Theodor Lipps und Stadt: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:TLipps.jpg|mini|Theodor Lipps]]
Eine '''Stadt''' (von {{gohS|stat}} ‚Standort‘, ‚Stelle‘; [[Etymologie|etymologisch]] eins mit ''Statt, Stätte;'' vgl. dagegen [[Staat]]) ist eine größere, zentralisierte und vom Umland abgegrenzte [[Siedlung]] im Schnittpunkt größerer [[Verkehr]]swege mit einer eigenen [[Verwaltung]]s- und Versorgungsstruktur. Damit ist fast jede Stadt zugleich ein [[zentraler Ort]].
'''Theodor Lipps''' (* 28. Juli 1851 in Wallhalben; † 17. Oktober 1914 in München) war ein deutscher [[Philosoph]] und [[Psychologe]] des späten 19. Jahrhunderts. Er galt als einer der Hauptvertreter des [[Psychologismus]] in Deutschlands und als einer der führenden Philosophen seiner Zeit. Er war Gründer des Psychologischen Institutes an der Universität München 1913. Lipps selber verstand sich als [[Phänomenologie|Phänomenologe]].


== Leben ==
Städte sind aus kulturwissenschaftlicher Perspektive der Idealfall einer Kulturraumverdichtung und aus Sicht der Soziologie vergleichsweise dicht und mit vielen Menschen besiedelte, fest umgrenzte Siedlungen ([[Gemeinde]]n) mit vereinheitlichenden staatsrechtlichen oder kommunalrechtlichen Zügen wie eigener [[w:Markthoheit|Markthoheit]], eigener [[Regierung]], eigenem [[Kult]] und [[sozial]] stark differenzierter Einwohnerschaft. Das Letztere unterscheidet sie von [[w:Lager (Camp)|Lagern]] wie Arbeitslagern, Straflagern, Winterquartieren von Heeren, das Erstere zum Beispiel vom [[Dorf]].
Lipps wurde als eines von drei Kindern des Pfarrers Karl Theodor Lipps und dessen erster Frau, der Pfarrerstochter Elise geb. Hoos geboren. Die Mutter starb als Lipps zwei Jahre alt war. Der Vater siedelte nach Rheingönheim über, dort war Lipps Schüler der Volksschule. Von 1861 bis 1864 besuchte Lipps in Korntal bei Stuttgart die Lateinschule. Im Anschluss wurde er Schüler des Herzog-Wolfgang-Gymnasiums in Zweibrücken. Hier bestand er mit 16 Jahren (1867) als Bester seines Jahrganges das Abitur. Lipps hatte einen Bruder, Gottlob Friedrich Lipps (1865–1931), der ebenfalls als Philosoph und Psychologe wissenschaftlich tätig war.
[[Datei:Friedrichstr. 4 Muenchen-1.jpg|mini|München, Friedrichstr. 4. Hier wohnte Lipps während seiner Münchner Zeit.]]
Im Anschluss daran studierte Lipps von 1867 bis 1871 [[Theologie]] auf Wunsch des Vaters nacheinander in [[Erlangen]], [[Tübingen]] und in [[Utrecht]]. Während seines Studiums wurde er 1868 Mitglied der christlichen [[Studentenverbindung]] [[C. St. V. Uttenruthia Erlangen|Uttenruthia]].<ref>[[Leopold Petri]] (Hrsg.): ''Mitgliederverzeichnis des Schwarzburgbundes.'' Vierte Auflage, Bremerhaven 1908, S. 64, Nr. 1373.</ref> 1872 legte er in [[Speyer]] sein theologisches Examen ab. In Tübingen hatte Lipps sein Interesse an den Ideen von [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegel]] und [[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling|Schelling]] entdeckt. Hundert Jahre vor Lipps hatten sie zusammen mit [[Friedrich Hölderlin]] im [[Evangelisches Stift Tübingen|Theologischen Stift]] gewohnt und gemeinsam für die Verbreitung obrigkeitswidriger Ideen der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]] gesorgt.<ref>Thomas Assheuer: [http://www.zeit.de/2007/52/OdE9-Geist Die Gefährten] ZEIT ONLINE, vom 18. Dezember 2007</ref> Entgegen den Erwartungen seines Vaters und der Kirchenbehörde verweigerte Lipps nach seinem Examen die weitere Ausbildung zum Pfarrer und begann stattdessen in Utrecht [[Philosophie]] und [[Naturwissenschaft]]en zu studieren.  


1874 erwarb Lipps als [[Hospitant]] in [[Bonn]] mit einer Studie „Zur Herbartschen Ontologie“ den Doktorgrad. Seinen Lebensunterhalt bestritt er in diesen Jahren als Haus- und Gymnasiallehrer. 1877 habilitierte er sich in Bonn mit seiner Arbeit „Grundtatsachen des Seelenlebens“ bei [[Jürgen Bona Meyer]] für Philosophie.<ref>Henckmann, Wolfhart, „Lipps, Theodor“ in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 670–672 [Onlinefassung]; [http://www.deutsche-biographie.de/ppn117057436.html] - Weitere Infos zum Lebenslauf unter der Homepage der Geburtsgemeinde Wallhalben [http://www.pfaelzer-muehlenland.de/fileadmin/PDF/Theodor_Lipps.pdf]</ref>
Die Wissenschaft, die sich mit der Erforschung der Stadt in ihren Facetten befasst, ist die [[w:Urbanistik|Urbanistik]].
Nach einem Lehrauftrag in Bonn (1877–90) und einer Professur in Breslau (1890–94) folgte er einem Ruf an die Universität von München (1894–1914), wo er zum Nachfolger von [[Carl Stumpf]] auf dem Lehrstuhl für Systematische Philosophie wurde. Zu seinen Schülern zählen der Philosoph und Soziologe [[Max Scheler]] und der marxistische Philosoph [[Ernst Bloch]]. Seit 1899 war er ordentliches Mitglied der [[Bayerische Akademie der Wissenschaften|Bayerischen Akademie der Wissenschaften]].


1909 erkrankte Lipps und erholte sich nicht wieder. Er musste seine Tätigkeiten einstellen und starb 1914. Sein Wunsch war es gewesen, in München ein Institut für experimentelle Psychologie zu gründen. Bei seiner Berufung war ihm dies vom zuständigen Staatsministerium auch zugesagt worden. Ein Jahr bevor er starb wurde das psychologische Institut eröffnet. Nach seinem Tod würdigte ihn die Philosophische Fakultät der Ludwig-Maximilian-Universität so: „15 Jahre bis zum Auftreten einer besorgniserregenden Erkrankung hat LIPPS eine große und segensreiche, weithin bekannte und gerühmte Wirksamkeit entfaltet. ... Wir haben in ihm eine führende Philosophengestalt, einen glänzenden Dozenten, einen zuverlässigen Kollegen und einen hervorragenden Vertreter aller Universitätsinteressen verloren.“<ref>Kurt Lukasczyk: ''Die Gründung des psychologischen Instituts der Ludwig-Maximilians-Universität München.'' Vortrag am 5. Dezember 2001 auf dem Gedenksymposium der Fakultät für Psychologie und Pädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München anlässlich des 150. Geburtstages von Theodor Lipps.</ref>
== Stadt und Land aus geisteswissenschaftlicher Sicht ==


== Historischer Kontext ==
In den vorchristlichen altorientalischen Zeiten erschöpften sich die Städte noch nicht in dem, was sie durch ihre physische Realität darstellten, sondern waren Ausdruck der [[übersinnliche Welt|übersinnlichen Welt]]. Ein höheres Geistiges offenbarte sich in ihnen. Anders wurde das in [[Rom]], mit dessen Gründung die [[griechisch-lateinische Zeit]] (747 v. Chr. - 1413 n. Chr.) beginnt. Während die griechischen Städte und Stadtstaaten noch ohne die Beziehung zu dem sie umgebenden Land undenkbar sind, wurde Rom geradezu zum Sinnbild für die gegenüber der Natur und ihrer Geistigkeit gleichgültige, überbordende äußere [[Zivilisation]] und dem darin aufblühenden [[Egoismus]]. Eine ähnliche Rolle spielt in der [[Bibel]] die Stadt [[Babylon]], wie es schon die Erzählung vom [[Turmbau zu Babel]] andeutet. Der Hochmut der Menschen wird dort durch die [[Babylonische Sprachverwirrung]] bestraft. Im [[Neues Testament|Neuen Testament]] ist in der [[Apokalypse des Johannes]] nicht zufällig von der [[Hure Babylon]] die Rede. Im [[Frühchristentum]] wurde Babylon schon bald eine Chiffre für [[Rom]] und das [[Römisches Reich|Römische Reich]]. Als die Römer schließlich das [[Christentum]] übernahmen und sich das [[Papst]]tum in Rom festsetzte, wurde Babylon zunehmend auch ein Symbol für die Verfehlungen der [[Römisch-Katholische Kirche|Römisch-Katholischen Kirche]] und die Ausschweifungen und den Machtmissbrauch zahlreicher Päpste. [[Dante]] gebrauchte dieses Bild in seiner [[Göttliche Komödie|Göttlichen Komödie]] im 19. Gesang des [[Inferno]] und im 32. Gesang des [[Purgatorio]] für seine radikale Kritik an dem wegen seines Hochmuts berüchtigten Papst [[w:Bonifaz VIII.|Bonifaz VIII.]]
Die Entstehung vor allem naturwissenschaftlicher Einzelfächer im 19. Jahrhundert an den deutschen Universitäten, veränderte das wissenschaftliche Selbstverständnis der bisher durch die Philosophie beherrschten Lehre und Forschung. Bisher waren philosophische und psychologische Forschungen an Universitäten in den Philosophischen Fakultäten angesiedelt gewesen. Die Psychologie wurde als ein Spezialgebiet der Philosophie angesehen. Philosophen, die sich an der Natur und den Naturwissenschaften orientierten und. metaphysikkritische bzw. ametaphysische Auffassungen vertraten, wie sie z. B. [[Richard Avenarius|Avenarius]], [[Hugo Dingler|Dingler]], [[Ludwig Feuerbach|Feuerbach]], [[Johann Gottfried Herder|Herder]], [[Ernst Mach|Mach]], [[Karl Marx|Marx]], äußerten – suchten nach neuen Antworten. Sie erwarteten von der psychologischen Forschung neuartige Beiträge zur Lösung philosophischer Probleme, vor allem in der [[Erkenntnistheorie]] und in der [[Logik]].  


Im Zuge eines Aufschwungs der psychologischen Philosophie durch experimentelle Methoden - wie sie [[Wilhelm Wundt]], Inhaber eines philosophischen Lehrstuhles, praktizierte - wurden philosophische Lehrstühle immer öfter mit [[Experimentelle Psychologie|Experimentalpsychologen]] besetzt. Diese Veränderungen hatten Konflikte zwischen Philosophen und Psychologen um die Inhalte und Methoden der Philosophie zur Folge. Im Jahr 1912 unterzeichneten dann auch zwei Drittel aller an deutschsprachigen Universitäten lehrenden Philosophen eine Erklärung, in der sie sich gegen eine weitere Besetzung philosophischer Lehrstühle mit Experimentalpsychologen aussprachen.<ref>Vgl. Kurt Lukasczyk: ''Die Gründung des psychologischen Instituts der Ludwig-Maximilian-Universität München.'' - Zu diesem Abschnitt auch : [[Karl Vorländer]]: ''Geschichte der Philosophie. Band 2,'' Leipzig 5. Aufl., 1919, S. 492–503.[http://www.zeno.org/nid/20009277218 zeno.org]</ref>
{{GZ|Auch die alten vorchristlichen orientalischen Kulturen haben, wie Sie wissen, große Städte hervorgebracht. Wir können zurückblicken auf weit ausgebreitete orientalische Kulturen, die auch große Städte hervorgebracht haben. Aber diese großen Städte der alten Kulturen, die hatten eine gewisse Gesinnung neben sich. Alle orientalischen Kulturen hatten das Eigentümliche, daß sie ausbildeten mit dem Leben in den Großstädten die Anschauung, daß eigentlich, wenn der Mensch nicht durchdringt über das Physische zum Überphysischen, er im Leeren, im Nichtigen lebt. Und so konnten sich wirklich die großen Städte Babylon, Ninive und so weiter entwickeln, weil der Mensch durch diese Städte nicht dazu gekommen ist, das, was diese Städte hervorgebracht haben, als das eigentlich Wirkliche anzusehen, sondern dasjenige, was erst hinter alledem ist. Es ist erst in Rom so geworden, daß man die Städtekultur zu einem Regulativ der Wirklichkeitsanschauung gemacht hat. Die griechischen Städte sind undenkbar ohne das sie umgebende Land; sie nähren sich von dem sie umgebenden Land. Wäre unsere Geschichte nicht so sehr eine Fable convenue, wie sie es ist, sondern würde sie die wirkliche Gestalt der früheren Zeiten neu herauf bringen, so würde sie zeigen, wie die griechische Stadt im Land wurzelt. Rom wurzelte nicht mehr im Lande, sondern die Geschichte Roms besteht eigentlich darinnen, eine imaginäre Welt zu einer wirklichen zu machen, eine Welt, die nicht wirklich ist, zu einer wirklichen zu machen. In Rom wurde eigentlich der Bürger erfunden, der Bürger, dieses fürchterliche Karikaturgebilde neben dem Wesen Mensch. Denn der Mensch ist Mensch; und daß er außerdem noch ein Bürger ist, ist eine imaginäre Sache. Daß er ein Bürger ist, das steht irgendwo in den Kirchenbüchern oder in den Rechtsbüchern oder dergleichen. Daß er, außer dem, daß er Mensch ist und als Mensch gewisse Fähigkeiten hat, auch noch einen eingetragenen Besitz hat, einen grundbuchlich eingetragenen Besitz, das ist etwas Imaginäres neben der Wirklichkeit. Das alles aber ist römisch. Ja, Rom hat noch viel mehr zustande gebracht. Rom hat verstanden, alles dasjenige, was sich ergibt aus der Loslösung der Städte vom Lande, vom wirklichen Lande, zu einer Wirklichkeit umzufälschen. Rom hat zum Beispiel verstanden, in die religiösen Begriffe der Alten die römischen Rechtsbegriffe einzuführen. Derjenige, welcher der Wahrhaftigkeit gemäß zu den alten religiösen Begriffen zurückgeht, der findet nicht in diesen alten religiösen Begriffen die römischen Rechtsbegriffe. Römische Jurisprudenz ist eigentlich hineingegangen in die religiöse Ethik. Es ist im Grunde genommen in der religiösen Ethik - durch dasjenige, was Rom daraus gemacht hat - so, als wenn in der übersinnlichen Welt solche Richter dasäßen, wie sie auf unseren Richterstühlen römischer Prägung sitzen und über die menschlichen Handlungen richteten. Ja, wir erleben es sogar, weil die römischen Rechtsbegriffe noch nachwirken, daß da, wo vom Karma die Rede ist, die meisten Menschen, die heute sich zum Karma bekennen, sich die Auswirkung dieses Karma so vorstellen, als wenn irgendeine jenseitige Gerechtigkeit da wäre, welche nach den irdischen Begriffen das, was einer getan hat, belegt mit dieser oder jener Belohnung, dieser oder jener Strafe, ganz nach römischen Rechtsbegriffen. Alle Heiligen und alle überirdischen Wesenheiten leben eigentlich so in diesen Vorstellungen, daß römisch-juristische Begriffe sich in diese überirdische Welt hineingeschlichen haben.|191|79f}}


== Themen seines Philosophierens ==
=== Verlust der Verbindung zur Natur ===
Lipps beschäftigte sich außer mit philosophischen und psychologischen Themen auch mit grundlegenden Fragen zur Aufgabe der [[Wissenschaftstheorie|wissenschaftlichen Philosophie]] und mit ihrer Funktion in [[Kooperation]] mit anderen Einzelwissenschaften. Die wissenschaftliche Philosophie verstand er als ''[[Geisteswissenschaft]]'' bzw. als [[Erfahrung|''Wissenschaft der inneren Erfahrung'']]. Diese innere Erfahrung sollte durch Selbstbeobachtung und - wie im Institut von Wundt - mit [[Experimentelle Psychologie|experimentellen Methoden]] der Psychologie erforscht und dokumentiert werden. Die Einrichtung eines Psychologischen Institutes verzögerte sich. Lipps wollte ein umfassendes Wissen über die Bewusstseinstätigkeiten des Menschen sammeln. Er forschte dazu insbesondere auf dem Gebiet der psychologischen [[Ästhetik]]; das hieß zu Zeiten Lipps, er forschte über [[Wahrnehmung#Wahrnehmungstheorie|Wahrnehmungstheorien]].<ref>Vgl. Lipps: ''Grundtatsachen des Seelenlebens'', Einleitung. [http://www.gleichsatz.de/b-u-t/begin/lipps/LT-grund1.html online]</ref>


Von seinem philosophisch-psychologischen Schwerpunkt ausgehend entwickelte Lipps unter der Forderung nach einer „reinen Bewusstseinswissenschaft“ Ideen, die er der [[Metaphysik]] zuordnete. Noch nicht einmal die Naturwissenschaften kämen ohne Behauptungen aus, um die Lücken in der Erfahrung schließen, so meinte er. Er ging davon aus, dass „eine alles ordnende Vernunft“ als Bewusstseinstatsache von jedem Menschen erlebt werden kann. Er beschrieb sie näher als das Erleben des „Du-Solls“. Im Zusammenhang mit dieser Bewusstseinstatsache beschrieb er, dass das Konstruieren der Objekte 'Forderungen' an richtiges Denken stelle, die von überindividueller Qualität seien. Er sah im „Du-Sollst“ ein erlebbares Transzendentes, das er u. a. mit Wörtern wie 'absolutes Subjekt' bzw. 'reine Vernunft' bezeichnete. Diese bewusstseinsimmanente Tatsache ermögliche es Menschen, Wirklichkeit objektiv zu erkennen und zu gestalten.<ref>''Philosophie und Wirklichkeit'', S. 38f.– vgl. a. Max Frischeisen-Köhler, Willy Moog: ''Jahrbücher der Philosophie'', Band 1, 1913, S. 219.</ref>
Mit dem Städtebau ging zunehmend die Verbindung zur [[Natur]] und den in ihr waltenden geistigen Kräften verloren.  


Lipps Schriften sind eine Fundgrube philosophischer Themen. Er bezog mit eigenen Ideen Stellung zu den philosophischen – u. a. phänomenologischen - Diskussionen seiner Zeit. Er erläuterte diese kompetent und kenntnisreich unter vielen Aspekten und gab Anregungen zum eigenen Weiterdenken. Dies entsprach auch der Art und Weise seines Lehrens. Eine Reihe seiner Veröffentlichungen entstanden in Anlehnung an seine Vorlesungsskripte. Seine Studenten beeindruckte er vor allem mit seiner Sachlichkeit, sowie schonungsloser Offenheit und Redlichkeit hinsichtlich eigener und fremder Sichten, weniger mit dem, was er lehrte. Unter diesen Studenten waren u. a. [[Karl Jaspers]], [[Max Scheler]] und [[Ernst Bloch]], die bei ihm [[Authentizität#Authentizität von Personen|authentisches]] Philosophierens schätzen gelernt hatten und für ihr eigenes Denken genutzt haben.<ref> Vgl. [http://unitn.academia.edu/RPoli Roberto Poli]: ''In Itinere: European Cities and the Birth of Modern Scientific Philosophy.'' Amsterdam 1997, S. 47.</ref> Der autodidaktische Architekt [[August Endell]], ebenfalls Student bei Lipps, meinte noch in Studententagen, er stehe zwar auf einem anderen Standpunkt als Lipps, doch er könne viel von ihm lernen.<ref>Vgl. [http://www.text-raum.de/uber-uns/helge-david Helge David]: ''An die Schönheit. August Endells Texte zu Kunst und Ästhetik 1896 bis 1925.'' Weimar 2008, S. 13.</ref>
{{GZ|Und jetzt, im 9., 10., 11., 12. Jahrhunderte, sehen wir - genauer habe ich es in Dornach jüngst ausgeführt, ich will es hier nur kurz anführen -, wie aus den bloßen Dorfgemeinden sich allmählich die Städte kristallisierten. Die Städtekultur beginnt, und es ist, wie wenn der Mensch losgerissen wird aus der äußeren Natur, wenn er in den Städten zusammen konzentriert wird. Da kommt diese Städtekultur, die wir verfolgen können von der Bretagne an bis tief hinein ins russische Reich, bis nach Nowgorod, von oben herunter bis nach Spanien, Italien hinein, überall dieser merkwürdige Zug nach dem Städtetum.|325|152}}


=== Wissenschaft der inneren Erfahrung ===
Der Mensch braucht aber die Beziehung zur Natur, insbesondere zur [[Pflanzenwelt]]:


Lipps definierte Philosophie neu. Er bezeichnete sie als ''Wissenschaft der inneren Erfahrung'' oder als ''Geisteswissenschaft''. Innerhalb der historisch gewachsenen Bereiche der Philosophie, nämlich Psychologie, Erkenntnistheorie, Logik und Wissenschaft von der Wahrnehmung ([[Ästhetik]]) sollten grundlegende Zusammenhänge zwischen 'Denken, Fühlen und Wollen' untersucht und beschrieben werden. Auch metaphysische Fragen wollte er erörtern, so fern es sich ergebe, darüber zu reden. Die zentralen Objekte dieses Philosophierens sind 'Vorstellungen, Empfindungen und Willensakte'. Sie unterscheiden sich von denen anderer Wissenschaften.
{{GZ|Der Mensch braucht auch die Eindrücke der Pflanzenwelt hier auf dem physischen Plan, wenn er frisch und gesund in seinem seelischen Leben sein will. Das ist etwas, was nicht genug betont werden kann, denn es zeigt sich sehr bald in der menschlichen Seele als Mangel, wenn sie sich abschließt von dem frischen, belebenden Eindruck der Pflanzenwelt. Derjenige Mensch, der meinetwillen durch das Wohnen in einer großen Stadt in einer gewissen Beziehung abgeschnitten ist von dem unmittelbaren Verhältnis zur Pflanzenwelt, wird dem Tieferblickenden immer einen gewissen Mangel seiner Seele zeigen, und es ist im Grunde genommen durchaus richtig, daß die Seele Schaden nimmt, wenn sie verliert die unmittelbare Freude, die unmittelbare Lust, den Zusammenhalt mit der Pflanzenwelt, mit demjenigen, was die vegetative Natur draußen ist. Neben all den Schattenseiten der modernen Kultur, die sich vorzugsweise in Großstädten entwickelt, muß auch diese stehen, daß wir durch unser Stadtleben abgeschlossen sind von dem unmittelbaren Zusammensein mit der belebenden Pflanzenwelt. Wir wissen, daß es heute schon Menschen gibt, die so aufwachsen, daß sie kaum ein Haferkorn von einem Weizenkorn unterscheiden können. Aber es gehört zur gesunden menschlichen Seelenentwickelung, so sonderbar es klingt, daß man ein Haferkorn von einem Weizenkorn unterscheiden kann. Es ist das symbolisch gesprochen, aber es ist doch etwas damit gesagt. Und man muß mit Bedauern eine Perspektive der Zukunft vor sich sehen, die den Menschen ganz entfernen könnte von dem unmittelbaren Eindruck der Pflanzenwelt. Der Mensch braucht die Pflanzenwelt.|119|268}}
:''Ich gestehe keinen anderen Weg zu wissen, wie man zu einem praktisch wertvollen Begriff der philosophischen Wissenschaft gelangen könnte, als den eben bezeichneten.''<ref>Lipps: ''Grundtatsachen des Seelenlebens,'' S. 3.</ref>


Die einzige Wirklichkeit, die Menschen unmittelbar kennen, ist die, die ihnen durch Gefühle und Empfindungen vertraut ist. Aus dem eigenen Erleben, mit Fühlen, Empfinden und Sehen verbunden, bilden Menschen in Beziehung zu den Dingen, auf die sie treffen, und den Erinnerungen an Erlebtes die jeweils eigene Welt. So kommen sie zusammen mit dem inneren Erleben der Bewusstseinstatsache 'Vernunft' zu Erkenntnissen und Urteilen, die sie zum Handeln befähigen<ref>Vgl. Lipps: ''Philosophie und Wirklichkeit.'' Heidelberg (Carl Winter) 1908. 39 S.</ref> [[Edmund Husserl]] z. B. lehnte Lipps Ansatz ab und charakterisierte ihn als 'psychologistisch'. Aus Husserls Sicht waren innere Erfahrung und individuelles Erleben nicht geeignet, um eine wissenschaftliche Philosophie zu begründen. Er wollte vom 'sachlichen Gehalt' und der '[[Wesensschau]]' ausgehen. Anhand logischer Analysen - vor allem mathematischer Urteile - wies er darauf hin, dass die Psyche sich nach einer gegebenen Objektivität zu richten habe und nicht die Objektivität nach der Psyche, wie Lipps in seinen Studien feststellte.<ref>Vgl. [[Johannes Hirschberger]]: ''Geschichte der Philosophie, Band II.'' Frechen o.&nbsp;J. , S. 595–597.</ref>
=== Christentum und Städtekultur ===


Im Unterschied zu Wundt wollte Lipps Forschungsergebnisse seiner Wissenschaft der inneren Erfahrung unabhängig von augenblicklichen physiologischen Forschungsergebnissen betrachten, ohne auf den Dialog mit den Physiologen zu verzichten. Beide Wissenschaften sollten sich gegenseitig anregen.
{{GZ|Nach Attilas Tode 453 zerfiel die Macht der Hunnen bald wieder; auch die Herrschaft der Goten, Gepi- den, Vandalen und so weiter war nichts Dauerndes, sie fanden sich eingeschlossen in schon gegebene Verhältnisse und konnten sich in ihrer Eigenart nicht erhalten. Dies geschieht dagegen im Frankenreiche; diese Kultur erweist sich treu dem Charakter des Frankenstammes, und so ist zu sehen, wie dieses Volk sich mächtig entwickelt. Wir sehen später aber auch, wie dieser Stamm die anderen mit Gewalt zwingt, das Christentum anzunehmen. Wir sehen ferner, daß nichts Geeigneteres vorhanden ist, die materielle Kultur auszugestalten, als das Christentum; allerlei Kulturgebilde erhalten ihr Gepräge von dem äußeren Christentum. Und weil sie den Charakter frei erhalten können, geben sie den Rahmen für lose Gebilde, in denen sich das geistige Leben entwickeln kann: so entstehen die geistlichen Wirtschaftsgemeinschaften im Kloster und so weiter. Mit der Zeit aber entsteht eine Unzusammengehörigkeit der geistigen und wirtschaftlichen Kultur. Trotzdem das Reich Karls des Großen sich zu einem christlichen Reiche macht, aber mit Gewalt das Christentum ausbreitet, stellt es sich in Widerspruch zum Geist des Christentums. Daher paßt bald das Christentum nicht mehr zum Wirtschaftsleben. Die Verhältnisse des Wirtschaftslebens werden als drückende empfunden, und so entstehen die freien Städte. Dies ist die Entwickelung der geistigen und der materiellen Kultur in großen Zügen. Die Verhältnisse in ihrer eigentlichen Bedeutung werden Ihnen vorgeführt. Sie sehen, wie erst als die geistigen Strömungen nicht mehr mit den materiellen Verhältnissen zusammenfielen, dieses Mißverhältnis seinen Ausdruck findet in der Entstehung einer rein materiellen Kultur, der Städtekultur. Denn aus materiellem Interesse waren diese Wirtschaftsgebilde entstanden. Die Bevölkerung, die es nicht aushalten konnte auf dem Lande, sie drängte hinein in die Städte, um dort Schutz und Sicherheit zu finden. So sehen wir neue Wirtschaftsgebilde entstehen, die von weittragendster Bedeutung werden sollten.|51|122f}}


=== Einfühlung ===
{{GZ|Das Christentum sollte die Menschheit erziehen, damit auch das Irdische in seiner Bedeutung erfaßt werde. Darum mußte der Mensch erst auf das physische Leben, in moralischer Beziehung, hingelenkt, hinuntergelenkt werden. Dann konnte er erst zu den großen Errungenschaften kommen, die mit der Städtekultur beginnen. Der Fortgang des Mittelalters wird in der Sage geschildert in dem Übergang von der Parzival-Sage zur Lohengrin-Sage. Diese Sage taucht auf in der Zeit, wo in ganz Europa überall Städte gegründet werden, die vorzugsweise dem erwachenden Bürgertum dienen, die nicht mehr auf das geistliche Leben, sondern auf das materielle Leben gegründet sind. In den Städten werden die ganzen materiellen Errungenschaften vorbereitet, so zum Beispiel auch die Buchdruckerkunst. Ohne die Städtekultur hätte sich die moderne Wissenschaft nicht in dieser Weise entwickeln können. Auch die Universitäten sind eine Folge dieser Kultur. Ein Kopernikus, ein Kepler, Newton und so weiter wären ohne sie nicht möglich gewesen. Auch Dantes «Göttliche Komödie» und die Maler der Renaissance führen zurück auf die Städtekultur. Die Sage von dem Zusammenhang Parzivals, des Vaters, mit Lohengrin, dem Sohne, weist hin auf die Bedeutung der Städtekultur. Elsa von Brabant ist die Vertreterin der Städte, das Städtebewußtsein. In aller Mystik wird dasjenige, was der physischen Welt entgegenarbeitet, als etwas Weibliches hingestellt. Goethe spricht von dem «Ewig-Weiblichen»; in Ägypten verehrte man in diesem Sinne die Isis.|92|154}}
Am bekanntesten wurde Lipps mit seiner [[Empathie|'Einfühlungstheorie']]. Er hat noch vor den entsprechenden neurobiologischen Forschungsergebnissen über Deutschland hinaus die Empathie als grundlegende Fähigkeit des Menschen ins Zentrum des Philosophierens und der Psychologie gerückt. Lipps verstand „… unter Einfühlung einen Grundvorgang beim unmittelbaren Verstehen von Ausdruckserscheinungen. Einfühlung ist ein inneres Mitmachen, eine imaginierte Nachahmung des Erleben des anderen“. Seine Sicht, die er an Beobachtungen und introspektiv gewonnen hatte, entwickelte sich als zentrale Kategorie für die Sozial- und Humanwissenschaften. 'Einfühlung', so Lipps, schafft die Basis für Mitmenschlichkeit. <ref>Christa Dunst: ''Empathie im Wandel. Eine retrospektive Betrachtung hin zu einer Erweiterung des Terminus in der Personenzentrierten Psychotherapie durch die Erkenntnisse der Neurowissenschaften.'' Diplomarbeit. Wien 2012, S. 15f.</ref>


Mit dieser Sicht schloss Lipps an das an, was [[David Hume]] ca. 150 Jahre davor über [[Sympathie]] geschrieben hatte. Der [[Neurowissenschaften|Neurowissenschaftler]] [[Vilayanur Ramachandran]] beschrieb ähnlich wie Lipps diesen Prozess, bei dem „eine Art virtueller Realität erforderlich [ist], eine innere Simulation dessen, was der andere tut“. <ref>[http://othes.univie.ac.at/4219/ Marie-Therese Thill]: ''Das mimetische Gehirn. Mimesis und Empathie im Kontext des menschlichen Spiegelneuronensystems.'' [http://othes.univie.ac.at/4219/1/2009-03-16_0103237.pdf Diplomarbeit], Wien 2009, S. 35–38.</ref> [[Wissen]] und [[Erkennen]] waren nach Lipps ohne Einfühlen nicht möglich. Entsprechende philosophische Theorien sollten daher diese Eigenart der menschlichen Wahrnehmung mit einbeziehen, um ihre Fragen beantworten zu können. Damit ging er in der Erkenntnistheorie und Logik deutlich über das hinaus, was sonst philosophisch reflektiert wurde. <ref>[http://universität-potsdam.academia.edu/MatthiasSchlossberger Matthias Schloßberger]: ''Die Erfahrung des Anderen: Gefühle im menschlichen Miteinander.'' München 2005, d.v.a. S. 63–76.</ref> Lipps arbeitete außerdem „... systematisch die Rolle instinktiver, affektiv-emotionaler und kognitiver Teilprozesse heraus“ und beschäftigte „sich … ausführlich mit einer möglichen handlungsleitenden Funktion des Einfühlungsgeschehens.“ <ref>Stefan Liekam: ''Empathie als Fundament pädagogischer Professionalität. Analysen zu einer vergessenen Schlüsselvariable der Pädagogik.'' München 2004, S. 26f.[https://edoc.ub.uni-muenchen.de/2514/1/Liekam_Stefan.pdf Download]</ref>
=== Lohengrin und Elsa von Brabant ===


=== Denken, Fühlen, und Wollen ===
{{GZ|Die großen Impulse für den Fortschritt der Menschheit werden für denjenigen, welcher tiefer hineinschaut in den Entwickelungsgang der Menschheit, der die geistigen Kräfte sieht, die hinter den physischen Erscheinungen stehen, diese tiefen Impulse werden von den großen Eingeweihten gegeben. So hat auch der mittelalterliche Weltanschauungsmensch den großen Eingeweihten zugeschrieben jenen Aufstieg der Seele zu höheren Stufen während des neuen Kulturabschnittes, der durch die Städte bewirkt worden ist. Diese Städteentwickelung wurde dadurch erreicht, daß die Seele einen Ruck vorwärts machte in der Geschichte. Ein Eingeweihter war es, welcher diesen Ruck bewirkte. Alle großen Impulse schrieb man der großen Loge der Eingeweihten, die den Heiligen Gral umgaben, zu. Von dort kamen die großen Eingeweihten, die für den äußeren Menschen nicht sichtbar sind. Und denjenigen, der dazumal die Städtekultur mit einem Impulse versehen hat, nannte man damals im Mittelalter Lohengrin. Das ist der Sendling des Heiligen Grals, der großen Loge. Und die Städteseele, das Weibliche, welches befruchtet werden soll durch die großen Eingeweihten, das ist angedeutet durch Elsa von Brabant. Derjenige, der vermitteln soll, ist der Schwan. Lohengrin wird durch den Schwan herübergebracht in diese physische Welt. Der Eingeweihte darf nicht um seinen Namen gefragt werden. Er gehört einer höheren Welt an. Der Chela, der Schwan, hat diesen Einfluß vermittelt.|53|276f}}
Menschen können nicht beschreiben, wie ihre Vorstellungen entstehen, auf die sie sich beim Denken beziehen. Vorstellungen tauchen auf, - ob wir wollen oder nicht - verschwinden wieder und wenn wir möchten, können wir sie erinnern. Auch die üblichen Hinweise, es seien das Bewusstsein, der Verstand, die Phantasie u. a. [[Vermögen (Fähigkeit)|Instanzen]], die Vorstellungen ursächlich hervorrufen, helfen nicht weiter. Bestenfalls können wir schlussfolgernd auf etwas als Ursache schließen, doch nicht behaupten, es sei so bzw. es gäbe derartige Instanzen. Da wir sie nicht wahrnehmen, gibt es keinen Grund sie vorauszusetzen; aus ähnlichen Gründen für unhaltbar halten Physiologen es heute, so Lipps, bestimmte seelische Prozesse an einem bestimmten Ort im Gehirn anzusiedeln. Die [[Lokalisationstheorie]] sei - wie auch die Instanzentheorie - nicht mehr vertretbar. Ähnlich sind auch Denken und alle weiteren Tätigkeiten, einschließlich Fühlen und Wollen nicht isoliert wahrnehmbar.  


Es sieht eher so aus, als ob wir Vorstellungen selber erzeugen, während wir wahrnehmen, denken, empfinden, fühlen und wollen.<ref>Lipps, ''Grundtatsachen des Seelenlebens'', S. 18–27.</ref> Damit postuliert Lipps - ein halbes Jahrhundert bevor Forscher wie [[Humberto Maturana]], [[Heinz von Förster]] u. a. die wissenschaftliche Welt mit [[Konstruktivismus|konstruktivistischen]] Ideen veränderten - einen [[Autopoiesis|autopoietischen]] Ansatz.
=== Aufblühen der Künste in den Städten ===


=== Objektivität ===
{{GZ|So entstand in den Städten damals eine reiche Kultur; fast alles, was uns in den Werken der Malerei, der Baukunst, der Erfindungen geschenkt wurde, ist in dieser Zeit der Städtekultur zu danken. Einer solchen reichen italienischen Städtekultur entstammte auch Dante. Auch in Deutschland finden wir bedeutende geistige Leistungen unter dem Einfluß dieser Städtekultur. Zwar waren die ersten bedeutenden Dichter Ritter, wie Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg und so weiter, aber ohne den Rückhalt, den die Städte boten, wären diese Leistungen nicht möglich gewesen. In dieser Zeit, wo eine freie Luft in den Städten weht, entsteht auch das Universitätsleben. Zunächst mußte der Deutsche, wenn er höheres Wissen finden wollte, nach Italien, Frankreich und so weiter. Jetzt entstehen in Deutschland die ersten Universitäten, wie Prag 1348, Wien 1365, Heidelberg 1386. Das Freiheitswesen räumte auf mit dem mittelalterlichen Dünkel.|51|70}}
Lipps unterschied zwischen Objektivität des individuellen Ich und der Objektivität des absoluten Ich. Beide zusammen erst konstituieren in jeweils aktuellen Situationen das ''Objektivitätsgefühl''.  


==== Konstruktion durch das individuelle Ich ====
{{GZ|In geheimen Mysterien wurde besonders gepflegt das Rätsel des Goldes, wie es sich in den Adern der Erde findet, und das Rätsel des Edelsteins. So sonderbar das klingt, den wirklichen historischen Tatsachen entspricht es. Den Zauber des Zeichens hat sich insbesondere die Kirche angeeignet. Sie suchte aus den Mysterien des dritten nachatlantischen Zeitraumes zu übernehmen den Zauber des Zeichens. Der Zauber des Goldes - da also, wo sich zur besonderen Materie gestaltet dasjenige, was in der Natur vorhanden ist - und der Zauber des Edelsteins - da, wo sich aufhellt dasjenige, was sonst dunkel den Raum ausfüllt, da, wo Licht wird innerhalb des Materiellen, in dem, was sonst als Finsternis waltet im Materiellen -, das war es, dem sich nun nicht die Priesterschaft hingab, sondern dem sich hingab die profane Menschheit, die außerhalb der Kirche stehende Menschheit.
[[Objektivität]] ist und war ein zentraler Gegenstand der [[Metaphysik|metaphysischen]] Philosophie bzw. eines Philosophierens, das [[Wahrheit]] sucht. Die Einzelwissenschaften hatten zu Zeiten Lipps Objektivität längst relativiert. Für objektiv wird das gehalten, was eine Mehrheit von Individuen als gegeben und als 'so ist es' betrachtet. Dies kann als ''konventionelle Objektivität'' bezeichnet werden. Sie wird entsprechend dem Gegenstand einer bestimmten Wissenschaft über gemeinsam akzeptierte Kriterien definiert.  


Lipps schlug mit seiner Wissenschaft der inneren Erfahrung einen anderen Weg vor. Es gebe Bewusstseinstatsachen, die signalisierten, da ist etwas, das unabhängig von mir vorhanden ist.
Und so kam es, daß aus gewissen Impulsen, die sehr, sehr alt sind - als die Freie-Städte-Kultur sich begründete in der Art, wie ich das neulich ausgeführt habe, als überall die Freien-Städte-Bildungen entstanden -, daß in diesen Freien-Städte-Bildungen an die Oberfläche kamen, wie durch Wogen des geistigen Lebens an die Oberfläche kamen, die Freude am Edelstein, die Freude am Gold, die Freude an der Bearbeitung des Goldes, die Freude an der Verwendung des Edelsteines. So wie aus Himmelshöhen herunter die Kirche das Zeichen bringen wollte, so wollte aus den Tiefen der Erde heraus dasjenige, was dann Freie-Städte-Kultur geworden ist, das Geheimnis des Goldes, das Geheimnis des Edelsteines bringen. Nicht ein bloßer Zufall, sondern eine tiefe historische Notwendigkeit ist es, daß aus der Städtekultur heraus sich die Goldschmiedekunst entwickelt hat und, ich möchte sagen nur wie ein Annex der Goldschmiedekunst, die andere metallische Kunst, daß sich aber auch die Sehnsucht aus der Städtekultur heraus ergeben hat, den Edelstein zu verwenden, weil Gold und Edelstein den Zauber enthalten, weil der Zauber von unten dem Naturalistischen, das sich vor den Sinnen ausbreitete, entwunden werden sollte.|292|308f}}
:''Ich habe das „...Gefühl, dass sich mir etwas entgegensetzt, dass ich auf etwas stoße, das mir fremd ist, kurz ein Gefühl eines Nicht-Ich.“''
Objektivität ist also etwas, das ich bestimme; es ist mein Gefühl, das Lipps ''Wirklichkeitsgefühl'' oder ''Objektitätsgefühl'' nannte. Dieses ermögliche erst das Zustandekommen der ''konventionellen Objektivität''. Das ''Wirklichkeitsgefühl'' versetzt uns in die Lage, zwischen [[Fantasie]]rtem und wirklich [[Erleben|Erlebtem]] zu unterscheiden. Objektivität bzw. Wirklichkeit deshalb bloß für ein Gefühl zu halten, das uns irgendwie als Maßstab zur Verfügung steht, wäre aber ein Irrtum. Das ''Objektivitätsgefühl'' erlebt ein Mensch nur, wenn er in einer aktuellen Beziehung zu einem bestimmten Gegenstand steht. Wir können im Hinblick auf das dabei erlebte Empfinden allenfalls verallgemeinerbare Aussagen darüber machen.<ref>Vgl. Lipps: ''Fühlen, Wollen und Denken,'' S. 10–12.</ref> „Der Versuch, eine von allen subjektiven Zutaten befreite absolute objektive Welt in der Vorstellung zu erbauen, hat sich totgelaufen.“ äußerte sich ein Biologe, der Zeitgenosse von Lipps war.<ref> [[Jakob von Uexküll]]: ''Theoretische Biologie.'' Frankfurt a. M. 1973, S. 339.</ref>


==== Gegebene bzw. absolute Objektivität ====
== Form und Entwicklungen ==
Das Objektivitätsgefühl hat auch eine nicht-individuelle Komponente. Als Bedingung für das Objektivitäts- bzw. Wirklichkeitsgefühls erläuterte Lipps, dass das individuelle Ich sich in bestimmter Weise verhalten muss, damit aktuell ein Wirklichkeits- oder Objektivitätsgefühl entstehen kann.<ref>Vgl.''Denken, Fühlen, Wollen'', S. 53–55.</ref> Dieses Verhalten werde durch das „Du-Sollst“ ausgelöst. Das „Du-Sollst“ nannte Lipps auch das 'Gebot der Vernunft', sich 'logisch richtig' zu verhalten. Dieses Gebot, beschrieb Lipps, kenne jeder als eigene Bewusstseinstatsache.
=== Stadtgröße und Stadttyp ===
:''Die Vernunft ist in diesem Sinne eine 'absolute Tatsache', die ich nur in mir erlebe.''
Je nach Größe, Bedeutung, Verbund oder Funktion einer Stadt unterscheidet man
Verhält sich das individuelle Ich gemäß der Forderung dieser Bewusstseinstatsache, so erfasst es die objektive Wirklichkeit und 'als Philosoph ist man in der Welt der Dinge an sich'. Diese [[Transzendenz]] wiederum ist ausschließlich individuell erlebbar.<ref>Philosophie und Wirklichkeit, S. 27–37.- Vgl. a. [[Wolfgang Röd]]:''Geschichte der Philosophie, Band 12. Die Philosophie des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts.'' München 2004, S. 258.</ref> An diesem Punkt dürfte sich Lipps' 'objektive Wirklichkeit' mit Husserls 'Wesenschau' verbinden.<ref>Zu Husserl und Lipps vgl. u. a. Eduard Marbach: ''Das Problem des Ich in der Phänomenologie Husserls''. Heidelberg 2013, d.v.a. S. 220–234.</ref>
* nach der Größe in [[Landstadt]], [[Kleinstadt]], [[Mittelstadt]], [[Großstadt]], [[Millionenstadt]], aber auch in [[Weltstadt]], [[Megastadt]], [[Metastadt]], [[Agglomeration|Stadtregion oder Ballungsraum]], [[Megalopolis (Stadtlandschaft)|Megalopolis]], [[Global City]], [[Megaplex]].
* nach der Entwicklung und Art unter anderem in Landstadt, [[Ackerbürger]]&shy;stadt, Bürgerstadt oder [[Hansestadt]], [[Residenzstadt]] oder [[Bischof]]s&shy;stadt, [[Universitätsstadt]], [[Festungsstadt]], [[Burg]]&shy;stadt, Seebäderstadt, [[Industriestadt]], [[Kreisstadt]], [[Bergstadt]], [[Fachwerkstadt]], [[Trabantenstadt]], [[Satellitenstadt]], [[Planstadt]]


=== Das Ich ===
=== Definition nach Einwohnerzahl ===
==== Das individuelle Ich ====
{{Hauptartikel|Stadt- und Gemeindetypen (Deutschland)|titel1=Stadt- und Gemeindetypen in Deutschland}}
Während z. B. [[Immanuel Kant|Kant]] für die Stimmigkeit seiner Philosophie ein nicht erlebbares, 'reines Ich' postulierte, das er auch die [[Immanuel Kant#Erkenntnistheorie|'transzendentale Einheit des Selbstbewusstseins']] nannte, ging Lipps vom Erleben bzw. der 'unmittelbaren Erfahrung' aus und knüpfte in seinen Darstellungen immer wieder daran an:
{{Hauptartikel|Liste der Städte in Österreich#Zum Begriff Stadt|titel1=Stadttypen in Österreich}}
Während etwa in Dänemark die Untergrenze der Bevölkerungszahl bei einer städtischen Siedlung bei 200 Einwohnern liegt, sind es in Deutschland und Frankreich 2000, in Österreich 5000, in der Schweiz, Italien, Spanien und Großbritannien 10.000 und in Japan 50.000 Einwohner.


:''Als Objekt der Psychologie bezeichne ich hier das Ich. ... ich meine das einzige Ich, das ursprünglich diesen Namen verdient. Ich meine das Ich der unmittelbaren Erfahrung. Ich meine das Ich, das jeder meint, wenn er sagt, 'ich' empfinde Rot oder Weiß, 'ich' stelle ein Haus oder einen Baum vor, 'ich' denke dies oder jenes, 'ich' bin lustig oder traurig. Ich erlebe dieses Ich. Ich erlebe, also erfahre ich mich unmittelbar in jedem Bewusstseinserlebnis.''
Der Begriff Stadt ist rechtlich nicht eindeutig definiert, und so gibt es Gegenbeispiele: Die [[Liste der kleinsten Städte in Deutschland nach Einwohnerzahl|kleinste Stadt Deutschlands]] ist mit 278 Einwohnern (2014) [[Arnis]]. Es wurde 1934 zur Stadt ernannt, da die Ortsbezeichnung [[Flecken (Ort)|Flecken]] abgeschafft wurde. Die kleinste Stadt mit altem [[Stadtrecht]] (verliehen 1326) ist [[Neumark (bei Weimar)|Neumark]] in Thüringen mit 453 Einwohnern (2014). Andererseits haben unter anderem [[Haßloch]] mit über 20.000<ref>Joachim Maschke: ''Die Bedeutung des Kulturtourismus für städtische Destinationen.'' In: ''Kulturtourismus. Grundlagen, Trends und Fallstudien.'' R. Oldenbourg Verlag, München/Wien 1999, S. 83–104, auf S. 83.</ref> und [[Seevetal]] mit über 40.000 Einwohnern kein Stadtrecht.<ref>Walter Marquardt: ''Harburg – Stadt und Land.'' Sutton Verlag, Erfurt 2012, S. 25.</ref> Auch der Regierungssitz der Niederlande, [[Den Haag]], ist [[pro forma]] keine Stadt, obwohl er sogar über 500.000 Einwohner hat,<ref>''Baedeker Reiseführer Niederlande.'' Verlag Karl Baedeker, 2016, S. 219.</ref> während [[Hum (Kroatien)|Hum in Kroatien]] pro forma eine Stadt ist, die nur etwa 30 Einwohner zählt.


Das kontinuierliche Erleben und Erfahren verhindert, an diesem Ich zu zweifeln. Ich bin für mich das Nächste, was wirklich ist. Ich bin für mich die selbstverständlichste Wirklichkeit. Die Dinge sind mir ferner, weil sie jeweils 'Nicht-Iche' sind. Ich bin mir bekannt und ich erlebe nicht etwa Erscheinungsweisen meines Ich, sondern ich erlebe in jedem Augenblick mich selber. Dahinter etwas anderes, ein 'substantielles Ich an sich' zu vermuten, würde über das hinausgehen, was beschreibbar ist.
=== Stadtplanung, Städtebau ===
{{Hauptartikel|Stadtplanung|Städtebau}}


Auch die Behauptung, die Dinge seien 'das unmittelbar Wirkliche' sei nicht zutreffend. Diese Auffassung ist nichts als eine nachvollziehbare 'Illusion' und eine 'Folge von Gewöhnung', wie sie naives Denken und wissenschaftliche Unschärfe hervorrufen. Die innere Erfahrung aber zeige, das 'unmittelbar Wirkliche' ist mein Ich und seine Tätigkeiten.<ref>Lipps: ''Philosophie und Wirklichkeit.'' S. 7–15.</ref>
Mit der Planung von Städten beschäftigt sich die Stadtplanung und der Städtebau. Essenziell für das Funktionieren einer Stadt sind die Stadt- und [[Verkehrsplanung]]. [[Bebauungsplan (Deutschland)|Bebauungs-]] und [[Flächennutzungsplan|Flächennutzungspläne]] beschäftigen sich mit der optimalen Abstimmung von privat, kommerziell und öffentlich genutzten Flächen, Gebäuden und Einrichtungen. [[Stadtentwicklungsplan|Stadtentwicklungspläne]] geben die Richtung der Stadtentwicklung vor und können negative Auswirkungen gegenwärtiger Probleme und Trends wie [[Urbanisierung]] und [[Suburbanisierung]] durch geschickte Planung für die Zukunft minimieren.


Die abstrakte Einheit des Ich, die Kant sich vorstellte, war bei Lipps eine verallgemeinerte Einheit die auch den Körper umfasste. Sie ist aber entsprechend dem empirischen Charakter von Verallgemeinerungen nur an einzelnen Erlebnissen und Erfahrungen reflektierbar, bzw. wird durch die jeweils verschiedenen Arten und Weisen, wie ich mich fühle oder erlebe, bewusst. Das Ich ist daher die Beziehung aller psychischen Erscheinungen auf ein und dieselbe Person, schlussfolgerte ein zeitgenössischer Interpret. <ref>Vgl. Lipps: ''Vom Fühlen Wollen und Denken,'' Norderstedt 2015, S. 180–182. - Johannes Orth: ''Gefühl und Bewusstseinslage.'' Norderstedt 2015 S. 24f. Erstveröffentlichung 1903.</ref>
=== Stadt und Verstädterung ===
{{Siehe auch|Liste von Ländern nach Urbanisierung}}
{{Hauptartikel|Urbanisierung|Suburbanisierung}}


==== Das überindividuelle Ich ====
Die Zahl der Städte nimmt zu, dies kann durch Neugründungen oder Verleihung des Stadttitels geschehen. Typische Gründungsphasen sind [[Mittelalter|Hochmittelalter]], [[Barock]] ([[Residenzstadt|Residenz]]-/[[Festungsstadt|Festungsstädte]]) und das [[Industriezeitalter]] ([[Wolfsburg]], [[Eisenhüttenstadt]]). Um 1800 lebten nur etwa 25 % der deutschen Bevölkerung in Städten und 75 % auf dem Land, 2005 wohnt 85 % der Bevölkerung in der Stadt. Eine ähnliche Entwicklung ist in allen [[Industrienation]]en zu verzeichnen, in denen heute (2005) zwischen 61 % der Bürger, wie in [[Irland]], und bis zu 97 %, wie in [[Belgien]] in der Stadt wohnen. Weitere Angaben: [[Japan]]: 66 %, [[Österreich]]: 66 %, [[Italien]]: 68 %, [[Russland]]: 73 %, [[Schweiz]]: 75 %, [[Frankreich]]: 77 %, [[Vereinigte Staaten]]: 81 %, [[Vereinigtes Königreich]]: 90 %.
Im Zusammenhang mit der Bewusstseinstatsache „Du sollst“, stellte er ein 'überindividuelles Ich' fest, das erlebbar sei und eine Welt überindividueller Werte und Urteile ermögliche. Das 'überindividuelle Ich' nannte er auch das 'absolute, bzw. transzendente Subjekt' oder die 'gesetzgebende Vernunft'.  
:''Ich, das individuelle Ich „… werde in meiner Daseinsweise, meinem Urteilen, Werten und Wollen durch das transzendente Subjekt, die Vernunft bestimmt, obzwar bald mehr, bald minder.“''
Damit hatte Lipps Willkür ausgeschlossen und ein Objektivitätsgefühl benannt, das sich behaupten kann.<ref>Vgl. ''Denken, Fühlen, Wollen'', S. 54.</ref> Eine Psychologie, die das individuelle Ich nicht in Beziehung zum überindividuellen richtigen logischen Denken, also in der Beziehung mit der Tatsache sieht, dass Vernünftiges erlebbar ist, beschäftige sich mit einem Ich, das es nicht gebe, schlussfolgerte Lipps.<ref>Vgl. ''Philosophie und Wirklichkeit'', S. 27–37.</ref>


== Rezeption ==
Ausgesprochen niedrig ist der Anteil an der städtischen Bevölkerung in einigen [[Entwicklungsland|Entwicklungsländern]]. Auch hierzu einige Daten (2005): [[Afghanistan]]: 23 %, [[Äthiopien]]: 16 %, [[Bangladesch]]: 25 %, [[Eritrea]]: 19 %, [[Kenia]]: 21 %, [[Demokratische Republik Kongo]]: 32 %, [[Laos]] 25 %, [[Niger]] 17 %, [[Ruanda]] 19 %, [[Sri Lanka]] 15 %, [[Tansania]]: 24 %, [[Uganda]]: 13 %, [[Vietnam]]: 28 %.
Die Zeitgenossen Lipps beurteilten die Philosophie Lipps unterschiedlich. Einige sahen sich durch Lipps konstruktiv angeregt und unterstützt. [[Sigmund Freud]] schrieb z. B. dass er bei Lipps Grundzüge seines eigenen Denkens wiedergefunden habe und zum Weiterentwickeln seiner Theorie angeregt worden sei. <ref> [[Liliane Weissberg]]: ''‚Mut und Möglichkeit‘. Siegmund Freud liest Theodor Lipps.'' In: Mark H. Gelber, Jakob Hessing (Hgs.): ''Integration und Ausgrenzung: Studien zur deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturgeschichte von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart ; Festschrift für Hans Otto Horch zum 65. Geburtstag.'' Berlin/New York (Walter de Gruyter) 2009, S. 159–170.</ref> Andere Zeitgenossen kritisierten sein 'nivellierendes Denken' und den 'bescheidenen Dienst', den er damit leiste.<ref>Paul Stern: ''Der Sensualismus und das Problem des Denkens''. In: Ders.: ''Grundprobleme der Philosophie.'' 1903, S. 28–24.</ref>


In den 'Kantstudien'<ref>[http://www.kant.uni-mainz.de/Studien.htm Kantstudien]</ref> seiner Zeit wurde Lipps' Denken als über Kant hinausgehend beschrieben, seine Stellungnahmen zur Psychophysik und die Darstellung seiner Auffassungen als engagiert gewürdigt. Man rückte ihn in die Nähe des [[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling|Schellingschen Idealismus]], da er ein 'Weltbewusstsein' annehme, das allen Naturerscheinungen zu grundeliege.<ref> Oskar Ewald: ''Die deutsche Philosophie im Jahr 1907''. In: [[Hans Vaihinger]] u. a. (Hrsg.): ''Kantstudien 13'', 1908, 197–23; v. a. d. S. 216–220.</ref>  
Folgende Anteile der städtischen Bevölkerung in % und im Vergleich dazu folgendes Bruttonationaleinkommen (BNE) in US-$ pro Kopf waren 2004 in den Weltregionen zu verzeichnen:<ref>''Der Fischer Weltalmanach.'' 2007, S.&nbsp;525 und 537.</ref>


Eine umfassende Rezeption und breite wissenschaftliche Diskussion seiner Forschungsergebnisse und Ideen hat bisher noch nicht stattgefunden. Es gibt seit 2013 eine von dem Philosophen Faustino Fabbianelli ([[Universität Parma]]) herausgegebene vierbändige Sammlung der meisten Schriften Lipps. Sie enthält auch unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass. Einige Texte von Lipps sind inzwischen digital zugänglich. Eine Reihe Schriften sind als Nachdrucke erhältlich. In den neueren Diskussionen um empathische Konzepte wurden Lipps Konzepte bisher nicht mit einbezogen. Es bleibt weitgehend bei historischen Hinweisen auf seinen Verdienst als Ideengeber der 'Einfühlungstheorie'.<ref> z. B. bei Katharina Anna Fuchs: ''Emotionserkennung und Empathie. Eine multimediale psychologische Studie am Beispiel von Psychopathie und sozialer Ängstlichkeit.'' Heidelberg 2014, S. 44.[https://books.google.de/books?id=MhsgBAAAQBAJ&pg=PA5&lpg=PA5&dq=Katharina+Anna+Fuchs&source=bl&ots=IFRmBx6Ehh&sig=oLA2yiIC6SQ8a06JqCTUAS2rVr0&hl=de&sa=X&ved=0CCgQ6AEwAjgKahUKEwjIke7M1pXIAhXijnIKHVNrBHU#v=onepage&q=Katharina%20Anna%20Fuchs&f=false Google Sept.2015]</ref>
{| class="wikitable"
|-
! Weltregionen || Bevölkerung in % || BNE in US-$
|-
!align="left" |Afrika südl. der Sahara || 36 || 601
|-
!align="left" |Naher Osten und Nordafrika ||56||1971
|-
!align="left" |Südostasien||28||594
|-
!align="left" |Ostasien und Pazifik||41||1416
|-
!align="left" |Lateinamerika||77|| 3576
|-
!align="left" |Europa und Zentralasien|| 64||3295
|-
!align="left" |Unterentwickelte Welt||27||333
|-
!align="left" |Welt ||49||6329
|}


Vereinzelt wird erwähnt, dass Lipps Darstellungen als Verbindung zwischen Philosophie und Neurowissenschaften geeignet sind und klare Bezüge zu David Hume enthalten.<ref>Vgl. z. B. [http://othes.univie.ac.at/4219/Marie-Therese Thill Marie-Therese Thill]: ''Das mimetische Gehirn. Mimesis und Empathie im Kontext des menschlichen Spiegelneuronensystems.'' Wien 2009, S. 34–37.[http://othes.univie.ac.at/4219/1/2009-03-16_0103237.pdf Download Uni Wien]</ref>  
Der Hauptgrund der Verstädterung ist der sich verändernde Anteil der [[Wertschöpfung (Wirtschaft)|Wertschöpfung]] in den einzelnen Wirtschaftssektoren und damit der Menschen, die dafür tätig sind (siehe Tabelle). Dazu folgende ausgewählte Länder im Vergleich:<ref>''Der Fischer Weltalmanach.'' 2008, S.&nbsp;688.</ref>
In [[Kunst]], [[Architektur]] und [[Kulturwissenschaften]] werden Lipps Beschreibungen des Wahrnehmens und seine Einfühlungstheorie als 'Grundlagentexte' veröffentlicht bzw. thematisch verwendet.<ref> Vgl. Thomas Friedrich, Jörg H. Gleiter (Hgs.): ''Einfühlung und phänomenologische Reduktion: Grundlagentexte zu Architektur, Design und Kunst.'' Münster 2007. [https://books.google.de/books?id=4kHf-ekS7i8C&dq=Friedrich+Gleiter+Einf%C3%BChlung&hl=de&source=gbs_navlinks_s Google Sept.2015] – [https://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/persoenliche-seite-robin-curtis/ Robin Curtis], [[Gertrud Koch (Wissenschaftlerin)|Gertrud Koch]] (Hgs): ''Einfühlung. Zu Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts.'' München 2008.</ref>


== Schriften ==
{| class="wikitable"
* ''Grundtatsachen des Seelenlebens.'' 1883.
|-
* ''Grundzüge der Logik.'' 1893.
! Wirtschaftssektor  || USA || Deutschland || Indien || Tansania
* ''David Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur. Band 1-3.'' 1894 (Übersetzung).
|-
* ''Raumästhetik und geometrisch-optische Täuschungen.'' 1897.
!align="left" |I. Primär: Landwirtschaft || 1,6 %|| 2,3 %  || 59 % || 80 %
* ''Komik und Humor.'' 1898.
|-
* ''Die ethischen Grundfragen: Zehn Vorträge.'' 1899.
!align="left" |II. Sekundär: Industrie, Bergbau || 22 %|| 30 % || 22 % || 9 %
* ''Vom Fühlen, Wollen und Denken.'' 1902.
|-
* ''Leitfaden der Psychologie.'' 1903.
!align="left" |III. Tertiärer: Dienstleistung, Handel || 77 %|| 68 % || 19 % || 11 %
* ''Ästhetik.'' 1903–1906.
|}
* ''Philosophie und Wirklichkeit.'' 1908.
 
* ''Schriften zur Psychologie und Erkenntnistheorie; 4 Bände: 1. Band (1874-1899) - 2. Band (1900-1902) - 3. Band (1902-1905) - 4. Band (1906-1914)'' Herausgegeben von Faustino Fabbianello (Universität Parma). Würzburg 2013.
[[Datei:Urbanization Europe 2010.svg|mini|Urbanisierung in Europa 2010]]
 
In Deutschland wohnen wesentlich mehr Einwohner in Städten als im weltweiten Durchschnitt. Die [[Liste der Städte in Deutschland]] enthält eine vollständige Auflistung aller 2059 Städte in Deutschland. 2004 lebten 25,3 Millionen Einwohner (= 30 %) in 82 [[Liste der Großstädte in Deutschland|Großstädten]] über 100.000 Einwohner. Die elf Agglomerationsräume mit mehr als einer Million Einwohnern (davon drei mit mehr als drei Millionen Einwohner) zählen allein rund 25,6 Millionen Menschen.
 
In Österreich existierten im Jahr 2004 über 200 Städte, darunter fünf Großstädte einschließlich [[Wien]], das als [[Agglomeration]] fast zwei Millionen Einwohner aufweist, sowie 72 Städte, mit mehr als 10.000 Einwohnern (dazu [[Liste der Städte in Österreich]]).
 
In der Schweiz gab es 2010 rund 230 Städte, darunter sechs Großstädte und 139 Städte mit mehr als 10.000 Einwohnern (dazu [[Liste der Städte in der Schweiz]]).
 
In Europa (bis zum [[Ural]]) befanden sich (2004) etwa 17 Agglomerationen mit mehr als drei Millionen Einwohnern und etwa 35 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern (dazu [[Liste der größten Städte der Europäischen Union]]).
 
Weltweit existieren (2006) über 134 Agglomerationen mit mehr als drei Millionen Einwohnern, mehr als 62 Städte mit mehr als 3 Millionen Einwohnern und über 310 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern. Seit dem Jahr 2006 wohnt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, während 1950 noch 70 % auf dem Land lebten. Nach Prognosen der [[Vereinte Nationen|UNO]] wird der weltweite Anteil der städtischen Bevölkerung bis 2030 auf über 60 % steigen (siehe [[Liste der größten Metropolregionen der Welt]]). Ihre Einwohnerschaft ist oftmals ethnisch, sprachlich, sozial, kulturell, konfessionell sehr vielfältig.
 
=== Stadtrecht ===
{{Hauptartikel|Stadtrecht}}
[[Datei:Hauptmarkt Trier SK.jpg|mini|Hauptmarkt in [[Trier]] mit Marktkreuz; Trier erhielt im Jahr 958 das Marktrecht.]]
 
Der historische Stadtbegriff, der sich in Europa aus dem mittelalterlichen Stadtrecht herleitet, hatte als wesentliche Merkmale das [[Marktrecht]], das Recht auf [[Selbstverwaltung]], die Freiheit der Stadtbürger, das Recht auf Besteuerung, der Gerichtsbarkeit, die Aufhebung der Leibeigenschaft, das [[Zollrecht]], das Recht zur Einfriedung und Verteidigung sowie das [[Münzrecht]].
 
Im heutigen deutschen Sprachraum gibt es kein Stadtrecht mehr im eigentlichen Sinne, d.&nbsp;h. die Selbstverwaltung in den Städten regeln staatliche Grundsätze und Ländergesetze. Bei den [[Gemeindeordnungen in Deutschland]] handelt es sich um Landesgesetze, die jeweils vom Parlament eines Bundeslandes erlassen werden. Die Gemeindeordnung ist die „Verfassung“ einer Gemeinde. Die Bezeichnung Stadt ist ein Titel.
 
[[Titularstadt]] nennt man eine Gebietskörperschaft, die formell den Titel Stadt trägt und in der Regel eine eigenständige Gemeinde ist, der jedoch mehrere Elemente einer Stadt fehlen. Titularstadt wird gelegentlich – in Nichtübereinstimmung mit der historischen Bedeutung – ein Ort genannt, der im Zuge einer kommunalen Neugliederung das Stadtrecht verloren hat, z.&nbsp;B. im deutschen Bundesland [[Sachsen-Anhalt]].<ref>[http://www.mi.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MI/MI/4._Service/Publikationen/3._Abteilung_3/Komm_Verf_und_Komm_Wahl-Gesetz.pdf Kommunalverfassungsgesetz und Kommunalwahlgesetz des Landes Sachsen-Anhalt, S.&nbsp;12&nbsp;f. (PDF 682&nbsp;KB)] mi.sachsen-anhalt.de, abgerufen 10.&nbsp;September&nbsp;2016.</ref> In Einzelfällen wird der Zusatz aus historischen Gründen oder zur Differenzierung von anderen Orten als Teil des Namens geführt.
 
Auch heute noch ist das Überschreiten einer bestimmten Einwohnerzahl in den meisten Ländern nicht automatisch mit der Erhebung zur Stadt verbunden, sondern es bedarf eines ausdrücklichen Beschlusses einer höherrangigen Gebietskörperschaft – in Deutschland und Österreich ist dies das jeweilige Bundesland. Im Bundesland Oberösterreich wird seit 2002 als einziges Kriterium eine Bevölkerungszahl von über 4500 gefordert. In Deutschland gibt es mit dem [[Deutscher Städtetag|Deutschen Städtetag]] eine eigene Organisation,<ref>siehe [http://www.staedtetag.de/mitglieder/index.html Die Mitgliedsstädte des Deutschen Städtetages]</ref> in Österreich wird mit der [[Statutarstadt (Österreich)|Statutarstadt]] auch eine Verwaltungsfunktion festgelegt.
 
In den USA erfolgt der Erwerb von Stadtrechten über die Anerkennung einer eigenständigen Stadtverwaltung durch die nächsthöhere Verwaltungsorganisation. Eine Gemeinde gründet sich hierbei selbst und meldet die Selbstverwaltung als ''Municipal Corporation'' an.
 
=== Stadtstatus ===
In Deutschland unterscheidet man rechtlich
* kreisangehörige Städte, die ebenso wie sonstige [[Gemeinde (Deutschland)|Gemeinden]] Träger der kommunalen Selbstverwaltung sind. Die Aufgaben und Rechte und Kompetenzen kreisangehöriger Städte unterscheiden sich nicht von denen der Gemeinden ohne Stadtrecht. Die Stadt, in deren Sitz die Kreisverwaltung (Landratsamt) liegt, wird auch als [[Kreisstadt]] bezeichnet. In einigen Bundesländern gibt es kreisangehörige Städte und Gemeinden mit bestimmten Sonderrechten ([[Sonderstatusstadt]], [[Große Kreisstadt]], [[Große kreisangehörige Stadt]] oder [[selbständige Gemeinde]]). Die kreisangehörigen Städte und Gemeinden sind im [[Deutscher Städte- und Gemeindebund|Deutschen Städte- und Gemeindebund]] organisiert.
Alle zusammen, auch die kreisfreien Städte, sind Gemeinden.
* [[Kreisfreie Stadt|kreisfreie Städte]], das sind solche Städte, die keinem [[Landkreis]] angehören. Sie bilden sozusagen einen eigenen Kreis. Im Gegensatz zu kreisangehörigen Städten haben kreisfreie Städte zusätzliche Aufgaben. So sind sie unter anderem untere staatliche Aufsichtsbehörde oder Aufgabenträger für den öffentlichen Nahverkehr. Diese Aufgaben werden bei Gemeinden (und damit auch kreisangehörigen Städten) von den Landkreisen wahrgenommen.
 
Auf amtlichen [[Topografische Karte|topografischen Karten]] Deutschlands werden Städte in [[Versal]]ien beschriftet. Diese Konvention wurde weithin von Herstellern von [[Straßenatlas|Straßenatlanten]] übernommen, jedoch in den digitalen Kartenangeboten nicht mehr fortgeführt.
 
In Österreich unterscheidet man zwischen Städten mit [[Statutarstadt (Österreich)|eigenem Statut]] (sind Gemeinden die zugleich die Aufgaben eines Bezirkes übernehmen) und sonstigen Städten (sind Gemeinden, die zu einem Bezirk gehören). Eine Stadt mit eigenem Statut ist meist auch Sitz der [[Bezirkshauptmannschaft]] des Umland-Bezirks, der auch in den meisten Fällen so heißt (zum Beispiel Innsbruck Stadt und Innsbruck Land). Heute kann jede Stadt mit mehr als 20.000 Einwohnern ein eigenes Statut anfordern. Eine der kleinsten Städte überhaupt ist das niederösterreichische [[Hardegg (Niederösterreich)|Hardegg]]: mit allen eingemeindeten Orten hat es 1384 Einwohner, die eigentliche ursprüngliche Stadt jedoch nur 78. Die tatsächlich kleinste Stadt Österreichs ist [[Rattenberg (Tirol)|Rattenberg]] mit 405 Einwohnern.
 
In der Schweiz gelten Ortschaften dann als Stadt, wenn sie entweder mehr als 10'000 Einwohner haben (Stadt im statistischen Sinne) oder wenn ihnen im Mittelalter das Stadtrecht verliehen wurde (Stadt im historischen Sinne). Verwaltungsrechtliche Bedeutung hat der Begriff Stadt in der Schweiz nicht.
 
In den Niederlanden ist der Stadtbegriff nicht an den Gemeindestatus gebunden. So werden oft Zentren von Großstädten und eingemeindete Orte aus historischen Gründen weiterhin als Städte bezeichnet.  
 
Im [[Vereinigtes Königreich|Vereinigten Königreich]] unterscheidet man zwischen ''City'' und ''Town''. Ein Ort darf erst dann als ''City'' bezeichnet werden, wenn die Königin oder der König diese zu einer solchen ernennt. In der Regel vergibt der Monarch diesen Titel erst dann, wenn die Siedlung eine Kathedrale besitzt. Die Großstadt [[Stockport]] ist beispielsweise keine City, sondern Town, wohingegen die Stadt [[Sunderland (Durham)|Sunderland]] eine City ist. Der Verwaltungsbezirk [[Greater London]] ist keine City, aber innerhalb dieser Gebietskörperschaft gibt es die ''[[City of London]]'' und die ''[[City of Westminster]]''.
 
In [[Schweden]] ging man bei der Gemeindereform von 1971 einen anderen Weg. Die Begriffe Stadt ''(stad)'' und [[Minderstadt]] ''(köping)'' wurden aus der verwaltungstechnischen Terminologie gestrichen und durch Ortschaft ''([[tätort]])'' ersetzt. Im allgemeinen Sprachgebrauch existiert die Bezeichnung ''stad'' für größere Siedlungen aber weiterhin.
 
=== Siedlungsstruktur ===
{{Hauptartikel|Raumordnung}}
 
Der Begriff Siedlungsstruktur beschreibt die Struktur der menschlichen Siedlungen. Darin ist die Verteilung der Bevölkerung im Raum, die Art und Dichte der Bebauung, Nutzungen, Infrastruktur und zentrale Einrichtungen enthalten.<ref name="BBR-Siedlungsstruktur">Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung</ref>
 
Eine grundlegende Theorie zur Verteilung zentraler Nutzungen im Raum stammt von [[Walter Christaller]]. Anhand von Untersuchungen in Süddeutschland entwickelte er 1933 die [[System der Zentralen Orte|Zentrale-Orte-Theorie]]. „Zentrale Orte“ besitzen einen Bedeutungsüberschuss: Sie sind Standort von Angeboten (zum Beispiel Einkaufsmöglichkeiten), die nicht nur von den eigenen Bewohnern, sondern regelmäßig auch von Einwohnern der Nachbargemeinden genutzt werden. Christaller entwickelte ein hierarchisches System zentraler Orte mit zehn Stufen. Orte höherer Hierarchie-Stufe besitzen weitere solcher Einrichtungen: Eine Großstadt besitzt nicht nur Einkaufsmöglichkeiten, sondern häufig auch eine Universität und spezialisierte Kliniken, die ein weiteres Umfeld versorgen. Das heute von der Raumordnung und Landesplanung genutzte System zentraler Orte besitzt (je nach Bundesland) vier bis fünf Stufen.<ref>Landesplanungsgesetz der Bundesländer</ref>
 
Die Siedlungsstruktur wird entsprechend dem föderalen Staatsaufbau in Deutschland auf mehreren Ebenen geplant:<ref>ROG, BauGB</ref>
* Raumordnung (auf Bundesebene insbesondere durch das Raumordnungsgesetz ROG)
* Landesplanung (umfassen das Bundesland, werden vom Landtag beschlossen)
* Regionalplanung (umfassen in Nordrhein-Westfalen Teile der Regierungsbezirke, in Süddeutschland mehrere Landkreise, beschlossen von der Regionalversammlung)
* Flächennutzungspläne (umfassen die Gesamtfläche einer Kommune, werden vom Stadt- oder Gemeinderat beschlossen).
 
=== Stadtstruktur ===
Die Strukturen einer Stadt bestehen aus baulichen Elementen und aus Netzen. Sie müssen auf die Ausweitung und auf die Änderungen der Kapazitätsanforderungen der Stadt durch Ergänzungen, Komplettierungen oder Korrekturen angepasst werden. Lage, Bevölkerungsveränderungen, Bauwerke, Verkehrsstruktur, Netzwerke und Geschichte bestimmen und formen die Stadtentwicklung und die Eigenart der Stadt.
 
'''Die baulichen Elemente einer Stadtstruktur sind:'''
* Baulich: Die Gebäude, die Baublöcke und die zuzuordnenden Grundstücke
* Organisatorisch und Stadtplanerisch: Das [[Stadtviertel|Quartier]], der [[Ortsteil]], der [[Stadtteil]] und ggf. der [[Stadtbezirk]], der [[Stadtkern]]
* Infrastrukturell mit
** dem [[Verkehrssystem]] mit
*** dem [[Öffentlicher Personennahverkehr|öffentlichen Personennahverkehr]] mit [[Bahn (Verkehr)|Bahn]], [[Omnibus|Bus]], [[Taxi]]s etc.
*** dem [[Straßennetz]] mit [[Autobahn]]en, [[Ringstraße]]n, Tangenten, [[Hauptstraße (allgemein)|Haupt-]] und Nebenstraßen, Wohnerschließungs- und [[Wohnstraße]]n
*** dem [[Radverkehrsanlage|Radwegenetz]]
*** den [[Gehweg]]en und [[Fußgängerzone]]n
** den Ver- und Entsorgungsnetzen für [[Wasser]], [[Abwasser]], [[Elektrischer Strom|Strom]], [[Gas]], [[Telekommunikation]], [[Müllentsorgung]]
 
'''Die Stadt als Teil von Netzwerken:'''
* Räumlich: [[Umland]], andere Städte, [[Region]]en, [[Staatsgebiet|Land]] und Länder, ggf. auch Europa oder die Welt.
* Funktional: Wirtschaft, Finanzwirtschaft, Handel, Politik, Soziales, Kultur, Sport usw.
* Politisch: Ortsteil- oder Stadtteilbeirat, ggf. Bezirksrat, Stadtrat, Kreis, ggf. Regierungsbezirk, Land, Staat, Europäische Union
* Bevölkerungsspezifisch: Abstammung und Sprache, Religion, Soziale Schicht, Lebensalter
 
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== Siehe auch ==
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=== Listen zum Thema Stadt (Auswahl) ===
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== Literatur ==
== Literatur ==
* Conrad Müller: ''Theodor Lipps' Lehre vom Ich in ihrem Verhältnis zur Kantischen.'' Berlin 1912.
* Hans Bahrdt: ''Die moderne Großstadt; Soziologische Überlegungen zum Städtebau.'' Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1961 (= ''rowohlts deutsche enzyklopädie'', Band 127 {{DNB|450210693}}).
* Ernst Bloch: ''Nachruf auf Theodor Lipps.'' 1914. in: ''Werke 10.'' S. 53–55.
* Leonardo Benevolo: ''Die Geschichte der Stadt.'' 7. Auflage. Campus, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-593-34906-X.
* Georgi Schischkoff (Hrsg.): ''Philosophisches Wörterbuch.'' Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1982, ISBN 3-520-01321-5.
* Raimund Blödt, Frid Bühler, Faruk Murat, Jörg Seifert: ''Beyond Metropolis. Eine Auseinandersetzung mit der verstädterten Landschaft.'' Sulgen, Zürich 2006, ISBN 3-7212-0583-9.
* {{NDB|14|670|672|Lipps, Theodor|Wolfhart Henckmann|117057436}}
* Rainer Danielzyk u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Perspektive Stadt''. Klartext, Essen 2010, ISBN 978-3-8375-0256-5.
* Stefan Liekam: ''Empathie als Fundament pädagogischer Professionalität. Analysen zu einer vergessenen Schlüsselvariablen der Pädagogik.'' München 2004.
* Ernst Egli: ''Geschichte des Städtebaues, Band 1–3.'' 1959–1967, {{DNB|456511733}}.
* Thomas Friedrich, Jörg H. Gleiter (Hgs.): ''Einfühlung und phänomenologische Reduktion: Grundlagentexte zu Architektur, Design und Kunst.'' Münster 2007.
* Evamaria Engel: ''Die deutsche Stadt im Mittelalter.'' Beck, München 1993, ISBN 3-406-37187-6.
* Robin Curtis, Gertrud Koch (Hgs): ''Einfühlung. Zu Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts''. München 2008
* Edith Ennen: ''Die europäische Stadt des Mittelalters.'' Göttingen 1972; 3. Aufl. ebenda 1979.
* Thomas Anz: ''Emotionen in Literatur und Wissenschaft. Einfühlung als (alter) neuer Weg der Erkenntnis.'' In: Karl Ermert (Hg.): ''Und noch mal mit Gefühl … Die Rolle der Emotionen in der Kultur und Kulturvermittlung.'' Norderstedt 2011.
* Michael Gehler (Hrsg.): ''Die Macht der Städte. Von der Antike bis zur Gegenwart'', Hildesheim 2010.
* Christa Dunst: ''Empathie im Wandel. Eine retrospektive Betrachtung hin zu einer Erweiterung des Terminus in der Personenzentrierten Psychotherapie durch die Erkenntnisse der Neurowissenschaften''. Wien 2012.
* Jean-Claude Golvin: ''Metropolen der Antike.'' Konrad Theiss, Stuttgart 2005, ISBN 3-8062-1941-9.
* Ludwig Binswanger: ''Lipps und seine Lehre von den Bewusstseinserlebnissen'' In: Ders. ''Einführung in die Probleme der Allgemeinen Psychologie''. Heidelberg 2013, S. 158–17.
* Carl Haase (Hrsg.): ''Die Stadt des Mittelalters.'' I–III, Darmstadt 1969, 1972 und 1973 (= ''Wege der Forschung'', 243–245)
* Julius Pikler: ''Über Theodor Lipps' Versuch einer Theorie des Willen.'' Forgotten Books 2013. (Erstveröffentlichung 1908.) [https://books.google.at/books?id=o1Q_AAAAIAAJ Julius Pikler: Über Theodor Lipps' Versuch einer Theorie des Willens]  
* Matthias Hardinghaus: ''Zur amerikanischen Entwicklung der Stadt.'' Lang, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-631-52529-X.
* Johannes Orth: ''Gefühl und Bewusstseinslage.'' Norderstedt 2015. (Erstveröffentlichung 1903.) [https://books.google.de/books?id=aJO6BwAAQBAJ&pg=PP1&lpg=PP1&dq=Johannes+Orth+Gef%C3%BChl+Bewusstseinslage&source=bl&ots=CmeSrDqeso&sig=gvanW69rl0DqrLbbrfQWvGEYO7M&hl=de&sa=X&ved=0CCcQ6AEwAGoVChMIw_PqjrSNyAIVJ71yCh2jxAcS#v=onepage&q=Johannes%20Orth%20Gef%C3%BChl%20Bewusstseinslage&f=false Google, Sept. 2015, beschränkter Zugriff]
* Jürgen Hotzan: ''dtv-Atlas Stadt, Von den ersten Gründungen bis zur modernen Stadtplanung.'' 3. Auflage. dtv, München 2004, ISBN 3-423-03231-6.
* Le Corbusier: ''Entretien avec les étudiants des écoles d’architecture.'' Éditions de Minuit, Paris 1957.
** deutsch von Hugo Seinfeld: ''An die Studenten – Die „Charte d’ Athènes“''. (= ''rowohlts deutsche enzyklopädie'' Band 141), Reinbek bei Hamburg 1962, {{DNB|452741882}}.
* Vittorio Magnago Lampugnani: ''Die Stadt im 20. Jahrhundert. Visionen, Entwürfe, Gebautes.'' Wagenbach, Berlin 2010, ISBN 978-3-8031-3633-6. (2 Bände)
* Alexander Mitscherlich: ''Die Unwirtlichkeit unserer Städte.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 1965, {{DNB|453395082}}.
* Wolfgang Müller: ''Städtebau.'' 4. Auflage. Teubner, Stuttgart / Leipzig 1999, ISBN 3-519-35001-7.
* Lewis Mumford: ''Die Stadt, Geschichte und Ausblick.'' (The city in history) Band 1 und 2, dtv, München 1979, 1980, ISBN 3-423-04326-1
* [[Rudolf Steiner]]: ''Über Philosophie, Geschichte und Literatur'', [[GA 51]] (1983), ISBN 3-7274-0510-4 {{Vorträge|051}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Ursprung und Ziel des Menschen'', [[GA 53]] (1981), ISBN 3-7274-0532-5 {{Vorträge|053}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die okkulten Wahrheiten alter Mythen und Sagen'', [[GA 92]] (1999), ISBN 3-7274-0920-7 {{Vorträge|092}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Makrokosmos und Mikrokosmos'', [[GA 119]] (1988), ISBN 3-7274-1192-9 {{Vorträge|119}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis'', [[GA 191]] (1989), ISBN 3-7274-1910-5 {{Vorträge|191}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse'', [[GA 292]] (2000), ISBN 3-7274-2920-8 {{Vorträge|292}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Naturwissenschaft und die weltgeschichtliche Entwickelung der Menschheit seit dem Altertum'', [[GA 325]] (1989), ISBN 3-7274-3250-0 {{Vorträge|325}}


== Einzelnachweise ==
{{GA}}
<references />


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* {{DNB-Portal|117057436}}
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* {{DDB|Person|117057436}}
{{Wikiquote}}
* {{PGIA|2709}}
{{Wiktionary}}
* [http://www.pfaelzer-muehlenland.de/fileadmin/PDF/Theodor_Lipps.pdf Der Philosoph Theodor Lipps aus Wallhalben]
* [http://www.staedtegeschichte.de/ www.staedtegeschichte.de] Das Institut für vergleichende Städtegeschichte bietet umfangreiche Forschungen, Materialien und Projekte zur internationalen und vor allem deutschen Stadtgeschichte
* [http://scriptorium.hfg-karlsruhe.de/ Einige Texte von Lipps im Original] auf scriptorium.hfg-karlsruhe.de
* [http://www.tageo.com/ Verzeichnis mit über 2,5 Millionen Städten weltweit][http://www.stgf.at/ via „Städtebibliographie“: Bibliographie zur Geschichte der Städte Österreichs]
* [http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/library/search?-format=search&-op_referencetype=eq&referencetype=&-op_author=all&author=Lipps%2C+Th&-op_title=all&title=&-op_secondarytitle=all&secondarytitle=&-op_sql_year=numerical&sql_year=&-op_fullreference=all&fullreference=&-op_online=numerical&-op_id=numerical&id=&online=1&-op_volumeid_search=ct&volumeid_search=&-op_project=eq&project=&-max=25&-display=short&-sort=author%2Csql_year&-find=+Start+Search+ Eine Reihe digitalisierte Texte] von Lipps im Projekt Virtual Laboratory des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte auf vlp.mpiwg-berlin.mpg.de
 
* [http://podcasts.uni-freiburg.de/philosophie-sprache-literatur/husserl-archiv/colloquium-phaenomenologicum-im-sommersemeter-2014/57710390 Psychologie und Metaphysik in Theodor Lipps’ Phänomenologie.] Vortrag von Faustino Fabbianelli (Università degli studi di Parma) an der Universität Freiburg.
== Einzelanchweise ==
<references />


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Version vom 21. April 2022, 16:39 Uhr

Eine Stadt (von ahd. stat ‚Standort‘, ‚Stelle‘; etymologisch eins mit Statt, Stätte; vgl. dagegen Staat) ist eine größere, zentralisierte und vom Umland abgegrenzte Siedlung im Schnittpunkt größerer Verkehrswege mit einer eigenen Verwaltungs- und Versorgungsstruktur. Damit ist fast jede Stadt zugleich ein zentraler Ort.

Städte sind aus kulturwissenschaftlicher Perspektive der Idealfall einer Kulturraumverdichtung und aus Sicht der Soziologie vergleichsweise dicht und mit vielen Menschen besiedelte, fest umgrenzte Siedlungen (Gemeinden) mit vereinheitlichenden staatsrechtlichen oder kommunalrechtlichen Zügen wie eigener Markthoheit, eigener Regierung, eigenem Kult und sozial stark differenzierter Einwohnerschaft. Das Letztere unterscheidet sie von Lagern wie Arbeitslagern, Straflagern, Winterquartieren von Heeren, das Erstere zum Beispiel vom Dorf.

Die Wissenschaft, die sich mit der Erforschung der Stadt in ihren Facetten befasst, ist die Urbanistik.

Stadt und Land aus geisteswissenschaftlicher Sicht

In den vorchristlichen altorientalischen Zeiten erschöpften sich die Städte noch nicht in dem, was sie durch ihre physische Realität darstellten, sondern waren Ausdruck der übersinnlichen Welt. Ein höheres Geistiges offenbarte sich in ihnen. Anders wurde das in Rom, mit dessen Gründung die griechisch-lateinische Zeit (747 v. Chr. - 1413 n. Chr.) beginnt. Während die griechischen Städte und Stadtstaaten noch ohne die Beziehung zu dem sie umgebenden Land undenkbar sind, wurde Rom geradezu zum Sinnbild für die gegenüber der Natur und ihrer Geistigkeit gleichgültige, überbordende äußere Zivilisation und dem darin aufblühenden Egoismus. Eine ähnliche Rolle spielt in der Bibel die Stadt Babylon, wie es schon die Erzählung vom Turmbau zu Babel andeutet. Der Hochmut der Menschen wird dort durch die Babylonische Sprachverwirrung bestraft. Im Neuen Testament ist in der Apokalypse des Johannes nicht zufällig von der Hure Babylon die Rede. Im Frühchristentum wurde Babylon schon bald eine Chiffre für Rom und das Römische Reich. Als die Römer schließlich das Christentum übernahmen und sich das Papsttum in Rom festsetzte, wurde Babylon zunehmend auch ein Symbol für die Verfehlungen der Römisch-Katholischen Kirche und die Ausschweifungen und den Machtmissbrauch zahlreicher Päpste. Dante gebrauchte dieses Bild in seiner Göttlichen Komödie im 19. Gesang des Inferno und im 32. Gesang des Purgatorio für seine radikale Kritik an dem wegen seines Hochmuts berüchtigten Papst Bonifaz VIII.

„Auch die alten vorchristlichen orientalischen Kulturen haben, wie Sie wissen, große Städte hervorgebracht. Wir können zurückblicken auf weit ausgebreitete orientalische Kulturen, die auch große Städte hervorgebracht haben. Aber diese großen Städte der alten Kulturen, die hatten eine gewisse Gesinnung neben sich. Alle orientalischen Kulturen hatten das Eigentümliche, daß sie ausbildeten mit dem Leben in den Großstädten die Anschauung, daß eigentlich, wenn der Mensch nicht durchdringt über das Physische zum Überphysischen, er im Leeren, im Nichtigen lebt. Und so konnten sich wirklich die großen Städte Babylon, Ninive und so weiter entwickeln, weil der Mensch durch diese Städte nicht dazu gekommen ist, das, was diese Städte hervorgebracht haben, als das eigentlich Wirkliche anzusehen, sondern dasjenige, was erst hinter alledem ist. Es ist erst in Rom so geworden, daß man die Städtekultur zu einem Regulativ der Wirklichkeitsanschauung gemacht hat. Die griechischen Städte sind undenkbar ohne das sie umgebende Land; sie nähren sich von dem sie umgebenden Land. Wäre unsere Geschichte nicht so sehr eine Fable convenue, wie sie es ist, sondern würde sie die wirkliche Gestalt der früheren Zeiten neu herauf bringen, so würde sie zeigen, wie die griechische Stadt im Land wurzelt. Rom wurzelte nicht mehr im Lande, sondern die Geschichte Roms besteht eigentlich darinnen, eine imaginäre Welt zu einer wirklichen zu machen, eine Welt, die nicht wirklich ist, zu einer wirklichen zu machen. In Rom wurde eigentlich der Bürger erfunden, der Bürger, dieses fürchterliche Karikaturgebilde neben dem Wesen Mensch. Denn der Mensch ist Mensch; und daß er außerdem noch ein Bürger ist, ist eine imaginäre Sache. Daß er ein Bürger ist, das steht irgendwo in den Kirchenbüchern oder in den Rechtsbüchern oder dergleichen. Daß er, außer dem, daß er Mensch ist und als Mensch gewisse Fähigkeiten hat, auch noch einen eingetragenen Besitz hat, einen grundbuchlich eingetragenen Besitz, das ist etwas Imaginäres neben der Wirklichkeit. Das alles aber ist römisch. Ja, Rom hat noch viel mehr zustande gebracht. Rom hat verstanden, alles dasjenige, was sich ergibt aus der Loslösung der Städte vom Lande, vom wirklichen Lande, zu einer Wirklichkeit umzufälschen. Rom hat zum Beispiel verstanden, in die religiösen Begriffe der Alten die römischen Rechtsbegriffe einzuführen. Derjenige, welcher der Wahrhaftigkeit gemäß zu den alten religiösen Begriffen zurückgeht, der findet nicht in diesen alten religiösen Begriffen die römischen Rechtsbegriffe. Römische Jurisprudenz ist eigentlich hineingegangen in die religiöse Ethik. Es ist im Grunde genommen in der religiösen Ethik - durch dasjenige, was Rom daraus gemacht hat - so, als wenn in der übersinnlichen Welt solche Richter dasäßen, wie sie auf unseren Richterstühlen römischer Prägung sitzen und über die menschlichen Handlungen richteten. Ja, wir erleben es sogar, weil die römischen Rechtsbegriffe noch nachwirken, daß da, wo vom Karma die Rede ist, die meisten Menschen, die heute sich zum Karma bekennen, sich die Auswirkung dieses Karma so vorstellen, als wenn irgendeine jenseitige Gerechtigkeit da wäre, welche nach den irdischen Begriffen das, was einer getan hat, belegt mit dieser oder jener Belohnung, dieser oder jener Strafe, ganz nach römischen Rechtsbegriffen. Alle Heiligen und alle überirdischen Wesenheiten leben eigentlich so in diesen Vorstellungen, daß römisch-juristische Begriffe sich in diese überirdische Welt hineingeschlichen haben.“ (Lit.:GA 191, S. 79f)

Verlust der Verbindung zur Natur

Mit dem Städtebau ging zunehmend die Verbindung zur Natur und den in ihr waltenden geistigen Kräften verloren.

„Und jetzt, im 9., 10., 11., 12. Jahrhunderte, sehen wir - genauer habe ich es in Dornach jüngst ausgeführt, ich will es hier nur kurz anführen -, wie aus den bloßen Dorfgemeinden sich allmählich die Städte kristallisierten. Die Städtekultur beginnt, und es ist, wie wenn der Mensch losgerissen wird aus der äußeren Natur, wenn er in den Städten zusammen konzentriert wird. Da kommt diese Städtekultur, die wir verfolgen können von der Bretagne an bis tief hinein ins russische Reich, bis nach Nowgorod, von oben herunter bis nach Spanien, Italien hinein, überall dieser merkwürdige Zug nach dem Städtetum.“ (Lit.:GA 325, S. 152)

Der Mensch braucht aber die Beziehung zur Natur, insbesondere zur Pflanzenwelt:

„Der Mensch braucht auch die Eindrücke der Pflanzenwelt hier auf dem physischen Plan, wenn er frisch und gesund in seinem seelischen Leben sein will. Das ist etwas, was nicht genug betont werden kann, denn es zeigt sich sehr bald in der menschlichen Seele als Mangel, wenn sie sich abschließt von dem frischen, belebenden Eindruck der Pflanzenwelt. Derjenige Mensch, der meinetwillen durch das Wohnen in einer großen Stadt in einer gewissen Beziehung abgeschnitten ist von dem unmittelbaren Verhältnis zur Pflanzenwelt, wird dem Tieferblickenden immer einen gewissen Mangel seiner Seele zeigen, und es ist im Grunde genommen durchaus richtig, daß die Seele Schaden nimmt, wenn sie verliert die unmittelbare Freude, die unmittelbare Lust, den Zusammenhalt mit der Pflanzenwelt, mit demjenigen, was die vegetative Natur draußen ist. Neben all den Schattenseiten der modernen Kultur, die sich vorzugsweise in Großstädten entwickelt, muß auch diese stehen, daß wir durch unser Stadtleben abgeschlossen sind von dem unmittelbaren Zusammensein mit der belebenden Pflanzenwelt. Wir wissen, daß es heute schon Menschen gibt, die so aufwachsen, daß sie kaum ein Haferkorn von einem Weizenkorn unterscheiden können. Aber es gehört zur gesunden menschlichen Seelenentwickelung, so sonderbar es klingt, daß man ein Haferkorn von einem Weizenkorn unterscheiden kann. Es ist das symbolisch gesprochen, aber es ist doch etwas damit gesagt. Und man muß mit Bedauern eine Perspektive der Zukunft vor sich sehen, die den Menschen ganz entfernen könnte von dem unmittelbaren Eindruck der Pflanzenwelt. Der Mensch braucht die Pflanzenwelt.“ (Lit.:GA 119, S. 268)

Christentum und Städtekultur

„Nach Attilas Tode 453 zerfiel die Macht der Hunnen bald wieder; auch die Herrschaft der Goten, Gepi- den, Vandalen und so weiter war nichts Dauerndes, sie fanden sich eingeschlossen in schon gegebene Verhältnisse und konnten sich in ihrer Eigenart nicht erhalten. Dies geschieht dagegen im Frankenreiche; diese Kultur erweist sich treu dem Charakter des Frankenstammes, und so ist zu sehen, wie dieses Volk sich mächtig entwickelt. Wir sehen später aber auch, wie dieser Stamm die anderen mit Gewalt zwingt, das Christentum anzunehmen. Wir sehen ferner, daß nichts Geeigneteres vorhanden ist, die materielle Kultur auszugestalten, als das Christentum; allerlei Kulturgebilde erhalten ihr Gepräge von dem äußeren Christentum. Und weil sie den Charakter frei erhalten können, geben sie den Rahmen für lose Gebilde, in denen sich das geistige Leben entwickeln kann: so entstehen die geistlichen Wirtschaftsgemeinschaften im Kloster und so weiter. Mit der Zeit aber entsteht eine Unzusammengehörigkeit der geistigen und wirtschaftlichen Kultur. Trotzdem das Reich Karls des Großen sich zu einem christlichen Reiche macht, aber mit Gewalt das Christentum ausbreitet, stellt es sich in Widerspruch zum Geist des Christentums. Daher paßt bald das Christentum nicht mehr zum Wirtschaftsleben. Die Verhältnisse des Wirtschaftslebens werden als drückende empfunden, und so entstehen die freien Städte. Dies ist die Entwickelung der geistigen und der materiellen Kultur in großen Zügen. Die Verhältnisse in ihrer eigentlichen Bedeutung werden Ihnen vorgeführt. Sie sehen, wie erst als die geistigen Strömungen nicht mehr mit den materiellen Verhältnissen zusammenfielen, dieses Mißverhältnis seinen Ausdruck findet in der Entstehung einer rein materiellen Kultur, der Städtekultur. Denn aus materiellem Interesse waren diese Wirtschaftsgebilde entstanden. Die Bevölkerung, die es nicht aushalten konnte auf dem Lande, sie drängte hinein in die Städte, um dort Schutz und Sicherheit zu finden. So sehen wir neue Wirtschaftsgebilde entstehen, die von weittragendster Bedeutung werden sollten.“ (Lit.:GA 51, S. 122f)

„Das Christentum sollte die Menschheit erziehen, damit auch das Irdische in seiner Bedeutung erfaßt werde. Darum mußte der Mensch erst auf das physische Leben, in moralischer Beziehung, hingelenkt, hinuntergelenkt werden. Dann konnte er erst zu den großen Errungenschaften kommen, die mit der Städtekultur beginnen. Der Fortgang des Mittelalters wird in der Sage geschildert in dem Übergang von der Parzival-Sage zur Lohengrin-Sage. Diese Sage taucht auf in der Zeit, wo in ganz Europa überall Städte gegründet werden, die vorzugsweise dem erwachenden Bürgertum dienen, die nicht mehr auf das geistliche Leben, sondern auf das materielle Leben gegründet sind. In den Städten werden die ganzen materiellen Errungenschaften vorbereitet, so zum Beispiel auch die Buchdruckerkunst. Ohne die Städtekultur hätte sich die moderne Wissenschaft nicht in dieser Weise entwickeln können. Auch die Universitäten sind eine Folge dieser Kultur. Ein Kopernikus, ein Kepler, Newton und so weiter wären ohne sie nicht möglich gewesen. Auch Dantes «Göttliche Komödie» und die Maler der Renaissance führen zurück auf die Städtekultur. Die Sage von dem Zusammenhang Parzivals, des Vaters, mit Lohengrin, dem Sohne, weist hin auf die Bedeutung der Städtekultur. Elsa von Brabant ist die Vertreterin der Städte, das Städtebewußtsein. In aller Mystik wird dasjenige, was der physischen Welt entgegenarbeitet, als etwas Weibliches hingestellt. Goethe spricht von dem «Ewig-Weiblichen»; in Ägypten verehrte man in diesem Sinne die Isis.“ (Lit.:GA 92, S. 154)

Lohengrin und Elsa von Brabant

„Die großen Impulse für den Fortschritt der Menschheit werden für denjenigen, welcher tiefer hineinschaut in den Entwickelungsgang der Menschheit, der die geistigen Kräfte sieht, die hinter den physischen Erscheinungen stehen, diese tiefen Impulse werden von den großen Eingeweihten gegeben. So hat auch der mittelalterliche Weltanschauungsmensch den großen Eingeweihten zugeschrieben jenen Aufstieg der Seele zu höheren Stufen während des neuen Kulturabschnittes, der durch die Städte bewirkt worden ist. Diese Städteentwickelung wurde dadurch erreicht, daß die Seele einen Ruck vorwärts machte in der Geschichte. Ein Eingeweihter war es, welcher diesen Ruck bewirkte. Alle großen Impulse schrieb man der großen Loge der Eingeweihten, die den Heiligen Gral umgaben, zu. Von dort kamen die großen Eingeweihten, die für den äußeren Menschen nicht sichtbar sind. Und denjenigen, der dazumal die Städtekultur mit einem Impulse versehen hat, nannte man damals im Mittelalter Lohengrin. Das ist der Sendling des Heiligen Grals, der großen Loge. Und die Städteseele, das Weibliche, welches befruchtet werden soll durch die großen Eingeweihten, das ist angedeutet durch Elsa von Brabant. Derjenige, der vermitteln soll, ist der Schwan. Lohengrin wird durch den Schwan herübergebracht in diese physische Welt. Der Eingeweihte darf nicht um seinen Namen gefragt werden. Er gehört einer höheren Welt an. Der Chela, der Schwan, hat diesen Einfluß vermittelt.“ (Lit.:GA 53, S. 276f)

Aufblühen der Künste in den Städten

„So entstand in den Städten damals eine reiche Kultur; fast alles, was uns in den Werken der Malerei, der Baukunst, der Erfindungen geschenkt wurde, ist in dieser Zeit der Städtekultur zu danken. Einer solchen reichen italienischen Städtekultur entstammte auch Dante. Auch in Deutschland finden wir bedeutende geistige Leistungen unter dem Einfluß dieser Städtekultur. Zwar waren die ersten bedeutenden Dichter Ritter, wie Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg und so weiter, aber ohne den Rückhalt, den die Städte boten, wären diese Leistungen nicht möglich gewesen. In dieser Zeit, wo eine freie Luft in den Städten weht, entsteht auch das Universitätsleben. Zunächst mußte der Deutsche, wenn er höheres Wissen finden wollte, nach Italien, Frankreich und so weiter. Jetzt entstehen in Deutschland die ersten Universitäten, wie Prag 1348, Wien 1365, Heidelberg 1386. Das Freiheitswesen räumte auf mit dem mittelalterlichen Dünkel.“ (Lit.:GA 51, S. 70)

„In geheimen Mysterien wurde besonders gepflegt das Rätsel des Goldes, wie es sich in den Adern der Erde findet, und das Rätsel des Edelsteins. So sonderbar das klingt, den wirklichen historischen Tatsachen entspricht es. Den Zauber des Zeichens hat sich insbesondere die Kirche angeeignet. Sie suchte aus den Mysterien des dritten nachatlantischen Zeitraumes zu übernehmen den Zauber des Zeichens. Der Zauber des Goldes - da also, wo sich zur besonderen Materie gestaltet dasjenige, was in der Natur vorhanden ist - und der Zauber des Edelsteins - da, wo sich aufhellt dasjenige, was sonst dunkel den Raum ausfüllt, da, wo Licht wird innerhalb des Materiellen, in dem, was sonst als Finsternis waltet im Materiellen -, das war es, dem sich nun nicht die Priesterschaft hingab, sondern dem sich hingab die profane Menschheit, die außerhalb der Kirche stehende Menschheit.

Und so kam es, daß aus gewissen Impulsen, die sehr, sehr alt sind - als die Freie-Städte-Kultur sich begründete in der Art, wie ich das neulich ausgeführt habe, als überall die Freien-Städte-Bildungen entstanden -, daß in diesen Freien-Städte-Bildungen an die Oberfläche kamen, wie durch Wogen des geistigen Lebens an die Oberfläche kamen, die Freude am Edelstein, die Freude am Gold, die Freude an der Bearbeitung des Goldes, die Freude an der Verwendung des Edelsteines. So wie aus Himmelshöhen herunter die Kirche das Zeichen bringen wollte, so wollte aus den Tiefen der Erde heraus dasjenige, was dann Freie-Städte-Kultur geworden ist, das Geheimnis des Goldes, das Geheimnis des Edelsteines bringen. Nicht ein bloßer Zufall, sondern eine tiefe historische Notwendigkeit ist es, daß aus der Städtekultur heraus sich die Goldschmiedekunst entwickelt hat und, ich möchte sagen nur wie ein Annex der Goldschmiedekunst, die andere metallische Kunst, daß sich aber auch die Sehnsucht aus der Städtekultur heraus ergeben hat, den Edelstein zu verwenden, weil Gold und Edelstein den Zauber enthalten, weil der Zauber von unten dem Naturalistischen, das sich vor den Sinnen ausbreitete, entwunden werden sollte.“ (Lit.:GA 292, S. 308f)

Form und Entwicklungen

Stadtgröße und Stadttyp

Je nach Größe, Bedeutung, Verbund oder Funktion einer Stadt unterscheidet man

Definition nach Einwohnerzahl

Während etwa in Dänemark die Untergrenze der Bevölkerungszahl bei einer städtischen Siedlung bei 200 Einwohnern liegt, sind es in Deutschland und Frankreich 2000, in Österreich 5000, in der Schweiz, Italien, Spanien und Großbritannien 10.000 und in Japan 50.000 Einwohner.

Der Begriff Stadt ist rechtlich nicht eindeutig definiert, und so gibt es Gegenbeispiele: Die kleinste Stadt Deutschlands ist mit 278 Einwohnern (2014) Arnis. Es wurde 1934 zur Stadt ernannt, da die Ortsbezeichnung Flecken abgeschafft wurde. Die kleinste Stadt mit altem Stadtrecht (verliehen 1326) ist Neumark in Thüringen mit 453 Einwohnern (2014). Andererseits haben unter anderem Haßloch mit über 20.000[1] und Seevetal mit über 40.000 Einwohnern kein Stadtrecht.[2] Auch der Regierungssitz der Niederlande, Den Haag, ist pro forma keine Stadt, obwohl er sogar über 500.000 Einwohner hat,[3] während Hum in Kroatien pro forma eine Stadt ist, die nur etwa 30 Einwohner zählt.

Stadtplanung, Städtebau

Hauptartikel: Stadtplanung und Städtebau

Mit der Planung von Städten beschäftigt sich die Stadtplanung und der Städtebau. Essenziell für das Funktionieren einer Stadt sind die Stadt- und Verkehrsplanung. Bebauungs- und Flächennutzungspläne beschäftigen sich mit der optimalen Abstimmung von privat, kommerziell und öffentlich genutzten Flächen, Gebäuden und Einrichtungen. Stadtentwicklungspläne geben die Richtung der Stadtentwicklung vor und können negative Auswirkungen gegenwärtiger Probleme und Trends wie Urbanisierung und Suburbanisierung durch geschickte Planung für die Zukunft minimieren.

Stadt und Verstädterung

Die Zahl der Städte nimmt zu, dies kann durch Neugründungen oder Verleihung des Stadttitels geschehen. Typische Gründungsphasen sind Hochmittelalter, Barock (Residenz-/Festungsstädte) und das Industriezeitalter (Wolfsburg, Eisenhüttenstadt). Um 1800 lebten nur etwa 25 % der deutschen Bevölkerung in Städten und 75 % auf dem Land, 2005 wohnt 85 % der Bevölkerung in der Stadt. Eine ähnliche Entwicklung ist in allen Industrienationen zu verzeichnen, in denen heute (2005) zwischen 61 % der Bürger, wie in Irland, und bis zu 97 %, wie in Belgien in der Stadt wohnen. Weitere Angaben: Japan: 66 %, Österreich: 66 %, Italien: 68 %, Russland: 73 %, Schweiz: 75 %, Frankreich: 77 %, Vereinigte Staaten: 81 %, Vereinigtes Königreich: 90 %.

Ausgesprochen niedrig ist der Anteil an der städtischen Bevölkerung in einigen Entwicklungsländern. Auch hierzu einige Daten (2005): Afghanistan: 23 %, Äthiopien: 16 %, Bangladesch: 25 %, Eritrea: 19 %, Kenia: 21 %, Demokratische Republik Kongo: 32 %, Laos 25 %, Niger 17 %, Ruanda 19 %, Sri Lanka 15 %, Tansania: 24 %, Uganda: 13 %, Vietnam: 28 %.

Folgende Anteile der städtischen Bevölkerung in % und im Vergleich dazu folgendes Bruttonationaleinkommen (BNE) in US-$ pro Kopf waren 2004 in den Weltregionen zu verzeichnen:[4]

Weltregionen Bevölkerung in % BNE in US-$
Afrika südl. der Sahara 36 601
Naher Osten und Nordafrika 56 1971
Südostasien 28 594
Ostasien und Pazifik 41 1416
Lateinamerika 77 3576
Europa und Zentralasien 64 3295
Unterentwickelte Welt 27 333
Welt 49 6329

Der Hauptgrund der Verstädterung ist der sich verändernde Anteil der Wertschöpfung in den einzelnen Wirtschaftssektoren und damit der Menschen, die dafür tätig sind (siehe Tabelle). Dazu folgende ausgewählte Länder im Vergleich:[5]

Wirtschaftssektor USA Deutschland Indien Tansania
I. Primär: Landwirtschaft 1,6 % 2,3 % 59 % 80 %
II. Sekundär: Industrie, Bergbau 22 % 30 % 22 % 9 %
III. Tertiärer: Dienstleistung, Handel 77 % 68 % 19 % 11 %
Urbanisierung in Europa 2010

In Deutschland wohnen wesentlich mehr Einwohner in Städten als im weltweiten Durchschnitt. Die Liste der Städte in Deutschland enthält eine vollständige Auflistung aller 2059 Städte in Deutschland. 2004 lebten 25,3 Millionen Einwohner (= 30 %) in 82 Großstädten über 100.000 Einwohner. Die elf Agglomerationsräume mit mehr als einer Million Einwohnern (davon drei mit mehr als drei Millionen Einwohner) zählen allein rund 25,6 Millionen Menschen.

In Österreich existierten im Jahr 2004 über 200 Städte, darunter fünf Großstädte einschließlich Wien, das als Agglomeration fast zwei Millionen Einwohner aufweist, sowie 72 Städte, mit mehr als 10.000 Einwohnern (dazu Liste der Städte in Österreich).

In der Schweiz gab es 2010 rund 230 Städte, darunter sechs Großstädte und 139 Städte mit mehr als 10.000 Einwohnern (dazu Liste der Städte in der Schweiz).

In Europa (bis zum Ural) befanden sich (2004) etwa 17 Agglomerationen mit mehr als drei Millionen Einwohnern und etwa 35 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern (dazu Liste der größten Städte der Europäischen Union).

Weltweit existieren (2006) über 134 Agglomerationen mit mehr als drei Millionen Einwohnern, mehr als 62 Städte mit mehr als 3 Millionen Einwohnern und über 310 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern. Seit dem Jahr 2006 wohnt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, während 1950 noch 70 % auf dem Land lebten. Nach Prognosen der UNO wird der weltweite Anteil der städtischen Bevölkerung bis 2030 auf über 60 % steigen (siehe Liste der größten Metropolregionen der Welt). Ihre Einwohnerschaft ist oftmals ethnisch, sprachlich, sozial, kulturell, konfessionell sehr vielfältig.

Stadtrecht

Hauptmarkt in Trier mit Marktkreuz; Trier erhielt im Jahr 958 das Marktrecht.

Der historische Stadtbegriff, der sich in Europa aus dem mittelalterlichen Stadtrecht herleitet, hatte als wesentliche Merkmale das Marktrecht, das Recht auf Selbstverwaltung, die Freiheit der Stadtbürger, das Recht auf Besteuerung, der Gerichtsbarkeit, die Aufhebung der Leibeigenschaft, das Zollrecht, das Recht zur Einfriedung und Verteidigung sowie das Münzrecht.

Im heutigen deutschen Sprachraum gibt es kein Stadtrecht mehr im eigentlichen Sinne, d. h. die Selbstverwaltung in den Städten regeln staatliche Grundsätze und Ländergesetze. Bei den Gemeindeordnungen in Deutschland handelt es sich um Landesgesetze, die jeweils vom Parlament eines Bundeslandes erlassen werden. Die Gemeindeordnung ist die „Verfassung“ einer Gemeinde. Die Bezeichnung Stadt ist ein Titel.

Titularstadt nennt man eine Gebietskörperschaft, die formell den Titel Stadt trägt und in der Regel eine eigenständige Gemeinde ist, der jedoch mehrere Elemente einer Stadt fehlen. Titularstadt wird gelegentlich – in Nichtübereinstimmung mit der historischen Bedeutung – ein Ort genannt, der im Zuge einer kommunalen Neugliederung das Stadtrecht verloren hat, z. B. im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt.[6] In Einzelfällen wird der Zusatz aus historischen Gründen oder zur Differenzierung von anderen Orten als Teil des Namens geführt.

Auch heute noch ist das Überschreiten einer bestimmten Einwohnerzahl in den meisten Ländern nicht automatisch mit der Erhebung zur Stadt verbunden, sondern es bedarf eines ausdrücklichen Beschlusses einer höherrangigen Gebietskörperschaft – in Deutschland und Österreich ist dies das jeweilige Bundesland. Im Bundesland Oberösterreich wird seit 2002 als einziges Kriterium eine Bevölkerungszahl von über 4500 gefordert. In Deutschland gibt es mit dem Deutschen Städtetag eine eigene Organisation,[7] in Österreich wird mit der Statutarstadt auch eine Verwaltungsfunktion festgelegt.

In den USA erfolgt der Erwerb von Stadtrechten über die Anerkennung einer eigenständigen Stadtverwaltung durch die nächsthöhere Verwaltungsorganisation. Eine Gemeinde gründet sich hierbei selbst und meldet die Selbstverwaltung als Municipal Corporation an.

Stadtstatus

In Deutschland unterscheidet man rechtlich

Alle zusammen, auch die kreisfreien Städte, sind Gemeinden.

  • kreisfreie Städte, das sind solche Städte, die keinem Landkreis angehören. Sie bilden sozusagen einen eigenen Kreis. Im Gegensatz zu kreisangehörigen Städten haben kreisfreie Städte zusätzliche Aufgaben. So sind sie unter anderem untere staatliche Aufsichtsbehörde oder Aufgabenträger für den öffentlichen Nahverkehr. Diese Aufgaben werden bei Gemeinden (und damit auch kreisangehörigen Städten) von den Landkreisen wahrgenommen.

Auf amtlichen topografischen Karten Deutschlands werden Städte in Versalien beschriftet. Diese Konvention wurde weithin von Herstellern von Straßenatlanten übernommen, jedoch in den digitalen Kartenangeboten nicht mehr fortgeführt.

In Österreich unterscheidet man zwischen Städten mit eigenem Statut (sind Gemeinden die zugleich die Aufgaben eines Bezirkes übernehmen) und sonstigen Städten (sind Gemeinden, die zu einem Bezirk gehören). Eine Stadt mit eigenem Statut ist meist auch Sitz der Bezirkshauptmannschaft des Umland-Bezirks, der auch in den meisten Fällen so heißt (zum Beispiel Innsbruck Stadt und Innsbruck Land). Heute kann jede Stadt mit mehr als 20.000 Einwohnern ein eigenes Statut anfordern. Eine der kleinsten Städte überhaupt ist das niederösterreichische Hardegg: mit allen eingemeindeten Orten hat es 1384 Einwohner, die eigentliche ursprüngliche Stadt jedoch nur 78. Die tatsächlich kleinste Stadt Österreichs ist Rattenberg mit 405 Einwohnern.

In der Schweiz gelten Ortschaften dann als Stadt, wenn sie entweder mehr als 10'000 Einwohner haben (Stadt im statistischen Sinne) oder wenn ihnen im Mittelalter das Stadtrecht verliehen wurde (Stadt im historischen Sinne). Verwaltungsrechtliche Bedeutung hat der Begriff Stadt in der Schweiz nicht.

In den Niederlanden ist der Stadtbegriff nicht an den Gemeindestatus gebunden. So werden oft Zentren von Großstädten und eingemeindete Orte aus historischen Gründen weiterhin als Städte bezeichnet.

Im Vereinigten Königreich unterscheidet man zwischen City und Town. Ein Ort darf erst dann als City bezeichnet werden, wenn die Königin oder der König diese zu einer solchen ernennt. In der Regel vergibt der Monarch diesen Titel erst dann, wenn die Siedlung eine Kathedrale besitzt. Die Großstadt Stockport ist beispielsweise keine City, sondern Town, wohingegen die Stadt Sunderland eine City ist. Der Verwaltungsbezirk Greater London ist keine City, aber innerhalb dieser Gebietskörperschaft gibt es die City of London und die City of Westminster.

In Schweden ging man bei der Gemeindereform von 1971 einen anderen Weg. Die Begriffe Stadt (stad) und Minderstadt (köping) wurden aus der verwaltungstechnischen Terminologie gestrichen und durch Ortschaft (tätort) ersetzt. Im allgemeinen Sprachgebrauch existiert die Bezeichnung stad für größere Siedlungen aber weiterhin.

Siedlungsstruktur

Der Begriff Siedlungsstruktur beschreibt die Struktur der menschlichen Siedlungen. Darin ist die Verteilung der Bevölkerung im Raum, die Art und Dichte der Bebauung, Nutzungen, Infrastruktur und zentrale Einrichtungen enthalten.[8]

Eine grundlegende Theorie zur Verteilung zentraler Nutzungen im Raum stammt von Walter Christaller. Anhand von Untersuchungen in Süddeutschland entwickelte er 1933 die Zentrale-Orte-Theorie. „Zentrale Orte“ besitzen einen Bedeutungsüberschuss: Sie sind Standort von Angeboten (zum Beispiel Einkaufsmöglichkeiten), die nicht nur von den eigenen Bewohnern, sondern regelmäßig auch von Einwohnern der Nachbargemeinden genutzt werden. Christaller entwickelte ein hierarchisches System zentraler Orte mit zehn Stufen. Orte höherer Hierarchie-Stufe besitzen weitere solcher Einrichtungen: Eine Großstadt besitzt nicht nur Einkaufsmöglichkeiten, sondern häufig auch eine Universität und spezialisierte Kliniken, die ein weiteres Umfeld versorgen. Das heute von der Raumordnung und Landesplanung genutzte System zentraler Orte besitzt (je nach Bundesland) vier bis fünf Stufen.[9]

Die Siedlungsstruktur wird entsprechend dem föderalen Staatsaufbau in Deutschland auf mehreren Ebenen geplant:[10]

  • Raumordnung (auf Bundesebene insbesondere durch das Raumordnungsgesetz ROG)
  • Landesplanung (umfassen das Bundesland, werden vom Landtag beschlossen)
  • Regionalplanung (umfassen in Nordrhein-Westfalen Teile der Regierungsbezirke, in Süddeutschland mehrere Landkreise, beschlossen von der Regionalversammlung)
  • Flächennutzungspläne (umfassen die Gesamtfläche einer Kommune, werden vom Stadt- oder Gemeinderat beschlossen).

Stadtstruktur

Die Strukturen einer Stadt bestehen aus baulichen Elementen und aus Netzen. Sie müssen auf die Ausweitung und auf die Änderungen der Kapazitätsanforderungen der Stadt durch Ergänzungen, Komplettierungen oder Korrekturen angepasst werden. Lage, Bevölkerungsveränderungen, Bauwerke, Verkehrsstruktur, Netzwerke und Geschichte bestimmen und formen die Stadtentwicklung und die Eigenart der Stadt.

Die baulichen Elemente einer Stadtstruktur sind:

Die Stadt als Teil von Netzwerken:

  • Räumlich: Umland, andere Städte, Regionen, Land und Länder, ggf. auch Europa oder die Welt.
  • Funktional: Wirtschaft, Finanzwirtschaft, Handel, Politik, Soziales, Kultur, Sport usw.
  • Politisch: Ortsteil- oder Stadtteilbeirat, ggf. Bezirksrat, Stadtrat, Kreis, ggf. Regierungsbezirk, Land, Staat, Europäische Union
  • Bevölkerungsspezifisch: Abstammung und Sprache, Religion, Soziale Schicht, Lebensalter

Zu weiteren Themen siehe auch

Siehe auch

Portal
Portal
 Wikipedia:Portal: Planung – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Planung
Portal
Portal
 Wikipedia:Portal: Architektur und Bauwesen – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Architektur und Bauwesen

Listen zum Thema Stadt (Auswahl)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Commons: Städte - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wikiquote: Stadt – Zitate
 Wiktionary: Stadt – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelanchweise

  1. Joachim Maschke: Die Bedeutung des Kulturtourismus für städtische Destinationen. In: Kulturtourismus. Grundlagen, Trends und Fallstudien. R. Oldenbourg Verlag, München/Wien 1999, S. 83–104, auf S. 83.
  2. Walter Marquardt: Harburg – Stadt und Land. Sutton Verlag, Erfurt 2012, S. 25.
  3. Baedeker Reiseführer Niederlande. Verlag Karl Baedeker, 2016, S. 219.
  4. Der Fischer Weltalmanach. 2007, S. 525 und 537.
  5. Der Fischer Weltalmanach. 2008, S. 688.
  6. Kommunalverfassungsgesetz und Kommunalwahlgesetz des Landes Sachsen-Anhalt, S. 12 f. (PDF 682 KB) mi.sachsen-anhalt.de, abgerufen 10. September 2016.
  7. siehe Die Mitgliedsstädte des Deutschen Städtetages
  8. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
  9. Landesplanungsgesetz der Bundesländer
  10. ROG, BauGB


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