Hirnkartierung

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Als Hirnkartierung (eng. brain mapping) bezeichnet man in den Neurowissenschaften die Erstellung von Hirnkarten, die den Zusammenhang zwischen der strukturellen und funktionellen Organisation des Gehirns aufzeigen.

Geschichte

Erste Kartierungen der Großhirnrinde gelangen schon im 19. Jahrhundert. So entdeckte 1861 der französische Chirurg Paul Broca (1824–1880) das nach ihm benannte Broca-Areal, das der Sprachproduktion beteiligt ist und auf dem Gyrus frontalis inferior, meist auf der linken Gehirnhälfte, liegt. Das erstmals 1874 von Carl Wernicke (1848–1905) beschriebene Wernicke-Areal ist von essentieller Bedeutung für das Sprachverständnis ist. Es liegt bei Rechtshändern meist auf der linken Hirnhemisphäre, bei Linkshändern jedoch wahlweise links oder rechts.

Anfang des 20. Jahrhunderts teilte der deutsche Neuroanatom und Psychiater Korbinian Brodmann die Großhirnrinde nach rein histologisch-topographischen Kriterien in zunächst 52, später noch teilweise weiter unterteilte Felder, die nach ihm als Brodmann-Areale benannt wurden und denen mittlerweile großteils konkreten Funktionen zugeordnet werden können. Seine Arbeiten sind daher auch heute noch bedeutsam.

In der Einleitung zu seiner Vergleichenden Lokalisationslehre (1909) schreibt Brodmann:

„Weder die Einteilung nach Rindenschichten noch diejenige nach histologischen Elementen kann ... zurzeit als erfolgversprechender Weg einer Rindenlokalisation angesehen werden. Für eine auf dem Boden der Wirklichkeit bleibende und dem Stande unserer Histotechnik Rechnung tragende Betrachtungsweise bleibt demnach vorläufig nur die dritte Art der histologischen Cortexgliederung, nämlich die topographische Lokalisation, d. h. die örtliche Zerlegung der Großhirnrinde in strukturelle Rindenfelder oder was dasselbe heißt, die Einteilung nach flächenhaft ausgedehnten, regionär umschriebenen, in sich einheitlich, unter sich verschiedenartig gebauten räumlichen Bezirken der Hemisphärenoberfläche. Solche differente Strukturbezirke nennen wir Arcae anatomicae.

Ausgangspunkt und Grundlage einer derartigen Cortexgliederung, gleichviel ob sie sich auf den Zell- oder Faseraufbau stützt, ist der Rindenquerschnitt, insonderheit die an diesem hervortretende Schichtung. Die Cytoarchitektonik im speziellen knüpft an die Zellschichtung an, d. h. an die Tatsache, daß die die Rinde zusammensetzenden zellulären Elemente auf einem zur Oberfläche senkrecht geführten Querschnitte eine etagenförmig übereinander angeordnete Gruppierung in Lagen verschiedener Zusammensetzung erkennen lassen und an die weitere Tatsache, daß diese Zellstrata vielfach ein regionär äußerst verschiedenes Verhalten zeigen.

Eine vergleichende Cortexlokalisation wird nun in erster Linie das örtliche Verhalten dieser zellulären Schichtung in der Säugetierreihe zu untersuchen haben und in zweiter Reihe erst an die Frage herantreten können, wie man auf Grund der zellulären Tektonik zu einer topographischen Oberflächengliederung der Hirnrinde beim Menschen und bei Tieren gelangt.“

Korbinian Brodmann: Vergleichende Lokalisationslehre der Grosshirnrinde (1909), S. 9f.

In den 1950er Jahren begann Wilder Penfield mit der systematischen experimentellen Erforschung spezifischer Gehirnfunktionen.

Neuroimaging

Heute wird die lokale Gehirnaktivität zunehmend mit bildgebenden Verfahren, dem sog. Neuroimaging, untersucht. Damit kann der dynamische Zusammenhang zwischen Funktion und Struktur mehr oder weniger unmittelbar „in Aktion“ sichtbar gemacht werden. Eingesetzt werden vor allem Verfahren wie Magnetresonanztomographie (MRT), Positronen-Emissions-Tomographie (PET), Elektroenzephalographie (EEG), Magnetoenzephalographie (MEG), transkranielle Magnetstimulation (TMS) und intraoperative Mikroelektrodenstimulation. Als einer der führenden Forscher auf diesem Gebiet gilt heute der britische Neurowissenschaftler Karl J. Friston (* 1959).

Neuroimaging ist heute in den Zeitschriften sehr beliebt, da es sehr anschauliche bunte Bilder der Gehirntätigkeit liefert. Einige Wissenschaftler haben mit Recht die in wissenschaftlichen Zeitschriften und der Populärpresse geäußerten plakativen Behauptungen kritisiert, wie die Entdeckung jenes „Teils des Gehirns“, der für Funktionen wie Talente, spezifische Erinnerungen oder das Erzeugen von Emotionen wie Liebe verantwortlich ist. Viele Kartierungstechniken haben eine relativ geringe Auflösung, wodurch in Wahrheit Hunderttausende von Neuronen in einem einzigen Bildelement erscheinen. Viele Funktionen betreffen auch mehrere Teile des Gehirns, was bedeutet, dass diese Art von Behauptung wahrscheinlich sowohl mit der verwendeten Ausrüstung nicht nachprüfbar ist als auch im Allgemeinen auf einer falschen Annahme darüber beruht, wie die Gehirnfunktionen aufgeteilt werden. Es kann sein, dass die meisten Gehirnfunktionen erst dann richtig beschrieben werden, wenn sie mit viel feinkörnigeren Verfahren gemessen wurden, die nicht auf große Regionen, sondern auf eine sehr große Anzahl winziger individueller Gehirnschaltkreise ausgerichtet sind.

Literatur

  • Korbinian Brodmann: Vergleichende Lokalisationslehre der Grosshirnrinde. In ihren Principien dargestellt auf Grund des Zellenbaues. Johann Ambrosius Barth Verlag, Leipzig 1909 (2. unveränderte Auflage. ebenda 1925; Reprint der Original-Ausgabe von 1909, mit einem Nachwort und einem Literaturverzeichnis von Ernst Winkelmann und Karl Seidel. ebenda 1985, ISBN 3-335-00010-2).