Wahrheitskriterium und Merleau-Ponty: Unterschied zwischen den Seiten

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Ein Kriterium (gr. κριτήριον, „Gerichtshof; Rechtssache; Richtmaß“) ist ein Merkmal, das bei einer Auswahl zwischen Personen oder Objekten (Gegenständen, Eigenschaften, Themen, usw.) relevant für die Entscheidung ist. (gemäß wikipedia: [[wikipedia: Kriterium|Kriterium]]).
[[Datei:Maurice Merleau-Ponty.jpg|mini|Maurice Merleau-Ponty]]
'''Maurice Merleau-Ponty''' (* 14. März 1908 in [[wikipedia:Rochefort (Charente-Maritime)|Rochefort-sur-Mer]]; † 3. Mai 1961 in Paris) war ein französischer [[Philosoph]] und [[Phänomenologie|Phänomenologe]].


Entsprechend ist ein '''Wahrheitskriterium''' ein Merkmal, das es ermöglicht, [[Wahrheit]] von Unwahrheit zu unterscheiden. Eine [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretische]] Schwierigkeit besteht darin, daß ein solches Merkmal, wie die Wahrheit selbst, eines Ausweises bedarf: In gewissen Hinsichten ist das Prüfkriterium, seine gültige Anwendbarkeit und dann seine korrekte Anwendung das eigentliche Erkenntnisproblem, in dem dann, bei gültiger Anwendbarkeit, über die korrekte Anwendung entschieden werden muß.
== Leben ==
Merleau-Ponty wurde hauptsächlich von seiner Mutter, zu der er zeit seines Lebens eine enge Bindung aufrechterhielt, im [[wikipedia:katholisch|katholisch]]en Sinne erzogen. Er wurde ab 1926 mit [[Jean-Paul Sartre]], [[wikipedia:Simone de Beauvoir|Simone de Beauvoir]] und [[wikipedia:Jean Hyppolite|Jean Hyppolite]] bekannt, nachdem er 1924 seine Schullaufbahn mit dem „[[wikipedia:baccalauréat|baccalauréat]]“ abgeschlossen hatte.


''Ein'' Lösungsvorschlag für die Behebung oder Umgehung solchen [[wikipedia:infiniter Regress|infiniten Regresses]] oder ähnlicher Komplikationen wie [[wikipedia:Zirkelschluß|Zirkularität]] etc. ist wissenschaftstheoretisch der Einsatz des Kriteriums der [[Intersubjektivität]], durch das aber eine absolut sichere Erkenntnis niemals erreicht werden kann, sondern nur ein mehr oder weniger vollständiger Konsens (vgl. [[wikipedia:Herschende Meinung|Herrschende Meinung]], [[wikipedia:Konsenstheorie der Wahrheit|Konsenstheorie der Wahrheit]]), was wahr sei, bzw. was nicht widerlegt ist ([[Fallibilismus]]).  
1930 legte er seine [[wikipedia:Agrégation|Agrégation]] in Philosophie ab. Beeinflusst haben ihn vor allem die Schriften von [[wikipedia:Léon Brunschvicg|Léon Brunschvicg]] und [[Henri Bergson]]. Auch der Schriftsteller, Philosoph und Historiker [[wikipedia:Émile Bréhier|Émile Bréhier]] und [[wikipedia:Jean Laporte|Jean Laporte]] prägten ihn. Von 1931–35 war Merleau-Ponty Lehrer in [[wikipedia:Beauvais|Beauvais]] und [[Chartres]]. Danach folgte 1935–39 eine Arbeit als [[wikipedia:Repetitorium|Repetitor]] an der [[wikipedia:École normale supérieure|École normale supérieure]]. 1935-37 arbeitete er auch an der Zeitschrift ''[[wikipedia:Esprit (Zeitschrift)|Esprit]]'' mit, hörte 1935 [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegel]]-Vorlesungen bei [[Alexandre Kojève]] und begann mit dem Studium von [[Karl Marx]].


Der heute weitgehend herrschende Fallibilismus in der Erkenntnis- und [[Wissenschaftstheorie]] ist einmal der (auch  Alltags-)Erfahrung geschuldet, daß sich angebliche Wahrheiten irgendwann doch als unwahr herausstellten. Aber auch einer Resignation, das Wahrheitsproblem, bzw. das Problem des Wahrheitskriteriums lösen zu können.
Von 1939–40 arbeitete Merleau-Ponty als Philosophielehrer an verschiedenen Gymnasien in Paris. 1944/1945 war er der Nachfolger Jean-Paul Sartres am Pariser ''Lycée Condorcet''. 1945 wurde er promoviert. Danach schloss sich eine Universitätslaufbahn in [[wikipedia:Lyon|Lyon]] an, wo er als Professor für Philosophie lehrte. Im Jahr 1948 war er Mitbegründer des [[wikipedia:Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle|Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle]] in Paris. Von 1949–52 arbeitete er als Professor für Kinderpsychologie und [[Pädagogik]] an der [[wikipedia:Sorbonne|Sorbonne]]. 1952 wurde Merleau-Ponty Professor für Philosophie am berühmten [[wikipedia:Collège de France|Collège de France]]. 1955 brach er mit Sartre und Beauvoir. 1959 widmete er sich verstärkt der Arbeit an ''[[wikipedia:Das Sichtbare und das Unsichtbare|Das Sichtbare und das Unsichtbare]]'', welches er nicht mehr abschließen konnte. Am 3. Mai 1961 starb Merleau-Ponty unerwartet.


Die bequeme Intersubjektivitätsregel kann aber nicht die Notwendigkeit ersetzen, im Erkennen und in der Forschung ein Wahrheitskriterium verwenden zu müssen. Dies gilt natürlich im besonderen für die Geisteswissenschaft oder Anthroposophie, weil auf dem "Gebiet" des Geistes bisher erst nur wenige Forscher tätig sind, es keine größere Forschergemeinschaft gibt, mithin eine gegenseitige intersubjektive Kritik der jeweils einsam gewonnenen Erkenntnisse der Geistesforscher/innen kaum schon in einem Maße möglich ist, daß dadurch die Zweifel an den Behauptungen, was wahr sei, ausreichend in Richtung allgemeinen (intersubjektiven) Geltens behoben werden könnten.
== Werk ==
Merleau-Ponty ist neben [[Paul Ricoeur]], [[Simone de Beauvoir]], [[Jean-Paul Sartre]], [[Gabriel Marcel]], [[Emmanuel Levinas]] und [[Aron Gurwitsch]] einer der wichtigsten Vertreter der französischen [[Phänomenologie]].


Allerdings versteht sich die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners nicht als fallibilistisch<ref>"Der verstorbene Professor Gustav Troberg berichtet in seinem Aufsatz zum 100. Geburtstag Rudolf Steiners, daß dieser, als er einmal gefragt wurde, wie es mit dem
Aufgrund seiner engen Bindung zu Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir wird er oft für einen [[wikipedia:Existenzialismus|Existenzialisten]] gehalten; obwohl der Existentialismus in das Werk Merleau-Pontys einfließt, kann er wegen seiner (eher vorsichtigen) Ablehnung einer Bestimmung der Existenz als ''absolut'' oder ''isoliert'' dennoch nicht dieser philosophischen Richtung zugeordnet werden. Trotz aller Unterschiede zwischen den philosophischen Entwürfen sind viele einzelne seiner phänomenologischen Analysen mit denen z.B. Jean-Paul Sartres deckungsgleich.
Irrtum in der Geistesforschung stehe, erwidert habe:
«er habe nie etwas ausgesprochen als Ergebnis der Geistesforschung, ohne sich aufs beste davon vergewissert zu haben, daß es zuträfe; dennoch müsse er zugeben, daß ihn eine spätere,
vollkommenere Form dieser Forschung in manchem würde berichtigen können;
aber - in Einem habe er sich nicht geirrt und das sei die Art, wie er die Grundfragen der Philosophie beantwortet habe. Sie erwiesen sich als einsichtig. Und er fügte hinzu: wollte er einmal - was nur theoretisch möglich sei - annehmen, er
habe sich hier geirrt, dann stünde für ihn fest, daß für den Menschen Erkenntnis
überhaupt nicht möglich sei, daß der absolute Skeptizismus und Agnostizismus
allein im Rechte sei.» (Vgl. Gustav Troberg, Rudolf Steiner, zu seinem 100. Geburtstag, in «Abhandlungen zur
Philosophie und Anthroposophie», Philosophisch Anthroposophischer Verlag, Dornach 1961." (zitiert nach: http://fvn-rs.net/PDF/Beitraege/BE-029-1970.pdf, S. 17)</ref>. Der ganzen erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Anlage nach ist die anthroposophsiche Wissenschaft keine fallibilistische Wissenschaft, und benötigt grundsätzlich auch die kontrollierende Intersubjektivität nicht (obwohl diese wohl hilfreich sein mag). Daher muß die anthroposophische Wissenschaft das erkenntnistheoretische Problem des Wahrheitskriteriums ''positiv'' lösen können.  


Ein Hinweis auf [[Evidenz]] als solche als Wahrheitskriterium ist keine solche Problemlösung, da Evidenz zunächst nur für ein subjektives Fürwahrhalten gelten kann, und insofern einen Irrtum nicht ausschließt. Es muß für evidente Einsicht als allgemeines Wahrheitskriterium gezeigt werden können, wie sie gültig zustande kommt, und es muß ihre ''objektive'' Gültigkeit gezeigt werden, bzw. die Voraussetzungen objektiver Gültigkeit müssen geklärt werden.  
Merleau-Pontys Philosophie lässt die Phänomenologie in einen intensiven Dialog mit den Denkstilen des [[Strukturalismus]], der [[Gestalttheorie]], [[Psychologie]] und verschiedenen philosophischen Denktraditionen eintreten. Der Schwerpunkt seiner äußerst vielfältigen und weit ausspannenden denkerischen Arbeiten ist dabei die Rolle des [[Leib]]es, als den der Mensch sich selbst und die Welt erfährt.


== Voraussetzunglose Erkenntnis und Wahrheitskriterium ==
=== Grundgedanken ===
Das Problem des Wahrheitkriteriums ist gewissermaßen die Kehrseite des erkenntnistheoretischen Problems der [[Voraussetzungslosigkeit]]. Während die heute herrschende Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie gemeinhin von der Unmöglichkeit solcher Voraussetzungslosigkeit im strengen Sinne ausgeht, und darüber hinaus für die Wissenschaftspraxis für verzichtbar hält, kann die anthroposophische Wissenschaft solche Position nicht einnehmen, da sie von der Wahrheitsfähigkeit des Menschen überzeugt ist. Sie behauptet: Es gibt Wahrheit, und der Mensch ist ihrer fähig. Daher muß die anthroposophische Erkenntnis voraussetzungslos (d.h. auch wahr) beginnen können, und die gewonnenen Wahrheiten müssen positiv ausgewiesen werden können, d.h. letztlich auch auf den gültigen, wahren Anfang hin beziehbar sein.
Nach intensiver Auseinandersetzung mit [[Edmund Husserl|Husserl]] und dessen Assistent und Schüler [[Martin Heidegger|Heidegger]] bietet Merleau-Ponty einen „Dritten Weg“ zur Erhellung des fundamentalen Zusammenhangs von [[Dasein]] und Welt an, indem er die grundlegende Verfasstheit des [[Subjekt (Philosophie)|Subjekts]] nicht wie Husserl in der [[Intentionalität]] seines Bewusstseins sieht, und auch nicht in seinem Sein als Dasein im Sinne Heideggers, sondern in seiner Leiblichkeit, die er in einem oszillierenden Gespräch zwischen [[Empirismus]] und [[Intellektualismus]] herausarbeitet. Die aus ihr zu verstehende ursprüngliche Welterfahrung setzt er gegen das weltliche Sein des Daseins bei Heidegger und gegen die [[Konstitution der Welt]] bei Husserl, die er als eine nachträgliche Rekonstruktion ansieht und als von einer [[Phänomenologische Deskription|phänomenologischen Deskription]] weit entfernt einschätzt. Insbesondere an dieser Stelle zeigt sich die positive kritische Erweiterung der Phänomenologie durch Merleau-Ponty. Eine der wichtigsten Konsequenzen, die er aus der Beschäftigung mit Husserls Phänomenologie zieht, ist die Unmöglichkeit der vollständigen [[Epoché|Reduktion]] (Epoché).


== Äußerungen von anthroposophischen Philosophen zum Thema ==
== Literatur ==
[[Datei:Allisvanity.jpg|miniatur|hochkant|[[Charles Allan Gilbert|C. A. Gilbert]]: ''All is vanity'']]
*Emanuela Assenza: ''Die ästhetische Funktion der Phänomenologie von Maurice Merleau-Ponty.'' Diplomarbeit 2010, http://emanuela-assenza.com/vita/DiplomarbeitMerleau-Ponty.pdf
[[Herbert Witzenmann]] ist der Ansicht, daß im Erkenntnisprozeß gleichsam nebenbei eine Art fortlaufendes Experiment stattfindet. Beobachtungsexperimente nämlich, analog den Experimenten in den Naturwissenschaften (seelische Beobachtungsresultate ''nach naturwissenschaftlicher Methode''), - die im Erkenntnisprozeß prüfen, ob jeweils Begriff und Wahrnehmung zusammenpassen. Das Wahrnehmliche, das schon längst nicht mehr das reine Wahrnehmliche als solches ist, sondern eine Leerstelle im Gefüge, akzeptiert nur den passenden Begriff, und weist andere, unpassende zurück. Nur der richtige, wahre Begriff "haftet" an der Wahrnehmung. Dieses Anhaften ist nach Witzenmann das Wahrheitskriterium. Er erörtert dieses Geschehen allerdings an dem Beispiel der sinnlichen Wahrnehmung.  


Zur Erläuterung gibt es den Hinweis auf die [[wikipedia:Vexierbild|Vexierbild]]phänomene, und andererseits, was [[Goethe]] über die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit sagte, ein herabfallendes Blatt von einem herunterflatternden Vogel zu unterscheiden<ref>Vgl. dazu auch: Emanuela Assenza: Die ästhetische Funktion der [[Phänomenologie]] von Maurice [[Merleau-Ponty]]. Diplomarbeit 2010, S. 40 ff., http://emanuela-assenza.com/vita/DiplomarbeitMerleau-Ponty.pdf</ref>.
Bei den Vexierbildern gibt es zwar eine Zweideutigkeit, aber trotzdem wird gerade da deutlich, in welchem Maße das Wahrnehmliche die Herrschaft darüber ausübt, welcher Begriff gültig und wahr auf es angewendet werden darf.(Bei der Abbildung rechts hängt der Umschlag von einem Begriff zu einem anderen auch von der Entfernung ab, aus der das Bild betrachtet wird.) Das ist aber das schon vorkonstituierte Wahnehmliche. Um das Spezielle dieses Vexierbildes wahrnehmen zu können, sind schon unzählige Vereinigungen von Begriff und Wahrnehmung vorausgegangen, wie die Unterscheidung von schwarz und weiß z.B. Dann muß man wissen, was ein toter Schädel ist, und wie eine menschliche Person in Kleidung aussehen kann usw. Das sind für diese besondere Erkenntnisfrage: Smalltalk zweier Solondamen, bzw. eine Dame im Spiegel, oder Totenschädel Vorgegebenheiten. Die Varianten sind nur möglich innerhalb eines Gefüges, das schon als wahr vorausgesetzt ist.


Das Erkenntnisproblem ist bei dem Beispiel des vom Baume herabflatternden Objektes grundsätzlich das gleiche: Es sollen Begriff und Wahrnehmung wahrheitsgemäß zusammengebracht werden. Während jedoch das Vexierbild im Wahrnehmlichen zweideutig bleibt, und die Anwendung zweier verschiedener Begriffe erlaubt, womit man es da dann wohl mit zwei zu unterscheidenden Objekten zu tun haben muß, ist bei dem herabflatternden Objekt vorausgesetzt, daß es sich um ein einziges Objekt handelt. Die Möglichkeit, daß es sich sowohl um ein Blatt als auch um einen Vogel handelt, ist hier ausgeschlossen, von dem praktisch nie vorkommenden Fall abgesehen, daß bei der Wahrnehmung des Objektes dieses ein Vogel ist, und davor oder dahinter fällt zufällig auch ein Blatt herab, bzw. umgekehrt, und der erkennende Mensch hat für einem Moment die beiden Objekte in der Wahrnehmung deckungsgleich bzw. überlappend.
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Angenommen, das Objekt sei in Wirklichkeit ein Vogel, der aber als ein Blatt erkannt wird. Kann man dann davon ausgehen, daß im Erkenntnisprozeß die Gültigkeit des Beobachtungsexperimentes: Begriff Blatt haftet an dem Wahrnehmlichen, das sich vom Baume zum Boden herabbewegt, sorgfältig geprüft wurde? Wohl kaum. Nach einem ersten Zögern wird spontan der Begriff Blatt zugeordnet. Es ist keine Zeit für eine sorgfältige Prüfung. Schon Sekunden später kann es zu der Überraschung kommen, daß das angebliche Blatt im Grase herumhüpft. Wenn der Vogel jedoch sitzen bleibt, klärt sich der Irrtum nicht auf.
 
Im Alltag kommen solche Fehler sehr häufig vor, und oft sind sie vernachlässigbar, und zeitigen meist keine problematischen Konsequenzen. Will man jedoch mit wissenschaftlichem Anspruch erkennen, dürfen solche Irrtümer nicht passieren. Die Schwierigkeit besteht hier bei dem Beispiel in der Entfernung der Wahrnehmung, und in der kurzen Zeit ihres Auftretens. Würde der Vogel von einem sehr hohen Baume herabflattern, oder würde man aus unmittelbarer Nähe beobachten: Dann würde man den Vogel leichter als einen solchen vom Blatt unterscheiden können.


Man müßte eigentlich in solchen Fällen mit seinem Urteil zurückhalten, auf die Erkenntnis verzichten, sich sagen: Es könnte ein Vogel oder ein Blatt sein, und eventuell noch etwas anderes (z.B. ein ferngesteuertes Spielflugzeug). Das bedeutet aber umgekehrt, das der Begriff Blatt in Wirklichkeit gar nicht an dem Wahrnehmlichen haften konnte: Man hat sich nicht nur bezüglich des Wahrnehmlichen als solchem getäuscht, sondern auch darin, daß der versuchte Begriff an der Wahrnehmung hafte.
[[Kategorie:Philosoph]]
[[Kategorie:Mann]]


''Eine'' Möglichkeit für die Wissenschaft der von Bäumen herabflatternden Objekte, (falls die Entfernung nicht verringert werden kann und die Zeit des Herabflatterns zu kurz ist für ein gründlicheres Studium der Objekte), könnte es sein, eine Dauerbeobachtung durchzuführen. Ein Forscher, der täglich in der Herbstzeit bei unterschiedlichen Winden mehrere Stunden herabfallende Blätter beobachtet, und dazu die verschiedenen herabflatternden Vögel, wird bald eine sehr scharfe Wahrnehmung bekommen, wie sich Blätter und Vögel dann doch typisch in ihren Bewegungen auf dem Weg zum Erdboden unterscheiden.
Solch einem spezialisierten Forscher wird man eher vertrauen, als einer Gruppe von Laien, die sich "intersubjektiv" darüber verständigen, ob es nun ein Blatt oder Vogel gewesen sein soll. Und wo dann die herrschende Meinung sich möglicherweise durchsetzt, obwohl sie unwahr sein mag. Der spezialisierte und erfahrene Forscher bzw. die Forscherin verfügt über ''Autorität'', Reputation.
Das Wahrheitskriterium des Anhaftens ist nur anwendbar innerhalb eines schon als wahr vorausgesetzten (oder auch hypothetisch angenommenen) Kontextes, das ist die schon fertig konstituierte Wirklichkeit (das Gefüge, eine Verwebung unzähliger Vereinigungen von Begriffen mit Wahrnehmlichem, und von Begriffen untereinander). Wenn diese dem besonderen Erkenntnisakt, in dem sich ein zu erkennendes Wahrnehmliches zeigt, vorausgesetzte Wirklichkeit in sich schief, verzerrt oder widersprüchlich ist, oder sie auf falschen Grundannahmen beruht, im Ganzen also unwahr ist, dann ist es unmöglich, mittels des Wahrheitskriteriums des Anhaftens eines Begriffes an einem Wahrnehmlichen, innerhalb einer solchen in sich unstimmigen Wirklichkeit, ein Wahrheitsurteil zu fällen, daß ein Begriff mit einer Wahrnehmung zusammenpasse. Diese Tatsache wird in der Wissenschaft für das Umgekehrte genutzt, nämlich um mittels einer als wahr festgestellten Einzelbeobachtung, eine hypothetische Theorie zu überprüfen.
Bei den sinnlichen Wahrnehmungen gibt es einen sicheren, alltagsweltlichen Kontext, der als wahr vorausgesetzt werden kann. Dieser schließt in dem angeführten Beispiel z.B. aus, daß ein Blatt, wenn es zu Boden gefallen ist, auf diesem wie ein Vogel herumhüpfen könne. (Es mag vom Wind wieder aufgewirbelt werden können.)
Die Anwendbarkeit eines Wahrheitskriteriums bei geistigen Erkenntnissen ist ein schwierigeres Problem, das nicht nur darin besteht, eine Wahrheit gültig feststellen zu können, sondern auch darin, die Art des Zustandekommens der Wahrheit für die "Rezipienten" der mitgeteilten Erkenntnisse generell nachvollziebar zu machen.
=== Herbert Witzenmann ===
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"Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Untersuchung ist die Abgrenzung der meditativ gewonnenen Bewußtseinsinhalte gegen visionäre Beeindruckungen und mediumistische Hervorbringungen. Das meditative Bewußtmachen des Übersinnlichen als eines von uns unterbewußt im Wirklichkeitsaufbau Vollzogenen führt stets zu solchen Erfahrungen, welche den Charakter des rückbestimmten Bestimmens haben, der uns aus unseren Evidenzerlebnissen bekannt ist. Alles diese Charakteristik nicht Aufweisende kann nicht den Anspruch des Übersinnlichen erheben. Damit sind die übersinnlichen Erfahrungen erkenntniswissenschaftlich eingeordnet. Es ist damit aber auch ein Unterscheidungsmerkmal gewonnen, welches es ermöglicht, Verwirrung stiftende Verwechslungen, Selbsttäuschungen und unberechtigte oder gar bewußt irreführende Ansprüche auf eine in Wahrheit nicht vorhandene Zuständigkeit für "Übersinnliches" als solche zu erkennen und gegen die echten Befunde der seelischen Beobachtung abzugrenzen." (Lit.: Herbert Witzenmann, Erkenntniswissenschaftliche Bemerkungen zur Bildhaftigkeit des übersinnlichen Schauens, S. 114)
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=== Helmut Kiene ===
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"Nicht das Mythische, sondern die Steigerung des Logischen, nicht das Aufgeben der Rationalität, sondern das Überwinden der Rationalität in ihrer bisher gängigen Form, nicht das Zurückbleiben hinter der Wissenschaft, sondern das Vordringen in eine von Unwissenschaftlichkeit bereinigte Gestalt der Wissenschaft ist die Möglichkeit zum Aufgang innerhalb des Niedergangs. Es können Schritte zu einer ''essentialen'' Wissenschaft, zu einer Wissenschaft der Wesenserkenntnis getan werden." (Lit.:Kiene, aus dem Vorwort)
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"Es ist ein entscheidender Unterschied, ob ein Vorgang lediglich Tag für Tag beobachtet wird - soweit das Erinnerungsvermögen zurückreicht, ''alle'' Tage - oder ob man ein Verständnis für ''das Wesen der zugrundeliegenden Zusammenhänge'' gewonnen hat. Über diesen Unterschied kann sich letztlich nur ein anti-essentialistisches und falsifikationistisches Allsatz-Konzept" <ref>Ein Allsatz ist z.B.: Alle Schwäne sind weiß.</ref> "hinwegtäuschen, und zwar deshalb, weil man sich bei diesem Konzept von vornherein auf die Auffassung festgelegt hat, daß es gar keine anderen Erkenntnisse geben könne als die Erkenntnisse von Regelmäßigkeiten. Ob das ''Wesen'' eines Zusammenhanges durchschaut und deshalb die Regelmäßigkeit ''begründbar'' ist oder nicht, macht keinen Unterschied aus, solange man auf dem falsifikationistischen Standpunkt beharrt. Man gibt sich dann nämlich der Überzeugung hin, daß, wie jede Theorie, so auch diese Begründung irgendwann wieder falsifiziert werden dürfte, ja, daß sie doch sogar prinzipiell falsifizierbar sein ''müsse'', um überhaupt als wissenschaftlich gelten zu können." (Lit.:Kiene, S. 62)
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Gegen diese Auffassung, daß eine wissenschaftliche Aussage grundsätzlich [[Falsifikation|falsifizierbar]] sein müsse, führt Kiene ins Feld, daß es wahre, nicht falsifizierbare Aussagen bzw. Erkenntnisse gäbe. Popper hatte als ein Beispiel der Falsifikation angeführt, daß durch die Beobachtung, daß am Polarkreis die Sonne nicht alle 24 Stunden auf- und unterginge, der Allsatz: Die Sonne geht alle 24 Stunden auf und unter, widerlegt sei. Kiene kommentiert dazu:
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"Es läßt sich der Grund erkennen, warum in den Polargebieten andere Sonnenauf- und Sonnenuntergangsverhältnisse herrschen als auf dem Breitengrad von Griechenland. Der Grund ist die sphärische Form der Erde, die schräggestellte Erdachse sowie die Rotations- und Zirkulationsbeziehungen zwischen Erde und Sonne. Der Grund ist das ''Wesen'' des Zusammenhangs zwischen Sonne und Erde." (S. 66)
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Die Erkenntnis dieses Grundes, des Wesens des Zusammenhangs, ist nach Kiene eine wahre, nicht falsifizierbare Erkenntnis, eine "essentiale" (lat. Essentia = Wesen) Erkenntnis. Daß man sich über das Wesen einer Sache auch täuschen kann, wird an dieser Stelle von Kiene nicht thematisiert. Er meint, bereits an einem Einzelfall jeweils komme die essentiale Erkenntnis zum Erfolg:
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"Es war ein erkenntnistheoretischer Fehler von David Hume, daß er meinte, ursächliche Zusammenhänge könnten nur durch eine statistische Zusammenfassung vieler Einzelbeobachtungen erkannt werden." (S. 68)
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"Der kausale Zusammenhang wird entweder in einem bestimmten ''Einzelfall'' erkannt, oder er wird überhaupt nicht als kausale Beziehung erkannt." (S. 68)
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== Siehe auch ==
[[wikipedia:Wahrheit#Einwände gegen den Begriff der Wahrheit|Wahrheit#Einwände gegen den Begriff der Wahrheit]]
[[Evidenz]]
[[Intuition]]
[[Irrtum]]
== Nachweise ==
<references />
== Literatur ==
*[[Herbert Witzenmann]]: ''Ein Weg zur Wirklichkeit. Anmerkungen zum Wahrheitsproblem'', Aufsatz, abgedruckt in: Intuition und Beobachtung, Bd. 2, Freies Geistesleben, 1978, S. 9 -46 (geänderter und erweiterter Nachdruck von Aufsatz in Die Drei, Okt. 1976)
*Herbert Witzenmann: ''Das Wahrheitsproblem im Lichte der Urteilslehre Rudolf Steiners'', Aufsatz in: Verstandesblindheit und Ideenschau. Die Überwindung des Intellektualismus als Zeitforderung, S. 16-32, Gideon Spicker, 1985
*Herbert Witzenmann: ''Erkenntniswissenschaftliche Bemerkungen zur Bildhaftigkeit des übersinnlichen Schauens'', in: Verstandesblindheit und Ideenschau. Die Überwindung des Intellektualismus als Zeitforderung, Gideon Spicker, 1985, S. 96 - 122. (Zuerst als Aufsatz in den 'Beiträgen zur Weltlage' (Nr. 71, 1984), überarbeitet), ISBN 3857041730
*[[Helmut Kiene]]: ''Grundlinien einer essentialen Wissenschaftstheorie. Die Erkenntnistheorie Rudolf Steiners im Spannungsfeld moderner Wissenschaftstheorien. Perspektiven essentialer Wissenschaft'', Verlag Urachhaus/Freies Geistesleben (1984), ISBN 3878389507
[[Kategorie:Wissenschaftstheorie]]
[[Kategorie:Erkenntnistheorie]]
[[Kategorie:Anthroposophie]]
[[Kategorie:Philosophie und Anthroposophie]]
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Version vom 1. August 2017, 21:33 Uhr

Maurice Merleau-Ponty

Maurice Merleau-Ponty (* 14. März 1908 in Rochefort-sur-Mer; † 3. Mai 1961 in Paris) war ein französischer Philosoph und Phänomenologe.

Leben

Merleau-Ponty wurde hauptsächlich von seiner Mutter, zu der er zeit seines Lebens eine enge Bindung aufrechterhielt, im katholischen Sinne erzogen. Er wurde ab 1926 mit Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Jean Hyppolite bekannt, nachdem er 1924 seine Schullaufbahn mit dem „baccalauréat“ abgeschlossen hatte.

1930 legte er seine Agrégation in Philosophie ab. Beeinflusst haben ihn vor allem die Schriften von Léon Brunschvicg und Henri Bergson. Auch der Schriftsteller, Philosoph und Historiker Émile Bréhier und Jean Laporte prägten ihn. Von 1931–35 war Merleau-Ponty Lehrer in Beauvais und Chartres. Danach folgte 1935–39 eine Arbeit als Repetitor an der École normale supérieure. 1935-37 arbeitete er auch an der Zeitschrift Esprit mit, hörte 1935 Hegel-Vorlesungen bei Alexandre Kojève und begann mit dem Studium von Karl Marx.

Von 1939–40 arbeitete Merleau-Ponty als Philosophielehrer an verschiedenen Gymnasien in Paris. 1944/1945 war er der Nachfolger Jean-Paul Sartres am Pariser Lycée Condorcet. 1945 wurde er promoviert. Danach schloss sich eine Universitätslaufbahn in Lyon an, wo er als Professor für Philosophie lehrte. Im Jahr 1948 war er Mitbegründer des Comité français d’échanges avec l’Allemagne nouvelle in Paris. Von 1949–52 arbeitete er als Professor für Kinderpsychologie und Pädagogik an der Sorbonne. 1952 wurde Merleau-Ponty Professor für Philosophie am berühmten Collège de France. 1955 brach er mit Sartre und Beauvoir. 1959 widmete er sich verstärkt der Arbeit an Das Sichtbare und das Unsichtbare, welches er nicht mehr abschließen konnte. Am 3. Mai 1961 starb Merleau-Ponty unerwartet.

Werk

Merleau-Ponty ist neben Paul Ricoeur, Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre, Gabriel Marcel, Emmanuel Levinas und Aron Gurwitsch einer der wichtigsten Vertreter der französischen Phänomenologie.

Aufgrund seiner engen Bindung zu Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir wird er oft für einen Existenzialisten gehalten; obwohl der Existentialismus in das Werk Merleau-Pontys einfließt, kann er wegen seiner (eher vorsichtigen) Ablehnung einer Bestimmung der Existenz als absolut oder isoliert dennoch nicht dieser philosophischen Richtung zugeordnet werden. Trotz aller Unterschiede zwischen den philosophischen Entwürfen sind viele einzelne seiner phänomenologischen Analysen mit denen z.B. Jean-Paul Sartres deckungsgleich.

Merleau-Pontys Philosophie lässt die Phänomenologie in einen intensiven Dialog mit den Denkstilen des Strukturalismus, der Gestalttheorie, Psychologie und verschiedenen philosophischen Denktraditionen eintreten. Der Schwerpunkt seiner äußerst vielfältigen und weit ausspannenden denkerischen Arbeiten ist dabei die Rolle des Leibes, als den der Mensch sich selbst und die Welt erfährt.

Grundgedanken

Nach intensiver Auseinandersetzung mit Husserl und dessen Assistent und Schüler Heidegger bietet Merleau-Ponty einen „Dritten Weg“ zur Erhellung des fundamentalen Zusammenhangs von Dasein und Welt an, indem er die grundlegende Verfasstheit des Subjekts nicht wie Husserl in der Intentionalität seines Bewusstseins sieht, und auch nicht in seinem Sein als Dasein im Sinne Heideggers, sondern in seiner Leiblichkeit, die er in einem oszillierenden Gespräch zwischen Empirismus und Intellektualismus herausarbeitet. Die aus ihr zu verstehende ursprüngliche Welterfahrung setzt er gegen das weltliche Sein des Daseins bei Heidegger und gegen die Konstitution der Welt bei Husserl, die er als eine nachträgliche Rekonstruktion ansieht und als von einer phänomenologischen Deskription weit entfernt einschätzt. Insbesondere an dieser Stelle zeigt sich die positive kritische Erweiterung der Phänomenologie durch Merleau-Ponty. Eine der wichtigsten Konsequenzen, die er aus der Beschäftigung mit Husserls Phänomenologie zieht, ist die Unmöglichkeit der vollständigen Reduktion (Epoché).

Literatur


Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.


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