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Repräsentation im parietofrontalen Spiegelsystem unseres eigenen Gehirns
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hervorruft.|Metzinger, S. 237}}
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Auf den Zusammenhang der Körper- und namentlich der Handbewegungen mit der Ausbildung der [[Sprache]] hatte schon [[Rudolf Steiner]] in einer Würdigung von [[Paul Broca]] (1824–1880) hingewiesen, der 1861 das später nach ihm benannte [[Broca-Areal]] entdeckt hatte, das an der [[Sprachproduktion]] beteiligt ist und nach heutiger Kenntnis beim [[Mensch]]en auch über die meisten Spiegelneuronen verfügt.
{{GZ|Als Broca im April 1861 gefunden
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des Großhirns liegt und daß dieses Werkzeug in der
Ordnung sein muß, wenn der Mensch die Sprachlaute verstehen
will, und ebenso ein anderer Teil, wenn er sie aussprechen soll,
war ein wichtiger Fortschritt getan, der geisteswissenschaftlich
verwertet werden kann und ein Beleg für die geisteswissenschaftlichen
Tatsachen ist. Warum? Weil sich gerade daran, wie dieses
Sprachzentrum sich ausbildet, zeigt, daß die äußeren Bewegungen
des Menschen, die Bewegungen seiner Hände, also das, was der
Mensch halb unbewußt im Leben vollzieht, mitwirkt an der Konfiguration
dieses Sprachzentrums. Warum ist dieses Sprachzentrum
bei den Menschen auf der linken Seite besonders ausgebildet?
Weil der Mensch nach den bisherigen Kulturbedingungen die
rechte Hand besonders gebrauchte. So ist es der ätherische und
astralische Leib, der aus dem Unterbewußtsein die Gesten der
Hände ausführt, der hineinwirkt in das Gehirn und dieses formt.
Anschaulich lehren heute die Anthropologen, daß von außen herein
durch makrokosmische Welttätigkeit das Gehirn geformt wird.
Wenn dieser Teil verletzt oder gelähmt wird, dann gibt es keine
Sprachfähigkeit. Wenn darauf gesehen wird, daß, wenn die eine
Seite des Gehirns, die gewöhnlich durch unsere Rechtshändigkeit
stark ausgebildet ist, von der linken Seite aus entfesselt wird, was
zum Beispiel in der Kindheit noch möglich ist und in der späteren
Zeit nicht mehr, dann zeigt sich, daß wirklich von außen durch
systematisierte Tätigkeit das Gehirn so geformt werden kann, daß
es ein Sprachzentrum erhält in der dritten entsprechenden Hirnwindung
dann auf der rechten Seite. Müssen wir da nicht sagen:
Es ist das Irrtümlichste, was wir uns vorstellen können, wenn wir
denken, daß die Sprachfähigkeit durch Gehirnanlage gebildet
wird? - Nein, die Gehirnanlagen machen sie nicht, sondern der
Mensch in seiner Tätigkeit, die er entwickelt. Aus dem Makrokosmos
heraus bildet sich die Sprachfähigkeit im Gehirn. Das Sprachorgan
kommt von der Sprache, nicht die Sprache von dem Sprachorgan.
Das ist es, was durch diese bedeutsame physiologische
Tatsache des Broca gefunden worden ist. Dadurch, daß die Götter
oder Geister der Hierarchien den Menschen verholfen haben,
solche Tätigkeiten auszuführen, welche ihm seine Sprachzentren
schaffen, ist von außen das Sprachzentrum gebildet worden. Aus
der Sprache entsteht das Sprachzentrum, nicht umgekehrt.|129|214ff}}
Damit wird auch die heute fast ausschließlich anzutreffende [[Materialismus|materialistische]] Deutung der [[Neurowissenschaften|neurowissenschaftlichen]] Forschungsergebnisse entschieden relativiert. Nicht das [[Gehirn]] erzeugt primär die [[Sprache]], das [[Denken]] und andere [[kognitiv]]e Leistungen, sondern diese formen zuerst das im Kindesalter noch weitgehend [[Neuronale Plastizität|plastische]] und wenig strukturierte Gehirn durch den immer geschickter werdenden Gebrauch der [[Hände]], der Sprache und des [[Denken]]s aus und geben ihm seine [[individuell]]e Prägung.


== Literatur ==
== Literatur ==
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* Christian Keysers, Hainer Kober (Übers.): ''Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen'', Bertelsmann Verlag, München 2013, ISBN 978-3-570-00954-3
* Christian Keysers, Hainer Kober (Übers.): ''Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen'', Bertelsmann Verlag, München 2013, ISBN 978-3-570-00954-3
*[[Thomas Metzinger]]: ''Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik'', Piper Taschenbuch 2014, ISBN 978-3492305334, eBook ASIN B00GZL6ZT8
*[[Thomas Metzinger]]: ''Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik'', Piper Taschenbuch 2014, ISBN 978-3492305334, eBook ASIN B00GZL6ZT8
*Rudolf Steiner: ''Weltenwunder, Seelenprüfungen und Geistesoffenbarungen'', [[GA 129]] (1992), ISBN 3-7274-1290-9 {{Vorträge|129}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

Version vom 27. Mai 2018, 17:05 Uhr

Spiegelneuronen sind erstmals von Giacomo Rizzolatti und seinen Mitarbeitern 1992[1] bei Makaken im prämotorischen Cortex (Areal F5) und später auch im unteren Parietallappen nachgewiesene Neuronen im Gehirn von Primaten, die bei der bloßen Beobachtung bestimmter Handlungen das gleiche Aktivitätsmuster wie bei deren eigener Ausführung aufweisen.

„»Leo, non può essere!« Ungläubig schüttelt Vittorio seinen bärtigen Kopf. »Leo, das kann nicht sein!« Er nimmt eine Rosine von dem Tablett, das vor dem Affen steht. Aus dem Lautsprecher kommt ein Geräusch, das an ein Maschinengewehr erinnert. Natürlich ist es keins. Es ist das Geräusch einer einzelnen »feuernden« Nervenzelle. Im Gehirn des Affen ist eine haarfeine Elektrode implantiert worden. Bei Aktivierung der Nervenzelle wird der schwache Strom, den die Elektrode misst, umgewandelt, zum Geräusch aus dem Lautsprecher verstärkt und als grüne Spur auf den Bildschirm eines Oszilloskops sichtbar gemacht. »Hast du das auch gehört? Kann es dieselbe Zelle sein?« Vittorio scheint verwirrt, während er auf die Oszilloskope blickt. Alles wirkt vollkommen normal – leuchtend grüne Spikes vor schwarzem Hintergrund. Jetzt nimmt sich der Affe die Rosine vom Tablett, die Reaktion ist akustisch und visuell identisch mit derjenigen, die Vittorio mit seinem Griff nach der Rosine auslöste. »Das ist erstaunlich!«, sagt Leo.“ (Lit.: Keysers, S. 13)

In den Neurowissenschaften wird seitdem diskutiert, welche Bedeutung die Spiegelneuronen für das Lernen durch Nachahmung, die Kommunikation und sogar für die Fähigkeit der Empathie bei Primaten und insbesondere auch beim Menschen haben[2].

„Etliche empirische Belege aus einer Vielzahl verschiedener bildgebender Verfahren zeigen, dass das System der Spiegelneuronen nicht nur bei Affen existiert, sondern auch beim Menschen. Das System scheint beim Menschen jedoch wesentlich stärker generalisiert zu sein und nicht von konkreten Wechselwirkungen zwischen Gegenständen und Handlungsorganen abzuhängen. Infolgedessen kann es eine deutlich größere Bandbreite an Handlungen darstellen, als das bei Affen der Fall ist. Insbesondere hat die Forschung mittlerweile Spiegelneuronensysteme entdeckt, die ganz ähnliche Effekte für Gefühle, für die Schmerzwahrnehmung und andere körperliche Empfindungen erzeugen können. Wenn man Testpersonen beispielsweise Bilder von traurigen Gesichtern zeigt, schätzen sie sich hinterher häufig trauriger ein als vorher – und zeigt man ihnen glückliche Gesichter, schätzen sie sich selbst in der Regel als glücklicher ein. Viele empirische Daten zeigen übereinstimmend, dass wir, wenn wir andere Menschen dabei beobachten, wie sie Gefühlszustände ausdrücken, diese Zustände mit Hilfe derselben neuronalen Netze in unserem Gehirn simulieren, die auch aktiv sind, wenn wir diese Gefühle gerade selbst empfinden oder ihnen Ausdruck verleihen.[3]“ (Lit.: Metzinger, S. 232)

Rizzolatti und seine Mitarbeiterin Maddalena Fabbri Destro haben auch darauf hingewiesen, dass durch den Spiegelmechanismus zugleich der Zweck und das Ziel, d.h. die Bedeutung der beobachteten Bewegung durch innerliche oder äußerliche Nachahmung übermittelt wird und dadurch die Basis für die Kommunikation in Form einer natürlichen Gebärdensprache gelegt wurde[4][5].

„In der Tat hat der Spiegelmechanismus in einem Anfangsstadium der Sprachentwicklung zwei grundlegende Kommunikationsprobleme gelöst: Parität[6] und direktes Verständnis. Dank der Spiegelneuronen zählte auch für den Empfänger der Nachricht, was für den Absender der Nachricht galt. Es wurden keine willkürlichen Symbole benötigt. Das Verständnis war der neuronalen Organisation der beiden Individuen inhärent.“ (Lit.: Rizzolatti, Destro: Mirror neurons[7])

Thomas Metzinger führt dazu weiter aus:

„Aus philosophischer Perspektive ist die Entdeckung der Spiegelneuronen deshalb aufregend, weil sie uns eine Vorstellung davon vermittelt, wie motorische Primitive semantische Primitive sein konnten. Was heißt das? Es bedeutet, dass wir verstehen, wie die einfachsten Bausteine der Bewegung zu den einfachsten Bausteinen des Transports geistiger Inhalte werden konnten – also davon, wie sich Bedeutung zwischen leiblich Handelnden kommunizieren ließ. Dank unserer Spiegelneuronen sind wir in der Lage, die Bewegungen eines anderen Menschen bewusst als bedeutungsvoll zu erleben. Vielleicht bestand der evolutionäre Vorläufer der Sprache nicht aus den Schreien der Tiere, sondern aus der Kommunikation mit Hilfe körperlicher Gesten... Es ist durchaus denkbar, dass Laute erst später mit Gesten verknüpft wurden, vielleicht mit Gesichtsbewegungen, die bereits Bedeutung trugen – etwa einem starren, grimmigen Blick, einem Grinsen, einem Zusammenzucken oder einem »grußartigen« Hochziehen der Augenbrauen. Noch heute wird bei der stillen Beobachtung die Armbewegung eines anderen Menschen, der etwa nach einem Gegenstand greift, unmittelbar verstanden, weil sie – und zwar ganz ohne dazwischengeschaltete Symbole oder Gedanken – dieselbe motorische Repräsentation im parietofrontalen Spiegelsystem unseres eigenen Gehirns hervorruft.“ (Lit.: Metzinger, S. 237)

Auf den Zusammenhang der Körper- und namentlich der Handbewegungen mit der Ausbildung der Sprache hatte schon Rudolf Steiner in einer Würdigung von Paul Broca (1824–1880) hingewiesen, der 1861 das später nach ihm benannte Broca-Areal entdeckt hatte, das an der Sprachproduktion beteiligt ist und nach heutiger Kenntnis beim Menschen auch über die meisten Spiegelneuronen verfügt.

„Als Broca im April 1861 gefunden hatte, daß das Werkzeug des Sprechens in der dritten Stirnwindung des Großhirns liegt und daß dieses Werkzeug in der Ordnung sein muß, wenn der Mensch die Sprachlaute verstehen will, und ebenso ein anderer Teil, wenn er sie aussprechen soll, war ein wichtiger Fortschritt getan, der geisteswissenschaftlich verwertet werden kann und ein Beleg für die geisteswissenschaftlichen Tatsachen ist. Warum? Weil sich gerade daran, wie dieses Sprachzentrum sich ausbildet, zeigt, daß die äußeren Bewegungen des Menschen, die Bewegungen seiner Hände, also das, was der Mensch halb unbewußt im Leben vollzieht, mitwirkt an der Konfiguration dieses Sprachzentrums. Warum ist dieses Sprachzentrum bei den Menschen auf der linken Seite besonders ausgebildet? Weil der Mensch nach den bisherigen Kulturbedingungen die rechte Hand besonders gebrauchte. So ist es der ätherische und astralische Leib, der aus dem Unterbewußtsein die Gesten der Hände ausführt, der hineinwirkt in das Gehirn und dieses formt. Anschaulich lehren heute die Anthropologen, daß von außen herein durch makrokosmische Welttätigkeit das Gehirn geformt wird. Wenn dieser Teil verletzt oder gelähmt wird, dann gibt es keine Sprachfähigkeit. Wenn darauf gesehen wird, daß, wenn die eine Seite des Gehirns, die gewöhnlich durch unsere Rechtshändigkeit stark ausgebildet ist, von der linken Seite aus entfesselt wird, was zum Beispiel in der Kindheit noch möglich ist und in der späteren Zeit nicht mehr, dann zeigt sich, daß wirklich von außen durch systematisierte Tätigkeit das Gehirn so geformt werden kann, daß es ein Sprachzentrum erhält in der dritten entsprechenden Hirnwindung dann auf der rechten Seite. Müssen wir da nicht sagen: Es ist das Irrtümlichste, was wir uns vorstellen können, wenn wir denken, daß die Sprachfähigkeit durch Gehirnanlage gebildet wird? - Nein, die Gehirnanlagen machen sie nicht, sondern der Mensch in seiner Tätigkeit, die er entwickelt. Aus dem Makrokosmos heraus bildet sich die Sprachfähigkeit im Gehirn. Das Sprachorgan kommt von der Sprache, nicht die Sprache von dem Sprachorgan. Das ist es, was durch diese bedeutsame physiologische Tatsache des Broca gefunden worden ist. Dadurch, daß die Götter oder Geister der Hierarchien den Menschen verholfen haben, solche Tätigkeiten auszuführen, welche ihm seine Sprachzentren schaffen, ist von außen das Sprachzentrum gebildet worden. Aus der Sprache entsteht das Sprachzentrum, nicht umgekehrt.“ (Lit.:GA 129, S. 214ff)

Damit wird auch die heute fast ausschließlich anzutreffende materialistische Deutung der neurowissenschaftlichen Forschungsergebnisse entschieden relativiert. Nicht das Gehirn erzeugt primär die Sprache, das Denken und andere kognitive Leistungen, sondern diese formen zuerst das im Kindesalter noch weitgehend plastische und wenig strukturierte Gehirn durch den immer geschickter werdenden Gebrauch der Hände, der Sprache und des Denkens aus und geben ihm seine individuelle Prägung.

Literatur

Einzelnachweise

  1. G. di Pellegrino, L. Fadiga, L. Fogassi, V. Gallese, G. Rizzolatti: Understanding motor events: a neurophysiological study. In: Experimental brain research. Band 91, Nummer 1, 1992, ISSN 0014-4819, S. 176–180, PMID 1301372.
  2. F. de Vignemont, T. Singer, The Empathic Brain: How, When, and Why?, Trends Cog. Sci. 10 (2006), S. 435 – 441.
  3. V. Gallese: Intentional Attunement: A Neurophysiological Perspective on Social Cognition and Its Disruption in Autism, Brain Res. 1079 (2006), S. 15 – 24
  4. G. Rizzolatti, M. A. Arbib: Language Within Our Grasp, Trends Neurosci. 21 (1998), S. 188 – 194
  5. G. Rizzolatti, L. Craighero: The Mirror-Neuron System, Ann. Rev. Neurosci. 27 (2004), S. 169 – 192
  6. Im Sinn von Gleichwertigkeit.
  7. Im englischen Original: „In fact, the mirror mechanism solved, at a initial stage of language evolution, two fundamental communication problems: parity and direct comprehension. Thanks to the mirror neurons, what counted for the sender of the message also counted for the receiver. No arbitrary symbols were required. The comprehension was inherent in the neural organization of the two individuals.“ - [Mirror neurons Giacomo Rizzolatti, Maddalena Fabbri Destro]. In: Scholarpedia. (englisch, inkl. Literaturangaben)