Neomarxismus und Plastische Theorie: Unterschied zwischen den Seiten

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Mit der Bezeichnung '''Neomarxismus''' werden unterschiedliche, sich ab den 1920er Jahren bildende wissenschaftliche Denkschulen und davon ausgehend auch vereinzelte politische Strömungen zusammengefasst, die an das Werk von [[Karl Marx]] anknüpfen, sich aber von einer [[Dogma|dogmatisierenden]] Auslegung (z. B. der „[[Wissenschaftlicher Sozialismus|Wissenschaftliche Sozialismus]]“, die von [[Karl Kautsky]] formulierte „[[Orthodoxer Marxismus|Marxistische Orthodoxie]]“, Marxismus als „[[Proletariat|Proletarische]] [[Weltanschauung]]“ usw.) abgrenzen.
[[Datei:Beuysxyz.png|thumb|390px|[[Joseph Beuys]] während eines Vortrags]]
[[Datei:Bild 278xyz.jpg|thumb|390px|[[Joseph Beuys]]: Zeichnung zur plastischen Theorie]]


== Überblick ==
Wie kam Beuys zur '''plsastischen Theorie'''? „Innerhalb des Allgemeinbegriffs „Kunst“ ist der Begriff „Plastik“ das für Joseph Beuys besonders relevante Thema.  
Hintergrund für die Entstehung des Neomarxismus waren verschiedene politische Entwicklungen und Probleme, für die der „Wissenschaftliche Sozialismus“ keine hinreichenden Erklärungen bzw. Antworten zu haben schien: die Auflösung der ''[[Sozialistische Internationale|Zweiten Internationalen]]'' als Folge der Unterstützung der national organisierten sozialistischen/sozialdemokratischen Parteien für ihren jeweiligen Staat im [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]]; das Scheitern bzw. völlige Ausbleiben der Revolution, obwohl eine „[[revolutionäre Situation]]“ diagnostiziert wurde; der Aufstieg [[Faschismus|faschistischer]] Bewegungen. Hinzu kamen Probleme innerhalb der marxistischen Theorie. Eine neue Sicht auf das Werk von Marx wurde auch angestoßen durch die Veröffentlichung bisher nicht zugänglicher Frühschriften wie ''[[Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844]]'' (1932). Eindringliche Kommentare schrieb dazu seinerzeit [[Herbert Marcuse]].


[[Datei:AdornoHorkheimerHabermasbyJeremyJShapiro2.png|thumb|[[Frankfurter Schule]] – [[Max Horkheimer]] (vorne links) und [[Theodor W. Adorno]] (vorne rechts)]]
„Was ist Plastik? Ich habe versucht, eben diesen Begriff in seine treibenden Grundkräfte zu zerlegen.(Beuys) Beuys fand die Grundkräfte in Wärme und Kälte. Diese beiden Pole verkörpern einerseits das „Chaotisch-Willensmäßige“ und andererseits das „Gedanklich-Formmäßige“. Das Wechselspiel zwischen – man könnte auch sagen – „dem Organischen und dem Kristallinen, und damit zwischen der Polarität von Natur und Geist“, findet sich im Mensch wieder. Mit dieser Erkenntnis gelangt Beuys zu einem bedeutenden anthropologischen Aspekt.“ (Harlan, Rappmann, Schata: „Soziale Plastik – Materialien zu Joseph Beuys“)


Da es keine geschlossene neomarxistische Bewegung, keine Organisationen und nur selten Personen, die sich neomarxistisch nennen, gibt, ist eine eindeutige Eingrenzung der Zugehörigkeit zum Neomarxismus schwierig, bisweilen ist die Verwendung des Begriffs willkürlich; in der tagespolitischen Debatte werden auch oft allgemein gesellschafts- oder kapitalismuskritische Positionen unspezifisch – dann meist als negative Wertung gemeint – als neomarxistisch bezeichnet. Auch eine einheitliche Theorie existiert nicht, man kann nur allgemeine Merkmale angeben. Eine dauerhafte Strömung im neomarxistischen Umkreis bildet der praxisphilosophische Marxismus, dessen Bezeichnung bis auf den italienischen, marxistischen Philosophen [[Antonio Labriola]] zurückverweist.
== Die plastische Theorie ==


Der Neomarxismus verwirft das als [[Determinismus|deterministisch]] missverstandene Geschichtsbild des „traditionellen Marxismus“, nach dem eine quasi naturgesetzliche Entwicklung zu [[Revolution]] und [[Sozialismus]] führe. Betont wird hingegen die Bedeutung des sozialen Handelns der realen Menschen (''[[Subjekt (Philosophie)|Subjekte]]''), die gesellschaftliche Praxis, sowie das besondere Verhältnis zum philosophischen Erbe des deutschen Idealismus, besonders das von [[Hegel]]. Damit weicht auch die Auffassung, dass alle Erscheinungen schematisch aus wirtschaftlichen Faktoren abgeleitet werden können („[[Ökonomismus]]“), einer differenzierteren Betrachtungsweise. Einige neomarxistische Richtungen greifen weniger auf die Ergebnisse der Marx’schen Analyse als auf seine Methoden zurück, um die veränderten sozioökonomischen Verhältnisse entwickelter kapitalistischer Gesellschaften zu analysieren.  
Die plastische Theorie lautet nun wie folgt: „Alles kommt aus dem Chaos und wird durch Bewegung zur Form gebracht, zu immer neuen Formen.
Dabei kann sich der Prozess auch umkehren. Dann fließen die Dinge vom Gedanklich-Formmäßigen in das Chaotisch-Willensmäßige zurück. „Etwas, was geordnet war, fällt in Chaos, wird ungeordnet.“ (Beuys)


Wichtige theoretische Anstöße für den Neomarxismus kamen nach dem Ersten Weltkrieg von [[Georg Lukács]], [[Karl Korsch]] und [[Antonio Gramsci]]. Aus dem 1923 gegründeten [[Institut für Sozialforschung]] in Frankfurt ging als eine wichtige [[Gesellschaftswissenschaft|gesellschaftswissenschaftliche]] Forschergruppe die [[Frankfurter Schule]] von [[Max Horkheimer]] und [[Theodor W. Adorno]] hervor, deren [[Kritische Theorie]] besonders nach dem Ende der Emigration des Instituts während der Zeit des [[Nationalsozialismus]] in Westdeutschland Einfluss gewann.  
=== Der Chaosbegriff bei Joseph Beuys ===
„Mein Chaosbegriff ist ein sehr ursprünglicher. Alles kommt aus dem Chaos... Das muss man sich vorstellen wie eine zusammenhängende, sehr komplexe Energie, die aber keine bestimmte, sondern eine unbestimmte Stoßrichtung hat. Das Wörtchen „unbestimmt“ passt sehr gut auf den Chaosbegriff, wie ich ihn anwende. Und dann sind alles andere Bestimmungen davon. Nur aus dem Chaos kann etwas kommen.“ (Beuys)


Herbert Marcuse setzte seine wissenschaftliche Tätigkeit in Amerika fort. Durch seine theoretische Orientierung und die Suche nach einer Verbindung mit den neuen sozialen Bewegungen steht er eher dem praxisphilosophischen Ansatz und dem Philosophen [[Ernst Bloch]] nahe.  
=== Der Formbegriff bei Joseph Beuys ===
„Form ist so betrachtet ein Gegenpol zum Begriff Chaos. Das ist ein plastischer Prozess.“ (Beuys)


Weiter dem Neomarxismus zugerechnet werden der französische Theoretiker [[Henri Lefebvre]] und der Philosoph und Historiker [[Lucien Febvre]]. Mit seinem Versuch, Marxismus und [[Existenzialismus]] zu verbinden, schloss sich auch [[Jean-Paul Sartre]] dem neomarxistischen [[Diskurs]] an.
Noch einmal: Alles kommt aus dem '''Chaos''' und wird durch '''Bewegung''' zur '''Form''' gebracht. Zu immer neuen Formen. Dabei kann es auch jeder Zeit wieder ins Chaos zurückfallen. Mit dieser plastischen Theorie hat Beuys eine bedeutende Anthropologische Theorie geschaffen. Hier noch einmal die begrifflichen Zuordnungen:


In Großbritannien formierte sich eine Gruppe von Marxisten, die nach der Niederschlagung des Aufstands in Ungarn aus der Kommunistischen Partei Großbritanniens ausgetreten war, um die Zeitschrift ''[[New Left Review]]'' (unter ihnen [[Edward P. Thompson|E. P. Thompson]], [[Perry Anderson (Historiker)|Perry Anderson]]).


[[Datei:Herbert Marcuse in Newton, Massachusetts 1955.jpeg|thumb|[[Herbert Marcuse]] (1898–1979)]]
{|align="center" width="600px"
|-
! [[Chaos]] !! [[Bewegung]] !! [[Form]]
|-
| ------------- || ------------- || -------------
|-
| [[Wollen]] || [[Empfinden]] || [[Denken]]
|-
| [[Energie]] || [[Rhythmus]] || [[Idee]]
|-
| [[Wärme]] ||  || [[Kälte]]
|-
| [[Amorph]] ||  || [[Kristallin]]
|}


Da in den Ländern des „[[Real existierender Sozialismus|real existierenden Sozialismus]]“ die Staatsparteien das Interpretationsmonopol am Marxschen Werk beanspruchten, konnte sich der Neomarxismus zunächst nur in den westlich-kapitalistischen Ländern entwickeln („[[Westlicher Marxismus]]“), hauptsächlich als akademische Disziplin an Universitäten außerhalb der westlichen kommunistischen Parteien.
Mit der [[Jugoslawien|jugoslawischen]] [[Praxis-Gruppe]] bildete sich in der Mitte der 1960er Jahre eine offen neomarxistische [[Schule (Wissenschaft)|Theorieschule]] in einem sozialistischen Land. Deren internationale Tagungen und die Zeitschrift ''Praxis'' (1965–1974) wurden zu einem Kristallisationspunkt unorthodoxen Marxismusdenkens in Europa.


Über die ''Kritische Theorie'' sowie Ernst Bloch und Herbert Marcuse hatte neomarxistisches Denken nachhaltigen Einfluss auf die 68er [[Deutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre|Studentenbewegung in Deutschland]].
Diese Theorie korrespondiert auch mit den [[Tria Principia]] der [[Alchemie]].
 
== Siehe auch ==
* Weitere thematisch verwandte Artikel: [[Marxistische Philosophie]], [[Analytischer Marxismus]], [[Eurokommunismus]], [[Marburger Schule (Politikwissenschaft)|Marburger Schule]], [[Neue Linke]], [[Operaismus]], [[Postmarxismus]], [[Rätekommunismus]], [[Sozialphilosophie]], [[Strukturalistischer Marxismus]], [[Trotzkismus]], [[Wertkritik]], [[Neue Marx-Lektüre]]
* Personen: [[Wolfgang Abendroth]], [[Louis Althusser]], [[André Gorz]], [[Leo Kofler]], [[Leszek Kołakowski]], [[Adolfo Sánchez Vázquez]], [[Alfred Schmidt (Philosoph)|Alfred Schmidt]], [[Alfred Sohn-Rethel]], [[Immanuel Wallerstein]]
* {{WikipediaDE|Neomarxismus}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* Perry Anderson: ''Über den westlichen Marxismus.'' Frankfurt/Main 1978, ISBN 3-8108-0074-0
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/aesthetik_plastische_theorie.pdf Die plastische Theorie von Joseph Beuys] PDF
* Hans Heinz Holz: ''Strömungen und Tendenzen im Neomarxismus.'' Carl Hanser Verlag, München 1972, ISBN 3-446-11650-8
* Stefan Gandler: ''Marx in Mexiko.'' In: ''Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung'', Frankfurt am Main, Nr. 47, Sept. 2001. S. 167–180. {{ISSN|0940-0648}}.
* Horst Müller: ''Praxis und Hoffnung. Studien zur Philosophie und Wissenschaft gesellschaftlicher Praxis von Marx bis Bloch und Lefebvre.'' Germinal Verlag, Bochum 1986, ISBN 3-88663-509-0
* Andreas von Weiss: ''Neomarxismus. Die Problemdiskussion im Nachfolgemarxismus der Jahre 1945 bis 1970.'' Karl-Alber-Verlag, Freiburg/München 1970, ISBN 3-495-47212-6
 
== Weblinks ==
* [http://www.maranat.de/sir_03_03.html Anatoli Sirota: ''Neo-Marxism: An Attempt at Reformation''] (englisch)
 
[[Kategorie:Marxismus| ]]
 
{{Normdaten|TYP=s|GND=4126126-4}}


{{Wikipedia}}
[[Kategorie:Plastische Theorie|!]]
[[Kategorie:Joseph Beuys]]

Version vom 3. Mai 2021, 05:28 Uhr

Joseph Beuys während eines Vortrags
Joseph Beuys: Zeichnung zur plastischen Theorie

Wie kam Beuys zur plsastischen Theorie? „Innerhalb des Allgemeinbegriffs „Kunst“ ist der Begriff „Plastik“ das für Joseph Beuys besonders relevante Thema.

„Was ist Plastik? Ich habe versucht, eben diesen Begriff in seine treibenden Grundkräfte zu zerlegen.“ (Beuys) Beuys fand die Grundkräfte in Wärme und Kälte. Diese beiden Pole verkörpern einerseits das „Chaotisch-Willensmäßige“ und andererseits das „Gedanklich-Formmäßige“. Das Wechselspiel zwischen – man könnte auch sagen – „dem Organischen und dem Kristallinen, und damit zwischen der Polarität von Natur und Geist“, findet sich im Mensch wieder. Mit dieser Erkenntnis gelangt Beuys zu einem bedeutenden anthropologischen Aspekt.“ (Harlan, Rappmann, Schata: „Soziale Plastik – Materialien zu Joseph Beuys“)

Die plastische Theorie

Die plastische Theorie lautet nun wie folgt: „Alles kommt aus dem Chaos und wird durch Bewegung zur Form gebracht, zu immer neuen Formen.“ Dabei kann sich der Prozess auch umkehren. Dann fließen die Dinge vom Gedanklich-Formmäßigen in das Chaotisch-Willensmäßige zurück. „Etwas, was geordnet war, fällt in Chaos, wird ungeordnet.“ (Beuys)

Der Chaosbegriff bei Joseph Beuys

„Mein Chaosbegriff ist ein sehr ursprünglicher. Alles kommt aus dem Chaos... Das muss man sich vorstellen wie eine zusammenhängende, sehr komplexe Energie, die aber keine bestimmte, sondern eine unbestimmte Stoßrichtung hat. Das Wörtchen „unbestimmt“ passt sehr gut auf den Chaosbegriff, wie ich ihn anwende. Und dann sind alles andere Bestimmungen davon. Nur aus dem Chaos kann etwas kommen.“ (Beuys)

Der Formbegriff bei Joseph Beuys

„Form ist so betrachtet ein Gegenpol zum Begriff Chaos. Das ist ein plastischer Prozess.“ (Beuys)

Noch einmal: Alles kommt aus dem Chaos und wird durch Bewegung zur Form gebracht. Zu immer neuen Formen. Dabei kann es auch jeder Zeit wieder ins Chaos zurückfallen. Mit dieser plastischen Theorie hat Beuys eine bedeutende Anthropologische Theorie geschaffen. Hier noch einmal die begrifflichen Zuordnungen:


Chaos Bewegung Form
------------- ------------- -------------
Wollen Empfinden Denken
Energie Rhythmus Idee
Wärme Kälte
Amorph Kristallin


Diese Theorie korrespondiert auch mit den Tria Principia der Alchemie.

Literatur