Emil und die Detektive und Physikalismus: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Emil und die Detektive''' ist ein 1929 erschienener [[Roman]] für Kinder von [[Erich Kästner]].
Als '''Physikalismus''' ({{EnS|''physicalism''}}) wird die in der [[Philosophie]] und [[Wissenschaftstheorie]] heute häufig vertretene [[Monismus|monistische]] [[Metaphysik|metaphysisch]]e [[These]] bezeichnet, wonach das gesamte [[Welt]]geschehen, auch [[Leben]] und [[Bewusstsein]], auf rein [[physik]]alischen Prinzipien beruhe und aus diesen letztlich vollständig erklärbar sei. Der Begriff wurde in den 1930er Jahren vornehmlich im [[Wiener Kreis]] durch [[Wikipedia:Otto Neurath|Otto Neurath]] und [[Wikipedia:Rudolf Carnap|Rudolf Carnap]] geprägt.<ref>[[Wikipedia:Otto Neurath|Otto Neurath]]: ''Radical Physicalism and the Real World.'' In: Otto Neurath: ''Philosophical Papers. 1913–1946'' (= ''Vienna Circle Collection.'' Bd. 16). Reidel, Dordrecht u. a. 1983, ISBN 90-277-1483-5, S. 100–114, {{doi|10.1007/978-94-009-6995-7_8}}</ref><ref>Otto Neurath: ''Sociology in the Framework of Physicalism.'' In: Otto Neurath: ''Philosophical Papers. 1913–1946'' (= ''Vienna Circle Collection.'' Bd. 16). Reidel, Dordrecht u. a. 1983, ISBN 90-277-1483-5, S. 58–90, {{doi|10.1007/978-94-009-6995-7_6}}</ref>


[[Datei:Emil und die Detektive Buch Marburg.jpg|mini|Skulptur in Marburg]]
{{Zitat|Das System von Gesetzen, aus denen einzelne Ereignisse oder Prozesse abgeleitet werden, mit anderen Worten, die vereinheitlichte Wissenschaft, kann vollständig oder teilweise geändert werden, wenn die erhaltenen Ergebnisse durch Erfahrung oder Beobachtung widerlegt werden. Jedes Phänomen wird mittels Ton, Licht etc. getestet, aber Klang und Licht spielen in der abschließenden wissenschaftlichen Präsentation keine Rolle. In den Formeln der Wissenschaft, mit deren Hilfe die Menschen einander erfolgreich verstehen, werden nur logisch-mathematische Zeichen verwendet. Es ist sinnlos zu sagen: „Ich sehe das gleiche rot wie mein Freund.“ Wie mein Freund das Symbol „rot“ mit anderen Zeichen kombiniert, verdeutlicht mir die Struktur seines Ausdruckssystems. Mehr kann nicht von der Wissenschaft gemacht werden. Zeichen können auf ein „nahe“ hinweisen, auf ein „zwischen“ und „so viel“, aber nicht mehr. Was überhaupt wissenschaftlich ausdrückbar ist, ist an grundlegenden Beziehungen nicht reicher als die Symbole auf einem Morseband, das der Telegraphist liest, wie sie von seinem Apparat erklingen. In gewissem Sinn ist die Einheitswissenschaft Physik in ihrem weitesten Umfang, eine Gewebe von Gesetzen, die räumlich-zeitliche Verknüpfungen ausdrücken - nennen wir es: ''Physikalismus''.|Otto Neurath|''''Physicalism: The Philosophy of the Viennese Circle.'', S. 620|ref=<ref>„The system of laws from which single events or processes
are deduced, in other words unified science, can be wholly or partially modified whenever the results obtained are contradicted by experience or observation. Every phenomenon is tested by means of sound, light, etc., but sound and light play no part in the final scientific presentation.
In the formulas of science, with the aid of which human beings succeed in understanding one another, only logical-mathematical signs are utilized. It is senseless to say: "I see the same red as my friend." How my friend combines the symbol "red" with other signs clarifies for me the structure of his system of expression. More cannot be done by science. Signs can indicate a "near," a "between" and a "so much," but no more. What is at all
scientifically expressible is no richer in fundamental relations than the symbols on a Morse tape which the telegrapher reads as they are sounded by his apparatus. In a sense unified science is physics in its largest aspect, a tissue of laws expressing space-time linkages — let us call it: ''Physicalism''.“<br />Otto Neurath: ''Physicalism: The Philosophy of the Viennese Circle.'' In: The Monist, Volume 41, Issue 4, 1 October 1931, Pages 618–623, {{doi|10.5840/monist19314147}} [https://academic.oup.com/monist/article-pdf/41/4/618/7499199/monist41-0618.pdf pdf]</ref>}}


== Rezeption ==
Der Physikalismus ist zwar nicht deckungsgleich, aber doch eng verschwistert mit dem [[Materialismus]]. Während sich der Materialismus auf das Wechselspiel [[Materie|materieller]] Objekte beschränkt, erfasst der Physikalismus alles, was sich physikalisch erklären lässt. So ist etwa das [[Licht]] keine materielle [[Entität]], wird aber in der [[Physik]] als [[elektromagnetische Welle]] beschrieben. Jegliche eigenständige [[seelisch]]e oder [[geist]]ige [[Wirklichkeit]] wird damit in das Reich der [[Illusion]]en verwiesen und zu einem bloßen [[Epiphänomen]] des physikalisch-chemischen Geschehens erklärt.  
In dem Buch werden Humor, Abenteuer und Milieuschilderung von Kästner bunt gemischt. Der neuartige Ton der Geschichte regte die Kinderliteratur an. Zuvor waren Bücher für Kinder fast durchgehend märchenhaft, moralisierend oder beides zugleich.


== Handlung ==
In Konsequenz bedeutet das für ''sämtliche'' [[Naturwissenschaft]]en, dass grundsätzlich nur eine [[Reduktionismus|reduktionistisch]]-physikalistische Betrachtungsweise als [[wissenschaft]]lich vertretbar angesehen wird, die sich ausschließlich auf [[physisch]] konstatierbare [[Tatsache]]n und eine weitgehend [[Materialismus|materialistisch]]-[[mechanistisch]]e Erklärungsweise beschränkt. Dieser Ansatz ist allerdings gerade in der modernen [[Physik]], namentlich in der [[Quantenphysik]], die die Grenzen des materialistisch-mechanistischen [[Weltbild]]es längst gesprengt hat, mehr als problematisch geworden. Darauf haben u.a. [[Hans-Peter Dürr]], [[Wikipedia:Daniel Dahm|Daniel Dahm]] und [[Wikipedia:Rudolf zur Lippe|Rudolf zur Lippe]] in ihrem [[Wikipedia:2005|2005]] veröffentlichten und vielbeachteten [[Potsdamer Manifest 2005]] nachdrücklich hingewiesen.
Der zwölfjährige Emil Tischbein reist aus der heimatlichen Kleinstadt Neustadt erstmals nach Berlin, um Verwandte zu besuchen. Seine Mutter hat ihm 140 Mark zur finanziellen Unterstützung der Großmutter mitgegeben. Dieses Geld wird ihm im Eisenbahnabteil von einem Mitreisenden, der sich Grundeis nennt, gestohlen. Da Emil selbst daheim etwas ausgefressen hat, wagt er nicht, sich an die Polizei zu wenden und verfolgt den Dieb vom Bahnhof an auf eigene Faust. Er wird von dem gleichaltrigen Berliner Jungen ''Gustav mit der Hupe'' angesprochen: „Du bist wohl nicht aus Wilmersdorf?“ Gustav trommelt einige Freunde zusammen, die eine Kriegskasse anlegen und einen Nachrichtendienst organisieren („Parole Emil!“). Die selbst ernannten Detektive beschatten den Dieb quer durch Berlin und sammeln Indizien. Dabei kommt es zum Streit, weil manche Jungen die ihnen übertragene Aufgabe nicht erfüllen wollen. Da Emil per Boten seine Verwandten informiert, gesellt sich auch seine Cousine ''Pony Hütchen'' zu den Detektiven.


Als der durch die Verfolgung nervös gemachte Dieb die gestohlenen Geldscheine in einer Bankfiliale umtauschen will, wird er von den Detektiven und einer großen Menge Kinder gestellt und der Polizei übergeben. Bei der Untersuchung kommen zunächst die falschen Namen des Diebes auf den Tisch (Grundeis – Müller – Kießling). Dann werden die bei ihm gefundenen Geldscheine dadurch identifiziert, dass sie feine Löcher aufweisen, weil Emil das Geld in seiner Jackentasche mit einer Nadel festgesteckt hatte. Weitere Ermittlungen ergeben, dass Grundeis ein gesuchter Bankräuber ist. Emil bekommt tausend Mark als Belohnung.
{{Zitat|Die Einsichten der modernen Physik, der ‚Quantenphysik’, legen eine Weltdeutung nahe, die grundsätzlich
aus dem materialistisch-mechanischen Weltbild herausführt. Anstelle der bisher angenommenen
Welt, einer mechanistischen, dinglichen (objektivierbaren), zeitlich determinierten ‚Realität’ entpuppt
sich die eigentliche Wirklichkeit (eine Welt, die wirkt) im Grunde als ‚Potenzialität’, ein nicht-auftrennbares,
immaterielles, zeitlich wesentlich indeterminiertes und genuin kreatives Beziehungsgefüge, das nur
gewichtete Kann-Möglichkeiten, differenziertes Vermögen (Potenzial) für eine materiell-energetische
Realisierung festlegt. Die im Grunde offene, kreative, immaterielle Allverbundenheit der Wirklichkeit,
erlaubt die unbelebte und auch die belebte Welt als nur verschiedene – nämlich statisch stabile bzw. offene,
statisch instabile, aber dynamisch stabilisierte – Artikulationen eines ‚prä-lebendigen’ Kosmos aufzufassen.|Potsdamer Manifest 2005}}


== Entstehungsgeschichte ==
== Weblinks ==
Erich Kästner wurde von Edith Jacobsohn, der Witwe Siegfried Jacobsohns und Verlegerin der ''Weltbühne'' angeregt, für den Berliner Kinderbuchverlag Williams & Co. ein Buch zu schreiben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Kästner Gedichte veröffentlicht (''Herz auf Taille'', 1928) und als Redakteur bei Tageszeitungen gearbeitet, Kritiken und Feuilletons verfasst. Innerhalb weniger Wochen entstand die Geschichte von Emil, dem Jungen, der erfolgreich einen Dieb durch Berlin verfolgt.


Kästner, der selbst mit erstem Vornamen Emil hieß, ließ sich bei den Figuren Emils und seiner Mutter von seiner Biographie inspirieren und taucht auch selbst in der Handlung auf&nbsp;– in seinem realen Beruf als Zeitungsjournalist. Für die Geschichte griff Kästner auf ein Erlebnis aus seiner Kindheit in Dresden zurück: Dort verfolgte und stellte er eine Betrügerin, die seine Mutter, eine Friseurin, geschädigt hatte. Bei einem Bankeinbruch, der in dem Buch erwähnt wird, handelt es sich wahrscheinlich um den Diskonto-Einbruch der Brüder Sass.
* [http://www.gcn.de/download/manifest_de.pdf Potsdamer Manifest 2005]
* [http://www.gcn.de/download/denkschrift_de.pdf Potsdamer Denkschrift 2005]


Die Illustrationen stammen von Walter Trier. Das Buch erschien im Herbst 1929 und wurde ein großer Erfolg. Es wurde als einziges Werk Kästners zuerst nicht indiziert<ref>Dienstblatt III des Magistrats von Berlin, Nr. 176 (Neuordnung der Stadt-, Volks- und sonstigen städtischen Büchereien), darin: Schwarze Liste, unter K: „Kaestner, Erich: alles a u ß e r : Emil“.</ref> oder bei der Bücherverbrennung 1933 in Deutschland verbrannt. Erich Kästner war als einziger der verfemten Schriftsteller bei der Verbrennung seiner eigenen Werke persönlich anwesend. Er wurde sogar erkannt, aber ansonsten nicht behelligt. 1936 wurde allerdings auch ''Emil und die Detektive'' von den Nationalsozialisten verboten.<ref>Vgl. Karsten Brandt: [http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/brandt-karsten-2005-02-03/HTML/chapter6.html ''Die Dissoziation eines Schriftstellers in den Jahren 1934–1936: Ödön von Horváth und H.W. Becker'']</ref>
== Einzelnachweise ==
 
== Fortsetzung ==
 
Eine Fortsetzung verfasste Kästner 1934 unter dem Titel ''[[Wikipedia:Emil und die drei Zwillinge|Emil und die drei Zwillinge]]''. Die Geschichte spielt überwiegend an der Ostsee, etwa zwei Jahre nach den Abenteuern aus dem ersten Buch. ''Emil und die drei Zwillinge'' erschien 1935 im Atrium Verlag Basel/Wien/Mährisch Ostrau, dem Nachfolgeverlag von Williams & Co.
 
== Adaptionen ==
=== Verfilmungen ===
* 1931 Emil und die Detektive (1931), Deutschland, Regie: Gerhard Lamprecht
* 1935 Emil and the Detectives (1935), Großbritannien, Regie: Milton Rosmer
* 1950 Toscanito y los detectives, Argentinien, Regie: Antonio Momplet
* 1954 Emil und die Detektive (1954), Deutschland, Regie: Robert Adolf Stemmle
* 1956 Emil to tantei tachi, Japan, Regie: Mitsuo Wakasugi
* 1958 Pega Ladrão, Brasilien, Regie: Alberto Pieralisi
* 1964 Emil und die Detektive (1964), USA, Regie: Peter Tewksbury
* 2001 Emil und die Detektive (2001), Deutschland, Regie: Franziska Buch
 
=== Bühnenfassungen ===
Kästner richtete den Roman 1930 für Theateraufführungen ein. Das Stück ist nach wie vor häufig zu sehen, namentlich im Kinder- und Jugendtheater. Beispiele hierfür sind die Freilichttheateraufführungen in Emmendingen (2014), Heessen (2005), Reutlingen (2003) oder Sigmaringendorf (2001).
 
=== Vertonungen ===
Das Musical ''Emil und die Detektive'', dessen Musik von Marc Schubring und dessen Libretto von Wolfgang Adenberg stammt, wurde am 12. November 2001 im Berliner Theater am Potsdamer Platz uraufgeführt. Am 6. Oktober 2006 hatte es in der Geburtsstadt des Dichters, an der Staatsoperette Dresden, Premiere. Die Hauptrollen wurden von Dresdner Kindern gespielt. Unter der Regie von Michael Schilhan wurde das Musical in der Spielsaison 2015/16 an der Oper Graz aufgeführt.
 
2008 zeigte das Ostschweizer ''Theater Jetzt eine'' eigene Version, bei der Jugendlichen teilweise selbst die Szenen schrieben. Regie hatte der Theatermacher Oliver Kühn. 2013 brachte das Zürcher Bernhard-Theater eine Schweizerdeutsch Fassung dieses Kindermusicals auf die Bühne (Mundart-Bearbeitung durch Erich Vock), die Handlung wurde nach Zürich verlegt und die Uraufführung fand am 16. November 2013 statt.<ref>[http://www.kikimaeder.com/aktuell/emil-und-die-detektive Emil und die Detektive]</ref>
 
Mit der Premiere am 8. Januar 2017 wird auch vom Atze Musiktheater in Berlin unter der musikalischen Leitung von Sinem Altan eine Vertonung des Stückes aufgeführt. Eine Besonderheit der Inszenierung ist die Mitwirkung von Schulklassen bei den Aufführungen.<ref>[http://atzeberlin.de/seiten/repertoire/seiten/musicals-emil-und-die-detektive.php Inszenierung des Atze Musiktheaters]</ref>
 
== Siehe auch ==
 
* {{WikipediaDE|Emil und die Detektive}}
* {{WikipediaDE|Emil und die drei Zwillinge}}
 
== Literatur ==
* Erich Kästner: ''Emil und die Detektive: Ein Roman für Kinder'' (Illustrationen von Walter Trier). 152. Auflage, Dressler, Hamburg 2010 (Erstausgabe 1929), ISBN 978-3-7915-3012-3.
* Stephanie Haack: ''Emil und die Detektive. Die Illustrationen in ausländischen Ausgaben''. In: ''Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde''. Neue Folge XXI, Gesellschaft der Bibliophilen, München / Harrassowitz, Wiesbaden 2009, S. 47–78 (mit Abbildungen und weiterführenden Anmerkungen).
* Gerhard Lamprecht: ''Emil und die Detektive.'' In: Bettina Kümmerling-Meibauer und Thomas Koebner (Hrsg.): ''Filmgenres. Kinder- und Jugendfilm'' Reclam, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-15-018728-9, S. 25–30.
 
== Weblinks ==
{{Commonscat}}
* Zentral- und Landesbibliothek Berlin: [http://www.zeitreisen.de/kaestner/start.htm ''Emil und die Detektive'']. Die Seite bereitet die „Stadtrundfahrt“ des Romans mit historischem Text- und Bildmaterial auf.
* [http://www.filmernst.de/media/files/Materialien/Emil%20und%20die%20Detektiv.pdf Vom Buch zum Film] (PDF; 186&nbsp;kB)


== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


[[Kategorie:Literarisches Werk]]
[[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Wissenschaftstheorie]] [[Kategorie:Physik]]
[[Kategorie:Erich Kästner]]
[[Kategorie:Kinder- und Jugendliteratur]]
 
{{Wikipedia}}

Version vom 12. Juli 2018, 11:29 Uhr

Als Physikalismus (eng. physicalism) wird die in der Philosophie und Wissenschaftstheorie heute häufig vertretene monistische metaphysische These bezeichnet, wonach das gesamte Weltgeschehen, auch Leben und Bewusstsein, auf rein physikalischen Prinzipien beruhe und aus diesen letztlich vollständig erklärbar sei. Der Begriff wurde in den 1930er Jahren vornehmlich im Wiener Kreis durch Otto Neurath und Rudolf Carnap geprägt.[1][2]

„Das System von Gesetzen, aus denen einzelne Ereignisse oder Prozesse abgeleitet werden, mit anderen Worten, die vereinheitlichte Wissenschaft, kann vollständig oder teilweise geändert werden, wenn die erhaltenen Ergebnisse durch Erfahrung oder Beobachtung widerlegt werden. Jedes Phänomen wird mittels Ton, Licht etc. getestet, aber Klang und Licht spielen in der abschließenden wissenschaftlichen Präsentation keine Rolle. In den Formeln der Wissenschaft, mit deren Hilfe die Menschen einander erfolgreich verstehen, werden nur logisch-mathematische Zeichen verwendet. Es ist sinnlos zu sagen: „Ich sehe das gleiche rot wie mein Freund.“ Wie mein Freund das Symbol „rot“ mit anderen Zeichen kombiniert, verdeutlicht mir die Struktur seines Ausdruckssystems. Mehr kann nicht von der Wissenschaft gemacht werden. Zeichen können auf ein „nahe“ hinweisen, auf ein „zwischen“ und „so viel“, aber nicht mehr. Was überhaupt wissenschaftlich ausdrückbar ist, ist an grundlegenden Beziehungen nicht reicher als die Symbole auf einem Morseband, das der Telegraphist liest, wie sie von seinem Apparat erklingen. In gewissem Sinn ist die Einheitswissenschaft Physik in ihrem weitesten Umfang, eine Gewebe von Gesetzen, die räumlich-zeitliche Verknüpfungen ausdrücken - nennen wir es: Physikalismus.“

Otto Neurath: ''Physicalism: The Philosophy of the Viennese Circle., S. 620[3]

Der Physikalismus ist zwar nicht deckungsgleich, aber doch eng verschwistert mit dem Materialismus. Während sich der Materialismus auf das Wechselspiel materieller Objekte beschränkt, erfasst der Physikalismus alles, was sich physikalisch erklären lässt. So ist etwa das Licht keine materielle Entität, wird aber in der Physik als elektromagnetische Welle beschrieben. Jegliche eigenständige seelische oder geistige Wirklichkeit wird damit in das Reich der Illusionen verwiesen und zu einem bloßen Epiphänomen des physikalisch-chemischen Geschehens erklärt.

In Konsequenz bedeutet das für sämtliche Naturwissenschaften, dass grundsätzlich nur eine reduktionistisch-physikalistische Betrachtungsweise als wissenschaftlich vertretbar angesehen wird, die sich ausschließlich auf physisch konstatierbare Tatsachen und eine weitgehend materialistisch-mechanistische Erklärungsweise beschränkt. Dieser Ansatz ist allerdings gerade in der modernen Physik, namentlich in der Quantenphysik, die die Grenzen des materialistisch-mechanistischen Weltbildes längst gesprengt hat, mehr als problematisch geworden. Darauf haben u.a. Hans-Peter Dürr, Daniel Dahm und Rudolf zur Lippe in ihrem 2005 veröffentlichten und vielbeachteten Potsdamer Manifest 2005 nachdrücklich hingewiesen.

„Die Einsichten der modernen Physik, der ‚Quantenphysik’, legen eine Weltdeutung nahe, die grundsätzlich aus dem materialistisch-mechanischen Weltbild herausführt. Anstelle der bisher angenommenen Welt, einer mechanistischen, dinglichen (objektivierbaren), zeitlich determinierten ‚Realität’ entpuppt sich die eigentliche Wirklichkeit (eine Welt, die wirkt) im Grunde als ‚Potenzialität’, ein nicht-auftrennbares, immaterielles, zeitlich wesentlich indeterminiertes und genuin kreatives Beziehungsgefüge, das nur gewichtete Kann-Möglichkeiten, differenziertes Vermögen (Potenzial) für eine materiell-energetische Realisierung festlegt. Die im Grunde offene, kreative, immaterielle Allverbundenheit der Wirklichkeit, erlaubt die unbelebte und auch die belebte Welt als nur verschiedene – nämlich statisch stabile bzw. offene, statisch instabile, aber dynamisch stabilisierte – Artikulationen eines ‚prä-lebendigen’ Kosmos aufzufassen.“

Potsdamer Manifest 2005

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Otto Neurath: Radical Physicalism and the Real World. In: Otto Neurath: Philosophical Papers. 1913–1946 (= Vienna Circle Collection. Bd. 16). Reidel, Dordrecht u. a. 1983, ISBN 90-277-1483-5, S. 100–114, doi:10.1007/978-94-009-6995-7_8
  2. Otto Neurath: Sociology in the Framework of Physicalism. In: Otto Neurath: Philosophical Papers. 1913–1946 (= Vienna Circle Collection. Bd. 16). Reidel, Dordrecht u. a. 1983, ISBN 90-277-1483-5, S. 58–90, doi:10.1007/978-94-009-6995-7_6
  3. „The system of laws from which single events or processes are deduced, in other words unified science, can be wholly or partially modified whenever the results obtained are contradicted by experience or observation. Every phenomenon is tested by means of sound, light, etc., but sound and light play no part in the final scientific presentation. In the formulas of science, with the aid of which human beings succeed in understanding one another, only logical-mathematical signs are utilized. It is senseless to say: "I see the same red as my friend." How my friend combines the symbol "red" with other signs clarifies for me the structure of his system of expression. More cannot be done by science. Signs can indicate a "near," a "between" and a "so much," but no more. What is at all scientifically expressible is no richer in fundamental relations than the symbols on a Morse tape which the telegrapher reads as they are sounded by his apparatus. In a sense unified science is physics in its largest aspect, a tissue of laws expressing space-time linkages — let us call it: Physicalism.“
    Otto Neurath: Physicalism: The Philosophy of the Viennese Circle. In: The Monist, Volume 41, Issue 4, 1 October 1931, Pages 618–623, doi:10.5840/monist19314147 pdf