Vipassana und Harald Welzer: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Vipassanā''' ([[Wikipedia:Pali|Pali]]) bzw. '''Vipaśyanā''' ([[Sanskrit|skrt.]]; [[Wikipedia:Tibetische Sprache|tib.]] ''Lhagthong'') ist die zentrale Form des [[Buddhismus|buddhistischen]] Trainings von Herz wie Geist.<ref> Der Palibegriff "cittam" bedeutet genauso Herz wie Geist, also eigentlich "Herzgeist", wird aber im Westen meist bloß mit "Geist" wiedergegeben. Dies ist irreführend, weil es nicht nur um ein Training der kognitiven Fähigkeiten, sondern genauso um ein Training der Herzqualitäten geht. Und letztere gelten in allen Richtungen des Buddhismus als die Voraussetzung für die tieferen, befreienden Einsichten.</ref>  "Vipassanā" steht heute auch für die verschiedenen Praxistraditionen des frühen Buddhismus [[Wikipedia:Theravada|Theravāda]] (Südostasien, Sri Lanka), in deren Zentrum die systematische Schulung von ''[[Achtsamkeit]]'' steht. Der Begriff "Vipassanā" kommt gegenwärtig auch zunehmend im später entstandenen [[Wikipedia:Mahayana|Mahāyāna-Buddhismus]] vor, zu dem etwa der [[Zen]] und der [[Wikipedia:Buddhismus in Tibet|tibetische Buddhismus]] gehören. Aber die Ursprungstradition einer systematischen Schulung von Achtsamkeit ist der [[Wikipedia:Theravada|frühe Buddhismus]]. So hat das mahāyānische "Vipaśyanā" eine andere Bedeutung als "Vipassanā".<ref>Dies ist ein großes Thema; vgl. Näheres dazu unter dem "Literatur"-Link zum Beitrag "Der Weg der sehenden Achtsamkeit" (erschienen in ''Buddhismus Aktuell'' 2/08).</ref>
[[Datei:MK34844 Harald Welzer.jpg|mini|Harald Welzer (2015)]]


Das Vipassanā bildet neben dem Zen und dem tibetischen Buddhismus die dritte Hauptströmung des Buddhismus im Westen. Der Begriff ist zwar in der Öffentlichkeit weniger bekannt, was mit dem zurückhaltenden Selbstverständnis der frühbuddhistischen Muttertradition zu tun hat; nach Einfluss, Verbreitung und Wachstum ist das Vipassanā<ref>Der Begriff wird im fortlaufenden deutschen Text als Neutrum behandelt, also "das Vipassanā", trotz seines femininen Geschlechts. Dies dient der Unterscheidung zwischen der modernen Verwendung als Überbegriff (Neutrum) über die verschiedenen meditativen Ansätze und die entsprechenden Praxistraditionen und dem Sinn des Originalbegriffs (Femininum) im Pali-Kanon (vgl. zu diesem letzteren Sinn den Punkt "Etymologie").</ref>  aber von ähnlich großer Bedeutung. Seine Ansätze gelten als eine von kulturbedingten Formen besonders freie Praxis.
'''Harald Welzer''' (* [[27. Juli]] [[1958]] in Bissendorf bei Hannover) ist ein [[Deutschland|deutscher]] [[Soziologe]] und [[Sozialpsychologie|Sozialpsychologe]]. Er arbeitet heute als Publizist.


Die Traditionen des Vipassanā mit ihren unterschiedlichen methodischen Ansätzen<ref>Alleine in Burma gibt es mindestens 24 unterschiedliche methodische Ansätze des Vipassanā; laut Houtman, G.: ''The Tradition of Practice among Burmese Buddhists.'' Dissertation, School of Oriental and African Studies, University of London, 1990.</ref> dienen alle der Entwicklung einer höheren, so genannten "Trefflichen Achtsamkeit" (''sammā sati''), die über die bloße [[Konzentration]]sfunktion von [[Aufmerksamkeit]] hinausgeht. Bei der Praxis dieser "Trefflichen Achtsamkeit" geht es traditioneller Ausdrucksweise nach um das zunehmende Durchdringen oder "befreiende Sehen" der über die sinnliche Erfahrung zwar immer und überall gegebenen, aber gewöhnlich durch Verblendungen bzw. "Nichtsehen" (''avijjā'') verborgenen "Wahrheit", "Höchsten Realität" oder "Natur der Dinge".
== Leben ==
[[Datei:MK34832 Harald Welzer.jpg|mini|Als Sprecher auf der [[See-Conference]] 2015]]
=== Ausbildung ===
Welzer studierte Soziologie, [[Politikwissenschaft]] und [[Literaturwissenschaft]] an der [[Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover|Universität Hannover]] und wurde dort 1988 in Soziologie promoviert. Er habilitierte sich 1993 in Sozialpsychologie und 2001 in Soziologie.


Im Vipassanā ist der alleinige Schlüssel zu der "Höchsten Realität" eine schlichte, jederzeit entwickelbare [[Achtsamkeit]], und nicht Konzepte oder Studien, die hier allenfalls eine vorbereitende Funktion haben. Im Vipassanā wird – gemäß einem dem [[Buddha]] zugeschriebenen Zitat aus den alten Quellen – generell der „Direkte Weg“ (''ekāyana magga'') zu den befreienden Einsichten betont. Er beruht auf einer [[Wikipedia:Methode|methodisch]] entwickelten Achtsamkeit, die weder über systematische Studien noch über die primär bloß von Ordinierten zu verwirklichenden ausgeprägten Konzentrationszustände der „Vertiefungen“ Jhānas führt.  
=== Berufstätigkeit ===
Von 1988 bis 1993 war Welzer [[Wissenschaftlicher Assistent]] im Fachbereich Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaften der Universität Hannover. Anschließend war er dort bis 1999 als Dozent für Sozialpsychologie tätig.


"Vipassanā" wird gewöhnlich mit "Achtsamkeitspraxis" oder "Einsichtsmeditation" wiedergegeben. Der Entwicklungsprozess des Einsicht verläuft meist in Stufen. Deshalb gibt es in manchen einflussreichen Richtungen des Vipassanā die Lehre von den aufeinander aufbauenden Ebenen des "Einsichtswissens", den so genannten "Vipassanā-Nyānas". Der Zweck des traditionellen Vipassanā in allen Formen ist eine ungetrübte, vorbehaltlose oder durchdringende "''klare Sicht''", ein über diskursives Denken hinausgegangenes, unmittelbares oder gedankenfreies Erfassen der vergänglichen, ungenügenden bzw. "Selbst"-losen Natur der äußeren und inneren Erscheinungen (im Äußeren der sinnlich wahrgenommenen Phänomene und im Inneren vor allem der Körperempfindungen, Gefühlsreaktionen, Emotionen oder Gedanken). Mit diesem unmittelbaren Erfassen soll das unbewusste Ergreifen bzw. Sichidentifizieren mit den vergänglichen Phänomenen als "Ich (bin das)" oder "mein" und damit alle Ängste und Leiden schwinden.
Welzer war Direktor des ''Center for Interdisciplinary Memory Research'' (CMR) und Leiter verschiedener Teilprojekte des Forschungsschwerpunkts KlimaKultur am [[Kulturwissenschaftliches Institut Essen|Kulturwissenschaftlichen Institut]] in [[Essen]]. Weiterhin war er Professor für Sozialpsychologie an der privaten [[Universität Witten/Herdecke]]. Auf dem Kongress „Bildungsbiennale“, der 2011 von [[Reinhard Kahl (Journalist)|Reinhard Kahl]] („Archiv der Zukunft“) in Bregenz ausgerichtet wurde, gab er die Absicht bekannt, diese „Verbeamtung“ aufzukündigen, um ein fachliches und politisches Zeichen für „Futurzwei“ zu setzen.


Die Praxis des Vipassanā gilt als die älteste buddhistische Meditationsform, die auf den historischen [[Buddha]] selbst zurückgeht. In der größten modernen Tradition, dem "Körperhineinkommen" oder "Body Sweeping" nach [[Satya Narayan Goenka|S.N. Goenka]], wird  das Vipassanā kurz resümiert mit "die Dinge sehen, wie sie wirklich sind".
Harald Welzer ist Mitbegründer und Direktor der gemeinnützigen Stiftung ''Futurzwei. Stiftung Zukunftsfähigkeit'', die sich das Aufzeigen und Fördern alternativer Lebensstile und Wirtschaftsformen zur Aufgabe gemacht hat<ref>Homepage von [http://futurzwei.org/ FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit].</ref> und seit Juli 2012 Honorarprofessor für Transformationsdesign<ref>{{Webarchiv | url=http://idw-online.de/de/news432666 | wayback=20110716093824 | text=Pressemitteilung Universität Flensburg}}</ref> an der [[Europa-Universität Flensburg]], wo er das ''[[Norbert Elias]] Center for Transformation Design & Research'' leitet.<ref>{{Webarchiv|text=Archivlink |url=https://www.uni-flensburg.de/nec/wer-wir-sind/personen/mitarbeiterinnen-mitarbeiter/harald-welzer/ |wayback=20160824234805 |archiv-bot=2018-04-14 00:39:56 InternetArchiveBot }}</ref> Außerdem ist Welzer Affiliated Member of Faculty am Marial-Center der [[Emory University]] (Atlanta/USA), er lehrt an der [[Universität St. Gallen]] und ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Beiräte und Akademien. Die Schwerpunkte seiner Forschung und Lehre sind Erinnerung, Gruppengewalt und kulturwissenschaftliche Klimafolgenforschung.


Die Hauptquellen aller Richtungen des Vipassanā finden sich im [[Wikipedia:Pali-Kanon|Pali-Kanon]], der Textgrundlage des frühen Buddhismus Theravāda, welche die ältesten vollständig überlieferten Redensammlungen des historischen Buddha enthält. Jene Hauptquellen sind (im Allgemeinen) die diversen im Pali-Kanon erscheinenden Lehren zum Thema Achtsamkeit und (im Besonderen) die beiden zentralen Achtsamkeitsreden des "Erwachten" (Buddha) - nämlich die „Rede von den Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit“ oder ''Satipatthāna-Sutta''<ref>[http://www.buddha-heute.de/rubrik-01/grundlegend-meditation.htm s. ''Die grundlegenden Meditationslehren des Buddhismus'' von Hans Gruber] sowie Analayo: ''Mindfulness in the Pali Nikayas'' In: K. Nauriyal (Ed.: ''Buddhist Thought and Applied Psychological Research.'' Routledge Curzon, London, pp. 229-249; dt. [http://bgm-projekte.de/dd/download/Sati_in_den_Pali_Lehrreden.pdf ''Sati in den Pali Lehrreden'' (])</ref> (''Mittlere Sammlung'', Rede 10, und, etwas länger, ''Längere Sammlung'', Rede 22) und die „Rede von bewussten Ein- und Ausatmen“ ''Ānāpānasati-Sutta'' (''Mittlere Sammlung'', Rede 118). Die Technikmethoden des Vipassanā beruhen stärker auf der „Rede von den Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit“ ''Satipatthāna-Sutta'' und die Naturansätze stärker auf der „Rede von bewussten Ein- und Ausatmen“ ''Ānāpānasati-Sutta''.<ref>Vgl. zu dieser Unterteilung des Vipassanā Näheres im Abschnitt "Tradition".</ref>
== Kommunikationstheorie ==
Welzers wissenschaftliches Hauptwerk, das auf seiner Habilitationsschrift beruht, erschien 2002 unter dem Titel ''Das kommunikative Gedächtnis''. Mit Hinweis auf neurobiologische Forschungen erklärt Welzer, dass dem menschlichen Gedächtnis ein aktiver mentaler Prozess zugrunde liegt, der weitgehend unbewusst und „implizit“ funktioniert. Das menschliche Gedächtnis hat eine soziale Funktion: In unterschiedlichen Gedächtnis-Funktionen organisiert sich das Wechselspiel von Individualität und Gemeinschaft. <br>
Populäre Metaphern, die das Gedächtnis als Wissens-Speicher mit einer Computer-Festplatte vergleicht, führen in die Irre. Erinnerungs-Bilder sind nicht als fertige Datensätze an einer bestimmten Stelle des Gehirns abgespeichert. Das Gehirn muss, wenn es Erinnerung aktivieren will, aus verschiedenen Arealen Elemente rekonstruieren. Bei jedem Abrufen einer Erinnerung werden assoziativ neue Netzwerke gebildet. Die Erinnerungsfragmente von Medien-Erlebnissen werden grundsätzlich genauso behandelt wie die Fragmente „erlebter“ Erinnerung. Bei der Rekonstruktion von Erinnerung vermischen sich die Quellen. <br>
Auch das autobiographische Gedächtnis ist wesentlich kommunikativ, es stellt sich über „Interaktionssituationen“ her, formuliert Welzer. „Wie man Ich wird“<ref>Welzer, ''Das kommunikative Gedächtnis''.2002, S. 111</ref> ist dem Menschen natürlich nicht bewusst. Nicht-bewusste Erinnerungen tauchen in „Bauchgefühlen“, spontanen Reaktionen und unerklärlicher Voreingenommenheit auf. Von Emotionen und den Signalen der nonverbalen Kommunikation „weiß“ mein Gehirn deutlich mehr, als über das semantische und das episodische Gedächtnis<ref>Welzer, ''Das kommunikative Gedächtnis''.2002, S. 24</ref> bewusst ist. Die bewussten wie die unbewussten Elemente des Gedächtnisses sind kommunikativ und lenken unser Wahrnehmen und Handeln im Kontext der Kultur der Gemeinschaft. Aus der Ich- und Wir-Identität im Sinne eines „autobiographischen Gedächtnisses“ entwickeln sich Synchronisierung des Individuums im Verhältnis zu seiner sozialen Umwelt.<ref>Welzer, ''Das kommunikative Gedächtnis''.2002, S. 119</ref>


==Etymologie==
== Publizist ==
[[Datei:MK35078 Harald Welzer.jpg|mini|Welzer während einer Diskussion (2015)]]
In dem u.&nbsp;a. von ihm herausgegebenen Buch ''Opa war kein Nazi'' beschäftigt sich Welzer mit der Zeit des [[Nationalsozialismus]] aus sozialpsychologischer Sicht, indem er das Verhalten von Menschen im Alltag während des Nationalsozialismus sowie Formen familiärer Erinnerungstradierung untersucht. Von Täterschaft oder Verantwortung sei in den Familien wenig zu hören gewesen. Verharmlosungen und vorgebliches Nichtwissen tauchten dagegen sehr oft auf. Beteiligte Familienmitglieder würden, so Welzer, sogar als [[Viktimologie|Opfer]] oder als [[Held]]en geschildert.<ref>{{Internetquelle |autor=Isabel Heinemann |url=https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-1544
|titel= H. Welzer u.&nbsp;a.: „Opa war kein Nazi“|hrsg=H-Soz-Kult |datum= |zugriff=2018-03-25|kommentar=Rezension}}</ref>


''Vipassanā'' ist ein [[Wikipedia:Pali|Pali]]-Wort, das sich aus dem Sanskrit-Präfix "vi-" und der Verbalwurzel √paś für "sehen" herleitet. Es wird häufig mit "Einsicht", "Klarblick" oder "Klarsicht" übersetzt, was etwas verkürzt ist. Denn das Präfix "vi-" bedeutet in erster Linie "zwei Teile" oder eine Bewegung "weg" von etwas anderem. Entsprechende Präfixe im Deutschen sind "auseinander-" oder "ent-". Wörtlich ist mit "Vipassanā" (im Unterschied zu der in esoterischen oder synkretistischen Kreisen verbreiteten Hochbewertung von "Einheit" oder einem Denken in der Kategorie "alles ist letztlich eins") eine bestimmte Art des "Auseinander-Sehens" gemeint, das heißt ein unterscheidendes, durchschauendes bzw. von Illusionen befreiendes "Sehen" im Sinne eines unmittelbaren Erfassens.  
Im Buch ''Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden'' vertieft Welzer die Ergebnisse von [[Christopher Browning]] zur Motivation der NS-Unrechtstäter in den [[Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD|Einsatzgruppen]], die häufig völlig normale Biografien vorwiesen, etwa [[Franz Stangl]] oder [[Werner Best (NSDAP)|Werner Best]]. Sie entwickelten eine Mentalität oder Binnenrationalität, in der sie als moralisch im Recht dastanden, auch wenn sie Kindererschießungen vornahmen. Die Tötung wird als Arbeit aufgefasst. Die Ergebnisse werden ausgeweitet für [[Vietnam]], [[Ruanda]] und [[Jugoslawien]].<ref>{{Perlentaucher|harald-welzer/taeter|b|Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden}}</ref>


Dies entspricht auch der anderen Bedeutung von "vi-", die auf eine "intensive" Qualität des Unterscheidens hinweist. Vipassanā meint also eine besondere Art des Tief-Blickens, die unmittelbar, ungetrübt oder wahrheitsgemäß alle inneren und äußeren Vorgänge erfasst. Mit jenen "zwei Teilen" von "vi-" ist die Illusion oder Falschheit und die Realität oder Wahrheit gemeint. Demnach ist Vi-Passanā ein höheres Sehen, das mittels der intuitiven Unterscheidung der Achtsamkeit zunehmend jede Illusion, Manipulation oder Verblendung durchschaut und damit die jeweilige Wahrheit oder Realität direkt intuitiv erfasst. Wenn diese Unterscheidung fortwährend kultiviert werde, führe sie zu vollen Befreiung, dem Ziel der Vipassanā-Praxis in allen ihren Formen.  
Im Buch ''Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird'' beschreibt Welzer den [[Globale Erwärmung|Klimawandel]] als noch immer unterschätzte Bedrohung des menschlichen Zusammenlebens.<ref>die tageszeitung: ''[http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=tz&dig=2008%2F04%2F18%2Fa0094&cHash=35a010b05d „Ein schlechtes Gewissen reicht nicht“].'' Interview mit Jan Feddersen und Reiner Metzger, 18. April 2008</ref> Er werde als [[Naturkatastrophe]] betrachtet, es seien aber die sozialen Effekte, die aus den Klimaveränderungen erst Katastrophen werden ließen. Im Zuge dieser Entwicklungen werde [[Gewalt]] zunehmend wieder als Problemlösungsstrategie angesehen. Der Zusammenbruch der politischen und sozialen Ordnung in weiten Teilen der Welt werde zu einem „Dauer[[krieg]]“ führen. Dies sei nur abzuwenden, wenn die wohlhabenden Bevölkerungen der Industrieländer ihren bisherigen [[Konsumgesellschaft|Konsumstil]] veränderten. Von [[Andreas Kilb]] wurde in einer Rezension eingewendet, dass die Vergleiche mit den [[Völkermord]]en des 20.&nbsp;Jahrhunderts „spekulativ“ seien und hinter einer „historischen Analyse“ zurückblieben.<ref>Frankfurter Allgemeine Zeitung: ''[http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/klimakriege-die-apokalypse-ist-ein-unfertiges-puzzle-1547175.html Die Apokalypse ist ein unfertiges Puzzle].'' 2. Juni 2008</ref> Christiane Grefe dagegen bescheinigte Welzer eine „erschreckend plausible Analyse“, hielt ihm allerdings vor, produktive Verbindungen von Kultur und Technik nicht ins Auge zu fassen.<ref>Die Zeit: ''[http://www.zeit.de/2008/20/ST-Klima/komplettansicht Brandneu: Das Klima!]'' 30. Juli 2008</ref><ref>{{Perlentaucher|harald-welzer/klimakriege|b|Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird}}</ref>


Zwei weitere Hauptbegriffe im Zusammenhang mit Vipassanā sind "Anu-Passanā" und "pati-sam-vedī", die in den oben erwähnten grundlegenden Achtsamkeitsreden des Buddha immer wieder vorkommen. Mit Anupassanā (das Präfix anu- bedeutet "entlang, eng anliegend, unmittelbar") ist ein konzeptfreies, unmittelbares bzw. achtsames Begleiten aller körperlichen oder geistigen Prozesse gemeint. "pati-sam-vedī" bedeutet "voll-er-spürend", also wieder ein direktes Empfinden im Einklang mit den realen Prozessen, wie sie sind, nicht wie wir sie ''in der Vorstellung'' gerne hätten.
Welzer plädiert in ''Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand'' für einen reduktiven Lebensstil im Gegensatz zum – nicht nur in der westlichen Welt vorherrschenden – ''alles immer''. Es gehe nicht um Wachstum, Effizienz und Konsum, sondern um Glück und Zukunftstauglichkeit. Weder das Glück, noch die Zukunftstauglichkeit hänge aber im Wesentlichen vom Besitz ab. Welzer kritisiert, dass der gegenwärtig praktizierte Lebensstil unserer Gesellschaft durch hypertrophes Wachstum seine eigenen Voraussetzungen konsumiere. Welzer stellt verschiedene erfolgreiche Formen des Selbstdenkens und -handelns vor, die sich am Gemeinwohl statt an individuellem Profit orientieren und animiert dazu, die eigenen Handlungsspielräume zu nutzen.<ref>{{Perlentaucher|harald-welzer/selbst-denken|b|Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand}}</ref>


==Lehre==
Welzer ist Herausgeber von [[taz.FUTURZWEI]], einer vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift für Politik und Zukunft.<ref>{{Internetquelle |url=http://download.taz.de/Heftvorschau_FUTURZWEI_6.pdf |titel=Heftvorschau FUTURZWEI 6 |hrsg=www.taz.de |datum=2018-09-03 |zugriff=2018-12-28}}</ref>


Das Vipassanā unterteilt sich, was die Praxis angeht, in diverse klar strukturierte "Techniken/Technikmethoden" und offen gehaltene "Naturansätze".<ref> Vgl. Näheres dazu unter "Tradition".</ref> Wissenschaftlich betrachtet kann keine dieser Praxisformen den Anspruch erheben, "die Methode" des Buddha zu sein. Denn die relativ deutungsoffenen Achtsamkeitslehren des Buddha laut dem Pali-Kanon lassen sich zur Begründung aller Ansätze des Vipassanā heranziehen.  
== Schriften ==
* ''Zwischen den Stühlen. Eine Längsschnittuntersuchung zum Übergangsprozess von Hochschulabsolventen.'' Deutscher Studien-Verlag, Weinheim 1990, ISBN 3-89271-196-8.
* ''Transitionen. Zur Sozialpsychologie biographischer Wandlungsprozesse.'' Edition diskord, Tübingen 1993, ISBN 3-89295-572-7.
* (Hrsg.): ''Nationalsozialismus und Moderne.'' Edition diskord, Tübingen 1993, ISBN 3-89295-576-X.
* (Hrsg.): ''Das Gedächtnis der Bilder. Ästhetik und Nationalsozialismus.'' Edition diskord, Tübingen 1995, ISBN 3-89295-590-5.
* ''Verweilen beim Grauen. Essays zum wissenschaftlichen Umgang mit dem Holocaust.'' Edition diskord, Tübingen 1997, ISBN 3-89295-619-7.
* mit Robert Montau & Christine Plaß: ''„Was wir für böse Menschen sind!“ Der Nationalsozialismus im Gespräch zwischen den Generationen.'' Edition diskord, Tübingen 1997, ISBN 3-89295-628-6.
* (Hrsg.): ''Auf den Trümmern der Geschichte. Gespräche mit [[Raul Hilberg]], [[Hans Mommsen]] und [[Zygmunt Bauman]].'' Edition diskord, Tübingen 1999, ISBN 3-89295-659-6.
* (Hrsg.): ''Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung.'' [[Hamburger Edition]], Hamburg 2001, ISBN 3-930908-66-2.
* ''Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung.'' Beck, München 2002, ISBN 3-406-49336-X; ebd. 2005, ISBN 3-406-52858-9.
* mit Sabine Moller & Karoline Tschuggnall: ''Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis.'' Unter Mitarbeit von Olaf Jensen und Torsten Koch. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 2002, ISBN 3-596-15515-0.
* mit [[Hans J. Markowitsch]]: ''Das autobiographische Gedächtnis. Hirnorganische Grundlagen und biosoziale Entwicklung.'' Klett-Cotta, Stuttgart 2005, ISBN 3-608-94406-0.
* ''Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden.'' Unter Mitarbeit von Michaela Christ. S. Fischer, Frankfurt 2005, ISBN 3-10-089431-6.
** ''[http://www.zeit.de/2005/44/P-Welzer/komplettansicht Tötungsarbeit],'' Rezension von [[Christopher Browning|Christopher R. Browning]], ''[[Die Zeit]],'' 27. Oktober 2005
** [http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-1-135 Rezension] von Tobias Bütow, ''[[H-Soz-u-Kult]],'' 28. Februar 2006
* mit Hans J. Markowitsch (Hrsg.): ''Warum Menschen sich erinnern können. Fortschritte in der interdisziplinären Gedächtnisforschung.'' Klett-Cotta, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-608-94422-8.
* ''Der Krieg der Erinnerung. Holocaust, Kollaboration und Widerstand im europäischen Gedächtnis'', von Harald Welzer (Hrsg.), S. Fischer, Frankfurt/M. 2007, ISBN 978-3-596-17227-6.
* ''Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird'', S. Fischer, Frankfurt/M. 2008, ISBN 3-10-089433-2.
** ''[http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur_und_kunst/gefuehlte_probleme_1.708219.html Gefühlte Probleme],'' Rezension von [[Uwe Justus Wenzel]], ''[[Neue Zürcher Zeitung]],'' 12. April 2008
** ''[http://www.sueddeutsche.de/wissen/klimakriege-gewalt-als-loesung-1.203242 Gewalt als Lösung],'' Rezension von [[Herfried Münkler]], ''[[Süddeutsche Zeitung]],'' 14. April 2008
** ''[http://www.fr-online.de/literatur/ist-das-schon-haeresie-,1472266,3093210.html Ist das schon Häresie?],'' Rezension von Adam Olschweski, ''[[Frankfurter Rundschau]],'' 8. Mai 2008
** ''[http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=pb&dig=2008%2F05%2F17%2Fa0008&src=GI&cHash=f5fea3a1cf Nichts für Optimisten],'' Rezension von Jörg Plath, ''[[die tageszeitung]],'' 17. Mai 2008
** ''[http://www.dradio.de/dlf/sendungen/andruck/795019/ Die Dimensionen des Klimawandels],'' Rezension von Britta Fecke, ''[[Deutschlandfunk]],'' 2. Juni 2008
* ''Das Ende der Welt, wie wir sie kannten.'' S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-10-043311-4.
* mit [[Claus Leggewie]]: ''Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie.'' S. Fischer, Frankfurt 2009, ISBN 978-3-10-043311-4.
* mit [[Christian Gudehus]] und Ariane Eichenberg (Hrsg.): ''Erinnerung und Gedächtnis. Ein interdisziplinäres Handbuch.'' Metzler, Stuttgart 2010.
* {{Literatur|Autor=mit [[Sönke Neitzel]]|Titel=Soldaten|ISBN=978-3-10-089434-2|TitelErg=Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben|Verlag=S. Fischer|Ort=Frankfurt/M.|Jahr=2011}}
* mit Dana Giesecke: ''Das Menschenmögliche. Zur Renovierung der deutschen Erinnerungskultur''. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2012, ISBN 978-3-89684-089-9.
* mit Stefan Rammler: ''Der FUTURZWEI-Zukunftsalmanach 2013: Geschichten vom guten Umgang mit der Welt''. Fischer-Taschenbuch, Frankfurt 2012, ISBN 978-3-596-19420-9.
** ''[http://blogmatthiasjung.wordpress.com/2012/12/09/der-futurezwei-zukunftsalmanach-2013-rezension Rezension],'' Rezension von Matthias Jung, 9. Dezember 2012
* ''Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand'', S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013, ISBN 978-3-10-089435-9.
** ''[https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/harald-welzer-selbst-denken-ein-anleitung-zum-widerstand-alle-mal-umdenken-12104729.html Alle mal umdenken!],'' Rezension von Thomas Thiel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 6. März 2013
** ''[http://blogmatthiasjung.wordpress.com/2013/04/04/selbst-denken-eine-anleitung-zum-widerstand-harald-welzer-gedanken-aus-der-sicht-eines-christen-eines-theologen-eines-pfarrers Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. Gedanken aus der Sicht eines Christen, eines Theologen, eines Pfarrers],'' Rezension von Matthias Jung, 4. April 2013
* mit Bernd Sommer: ''Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne.'' oekom, München 2014, ISBN 978-3-86581-662-7.
* mit Dana Giesecke und Luise Tremel: ''FUTURZWEI Zukunftsalmanach 2015/16''.<ref>[http://www.deutschlandradiokultur.de/zukunftsalmanach-2015-16-wir-werden-verantwortung-getragen.1270.de.html?dram:article_id=308915 Wir werden Verantwortung getragen haben], Rezension von Martin Tschechne im Deutschlandradio Kultur vom 17. Januar 2015, abgerufen 17. Januar 2015</ref> S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 544 S.
* mit [[Michael Pauen]]: ''Autonomie. Eine Verteidigung.'' S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2015, ISBN 978-3-10-002250-9.
** [http://pw-portal.de/rezension/38775-autonomie_47165 Rezension] in der [[Annotierte Bibliografie der Politikwissenschaft|Annotierten Bibliografie der Politikwissenschaft]], August 2015.
* ''Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit''. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016, ISBN 978-3-10-002491-6.
* ''Wir sind die Mehrheit. Für eine Offene Gesellschaft'', S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. ISBN 978-3-596-29915-7.
* ''Alles könnte anders sein: Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen'', S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. ISBN 978-3-103974010.


In den Praxistraditionen des Vipassanā wird nicht ähnlich stark unterschieden zwischen den konzentrativen "Ruhemeditation" [[Samatha]] und der kognitivem "Einsichtsmeditation" Vipassanā, die zur inneren Befreiung des [[Nirvāna]] führt, wie dies im Mahāyāna-Buddhismus der Fall ist. Generell wird von den Lehrenden des Vipassanā die Ansicht vertreten, dass ein bestimmtes "flexibles" Maß an Konzentration, das sich mit der fortwährenden Fokussierung auf die natürlichen Körper-Geist-Prozesse ergibt - die so genannte "Augenblickliche Konzentration" -, die beste Grundlage sei, um zu den befreienden Einsichten zu kommen.  
== Vorträge und Interviews (Auswahl) ==
* ''[http://www.taz.de/!60183/ „Die Zukunft wird sehr kleinteilig sein“],'' Welzer zu Stuttgart21 in taz, 23. Oktober 2010
* ''[http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/rettung-der-welt-was-sie-sofort-tun-koennen-zehn-empfehlungen-11079178.html Zur Rettung der Welt], ''Was Sie sofort tun können: Zehn Empfehlungen von Welzer in FAS, 28. Oktober 2010
* ''{{Webarchiv | url=http://db.swr.de/upload/manuskriptdienst/aula/au20040721_2648.rtf | wayback=20070929095342 | text=Mein Opa und die Nazis. Über Geschichte, Erinnerung und Subjektivität}},'' Vortrag von Welzer in der SWR2-Sendereihe ''Aula,'' 25. Juli 2004 (Manuskript)
* ''{{Webarchiv | url=http://db.swr.de/upload/manuskriptdienst/aula/au20051028_3381.rtf | wayback=20070929125557 | text=Die harmlosen Bestien. Wie aus normalen Menschen Massenmörder werden}},'' Vortrag von Welzer in der SWR2-Sendereihe ''Aula,'' 30. Oktober 2005 (Manuskript)
* ''Holocaust-Täterforschung: Entwicklung von sozialen Gruppen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen,'' Vortrag von Welzer auf der Jugendpflegertagung des Landesjugendamtes Rheinland, November 2007 (Filmversion für Windows-Mediaplayer)
* ''[http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wirtschaftskrise-warum-keiner-mehr-durchblickt-1743775.html Wirtschaftskrise: Warum keiner mehr durchblickt],'' Interview mit Nils Minkmar in der ''Frankfurter Allgemeinen Zeitung,'' 7. Dezember 2008
* ''[http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1095078/ Wohlstand ohne Wachstum?],'' Harald Welzers sozialpsychologische Analyse gesellschaftlicher Perspektiven im Programm des Deutschlandfunks, 1. Januar 2010
* ''[https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2011/02/Wehrmachtsoldaten-Interview-Heer-Welzer/komplettansicht Ein Erlebnis absoluter Macht]''. Interview (zusammen mit dem Historiker Hannes Heer) in Die Zeit 2/2011
* [http://www.zeit.de/zeit-geschichte/2017/03/nationalsozialismus-adolf-hitler-luegen-populismus/komplettansicht ''„Was Hitler sagt, das glaube ich“''] Gastbeitrag. zeit.de, 22. August 2017


Wenn die Konzentration durch die Fokussierung auf ein naturgemäß "statisches" Konzept bzw. geistiges Konstrukt (wie Visualisierungen, innere Laute, Vorstellungen, Reflexionen) zu stark werde, behindere sie die befreienden intuitiven Einsichten. Denn diese könnten sich lediglich aus einem immer tieferen Durchdringen der natürlichen, überall gegebenen Prozesse durch sehende Achtsamkeit ergeben.
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Harald Welzer}}


Wenn der Weg zu den befreienden Einsichten über die statischen Konzentrationszustände der Vertiefungen "Jhānas" genommen werde, was prinzipiell möglich sei, müsse man erst aus den Vertiefungen herauskommen und die mit ihnen verbundenen Faktoren oder Erscheinungen als genauso vergänglich, ungenügend bzw. Nicht-Selbst wie alle anderen Phänomene erkennen. Die zentrale, von den Vertretern dieses Vipassanā-Weges über die Vertiefungen häufig zitierte Rede ist das ''Anupada-Sutta'' der ''Mittleren Sammlung'' (Rede 111) der Reden des Buddha im Pali-Kanon.
== Weblinks ==
 
{{Commonscat}}
Aber in den anfangs zitierten grundlegenden Achtsamkeitsreden des Buddha werden die Vertiefungen "Jhānas" nicht erwähnt. Hier wird bloß eine flexible Konzentration vorausgesetzt, die sich mit der Fokussierung auf die natürlichen Gegebenheiten oder Prozesse einstellt, um auf dieser Basis die befreienden Einsichten zu realisieren. Laut der Rede von den "Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit" ''Satipatthāna-Sutta'' gibt es vier Vergegenwärtigungen:
{{Wikiquote}}
 
* {{DNB-Portal|115742174}}
# Vergegenwärtigung des Körperlichen (kāyānupassanā)
* [http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12178:interview-mit-harald-welzer&catid=101&Itemid=84 „Welches Land wollen wir sein?“] – Interview mit Harald Welzer zu der von ihm und Alexander Carius initiierten Gesprächsreihe „Die offene Gesellschaft“, „Zum Glück muss ich keine Wahlen gewinnen“, Nachtkritik.de, 26.&nbsp;Februar 2016
# Vergegenwärtigung der Empfindungen (vedanānupassanā)
* {{Webarchiv | url=http://podcast-ww.wdr.de/medstdp/fsk0/20/209296/209296_2003251.mp3 | wayback=20131021133644 | text=WDR&nbsp;5 – Tischgespräch vom 31.&nbsp;Juli 2013: Kirsten Pape im Gespräch mit Harald Welzer}} (MP3; 25,5&nbsp;MB)
# Vergegenwärtigung des Geistes und dessen wechselnder Zustände (cittānupassanā)
* [https://www.zdf.de/gesellschaft/precht/politik-ohne-plan-wer-denkt-an-die-zukunft-100.html Harald Welzer im Gespräch mit Richard David Precht] (ZDF, 9.&nbsp;September 2013)
# Vergegenwärtigung der "Natürlichen Wahrheiten" (dhammānupassanā)
* [http://www.jungundnaiv.de/2017/04/23/harald-welzer-ueber-das-grosse-ganze-folge-304/ Harald Welzer im Gespräch mit Tilo Jung] (23.&nbsp;April 2017)
 
* [http://www.futurzwei.org/ futurzwei.org]
"Dhamma" in "Dhammānupassanā" wird von manchen Lehrenden mit "Geistobjekte" übersetzt. Der Begriff "Dhamma" ist im Pali sehr vielschichtig und kann je nach seinem Kontext differierende Bedeutung haben. Aus der Beschreibung der vierten Vergegenwärtigung im ''Satipatthāna-Sutta'' geht klar hervor, dass es hier um weit mehr als "Geistobjekte" geht. Bloß einer der Abschnitte zur vierten Vergenwärtigung behandelt die einzelnen Objekte und Bewusstseinsarten der sechs Sinnesebenen, von denen nur eine wiederum der Geist bzw. die Geistobjekte ist. Im Theravāda wird auch nicht, wie in vielen Richtungen des Mahāyāna, davon ausgegangen, dass alles letztlich "Nur Geist" (citta-mātra) sei. So ist "Geistobjekte" irreführend.
* [http://re-visionen.net/rezension-welzer-smarte-diktatur/ Rezension zu ''Die smarte Diktatur'' von Eckart Löhr]
 
* [http://re-visionen.net/eckart-loehr-rezension-zu-alles-koennte-anders-sein-von-harald-welzer/ „So geht's. Und wie!“ – Harald Welzer beschreibt eine Zukunft, in der man heute schon gerne leben würde. Eckart Löhr über ''Alles könnte anders sein – Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen'']
Unter der vierten Vergenwärtigung werden explizit die grundlegenden Lehren des Buddha zur Bindung an die und zur Befreiung von der Welt genannt, die auf Basis der anderen drei Vergegenwärtigungen so tief verstanden werden können, dass sie ihr befreiendes Potenzial voll entfalten. Diese grundlegenden Lehren behandeln "Natürliche Wahrheiten", die durch das achtsame Untersuchen und Vertrautwerden mit den Körper-Geist-Prozessen (auf der Ebene der ersten drei Vergegenwärtigungen) nun in ihrer Tiefendimension "aufscheinen". Sie sind direkt in der Erfahrung verifizierbar.
 
Die Voraussetzung für einen erfolgreichen Fortschritt in der Vipassanā-Meditation ist immer die Entwicklung der Herzqualitäten, das heißt von Ethik. Die drei Grundbereiche des allgemeinen buddhistischen Befreiungsweges, die sich gegenseitig ergänzen, sind Ethik, Sammlung und Weisheit. Unabdingbar für Ethik ist das Einhalten der "Fünf Verhaltensrichtlinien". Sie sind:
 
# Kein Lebewesen töten
# Nicht stehlen
# Keine sexuellen Verfehlungen begehen (von allem sexuellen Verhalten abstehen, das für irgendeinen der Beteilgten Schaden oder Verletzung bedeutet, etwa Fremdgehen oder auch Vergewaltigung).
# Nicht lügen
# Keine bewusstseinstrübende Mittel nehmen (z.B. Alkohol und andere Drogen)
Siehe auch: [[Wikipedia:Silas (Buddhismus)|Silas]].
 
== Technik ==
Als vorbereitender Einstieg in die Achtsamkeits- oder – wie sie wegen ihrer Folgen auch genannt wird – ''Einsichtsmeditation'' wird auf die [[Konzentration|konzentrative]] Atemmeditation zur Erlangung von geistiger Ruhe ([[Samatha]]) zurückgegriffen. Hierbei richtet man die gewöhnliche [[Aufmerksamkeit]] auf das Ein- und Ausatmen in all seinen verschiedenen erlebbaren Aspekten und versucht sie willentlich darauf ausgerichtet zu halten. Sobald man feststellt, sich in Gedanken oder Phantasien verloren zu haben oder mit seiner Aufmerksamkeit auf etwas anderes abgewichen zu sein, lenkt man deswegen so oft wie nötig den Fokus seiner Aufmerksamkeit sanft und geduldig wieder auf die Wahrnehmung des Atmens zurück und lässt ihn weiter so achtsam wie möglich darauf ruhen.
 
Das hat zur Folge, dass sich nach und nach auch eine "innerne Ruhe" allgemeiner Art einstellen kann und größere Klarheit in der Wahrnehmung dessen entsteht, "was geschieht, wenn nichts geschieht", also wenn man selbst nicht weiter aktiv ist. Auf diese Weise übt und "lernt" man immer entspannter und achtsamer zu werden, so dass man eine Gelassenheit entwickelt, in der es zunehmend leichter wird, sich deutlich und detailliert all seiner Vorgänge im Geist gewahr zu bleiben: seiner Wahrnehmungen bei Erlebnissen, seiner emotionalen Reaktionen dabei sowie seiner spontan auftretenden Erinnerungen und sonstigen Gedanken - oder wie oft dazu gesagt wird: ganz entspannt im ''Hier'' und ''Jetzt'' zu verweilen.
 
Mit kontinuierlicher Übung wird man dann fähig, den Fokus der Aufmerksamkeit allmählich größer und immer weiter werden zu lassen, um schließlich jene ''offene und weite'' Wahrnehmungsfähigkeit zu entwickeln, die in der [[Buddhismus|buddhistischen Tradition ]] mit [[Achtsamkeit]] gemeint ist und offenbar ''allein hier'' auch gezielt angestrebt wird. Das Ziel ist dabei, eine breite, anteilnehmende und ausgewogene, unablässige Aufmerksamkeit, oder eben ''Achtsamkeit'', auch im täglichen Leben immer öfters und schließlich sein ganzes Wachleben über kontinuierlich aufrecht erhalten zu können.
 
== Herkunft ==
Die zugrundeliegenden Meditationsformen oder geistigen Übungen entstammen [[Wikipedia:Hinduismus|hinduistischen]] und [[Buddhismus|buddhistischen]] Traditionen. Im [[Wikipedia:Theravada|Theravada]]-Buddhismus werden die Meditationsübungen der Achtsamkeitsmeditation in der ''Satipatthana-Sutta'' des [[Pali-Kanon]]s erläutert. Dort werden sie in die vier Gruppen Körper-Betrachtung, Gefühls-Betrachtung, Geist-Betrachtung und Geistobjekt-Betrachtung unterteilt. Die Atemmeditation gehört hier zur Gruppe der Körper-Betrachtungen.  
 
Für den Effekt der Achtsamkeitsmeditation ist es allerdings nicht nötig, sich mit den Lehrtexten zu beschäftigten, zumal ihr Sinngehalt für Nichtgelehrte erst in moderne Sprache übersetzt und zu den Vorstellungen in Beziehung gesetzt werden müssen, die bei uns entwickelt worden und daher üblich sind.
==Stufen==
Als Ergebnis der kontinuierlichen neutralen Beobachtung aller geistigen und körperlichen "Erscheinungen" durchläuft der Meditierende je nach Ausdauer und Fortschritt verschiedene "Stadien".
 
==Ziel==
Das Ziel der Vipassana-Meditation ist es, sich von allen Anhaftungen, an sowohl körperlichen, wie auch geistigen Empfindungen/Emotionen, zu befreien. Nach der Philosophie des Vipassanas ist sowohl das Anhaften an Positivem wie an Negativem leidbringend. Wenn man am Positivem anhaftet, so entsteht Sehnen nach diesem Zustand und Angst vor dem Nicht-Vorhandensein. Bei negativen Empfindungen entsteht ein "Vermeiden-Wollen". Beide diese Zustände, da sie eine Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigem Sein darstellen, bringen den Menschen aus dem unvermitteltem Erleben des Hier und Jetztes heraus und erzeugen so Leid. Das Ziel des Buddhismus ist es, sich aus dem Samsara und somit aus dem Leiden zu befreien und Mitgefühl und Liebe für die Welt zu entwickeln. Durch die intensive Betrachtung aller geistigen und körperlichen Vorgänge erlebt der Meditierende eine allmähliche Loslösung ("De-Identifikation") mit allen zuvor als "Ich" und "Mein" betrachteten Vorgängen. Gipfelpunkt dieser Erfahrung ist das im Regelfall nur Momente dauernde "Wegspringen", "Verlöschen", das gemäß buddhistischer Lehre zu einer völligen Befreiung vom Kreislauf der Geburten führt und als "Nibbana" ([[Nirvana]]) bezeichnet wird.
 
== Tradition ==
Eine breit angelegte, sich an Laien wie Ordinierte richtende Achtsamkeits- bzw. Einsichtspraxis spielt im Buddhismus seit dem historischen Buddha eine zentrale Rolle. Sie gilt als der "Direkte Weg" zur Befreiung (ein Zitat aus den ältesten Quellen zum Thema Achtsamkeit). Sie ist aber durch bestimmte spätere buddhistische Entwicklungen – Ausprägung von [[Scholastik]], [[Wikipedia:Philosophie|Philosophie]] und Institutionalisierung, in deren Rahmen Klöster entstanden sind, die einen Monopolanspruch auf den höchsten Befreiungsweg erhoben haben allmählich in den Hintergrund getreten.
 
Das Vipassanā ist eine Praxistradition mit dem Zweck, eine sehende, befreiende Achtsamkeit systematisch und mit Hilfe von verschiedenen, individuell angepassten Methoden zu entwickeln. Ab Ende des 19.Jahrhunderts ist diese Tradition im Zuge einer großen Reformbewegung, die vor allem von Ledi Sayadaw in [[Wikipedia:Burma|Burma]] in Gang gesetzt worden ist, wieder breit an die Bevölkerung vermittelt worden. Denn laut den Reden des [[Buddha]] im Pali-Kanon ist der höchste Befreiungsweg gleichermaßen von Ordinierten wie Laien verwirklicht worden.
 
Die Reform hat an diese Situation der Urgemeinde direkt angeknüpft. In diesem Zuge wandte sich also gegen 1) die kulturellen und scholastischen Überformungen der Muttertradition Theravāda, 2) den Monopolanspruch der Klöster auf den höchsten Befreiungsweg sowie 3) die christliche Missionierung im Rahmen der britischen Kolonialherrschaft in Burma. Die befreiungspragmatische, eine höchste Befreiung im Leben bezweckende Praxislehre des Vipassanā war sozusagen die buddhistische Antwort auf die Glaubensreligion der Kolonialmacht und das beste Mittel, die burmesische Bevölkerung gegenüber den christlichen Missionierungsversuchen unempfänglich zu machen.
 
Diese Ausrichtung des Vipassanā brachte es mit sich, dass in ihm ebenfalls die Glaubenselemente der Theravāda stark in den Hintergrund getreten sind (etwa die Wiedergeburtslehre in einem wörtlichen Sinne). Die Skepsis gegenüber Glaubensreligion bedeutet eine weitere Anknüpfung an die Praxislehre des historischen Buddha, die sich gegen die spekulative Religion der Brahmanen und die Theorien der Waldeinsiedler gewandt hat. Aufgrund dieser Struktur der alten Praxislehre – keine Glaubensreligion, Spekulation, Metaphysik oder Philosophie und keine (als ein Extrem empfundene) Selbstkasteiung oder Askese – gilt sie in der Buddhismuskunde als „Erlösungspragmatismus“ (laut dem Indologie-Pionier [[Wikipedia:Erich Frauwallner|Erich Frauwallner]]). Der Buddha hat gelehrt: „Nur eines lehre ich, jetzt wie früher: Das Leiden und das Ende des Leidens.“ Dieser Erlösungspragmatismus bedeutet auch der Dharma (wörtlich „das, was trägt“), wie der Erwachte den kulturübergreifenden, zeitlosen Befreiungsweg genannt hat.
 
Es gibt heute vier Hauptansätze der Achtsamkeits- oder Einsichtspraxis Vipassanā, die in weltweiter Hinsicht den größten Einfluss haben. Es handelt sich um zwei „technische“ Methoden aus Burma und zwei „natürliche“ Ansätze aus Thailand.<ref> Vgl. Gruber, Hans: ''Kursbuch Vipassana: Wege und Lehrer der Einsichtsmeditation'', Fischer Verlag, 2. Aufl. 2001.</ref>
 
Die beiden Technikmethoden sind:
 
# Das direkte Verstehen der Vergänglichkeit (Anicca) durch die Betrachtung aller feinen oder groben Empfindungen "Vedanā" im oder am Körper (in der Tradition ihres Hauptvertreters U Ba Khin mit dessen prägendsten Schülern [[Wikipedia:Satya Narayan Goenka|Satya Narayan Goenka]] und Mother Sayama).<ref> Laut S. N. Goenka ist jede Körperempfindung "eine Manifestation der Vergänglichkeit" und damit das Erfassen der Körperempfindungen der beste Weg zum befreienden Verstehen der "Drei Universellen Merkmale" der Vergänglichkeit, ungenügenden Natur und des Nicht-Selbst.</ref> Laut der internen Statistik der von S.&nbsp;N.&nbsp;Goenka geführten, sehr erfolgreichen Organisation (in ihr wird Body Sweeping etwa mit „systematische Empfindungsbeobachtung“ wiedergegeben, nicht mit der eigenen Übersetzung „Körperhineinkommen“) fanden weltweit 2003 über 1.400 ihrer längeren Kurse statt (primär handelt es sich um die einführenden Zehntageskurse). Daran haben rund 82.000&nbsp;Menschen teilgenommen (11% mehr als 2001). Dieser Ansatz wird in rund 80&nbsp;Ländern gelehrt, im deutschsprachigen Raum an drei Zentren mit fast durchgehenden Zehntageskursen.
# Das Benennen oder Etikettieren „Labelling“ (in der Tradition ihres Hauptvertreters Mahasi Sayadaw mit dessen Schülern). Für die Technikmethoden spielt der dritte Korb des Pali-Kanons die Hauptrolle – die Psychologie und Erkenntnistheorie, „Abhidhamma“.
 
Die beiden Naturansätze sind:
# „Der Weg der Ordensgemeinschaft“ (in der Tradition ihres Hauptvertreters Ajahn Chah), mit rund 500 Klöstern in Thailand sowie einem größeren Zweig im Westen, in dem alleine abendländische Männer und Frauen ordiniert sind. Hier spielt der erste Korb des Pali-Kanons die Hauptrolle – die Ordensdisziplin, "Vinaya".
# „Die Natur-Methode oder die Leerheit aller Dinge“ (in der Tradition ihres Hauptvertreters Ajahn [[Wikipedia:Buddhadasa|Buddhadasa]] mit dessen Schülern, etwa Christopher Titmuss). Hier spielt der zweite Korb des Pali-Kanons die Hauptrolle – die Reden des Buddha, "Suttas".
 
Alle früheren und jetzigen Vipassanā-Meister, ob Ordinierte oder Laien, sind in den buddhistischen Völkern Asiens besonders populär. Ihre unterschiedlichen Praxisansätze werden den unterschiedlichen Persönlichkeitstypen gerecht. So richtet sich zum Beispiel 1) der Ansatz des Körperhineinkommens des höchst pragmatischen U Ba Khin, welcher der Leiter der Verwaltung Burmas nach der Kolonialzeit war, oder heute von S. N. Goenka und Mother Sayama mit ihren zahlreichen Zentren, an Menschen mit einer starken Körper- bzw. Empfindungs-Anlage; 2) das „Benennen“ des besonders gelehrten Mahasi Sayadaw an Persönlichkeiten mit einer starken Anlage zum Denken; 3) der „Weg der Klostergemeinschaft“ Ajahn Chahs an gemeinschaftsorientierte Menschen mit einer ausgeprägten Gefühls- bzw. Herz-Anlage sowie 4) die „Natur-Methode oder Leerheit aller Dinge“ Ajahn Buddhadasas an Persönlichkeiten mit einer starken Anlage zur Intuition oder Inspiration.
 
Neben diesen vier besonders prägenden Vipassanā-Ansätzen gibt es noch eine Reihe von weiteren Methoden, die zwar in weltweiter Hinsicht nicht ähnlich einflussreich wie die eben genannten vier sind, aber in ihren Entstehungsländern zum Teil sogar eine größere Bedeutung haben.<ref>Laut der Dissertation von G. Houtman – "The Tradition of Practice among Burmese Buddhists", University of London, 1990 – gibt es alleine in Burma mindestens 24 Vipassana-Ansätze.</ref>
 
Weitere wichtige Naturansätze des Vipassana sind zum Beispiel:
# „Berührung und Bewusstheit“ des burmesischen Meisters Sunlun Sayadaw (ursprünglich ein einfacher Bauer, der durch seine Einsicht berühmt geworden ist). Er nennt als Schlüsselbegriff einer wahrhaft befreienden Praxis: „Mache Dir jede Körperempfindung so bewusst, wie sie ist, ohne Namen; bis bloß noch das reine Wissen im Empfinden selbst zurückbleibt“, das heißt ein Wissen ohne Konzepte von sich und anderen, wie „mein“ oder „Dein Körper“, „Ich“ oder „ein Selbst“.
# „Der Weg der Atemempfindungen im ganzen Körper“ des thailändischen Waldmeisters Ajahn Lee. Er sieht als das Geheimnis der Befreiung: „Das Atmen im Gespür halten“.
# „Empfindungen an der Herz-Basis“ von Ajahn Dhammadaro aus Thailand. Er lehrt als den Praxisweg zur inneren Befreiung, alle Sinneserfahrungen allmählich als „Klare Empfindungen“ zu durchschauen, die „an der Herzbasis entstehen und vergehen“.
 
Eine weitere wichtige, primär am Abhidhamma orientierte Technikmethode stammt von Pa Auk Sayadaw aus Burma. Er lehrt die klassischen Konzentrationsmethoden, um über diesen ebenfalls möglichen Weg die befreienden Einsichten hervortreten zu lassen.
 
Im Westen gibt es seit den Sechzigern eine wachsende Zahl von männlichen wie weiblichen Vipassanā-Lehrenden. Beide Geschlechter sind unter den Lehrenden dieser Tradition ähnlich stark vertreten. Diese Lehrenden führen entweder die traditionellen Methoden als Vertreter einer bestimmten Richtung fort, oder sie verknüpfen die Ansätze miteinander (manchmal auch mit anderen buddhistischen Praktiken, wie Joseph Goldstein mit dem Dzogchen des tibetischen Buddhismus). Es gibt auch viele Verbindungen des Vipassanā mit der Psychologie und Gebieten helfenden Engagements, zum Beispiel dem Einsatz in Gefängnissen, der Drogenrehabilitation oder der Komplementärmedizin (vgl. dazu auch den nächsten Absatz).
 
==Zusammenfassung==
 
Vipassanā ist der Überbegriff für die moderne Tradition und die befreiende Praxis einer sehenden Achtsamkeit, die vom historischen Buddha laut den Reden des Pali-Kanons besonders betont worden ist. Es gibt unterschiedliche moderne Vipassanā-Ansätze. <ref> Vgl. den frei herunterladbaren Überblick über das Vipassanā von Hans Gruber unter "Literatur".</ref> Manchmal wird die eigene Methode als die wahre Überlieferung betrachtet. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den deutungsoffenen methodischen Beschreibungen, wie sie in den grundlegenden Achtsamkeitsreden des Erwachten erscheinen, welche die Hauptquellen der modernen Vipassanā-Bewegung sind - besonders in der „Rede von den Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit“ (Satipatthāna-Sutta, siehe: [[Achtsamkeit]]) und der „Rede vom Bewussten Ein- und Ausatmen“ (Ānāpānasati-Sutta).
 
Aufgrund des deutungsoffenen Charakters der primären Achtsamkeitslehren des historischen Buddha hat sich die große Zahl der modernen Vipassanā-Ansätze überhaupt erst entwickeln können. Schon alleine diese Tatsache lässt jeden Anspruch auf eine überlegene Vipassanā-Methode unbegründet erscheinen. Außerdem gibt es eine Vielzahl von alten wie modernen Kommentaren und Praxismanuals im Theravāda, die jene beiden Hauptreden für eine befreiende Achtsamkeits- oder Einsichtspraxis ganz unterschiedlich interpretieren.
 
Was aber alle Ansätze gemeinsam haben, ist die methodische Entwicklung einer schlichten, nichtbegrifflichen bzw. intuitiven Achtsamkeit für die vergänglichen Prozesse von Körper und Geist, um aufzuhören, die Dinge unbewusst zu „ergreifen“ (das heißt sich mit ihnen in dem Glauben zu identifizieren, dass sie wahrhaft „Ich“, „mein“ oder „mein Selbst“ seien).
 
Das Vipassanā unterscheidet sich von einer Glaubensreligion, weil es eine besonders ausgeprägte Praxistradition darstellt, die von kulturbedingten Formen weitgehend frei ist. Diese Struktur unterscheidet das Vipassana von vorbuddhistischen und manchen buddhistischen Glaubensvorstellungen, die in den Ursprungsländern vorhanden sind. Die grundsätzliche Vipassanā-Methodik der systematischen Bewusstwerdung der natürlichen Gegebenheiten, das heißt der fortwährend entstehenden und vergehenden Phänomene (im Unterschied zu den vom Geiste gemachten, konzeptuellen, lediglich vor-gestellten und damit relativ „statischen“ Gegebenheiten), findet in unterschiedliche moderne Zusammenhänge Eingang - etwa in Achtsamkeitstherapien, neue psychologische Theorien, esoterische Strömungen oder ein an innerer Praxis orientiertes, reformiertes modernes Christentum.
 
Die Wirkungen des Vipassanā sind in vielen standardisierten Untersuchungen bewiesen worden. Der amerikanische Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn hat die größten Vipassanā-Ansätze in Form eines sehr erfolgreichen komplementärmedizinischen Anti-Stressprogramms ([[Wikipedia:MBSR|MBSR]]) umgesetzt, das in den USA an Hunderten von Kliniken und Gesundheitszentren und auch zunehmend in Deutschland eingesetzt wird.
 
Für die Vipassanā-Retreats gelten im Allgemeinen Verhaltensregeln, die optimale Bedingungen für eine konzentrierte Meditationspraxis schaffen. Diese Regeln orientieren sich an den Verhältnissen in den buddhistischen Klöstern und bezwecken, deren günstige Praxisbedingungen auf die zeitlich begrenzten Retreats für Laien zu übertragen. So werden auch den Laienpraktizierenden möglichst weitgehende Resultate ermöglicht.
 
Die buddhistische Tradition der Achtsamkeits- bzw. Einsichtspraxis Vipassanā ist - entsprechend dem frühbuddhistischen Selbstverständnis und der Lehre des historischen Buddha - relativ zurückhaltend. Sie tritt zum Beispiel kaum aktiv werbend in die Öffentlichkeit. Trotzdem wächst sie stark, einfach weil sich ihre Wirkungen herumsprechen. Das Vipassanā ist heute neben dem Zen und dem tibetischen Buddhismus die dritte Haupttradition des Buddhismus im Westen. „Komm und sieh für Dich selbst“, hat der Buddha laut den ältesten Quellen (des Pali-Kanons) betont.
 
In der Vipassanā-Tradition wird das traditionelle Spendenprinzip „[[Wikipedia:Dana (Indien)|Dāna]]“ vergleichsweise streng beachtet. Für westlich orientierte Kurse werden zwar Kursgebühren verlangt, die aber meist lediglich der Deckung der Unkosten dienen. Deshalb sind die Preise für Vipassanā-Kurse im innerbuddhistischen Vergleich relativ niedrig. In stark traditionellen Richtungen wird ausschließlich „Dāna“ gezahlt – man gibt, was man kann oder will. Dieses Prinzip wird damit begründet, dass möglichst vielen, also unabhängig von deren finanzieller Lage, die befreiende Praxis zugänglich sein soll. Dies sei im Sinne der Vorgaben des historischen Buddha und wende sich bewusst gegen moderne Marktprinzipien bzw. Gewinninteressen, die angesichts der „preislosen“, selbstlosen Lehren des erwachten Weltlehrers nicht angebracht seien.
 
;Siehe auch
*[[Achtsamkeit]]
*[[Meditation]]
*[[Zazen]]
 
==Literatur==
* [[Wikipedia:Buddhadasa|Buddhadasa Bhikkhu]]: ''Anapanasati – Die sanfte Heilung der spirituellen Krankheit''. Buddhistische Gesellschaft, München 2002, ISBN 3831132712. <ref>[http://www.dhamma-dana.de/buecher/theravada/buddhadasa_bhikkhu-anapanasati.pdf PDF-Download: Buddhadasa Bhikkhu „Anapanasati“]</ref>
* [http://www.buddha-heute.de/rubrik-11/nach-hause.htm Hans Gruber]:
** 1999 ''Kursbuch Vipassana'': Wege und Lehrer der Einsichtsmeditation. Fischer, Frankfurt; 2. Aufl. 2001 ISBN 978-3596143931
** 2001 [http://www.buddha-heute.de/downloads/alles-in-buddha.pdf ''Alles in Buddha'' (]) Originalbeitrag aus: ''Psychologie Heute'', 7/01, S. 34-39 <small>(Zu den Vipassanā-Wurzeln des [[Wikipedia:MBSR|komplementärmedizinischen Behandlungsprogramms MBSR]] von [[Wikipedia:Jon Kabat-Zinn|Jon Kabat-Zinn]])</small>
** 2001 [http://www.buddha-heute.de/downloads/reportage-vipassana.pdf ''Wachwerden garantiert'' (]) Originalbeitrag aus: ''die neue esotera'', 1/01, S. 74-76 <small>(Schilderung von Ablauf und Lehrinhalten eines Vipassanā-Kurses)</small>
** 2002 [http://www.buddha-heute.de/downloads/vipassana.pdf ''Die Achtsamkeits- bzw. Einsichtspraxis Vipassanâ, eine Kernmeditation und -tradition''(]) <small>(Überblick über die vier Hauptströmungen der modernen Vipassana-Bewegung: ein Handout im Rahmen eines Buddhismus-Abendstudiums der Universität Hamburg, urspr. erschienen in: ''Buddhismus in Geschichte und Gegenwart'', Band VII, Universität Hamburg, November 2002)</small>
** 2006 [http://www.buddha-heute.de/aktuelles/connection.pdf ''Bewusste Empfindungen, die befreien'' (]) Originalbeitrag aus: ''Buddhismus: Körperbewusstsein & Gesundheit, connection special 76'', S. 74-77 <small>(Zu dem meistverbreiteten Ansatz des Vipassanā, nämlich dem "Body Sweeping" von [[S. N. Goenka]]</small> 
** 2007 [http://www.buddha-heute.de/aktuelles/praxis-und-lehre.pdf ''Der Weg der sehenden Achtsamkeit'': Praxis und Lehre des Vipassana (]) <small>(zur Position des Vipassanā innerhalb des Buddhismus im Westen, etwas gekürzt erschienen in: ''Buddhismus Aktuell'', 2/08)</small>
** [http://www.buddha-heute.de/andere-texte.htm Liste von Links zu den primären Websites der einzelnen Vipassanā-Traditionen] <small> (mit Vorträgen, Artikeln und elektronischem Büchern zum freien Herunterladen)</small> 
* William Hart: ''Die Kunst des Lebens.'' Vipassana-Meditation nach [[Wikipedia:S. N. Goenka|S. N. Goenka]]. DTV, München 2006 ISBN 3423343389
* [[Wikipedia:Jack Kornfield|Jack Kornfield]] und [[Wikipedia:Joseph Goldstein|Joseph Goldstein]]: ''Einsicht durch Meditation: die Achtsamkeit des Herzens.'' Scherz, Bern 1989 ISBN 3502622019 und Heyne, München 2003 ISBN 3453872819


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references/>
<references />
 
== Weblinks ==
<!-- Bitte hier nur Links auf weiterführende Seiten einstellen, keine Anleitungen oder Kurszentren! -->
 
*[http://bgm-projekte.de/dd/download/Sati_in_den_Pali_Lehrreden.pdf ''Sati in den Pali Lehrreden'' von Analayo (])
 
<!-- L E I D E R  DERZEIT - ODER NICHT MEHR? - ONLINE:
*[http://www.palikanon.com/diverses/satipatthana/satipattana.html ''Die buddhistische Satipatthāna-Methode'' von Nyanaponika]
*[http://www.palikanon.com/visuddhi/vis20_05.htm Beschreibung der „18 Arten des Hohen Hellblicks“ - ''Maha-Vipassana'' im Palikanon]
-->
*[http://maennerherz.de/?q=node/91 ''Meditation: Alles, alles geht vorbei...''] <small>(Erfahrungsbericht von [http://www.martinfuetterer.de/ Martin Fütterer] mit detaillierter Beschreibung von Aufbaus und Ablauf eines Meditationskurses nach [[S. N. Goenka]])</small>
*[http://www.buddhistisches-haus.de/dhamma_viewer.php?lang=en&file=medit-pannavaro.html ''Einblicksmeditation''] Vortrag von Paññavâro Thera aus dem Englischen überagen von A. Kassapa


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{{Wikipedia}}

Version vom 15. Juli 2019, 17:32 Uhr

Harald Welzer (2015)

Harald Welzer (* 27. Juli 1958 in Bissendorf bei Hannover) ist ein deutscher Soziologe und Sozialpsychologe. Er arbeitet heute als Publizist.

Leben

Als Sprecher auf der See-Conference 2015

Ausbildung

Welzer studierte Soziologie, Politikwissenschaft und Literaturwissenschaft an der Universität Hannover und wurde dort 1988 in Soziologie promoviert. Er habilitierte sich 1993 in Sozialpsychologie und 2001 in Soziologie.

Berufstätigkeit

Von 1988 bis 1993 war Welzer Wissenschaftlicher Assistent im Fachbereich Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaften der Universität Hannover. Anschließend war er dort bis 1999 als Dozent für Sozialpsychologie tätig.

Welzer war Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research (CMR) und Leiter verschiedener Teilprojekte des Forschungsschwerpunkts KlimaKultur am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Weiterhin war er Professor für Sozialpsychologie an der privaten Universität Witten/Herdecke. Auf dem Kongress „Bildungsbiennale“, der 2011 von Reinhard Kahl („Archiv der Zukunft“) in Bregenz ausgerichtet wurde, gab er die Absicht bekannt, diese „Verbeamtung“ aufzukündigen, um ein fachliches und politisches Zeichen für „Futurzwei“ zu setzen.

Harald Welzer ist Mitbegründer und Direktor der gemeinnützigen Stiftung Futurzwei. Stiftung Zukunftsfähigkeit, die sich das Aufzeigen und Fördern alternativer Lebensstile und Wirtschaftsformen zur Aufgabe gemacht hat[1] und seit Juli 2012 Honorarprofessor für Transformationsdesign[2] an der Europa-Universität Flensburg, wo er das Norbert Elias Center for Transformation Design & Research leitet.[3] Außerdem ist Welzer Affiliated Member of Faculty am Marial-Center der Emory University (Atlanta/USA), er lehrt an der Universität St. Gallen und ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Beiräte und Akademien. Die Schwerpunkte seiner Forschung und Lehre sind Erinnerung, Gruppengewalt und kulturwissenschaftliche Klimafolgenforschung.

Kommunikationstheorie

Welzers wissenschaftliches Hauptwerk, das auf seiner Habilitationsschrift beruht, erschien 2002 unter dem Titel Das kommunikative Gedächtnis. Mit Hinweis auf neurobiologische Forschungen erklärt Welzer, dass dem menschlichen Gedächtnis ein aktiver mentaler Prozess zugrunde liegt, der weitgehend unbewusst und „implizit“ funktioniert. Das menschliche Gedächtnis hat eine soziale Funktion: In unterschiedlichen Gedächtnis-Funktionen organisiert sich das Wechselspiel von Individualität und Gemeinschaft.
Populäre Metaphern, die das Gedächtnis als Wissens-Speicher mit einer Computer-Festplatte vergleicht, führen in die Irre. Erinnerungs-Bilder sind nicht als fertige Datensätze an einer bestimmten Stelle des Gehirns abgespeichert. Das Gehirn muss, wenn es Erinnerung aktivieren will, aus verschiedenen Arealen Elemente rekonstruieren. Bei jedem Abrufen einer Erinnerung werden assoziativ neue Netzwerke gebildet. Die Erinnerungsfragmente von Medien-Erlebnissen werden grundsätzlich genauso behandelt wie die Fragmente „erlebter“ Erinnerung. Bei der Rekonstruktion von Erinnerung vermischen sich die Quellen.
Auch das autobiographische Gedächtnis ist wesentlich kommunikativ, es stellt sich über „Interaktionssituationen“ her, formuliert Welzer. „Wie man Ich wird“[4] ist dem Menschen natürlich nicht bewusst. Nicht-bewusste Erinnerungen tauchen in „Bauchgefühlen“, spontanen Reaktionen und unerklärlicher Voreingenommenheit auf. Von Emotionen und den Signalen der nonverbalen Kommunikation „weiß“ mein Gehirn deutlich mehr, als über das semantische und das episodische Gedächtnis[5] bewusst ist. Die bewussten wie die unbewussten Elemente des Gedächtnisses sind kommunikativ und lenken unser Wahrnehmen und Handeln im Kontext der Kultur der Gemeinschaft. Aus der Ich- und Wir-Identität im Sinne eines „autobiographischen Gedächtnisses“ entwickeln sich Synchronisierung des Individuums im Verhältnis zu seiner sozialen Umwelt.[6]

Publizist

Welzer während einer Diskussion (2015)

In dem u. a. von ihm herausgegebenen Buch Opa war kein Nazi beschäftigt sich Welzer mit der Zeit des Nationalsozialismus aus sozialpsychologischer Sicht, indem er das Verhalten von Menschen im Alltag während des Nationalsozialismus sowie Formen familiärer Erinnerungstradierung untersucht. Von Täterschaft oder Verantwortung sei in den Familien wenig zu hören gewesen. Verharmlosungen und vorgebliches Nichtwissen tauchten dagegen sehr oft auf. Beteiligte Familienmitglieder würden, so Welzer, sogar als Opfer oder als Helden geschildert.[7]

Im Buch Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden vertieft Welzer die Ergebnisse von Christopher Browning zur Motivation der NS-Unrechtstäter in den Einsatzgruppen, die häufig völlig normale Biografien vorwiesen, etwa Franz Stangl oder Werner Best. Sie entwickelten eine Mentalität oder Binnenrationalität, in der sie als moralisch im Recht dastanden, auch wenn sie Kindererschießungen vornahmen. Die Tötung wird als Arbeit aufgefasst. Die Ergebnisse werden ausgeweitet für Vietnam, Ruanda und Jugoslawien.[8]

Im Buch Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird beschreibt Welzer den Klimawandel als noch immer unterschätzte Bedrohung des menschlichen Zusammenlebens.[9] Er werde als Naturkatastrophe betrachtet, es seien aber die sozialen Effekte, die aus den Klimaveränderungen erst Katastrophen werden ließen. Im Zuge dieser Entwicklungen werde Gewalt zunehmend wieder als Problemlösungsstrategie angesehen. Der Zusammenbruch der politischen und sozialen Ordnung in weiten Teilen der Welt werde zu einem „Dauerkrieg“ führen. Dies sei nur abzuwenden, wenn die wohlhabenden Bevölkerungen der Industrieländer ihren bisherigen Konsumstil veränderten. Von Andreas Kilb wurde in einer Rezension eingewendet, dass die Vergleiche mit den Völkermorden des 20. Jahrhunderts „spekulativ“ seien und hinter einer „historischen Analyse“ zurückblieben.[10] Christiane Grefe dagegen bescheinigte Welzer eine „erschreckend plausible Analyse“, hielt ihm allerdings vor, produktive Verbindungen von Kultur und Technik nicht ins Auge zu fassen.[11][12]

Welzer plädiert in Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand für einen reduktiven Lebensstil im Gegensatz zum – nicht nur in der westlichen Welt vorherrschenden – alles immer. Es gehe nicht um Wachstum, Effizienz und Konsum, sondern um Glück und Zukunftstauglichkeit. Weder das Glück, noch die Zukunftstauglichkeit hänge aber im Wesentlichen vom Besitz ab. Welzer kritisiert, dass der gegenwärtig praktizierte Lebensstil unserer Gesellschaft durch hypertrophes Wachstum seine eigenen Voraussetzungen konsumiere. Welzer stellt verschiedene erfolgreiche Formen des Selbstdenkens und -handelns vor, die sich am Gemeinwohl statt an individuellem Profit orientieren und animiert dazu, die eigenen Handlungsspielräume zu nutzen.[13]

Welzer ist Herausgeber von taz.FUTURZWEI, einer vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift für Politik und Zukunft.[14]

Schriften

Vorträge und Interviews (Auswahl)

Siehe auch

Weblinks

Commons: Harald Welzer - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise

  1. Homepage von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit.
  2. Pressemitteilung Universität Flensburg (Memento vom 16. Juli 2011 im Internet Archive)
  3. Archivlink (Memento vom 24. August 2016 im Internet Archive) i Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft (bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis)
  4. Welzer, Das kommunikative Gedächtnis.2002, S. 111
  5. Welzer, Das kommunikative Gedächtnis.2002, S. 24
  6. Welzer, Das kommunikative Gedächtnis.2002, S. 119
  7. Isabel Heinemann: H. Welzer u. a.: „Opa war kein Nazi“. H-Soz-Kult, abgerufen am 25. März 2018 (Rezension).
  8. Rezensionsnotizen zu Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden bei perlentaucher.de
  9. die tageszeitung: „Ein schlechtes Gewissen reicht nicht“. Interview mit Jan Feddersen und Reiner Metzger, 18. April 2008
  10. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Die Apokalypse ist ein unfertiges Puzzle. 2. Juni 2008
  11. Die Zeit: Brandneu: Das Klima! 30. Juli 2008
  12. Rezensionsnotizen zu Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird bei perlentaucher.de
  13. Rezensionsnotizen zu Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand bei perlentaucher.de
  14. Heftvorschau FUTURZWEI 6. www.taz.de, 3. September 2018, abgerufen am 28. Dezember 2018.
  15. Wir werden Verantwortung getragen haben, Rezension von Martin Tschechne im Deutschlandradio Kultur vom 17. Januar 2015, abgerufen 17. Januar 2015

[[Kategorie:Autor (Pädagogik)


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