Kulturgeschichte und Darwinismus: Unterschied zwischen den Seiten

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Die '''Kulturgeschichte''' (bzw. '''Kulturhistorik''') befasst sich mit der Erforschung und Darstellung des geistig-kulturellen Lebens in Zeiträumen und Landschaften.
[[Datei:Die Gartenlaube (1873) b 711.jpg|mini|Die Gartenlaube, 1873: „Die vier Hauptvertreter des Darwinismus“: [[Charles Darwin|Darwin]], [[Jean-Baptiste de Lamarck|Lamarck]], [[Ernst Haeckel|Haeckel]], [[Étienne Geoffroy Saint-Hilaire|St. Hilaire]] (von links im Uhrzeigersinn)]]
Als '''Darwinismus''' bezeichnet man das Theoriensystem zur Erklärung der Artentransformation ([[Evolution]]) von [[Charles Darwin]], wobei insbesondere die [[Selektion (Evolution)|natürliche Auslese]], d.&nbsp;h. das Selektionsprinzip, im Vordergrund steht. Daneben wird der Begriff auch in der Bedeutung des '''universellen Darwinismus''' verwendet, einer General[[theorie]] der Evolutionsmechanismen, die besagt, dass in beliebigem Rahmen (d.&nbsp;h. auch außerhalb der Biologie) bei Vorhandensein von Variabilität und einem [[Selektionsdruck]] Evolution stattfinden kann. Im 19. Jahrhundert war Darwinismus auch ein gebräuchlicher Oberbegriff für mehrere Theorien und Konzepte aus der Biologie, der Philosophie und den Gesellschaftswissenschaften. Die Bezeichnung Darwinismus wird oft abwertend von Gegnern, u.&nbsp;a. [[Kreationismus|Kreationisten]], gebraucht. Deshalb, aber vor allem weil es sich nicht um einen „[[ismus]]“ im Sinne einer Ideologie, sondern um ein von Darwin und [[Alfred Russel Wallace]] erkanntes Naturprinzip handelt, wird diese Bezeichnung heute von vielen Evolutionsbiologen abgelehnt.<ref>E. O. Wilson sprach von „Scientists don't call it 'Darwinism'.“ in Jerry Adler (28. November 2005): ''Charles Darwin: Evolution of a Scientist''. Newsweek.</ref> Der Begriff Darwinismus wurde im April 1860 von [[Thomas Henry Huxley]] populär gemacht, als er im ''Westminster Journal'' Darwins ''[[Wikipedia:Über die Entstehung der Arten|On the Origin of Species]]'' besprach.<ref>Huxley, T. H. (1860): [http://darwin-online.org.uk/content/frameset?viewtype=side&itemID=A32&pageseq=29''Darwin On The origin of Species'']. In: ''Westminster Review''. Band 17, S. 541–570.</ref>


== Begriff und Gegenstandsbereich ==
== Evolutionstheorien ==
Elemente der Kulturgeschichte sind die Familie, die Sprache, das Brauchtum, die Religion, die Kunst und die Wissenschaft. Die Kulturgeschichte beruht auf einem weiten Quellenbegriff, der z.&nbsp;B. auch „Alltagsquellen“ beinhaltet.
{{Hauptartikel|Evolutionstheorie}}


Die Kulturgeschichte befasst sich nicht direkt mit der politischen Geschichte oder Staatsgeschichte. In der Kulturgeschichte ist die Angabe genauer Zeitpunkte weniger relevant als in der politischen Geschichtsschreibung.
Die Evolution wurde bereits im 19. Jh. als Tatsache akzeptiert.<ref>Kutschera, U. (2009): ''Tatsache Evolution. Was Darwin nicht wissen konnte.'' München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 291–292.</ref> Verschiedene Theorien erklären die Entstehung, die Entwicklung und die Vielfalt der [[Lebewesen]] auf natürliche, d.&nbsp;h. physikalisch-chemische Weise. Grundsätzlich wird der Begriff Darwinismus verwendet, um den Inhalt von Darwins ''Origin of Species'' von anderen Evolutionstheorien zu unterscheiden, beispielsweise von dem nach [[Jean-Baptiste de Lamarck|Lamarck]] benannten [[Lamarckismus]]. Die Darwin'sche Theorie basiert auf der [[Vererbung (Biologie)|Vererbung]], der Variabilität und der natürlichen Auslese (Selektion). In diesem Zusammenhang wird der Begriff Darwinismus auch manchmal verwendet, um den Aspekt der natürlichen Selektion besonders zu betonen, der von Darwin und Wallace erstmals beschrieben wurde und den entscheidenden Unterschied zu anderen, diskreditierten Evolutionstheorien bildet, wie Lamarckismus oder [[Mutationismus]], die nur noch von historischer Bedeutung sind.


Der Begriff Kulturgeschichte geht auf das 18. Jahrhundert zurück und fußt im Glauben der [[Aufklärung]] ([[Wikipedia:Voltaire|Voltaire]]) an die ständig fortschreitende kulturelle Entwicklung der Menschheit. In der deutschen [[Wikipedia:Romantik|Romantik]] (Johann Gottfried Herder) sah man jedes unbewusste Schaffen als Teil der Kulturgeschichte und erkannte in ihm den Ausdruck eines „Volksgeists“. Das 20. Jahrhundert führte zu einer [[Wikipedia:Kulturphilosophie|Kulturphilosophie]] mit Vertretern wie Arnold J. Toynbee und Oswald Spengler, die ihre Erkenntnisse aus einer vergleichenden Kulturgeschichte der Völker entwickelten. Alfred Weber entwickelte die Kulturgeschichte mehr in Richtung der Geistesgeschichte zur [[Wikipedia:Kultursoziologie|Kultursoziologie]].
Weiterhin wird die u.&nbsp;a. von Wallace<ref name="Wallace">Wallace, A. R. (1889): ''Darwinismus. An Exposition of the Theory of Natural Selection with some of its Applications.'' London: MacMillan & Co. S. VIII.</ref> verbreitete Bezeichnung ''Darwinismus'' benutzt, um die Rolle von Charles Darwin als Vordenker und Pionier der Evolutionsforschung hervorzuheben, oder auch um eine Abgrenzung von nicht durch Darwin einbezogene Evolutionsmechanismen vorzunehmen, wie [[Gendrift]] und [[Genfluss]], die in der modernen Synthese ([[synthetische Evolutionstheorie]]) unter anderen Aspekten neu eingeführt wurden. Oft wird in diesem Zusammenhang von [[Wikipedia:Synthetische Evolutionstheorie|Neodarwinismus]] gesprochen, ein auf [[August Weismann]] zurückgehendes Theoriesystem, das eine Übergangsform zwischen der Darwin'schen und der Synthetischen Theorie darstellt: Dabei war die Vererbung über [[Chromosom]]en bereits einbezogen, noch nicht jedoch die [[Populationsgenetik]]. Diese Disziplin wurde von Theodosius Dobzhansky begründet und in die [[Evolutionsbiologie]] integriert.
[[Datei:HugoRheinholdApeWithSkull.DarwinMonkey.3.jpg|miniatur|right|Der ''Affe mit Schädel'' von Hugo Rheinhold]]
Durch die Weiterentwicklungen innerhalb der Biologie hat der Darwinismus (im Sinne der Darwin-Wallace'schen Selektionstheorie) heute im Wesentlichen nur noch historische Bedeutung.


== „Neue Kulturgeschichte“ in der Geschichtswissenschaft ==
Der Begriff des Darwinismus wird von Kreationisten bzw. Gegnern der Evolutionsbiologie als eine eher abschätzige Bezeichnung für die Evolutionswissenschaften im Allgemeinen sowie naturalistischer Evolutionstheorien im Speziellen verwendet. Sie sprechen dabei von Evolution in der Rolle eines -ismus – einer Lehre bzw. eines Glaubens –, um darauf aufbauend die Gleichbehandlung von Glaubensauffassungen, wie dem Kreationismus oder dem [[Intelligent Design]], zu fordern. Im gleichen Kontext wird oft auch die abfällige Bezeichnung [[Evolutionismus]] benutzt; dieser Begriff hat aber in der [[Ethnologie]] eine andere Bedeutung.
{{Hauptartikel|Neue Kulturgeschichte}}


Unter Kulturgeschichte werden in der [[Wikipedia:Geschichtswissenschaft|Geschichtswissenschaft]] sehr unterschiedliche Konzepte verstanden. Zum einen gibt es Historiker, die unter „Kulturgeschichte“ bestimmte Forschungsgegenstände verstehen, die in der Regel von der politischen Geschichte abgegrenzt werden. Zum anderen wird in jüngerer Zeit von Historikern wie [[Wikipedia:Ute Daniel|Ute Daniel]], [[Wikipedia:Barbara Stollberg-Rilinger|Barbara Stollberg-Rilinger]] oder [[Wikipedia:Thomas Mergel|Thomas Mergel]] ein Kulturgeschichtsbegriff vertreten, der sich nicht auf bestimmte Gegenstände bezieht.
== Darwinismus im 19. Jahrhundert ==
In den Jahrzehnten nach dem Erscheinen von Darwins ''[[Über die Entstehung der Arten|Origin of Species]] by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life (Deutsch: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe ums Dasein)'' (1859) stand ''Darwinismus'' für eine ganze Bandbreite von auf Evolution basierenden (und damals z.&nbsp;T. revolutionären) Philosophien sowohl in der Biologie als auch in den Gesellschaftswissenschaften. Einer der prominenteren Ansätze wurde vom Philosophen [[Herbert Spencer]] in dem Schlüsselsatz ''[[Survival of the Fittest]]'' (dt.: Überleben des am besten Angepassten)<ref>Während in der angelsächsischen Welt dies als das fitteste Individuum angesehen wurde, wurde es in Deutschland als fitteste Rasse interpretiert, vgl. Arnd Krüger: ''A Horse Breeder's Perspective. Scientific Racism in Germany. 1870–1933.'' In: Norbert Finzsch, Dietmar Schirmer (Hrsg.): ''Identity and Intolerance. Nationalism, Racism, and Xenophobia in Germany and the United States.'' University Press Cambridge, Cambridge 1998, ISBN 0-521-59158-9, S. 371–396.</ref> zusammengefasst. Dieser wurde später als Sinnbild für den Darwinismus verwendet, obwohl Spencers eigenes Verständnis von Evolution mehr dem von Lamarck als dem von Darwin entsprach. Was heutzutage als [[Sozialdarwinismus]] bezeichnet wird, war damals im Begriff des Darwinismus enthalten – die Anwendung der Darwin'schen Prinzipien des Überlebenskampfs auf die Gesellschaft, für gewöhnlich zugunsten von anti-[[philanthrop]]ischen politischen Strömungen. Dabei wurde Darwins Begriff der besten Anpassung oft als die Überlegenheit des Stärkeren und der Kampf ums Dasein als gewalttätiger Krieg um das Überleben missverstanden. Eine andere Interpretation vertrat insbesondere Darwins Vetter [[Francis Galton]]. Er glaubte an eine vordergründige Gefahr, dass in einer Zivilisation die natürliche Selektion nicht mehr funktionieren würde und dass überlegene Menschenrassen deshalb von unterlegenen Rassen (die sonst ausgefiltert würden) überflutet werden könnten. Er hielt Gegenmaßnahmen für notwendig – die Grundlage der [[Eugenik]].


In den 1980er Jahren entstand innerhalb der [[Wikipedia:Sozialgeschichte|Sozialgeschichte]] eine kritische Forschungsrichtung, die insbesondere die „Suche nach sozialen, politischen und vor allem ökonomischen Determinanten/Faktoren und den daraus erklärbaren langfristigen Prozessen“ als „eurozentrische Fortschrittsgeschichte“ ablehnte. In dieser „sozial-, politik- oder wirtschaftsgeschichtlich ausgerichteten Struktur- und Prozessgeschichte“ komme die „kulturelle Kreativität der Menschen in der Gestaltung ihrer Lebenszusammenhänge“ nicht ‚angemessen‘ zum Tragen.<ref>Lutz Raphael: ''Geschichtswissenschaft der Extreme'', S. 233.</ref> So wurde mit einer „neuen Kulturgeschichte“ ''(New Cultural History)'' das Forschungsinteresse auf „symbolische Formen der Vergangenheit“ gelenkt wie „Zeichen, Metaphern, politische Sprachen, kollektive Repräsentationen oder Rituale“. Die Übergange zur Sozialgeschichte sind daher in der Praxis fließend.<ref>Lutz Raphael: ''Geschichtswissenschaft der Extreme'', S. 228.</ref>
Zu Lebzeiten Darwins gab es keine klare Definition des Darwinismus-Begriffs. Er wurde von Anhängern wie Gegnern von Darwins Theoriensystem gleichsam in jeder beliebigen Bedeutung verwendet, die in den größeren Kontext passte.


Es geht dieser neuen Kulturgeschichte also darum, eine bestimmte, eben kulturgeschichtliche, [[Wikipedia:Perspektive|Perspektive]] nicht nur auf hochkulturelle Gegenstände zu richten. Auf diese Weise wird der Anspruch erhoben, gerade auch Gegenstände auf kulturgeschichtlichem Weg zu erforschen, von denen sich die traditionelle Kulturgeschichtsschreibung immer deutlich abgrenzte, wie der Politik und dem Recht. Im Zentrum einer kulturgeschichtlichen Analyse des Politischen und Rechtlichen stehen im Gegensatz zur traditionellen Politikgeschichte die kommunikativen Prozesse gerade auch im Alltagsleben. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive sind politische und rechtliche Institutionen keine objektiven Gegebenheiten mit rationaler Struktur, sondern Kondensate kommunikativ erhobener, anerkannter oder zurückgewiesener Geltungsansprüche. [[Wikipedia:Kommunikation|Kommunikation]] wird dabei als Zeichenaustausch verstanden, weswegen besonders elaborierte Zeichen – Symbole, Rituale oder Zeremonien – für die neue Kulturgeschichte eine prominente Rolle spielen. Denn Text- und Symbolquellen eröffnen keinen objektiven Blick auf die Tatsachen der Geschichte, sondern liefern lediglich Hinweise auf die sprachliche Kommunikation der Vergangenheit. Dieser als ''Linguistic Turn'' ([[Wikipedia:Linguistische WEnde|Linguistische Wende]]) in die Geschichtswissenschaft eingegangener Paradigmenwechsel basierte auf der Auffassung, dass auch „soziale Lagen, Marktzwänge oder demografische Entwicklung ihrerseits als eigenständige Faktoren auf die semiotische Praktiken der betroffenen Menschen einwirken“.<ref>Lutz Raphael: ''Geschichtswissenschaft der Extreme'', S. 233 f.</ref>
== Universeller Darwinismus ==
Der Universelle Darwinismus (manchmal auch ''universale Selektionstheorie'',<ref>Hodgson, G. M. (2005): Generalizing Darwinism to social evolution: Some early attempts. Journal of Economic Issues, 39, S. 899–914.</ref> oder ''Darwinistische Metaphysik''<ref>von Sydow, M. (2012). [http://www.univerlag.uni-goettingen.de/content/list.php?cat=subject&show=Biologie&details=isbn-978-3-86395-006-4 From Darwinian Metaphysics towards Understanding the Evolution of Evolutionary Mechanisms.] A Historical and Philosophical Analysis of Gene-Darwinism and Universal Darwinism. Universitätsverlag Göttingen.</ref><ref>von Sydow, M. (2013). [http://crisp.psi.uni-heidelberg.de/sites/default/files/vonSydow/von_Sydow_2013_Darwinian_Metaphysics.pdf ''Darwinian Metaphysics.''] In: A. Runehov & L. Oviedo (Hrsg.): ''Encyclopedia of Sciences and Religions.'' Springer Science, Heidelberg und New York 2013, S. 1306–1314, ISBN 978-1-4020-8264-1, [[doi:10.1007/978-1-4020-8265-8]].</ref><ref>M. von Sydow: [http://crisp.psi.uni-heidelberg.de/sites/default/files/vonSydow/von_Sydow_2014_Survival_of_the_Fittest_in_Darwinian_Metaphysics_Scan.pdf ''‘Survival of the Fittest’ in Darwinian Metaphysics – Tautology or Testable Theory?''] In: E. Voigts, B. Schaff & M. Pietrzak-Franger (Hrsg.): ''Reflecting on Darwin.'' Ashgate, Farnham und London 2014, S. 199–222.</ref> genannt) bezeichnet die insbesondere von [[Richard Dawkins]] und [[Daniel Dennett]]<ref>Dennett, D. C. (1995): ''Darwin's Dangerous Idea: Evolution and the Meanins of Life: Evolution and the Meanings of Life''. New York: Simon & Schuster, S. 343.</ref> formulierte Verallgemeinerung des Darwinismus auf Gebiete, auch außerhalb der Biologie. Dabei wird folgendes Schema genutzt:
 
# [[Reproduktion]]/[[Vererbung (Biologie)|Vererbung]]: Eine Anzahl von Einheiten, sogenannte Replikatoren, müssen fähig sein, Kopien von sich selbst anzufertigen oder andere Einheiten zu veranlassen, entsprechende Kopien zu erzeugen. Die Kopien müssen ebenfalls reproduktionsfähig sein und müssen Eigenschaften erben. Dabei werden verschiedene Variationen rekombiniert.
# [[Mutation|Variation]]: Es muss eine Bandbreite von verschiedenen Merkmalen in der Population der Einheiten gegeben sein. Es muss einen Mechanismus geben, der neue Variationen in die Population einführt. Diese Varianten können zum Beispiel durch ungenaue Replikation entstehen.
# [[Selektion (Evolution)|Selektion]]: Vererbte Merkmale müssen (auf längere Sicht gesehen) die Reproduktionsfähigkeit der Einheiten beeinflussen, entweder durch Überlebensfähigkeit (natürliche Selektion) oder die Fähigkeit, für die Reproduktion notwendige Partner zu finden (sexuelle Selektion). Die Überlebensfähigkeit kann sich dabei auf die konkrete Umgebung beziehen, einschließlich anderer entsprechender Systeme. Selektionsursachen können zum Beispiel Ressourcenknappheit oder die Möglichkeit zu [[Kooperation]] sein.
 
Wenn ein Replikant (Erbe) der Einheit oder des [[Organismus]] bis zur weiteren Reproduktionsstufe überlebt, beginnt der Prozess von neuem. Im anderen Fall kann er seine Eigenschaften nicht an die kommende Generation weitergeben. Bei engeren Formulierungen wird manchmal zusätzlich verlangt, dass Variation und Selektion auf verschiedene Einheiten wirken, Variation beim [[Genotyp]] und Selektion beim [[Phänotyp]].
 
Das Konzept des universellen Darwinismus geht nun davon aus, dass bei jedem System mit diesen Bedingungen Evolution stattfinden wird, ganz gleich in welchem konkreten Rahmen. Das heißt, dass sich bei den Einheiten mit der Zeit komplexe Eigenschaften herausbilden, die ihre Reproduktion begünstigen, während in jeder Generation auch ein Teil verdrängt wird (d.&nbsp;h. ausstirbt). Teilweise können Eigenschaften auch an Komplexität verlieren, wenn der entsprechende Selektionsdruck nachlässt oder sich eine weniger komplexe Eigenschaft als vorteilhafter durchsetzt. Der Universelle Darwinismus sagt für die Entwicklung keine Zielrichtung voraus (die Leistungen von A. R. Wallace als Mitentdecker des Selektionsprinzips wird hierbei ignoriert.<ref name="Wallace" />)
 
Ganz offensichtlich kann sich dies auf die biologische Evolution beziehen. Es gibt jedoch auch andere potentielle Bereiche, wovon das [[Mem]], das als [[Replikator]] wirkt, wohl am bekanntesten ist. Es ist ein Konzept der Weitergabe und Veränderung von Ideen, das von [[Richard Dawkins]] in seinem Buch ''Das egoistische Gen'' (1976) eingeführt wurde. Es ist jedoch umstritten, ob dies ein darwinischer Prozess ist, da es keine zwingenden Anzeichen dafür gibt, dass die bei den Memen stattfindenden Mutationen zufälliger Natur sind.
 
== Darwinismus-Kritik ==
Oscar Hertwig nahm in seiner Schrift ''Zur Abwehr des ethischen, des sozialen, des politischen Darwinismus'' (1918) gegen diese die gesellschaftliche Entwicklungen massiv beeinflussenden Strömungen ausführlich Stellung.<ref>http://www.zum.de/stueber/hertwig/</ref><ref>Kutschera, U. (2004): ''Streitpunkt Evolution. Darwinismus und Intelligentes Design.'' Berlin: Lit-Verlag, S. 270–273.</ref> Hierbei bezog er sich primär auf die als Sozialdarwinismus bezeichnete politische Ideologie.
 
Voraussetzung darwinistischer Entwicklungen ist die Blindheit der evolvierenden Individuen gegenüber den Rahmenbedingungen. Nur unter dieser Bedingung kann von rein zufälligen Vorgängen gesprochen werden. Wer den Menschen für erkenntnisfähig hält, z.&nbsp;B. zur [[Erkenntnis]] eines in der Natur vorhandenen Evolutionsgeschehens, der wird das Darwin-Wallace'sche Ausleseprinzip nicht problemlos auf menschliche, zumindest nicht auf intellektuelle Phänomene, anwenden können. Kritik am Darwinismus wird u.&nbsp;a. auch von Vertretern des [[Kreationismus]] und der [[Wikipedia:Frankfurter Evolutionstheorie|Frankfurter Evolutionstheorie]] geübt,<ref>Kutschera, U. (2013): ''Design-Fehler in der Natur. Alfred Russel Wallace und die Gott-lose Evolution.'' Berlin: Lit-Verlag, S. 289–320.</ref> wobei im Rahmen dieser alternativen Modelle u.&nbsp;a. das Darwin-Wallace-Prinzip der natürlichen Selektion als Triebkraft der Arten- bzw. Bauplan-Transformation abgelehnt wird.


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Kulturgeschcihte}}
* {{WikipediaDE|Darwinismus}}
* {{WikipediaDE|Geschichte der Evolutionstheorie}}
* {{WikipediaDE|Kulturdarwinismus}}
* {{WikipediaDE|Soziokulturelle Evolution}}
* {{WikipediaDE|Neoevolutionismus}}
* {{WikipediaDE|Evolutionary Archaeology}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* Maryanne Cline Horowitz (Hrsg.): ''New Dictionary of the History of Ideas''. Thomson Gale, Detroit 2005, ISBN 0-684-31377-4.  
* Charles Darwin: ''On the Origin of Species.'' Faksimile der Erstausgabe. Harvard University Press, Cambridge, MA 1964; 2003, ISBN 0-674-63752-6 (englisch).
* Peter Burke: ''What is cultural history?'' Polity PRess, Cambridge 2008, ISBN 978-0-7456-4410-3 (EA Cambridge 2004).  
* Ernst Mayr: ''One Long Argument. Charles Darwin and the Genesis of Modern Evolutionary Thought.'' Harvard University Press, Cambridge, MA 1991, ISBN 0-674-63906-5 (englisch).
**deutsche Übersetzung: ''Was ist Kulturgeschichte?''. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2005, ISBN 3-518-58442-1.
* Franz Wuketits: ''Darwin und der Darwinismus'' (= ''Beck'sche Reihe'', Band 2381: ''C. H. Beck Wissen''). Beck, München 2005, ISBN 3-406-50881-2.
* Christoph Conrad, Martina Kessel (Hrsg.): ''Kultur & Geschichte. Neue Einblicke in eine alte Beziehung''. Reclam, Stuttgart 1998, ISBN 3-15-009638-3.
* Günter Altner (Hrsg.): ''Der Darwinismus, Geschichte einer Theorie'' (= ''Wege der Forschung'', Band 449). WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1981, ISBN 3-534-06738-X (Sammlung von historischen, kurzen zentralen Auszügen aus Originalarbeiten (four essays in English), die recht breit als „darwinistisch“ zu bezeichnen sind).
* Ute Daniel: ''Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter''. 5., durchges. u. akt. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2006, ISBN 3-518-29123-8
* James Watson: ''Darwin: The Indelible Stamp, The Evolution of an Idea.'' Running Press, Philadelphia, PA 2005, ISBN 0-7624-2136-3 (englisch).
* Lars Deile: ''Die Sozialgeschichte entlässt ihre Kinder. Ein Orientierungsversuch in der Debatte um Kulturgeschichte''. In: ''Archiv für Kulturgeschichte'', Bd. 87 (2005), S. 1–25, {{ISSN|0003-9233}}.
* Thomas P. Weber: ''Darwinismus'' (= ''Fischer'', Band 15367: ''Fischer kompakt''). Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2002, ISBN 978-3-596-15367-1.
* Martin Eichhorn: ''Kulturgeschichte der „Kulturgeschichten“. Typologie einer Literaturgattung'' (Epistemata; Bd. 417). Königshausen & Neumann, Würzburg 2002, ISBN 978-3-8260-2341-5 (zugl. Dissertation, Humboldt-Universität, Berlin 2001).  
* Ulrich Kutschera: ''Evolutionsbiologie. Ursprung und Stammesentwicklung der Organismen.'' 4. Auflage, Eugen Ulmer, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-8252-8623-1.
* Michael Erbe: ''Die Erfindung der Antike. Das Altertum und der Aufbruch in die Neuzeit''. wjs-Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-937989-07-2
* Michael Maurer: ''Kulturgeschichte. Eine Einführung'' (UTB; Bd. 3060). Böhlau, Köln 2008, ISBN 978-3-8252-3060-9.  
* Jean-Pierre V. M. Hérubel: ''Observations on an Emergent Specialization. Contemporary French Cultural History. Significance for Scholarship''. In: ''Journal of Scholarly Publishing'', Bd. 41 (2010), Heft 2, S. 216–240, {{ISSN|0036-634X}}
* Philippe Poirrier: ''Les enjeux de l’histoire culturelle'' (Points. Histoire; Bd. 342). Seuil, Paris 2004, ISBN 2-02-049245-8.
* Philippe Poirrier (Hrsg.): ''L’Histoire culturelle. Un « tournant mondial » dans l’historiographie?'' Éditions universitaires de Dijon, Dijon 2008, ISBN 978-2-915611-06-9.
* Barbara Stollberg-Rilinger: ''Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?'' (Zeitschrift für historische Forschung / Beiheft; 35). Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11868-5.
* Silvia Serena Tschopp, Wolfgang E. Weber: ''Grundfragen der Kulturgeschichte'' (Kontroversen um die Geschichte). WBG, Darmstadt 2007, ISBN 978-3-534-17429-4.  
* Hans-Ulrich Wehler: ''Die Herausforderung der Kulturgeschichte'' (Beck'sche Reihe; Bd. 1276). C. H. Beck, München 1998, ISBN 3-406-42076-1.  
* ''Werkstatt Geschichte. Werkstatt für kritische und innovative Geschichtsschreibung'', Bd. 1 (1992)ff. {{ISSN|0942-704X}}.
* Achim Landwehr: ''Kulturgeschichte'' (UTB; Bd. 3037). Ulmer, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-8252-3037-1.
* Lutz Raphael: ''Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart'' (Beck'sche Reihe; Bd. 1543). 2. Aufl. C. H. Beck, München 2003, ISBN 978-3-406-60344-0.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Wiktionary}}
{{Wikisource|Charles Darwin}}
* ''Cultura Histórica:'' [http://www.culturahistorica.es/welcome.html Texte für Kulturgeschichte, Geschichtsphilosophie und Geschichtsschreibung] Zahlreiche Links im Bereich "Texts", erschlossen über Autor oder Thema, in engl. oder span. (selten franz.) Sprache. Ausführliche Bibliographie, in 9 Themenblöcken sortiert
{{Wikisource|Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl}}
* Achim Landwehr: ''[http://docupedia.de/zg/Kulturgeschichte Kulturgeschichte]'', Version: 1.0, in: Docupedia Zeitgeschichte, 14. Mai 2013
{{Wiktionary|Darwinismus}}
* Thomas Mergel: ''[http://docupedia.de/zg/Kulturgeschichte_der_Politik_Version_2.0_Thomas_Mergel Kulturgeschichte der Politik]'', Version: 2.0, in: Docupedia Zeitgeschichte, 22. Oktober 2012
{{Wiktionary|survival of the fittest|Survival of the Fittest}}
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/darwinism/|Darwinism|James Lennox}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references/>
<references/>


{{Normdaten|TYP=s|GND=7503708-7}}
[[Kategorie:Charles Darwin]]
 
[[Kategorie:Geschichte der Biologie]]
[[Kategorie:Geschichtswissenschaft]]
[[Kategorie:Evolutionsbiologie]]
[[Kategorie:Kulturgeschichte]]
[[Kategorie:Evolution]]
[[Kategorie:Kultur]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 7. Dezember 2018, 13:18 Uhr

Die Gartenlaube, 1873: „Die vier Hauptvertreter des Darwinismus“: Darwin, Lamarck, Haeckel, St. Hilaire (von links im Uhrzeigersinn)

Als Darwinismus bezeichnet man das Theoriensystem zur Erklärung der Artentransformation (Evolution) von Charles Darwin, wobei insbesondere die natürliche Auslese, d. h. das Selektionsprinzip, im Vordergrund steht. Daneben wird der Begriff auch in der Bedeutung des universellen Darwinismus verwendet, einer Generaltheorie der Evolutionsmechanismen, die besagt, dass in beliebigem Rahmen (d. h. auch außerhalb der Biologie) bei Vorhandensein von Variabilität und einem Selektionsdruck Evolution stattfinden kann. Im 19. Jahrhundert war Darwinismus auch ein gebräuchlicher Oberbegriff für mehrere Theorien und Konzepte aus der Biologie, der Philosophie und den Gesellschaftswissenschaften. Die Bezeichnung Darwinismus wird oft abwertend von Gegnern, u. a. Kreationisten, gebraucht. Deshalb, aber vor allem weil es sich nicht um einen „ismus“ im Sinne einer Ideologie, sondern um ein von Darwin und Alfred Russel Wallace erkanntes Naturprinzip handelt, wird diese Bezeichnung heute von vielen Evolutionsbiologen abgelehnt.[1] Der Begriff Darwinismus wurde im April 1860 von Thomas Henry Huxley populär gemacht, als er im Westminster Journal Darwins On the Origin of Species besprach.[2]

Evolutionstheorien

Hauptartikel: Evolutionstheorie

Die Evolution wurde bereits im 19. Jh. als Tatsache akzeptiert.[3] Verschiedene Theorien erklären die Entstehung, die Entwicklung und die Vielfalt der Lebewesen auf natürliche, d. h. physikalisch-chemische Weise. Grundsätzlich wird der Begriff Darwinismus verwendet, um den Inhalt von Darwins Origin of Species von anderen Evolutionstheorien zu unterscheiden, beispielsweise von dem nach Lamarck benannten Lamarckismus. Die Darwin'sche Theorie basiert auf der Vererbung, der Variabilität und der natürlichen Auslese (Selektion). In diesem Zusammenhang wird der Begriff Darwinismus auch manchmal verwendet, um den Aspekt der natürlichen Selektion besonders zu betonen, der von Darwin und Wallace erstmals beschrieben wurde und den entscheidenden Unterschied zu anderen, diskreditierten Evolutionstheorien bildet, wie Lamarckismus oder Mutationismus, die nur noch von historischer Bedeutung sind.

Weiterhin wird die u. a. von Wallace[4] verbreitete Bezeichnung Darwinismus benutzt, um die Rolle von Charles Darwin als Vordenker und Pionier der Evolutionsforschung hervorzuheben, oder auch um eine Abgrenzung von nicht durch Darwin einbezogene Evolutionsmechanismen vorzunehmen, wie Gendrift und Genfluss, die in der modernen Synthese (synthetische Evolutionstheorie) unter anderen Aspekten neu eingeführt wurden. Oft wird in diesem Zusammenhang von Neodarwinismus gesprochen, ein auf August Weismann zurückgehendes Theoriesystem, das eine Übergangsform zwischen der Darwin'schen und der Synthetischen Theorie darstellt: Dabei war die Vererbung über Chromosomen bereits einbezogen, noch nicht jedoch die Populationsgenetik. Diese Disziplin wurde von Theodosius Dobzhansky begründet und in die Evolutionsbiologie integriert.

Der Affe mit Schädel von Hugo Rheinhold

Durch die Weiterentwicklungen innerhalb der Biologie hat der Darwinismus (im Sinne der Darwin-Wallace'schen Selektionstheorie) heute im Wesentlichen nur noch historische Bedeutung.

Der Begriff des Darwinismus wird von Kreationisten bzw. Gegnern der Evolutionsbiologie als eine eher abschätzige Bezeichnung für die Evolutionswissenschaften im Allgemeinen sowie naturalistischer Evolutionstheorien im Speziellen verwendet. Sie sprechen dabei von Evolution in der Rolle eines -ismus – einer Lehre bzw. eines Glaubens –, um darauf aufbauend die Gleichbehandlung von Glaubensauffassungen, wie dem Kreationismus oder dem Intelligent Design, zu fordern. Im gleichen Kontext wird oft auch die abfällige Bezeichnung Evolutionismus benutzt; dieser Begriff hat aber in der Ethnologie eine andere Bedeutung.

Darwinismus im 19. Jahrhundert

In den Jahrzehnten nach dem Erscheinen von Darwins Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life (Deutsch: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe ums Dasein) (1859) stand Darwinismus für eine ganze Bandbreite von auf Evolution basierenden (und damals z. T. revolutionären) Philosophien sowohl in der Biologie als auch in den Gesellschaftswissenschaften. Einer der prominenteren Ansätze wurde vom Philosophen Herbert Spencer in dem Schlüsselsatz Survival of the Fittest (dt.: Überleben des am besten Angepassten)[5] zusammengefasst. Dieser wurde später als Sinnbild für den Darwinismus verwendet, obwohl Spencers eigenes Verständnis von Evolution mehr dem von Lamarck als dem von Darwin entsprach. Was heutzutage als Sozialdarwinismus bezeichnet wird, war damals im Begriff des Darwinismus enthalten – die Anwendung der Darwin'schen Prinzipien des Überlebenskampfs auf die Gesellschaft, für gewöhnlich zugunsten von anti-philanthropischen politischen Strömungen. Dabei wurde Darwins Begriff der besten Anpassung oft als die Überlegenheit des Stärkeren und der Kampf ums Dasein als gewalttätiger Krieg um das Überleben missverstanden. Eine andere Interpretation vertrat insbesondere Darwins Vetter Francis Galton. Er glaubte an eine vordergründige Gefahr, dass in einer Zivilisation die natürliche Selektion nicht mehr funktionieren würde und dass überlegene Menschenrassen deshalb von unterlegenen Rassen (die sonst ausgefiltert würden) überflutet werden könnten. Er hielt Gegenmaßnahmen für notwendig – die Grundlage der Eugenik.

Zu Lebzeiten Darwins gab es keine klare Definition des Darwinismus-Begriffs. Er wurde von Anhängern wie Gegnern von Darwins Theoriensystem gleichsam in jeder beliebigen Bedeutung verwendet, die in den größeren Kontext passte.

Universeller Darwinismus

Der Universelle Darwinismus (manchmal auch universale Selektionstheorie,[6] oder Darwinistische Metaphysik[7][8][9] genannt) bezeichnet die insbesondere von Richard Dawkins und Daniel Dennett[10] formulierte Verallgemeinerung des Darwinismus auf Gebiete, auch außerhalb der Biologie. Dabei wird folgendes Schema genutzt:

  1. Reproduktion/Vererbung: Eine Anzahl von Einheiten, sogenannte Replikatoren, müssen fähig sein, Kopien von sich selbst anzufertigen oder andere Einheiten zu veranlassen, entsprechende Kopien zu erzeugen. Die Kopien müssen ebenfalls reproduktionsfähig sein und müssen Eigenschaften erben. Dabei werden verschiedene Variationen rekombiniert.
  2. Variation: Es muss eine Bandbreite von verschiedenen Merkmalen in der Population der Einheiten gegeben sein. Es muss einen Mechanismus geben, der neue Variationen in die Population einführt. Diese Varianten können zum Beispiel durch ungenaue Replikation entstehen.
  3. Selektion: Vererbte Merkmale müssen (auf längere Sicht gesehen) die Reproduktionsfähigkeit der Einheiten beeinflussen, entweder durch Überlebensfähigkeit (natürliche Selektion) oder die Fähigkeit, für die Reproduktion notwendige Partner zu finden (sexuelle Selektion). Die Überlebensfähigkeit kann sich dabei auf die konkrete Umgebung beziehen, einschließlich anderer entsprechender Systeme. Selektionsursachen können zum Beispiel Ressourcenknappheit oder die Möglichkeit zu Kooperation sein.

Wenn ein Replikant (Erbe) der Einheit oder des Organismus bis zur weiteren Reproduktionsstufe überlebt, beginnt der Prozess von neuem. Im anderen Fall kann er seine Eigenschaften nicht an die kommende Generation weitergeben. Bei engeren Formulierungen wird manchmal zusätzlich verlangt, dass Variation und Selektion auf verschiedene Einheiten wirken, Variation beim Genotyp und Selektion beim Phänotyp.

Das Konzept des universellen Darwinismus geht nun davon aus, dass bei jedem System mit diesen Bedingungen Evolution stattfinden wird, ganz gleich in welchem konkreten Rahmen. Das heißt, dass sich bei den Einheiten mit der Zeit komplexe Eigenschaften herausbilden, die ihre Reproduktion begünstigen, während in jeder Generation auch ein Teil verdrängt wird (d. h. ausstirbt). Teilweise können Eigenschaften auch an Komplexität verlieren, wenn der entsprechende Selektionsdruck nachlässt oder sich eine weniger komplexe Eigenschaft als vorteilhafter durchsetzt. Der Universelle Darwinismus sagt für die Entwicklung keine Zielrichtung voraus (die Leistungen von A. R. Wallace als Mitentdecker des Selektionsprinzips wird hierbei ignoriert.[4])

Ganz offensichtlich kann sich dies auf die biologische Evolution beziehen. Es gibt jedoch auch andere potentielle Bereiche, wovon das Mem, das als Replikator wirkt, wohl am bekanntesten ist. Es ist ein Konzept der Weitergabe und Veränderung von Ideen, das von Richard Dawkins in seinem Buch Das egoistische Gen (1976) eingeführt wurde. Es ist jedoch umstritten, ob dies ein darwinischer Prozess ist, da es keine zwingenden Anzeichen dafür gibt, dass die bei den Memen stattfindenden Mutationen zufälliger Natur sind.

Darwinismus-Kritik

Oscar Hertwig nahm in seiner Schrift Zur Abwehr des ethischen, des sozialen, des politischen Darwinismus (1918) gegen diese die gesellschaftliche Entwicklungen massiv beeinflussenden Strömungen ausführlich Stellung.[11][12] Hierbei bezog er sich primär auf die als Sozialdarwinismus bezeichnete politische Ideologie.

Voraussetzung darwinistischer Entwicklungen ist die Blindheit der evolvierenden Individuen gegenüber den Rahmenbedingungen. Nur unter dieser Bedingung kann von rein zufälligen Vorgängen gesprochen werden. Wer den Menschen für erkenntnisfähig hält, z. B. zur Erkenntnis eines in der Natur vorhandenen Evolutionsgeschehens, der wird das Darwin-Wallace'sche Ausleseprinzip nicht problemlos auf menschliche, zumindest nicht auf intellektuelle Phänomene, anwenden können. Kritik am Darwinismus wird u. a. auch von Vertretern des Kreationismus und der Frankfurter Evolutionstheorie geübt,[13] wobei im Rahmen dieser alternativen Modelle u. a. das Darwin-Wallace-Prinzip der natürlichen Selektion als Triebkraft der Arten- bzw. Bauplan-Transformation abgelehnt wird.

Siehe auch

Literatur

  • Charles Darwin: On the Origin of Species. Faksimile der Erstausgabe. Harvard University Press, Cambridge, MA 1964; 2003, ISBN 0-674-63752-6 (englisch).
  • Ernst Mayr: One Long Argument. Charles Darwin and the Genesis of Modern Evolutionary Thought. Harvard University Press, Cambridge, MA 1991, ISBN 0-674-63906-5 (englisch).
  • Franz Wuketits: Darwin und der Darwinismus (= Beck'sche Reihe, Band 2381: C. H. Beck Wissen). Beck, München 2005, ISBN 3-406-50881-2.
  • Günter Altner (Hrsg.): Der Darwinismus, Geschichte einer Theorie (= Wege der Forschung, Band 449). WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1981, ISBN 3-534-06738-X (Sammlung von historischen, kurzen zentralen Auszügen aus Originalarbeiten (four essays in English), die recht breit als „darwinistisch“ zu bezeichnen sind).
  • James Watson: Darwin: The Indelible Stamp, The Evolution of an Idea. Running Press, Philadelphia, PA 2005, ISBN 0-7624-2136-3 (englisch).
  • Thomas P. Weber: Darwinismus (= Fischer, Band 15367: Fischer kompakt). Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2002, ISBN 978-3-596-15367-1.
  • Ulrich Kutschera: Evolutionsbiologie. Ursprung und Stammesentwicklung der Organismen. 4. Auflage, Eugen Ulmer, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-8252-8623-1.

Weblinks

 Wikisource: Charles Darwin – Quellen und Volltexte
 Wiktionary: Darwinismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wiktionary: Survival of the Fittest – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. E. O. Wilson sprach von „Scientists don't call it 'Darwinism'.“ in Jerry Adler (28. November 2005): Charles Darwin: Evolution of a Scientist. Newsweek.
  2. Huxley, T. H. (1860): Darwin On The origin of Species. In: Westminster Review. Band 17, S. 541–570.
  3. Kutschera, U. (2009): Tatsache Evolution. Was Darwin nicht wissen konnte. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 291–292.
  4. 4,0 4,1 Wallace, A. R. (1889): Darwinismus. An Exposition of the Theory of Natural Selection with some of its Applications. London: MacMillan & Co. S. VIII.
  5. Während in der angelsächsischen Welt dies als das fitteste Individuum angesehen wurde, wurde es in Deutschland als fitteste Rasse interpretiert, vgl. Arnd Krüger: A Horse Breeder's Perspective. Scientific Racism in Germany. 1870–1933. In: Norbert Finzsch, Dietmar Schirmer (Hrsg.): Identity and Intolerance. Nationalism, Racism, and Xenophobia in Germany and the United States. University Press Cambridge, Cambridge 1998, ISBN 0-521-59158-9, S. 371–396.
  6. Hodgson, G. M. (2005): Generalizing Darwinism to social evolution: Some early attempts. Journal of Economic Issues, 39, S. 899–914.
  7. von Sydow, M. (2012). From Darwinian Metaphysics towards Understanding the Evolution of Evolutionary Mechanisms. A Historical and Philosophical Analysis of Gene-Darwinism and Universal Darwinism. Universitätsverlag Göttingen.
  8. von Sydow, M. (2013). Darwinian Metaphysics. In: A. Runehov & L. Oviedo (Hrsg.): Encyclopedia of Sciences and Religions. Springer Science, Heidelberg und New York 2013, S. 1306–1314, ISBN 978-1-4020-8264-1, doi:10.1007/978-1-4020-8265-8.
  9. M. von Sydow: ‘Survival of the Fittest’ in Darwinian Metaphysics – Tautology or Testable Theory? In: E. Voigts, B. Schaff & M. Pietrzak-Franger (Hrsg.): Reflecting on Darwin. Ashgate, Farnham und London 2014, S. 199–222.
  10. Dennett, D. C. (1995): Darwin's Dangerous Idea: Evolution and the Meanins of Life: Evolution and the Meanings of Life. New York: Simon & Schuster, S. 343.
  11. http://www.zum.de/stueber/hertwig/
  12. Kutschera, U. (2004): Streitpunkt Evolution. Darwinismus und Intelligentes Design. Berlin: Lit-Verlag, S. 270–273.
  13. Kutschera, U. (2013): Design-Fehler in der Natur. Alfred Russel Wallace und die Gott-lose Evolution. Berlin: Lit-Verlag, S. 289–320.


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