Gerechtigkeit

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Die Gerechtigkeit (griech. δικαιοσύνη dikaiosýne, lat. iustitia, engl. und franz. justice) ist eine der vier von Platon genannten Kardinaltugenden. Nach seiner Auffassung ist sie die herausragende Tugend, der gemäß jeder nur das erfüllt, was seine Aufgabe ist (→ Idiopragieformel) und durch die er die drei Seelenteile, nämlich das Begehrende, das Muthafte und das Vernünftige, im rechten Gleichgewicht hält[1].

Gerechtigkeit und Ich-Kraft

Gerechtigkeit ist derart der Ausdruck der Ich-Kraft, die die Seelenkräfte des Denkens, Fühlens und Wollens in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander bringt. Diese innere Ausgewogenheit ist die notwendige Voraussetzung, um auch im äußeren Leben den anderen Menschen gegenüber Gerechtigkeit walten zu lassen. Die Gerechtigkeit ist darüber hinaus ein Maß dafür, wie wir mit dem Göttlichen zusammenhängen. Insofern die Aufrichtekraft des Menschen ebenfalls Ausdruck seines Ichs ist, hängt die Gerechtigkeit auch mit dieser zusammen - nur der aufrechte Mensch kann gerecht sein. Insofern sich der Mensch nur auf der Grundlage des festen Erdbodens aufrichten kann, hängt die Gerechtigkeit auch mit dem Erdelement bzw. mit der Verdichtung des Materiellen zusammen. Für viele Kabbalisten ist sogar das göttliche Gericht, mit seiner Kraft zu trennen und zu scheiden, die eigentliche Ursache für die Schöpfung der äußeren materiellen Welt, zugleich aber eben dadurch auch die Wurzel des Bösen, der Verfinsterung des Geistigen durch die Materie. Der Zaddik (hebr. צדיק), d.h. ein „Rechtschaffener“ oder „Gerechter“, ein als heilig oder moralisch herausragend geachteten Mann im Chassidismus, ist auch in dieser Finsternis ein sicherer Führer zum geistigen Licht. Von ihm heißt es: „Wenn der Sturm daherbraust, ist der Frevler verloren, der Gerechte ist fest gegründet für immer.“ (Spr 10,25 EU)

Gerechtigkeit und die Aufrichtekraft des Menschen

„Dieselbe Kraft, die wir gebrauchen als Kind, wenn wir uns vom kriechenden Wesen aufrichten, lebt in uns, wenn wir die Tugend der Gerechtigkeit, die vierte der von Plato angeführten, haben.

Wer wirklich die Tugend der Gerechtigkeit übt, stellt ein jedes Ding, ein jedes Wesen an den richtigen Platz hin, geht aus sich heraus und in die andern hinein. Das heißt, in der allumfassenden Gerechtigkeit leben. In der Weisheit leben, heißt, die besten Früchte ziehen aus den Kräften, die wir in früheren Inkarnationen aufgespeichert haben. Und wenn wir da schon hinweisen mußten auf dasjenige, was uns in den früheren Inkarnationen zuteil war, wo noch göttliche Kräfte uns durchzogen, müssen wir bei der Gerechtigkeit noch mehr darauf hinweisen: Wir stammen aus dem Kosmos. Gerechtigkeit üben wir, wenn wir die Kräfte entfalten, durch die wir mit dem ganzen Kosmos, aber in geistiger Beziehung, zusammenhängen. Die Gerechtigkeit stellt das Maß dazu dar, wie ein Mensch mit dem Göttlichen zusammenhängt. Die Ungerechtigkeit ist, praktisch, gleich dem Gottlosen, gleich dem, der seinen göttlichen Ursprung verloren hat, und wir lästern Gott, den Gott, von dem wir abstammen, wenn wir irgendeinem Menschen Unrecht tun.“ (Lit.:GA 159, S. 23)

Gerechtigkeit, Moralität und physischer Leib

Die 4 Kardinaltugenden (GA 170, S 78)

Mit der Gerechtigkeit strömt die Moralität unmittelbar bis in den physischen Leib:

„Und als vierte umfassende Tugend, die nun in den ganzen physischen Leib strömt, von dem ich Ihnen gestern gezeigt habe, daß er eigentlich unsichtbar ist, nennt Plato Dikaiosyne. Das müssen wir übersetzen mit Gerechtigkeit, obwohl das Wort Gerechtigkeit in den modernen Sprachen nicht vollständig damit übereinstimmt; denn Gerechtigkeit müssen wir so nehmen: daß der Mensch sich zu richten weiß, gerecht, richtungsgemäß, daß er einer menschlichen Richtung folgt im Leben. Also es ist nicht das abstrakte Wort Gerechtigkeit bloß gemeint, sondern das Sich-Richtung-Gebende, Sich-Auskennende, Sich-Orientierende im Leben. So daß wir sagen können: Da hat die Einströmung der Moralitätssphäre in den ganzen physischen Leib Anteil als Gerechtigkeit (rot).“ (Lit.:GA 170, S. 79f)

Gerechtigkeit und die vierte Seligpreisung der Bergpredigt

Die Gerechtigkeit wird auch in der vierten Seligpreisung der Bergpredigt angesprochen.

„Selig sind die, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.“

Sie bezieht sich laut Rudolf Steiner auf die Empfindungsseele, in der bereits das Ich zu wirken beginnt, wodurch der Hunger und Durst nach Gerechtigkeit erwacht:

„Wenn wir jetzt zu dem Ich hinauf kommen, so wissen wir, daß dieses Ich arbeitet in der Empfindungsseele, in der Verstandesseele und in der Bewußtseinsseele. Das Ich arbeitet in der Empfindungsseele, das heißt, es vergeistigt die Empfindungsseele. Dadurch wird für den Menschen in der äußeren Welt dasjenige zu einer wichtigen Angelegenheit, was gerade durch das Christentum verbreitet werden soll: die Allgerechtigkeit ausgießende menschliche Bruderliebe. Was sonst die Empfindungsseele nur im Physischen empfindet, Durst und Hunger, das muß sie durch das Christentum in bezug auf das Geistige zu empfinden lernen: Durst und Hunger nach der allwaltenden Gerechtigkeit. Diejenigen, welche so das Zentrum des Menschen im Ich finden, werden dadurch, daß sie an sich selber arbeiten, befriedigt werden für ihr Verlangen in der Empfindungsseele nach allwaltender irdischer Gerechtigkeit. Gotterfüllt werden sie sein, die durch den Christus-Impuls lernen nach Gerechtigkeit zu dürsten und zu hungern, wie man nach physischer Nahrung hungert und dürstet, denn durch die starke Kraft in ihrem Innern werden sie dadurch, daß sie arbeiten an der Gerechtigkeit in der Welt, in sich selber finden die Sattheit für diese Eigenschaft!“ (Lit.:GA 116, S. 89f)

Ursprung der Gerechtigkeit auf dem alten Saturn

Die Gerechtigkeit hat ihre Entwicklung auf dem alten Saturn begonnen und wird mit dem Ende der Erdentwicklung ihre Aufgabe erfüllt haben:

„Wenn wir den Menschen so betrachten, wie er heute auf der Erde lebt, so steckt ja, man könnte sagen, samenhaft in ihm schon das, was während der Jupiter-, während der Venus-, während der Vulkanperiode sich entwickeln wird. Aber ebenso ist der Mensch ein Ergebnis der Saturn-, Sonnen-, Monden-, Erdensphäre. Ich sagte gestern: Das Weisheitliche, das Wahrheitsmäßige ist schon auf der Sonne veranlagt und wird auf dem Jupiter abgeschlossen sein. Wollen wir uns das auch einmal graphisch darstellen.

Zeichnung aus GA 170, S 88
Zeichnung aus GA 170, S 88

Für die Keimanlage auf der Sonne wird auf dem Jupiter ein gewisser Abschluß erreicht sein; so daß wir also sagen können: Von der Sonne zum Jupiter ist die eigentliche Entwickelung der Wahrheit; sie wird auf dem Jupiter ganz innerlich geworden sein; dann wird sie eben ganz Weisheit sein: Wahrheit wird Weisheit!

Auf dem Mond beginnt dann dasjenige, was die ästhetische Sphäre enthält. Das wird abgeschlossen sein auf der Venus. Wir können das etwa so zeichnen: Mond, abgeschlossen Venus; wir haben also hier die Entwickelung der Schönheit. Sie sehen, das greift über.

Eigentlich ruht das alles in unseren Untergründen, im Unterbewußten, was in diesen zwei Strömungen, und auch noch in der dritten enthalten ist; denn während der Erdenentwickelung beginnt nun das, was wir nennen können die Moralitätssphäre. Sie erreicht ihren Abschluß auf dem Vulkan. Wir haben also eine dritte Strömung, wiederum übergreifend: die Strömung der Moralität. Dazu haben wir noch eine vierte Strömung, die abgeschlossen sein wird, wenn einmal die Erde am Ziel ihrer Entwicklung angelangt sein wird. Mit der Erde beginnt die Moralität. Aber sie schließt eine höhere Ordnung wiederum ab, eine Ordnung, die schon begonnen hat am Saturn; so daß wir nun eine Ordnung, eine Strömung haben vom Saturn zur Erde, und diese wird nun genannt: Gerechtigkeit, in dem Sinne, wie ich früher das Wort erklärt habe. Sie wissen, daß auf dem Saturn die Sinne zuerst veranlagt wurden. Diese Sinne würden den Menschen nach allen Richtungen zerstreuen. Sie wissen, zwölf Sinne unterscheiden wir - der Sinn würde, indem er sich entwickelt durch Sonne, Mond und Erde, den Menschen zur Orientierung, zur Gerechtigkeit tragen, wo auch die moralische Gerechtigkeit dann, wenn sie von der Moralnatur der Erde erfaßt wird, erst eingeschlossen wird; moralische Gerechtigkeit ist erst auf der Erde vorhanden. Was da innerlich wirkt dem Peripherischen der Sinne gegenüber als Zentralisches, das ist die Sphäre oder Strömung der Gerechtigkeit.“ (Lit.:GA 170, S. 88f)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Platon: Politeia 443d
Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Gerechtigkeit aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.