Typus: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 2. März 2018, 14:46 Uhr

Der Typus (lat.; von griech. τύπος týpos „Urbild, Vorbild“) ist ein zentraler Begriff in Goethes Metamorphosenlehre. Goethe bezeichnet damit das arttypische ideelle Urbild, die archetypische begriffliche Urgestalt, die in jeder Pflanzen- oder Tierart gestaltend wirkt. Der Typus der Pflanzen ist die Urpflanze; der Typus der Tiere das Urtier.

„Ich war völlig überzeugt, ein allgemeiner, durch Metamorphose sich erhebender Typus gehe durch die sämtlichen organischen Geschöpfe durch, lasse sich in allen seinen Teilen auf gewissen mittlern Stufen gar wohl beobachten und müsse auch noch da anerkannt werden, wenn er sich auf der höchsten Stufe der Menschheit ins Verborgene bescheiden zurückzieht.“

Goethe: Tag- und Jahreshefte: 1790[1]

„In der unorganischen Welt herrscht Wechselwirkung der Teile einer Erscheinungsreihe, gegenseitiges Bedingtsein der Glieder derselben durcheinander. In der organischen ist dies nicht der Fall. Hier bestimmt nicht ein Glied eines Wesens das andere, sondern das Ganze (die Idee) bedingt jedes Einzelne aus sich selbst, seinem eigenen Wesen gemäß. Dieses sich aus sich selbst Bestimmende kann man mit Goethe eine Entelechie nennen. Entelechie ist also die sich aus sich selbst in das Dasein rufende Kraft. Was in die Erscheinung tritt, hat auch sinnenfälliges Dasein, aber dies ist durch jenes entelechische Prinzip bestimmt. Daraus entspringt auch der scheinbare Widerspruch. Der Organismus bestimmt sich aus sich selbst, macht seine Eigenschaften einem vorausgesetzten Prinzipe gemäß, und doch ist er sinnlich-wirklich. Er ist also auf eine ganz andere Weise zu seiner sinnlichen Wirklichkeit gekommen als die andern Objekte der Sinnenwelt; er scheint daher auf nicht natürlichem Wege entstanden zu sein. Nun ist es aber auch ganz erklärlich, dass der Organismus in seiner Äußerlichkeit ebenso den Einflüssen der Sinnenwelt ausgesetzt ist, wie jeder andere Körper. Der vom Dache fallende Stein kann ebenso ein lebendes Wesen, wie einen unorganischen Körper treffen. Durch Aufnahme von Nahrung usw. ist der Organismus mit der Außenwelt im Zusammenhange; alle physischen Verhältnisse der Außenwelt wirken auf ihn ein. Natürlich kann dies auch nur insofern stattfinden, als der Organismus Objekt der Sinnenwelt, räumlich-zeitliches Objekt ist. Dieses Objekt der Außenwelt nun, das zum Dasein gekommene entelechische Prinzip, ist die äußere Erscheinung des Organismus. Da er hier aber nicht nur seinen eigenen Bildungsgesetzen, sondern auch den Bedingungen der Außenwelt unterworfen ist, nicht nur so ist, wie er dem Wesen des sich aus sich selbst bestimmenden entelechischen Prinzips gemäß sein sollte, sondern so, wie er von anderem abhängig, beeinflusst ist, so erscheint er gleichsam sich selbst nie ganz angemessen, nie bloß seiner eigenen Wesenheit gehorchend. Da tritt nun die menschliche Vernunft ein und bildet sich in der Idee einen Organismus, der nicht den Einflüssen der Außenwelt gemäß, sondern nur jenem Prinzipe entsprechend ist. Jeder zufällige Einfluss, der mit dem Organischen als solchem nichts zu tun hat, fällt dabei ganz weg. Diese rein dem Organischen im Organismus entsprechende Idee ist nun die Idee des Urorganismus, der Typus Goethes. Hieraus sieht man auch die hohe Berechtigung dieser Typusidee ein. Sie ist nicht ein bloßer Verstandesbegriff, sie ist dasjenige, was in jedem Organismus das wahrhaft Organische ist, ohne welches derselbe nicht Organismus wäre. Sie ist sogar reeller als jeder einzelne wirkliche Organismus, weil sie sich in jedem Organismus offenbart. Sie drückt auch das Wesen eines Organismus voller, reiner aus als jeder einzelne, besondere Organismus. Sie ist auf wesentlich andere Weise gewonnen als der Begriff eines unorganischen Vorganges. Jener ist abgezogen, abstrahiert aus der Wirklichkeit, er ist nicht in letzterer wirksam; die Idee des Organismus aber ist als Entelechie im Organismus tätig, wirksam; sie ist in der von unserer Vernunft erfassten Form nur die Wesenheit der Entelechie selbst. Sie fasst die Erfahrung nicht zusammen; sie bewirkt das zu Erfahrende. Goethe drückt dies mit den Worten aus: «Begriff ist Summe, Idee Resultat der Erfahrung; jene zu ziehen, wird Verstand, dieses zu erfassen, Vernunft erfordert.»[2] (Sprüche in Prosa) Damit ist jene Art der Realität, die dem Goetheschen Urorganismus (Urpflanze oder Urtier) zukommt, erklärt. Diese Goethesche Methode ist offenbar die einzig mögliche, um in das Wesen der Organismenwelt einzudringen.“ (Lit.:GA 1, S. 83ff)

„Der auf sich selbst gebaute Typus enthält die Möglichkeit, bei seinem Eintreten in die Erscheinung unendlich mannigfaltige Formen anzunehmen; und diese Formen sind der Gegenstand unserer sinnlichen Anschauung, sie sind die im Raume und in der Zeit lebenden Gattungen und Arten der Organismen. Indem unser Geist jene allgemeine Idee, den Typus erfaßt, hat er das ganze Organismenreich in seiner Einheit begriffen. Wenn er nun die Gestaltung des Typus in jeder besonderen Erscheinungsform anschaut, wird ihm die letztere begreiflich; sie erscheint ihm als eine der Stufen, der Metamorphosen, in denen sich der Typus verwirklicht. Und diese verschiedenen Stufen aufzuzeigen, sollte das Wesen der durch Goethe zu begründenden Systematik sein. Sowohl im Tier- wie im Pflanzenreiche herrscht eine aufsteigende Entwicklungsreihe; die Organismen gliedern sich in vollkommene und unvollkommene. Wie ist dieses möglich? Die ideelle Form, der Typus der Organismen hat eben das Charakteristische, daß er aus räumlich zeitlichen Elementen besteht. Es erschien deshalb auch Goethe als eine sinnlich-übersinnliche Form. Er enthält räumlich-zeitliche Formen als ideelle Anschauung (intuitiv). Wenn er nun in die Erscheinung tritt, kann die wahrhaft (nicht mehr intuitiv) sinnliche Form jener ideellen völlig entsprechen oder nicht; es kann der Typus zu seiner vollkommenen Ausbildung kommen oder nicht. Die niederen Organismen sind eben dadurch die niederen, daß ihre Erscheinungsform nicht völlig dem organischen Typus entspricht. Je mehr äußere Erscheinung und organischer Typus in einem bestimmten Wesen sich decken, desto vollkommener ist dasselbe. Dies ist der objektive Grund einer aufsteigenden Entwicklungsreihe. Die Aufzeigung dieses Verhältnisses bei jeder Organismenform ist die Aufgabe einer systematischen Darstellung. Bei Aufstellung des Typus, der Urorganismen, kann aber hierauf keine Rücksicht genommen werden; es kann sich dabei nur darum handeln, eine Form zu finden, welche den vollkommensten Ausdruck des Typus darstellt. Eine solche soll Goethes Urpflanze bieten.“ (Lit.:GA 1, S. 102f)

„Hiebei fühlte ich bald die Notwendigkeit einen Typus aufzustellen, an welchem alle Säugetiere nach Übereinstimmung und Verschiedenheit zu prüfen wären, und wie ich früher die Urpflanze aufgesucht, so trachtete ich nunmehr das Urtier zu finden, das heißt denn doch zuletzt: den Begriff, die Idee des Tiers.“

Goethe: Morphologie: Der Inhalt bevorwortet[3]

"Während man also die Erscheinungen der leblosen Natur aus Ursachen zu erklären suchte, die innerhalb der Welt liegen, glaubte man für die Organismen außerweltliche Erklärungsprinzipien annehmen zu müssen. Den Versuch, die Erscheinungen des Lebens ebenfalls auf Ursachen zurückzuführen, die innerhalb der uns beobachtbaren Welt liegen, hat man vor Goethe nicht versucht, ja der berühmte Philosoph Immanuel Kant hat noch 1790 jeden solchen Versuch «ein Abenteuer der Vernunft» genannt. Man dachte sich einfach jede der Linneschen Arten nach einem bestimmten vorgedachten Plan geschaffen und meinte eine Erscheinung erklärt zu haben, wenn man den Zweck erkannte, dem sie dienen soll. Eine solche Anschauungsweise konnte Goethe nicht befriedigen. Der Gedanke eines Gottes, der außerhalb der Welt ein abgesondertes Dasein führt und seine Schöpfung nach äußerlich aufgedrängten Gesetzen lenkte, war ihm fremd. Sein ganzes Leben hindurch beherrschte ihn der Gedanke:

«Was war' ein Gott, der nur von außen stieße,
Im Kreis das All am Finger laufen ließe?
Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen,
So daß, was in ihm lebt und webt und ist,
Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.»

Was mußte Goethe, dieser Gesinnung gemäß, in der Wissenschaft der organischen Natur suchen? Erstens ein Gesetz, welches erklärt, was die Pflanze zur Pflanze, das Tier zum Tiere macht, zweitens ein anderes, das begreiflich macht, warum das Gemeinsame, allen Pflanzen und Tieren zugrunde Liegende in einer solchen Mannigfaltigkeit von Formen erscheint. Das Grundwesen, das sich in jeder Pflanze ausspricht, die Tierheit, die in allen Tieren zu finden ist, die suchte er zunächst. Die künstlichen Scheidewände zwischen den einzelnen Gattungen und Arten mußten niedergerissen, es mußte gezeigt werden, daß alle Pflanzen nur Modifikationen einer Urpflanze, alle Tiere eines Urtieres sind. Daß wir die Urform erkennen können, die allen Organismen zugrunde liegt, und daß wir die gesetzmäßigen Ursachen innerhalb unserer Erscheinungswelt zu finden imstande sind, welche bewirken, daß diese Urform einmal als Lilie, das andere Mal als Eiche erscheint, hatte Kant für unmöglich erklärt. Goethe unternahm «das Abenteuer der Vernunft» und hat damit eine wissenschaftliche Tat ersten Ranges vollbracht. Goethe ging also darauf aus: sich eine Vorstellung von jener Urform zu machen und die Gesetze und Bedingungen zu suchen, welche das Auftreten in den mannigfachen Gestalten erklären. Beiden Forderungen muß aber, seiner Meinung nach, die Wissenschaft gerecht werden. Wer keinen Begriff von der Urform hat, der kann zwar die Tatsachen angeben, unter deren Einfluß sich eine organische Form in die andere verwandelt hat, er kann aber niemals zu einer wirklichen Erklärung gelangen. Deshalb betrachtete es Goethe als seine erste Aufgabe, die Urpflanze und das Urtier oder, wie er es auch nannte, den Typus der Pflanzen und der Tiere zu finden.

Was versteht Goethe unter diesem Typus? Er hat sich darüber klar und unzweideutig ausgesprochen. Er sagt, er fühlte die Notwendigkeit: «einen Typus aufzustellen, an welchem alle Säugetiere nach Übereinstimmung und Verschiedenheit zu prüfen wären, und wie ich früher die Urpflanze aufgesucht, so trachtete ich nunmehr das Urtier zu finden, das heißt denn doch zuletzt: den Begriff, die Idee des Tieres». Und ein anderes Mal mit noch größerer Deutlichkeit: «Hat man aber die Idee von diesem Typus gefaßt, so wird man recht einsehen, wie unmöglich es sei, eine einzelne Gattung als Kanon aufzustellen. Das Einzelne kann kein Muster des Ganzen sein, und so dürfen wir das Muster für alle nicht im Einzelnen suchen. Die Klassen, Gattungen, Arten und Individuen verhalten sich wie die Fälle zum Gesetz: sie sind darin enthalten, aber sie enthalten und geben es nicht.» Hätte man also Goethe gefragt, ob er in einer bestimmten Tier- oder Pflanzenform, die zu irgendeiner Zeit existiert hat, seine Urform, seinen Typus verwirklicht sehe, so hatte er ohne Zweifel mit einem kräftigen Nein geantwortet. Er hätte gesagt: So wie der Haushund, so ist auch der einfachste tierische Organismus nur ein Spezialfall dessen, was ich unter Typus verstehe. Den Typus findet man überhaupt nicht in der Außenwelt verwirklicht, sondern er geht uns als Idee in unserem Innern auf, wenn wir das Gemeinsame der Lebewesen betrachten. Sowenig der Physiker einen einzelnen Fall, eine zufällige Erscheinung zum Ausgangspunkte seiner Untersuchungen macht, sowenig darf der Zoologe oder Botaniker einen einzelnen Organismus als Urorganismus ansprechen. Und hier ist der Punkt, an dem es klar werden muß, daß der neuere Darwinismus weit hinter Goethes Grundgedanken zurückbleibt. Diese wissenschaftliche Strömung findet, daß es zwei Ursachen gibt, unter deren Einfluß eine organische Form sich in eine andere umformen kann: die Anpassung und den Kampf ums Dasein. Unter Anpassung versteht man die Tatsache, daß ein Organismus infolge von Einwirkungen der Außenwelt eine Veränderung in seiner Lebenstätigkeit und in seinen Gestaltverhältnissen annimmt. Er erhält dadurch Eigentümlichkeiten, die seine Voreltern nicht hatten. Auf diesem Wege kann sich also eine Umformung bestehender organischer Formen vollziehen. Das Gesetz vom Kampf ums Dasein beruht auf folgenden Erwägungen. Das organische Leben bringt viel mehr Keime hervor, als auf der Erde Platz zu ihrer Ernährung und Entwickelung finden. Nicht alle können zur vollen Reife kommen. Jeder entstehende Organismus sucht aus seiner Umgebung die Mittel zu seiner Existenz. Es ist unausbleiblich, daß bei der Fülle der Keime ein Kampf entsteht zwischen den einzelnen Wesen. Und da nur eine begrenzte Zahl den Lebensunterhalt finden kann, so ist es natürlich, daß diese aus denen besteht, die sich im Kampf als die stärkeren erweisen. Diese werden als Sieger hervorgehen. Welche sind aber die Stärkeren? Ohne Zweifel diejenigen mit einer Einrichtung, die sich als zweckmäßig erweist, um die Mittel zum Leben zu beschaffen. Die Wesen mit unzweckmäßiger Organisation müssen unterliegen und aussterben. Deswegen, sagt der Darwinismus, kann es nur zweckmäßige Organisationen geben. Die anderen sind einfach im Kampf ums Dasein zugrunde gegangen. Der Darwinismus erklärt mit Zugrundelegung dieser beiden Prinzipien den Ursprung der Arten so, daß sich die Organismen unter dem Einfluß der Außenwelt durch Anpassung umwandeln, die hierdurch gewonnenen neuen Eigentümlichkeiten auf ihre Nachkommen verpflanzen und von den auf diese Weise umgewandelten Formen immer diejenigen sich erhalten, welche in dem Umwandlungsprozesse die zweckentsprechendste Gestalt angenommen haben.

Gegen diese beiden Prinzipien hätte Goethe zweifellos nichts einzuwenden. Wir können nachweisen, daß er beide bereits gekannt hat. Für ausreichend aber, um die Gestalten des organischen Lebens zu erklären, hat er sie nicht gehalten. Sie waren ihm äußere Bedingungen, unter deren Einfluß das, was er Typus nannte, besondere Formen annimmt und sich in der mannigfaltigsten Weise verwandeln kann. Bevor sich etwas umwandelt, muß es aber erst vorhanden sein. Anpassung und Kampf ums Dasein setzen das Organische voraus, das sie beeinflussen. Die notwendige Voraussetzung sucht Goethe erst zu gewinnen. Seine 1790 veröffentlichte Schrift «Versuch, die Metamorphose der Pflanzenzu erklären» verfolgt den Gedanken, eine ideale Pflanzengestalt zu finden, welche allen pflanzlichen Wesen als deren Urbild zugrunde liegt. Später versuchte er dasselbe auch für die Tierwelt." (Lit.: GA 030, S. 73ff)

Literatur


Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Goethe-BA Bd. 16, S 16
  2. Goethe, BA 18, 642 (Maximen und Reflexionen)
  3. Goethe, HA Bd. 13, S 63