Neurowissenschaften und Plastische Theorie: Unterschied zwischen den Seiten

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Als '''Neurowissenschaften''' (seltener auch im Singular: '''Neurowissenschaft''') werden die [[naturwissenschaft]]lichen Forschungsbereiche bezeichnet, in denen Aufbau und Funktionsweise von [[Nervensystem]]en untersucht werden. Aufgrund der vielfältigen verwendeten Methoden wird neurowissenschaftliche Forschung von Wissenschaftlern aus vielen verschiedenen Disziplinen wie etwa [[Physiologie]], [[Psychologie]], [[Medizin]], [[Informatik]], [[Robotik]] oder [[Mathematik]] betrieben.<ref name="Trappenberg">{{Literatur |Autor=Trappenberg, Thomas P.  |Titel=Fundamentals of Computational Neuroscience | Auflage=2|Verlag=Oxford University Press |Ort=Oxford |Datum=2010|ISBN=978-0-19-956841-3}}</ref>
[[Datei:Beuysxyz.png|thumb|390px|[[Joseph Beuys]] während eines Vortrags]]
[[Datei:Bild 278xyz.jpg|thumb|390px|[[Joseph Beuys]]: Zeichnung zur plastischen Theorie]]


Forschungsrichtungen, die hauptsächlich den Aufbau und die Leistungen des [[Gehirn]]s von [[Mensch]]en und [[Affen|Menschenaffen]] ([[Primaten]]) untersuchen, werden umgangssprachlich oftmals unter der Bezeichnung '''Hirn-''' oder '''Gehirnforschung''' zusammengefasst.  
Wie kam Beuys zur '''plsastischen Theorie'''? „Innerhalb des Allgemeinbegriffs „Kunst“ ist der Begriff „Plastik“ das für Joseph Beuys besonders relevante Thema.  


== Geschichte der Hirnforschung ==
„Was ist Plastik? Ich habe versucht, eben diesen Begriff in seine treibenden Grundkräfte zu zerlegen.“ (Beuys) Beuys fand die Grundkräfte in Wärme und Kälte. Diese beiden Pole verkörpern einerseits das „Chaotisch-Willensmäßige“ und andererseits das „Gedanklich-Formmäßige“. Das Wechselspiel zwischen – man könnte auch sagen – „dem Organischen und dem Kristallinen, und damit zwischen der Polarität von Natur und Geist“, findet sich im Mensch wieder. Mit dieser Erkenntnis gelangt Beuys zu einem bedeutenden anthropologischen Aspekt.“ (Harlan, Rappmann, Schata: „Soziale Plastik – Materialien zu Joseph Beuys“)


Funde aus dem frühen Ägypten belegen, dass vor 5000 Jahren operative Eingriffe in das Zentralnervensystem getätigt wurden. Etwa 70 Prozent der Schädel, bei welchen Hinweise auf derartige Eingriffe vorhanden sind, haben sich nach dem Eingriff biologisch verändert, was darauf hinweist, dass der Patient den Eingriff um Monate oder Jahre überlebt hat.
== Die plastische Theorie ==


Um 500 v. Chr. soll [[Wikipedia:Alkmaion (Philosoph)|Alkmaion von Kroton]] als Erster die Sehnerven und andere sensorische Nerven entdeckt haben. Alkmaion entwickelte die Vorstellung, dass Nerven hohl seien und ein Medium (''kenon'') umhüllten, das den Sinneseindruck zum Gehirn leitet<ref name="Lloyd1952">Lloyd, 1975.: ''Alcmeon and the early history of dissection'', Sudhoffs Archiv, 59: 113–47</ref>.  [[Hippokrates von Kos]] (ca. 460–370 v. Chr.) erkannte, dass das Gehirn als Sitz der Empfindung und Intelligenz fungiert. [[Aristoteles]] (384–322 v. Chr.) ging im Gegensatz dazu davon aus, dass die [[Empfindung]]en und der [[Verstand]] ihren Sitz im [[Herz]]en haben; das Gehirn sei nur ein Kühlorgan für das [[Blut]]. [[Wikipedia:Herophilos von Chalkedon|Herophilos von Chalkedon]] (um 325–255 v. Chr.) führte erste Autopsien durch und beschrieb korrekt die grobe Anatomie des Gehirns. Den Sitz der [[Seelenkräfte]] und der menschlichen [[Intelligenz]] sah er aber nicht im Hirngewebe, sondern in den von ihm erstmals entdeckten drei flüssigkeitsgefüllten  [[Hirnventrikel]]n<ref name="Diels1952">H. Diels, W. Kranz: ''Die Fragmente der Vorsokratiker.'' 6th ed., Band 1, S. 210–216. Weidmann, Dublin, Ireland 1952.</ref>. [[Wikipedia:Erasistratos|Erasistratos]] (um 305–250 v. Chr.) unterschied bereits [[Motorische Nerven|motorische]] und [[sensorische Nerven]] und zählte wegen der Aufteilung des erten Ventrikels in einen rechten und linken Ventrikel vier Hirnventrikel. Die Seele lokalisierte er in den Hirnwindungen bzw. Hirnhäuten<ref>Bernhard D. Haage: ''Ventrikellehre.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1439.</ref>
Die plastische Theorie lautet nun wie folgt: „Alles kommt aus dem Chaos und wird durch Bewegung zur Form gebracht, zu immer neuen Formen.
Dabei kann sich der Prozess auch umkehren. Dann fließen die Dinge vom Gedanklich-Formmäßigen in das Chaotisch-Willensmäßige zurück. „Etwas, was geordnet war, fällt in Chaos, wird ungeordnet.(Beuys)


Um 129–216 n. Chr. wurden die Funktionen einzelner Nervenbahnen durch [[Galenos|Galen]] und erstmals auch das [[Sympathisches Nervensystem|sympathische Nervensystem]] beschrieben, dessen eigentliche Funktion er aber nicht erfasste. Herophilus folgend nahm er an, dass sich in den Hirnventrikeln eine Substanz befinde, das ''[[pneuma]] psychikon'' (lat. ''spiritus animalis''), welche durch die als hohl angenommenen Nerven einerseits [[Sinneswahrnehmung]]en zum Gehirn transportiere, andererseits aber auch die [[Muskel]]n in [[Tätigkeit]] setze.
=== Der Chaosbegriff bei Joseph Beuys ===
„Mein Chaosbegriff ist ein sehr ursprünglicher. Alles kommt aus dem Chaos... Das muss man sich vorstellen wie eine zusammenhängende, sehr komplexe Energie, die aber keine bestimmte, sondern eine unbestimmte Stoßrichtung hat. Das Wörtchen „unbestimmt“ passt sehr gut auf den Chaosbegriff, wie ich ihn anwende. Und dann sind alles andere Bestimmungen davon. Nur aus dem Chaos kann etwas kommen.“ (Beuys)


Die Kenntnisse der westeuropäischen [[Hirnforschung]] fielen im Mittelalter hinter das Niveau der Antike zurück. Die Forschung im europäischen Raum beschäftigte sich primär mit der klösterlichen [[Heilkräuter]]kunde. Einzig [[Albertus Magnus]] (um 1200-1280) baute um 1250 die Ventrikellehre weiter aus und stellte sich vor, dass der ''spiritus animalis'' ähnlich einem römischen Brunnen von einem Ventrikel in den nächsten fließe und so den Prozess von der [[Wahrnehmung]] über das [[Denken]] zur [[Erinnerung]] führe.
== Der Formbegriff bei Joseph Beuys ==
„Form ist so betrachtet ein Gegenpol zum Begriff Chaos. Das ist ein plastischer Prozess.(Beuys)


In der [[Renaissance]] wurden erstmals wieder [[Wikipedia:Obduktion|Sektion]]en durchgeführt. Der Italiener [[Wikipedia:Giovanni Alfonso Borelli|Giovanni Alfonso Borelli]] (1608–1679) stellte erstmals die Existenz eines gasförmigen ''spiritus animalis'' in Frage. Er vermutete stattdessen die Existenz einer Flüssigkeit, des ''succus nerveus'', die durch die hohlen Nerven in die Extremitäten gepresst werden und so nach pneumatischen Prinzipien die Handlungen hervorrufen solle.
Noch einmal: Alles kommt aus dem '''Chaos''' und wird durch '''Bewegung''' zur '''Form''' gebracht. Zu immer neuen Formen. Dabei kann es auch jeder Zeit wieder ins Chaos zurückfallen. Mit dieser plastischen Theorie hat Beuys eine bedeutende Anthropologische Theorie geschaffen. Hier noch einmal die begrifflichen Zuordnungen:


Dass elektrische Impulse über Nerven strömen, wurde im 18. Jahrhundert erstmals beschrieben. Eine zweite wichtige Erkenntnis des 18. Jahrhunderts war, dass die [[Großhirnrinde]] funktionell gegliedert ist. Ab dem 19. Jahrhundert schritt auch die Erforschung der Hirnanatomie schnell voran. Im noch jungen 21. Jahrhundert entwickelt sich die Neurowissenschaft primär methodologisch weiter.


== Neurowissenschaften und Materialismus ==
{|align="center" width="600px"
|-
! [[Chaos]] !! [[Bewegung]] !! [[Form]]
|-
| ------------- || ------------- || -------------
|-
| [[Wollen]] || [[Empfinden]] || [[Denken]]
|-
| [[Energie]] || [[Rhythmus]] || [[Idee]]
|-
| [[Wärme]] ||  || [[Kälte]]
|-
| [[Amorph]] ||  || [[Kristallin]]
|}


In den Neurowissenschaften ist ein starker Hang zum [[Naturalismus]], [[Materialismus]], [[Determinismus]] und [[Reduktionismus]] zu bemerken. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn in der [[Nerven]]tätigkeit und insbesondere im Bau des [[Gehirn]]s spiegelt sich die [[geist]]ige Tätigkeit des [[Mensch]]en als ein sogar in gewissem Sinn selbsttätiges [[Abbild]] wider, denn „''alles das, was das übersinnliche Seelenorgan vorstellungsgemäß kann, kann das Gehirn auch.''“ {{GZ||314|90}} Der Mensch wird dadurch vielfach geradezu als gehirngesteuerter [[Automat]] angesehen, dem der [[Freier Wille|freie Wille]] abgesprochen und das [[Ich]] und die [[Seele]] zu wesenlosen [[Illusionen]] erklärt werden. So behauptet etwa der [[Neurophysiologe]] [[Wikipedia:Wolf Singer|Wolf Singer]] ganz dezidiert: „''Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen''“<ref>Wolf Singer in:  Christian Geyer (Hrsg.): ''Hirnforschung und Willensfreiheit'', 2004, S. 30ff.</ref> und fordert entsprechende [[Ethik|ethische]] und [[Rechtsleben|juristische]] Konsequenzen bezüglich der [[Schuld]]fähigkeit des Menschen.


{{Zitat|Wir haben herausgefunden, dass im
Diese Theorie korrespondiert auch mit den [[Tria Principia]] der [[Alchemie]].
menschlichen Gehirn neuronale Prozesse
und bewusst erlebte geistig-psychische
Zustände aufs Engste miteinander
zusammenhängen und unbewusste Prozesse
bewussten in bestimmter Weise vorausgehen.
Die Daten, die mit modernen
bildgebenden Verfahren gewonnen
wurden, weisen darauf hin, dass sämtliche
innerpsychischen Prozesse mit neuronalen
Vorgängen in bestimmten Hirnarealen
einhergehen – zum Beispiel Imagination,
Empathie, das Erleben von
Empfindungen und das Treffen von Entscheidungen
beziehungsweise die absichtsvolle
Planung von Handlungen.
Auch wenn wir die genauen Details
noch nicht kennen, können wir davon
ausgehen, dass all diese Prozesse grundsätzlich
durch physikochemische Vorgänge
beschreibbar sind. Diese näher zu
erforschen ist die Aufgabe der Hirnforschung
in den kommenden Jahren und
Jahrzehnten.
 
Geist und Bewusstsein – wie einzigartig
sie von uns auch empfunden werden
– fügen sich also in das Naturgeschehen
ein und übersteigen es nicht. Und:
Geist und Bewusstsein sind nicht vom
Himmel gefallen, sondern haben sich in
der Evolution der Nervensysteme allmählich
herausgebildet. Das ist vielleicht
die wichtigste Erkenntnis der modernen
Neurowissenschaften.|Das Manifest|''Elf führende Neurowissenschaftler über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung'', in: GEHIRN & GEIST 6/2004, S. 33 [https://www.spektrum.de/pdf/gug-04-06-s030-pdf/834924]}}
 
[[Rudolf Steiner]] bemerkte dazu weiter:
 
{{GZ|Ich war einmal in einer
Versammlung — es ist schon viele Jahre her —, da sprach zuerst
ein Arzt über den Gehirnbau, setzte den Gehirnbau auseinander im
Zusammenhang mit dem Seelenleben des Menschen, nach einer Anschauung,
die man ganz mit Recht materialistisch nennen kann. Es
war ein ganz waschechter Materialist, der da den Gehirnbau ganz gut
auseinandersetzte, soweit er heute durchforscht ist, und der also das
Seelenleben im Zusammenhang mit diesem Gehirnbau erklärte. Der
Vorsitzende dieser Versammlung war ein Herbartianer, und der konstruierte
sich nun nicht den Gehirnbau, aber dasjenige, was das Vorstellungsleben
ist, so wie es der Philosoph Herhart einmal gemacht
hat. Der sagte dann: Ja, es ist doch merkwürdig, der Physiologe, der
Arzt, der zeichnet das Gehirn auf und macht da Figuren; wenn ich
als Herbartianer, sagte er, die komplizierten Vorstellungsassoziationen
aufzeichne, wobei ich bloß ein Bild meine von dem, was sich als
Vorstellungen vergesellschaftet, nicht etwa Nervenfäden, die eine
Nervenzelle mit der anderen verbinden, wenn ich als richtiger
Herbartianer, der sich nicht um das Gehirn kümmert, dasjenige, was
ich mir vorstelle über die Art, wie sich Vorstellungen verketten und
so weiter, nur ganz symbolisch zeichne, so sieht das ganz ähnlich aus
wie die Zeichnungen des Physiologen über den physischen Gehirnbau.
 
Das ist nicht ohne Grund, daß das ähnlich ausschaut. Indem wir
immer mehr und mehr auf den Bau des Gehirnes naturwissenschaftlich
gekommen sind, hat sich nämlich immer mehr und mehr gezeigt,
daß eigentlich der äußere Bau des Gehirnes in einer ganz wunderbaren
Weise dem Bau unseres Vorstellungslebens entspricht. Man
kann alles, was man im Vorstellungsleben findet, im Gehirnbau
wiederfinden. Es ist einfach — bitte nehmen Sie das cum grano
salis —, wie wenn die Natur selber im Gehirn ein plastisches Abbild
unseres Vorstellungslebens hätte schaffen wollen. So etwas fällt
einem ganz besonders auf, wenn man, sagen wir, solche Darstellungen
wie die von Meynert liest. Jetzt sind sie schon etwas veraltet.
Meynert ist Materialist gewesen, aber ausgezeichneter Gehirnphysiologe,
Psychiater, und man möchte sagen: Ja, der ist Materialist,
aber dasjenige, was er einem als Materialist gibt, das ist eine
wunderbare Abschlagszahlung für dasjenige, was man auch herauskriegt,
auch wenn man sich gar nicht kümmert um das menschliche
Gehirn, sondern bloß darum, wie sich Vorstellungen verknüpfen und
trennen und so weiter und bloß diese Symbole hinzeichnen will. —
Kurz, es ist so, daß man, wenn man durch irgend etwas Materialist
werden könnte, man es durch den Bau des menschlichen Gehirnes
ganz besonders werden könnte. Jedenfalls muß man sagen, wenn es
ein Geistig-Seelisches gibt, so hat dieses Geistig-Seelische im menschlichen
Gehirn einen so adäquaten Ausdruck gefunden, daß man nun
gar nicht weit von der Behauptung ist: Ja, was braucht man noch
ein Geistig-Seelisches für das Vorstellungsleben? Wenn man noch eine
Seele verlangen würde, die noch denken kann! Da das Gehirn eine so
genaue Abbildung ist des Geistig-Seelischen, warum soll das Gehirn
nicht denken können? -
 
Alle diese Dinge müssen Sie natürlich mit dem bekannten Gran
Salz verstehen. Ich will nur auf den Sinn der ganzen Auseinandersetzung
heute hinweisen. Das menschliche Gehirn kann einen schon,
besonders wenn man in die Detailforschung eingeht, zum Materialisten
machen. Und was da so eigentlich für ein Geheimnis obwaltet,
was da eigentlich zugrunde liegt, das wird einem doch erst klar,
wenn man zur imaginativen Erkenntnis kommt. In der imaginativen
Erkenntnis nämlich zeigen sich einem Bilder, Bilder für nur wirklich
Geistiges, Bilder, die man früher nicht gesehen hat. Aber man möchte
sagen, diese Bilder erinnern einen an die durch die Nervenzellen
und Nervenfäden geformten Bilder im menschlichen Gehirn. Und ich
möchte sagen, wenn ich Ihnen eine Erklärung geben sollte für die
Frage: Was ist eigentlich dieses imaginative Erkennen, das natürlich
ganz im Übersinnlichen verläuft, was ist es? Wenn ich Ihnen gleichsam
versinnbildlichen sollte die imaginative Erkenntnis, wie der
Mathematiker es mit seinen Figuren macht, indem er mathematische
Probleme aufzeichnet, dann könnte ich auch sagen: Man stelle sich
vor, daß man in der Welt mehr erkennt, als was die Sinneserkenntnis
gibt, dadurch, daß man aufsteigen kann zu Bildern, die eine Realität
so geben, wie das menschliche Gehirn die menschliche Seelenrealität
gibt. Die Natur selber stellt das hin als eine reale, als eine sinnlichreale
Imagination im Gehirn, was man eigentlich in der imaginativen
Erkenntnis auf einem höheren Gebiete erlangt.
 
Aber dadurch kommt man tiefer jetzt hinein in die menschliche
Konstitution. Wir werden das in den nächsten Tagen sehen: Man
kommt immer zu einer Möglichkeit, diesen Wunderbau des menschlichen
Gehirns nicht isoliert für sich zu sehen, sondern ich möchte
sagen: Während man eine Welt, eine übersinnliche Welt oben durch
Imagination sieht, ist es so, wie wenn ein Teil dieser Welt sich
herunterrealisiert hätte und im menschlichen Gehirn eine realisierte
imaginative Welt vor uns dastehen würde. Und in der Tat, ich glaube
nicht, daß irgend jemand adäquat über das menschliche Gehirn
sprechen kann, der nicht in dem menschlichen Gehirnbau eine imaginative
Darstellung des Seelenlebens sieht. Das ist auch dasjenige, was
uns immer wiederum in eine Zwickmühle führt, wenn wir von der
bloßen Gehirnphysiologie ausgehen und zum Seelenleben hinüberkommen
wollen. Nämlich, wenn man beim Gehirn stehenbleiben
will, braucht man gar nicht das Seelenleben. Nur derjenige hat ein
Recht, gegenüber dem Bau des menschlichen Gehirnes noch von einem
Seelenleben zu sprechen, der dieses Seelenleben außerdem noch anders
kennt, als man es kennt auf dem gewöhnlichen Wege dieser Welt.
Denn wenn man in der geistigen Welt dieses Seelenleben kennenlernt:
im Bau des menschlichen Gehirnes hat es sein adäquates Abbild, und
alles das, was das übersinnliche Seelenorgan vorstellungsgemäß kann,
kann das Gehirn auch. Denn bis in die Funktionen hinein ist das
Gehirn ein Abbild; so daß niemand Materialismus belegen oder
widerlegen kann von der Gehirnphysiologie aus. Das gibt es einfach
nicht. Wenn der Mensch bloß Gehirnwesen wäre, so würde man gar
nicht daraufzukommen brauchen, daß er noch eine Seele hat.|314|88ff}}
 
== Siehe auch ==
 
* [[Gehirn]]
* {{WikipediaDE|Neurowissenschaften}}
* {{WikipediaDE|Geschichte der Hirnforschung}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/aesthetik_plastische_theorie.pdf Die plastische Theorie von Joseph Beuys] PDF


* ''Das Manifest - Elf führende Neurowissenschaftler über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung'' in: ''[[Wikipedia:Gehirn&Geist|Gehirn & Geist]]'' 2004/6, S. 30ff. [https://www.spektrum.de/pdf/gug-04-06-s030-pdf/834924 spektrum.de (pdf)]
[[Kategorie:Soziale Dreigliederung und die Tria Principia]]
* Jean Pierre Changeux: ''Der neuronale Mensch. Wie die Seele funktioniert - die Entdeckungen der neuen Gehirnforschung'', Rowohlt-Verlag 1984, ISBN 978-3498008659
[[Kategorie:Soziale Dreigliederung, der Mensch und die Tria Principia]]
* Christian Geyer (Hrsg.): ''Hirnforschung und Willensfreiheit: Zur Deutung der neuesten Experimente'', 9. Auflage, Suhrkamp Verlag 2004, ISBN 978-3518123874
[[Kategorie:Tria Principia]]
* [[Wikipedia:Klaus-Jürgen Grün|Klaus-Jürgen Grün]] (Hrsg.), [[Wikipedia:Gerhard Roth|Gerhard Roth]] (Hrsg.): ''Das Gehirn und seine Freiheit'', 3. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht 2006, ISBN 978-3525490853
[[Kategorie:Joseph Beuys]]
* [[Wikipedia:Peter Bieri|Peter Bieri]]: ''[http://www.denkabende.de/kognition/bieri.rtf Was macht Bewußtsein zu einem Rätsel?]'' (rtf; 56&nbsp;kB), veröffentlicht in ''„Gehirn und Bewusstsein“'' (Hrsg. [[Wikipedia:Wolf Singer|Wolf Singer]]), ''[[Wikipedia:Spektrum der Wissenschaft|Spektrum der Wissenschaft]]'', Heidelberg 1994, S. 172–180
[[Kategorie:Menschliche Dreigliederung und die Tria Principia]]
*  Maxwell Bennett, [[Daniel C. Dennett]], Peter Hacker, John R. Searle: ''Neurowissenschaft und Philosophie: Gehirn, Geist und Sprache'', Suhrkamp Verlag 2010, ISBN 978-3518585429
[[Kategorie:Soziale Dreigliederung]]
*  Maxwell R. Bennett , Peter M. Hacker, Axel Walter (Übers.): ''Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften'', Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG) 2010, ISBN 978-3534228775, eBook ASIN B01A16QLUA
* [[Wikipedia:Michael Gazzaniga|Michael Gazzaniga]], Dagmar Mallett (Übers.): ''Die Ich-Illusion: Wie Bewusstsein und freier Wille entstehen'', Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG 2012, ISBN 978-3446430112, eBook ASIN B007ADU5R8
*[[Thomas Metzinger]]: ''Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik'', Piper Taschenbuch 2014, ISBN 978-3492305334, eBook ASIN B00GZL6ZT8
*[[Wikipedia:Wolfgang Prinz|Wolfgang Prinz]]: ''Selbst im Spiegel: Die soziale Konstruktion von Subjektivität'', Suhrkamp Verlag 2013, ISBN 978-3518585948, eBook ASIN B00BJ3KW3C
* Frank Rösler: ''Psychophysiologie der Kognition: Eine Einführung in die Kognitive Neurowissenschaft'', Springer-Verlag 2012, ISBN 978-3827425997
*[[Peter Heusser]]: ''Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin'', Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686
*Rudolf Steiner: ''Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft. Zur Therapie und Hygiene'', [[GA 314]] (1989), ISBN 3-7274-3141-5 {{Vorträge|314}}
 
{{GA}}
 
== Einzelnachweise ==
<references />
 
{{Normdaten|TYP=s|GND=7555119-6}}
 
[[Kategorie:Wissenschaft]]
[[Kategorie:Realwissenschaften]]
[[Kategorie:Interdisziplinäre Wissenschaft]]
[[Kategorie:Neurowissenschaften|!]]
 
{{Wikipedia}}

Version vom 25. April 2021, 22:55 Uhr

Joseph Beuys während eines Vortrags
Joseph Beuys: Zeichnung zur plastischen Theorie

Wie kam Beuys zur plsastischen Theorie? „Innerhalb des Allgemeinbegriffs „Kunst“ ist der Begriff „Plastik“ das für Joseph Beuys besonders relevante Thema.

„Was ist Plastik? Ich habe versucht, eben diesen Begriff in seine treibenden Grundkräfte zu zerlegen.“ (Beuys) Beuys fand die Grundkräfte in Wärme und Kälte. Diese beiden Pole verkörpern einerseits das „Chaotisch-Willensmäßige“ und andererseits das „Gedanklich-Formmäßige“. Das Wechselspiel zwischen – man könnte auch sagen – „dem Organischen und dem Kristallinen, und damit zwischen der Polarität von Natur und Geist“, findet sich im Mensch wieder. Mit dieser Erkenntnis gelangt Beuys zu einem bedeutenden anthropologischen Aspekt.“ (Harlan, Rappmann, Schata: „Soziale Plastik – Materialien zu Joseph Beuys“)

Die plastische Theorie

Die plastische Theorie lautet nun wie folgt: „Alles kommt aus dem Chaos und wird durch Bewegung zur Form gebracht, zu immer neuen Formen.“ Dabei kann sich der Prozess auch umkehren. Dann fließen die Dinge vom Gedanklich-Formmäßigen in das Chaotisch-Willensmäßige zurück. „Etwas, was geordnet war, fällt in Chaos, wird ungeordnet.“ (Beuys)

Der Chaosbegriff bei Joseph Beuys

„Mein Chaosbegriff ist ein sehr ursprünglicher. Alles kommt aus dem Chaos... Das muss man sich vorstellen wie eine zusammenhängende, sehr komplexe Energie, die aber keine bestimmte, sondern eine unbestimmte Stoßrichtung hat. Das Wörtchen „unbestimmt“ passt sehr gut auf den Chaosbegriff, wie ich ihn anwende. Und dann sind alles andere Bestimmungen davon. Nur aus dem Chaos kann etwas kommen.“ (Beuys)

Der Formbegriff bei Joseph Beuys

„Form ist so betrachtet ein Gegenpol zum Begriff Chaos. Das ist ein plastischer Prozess.“ (Beuys)

Noch einmal: Alles kommt aus dem Chaos und wird durch Bewegung zur Form gebracht. Zu immer neuen Formen. Dabei kann es auch jeder Zeit wieder ins Chaos zurückfallen. Mit dieser plastischen Theorie hat Beuys eine bedeutende Anthropologische Theorie geschaffen. Hier noch einmal die begrifflichen Zuordnungen:


Chaos Bewegung Form
------------- ------------- -------------
Wollen Empfinden Denken
Energie Rhythmus Idee
Wärme Kälte
Amorph Kristallin


Diese Theorie korrespondiert auch mit den Tria Principia der Alchemie.

Literatur