GZ||61|429f}} So konnten diese Spiele früher dazu beitragen, die Entwicklung der an das [[physisch]]e [[Gehirn]] gebundenen und die [[Persönlichkeit]] festigenden [[Verstand]]esfähigkeit zu fördern. Heute müssen wir aber über das bloße gehirngebundene Verstandesdenken hinauskommen und zum leibfreien [[Lebendiges Denken|lebendigen Denken]] aufsteigen.
 
== Das Spiel zwischen Freiheit und Determinismus ==
Im Hinblick auf die begriffliche Unvereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit/Determinismus ist '''Spiel''' ein vermittelnder Begriff. Schon in einer ganz einfachen Fassung ist dies im Begriff des [[wikipedia:Spielraum|Spielraum]]s bezeichnet. Im Spielraum hat die Freiheit, oder auch Willkürlichkeit, freies Spiel, in einem ''Rahmen''. Dies sind bei kleinen, spielenden Kindern die Bretter der Sandkiste z.B. Im Kontrast zu solchem Spielraum kennt man die [[wikipedia:Spielzeit|Spielzeit]]. Sie ist eine freie Zeit, die aber gleichwohl mit einem Schluß scharf begrenzt ist. Vgl. auch [[wikipedia:Moratorium|Moratorium]]. Im Vergleich kann man dem Spielraum zum Wesen des Spiels mehr Nähe zusprechen, als der Spielzeit, obwohl gerade die Terminierung auch wohl ein Licht werfen mag. Ein weiterer Aspekt ist, daß das Spiel [[wikipedia:Regel|Regel]]n unterliegt, [[wikipedia:Spielregel|Spielregel]]n (Dies ist auch beim Spiel von Tierkindern der Fall: Sie beißen sich z.B. gegenseitig nicht wirklich, sondern nur in Andeutung, sie zeigen ein "als ob"-Verhalten im Spiel. Ein wirkliches Zubeißen wäre eine Regelverletzung). In den Regeln ist wie mit der räumlichen oder zeitlichen Begrenzung dem Spiel entsprochen. Spiel ist insofern [[Freiheit]] in [[wikipedia:Grenze|Grenze]]n. In den Grenzen ''bestimmten'' Raumes oder ''bestimmter'' Zeit, oder in den Grenzen von ''bestimmten'' Regeln. Der Regelbegriff ist dabei aber vom Begriff der Kausalität/Determinität zu unterscheiden. Der Spielbegriff in diesem Sinne findet auch in der Mechanik Anwendung. Wenn in einem Maschinensystem die 1zu1-Übersetzung nicht 100% funktioniert, z.B. bei einer Kupplung, spricht man von "zu viel Spiel". Ein Gelenk kann Spiel haben bis zu einer gewissen Grenze, und bis dahin kann dieses Spiel sogar funktional sein. Ein knarrendes Scharnier hat zu ''wenig'' Spiel, man gibt Öl in das Spiel, um seine Beweglichkeit zu verbessern. Diese [[wikipedia:Beweglichkeit|Beweglichkeit]], nicht zu verwechseln mit [[Bewegung]], ist denn auch für den Begriff des Spiels konstitutiv. Die Differenzierung zwischen den Begriffen Spiel und Beweglichkeit expliziert den Begriff des Spiels unter diesem Gesichtspunkt näher.
 
== Das Spiel der Tiere ==
Die Anwendung des Spielbegriffs auf mechanische Phänomene führte zur Verbindung des Spielbegriffs mit dem der Beweglichkeit und damit auch dem der Bewegung. Man kann zwar übertragend z.B. auch von einem Spiel der Wellen sprechen, um einen Felsen im Wasser herum, oder von dem Spiel des Mondlichtes auf der Wasseroberfläche u.ä., aber man hat erst in der Bewegung des Tieres die eigentliche Identität von Bewegung und Spiel faßbar. Es ist zwar natürlich keine völlige Identität, da sich Bewegung und Spiel in anderer Hinsicht unterscheiden. Jedoch zeigt das Verhältnis der Tiere zur Umwelt, daß sie in ihren Bewegungen frei sind, sie haben Spiel zur Umwelt, und zwar ''innerhalb'' der geschlossenen Kausalität ihres Verhaltens. Es ist dies etwas ganz Außerordentliches. Wesen mit Eigensinn verhalten sich, ohne aus der naturgesetzlichen Kausalität herauszutreten, zur Umwelt in der Weise des Spiels, mit einer jeglichen Bewegung ihres Körpers, und sind insofern frei.
 
== Menschliches Spiel ==
Nach den vorgenannten Unterscheidungen ist das Spiel als etwas definiert, über das auch Tiere verfügen. Tiere sind jedoch keine freien Wesen wie der Mensch (abgesehen von der Frage, ob sog. höhere Tiere auch Freiheit kennen mögen, oder in Zukunft erfahren können). Das Spiel des Menschen ist daher vom Spiel der Tiere zu unterscheiden und darauf hin zu untersuchen, ob in dem Unterschied des Spielens (i.d.S. Menschen spielen anders als Tiere, oder das Spiel hat für Menschen einen anderen Sinn), etwas über den Begriff des Spiels auszumachen ist.
 
In der abstrakten Definition gibt es Spiel auch auf dem mechanischen Gebiet, aber es ist wohl kaum möglich, da von "eigenem" Spiel zu sprechen. Bei den Pflanzen kann man von Spiel genauso wenig sprechen. Sie sind jederzeit und immer in völliger ''Übereinstimmung'' mit der Umwelt. Anders bei Tieren und Menschen.
 
Der [[Begriff]] des ''menschlichen'' '''Spiels''' umfasst ganz allgemein alle freien [[mensch]]lichen Tätigkeiten, die weder aus inneren oder äußeren Zwängen entspringen, noch auf irgend welche außerhalb dieser Tätigkeit selbst gelegenen spezifischen Ziele oder Zwecke gerichtet sind. Das [[Freiheit|freie]] menschliche Spiel überhöht nach und nach den bloßen [[Spieltrieb]], über den auch die höheren [[Tier]]e verfügen, indem es unmittelbar aus der schöpferischen Tätigkeit des menschlichen [[Ich]] hervorgeht und dieses in seiner Entwicklung durch spielerische [[Selbsterziehung]] fördert.
 
[[Friedrich Schiller]] sagt über das Spiel:
 
<div style="margin-left:20px">
"Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Dieser Satz, der in diesem Augenblicke vielleicht paradox erscheint, wird eine große und tiefe Bedeutung erhalten, wenn wir erst dahin gekommen sein werden, ihn auf den doppelten Ernst der Pflicht und des Schicksals anzuwenden; er wird, ich verspreche es Ihnen, das ganze Gebäude der ästhetischen Kunst und der noch schwierigern Lebenskunst tragen." {{Lit|Schiller, 15. Brief}}
</div>
 
=== Das Spiel des Kindes ===
 
==== Im Spiel kann das höhere Selbst des Kindes als Erzieher wirken ====
 
{{GZ|Wenn wir
also unser erweitertes Selbst kennen, durch das wir in fremde
Eigenwesen eintreten, dann dürfen wir schon beim Kinde
davon sprechen, daß außer demjenigen, woran wir uns als
Erzieher halten können, was sich aus dem normalen Bewußtsein
heraufentwickelt, etwas vorhanden ist als ein
außer dem gewöhnlichen Selbst befindliches höheres Wesen,
das an dem Kinde schon arbeitet. Wenn wir dies ins Auge
fassen, finden wir vielleicht etwas am Kinde, wo schon eine
Art Erziehung am Kinde stattfindet, während wir uns mit
unserer gewöhnlichen Erziehung nur an das persönliche
Selbst des Kindes wenden können. Wo finden wir das, was
an dem Kinde als ein höheres Selbst, als eine höhere Wesenheit
sich betätigt, die zu dem Kinde gehört, aber nicht ins
Bewußtsein hereinkommt? Es mag sonderbar erscheinen,
dennoch aber ist es richtig, daß dies sich im Kinde betätigt
bei dem rationellen, bei dem gut geführten Spiel. Beim Spiel
des Kindes können wir nur die Bedingungen der Erziehung
herbeischaffen. Was aber durch das Spiel geleistet wird, das
wird im Grunde genommen geleistet durch die Selbstbetätigung
des Kindes, durch alles, was wir nicht in strenge Regeln
bannen können. Ja, gerade darauf beruht das Wesentliche
und das Erzieherische im Spiel, daß wir haltmachen mit
unseren Regeln, mit unseren pädagogischen und erzieherischen
Künsten, und das Kind seinen eigenen Kräften überlassen.
Denn was tut das Kind dann, wenn wir es seinen
eigenen Kräften überlassen? Dann probiert das Kind im
Spiel an den äußeren Gegenständen, ob dieses oder jenes
durch die eigene Tätigkeit wirkt. Es bringt seinen eigenen
Willen zur Betätigung, in Bewegung. Und in der Art und
Weise, wie sich die äußeren Dinge unter der Einwirkung des
Willens verhalten, geschieht es, daß das Kind in einer ganz
anderen Weise als durch Einwirkung einer Persönlichkeit
oder ihres pädagogischen Prinzipes sich an dem Leben, wenn
auch nur spielend, erzieht. Daher ist es von so großer Wichtigkeit,
daß wir ins Spiel des Kindes so wenig wie möglich
Verstandesmäßiges hineinmischen. Je mehr sich das Spiel
betätigt in dem, was nicht begriffen wird, was angeschaut
wird in seinem Lebendigen, desto besser ist das Spiel. Wenn
wir dem Kinde daher ein Spielzeug geben, wo es durch
Ziehen von Fäden oder sonstwie die Bewegung von Menschen
oder Dingen vorgetäuscht erhält, sei es im Bilderbuche
mit beweglichen Tieren oder Menschen, oder im sonstigen
Spielzeug, so erziehen wir es durch das Spiel besser, als wenn
wir ihm die schönsten Baukästen geben. Denn in diese
mischt sich schon zuviel Verstandestätigkeit hinein, was
einem persönlicheren Prinzip angehört als jenes Herumtappen
an dem Lebendig-Beweglichen, das nicht verstandesmäßig
begriffen, sondern in seiner vollen Tätigkeit angeschaut
wird. Je weniger bestimmt und ausgedacht das ist,
was im Spiel sich zeigt, desto besser ist es aus dem Grunde,
weil ein Höheres, das nicht ins menschliche Bewußtsein hereingezwängt
werden kann, dann eben hereinkommen kann,
weil das Kind probierend und nicht verstandesmäßig sich
zum Leben verhält. Da sehen wir, wie das Kind durch etwas,
was über das Persönliche hinausgeht, schon erzogen wird.|61|428f}}
 
==== Richtige Gestaltung der Puppen ====
 
{{GZ|Geben Sie dem Kinde ein Taschentuch oder
einen Lappen, und knüpfen Sie diesen so, daß er oben einen Kopf hat,
unten ein Paar Beine, dann haben Sie ihm einen Bajazzo oder eine
Puppe gemacht. Sie können dann noch mit Tintenklecksen Augen
und Nase und Mund daranmachen oder besser das Kind selber machen
lassen, und Sie werden sehen: ein gesundes Kind hat mit dieser
Puppe seine große Freude. Denn dann kann es das, was sonst an der
Puppe dran sein soll, ergänzen durch bildhaft nachahmende Seelentätigkeit.
Es ist viel besser, wenn Sie aus einem Leinwandfetzen einem
Kind eine Puppe machen, als wenn Sie ihm eine schöne Puppe
geben, die womöglich noch mit der unmöglichsten Farbe die Backen
angestrichen hat, die schön angezogen ist, die sogar, wenn man sie
niederlegt, die Augen zumachen kann und dergleichen. Was tun Sie
denn, wenn Sie dem Kind eine solche Puppe geben? Sie verhindern
es, seine Seelentätigkeit zu entfalten; denn es muß seine Seelentätigkeit,
diese wunderbar zarte, erwachende Phantasie, überall absperren,
um ganz Bestimmtes, Schön-Geformtes ins Auge zu fassen. Sie
trennen das Kind ganz von dem Leben, weil Sie seine Eigentätigkeit
zurückhalten. Das ist dasjenige, was insbesondere für das Kind bis
zum Zahn Wechsel in Betracht kommt.|306|78f}}
 
{{GZ|Unsere Mütter, bisweilen unsere Väter auch, finden es in einer
außerordentlich starken Weise notwendig, zum Beispiel dem kleinen
Mädchen eine sehr schöne Puppe zu schenken, damit das kleine Mädchen
im Spielalter nun mit der schönen Puppe spielen kann. Diese
«schöne Puppe» ist ja trotzdem immer scheußlich, weil sie unkünstlerisch
ist; aber sie ist, wie man bisweilen meint, eine schöne Puppe,
die «richtige» Haare hat, die auch richtig angemalt ist, die sogar bewegliche
Augen hat - wenn man sie niederlegt, schließt sie die Augen,
verdreht sie, wenn man sie aufhebt, schaut sie einen an —, bewegliche
Puppen sind sogar entstanden; kurz, es sind Spielzeuge in die Spielweisen
der Kinder eingezogen, die in einer merkwürdigen, unkünstlerischen, aber vermeintlich das Leben nachahmenden Weise nun an
das Kind herangebracht werden sollen. Die Puppe ist bloß ein charakteristisches
Beispiel; wir formen ja alle unsere Spielzeuge nach und
nach aus unserer Zivilisation heraus in einer solchen Weise. Diese
Spielzeuge sind die furchtbarste innere Prügelei der Kinder. Und wie
sich Kinder innerhalb der Familie, der Gemeinschaft ja auch wacker
artig zeigen, wenn man sie verprügelt, wie das also durch Konventionelles
hervorgerufen werden kann, so drücken auch die Kinder dasjenige
aus Artigkeit nicht aus, was eigentlich tief im Grunde ihrer
Seele wurzelt: die Antipathie gegen diese schöne Puppe. Wir bringen
mit aller Gewalt dem Kinde bei, daß ihm das sympathisch sein soll,
aber die unbewußten, unterbewußten Kräfte im Kinde spielen stark,
und denen ist eigentlich all das, was in dem Stil der «schönen Puppe»
ist, tief unsympathisch; denn es ist, wie ich gleich zeigen werde, eine
innerliche Prügelei des Kindes.
 
Geht man aber so vor, daß dasjenige in Betracht gezogen wird, was
das Kind in seinem einfachen Denken bis zum vierten, fünften Jahre,
ja noch bis zum sechsten, siebenten Jahre hin, schon innerlich erfahren
hat beim Aufrichten, beim Vertikalrichten, beim Spüren des Gehens,
dann bekommt man eine Puppe, die man aus einem Taschentuch formt,
oben den Kopf, ein Paar Tintenkleckse für die Augen allenfalls,, und
dann hat man in dieser Puppe all dasjenige, was das Kind verstehen
kann, was das Kind auch lieben kann. Da sind in einer primitiven
Weise die Eigenschaften der menschlichen Gestalt vorhanden, soweit
sie das Kind einzig und allein in seinem Kindesalter überschauen kann.
 
Das Kind weiß nicht mehr vom Menschen, als daß der Mensch aufrecht
ist, daß er ein Unten und ein Oben hat, daß da oben ein Kopf
ist, und daß ein Paar Augen da sind; den Mund - das werden Sie bei
kindlichen Zeichnungen finden -, den zeichnen sie manchmal auf die
Stirne hinauf. Die Lage des Mundes ist noch nicht einmal klar. Dasjenige,
was das Kind wirklich erlebt, ist aus der Puppe, die aus dem
Taschentuch geformt und mit ein paar Tintenklecksen versehen ist,
zu ersehen. Im Kinde arbeitet eine innerliche plastische Kraft. All dasjenige,
was aus der Umgebung des Kindes an das Kind herankommt,
geht über in ein inneres Bilden, auch in das Organbilden.
 
Wenn das Kind, sagen wir, einen Vater neben sich hat, der sich
alle Augenblicke in Jähzorn äußert, wo also alle Augenblicke im unmittelbar
äußerlichen Erlebnisse etwas vorkommt, was Schock bewirkt,
ein Unmotiviertes ist, dann erlebt das Kind dies mit; das Kind
erlebt dies so mit, daß es sich ausdrückt in seinem Atem und seiner
Blutzirkulation. Indem es sich aber ausdrückt in der Atmung und Blutzirkulation,
gestaltet es Lunge, gestaltet es Herz, gestaltet es das ganze
Gefäßsystem; und das Kind trägt dasjenige plastisch gestaltet innerlich
sein ganzes Leben hindurch mit, was es durch den Anblick der
Taten eines jähzornigen Vaters in sich plastisch ausgebildet hat.
 
Damit will ich nur andeuten, wie das Kind eine innerlich wunderbar
wirkende plastische Kraft hat, wie das Kind fortwährend innerlich
als Bildhauer an sich arbeitet. Und wenn Sie dem Kinde die Puppe
aus dem Taschentuch geben, dann gehen die Kräfte, die aus dem
menschlichen Organismus plastisch bildend in das Gehirn heraufgehen,
die namentlich aus dem rhythmischen System, aus Atmung und
Blutzirkulation das Gehirn ausbilden, sanft in das Gehirn. Sie bilden
das kindliche Gehirn so, wie ein Bildhauer arbeitet, der mit biegsamer,
leicht beweglicher, durchgeistigter, beseelter Hand den bildhauerischen
Stoff bearbeitet: da geht alles in Bildsamkeit und in organischer Entwicklung
vor sich. Das Kind schaut sich dieses zur Puppe geformte
Taschentuch an, und das wird im Menschen Bildekraft, richtige Bildekraft,
die aus dem rhythmischen System heraus sich gestaltet in das
Gehirnsystem.
 
Wenn Sie dem Kinde eine sogenannte schöne Puppe geben - die
Puppe, die sich sogar bewegen kann, die Augen bewegen kann, die angestrichen
ist, schöne Haare hat -, wenn Sie dem Kind dieses künstlerisch
angeschaut, furchtbar scheußliche Gespenst übergeben, dann
wirken die Kräfte aus dem rhythmischen System herauf, diese plastischen
Kräfte, die vom Atmungs- und Blutsystem das Gehirnsystem
gestalten, fortwährend wie Peitschenhiebe: das alles, was das Kind
noch nicht verstehen kann, das peitscht herauf in das Gehirn. Das Gehirn
wird gründlich durchgepeitscht, durchgeprügelt in einer furchtbaren
Art. Das ist das Geheimnis der schönen Puppe. Das ist aber auch
das Geheimnis des kindlichen Spiellebens in vieler Beziehung.|307|113ff}}
 
==== Spielerisches Lernen in der Schule fördert das Kind nicht ====
 
Der verbreiteten Ansicht, das Kind solle in der [[Schule]] „spielend lernen“, widerspricht [[Rudolf Steiner]] entschieden:
 
{{GZ|Man sieht
gewöhnlich dasjenige, was das Kind im Spiele vollbringt, so an, daß man
dabei den Gesichtspunkt des Erwachsenen einnimmt. Ja, es ist so, man
sieht das kindliche Spiel so an, daß man dabei den Gesichtspunkt des
Erwachsenen einnimmt. Wenn das nicht der Fall wäre, würden wir
niemals die dilettantische Redensart hören, die immer wiederholt, man
solle es in der Schule dahin bringen, daß das Kind «spielend lernt». Man
kann nichts Schlimmeres machen, als daß man es dahin bringt, daß das
Kind spielend lernt. Wenn man es wirklich künstlich darauf anlegt, daß
die Kinder spielend lernen, dann wird man nichts anderes erreichen, als
daß die Kinder als erwachsene Menschen zuletzt aus dem Leben doch
ein Spiel machen. Derjenige, der in so dilettantischer Weise spricht, das
Lernen solle nur eine Freude sein, das Lernen solle spielend geschehen,
der schaut das Spielen des Kindes vom Gesichtspunkte des Erwachsenen
an. Er glaubt, das Kind spielt in derselben Seelenverfassung, wie der
Erwachsene spielt. Für den Erwachsenen ist das Spiel Spaß, eine Lust,
die hinzukommt zum Leben. Für das Kind ist das Spiel der ernste Inhalt
des Lebens. Das Kind meint es durchaus ernst mit seinem Spiele, und das
ist die Wesenheit des kindlichen Spieles, daß dieses kindliche Spiel vom
Ernst getragen ist. Nur derjenige, der den Ernst des Spieles begreift, der
versteht das Spiel in der richtigen Weise. Derjenige aber, der hinschaut
auf das kindliche Spiel, wie sich in vollem Ernst die menschliche Natur
hinausgießt in die Behandlung der äußeren Gegenstände, in die Behandlung
der äußeren Welt, der ist imstande, wenn das Kind in die Schule
hereinkommt, überzuführen die Kraft, die Begabung, die Fähigkeit zum
Spielen, namentlich in die Fähigkeit, in jeder möglichen Weise zu
künstlerischer Betätigung überzugehen, wo wir noch die Freiheit der
inneren Betätigung haben, aber zu gleicher Zeit wie bei der Arbeit
kämpfen müssen mit dem äußeren Stoff. Dann werden wir sehen, wie
gerade in jenem Künstlerischen, das wir an das Kind heranbringen, es
durchaus möglich ist, die Erziehung so zu leiten, daß der Frohsinn in der
Ausbildung vom Künstlerischen mit Ernst verbunden sein kann, daß
selbst dasjenige, was in der Schule dem Kinde Lust, Freude machen darf,
daß das verbunden sein kann mit Charaktervollheit.|304a|24f}}
 
=== Wirkung des Spiels im späteren Leben ===
 
{{GZ|Man ist durch die mannigfaltigste Betrachtungsweise dahin gebracht
worden, das Menschenleben lediglich so aufzufassen, als wenn jedes
folgende Zeitalter die Wirkung des vorangehenden wäre. Das ist nicht
der Fall. Gibt man sich einer unbefangenen Beobachtung hin, so findet
man, daß die eigentlichen Früchte derjenigen Lebensbetätigung, die im
ersten Spiel auftritt, erst in den Zwanzigerjahren herauskommen. Was
wir uns im Spiel von der Geburt bis zum Zahnwechsel erwerben, was
da traumhaft vom Kinde dargelebt wird, das sind Kräfte der jetzt noch
ungeborenen Geistigkeit des Menschen, der noch nicht in den Körper
hinein absorbierten, oder resorbierten, wenn Sie besser wollen, Geistigkeit
des Menschen. Das ist so: Ich habe Ihnen auseinandergesetzt,
wie dieselben Kräfte, die an dem Menschen bis zum Zahnwechsel hin
organisch arbeiten, dann selbständig sind, wenn sie die Zähne geboren
haben, als Vorstellungs-, als Denktätigkeit; da wird gewissermaßen
aus dem Leiblichen etwas herausgezogen. Das, was das Kind betätigt
im Spiel, was auch noch nicht zusammenhängt mit dem Leben, dem
keine Nützlichkeit innewohnt, das ist dagegen etwas, was noch nicht
mit dem Leib zusammengewachsen ist; so daß das Kind eine seelische
Betätigung hat, die im Leibe arbeitet bis zum Zahnwechsel und dann
zum Vorscheine kommt als Kraft zur Bildung von Begriffen, die dann
erinnert werden können. Auf der anderen Seite hat es eine geistigseelische
Betätigung, die gewissermaßen noch leicht ätherisch über das
Kind hinschwebt, die sich im Spiel so betätigt, wie sich im ganzen Leben
die Träume betätigen. Aber diese Tätigkeit wird beim Kinde eben nicht
bloß im Traum, sie wird am Spiel, also doch an einer äußeren Realität,
entwickelt. Was da an dieser äußeren Realität entwickelt wird, das
tritt gewissermaßen zurück. Wie die keimbildende Kraft in der Pflanze
im Blatt und im Blütenblatt zurücktritt und erst wiederum in der
Frucht erscheint, so erscheint dasjenige, was da im Kinde angewendet
und aufgewendet wird, erst wiederum etwa vom 21. oder 22. Jahre
beim Menschen als der nun selbständig im Leben Erfahrungen sammelnde
Verstand. Und da möchte ich Sie bitten: Versuchen Sie diesen
Zusammenhang wirklich aufzusuchen, gehen Sie wirklich gewissenhaft
Kinder durch, versuchen Sie das Individuelle ihres Spieles zu begreifen,
überhaupt das Individuelle der freien spielerischen Betätigung der
Kinder zu begreifen bis zum Zahnwechsel hin, und machen Sie sich
Bilder von den Individualitäten der Kinder, und setzen Sie zunächst
hypothetisch voraus: die individuelle Gestaltung, die im Spiel bis zum
Zahnwechsel bemerkbar ist, die tritt in irgendeiner Weise im besonderen
Charakter des selbständigen Urteilens des Menschen nach dem
20. Jahre wieder auf; das heißt, die Menschentypen nach dem 20. Jahre
sind verschieden in bezug auf ihr selbständiges Urteilen, so wie die
Kinder verschieden sind beim Spiel vor dem Zahnwechsel.
 
Denkt man so etwas aus der vollen Wirklichkeit heraus, dann bekommt
man tatsächlich ein, ich möchte sagen, unbegrenztes Verantwortlichkeitsgefühl
gegenüber dem Erziehen und auch dem Unterrichten;
denn man kommt dazu, sich zu sagen: Was du jetzt mit dem
Kinde tust, das formt den Menschen noch über die Zwanzigerjahre
hinaus. Man sieht aus dem, daß man das ganze Leben, nicht bloß das
Kindesleben kennen muß, wenn man eine richtige Erziehungskunst
aufbauen will.
 
Die weitere spielende Tätigkeit von dem Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife
ist etwas anderes. Gewiß, die Dinge sind nicht streng
voneinander geschieden, will man aber etwas Ordentliches erkennen
gerade für das praktische Leben, so muß man die Dinge ordentlich
scheiden. Wer beobachten kann, wird finden, daß die spielende Tätigkeit
des Kindes bis zum 7. Jahre etwas von einem individuellen Charakter
hat. Das Kind ist gewissermaßen als Spielender eine Art Einsiedler.
Es spielt für sich. Gewiß, es will auch Hilfe haben, aber dann
ist es ein furchtbarer Egoist, es will eben auch allein die Hilfe haben.
Ein geselliges Leben für das Spiel tritt mit dem Zahnwechsel ein. Die
Kinder wollen dann mehr untereinander spielen. Das tritt mit dem
Zahnwechsel ein, wenigstens ist das der typische Fall, obwohl es gerade
einzelne Ausnahmen gibt. Da hört das Kind auf, der Einsiedler im
Spiel zu sein; es will mit andern Kindern seine Spiele machen und
etwas im Spiel bedeuten. Dieses Im-Spiel-etwas-bedeuten-Wollen, das
ist es, was insbesondere zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife
auftritt. In militaristischen Ländern - ich weiß nicht, ob
die Schweiz auch zu ihnen gehört, das will ich nicht entscheiden -, in
militaristischen Ländern machen die Knaben insbesondere die Soldatenspiele,
die ja gesellige Spiele sind, bei denen die Knaben »etwas sein«
wollen. Die meisten wollen mindestens General sein bei diesen Spielen;
ein geselliges Element tritt ein in die kindlichen Spiele. Dabei bleibt
der Charakter des Spiels gewahrt, indem das, was da im kindlichen
Spiel geübt wird, sich nicht nach dem Zweckmäßigkeitsprinzip in das
soziale Leben hineinstellt. Aber das Eigentümliche ist, daß man das,
was als Geselliges auftritt, im Spiel vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife
eigentlich wie das vorbereitende Element für das nächste
Lebensalter findet. Es ist sehr eigentümlich, wie im nächsten Lebensalter
mit der Geschlechtsreife das selbständige Urteil auftritt, wo der
Mensch sich der Autorität entreißt, sein eigenes Urteil bildet, als einzelner
Mensch dem andern gegenübertritt. Vorbereitend tritt im kindlichen
Spiel, eben nicht ins äußere soziale Leben eingegliedert, sondern
eben nur in der Spieltätigkeit, dieses gleiche Element gerade in der vorhergehenden
Lebensepoche auf. Das, was also in der vorhergehenden
Lebensepoche auftritt im kindlichen, geselligen Spiel, ist das vorläufige
Sichlosreißen von der Autorität. Wir müssen daher sagen: Das Spiel
gibt dem Kinde bis zum 7. Jahre, bis zum Zahnwechsel, etwas, was verleiblicht
erst im 21. oder 22. Jahre ins Menschenleben eintritt, womit
erworben wird die selbständige Individualität des Verstandes- und
Erfahrungsurteils und so weiter. Dasjenige aber, was vom 7. Jahre bis
zur Geschlechtsreife im Spiele sich vorbereitet, das tritt früher in der
Entwickelung im Lebenslaufe auf, das tritt dann von der Geschlechtsreife
bis zum 21. Jahre auf. Das ist ein Übergreifen. Es ist sehr interessant,
darauf aufmerksam zu werden, daß wir das, was wir für unseren
Verstand, für unsere Lebenserfahrung, für unsere gesellige Zeit als
Fähigkeiten haben, den ersten Kinderjahren verdanken, wenn das Spiel
ordentlich geleitet wird. Das hingegen, was in unseren Lümmel- oder
Flegeljahren in die Erscheinung tritt, verdanken wir der Zeit von dem
Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife. Da überschneiden sich also die
Zusammenhänge in dem menschlichen Lebenslauf.|301|207}}
 
== Spiel und Arbeit ==
{{LZ|So ist Schiller verloren gegangen,
so Wilhelm von Humboldt als Bildungspolitiker, so
[[Heinrich Deinhardt|Heinrich Marianus Deinhard]], ein bedeutender Pädagoge der
Nach-Goethe-Zeit, der in Wien, aufbauend auf [[Ästhetische Briefe|Schillers
Briefen]], eine Pädagogik, die sich zur Volkspädagogik erweiterte, aus dem Spiel als Kulturfähigkeit entwickelt hat.
Seine Schüler, so sagte man, waren noch viele Jahre im Leben daran zu erkennen, dass sie besondere Leistungen hervorbrachten. Ihm ist die Erkenntnis zu verdanken über die
Wesensverwandtschaft von Spiel und [[Arbeit]]. Spiel nennt
er die freigewordene, künstlerisch gesteigerte Arbeitskraft
und Arbeit das auf Produktion im Widerstand gegen Material gerichtete Spiel (als freiwillig geleistete Menschenkraft). Erst durch die einander induzierende Wirkung von
Spiel und menschlicher, sinnvoller, rhythmischer und anschaulicher Arbeit ist Spiel als pädagogischer und Kulturfaktor überhaupt verständlich.|Werner Kuhfuss, Früherziehung kontra Spiel, S. 25}}
 
{{GZ|Und der Unterschied
zwischen dem Spiel des Kindes und der Arbeit des Lebens besteht lediglich
darin, daß bei der Arbeit des Lebens zunächst das Einfügen in
die äußere Zweckmäßigkeit der Welt in Betracht kommt, daß wir
da hingegeben sein müssen an die äußere Zweckmäßigkeit der Welt.
Und das Kind will dasjenige, was es in Betätigung umsetzt, aus seiner
eigenen Natur heraus entwickeln, aus seinem Menschenleben
heraus entwickeln. Das Spiel wirkt von innen nach außen; die Arbeit
wirkt von außen nach innen. Darin besteht ja gerade die ungeheuer
bedeutungsvolle Aufgabe der Volksschule, daß das Spiel allmählich
in Arbeit übergeführt wird. Und kann man praktisch die große Frage
beantworten: Wie wird das Spielen in Arbeiten umgewandelt?, dann
beantwortet man eigentlich die Grundfrage der Volksschulerziehung.
 
Aber das Kind spielt im Nachahmen und will spielen im Nachahmen.
Weil man sich nicht hineingefunden hat durch eine wirkliche,
wahre Menschenerkenntnis in das kindliche Lebensalter, hat man aus
den intellektualistischen Überlegungen der Erwachsenen heraus allerlei
Spielartiges für die Kinder im Kindergarten ersonnen, das aber
von den Erwachsenen eigentlich ausgedacht ist. Während die Kinder
nachahmen wollen die Arbeit der Erwachsenen, erfindet man vielfach
durch Stäbchenlegen, oder wie dergleichen Dinge heißen, besondere
Dinge für die Kinder, die sie dann vollführen sollen und wodurch
sie ganz abgebracht werden von demjenigen, was lebendig aus
ihnen herausfließt und was die Arbeit der Erwachsenen eben nur
nachahmen will. Sie werden daraus herausgeführt und werden durch
allerlei mechanisch Ausgedachtes in Tätigkeitsfelder hineingebracht,
die nicht für das kindliche Lebensalter sind. Besonders das 19. Jahrhundert
war sehr erfindungsreich im Ausdenken von allen möglichen
Kinderarbeiten für den Kindergarten, die man eigentlich nicht
ausführen lassen sollte. Denn im Kindergarten kann es eigentlich nur
darauf ankommen, daß das Kind sich anpaßt den paar Leuten, die den
Kindergarten leiten, daß diese paar Leute naturgemäß sich benehmen
und daß das Kind die Anregungen empfängt, das nachzuahmen,
was diese paar Leute tun - daß man nicht extra von dem einen zum
anderen Kinde geht und ihm vormacht: das oder jenes soll es tun.
Denn das will es noch nicht befolgen, wovon man ihm sagt: Das sollst
du tun. Es will nachahmen, was der Erwachsene tut. So ist es eben
die Aufgabe für den Kindergarten, dasjenige, was die Arbeiten des
Lebens sind, in solche Formen hineinzubringen, daß sie aus der Betätigung
des Kindes ins Spiel fließen können. Man hat das Leben, die
Arbeiten des Lebens hineinzuleiten in die Arbeiten des Kindergartens.
Man hat nicht auszudenken Dinge, die eigentlich im Leben nur
ausnahmsweise mal vorkommen und die eigentlich richtig nur angeeignet
werden, wenn man sie dann im späteren Leben zu dem, was
man in normaler Weise sich angeeignet hat, hinzulernen muß.|306|76f}}
 
== Siehe auch ==
{{Portal|Spiele}}
*{{wikipediaDE|Kategorie:Spiel}}
*{{wikipediaDE|Spiel}}
*{{wikipediaDE|Homo ludens}}
*[[Spieltrieb]]
*[http://www.anthrolexus.de/Topos/11056_2.html Pädagogik anthroposophische ► Erziehungspraxis und Lebensalter (anthrolexus)]
 
== Literatur ==
 
* [[Friedrich Schiller]]: ''[[Über die ästhetische Erziehung des Menschen]] in einer Reihe von Briefen''
* [[wikipedia:Johan Huizinga|Johan Huizinga]] (Autor), [[wikipedia:Andreas Flitner|Andreas Flitner]] (Hrsg.): ''Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel'' („Homo ludens“, 1939). Rowohlt Verlag, Reinbek 2009, ISBN 978-3-499-55435-3.
* [[Rudolf Steiner]]: ''Menschengeschichte im Lichte der Geistesforschung'', [[GA 61]] (1983), ISBN 3-7274-0610-0 {{Vorträge|061}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Tempellegende und die Goldene Legende '', [[GA 93]] (1991), ISBN 3-7274-0930-4 {{Vorträge|093}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geisteswissenschaft'', [[GA 301]] (1991), ISBN 3-7274-3010-9 {{Vorträge|301}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Anthroposophische Menschenkunde und Pädagogik'', [[GA 304a]] (1979), ISBN 3-7274-3045-1 {{Vorträge|304a}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis. Die Erziehung des Kindes und jüngeren Menschen.'', [[GA 306]] (1989), ISBN 3-7274-3060-5 {{Vorträge|306}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Gegenwärtiges Geistesleben und Erziehung'', [[GA 307]] (1986), ISBN 3-7274-3070-2 {{Vorträge|307}}
* Werner Kuhfuss: ''Früherziehung kontra Spiel'', in: Der Europäer, Jg. 8, Nr. 7, S. 24-27, [http://www.perseus.ch/PDF-Europaer/JG_08/Europaer_07_2004.pdf PDF]
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_spiel.pdf Was ist Spiel? - Eine Begriffsbestimmung] PDF
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_kinderspiele_der_welt.pdf Kinderspiele der Welt] PDF
 
{{GA}}
 
== Weblinks ==
* [http://www.spielewiki.org/wiki/Hauptseite SpieleWiki]
* [http://www.kuehnle-online.de/literatur/schiller/werke/phil/aestherzieh/01.htm Die ästhetischen Briefe Schillers Online]
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/spielspass.html Projekt Spiel und Spaß] Website
 
== Einzelnachweise ==
<references/>
 
[[Kategorie:Handlungstheorie (Philosophie)]]
[[Kategorie:Selbstzweckliche Handlung]]
[[Kategorie:Existenzphilosophie|T]]
[[Kategorie:Spiel|!]]
 
{{wikipedia}}

Version vom 6. September 2006, 11:12 Uhr

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