Geweih

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Rothirsch

Das Geweih (jägersprachlich auch Gehörn, Krone oder Gewicht)[1] ist der aus Knochensubstanz jährlich neu gebildete Kopfschmuck männlicher Hirsche (Cerviden). Fast alle Geweihe haben in ausgewachsenem Zustand ein erhebliches Gewicht. Gehörn ist typischerweise das vergleichsweise kleine Geweih des Rehwildes, als Verkleinerungsform von Geweih kommt im süddeutschen und österreichischen Raum auch G(e)wicht(e)(l) vor.

Beim Ren (Rangifer tarandus) tragen beide Geschlechter ein Geweih. Geweihe dienen in erster Linie als Kampf- und Imponierwaffe in der Brunftzeit, aber auch als Abwehrmittel gegen Beutegreifer.

Mit bis zu 2,8 cm Wachstum pro Tag ist es bei Wapiti (Cervus canadensis) das sich am schnellsten bildende bekannte Organ im Tierreich.

Abgrenzung

In der Brunft kämpfende Rothirsche. Der Platzhirsch verteidigt seinen Anspruch auf die Paarung mit den weiblichen Tieren.
Damhirsche tragen Schaufeln.

Nicht zu verwechseln ist das Geweih mit dem Kopfschmuck der Hornträger, wie bei Dickhornschaf, Muffelwild, Bison, Steinbock, Gämsen oder Ziegen. Dieser besteht aus hohlem Horn. Das Horn wächst ein Leben lang und wird nicht abgeworfen, kann aber beschädigt werden oder abbrechen. Dagegen werden Geweihe im alljährlichen Zyklus im ausgehenden Winter abgeworfen und direkt folgend neu gebildet.

Funktionen

Naturwissenschaftliche Sicht

Das Geweih dient der innerartlichen Auseinandersetzung während der Brunft als Teil des Imponierverhaltens sowie im Kampf rivalisierender Hirsche um das Paarungsvorrecht. Außerdem kann es zur wirkungsvollen Verteidigung eingesetzt werden.

Eine Fülle weiterer Funktionen wird vermutet: Hirsche nördlicher Breitengrade, aber auch solche der Eiszeit, bildeten und bilden in der Regel arttypisch mächtigere Geweihe aus, in teilweise schneebedeckten Regionen oft mit Schaufeln, während in schneelosen Regionen eher kleine und schaufelarme Geweihe vorherrschen. Große und schaufelreiche Geweihe werden zum Freilegen der schneebedeckten Vegetation genutzt, ein äußerst kräftezehrender (altruistischer) Einsatz zum Vorteil des gesamten Rudels. Dafür spricht der Zusammenhang von Geweihausbildung und regionaler Schneehöhe bei Karibus[2] sowie die jahreszeitliche Ausbildung und der Geweihabwurf zur Schneeschmelze. Geweihtragende weibliche Tiere lassen vermuten, dass das Geweih öfter vorteilhaft eingesetzt werden kann, so zum Graben, zur Behauptung innerhalb der Gruppe, zur Revierverteidigung, aber auch zur Verteidigung gegenüber Angreifern.[3] Allerdings werden von manchen Biologen einige dieser Funktionserklärungen mit dem Hinweis auf die unverhältnismäßig energiereiche Geweihproduktion angezweifelt.[4] Eine weitere Funktion wird in der Thermoregulation gesehen, um im Sommer über das im Wachstum von durchblutendem Bast umgebene Geweih Wärme abgeben zu können.[5]

Geistige Sicht mit Vergleich: Geweih – Kuhhorn

Heinz Grill vergleicht das Geweih der Hirsche mit den Hörnern der Kuh und formuliert eine Übung zum geistigen Schauen. Die Imaginationen, Ergebnisse einer geistigen Forschungsarbeit, klingen auf den ersten Blick für das gewohnte Verständnis ungewöhnlich oder fantastisch, werden die Gedanken jedoch gedacht und eigenständig erforscht, entstehen Empfindungseindrücke objektiver Art. Dieses Empfinden trägt dann eine reale metaphysische Dimension in sich. „Ein Licht findet in die Seele des einzelnen Menschen und dieses wird neben dem praktischen Nutzen den Leib wie auch die Erde und die Pflanzen und die Tierwelt heilsam beeinflussen.“[6]

„Der Hirsch mit seinem Geweih strahlt die Impulse, die er empfängt, wieder in den Kosmos zurück.“
„Die Kuh mit ihren Hörnern empfängt die Impulse des Kosmos und gibt diese unmittelbar an die Erde ab.“

„Aus einer Imaginationsquelle erfährt der Übende, dass die Kuh auf der Weide das Erdentier ist und der Hirsch im Walde das Sonnentier. Weiterhin liest er, dass die Kuh mit ihren Hörnern die Impulse des Kosmos empfängt und diese unmittelbar an die Erde abgibt und der Hirsch mit seinem Geweih die Impulse, die er empfängt, wieder in den Kosmos zurückstrahlt. Und schließlich liest er noch die eigenartige Bedeutung, dass es notwendig wäre, den Kühen die Hörner zu lassen, damit kosmische Impulse in die Erde eindringen können, und den Hirschen im Wald Lebensräume zu bieten, damit diese – so eigenartig die Imagination erscheinen mag – die Temperaturen aus den Wäldern rückwirkend zum Kosmos regulieren. In einer Zeit, in der die Erderwärmung mit dem Abschmelzen der Gletscher eine bedrohende Gefahr darstellt, erscheint es aus dieser Imagination heraus gesehen dringendst nötig, die Hirsche wieder in den Wäldern anzusiedeln und ihnen ausreichend Lebensräume zu geben.

Indem der Einzelne nun diese zunächst fantastisch erscheinenden Gedanken längere Zeit denkt und sie nicht sofort als Unsinnigkeiten verwirft, bemerkt er bald ein ruhiges Gefühl in seinem Herzen und er wird beispielsweise in seiner Seele mit der Beobachtung der Kühe eine Art Farbempfindung erleben, die an die Transparenz der Hörner selbst erinnert, gelblich-bräunlich. Bei Bergkühen wird diese vielleicht in rosa oder in leicht bläuliche Töne übergehen. Mit der Beobachtung dieser Hörner beginnt der Übende die zugehörende kosmische Ätherkraft zu erschauen. Er wird aufmerksam auf die Wichtigkeit der Hörner, die die Kuh trägt, und auf das Geweih, das der Hirsch regelmäßig abwirft und der Erde übergibt. Beim Hirschen beispielsweise erlebt der Aspirant eine bläuliche Farbe. Das ist die Farbe des Wärmeäthers, der aber auf die Erde hin nicht erhitzend, sondern harmonisierend oder tendenziell kühlend wirkt. Dieses Farberleben, eventuell verbunden mit einigen Formgefühlen, ist charakteristisch für die Disziplin des geistigen Schauens. Es äußert die ersten Ergebnisse von realen Empfindungseindrücken, die aus dem getätigten Gedanken und der wiederholten Vorstellung objektiver Art entstehen.“[6]

Wachstum

Schematischer Verlauf der Geweihentwicklung beim Rothirsch (Cervus elaphus): Spießer, Gabler, Sechsender, Achtender, Zehnender – in diesem Beispiel ein Kronenzehner –, dann Zwölfender und Vierzehnender
Schaufelgeweih des Elches (Alces alces). Chugach State Park, Alaska

Die Entwicklung des Geweihs wird in der Jägersprache als Schieben bezeichnet. Gesteuert über das männliche Geschlechtshormon Testosteron wachsen aus der Stirn des Hirsches aus den beiden Rosenstöcken (zapfenförmige Knochengebilde) zwei Knochenstangen (Geweihstangen), die mit fortschreitendem Alter und je nach Art des Tiers Verzweigungen (Enden, Sprossen) oder Verbreiterungen (Schaufeln) bilden können. Je nach Anzahl dieser Enden wird der Hirsch in der Jägersprache als Sechsender, Achtender, Zehnender, Zwölfender, Vierzehnender usw. bezeichnet. Dabei wird die Endenzahl der gegebenenfalls endenreicheren Stange doppelt gezählt. Sind die Endenzahlen gleich, spricht man beispielsweise von einem geraden Zehnender, anderenfalls von einem ungeraden. Die Enden heißen von unten nach oben: Augsprosse, Eissprosse, Mittelsprosse und Krone, wobei die Krone mehrere Enden hat.[7] Einen Zehnender, bei dem die Eissprosse fehlt, der aber oben eine Krone hat, nennt man Kronenzehner. Einen Zehnender, bei dem die Eissprosse vorhanden ist, der aber oben nur eine Gabel hat, nennt man Eissprossenzehner. Diese Bezeichnungen sind bedeutsam beim Ansprechen des Rotwildes. Mit ihnen werden die Individuen benannt, da innerhalb eines Rudels normalerweise keine zwei Hirsche mit gleichem Geweih vorkommen. Kleine Erhebungen am Geweih werden als Perlen bezeichnet. Sie können in Größe, Form und Verteilung unregelmäßig variieren.

Die Knochensubstanz der Geweihe wird während der Wachstumsphase über eine kurzbehaarte Haut, den Bast, durch Blutgefäße versorgt. In dieser Phase bildet sich das Geweih beim Wapiti mit einer Geschwindigkeit von bis zu 2,8 cm pro Tag, damit ist es nach aktuellem Kenntnisstand das am schnellsten wachsende Organ im gesamten Tierreich.

Nach Abschluss des Wachstums wird die Blutversorgung eingestellt, die Knochensubstanz stirbt ab, der Bast trocknet aus und wird vom Tier an Büschen und Bäumen abgescheuert (gefegt). Ein Geweih mit vollständig entferntem Bast wird als Ledergeweih bezeichnet. An Baumrinden kann das Fegen Schrammen hinterlassen, die als geringfügige Wildschäden gelten.

Das frisch gefegte Geweih hat die weiße Farbe des freigelegten Knochens. Die spätere bräunliche Verfärbung entsteht durch Pflanzensäfte, die in die Knochensubstanz eindringen, während der Hirsch wiederholt sein Geweih in Büsche und Bäume schlägt.

Im Herbst bis Spätherbst des Jahres bildet sich beim Rehbock zwischen Geweih und Rosenstock eine Trennfuge, an der das Geweih abbricht. Beim Rothirsch geschieht dies im Spätwinter.

Störungen im Testosteron-Haushalt (Mangel, Totalausfall oder Verletzungen an den Hoden) führen regelmäßig zu Geweihmissbildungen. Die bekannteste ist der Perückenbock. Andere unregelmäßige Gehörnformen sind z. B. Tulpengehörn, Frostgehörn, Pechgehörn, Ledergehörn, Blasengehörn und Korkenziehergehörn.

Nutzung

Edelweiß in eine Hirschrose geschnitzt. Aufgenäht auf den Stegträger einer Trachtenlederhose

Geweihe zeichnen sich, obwohl sie auch aus knöcherner Substanz bestehen, durch große Elastizität aus. Gewöhnlich werden zur Verarbeitung Abwurfstangen genommen. Geweih hat gegenüber den Knochen eine doppelt so hohe Dämpfung und eignet sich daher für Gegenstände, die Druck und Schlag aushalten müssen, wie Hacken oder Zwischenfutter von Beilen. Seit dem Aurignacien wurde auch Kleinkunst aus Geweih hergestellt. Aus dem Hohlen Fels[8] stammt ein graviertes Gerät aus Rentiergeweih. Möglicherweise ist darauf ein schematisiertes Wildrind dargestellt. Geweihe werden durch die Spantechnik (Ritzen zweier parallel verlaufender Linien und Ausschneiden oder Ausheben des Spanes), durch Steinbeile oder (im Neolithikum) mit einem sandbehafteten nassen Lederriemen oder einer Schnur zerlegt.

Geweihgeräte sind: Angelhaken, Äxte, (Geweihaxt von Syltholm), Beile (Lyngbybeil), Beilklingen, Druckstäbe, Hacken, Hämmer (Gerät von Essen-Frohnhausen), Hakenenden für Speerschleudern, Harpunen, Lanzenspitzen, Lochstäbe, Meißel, Nähnadeln, Pickel, Pfrieme, Speere, Zwischenfutter für Beile sowie Zwischenstücke. Durch Zerschlagen von Rentiergeweihen gewann man Splitterstücke, aus denen man Werkzeuge oder Waffen herstellte. Bei Geweihbeilen bildet die abgeschrägte Seitensprosse die quer zum Geweihschaft verlaufende Schneide. Sie kommen seit dem Mittelpaläolithikum vor, verbreiteter aber erst seit dem Jungpaläolithikum. Geweihhämmer werden zum Klopfen von Fleisch und Haut, als Schlegel für Meißel bei der Knochenspaltung oder beim Feuersteinabbau (Gezähe) verwendet. Geweihpickel, bei denen die Geweihstange den Schaft und die Sprosse die Zacke bildet, eignen sich zum Wühlen und Hacken. Sie wurden im neolithischen Bergbau eingesetzt (Gezähe).

Geweihe werden vom heutigen Menschen (Jäger) primär als Trophäen verwendet, Trachtenkleider regional mit Knöpfen aus Geweihmaterial ausgestattet (Lederhose). Früher stellte man aus dem Geweih von Hirschen, insbesondere vom Rothirsch, die zur Zubereitung von Medikamenten benutzte, aus gebrannten Stückchen vom Hirschhorn (lateinisch Cornu cervi bzw. als gebrannte Hirschhorn Cornu cervi ustum[9]) gewonnene Hirschhorn-Asche[10][11] her, die als Hirschhornsalz[12] zubereitet auch als Backtriebmittel dient. Dem Hirschgeweih schrieb man zudem eine magisch heilende Kraft zu und verwendete es als Amulett.[13] Schamanen trugen Hirschgeweihe als Zeremonialschmuck und Gottheiten wie der Hirschgott Cernunnos wurden ebenfalls damit dargestellt.[14]

Literatur

  • Ilse Haseder, Gerhard Stinglwagner: Knaurs Großes Jagdlexikon. Droemersche Verlagsanstalt, München 1996, (Weltbild-Verlag, Augsburg 2000) ISBN 3-8289-1579-5.

Weblinks

Commons: Geweih - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wiktionary: Geweih – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Duden-Eintrag zu Gewicht
  2. J.A. Schaefer, S.P. Mahoney: Antlers on female caribou: biogeography of the bones of contention. Eco Soc America, 2008.
  3. T.H. Clutton-Brock: The functions of antlers. Behaviour, 1982, jstor.org.
  4. F. F. Darling: A herd of red deer. In: Natural History Library edition, Doubleday, New York 1964.
  5. Bernard Stonehouse: Thermoregulatory function of growing antlers. In: Nature 218, S. 870–872 (1 Juni 1968); doi:10.1038/218870a0.
  6. 6,0 6,1 Heinz Grill: Die Heilkraft der Seele. Der Lichtäther und der Lichtseelenprozess. 3. vollständig überarbeitete Auflage. Stephan Wunderlich Verlag, 2015, ISBN 978-3-9817200-2-0, S. 74–76.
  7. Das ROTWILD (Memento vom 26. November 2016 im Internet Archive). In: Südtiroler Jagdportal.
  8. Martina Barth: Die gravettienzeitlichen Knochen- und Geweihartefakte aus dem Hohle Fels und benachbarten Fundstellen im Achtal, Schwäbische Alb. Page 1. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Urgeschichte, 13, 2004, S. 79 urgeschichte.uni-tuebingen.de (Memento vom 11. Juni 2007 im Internet Archive) (PDF; 1,9 MB).
  9. Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 140.
  10. Gerhard Roßbach, Peter Proff: Cassius-Felix-Interpretationen: Teile I und II. Würzburg 1991 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 37), S. 150.
  11. Hans-Joachim Poeckern: Die Simplicien im Nürnberger Dispensatorium des Valerius Cordus von 1546 und ihre Erläuterung in den kursiv gedruckten Fußnoten, unter besonderer Berücksichtigung der Dioskuridesanmerkungen und Pflanzenbeschreibungen des Valerius Cordus. Mathematisch-naturwissenschaftliche Dissertation, Halle an der Saale 1970, S. 144.
  12. Hunnius Pharmazeutisches Wörterbuch. De Gruyter, 6. Auflage. Berlin/ New York 1986, S. 53.
  13. D. Chabard (Hrsg.): Medizin im gallisch-römischen Altertum. La médecine dans l’antiquité romaine et gauloise. Exposition par le Museum d’histoire naturelle et le Musée Rolin dans le cadre du Bimillénaire de la Ville d’Autun. Musée d’Histoire Nauturelle, Ville d’Autun 1985 / Stadt Ingelheim/Rhein 1986, S. 30.
  14. Ernst von Khuon (Hrsg.): Waren die Götter Astronauten? Wissenschaftler diskutieren die Thesen Erich von Dänikens. Taschenbuchausgabe: Droemer, München/Zürich 1972, ISBN 3-426-00284-1, S. 96–97 (kommentierte Fotografien).
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