Erdgebundene Tote und Medizingeschichte: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
imported>Joachim Stiller
 
Zeile 1: Zeile 1:
<div style="margin-left:20px">
{{Dieser Artikel|beschreibt einen speziellen Zweig der Geschichtswissenschaft bzw. der Medizin, der sich mit der Geschichte der Medizin befasst. Zur Geschichte der Medizin selbst siehe [[Geschichte der Medizin]].}}
"Indem der Mensch unter den gegenwärtigen Entwickelungsbedingungen durch die Pforte des Todes tritt, nimmt er die Bewußtseinsbedingungen mit, welche er sich selbst hergestellt hat zwischen der Geburt und dem Tode. Derjenige Mensch, welcher unter den gegenwärtigen Verhältnissen ganz und gar sich nur beschäftigt hat mit Vorstellungen und Begriffen und Empfindungen über die materielle, über die Sinneswelt, der verurteilt sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen dazu, daß er nach dem Tode nur in einer Umgebung lebt, auf welche die während des leiblichen Lebens ausgeprägten Begriffe Bezug haben. Während der, welcher spirituelle Vorstellungen aufnimmt, rechtmäßig in die geistige Welt einzieht, muß derjenige, der es ablehnt, geistige Vorstellungen aufzunehmen, in gewissem Sinne in irdischen Verhältnissen verbleiben, bis er – und das dauert eine lange Zeit – gelernt hat, drüben so viel geistige Begriffe aufzunehmen, daß er durch sie in die geistige Welt getragen werden kann. Also, ob wir hier geistige Begriffe aufnehmen oder nicht, das bestimmt unsere Umgebung drüben. Viele von denen, die sich gesträubt haben oder verhindert waren, geistige Begriffe hier im Leben aufzunehmen, die wandeln auch noch als Tote auf Erden umher, bleiben mit der Erdensphäre in Verbindung. Und da wird dann die Seele des Menschen, wenn sie nicht mehr abgeschlossen ist von der Umgebung durch den Leib, der nun nicht mehr verhindert, daß sie zerstörerisch wirkt, da wird die Seele des Menschen, wenn sie in der Erdensphäre lebt, zum zerstörenden Zentrum." {{Lit|{{G|178|176}}}}
'''Medizingeschichte''', auch ''Geschichte der Medizin'' genannt, ist die Bezeichnung für jenen Zweig der [[Geschichtswissenschaft]] bzw. der [[Medizin]], der die [[Geschichte der Medizin]] erforscht.<!-- Das Zitat von Herrlinger (übrigens wegen seiner Nähe zum NS-Regime ziemlich umstritten), zur Brücke zwischen Geistes- und Naturwissenschaft, charakterisiert die moderne medizingeschichtliche Forschung nicht korrekt. -->
</div>


<div style="margin-left:20px">
== Entwicklung der Medizingeschichte in Deutschland ==
"Vieles von dem, was an zerstörenden Kräften wirkt innerhalb der Erdensphäre, kommt von solchen in diese Erdensphäre gebannten Toten. Man muß eher Mitleid haben mit solchen Menschenseelen, als irgendein kritisches Urteil fällen. Denn nach dem Tode ist das Erlebnis nicht besonders leicht, innerhalb eines Reiches bleiben zu müssen, das dem Toten eigentlich nicht angemessen ist. Und dieses Reich ist eben dann in diesem Falle das mineralische und das pflanzliche Reich, auch dasjenige mineralische Reich, das die Tiere in sich tragen, das der Mensch selber in sich trägt. Für solche, die keine spirituellen Vorstellungen in sich aufgenommen haben, liegt nämlich die Sache so, daß sie zurückschrecken nach dem Tode vor diesem Erleben, das überall Empfindungen hervorruft: Sie können nicht hinein in das Reich, das da waltet in der tierischen Geistigkeit und im Menschlichen; sie können nur hinein in dasjenige, was mineralischer Natur, was pflanzlicher Natur ist. Ich kann nicht ausmalen, um was es sich da handelt; denn erstens hat die Sprache für das keine Worte, zweitens aber kann man sich nur langsam und allmählich dem nähern, was da eigentlich zugrunde liegt, weil dieses Nähern wirklich zunächst etwas Schreckhaftes hat. Man darf sich nun nicht etwa vorstellen, daß solche Tote dann ganz enthoben sind dem Leben, das ich beschrieben habe (siehe: Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt); aber sie nähern sich diesem Leben nur mit einer gewissen Scheu, mit einer gewissen Furcht, und stürzen immer wieder und wiederum zurück in das pflanzliche und mineralische Reich, weil sie sich vorzugsweise nur Vorstellungen gebildet haben, die für das letztere Reich, für das Reich des Toten, für das Reich des physischen Mechanismus eine gewisse Bedeutung haben." {{Lit|{{G|182|20f}}}}
Medizingeschichte verfügt in Deutschland über eine lange Tradition innerhalb der Medizin. Da bis ins 19. Jahrhundert hinein die antiken Texte des [[Corpus Hippocraticum]] (dem berühmten Arzt [[Hippokrates von Kos]] zugeschrieben) und des [[Galenos]] von Pergamon in der medizinischen Lehre gelesen wurden, stellte die Beschäftigung mit der Vergangenheit der Medizin eine Selbstverständlichkeit dar. Im Mittelpunkt stand dabei nicht die Geschichtsschreibung im heutigen Sinne, sondern die Zuordnung von [[Diagnose]]n und [[Therapie]]n zu historischen Autoritäten der Medizin. Im Zuge der [[Aufklärung]] etablierte sich auch in der medizingeschichtlichen Auffassung ein Bewusstsein des allgemeinen [[Fortschritt]]s in der Medizin.<ref>Wolfgang U. Eckart, Robert Jütte: ''Medizingeschichte. Eine Einführung'', Stuttgart 2007, S. 21ff</ref> Erste umfangreichere medizinhistorische Publikationen entstanden Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts.<ref>Daniel Leclerc: ''Histoire de la médicine.'' Genf 1696.</ref><ref>[[John Freind]]: ''The history of physics from the time of Galen to the beginning of the 16th century.'' I–II, London 1725–1726.</ref> Gegen Ende des 19. Jahrhunderts spezialisierten sich einige Wissenschaftler an [[Medizinische Fakultät|medizinischen Fakultäten]] und praktizierende Ärzte auf die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte. Vereinzelt gab es, wie vertreten in Berlin durch [[Justus Hecker]] (1795–1850), auch schon Lehrstühle für das Fach.
</div>


<div style="margin-left:20px">
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlangte die Medizingeschichte durch die Verdienste von [[Karl Sudhoff]] größere Bedeutung und etablierte sich als eigenständiges Fach an den Medizinischen Fakultäten. Die von demselben geleitete Fachzeitschrift (''Archiv für Geschichte der Medizin'' seit 1907, später Sudhoffs Archiv genannt) unterstützte die Auffassung der Medizingeschichte als eigenständige Disziplin zwischen Geschichtswissenschaft und Medizin. Gerade der [[Hippokratismus]] der 1920er Jahre, in dem man sich sehr stark auf eine überhöhte Gestalt des Hippokrates berief, um aktuelle Probleme der Medizin zu lösen, führte zu einer stabilen Institutionalisierung der Medizingeschichte.
"Seelen, welche überhaupt nicht viel von dem entwickelt haben,
was Empfindungen und Gefühle sind, die sozusagen über das Erdenleben
hinausgehen, bleiben auch recht lange mit der Sphäre des
Erdenlebens verbunden, verbunden durch ihr eigenes Begehren.
Wenn ein Mensch — das ist ja sogar, man möchte sagen, äußerlich
leicht einzusehen — ein ganzes Leben nur solche Gefühle und Empfindungen
in sich ausgebildet hat, die sich durch Leibesorgane,
durch Verhältnisse der Erde befriedigen lassen, dann kann er auch
nicht anders, als eine gewisse längere Zeit mit der Sphäre der Erde
verbunden bleiben. Man kann durch ganz andere Triebe und Begierden
noch, als man gewöhnlich wähnt, mit der Erdensphäre verbunden
bleiben. Zum Beispiel recht ehrgeizige Menschen, denen
es besonders darum zu tun ist, innerhalb der Erdenverhältnisse
dieses oder jenes zu gelten, die den allergrößten Wert darauf legen,
solche Geltung zu haben, die von Urteilen innerhalb der Erdenmenschheit
abhängig ist, die entwickeln damit auch in ihrem Astralleibe
einen Affekt, der sie längere Zeit sozusagen zu erdgebundenen
Seelen macht. Es gibt mannigfaltige Gründe, welche den Menschen
so in der Erdensphäre zurückhalten. Und das weitaus meiste, was
auf medialem Wege aus den geistigen Welten für die Menschen
vermittelt wird, das stammt eigentlich aus solchen Seelen und ist
im wesentlichen das, was diese Seelen abzustreifen streben.


Es braucht nicht einmal immer daran gedacht zu werden, daß
Einen großen Verlust an Qualität und Führungspersönlichkeiten erlitt die deutsche Medizingeschichte in der Zeit des [[Nationalsozialismus]] 1933 bis 1945, als die führenden deutschen Medizinhistoriker in die USA auswanderten (u. a. Henry E. Sigerist, Owsei Temkin, Ludwig Edelstein, Erwin Heinz Ackerknecht). Das erste Lehrbuch für Geschichte der Medizin wurde 1968 von Irina Winter und Alexander Mette herausgegeben.<ref>Alexander Mette, Irina Winter (Hrsg.): ''Geschichte der Medizin. Einführung in ihre Grundzuüge.'' Berlin 1968.</ref> Der medizinhistorischen Forschung im Nachkriegsdeutschland mangelte es bis in die 1970er Jahre hinein an Substanz und Kreativität, bis sie durch Impulse aus den [[geschichtswissenschaft]]lichen Methodendiskussionen neu angeregt wurde.<!-- Die Liste der "bekannten" medizinhistorischen Institute ist völlig willkürlich. In Tübingen wird - bei starkem ethischen Schwerpunkt - kaum mehr Medizingeschichte betrieben. Dafür fehlen auch international bekannte, führende Institute wie das in Berlin. Sinnvollerweise sollte man auf eine solche Liste völlig verzichten. -->
solche Seelen durch ganz unedle Motive, obwohl das meist der Fall
ist, an die Erde gebunden bleiben; es können auch Sorgen sein,
welche für das empfunden werden, was man auf der Erde zurückgelassen
hat. Solche Sorgen für zurückgelassene Freunde, Verwandte,
Kinder, können auch in gewisser Weise wie eine Art
Schwere wirken und die Seele in der Erdensphäre zurückhalten.
Und es ist gut, gerade auch auf diesen Punkt das Augenmerk zu
lenken, aus dem Grunde nämlich, weil wir, wenn wir diesen Punkt
berücksichtigen, auch dadurch den Toten in einer gewissen Weise
helfen können. Wenn wir wissen, daß zum Beispiel ein Hingestorbener
diese oder jene Sorge für Lebende empfinden kann - und
man kann ja in dieser Beziehung gar manches wissen —, so ist es gut
für die weitere Entwickelung des Toten, diese Sorge ihm abzunehmen.
Man erleichtert das Leben eines Toten in der Tat dadurch,
daß man ihm zum Beispiel abnimmt die Sorge um ein Kind, das er
unversorgt zurückgelassen hat. Wenn man also etwas tut für das
Kind, so nimmt man in der Tat dem Toten eine Sorge ab, und es
ist dies gerade ein rechter Liebesdienst. Denn stellen wir uns nur
einmal die Situation vor. Solch ein Toter hat ja nicht die Mittel an
der Hand, seinen Sorgen auch tatsächlich abzuhelfen; er kann oftmals
nicht das tun, was die Lage irgendeines zurückgelassenen
Kindes, Verwandten, Freundes, erleichtern könnte von seiner Welt
aus, und er ist oftmals — das ist ein in vielen Fällen außerordentlich
bedrückendes Gefühl für den seherischen Beobachter — verurteilt,
diese Sorge so lange zu tragen, bis sich von selbst oder
durch Umstände die Lage des Zurückgelassenen bessert. Wenn
wir also etwas dazu tun, sie zu bessern, so ist die Folge diese, daß
wir dem Toten einen rechten Liebesdienst erwiesen haben.
Es ist oftmals sogar beobachtet worden, daß irgendeine Persönlichkeit
hingestorben ist, die sich das oder jenes für das Leben noch
vorgenommen hatte. Sie hing an einem solchen Vorsatz. Wir helfen
ihr, wenn wir versuchen, unsererseits das zu tun, was sie gerne
getan hätte. Das alles sind Dinge, die eigentlich gar nicht schwierig
zu begreifen sind, die aber wirklich einmal ins Auge gefaßt werden
sollen, weil sie mit der seherischen Beobachtung durchaus übereinstimmen.


Nun gibt es ja noch sehr viele Dinge, welche den Menschen
In den letzten Jahren wurden einzelne medizinhistorische Institute in Deutschland geschlossen, mit der [[Medizinethik]] institutionell zusammengefasst oder von dieser weitgehend verdrängt. Nur vereinzelt kam es zu Neugründungen, gegen den Trend wurde beispielsweise 2008 (als erstes Institut seit 1987) an der Universität Ulm das Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin eingerichtet.<ref>Bernhard vom Brocke: ''Die Institutionalisierung der Medizinhistoriographie im Kontext der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte.'' In: Andreas Frewer, Volker Roelcke (Hrsg.): ''Die Institutionalisierung der Medizinhistoriographie: Entwicklungslinien vom 19. ins 20. Jahrhundert.'' Stuttgart, Steiner 2001, S. 187–212, hier: S. 191.</ref> In der deutschen Hochschulpolitik ist die Geschichte der Medizin als [[Kleines Fach]] eingestuft. Die Arbeitsstelle Kleine Fächer (jetzt an der Universität Mainz) gibt einen Überblick über alle Fachstandorte.<ref>[http://www.kleinefaecher.de/geschichte-der-medizin/ Seite der Arbeitsstelle Kleine Fächer über die Fachstandorte an deutschen Universitäten]</ref>
lange festhalten können sozusagen in der Äthersphäre der Erde.
Dann aber wächst er über diese Äthersphäre hinaus ..." {{Lit|{{G|140|267f}}}}
</div>


== Siehe auch: ==
== Methodik der Medizingeschichte ==
Die Medizingeschichte stützt sie sich hauptsächlich auf Textquellen wie etwa medizinische Lehrwerke und Traktate, Fallgeschichten und Krankenakten oder auch Tagebücher, Briefe, literarische Texte sowie, vor allem in jüngerer Zeit auch auf bildliche Darstellungen<ref>R. Joseph Petrucelli, Albert S. Lyons (Hrsg.): ''Die Geschichte der Medizin im Spiegel der Kunst.'' Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Thomas Gosciniak und Herbert Graf, bearbeitet von Erich Püschel, Köln 1980.</ref> und historische Objekte und andere Sachquellen. Die Untersuchung von menschlichen Überresten und alten [[Krankheitserreger]]n fällt nicht in das Gebiet der Medizingeschichte, sondern der [[Paläopathologie]].<!-- Gestrichen: Hinweis auf Ethnologie. Es gibt einzelne Medizinhistoriker, die auch ethnologisch arbeiten, aber Medizingeschichte und Medizinethnologie sind zwei getrennt Disziplinen und die ältere Auffassung, dass die Medizinethnologie gewissermaßen geschichtliche Urformen erfassen könne, gilt heute als inakzeptabel.  -->


* [[Ahriman-Schule]]
Als veralteter Ansatz gilt, wie in der Wissenschaftsgeschichte insgesamt, die Fortschrittsgeschichte, die selektiv nach einzelnen Theorien und Praktiken in der Medizin früherer Zeiten sucht, die sich zumindest in ähnlicher Form bis heute behauptet haben. Grundlegendes Prinzip ist heute vielmehr die Anerkennung verschiedener [[Krankheitskonzept]]e und Praktiken als Teil und Spiegel des jeweiligen kulturellen Kontextes. Damit werden vergangene medizinische Erklärungsmodelle und Praktiken nicht einfach als ''falsch'' gebrandmarkt und am System unserer Zeit gemessen, sondern die Denkweisen anderer Epochen werden in ihrer jeweils eigenen Logik betrachtet.
 
Ein grundsätzliches Problem sind [[retrospektive Diagnose]]n: Manche Medizinhistoriker lehnen es grundsätzlich ab, Krankheiten in historischer Zeit mit den in der Gegenwart definierten Krankheiten zu identifizieren, da die Zeitgenossen die Beschwerden ganz anders beschrieben und deuteten als heute. Andere Strömungen halten ein solches Vorgehen dagegen, analog der Übertragung von soziologischen und kulturwissenschaftlichen Begriffen der Gegenwart auf historische Sachverhalte, in engen Grenzen und für bestimmte Fragestellungen für sinnvoll und fruchtbar. Siehe auch [[Paläopathologie]].
 
Seit 1967<ref>Erwin H. Ackerknecht: ''A plea for a „Behaviorist“ approach in writing the history of medicine.'' In: ''Journal of the History of Medicine an Allied Sciences.'' Band 22, 1967, S. 211–214.</ref> gestellte Forderungen an die theorielastige Medizingeschichte, auch das praktisch-therapeutische Handeln zu berücksichtigen, wurden ab 1985, [[Roy Porter]]s Ansätzen<ref>Roy Porter: ''The patient's view. Doing medical history from below.'' In: ''Theory and Society.'' Band 14, 1985, S. 175–198.</ref> folgend, durch vermehrte Erforschung von Patientengeschichten<ref>Eberhard Wolff: ''Perspektiven der Patientengeschichtsschreibung.'' In: [[Norbert W. Paul|Norbert Paul]], Thomas Schlich (Hrsg.): ''Medizingeschichte: Aufgaben, Probleme, Perspektiven.'' Frankfurt 1998, S. 311–334.</ref> berücksichtigt, womit der Kranke selbst näher ins Zentrum der Medizingeschichte rückte.<ref>[[Michael Stolberg]]: ''Homo patiens. Körper und Krankheitserfahrung in der Frühen Neuzeit''. Weimar 2003.</ref><ref>[[Marion Maria Ruisinger]]: ''Heilen mit dem Messer. Chirurgische Patienten aus der Konsiliarkorrespondenz Lorenz Heisters.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen'' 25, 2006, S. 63–73, hier: S. 63.</ref>
 
== Ausbildung ==
Die Medizingeschichte ist heute in Deutschland institutionell zum größten Teil an den medizinischen Fakultäten lokalisiert und hat einen Anteil an der [[Studium der Medizin|medizinischen Ausbildung]]. Es finden sich aber auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Institutionen anderer akademischer Fächer, in denen Medizingeschichte oder bestimmte Aspekte der Medizingeschichte bearbeitet werden. So rekrutieren sich auch Medizinhistoriker aus verschiedenen Fachbereichen. Es finden sich zahlreiche Ärzte, aber auch Philosophen, Klassische Philologen, Arabisten, Historiker und Wissenschaftshistoriker unter ihnen. Manche Medizinhistoriker verfügen auch über Doppelqualifikationen.<!-- Der - jetzt gestrichene - Hinweis auf den Dr. rerum medicarum ist nicht allgemeingültig; die Möglichkeit ist auf einzelne Fakultäten beschränkt -->
 
== Institutionen und Gesellschaften ==
Tätig sind wissenschaftlich arbeitende Medizinhistoriker meist in universitären Instituten für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, die in den medizinischen Fakultäten untergebracht sind, aber auch in den entsprechenden universitären Instituten der genannten Fächer. Allerdings gibt es auch eine Reihe von außeruniversitären Forschungsinstituten. Darüber hinaus wurden eine Reihe von gelehrten Gesellschaften gegründet, die die Erforschung allgemein der Geschichte der Naturwissenschaften und im Besonderen der Medizin zum Ziel haben und häufig die Publikation wissenschaftlicher Zeitschriften und Publikationsreihen tragen.
 
== Auszeichnungen für Medizinhistoriker ==
Seit 1955 vergibt die von [[George Sarton]] und [[Lawrence Joseph Henderson]] gegründete History of Science Society (HSS) die [[George-Sarton-Medaille]] für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte. Zu den ersten Trägern gehörte der deutsch-US-amerikanische Medizinhistoriker [[Owsei Temkin]], der die Auszeichnung im Jahr 1960 erhielt. Mit der renommierten Medaille wurden beispielsweise auch [[John Farquhar Fulton]], [[Richard Harrison Shryock]], [[Walter Pagel]] und [[Ronald Numbers]]  ausgezeichnet.
 
Weitere wissenschaftshistorische Preise für Medizinhistoriker (Auswahl):
* Scultetus-Preis (Scultetus Gesellschaft e.&nbsp;V., Ulm)
* Sudhoff-Plakette der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik
* [[Leibniz-Medaille]] der Preußischen Akademie der Wissenschaften
* Akademie-Preis der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
* [[Cothenius-Medaille]]
* William Henry Welch-Medal der American Association for the History of Medicine
 
{{Siehe auch|Liste bekannter Medizinhistoriker|Liste medizinhistorischer Forschungsinstitutionen und gelehrter Gesellschaften}}
 
== Museen für Medizingeschichte ==
Ein effizientes Mittel, medizinhistorische Zusammenhänge und Forschungsergebnisse einem größeren Publikum zu vermitteln, sind insbesondere naturwissenschaftlich ausgerichtete Museen, von denen manche ausschließlich auf die Medizingeschichte allgemein spezialisiert sind, andere auf einzelne Krankheiten, auf bestimmte Fachgebiete und auf einzelne Personen sowie auf das Krankenhauswesen.<ref>[[Eckart Roloff]] und Karin Henke-Wendt: ''Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Eine Tour durch Deutschlands Museen für Medizin und Pharmazie.'' Band 1, Norddeutschland, ISBN 978-3-7776-2510-2, und Band 2, Süddeutschland, ISBN 978-3-7776-2511-9, Verlag S. Hirzel, Stuttgart 2015.</ref>
 
{{Siehe auch|Liste medizinhistorischer Museen}}
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Medizingeschcihte}}
* {{WikipediaDE|Medizinsoziologie}}
* {{WikipediaDE|Medizinethnologie]]
* {{WikipediaDE|Ethnomedizin}}
* {{WikipediaDE|Ethno-Zahnmedizin}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* Hans-Heinz Eulner, Gunter Mann, [[Gert Preiser]], [[Rolf Winau]], [[Otto Winkelmann (Medizinhistoriker)|Otto Winkelmann]] (Hrsg.): ''Medizingeschichte in unserer Zeit. Festschrift [[Edith Heischkel-Artelt]] und [[Walter Artelt]].'' Enke, Stuttgart 1971, ISBN 3-432-01698-0.
* Norbert Paul, Thomas Schlich (Hrg.): ''Medizingeschichte. Aufgaben, Probleme, Perspektiven''. 1998
* Wolfgang U. Eckart: ''Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin''. 7. völlig neu bearbeitete Auflage [als Druck- und E-Book-Version]. Springer, 2013. ISBN 978-3-642-34971-3
* Heinrich Haeser: ''Lehrbuch der Geschichte der Medicin.'' 3. Auflage. Jena 1875–1882
* August Hirsch: ''Handbuch der historisch-geographischen Pathologie.'' [Der Klassiker der globalen geografischen Medizin]. Band 1: ''Die allgemeinen acuten Infectionskrankheiten.'' Ferdinand Enke Verlag, 2. vollständig neue Bearbeitung, Stuttgart 1881.
** Online lesen: [https://archive.org/stream/handbuchderhisto12hirs#page/n5/mode/2up]; pdf-Download: [https://ia600408.us.archive.org/11/items/handbuchderhisto12hirs/handbuchderhisto12hirs.pdf]
* August Hirsch: ''Handbuch der historisch-geographischen Pathologie.'' [Der Klassiker der globalen geografischen Medizin]. Band 3: ''Die Organkrankheiten.'' Ferdinand Enke Verlag, 2. vollständig neue Bearbeitung, Stuttgart 1886.
** Online lesen: [https://archive.org/stream/handbuchderhisto03hirs#page/n7/mode/2up]; pdf-Download: [https://ia600509.us.archive.org/11/items/handbuchderhisto03hirs/handbuchderhisto03hirs.pdf]
* Max Neuburger & Julius Pagel (Hrsg.): ''Handbuch der Geschichte der Medizin.'' Band 1: Altertum und Mittelalter (780 Seiten). Gustav Fischer Verlag, Jena 1902.
** Online lesen: [https://archive.org/stream/handbuchdergesch01puscuoft#page/n5/mode/2up]; pdf-Download: [https://ia600305.us.archive.org/17/items/handbuchdergesch01puscuoft/handbuchdergesch01puscuoft.pdf]
* Max Neuburger & Julius Pagel (Hrsg.): ''Handbuch der Geschichte der Medizin.'' Band 2: Die neuzeitliche Medizin (980 Seiten). Gustav Fischer Verlag, Jena 1903.
** Online lesen: [https://archive.org/stream/handbuchdergesch02puscuoft#page/n5/mode/2up]; pdf-Download: [https://ia600301.us.archive.org/0/handbuchdergesch02puscuoft/handbuchdergesch02puscuoft.pdf]
* Max Neuburger & Julius Pagel (Hrsg.): ''Handbuch der Geschichte der Medizin.'' Band 3: Geschichte der einzelnen Fachdisziplinen (1168 Seiten). Gustav Fischer Verlag, Jena 1905.
** Online lesen: [https://archive.org/stream/handbuchdergesch03puscuoft#page/n3/mode/2up]; pdf-Download: [https://ia600305.us.archive.org/28/items/handbuchdergesch03puscuoft/handbuchdergesch03puscuoft.pdf]
* Volker Roelcke: ''Medizingeschichte: Institutionalisierung - Themenbereiche, Methoden - Theorien - Problemfelder, Aufgaben.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner  (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 951–956.
* Karl Sudhoff: ''Kurzes Handbuch der Geschichte der Medizin''. [3. und 4. Aufl. von J. L. Pagels "Einführung in die Geschichte der Medizin" (1898)]. S. Karger, Berlin 1922.
** Online lesen: [https://archive.org/stream/kurzeshandbuchde00unse#page/n3/mode/2up]; pdf-Download: [https://ia600706.us.archive.org/20/items/kurzeshandbuchde00unse/kurzeshandbuchde00unse.pdf]
'''Lexika der Medizingeschichte'''
* August Hirsch (Hrsg.): ''Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker''. (Hrsg. mit E. Gurlt) 6 Bände, Urban & Schwarzenberg, Wien und Leipzig 1884 bis 1888 (unveränderter Neudruck Mansfield o. J; 2. Auflage, durchgesehen und ergänzt von Wilhelm Haberling, Franz Hübotter und Hermann Vierordt. 5 Bände und Ergänzungsband, Berlin und Wien 1929–1935; unveränderte Auflage München 1962).
* Julius Pagel (Hrsg.): ''[http://www.zeno.org/Pagel-1901 Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts].'' Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1901; unveränderter Neudruck Basel und München 1989.
* Dietrich von Engelhardt (Hrsg.): ''Biographische Enzyklopädie deutschsprachiger Mediziner.'' München 2002.
* Isidor Fischer (Hrsg.): ''Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre''. 2 Bände. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1932–1933; 2. und 3., unveränderte Auflage München und Berlin 1962; und Peter Voswinckel: ''Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre.'' Band III Nachträge und Ergänzungen. Abu-Korn. Olms - Weidmannsche Verlagsbuchhandlung, Hildesheim 2002, ISBN 978-3487116594 (Bd. IV bislang nicht erschienen).
* Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner  (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte''. De Gruyter, Berlin/ New York 2004 (2005), ISBN 3-11-015714-4; 2. Auflage in drei Bänden ebenda 2007.
'''Geschichte und Bibliographien der Medizingeschichte als Wissenschaft'''
* Marcel H. Bickel: ''Die Lehrbücher und Gesamtdarstellungen der Geschichte der Medizin 1696–2000. Ein Beitrag zur medizinischen Historiographie''. Schwabe, Basel 2007, ISBN 978-3-7965-2246-8
* Andreas Frewer, Volker Roelcke (Hrsg.): ''Die Institutionalisierung der Medizinhistoriographie. Entwicklungslinien vom 19. ins 20. Jahrhundert''. Stuttgart 2001
* F. H. Garrison, L. T. Morton (Hrsg.): ''Morton’s medical bibliography: an annotated check-list of texts illustrating the history of medicine'', 5. Auflage, Aldershot: Scolar Pr. [u. a.], 1991
'''Medizingeschichte in der Geschichtsdidaktik'''
* ''Medizingeschichte''. Themenheft 3/2010 der Zeitschrift ''[[Geschichte für heute]]''. Schwalbach/Ts. 2010.
== Weblinks ==
{{Wiktionary}}
{{Wikisource|Heilkunde}}
* [http://www.fachverband-medizingeschichte.de/ Fachverband Medizingeschichte] Der Fachverband Medizingeschichte ist die Berufsvertretung der deutschen Medizinhistoriker. Hier findet sich auch eine Linkliste zu allen deutschsprachigen Instituten
* [http://www.mla-hhss.org/histlink.htm History of the Health Sciences] umfassende englischsprachige Linksammlung zur Medizingeschichte
* [http://publicus.culture.hu-berlin.de/sammlungen/search/art/Medizin Medizinhistorische Universitätssammlungen in Deutschland] Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik
* [http://www.bium.univ-paris5.fr/sfhm/ Société Française d'Histoire de la Médecine] [Société Française d'Histoire de la Médecine)
* [http://www.nlm.nih.gov/hmd/ihm/ Images from the History of Medicine] (IHM), 70.000 Bilder der United States National Library of Medicine


#Rudolf Steiner: ''Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt'', [[GA 140]] (2003), ISBN 3-7274-1400-6 {{Vorträge|140}}
== Einzelnachweise ==
#Rudolf Steiner: ''Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen'', [[GA 178]] (1992), ISBN 3-7274-1780-3 {{Vorträge|178}}
<references />
#Rudolf Steiner: ''Der Tod als Lebenswandlung'', [[GA 182]] (1996), ISBN 3-7274-1820-6 {{Vorträge|182}}


{{GA}}
[[Kategorie:Medizingeschcihte|!]]


[[Kategorie:Tod]]
{{Wikipedia}}

Version vom 7. November 2018, 13:32 Uhr

Dieser Artikel beschreibt einen speziellen Zweig der Geschichtswissenschaft bzw. der Medizin, der sich mit der Geschichte der Medizin befasst. Zur Geschichte der Medizin selbst siehe Geschichte der Medizin.

Medizingeschichte, auch Geschichte der Medizin genannt, ist die Bezeichnung für jenen Zweig der Geschichtswissenschaft bzw. der Medizin, der die Geschichte der Medizin erforscht.

Entwicklung der Medizingeschichte in Deutschland

Medizingeschichte verfügt in Deutschland über eine lange Tradition innerhalb der Medizin. Da bis ins 19. Jahrhundert hinein die antiken Texte des Corpus Hippocraticum (dem berühmten Arzt Hippokrates von Kos zugeschrieben) und des Galenos von Pergamon in der medizinischen Lehre gelesen wurden, stellte die Beschäftigung mit der Vergangenheit der Medizin eine Selbstverständlichkeit dar. Im Mittelpunkt stand dabei nicht die Geschichtsschreibung im heutigen Sinne, sondern die Zuordnung von Diagnosen und Therapien zu historischen Autoritäten der Medizin. Im Zuge der Aufklärung etablierte sich auch in der medizingeschichtlichen Auffassung ein Bewusstsein des allgemeinen Fortschritts in der Medizin.[1] Erste umfangreichere medizinhistorische Publikationen entstanden Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts.[2][3] Gegen Ende des 19. Jahrhunderts spezialisierten sich einige Wissenschaftler an medizinischen Fakultäten und praktizierende Ärzte auf die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte. Vereinzelt gab es, wie vertreten in Berlin durch Justus Hecker (1795–1850), auch schon Lehrstühle für das Fach.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlangte die Medizingeschichte durch die Verdienste von Karl Sudhoff größere Bedeutung und etablierte sich als eigenständiges Fach an den Medizinischen Fakultäten. Die von demselben geleitete Fachzeitschrift (Archiv für Geschichte der Medizin seit 1907, später Sudhoffs Archiv genannt) unterstützte die Auffassung der Medizingeschichte als eigenständige Disziplin zwischen Geschichtswissenschaft und Medizin. Gerade der Hippokratismus der 1920er Jahre, in dem man sich sehr stark auf eine überhöhte Gestalt des Hippokrates berief, um aktuelle Probleme der Medizin zu lösen, führte zu einer stabilen Institutionalisierung der Medizingeschichte.

Einen großen Verlust an Qualität und Führungspersönlichkeiten erlitt die deutsche Medizingeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis 1945, als die führenden deutschen Medizinhistoriker in die USA auswanderten (u. a. Henry E. Sigerist, Owsei Temkin, Ludwig Edelstein, Erwin Heinz Ackerknecht). Das erste Lehrbuch für Geschichte der Medizin wurde 1968 von Irina Winter und Alexander Mette herausgegeben.[4] Der medizinhistorischen Forschung im Nachkriegsdeutschland mangelte es bis in die 1970er Jahre hinein an Substanz und Kreativität, bis sie durch Impulse aus den geschichtswissenschaftlichen Methodendiskussionen neu angeregt wurde.

In den letzten Jahren wurden einzelne medizinhistorische Institute in Deutschland geschlossen, mit der Medizinethik institutionell zusammengefasst oder von dieser weitgehend verdrängt. Nur vereinzelt kam es zu Neugründungen, gegen den Trend wurde beispielsweise 2008 (als erstes Institut seit 1987) an der Universität Ulm das Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin eingerichtet.[5] In der deutschen Hochschulpolitik ist die Geschichte der Medizin als Kleines Fach eingestuft. Die Arbeitsstelle Kleine Fächer (jetzt an der Universität Mainz) gibt einen Überblick über alle Fachstandorte.[6]

Methodik der Medizingeschichte

Die Medizingeschichte stützt sie sich hauptsächlich auf Textquellen wie etwa medizinische Lehrwerke und Traktate, Fallgeschichten und Krankenakten oder auch Tagebücher, Briefe, literarische Texte sowie, vor allem in jüngerer Zeit auch auf bildliche Darstellungen[7] und historische Objekte und andere Sachquellen. Die Untersuchung von menschlichen Überresten und alten Krankheitserregern fällt nicht in das Gebiet der Medizingeschichte, sondern der Paläopathologie.

Als veralteter Ansatz gilt, wie in der Wissenschaftsgeschichte insgesamt, die Fortschrittsgeschichte, die selektiv nach einzelnen Theorien und Praktiken in der Medizin früherer Zeiten sucht, die sich zumindest in ähnlicher Form bis heute behauptet haben. Grundlegendes Prinzip ist heute vielmehr die Anerkennung verschiedener Krankheitskonzepte und Praktiken als Teil und Spiegel des jeweiligen kulturellen Kontextes. Damit werden vergangene medizinische Erklärungsmodelle und Praktiken nicht einfach als falsch gebrandmarkt und am System unserer Zeit gemessen, sondern die Denkweisen anderer Epochen werden in ihrer jeweils eigenen Logik betrachtet.

Ein grundsätzliches Problem sind retrospektive Diagnosen: Manche Medizinhistoriker lehnen es grundsätzlich ab, Krankheiten in historischer Zeit mit den in der Gegenwart definierten Krankheiten zu identifizieren, da die Zeitgenossen die Beschwerden ganz anders beschrieben und deuteten als heute. Andere Strömungen halten ein solches Vorgehen dagegen, analog der Übertragung von soziologischen und kulturwissenschaftlichen Begriffen der Gegenwart auf historische Sachverhalte, in engen Grenzen und für bestimmte Fragestellungen für sinnvoll und fruchtbar. Siehe auch Paläopathologie.

Seit 1967[8] gestellte Forderungen an die theorielastige Medizingeschichte, auch das praktisch-therapeutische Handeln zu berücksichtigen, wurden ab 1985, Roy Porters Ansätzen[9] folgend, durch vermehrte Erforschung von Patientengeschichten[10] berücksichtigt, womit der Kranke selbst näher ins Zentrum der Medizingeschichte rückte.[11][12]

Ausbildung

Die Medizingeschichte ist heute in Deutschland institutionell zum größten Teil an den medizinischen Fakultäten lokalisiert und hat einen Anteil an der medizinischen Ausbildung. Es finden sich aber auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Institutionen anderer akademischer Fächer, in denen Medizingeschichte oder bestimmte Aspekte der Medizingeschichte bearbeitet werden. So rekrutieren sich auch Medizinhistoriker aus verschiedenen Fachbereichen. Es finden sich zahlreiche Ärzte, aber auch Philosophen, Klassische Philologen, Arabisten, Historiker und Wissenschaftshistoriker unter ihnen. Manche Medizinhistoriker verfügen auch über Doppelqualifikationen.

Institutionen und Gesellschaften

Tätig sind wissenschaftlich arbeitende Medizinhistoriker meist in universitären Instituten für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, die in den medizinischen Fakultäten untergebracht sind, aber auch in den entsprechenden universitären Instituten der genannten Fächer. Allerdings gibt es auch eine Reihe von außeruniversitären Forschungsinstituten. Darüber hinaus wurden eine Reihe von gelehrten Gesellschaften gegründet, die die Erforschung allgemein der Geschichte der Naturwissenschaften und im Besonderen der Medizin zum Ziel haben und häufig die Publikation wissenschaftlicher Zeitschriften und Publikationsreihen tragen.

Auszeichnungen für Medizinhistoriker

Seit 1955 vergibt die von George Sarton und Lawrence Joseph Henderson gegründete History of Science Society (HSS) die George-Sarton-Medaille für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte. Zu den ersten Trägern gehörte der deutsch-US-amerikanische Medizinhistoriker Owsei Temkin, der die Auszeichnung im Jahr 1960 erhielt. Mit der renommierten Medaille wurden beispielsweise auch John Farquhar Fulton, Richard Harrison Shryock, Walter Pagel und Ronald Numbers ausgezeichnet.

Weitere wissenschaftshistorische Preise für Medizinhistoriker (Auswahl):

  • Scultetus-Preis (Scultetus Gesellschaft e. V., Ulm)
  • Sudhoff-Plakette der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik
  • Leibniz-Medaille der Preußischen Akademie der Wissenschaften
  • Akademie-Preis der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
  • Cothenius-Medaille
  • William Henry Welch-Medal der American Association for the History of Medicine


Museen für Medizingeschichte

Ein effizientes Mittel, medizinhistorische Zusammenhänge und Forschungsergebnisse einem größeren Publikum zu vermitteln, sind insbesondere naturwissenschaftlich ausgerichtete Museen, von denen manche ausschließlich auf die Medizingeschichte allgemein spezialisiert sind, andere auf einzelne Krankheiten, auf bestimmte Fachgebiete und auf einzelne Personen sowie auf das Krankenhauswesen.[13]


Siehe auch

Literatur

  • Hans-Heinz Eulner, Gunter Mann, Gert Preiser, Rolf Winau, Otto Winkelmann (Hrsg.): Medizingeschichte in unserer Zeit. Festschrift Edith Heischkel-Artelt und Walter Artelt. Enke, Stuttgart 1971, ISBN 3-432-01698-0.
  • Norbert Paul, Thomas Schlich (Hrg.): Medizingeschichte. Aufgaben, Probleme, Perspektiven. 1998
  • Wolfgang U. Eckart: Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. 7. völlig neu bearbeitete Auflage [als Druck- und E-Book-Version]. Springer, 2013. ISBN 978-3-642-34971-3
  • Heinrich Haeser: Lehrbuch der Geschichte der Medicin. 3. Auflage. Jena 1875–1882
  • August Hirsch: Handbuch der historisch-geographischen Pathologie. [Der Klassiker der globalen geografischen Medizin]. Band 1: Die allgemeinen acuten Infectionskrankheiten. Ferdinand Enke Verlag, 2. vollständig neue Bearbeitung, Stuttgart 1881.
    • Online lesen: [1]; pdf-Download: [2]
  • August Hirsch: Handbuch der historisch-geographischen Pathologie. [Der Klassiker der globalen geografischen Medizin]. Band 3: Die Organkrankheiten. Ferdinand Enke Verlag, 2. vollständig neue Bearbeitung, Stuttgart 1886.
    • Online lesen: [3]; pdf-Download: [4]
  • Max Neuburger & Julius Pagel (Hrsg.): Handbuch der Geschichte der Medizin. Band 1: Altertum und Mittelalter (780 Seiten). Gustav Fischer Verlag, Jena 1902.
    • Online lesen: [5]; pdf-Download: [6]
  • Max Neuburger & Julius Pagel (Hrsg.): Handbuch der Geschichte der Medizin. Band 2: Die neuzeitliche Medizin (980 Seiten). Gustav Fischer Verlag, Jena 1903.
    • Online lesen: [7]; pdf-Download: [8]
  • Max Neuburger & Julius Pagel (Hrsg.): Handbuch der Geschichte der Medizin. Band 3: Geschichte der einzelnen Fachdisziplinen (1168 Seiten). Gustav Fischer Verlag, Jena 1905.
    • Online lesen: [9]; pdf-Download: [10]
  • Volker Roelcke: Medizingeschichte: Institutionalisierung - Themenbereiche, Methoden - Theorien - Problemfelder, Aufgaben. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 951–956.
  • Karl Sudhoff: Kurzes Handbuch der Geschichte der Medizin. [3. und 4. Aufl. von J. L. Pagels "Einführung in die Geschichte der Medizin" (1898)]. S. Karger, Berlin 1922.

Lexika der Medizingeschichte

  • August Hirsch (Hrsg.): Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker. (Hrsg. mit E. Gurlt) 6 Bände, Urban & Schwarzenberg, Wien und Leipzig 1884 bis 1888 (unveränderter Neudruck Mansfield o. J; 2. Auflage, durchgesehen und ergänzt von Wilhelm Haberling, Franz Hübotter und Hermann Vierordt. 5 Bände und Ergänzungsband, Berlin und Wien 1929–1935; unveränderte Auflage München 1962).
  • Julius Pagel (Hrsg.): Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1901; unveränderter Neudruck Basel und München 1989.
  • Dietrich von Engelhardt (Hrsg.): Biographische Enzyklopädie deutschsprachiger Mediziner. München 2002.
  • Isidor Fischer (Hrsg.): Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. 2 Bände. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1932–1933; 2. und 3., unveränderte Auflage München und Berlin 1962; und Peter Voswinckel: Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Band III Nachträge und Ergänzungen. Abu-Korn. Olms - Weidmannsche Verlagsbuchhandlung, Hildesheim 2002, ISBN 978-3487116594 (Bd. IV bislang nicht erschienen).
  • Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2004 (2005), ISBN 3-11-015714-4; 2. Auflage in drei Bänden ebenda 2007.

Geschichte und Bibliographien der Medizingeschichte als Wissenschaft

  • Marcel H. Bickel: Die Lehrbücher und Gesamtdarstellungen der Geschichte der Medizin 1696–2000. Ein Beitrag zur medizinischen Historiographie. Schwabe, Basel 2007, ISBN 978-3-7965-2246-8
  • Andreas Frewer, Volker Roelcke (Hrsg.): Die Institutionalisierung der Medizinhistoriographie. Entwicklungslinien vom 19. ins 20. Jahrhundert. Stuttgart 2001
  • F. H. Garrison, L. T. Morton (Hrsg.): Morton’s medical bibliography: an annotated check-list of texts illustrating the history of medicine, 5. Auflage, Aldershot: Scolar Pr. [u. a.], 1991

Medizingeschichte in der Geschichtsdidaktik

Weblinks

 Wiktionary: Medizingeschichte – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wikisource: Heilkunde – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Wolfgang U. Eckart, Robert Jütte: Medizingeschichte. Eine Einführung, Stuttgart 2007, S. 21ff
  2. Daniel Leclerc: Histoire de la médicine. Genf 1696.
  3. John Freind: The history of physics from the time of Galen to the beginning of the 16th century. I–II, London 1725–1726.
  4. Alexander Mette, Irina Winter (Hrsg.): Geschichte der Medizin. Einführung in ihre Grundzuüge. Berlin 1968.
  5. Bernhard vom Brocke: Die Institutionalisierung der Medizinhistoriographie im Kontext der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. In: Andreas Frewer, Volker Roelcke (Hrsg.): Die Institutionalisierung der Medizinhistoriographie: Entwicklungslinien vom 19. ins 20. Jahrhundert. Stuttgart, Steiner 2001, S. 187–212, hier: S. 191.
  6. Seite der Arbeitsstelle Kleine Fächer über die Fachstandorte an deutschen Universitäten
  7. R. Joseph Petrucelli, Albert S. Lyons (Hrsg.): Die Geschichte der Medizin im Spiegel der Kunst. Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Thomas Gosciniak und Herbert Graf, bearbeitet von Erich Püschel, Köln 1980.
  8. Erwin H. Ackerknecht: A plea for a „Behaviorist“ approach in writing the history of medicine. In: Journal of the History of Medicine an Allied Sciences. Band 22, 1967, S. 211–214.
  9. Roy Porter: The patient's view. Doing medical history from below. In: Theory and Society. Band 14, 1985, S. 175–198.
  10. Eberhard Wolff: Perspektiven der Patientengeschichtsschreibung. In: Norbert Paul, Thomas Schlich (Hrsg.): Medizingeschichte: Aufgaben, Probleme, Perspektiven. Frankfurt 1998, S. 311–334.
  11. Michael Stolberg: Homo patiens. Körper und Krankheitserfahrung in der Frühen Neuzeit. Weimar 2003.
  12. Marion Maria Ruisinger: Heilen mit dem Messer. Chirurgische Patienten aus der Konsiliarkorrespondenz Lorenz Heisters. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 25, 2006, S. 63–73, hier: S. 63.
  13. Eckart Roloff und Karin Henke-Wendt: Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Eine Tour durch Deutschlands Museen für Medizin und Pharmazie. Band 1, Norddeutschland, ISBN 978-3-7776-2510-2, und Band 2, Süddeutschland, ISBN 978-3-7776-2511-9, Verlag S. Hirzel, Stuttgart 2015.


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Medizingeschichte aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.