Valentinianismus

Aus AnthroWiki
Plérome de Valentin, aus Histoire critique du Gnosticisme; Jacques Matter, 1826, Band II, Tafel II

Der Valentinianismus bezeichnet die von den Schülern des Gnostikers Valentinus vertretene gnostisch-christliche Lehre und war eine der am weitesten verbreiteten Bewegungen des Gnostizismus.

Schüler des Valentinus

Irenäus von Lyon (um 135–202) folgend wurden in der Antike vor allem Herakleon und Ptolemäus als unmittelbare Schüler Valentinus’ verstanden. Der von ihnen weiterentwickelte Valentinianismus existierte in einer westlichen (Ptolemäus, Herakleon) und östlichen (Theodot) Form. Hippolytus erwähnt einen Axionicos und einen Ardesianes (nach Schaff vermutlich identisch mit Bardesanes) für die östliche Form.

In der neueren Forschung treten die Schüler mit ihrer eigenen theologischen Qualität stärker in den Vordergrund,[1] sodass man von einer eigentlichen „Schule“ nicht mehr sprechen kann. Einige Grundelemente der Theologie Valentinus' und des Valentinianismus wurden auch von Origenes aufgenommen und weiter entwickelt.[2]

Geschichte

Nach Ambrosius von Mailand störten im Jahr 388 Valentinianer bei Kallinikos (Syrien) eine Prozession von Mönchen, worauf die Mönche den Tempel der Valentinianer in einem Dorf niederbrannten. Kaiser Theodosius I. ordnete die Bestrafung der Mönche an, Ambrosius trat für sie ein.[3] Die letzte Erwähnung von Valentinianern ist 692 im Kanon 95 des zweiten Konzils von Trullo.[4]

„Letzte Zeugnisse, die für die Existenz von Valentinianern in Anspruch genommen werden können, stammen aus dem 7. Jh. [...], aber nach der Mitte des 5. Jh. scheinen sie keine wirkliche Größe mehr dargestellt zu haben.“[5]

Lehre

Der Valentinianismus ist eine synkretistische christlich geprägte religiöse Bewegung mit vielen neuplatonischen und pythagoräischen Elementen. Hippolyt von Rom gibt in seiner Widerlegung aller Häresien einen ausführlichen Bericht[6] über die aus seiner Sicht häretische Lehre der Valentinianer, ebenso Irenäus von Lyon[7].

Da ein guter Schöpfergott angenommen wird, stellt sich Valentinos die Frage nach der Herkunft des Elends in der Welt. Die Antwort wird in einer mythischen Erzählung – dem sog. Sophia-Mythos – gegeben: Durch einen Sündenfall vor der Schöpfung entsteht die Welt. Dieser steht eine rettende Erlösergestalt gegenüber. Somit ergibt sich ein dualistisches Weltbild, eines der Kennzeichen gnostischer Systeme: Die Welt, die Finsternis, das Materielle steht einer geistigen Welt, dem Licht gegenüber.

Die 30 Äonen

Die Valentinianer sprechen von einer obersten «Achtheit» von Äonen, die 4 männlich-weibliche Paare bilden. Bythos, die männliche Seite der Gottheit, verbindet sich mit seiner weiblichen Hälfte, der Ennoia (griech. έννοια), der „erste Gedanke“ oder die „erste Denkkraft“ Gottes), die auch Charis („Gnade“) oder Sige („Schweigen“) genannt wird. Daraus entstehen Nous (griech. νοῦς, Vernunft), der „Eingeborene“, und Aletheia (griech. ἀλήθεια, Wahrheit). Diese bringen gemeinsam den Logos (griech. λόγος, Wort) und die Zoe (griech. ζωή, Leben) hervor, aus denen am Ende der Anthropos (griech. ἄνθρωπος, Mensch) und die Ecclesia (griech. ἐκκλησία, Kirche) entspringen. Auf diese Ogdoas („Achtheit“) folgt eine Zehnheit und dann eine Zwölfheit von Äonen; insgesamt umfasst das System der Valentinianer damit 8 + 10 + 12 = 30 Äonen. Als unterster Äon erscheint hier, wie auch in vielen anderen gnostischen Lehren, die Sophia, durch deren Fall die finstere Welt ausserhalb des Pleromas, die materielle Welt der äußeren Schöpfung, ensteht. Der Demiurg, der Weltenbaumeister, der diese Welt hervorbringt, ist ein Abkömmling der Sophia. Von diesen 30 Äonen wird auch in der Pistis Sophia gesprochen.

Irenäus von Lyon († um 200) berichtet über die dreißig Äonen der Valentinianer:

„Es lehren die Valentinianer, in unsichtbaren und unnennbaren Höhen sei ein vollkommener Äon gewesen, der vor allem war. Diesen nennen sie auch Uranfang, Urvater und Tiefe[8]. Er ist aber unsichtbar, und kein Ding kann ihn fassen. Da er unfaßbar, unsichtbar, ewig und unerzeugt ist, so ist er unermeßliche Zeiten in tiefster Ruhe gewesen. Mit ihm hat zugleich angefangen die Ennoia, die sie auch Charis und Sige nennen. Nun ist jener einmal auf den Gedanken gekommen, von sich diesen Bythos als Anfang aller Dinge auszusenden und diesen Sprößling, den er auszusenden im Sinne gehabt hatte, wie ein Sperma gleichsam in den Mutterschoß der bei ihm befindlichen Sige einzusenken. Nachdem diese ihn empfangen hatte und schwanger geworden war, hat sie den Nous geboren, der dem Erzeuger ähnlich und gleich war und allein die Größe des Vaters erfaßte. Diesen Nous nennen sie auch den Eingebornen, Vater und Anfang aller Dinge. Mit Ihm zusammen ist auch die Wahrheit geboren und dies ist die erste und ursprüngliche Pythagoräische Vierheit, die sie auch die Wurzel aller Dinge heißen. Sie besteht nämlich aus dem Bythos und der Sige, dann aus dem Nous und der Wahrheit[9].

Indem er nun merkte, wozu er hervorgebracht war, hat der Eingeborne[10] nun seinerseits den Logos und die Zoe hervorgebracht, den Vater aller Dinge, die nach ihm kommen sollten, und die Mutter und Gestaltungskraft des gesamten Weltalls. Aus ihrer ehelichen Verbindung sind hervorgegangen der Mensch und die Kirche Das ist die ursprüngliche Achtheit, die Wurzel und Substanz aller Dinge, die nur mit vier Namen bei ihnen belegt ist: Bythos und Nous, Logos und Anthropos[11], weil in dem männlichen Prinzip jedesmal auch das weibliche enthalten ist, indem sich der erste Urvater[12] paarweise mit seiner Ennoia, der Eingeborne[13] mit der Aletheia, der Logos mit der Zoe, der Mensch mit der Kirche vereinigte.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 1,1 [3]

Gemeint ist hier nicht der äußere irdische Mensch, sondern der himmlische Urmensch, vergleichbar dem Adam Kadmon der Kabbala. Und die Kirche ist ebenso wenig die äußere irdische Kirche, sondern ihr höchstes himmliches Urbild.

„Diese Äonen, zur Verherrlichung des Vaters hervorgebracht, wollten nun auch ihrerseits aus dem Ihrigen den Vater verherrlichen. So entsprossen der Verbindung des Logos und der Zoe, nachdem sie den Menschen und die Kirche erzeugt hatten, zehn weitere Äonen, die da heißen: Bythios und Mixis, Ageratos und Henosis, Autophyes und Hedone, Akinetos und Synkrasis, Monogenes und Makaria. Diese zehn Äonen also stammen von dem Logos und der Zoe. — Der Mensch mit der Kirche hat gleichfalls Äonen hervorgebracht und zwar zwölf, denen sie folgende Namen verleihen: Parakletos und Pistis, Patrikos und Elpis, Metrikos und Agape, Aeinous und Synesis, Ekklesiastikos und Makariotes, Theletos und Sophia.“

Irenäus von Lyon: Contra Haereses I 1,2 [4]

Damit ergibt sich folgender Überblick über die 30 Äonen:

Achtheit
männlich weiblich
Bythos („Tiefe“) Ennoia (der „erste Gedanke“) bzw. Sige (Schweigen) oder Charis (Gnade)
Nous (Vernunft; der „Eingeborene“ oder „Erstgeborene“) Aletheia (Wahrheit)
Logos (Wort) Zoe (Leben)
Anthropos (der kosmische Urmensch) Ecclesia (die himmlische Kirche)


Aus dem Logos und der Zoe entsteht die

Zehnheit
männlich weiblich
Bythios (Tiefe) Mixis (Vermischung)
Ageratos (Unvergänglichkeit) Henosis (Einssein, Vereinigung)
Autophyes Hedone (Genuss)
Akinetos (der Unbewegte) Synkrasis
Monogenes Makaria (Freude)

und aus dem Anthropos und der Ecclesia die

Zwölfheit
männlich weiblich
Parakletos Pistis (Glaube)
Patrikos Elpis (Hoffnung)
Metrikos Agape (Liebe)
Aeinous Synesis
Ekklesiastikos Makariotes
Theletos Sophia

Literatur

  • Philip Schaff: § 126. The School of Valentinus. Heracleon, Ptolemy, Marcos, Bardesanes, Harmonius in History of the Christian Church
  • Philip Schaff: Valentinus and his School in New Schaff-Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge
  • Christoph Markschies: Valentin/Valentinianer. In: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 34, de Gruyter, Berlin 2003, S. 495-500 Google-Booksearch
  • Christoph Markschies: Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis, mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins. Mohr, Tübingen 1992, ISBN 3-16-145993-8
  • Christoph Markschies: Die valentinianische Gnosis und Marcion - einige neue Perspektiven. In: Gerhard May, Katharina Greschat, Martin Meiser (Hrsg.): Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung: Vorträge der Internationalen Fachkonferenz zu Marcion, gehalten vom 15. - 18. August 2001 in Mainz = Marcion and his impact of church history. De Gruyter, Berlin 2002, ISBN 3-11-017599-1, S. 159-175 Google-Booksearch
  • Einar Thomassen: The Spiritual Seed. The Church of the "Valentinians" (= Nag Hammadi and Manichaean Studies Bd. 60). Brill, Leiden 2006, ISBN 90-04-14802-7
  • Niclas Förster: Marcus Magus: Kult, Lehre und Gemeindeleben einer valentinianischen Gnostikergruppe. Sammlung der Quellen und Kommentar. Mohr Siebeck, Tübingen 1999, ISBN 3-16-147053-2
  • Everett Procter: Christian Controversy in Alexandria. Clement's Polemic against the Basilideans and Valentinians (= American University Studies 7/172). Lang, New York u.a. 1995, ISBN 0-8204-2378-5
  • Holger Strutwolf: Gnosis als System. Zur Rezeption der valentinianischen Gnosis bei Origenes (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 56). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993, ISBN 3-525-55164-9
  • Philip L. Tite: Valentinian Ethics and Paraenetic Discourse. Determining the Social Function of Moral Exhortation in Valentinian Christianity. Brill, Leiden 2009, ISBN 978-90-04-17507-5
  • Klaus-Gunther WesselingValentinos (Valentin, Valentinian, Valentinus, Valentius) In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 12, Bautz, Herzberg 1997, ISBN 3-88309-068-9, Sp. 1067–1084.

Anmerkungen

  1. Vgl. Markschies, in: TRE 34, S. 495
  2. Vgl. Klaus-Gunther Wesseling: "Valentinos". In: BBKL XII (1997), spp. 1067-1084
  3. Ambrosius: Epistel XL. (englisch)
  4. Kanon 95 des zweiten Konzils von Trullo
  5. Markschies, in: TRE 34, S. 498
  6. Hippolytus von Rom: Widerlegung aller Häresien (Refutatio omnium haeresium), VI. Buch, 29-37 [1]
  7. Irenäus von Lyon: Gegen die Häresien (Contra Haereses) I. Buch, 1 ff [2]
  8. Bythos
  9. Aletheia
  10. d. i. der Nous
  11. Mensch
  12. Bythos
  13. d. i. der Nous


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Valentinianismus aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.